Chruschtschews Ge- schenk...D amit folgte der russische Präsident der üblichen Logik der...

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Feuilleton 19.04.14 / Nr. 91 / Seite 57 / Teil 01 NZZ AG Chruschtschews Ge- schenk Was genau steckt hinter dem innersowjetischen Republikwechsel der Krim zur Ukraine im Jahr 1954? In der Debatte um die Legitimation der russischen Ansprüche auf die Krim wird oft ins Feld geführt, dass die Ukraine 1954 durch eine dubiose Schenkung des damals frisch gewählten sowjetischen Parteiführers Nikita Chruschtschew in ihren Besitz gekommen sei. Was genau steckte hinter dessen Entscheid? Ulrich M. Schmid «In einer Mauschelei auf dem Flur» habe Nikita Chruschtschew 1954 die Krim der Ukraine ge- schenkt, meinte Wladimir Putin in seiner magistra- len Duma-Rede vom 18. März. Deshalb sah sich der russische Präsident im Recht, von einer «Wie- dervereinigung» der Krim mit Russland zu spre- chen. Damit folgte der russische Präsident der üblichen Logik der Begründung territorialer An- sprüche: Durch eine Unrechtshandlung ist es zu einem historischen Fehler gekommen, und nun wird der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt. Unbestritten ist, dass die Krim in der Tat erst vor sechzig Jahren der Ukraine angegliedert wurde. Wenig überraschend erscheint auch die Tatsache, dass Parlament und Bevölkerung in der totalitären Sowjetunion wenig zum Republikwechsel der Krim zu sagen hatten. Trotzdem sollte man die Be- gleitumstände dieses Gebietstransfers unter Chru- schtschew genauer anschauen, bevor man Putins Darstellung der Ereignisse mit eifrigem Kopf- nicken übernimmt. Berias Arroganz Wichtig war vor allem der Zeitpunkt der Aktion. Nikita Chruschtschew (1894–1971) absolvierte un- ter Stalin in der Moskauer und ukrainischen Par- teiorganisation eine steile Karriere. Als der miss- trauische Diktator am 5. März 1953 starb, war die Nachfolge ungeklärt. Zunächst sah es so aus, als ob Stalins skrupelloser Geheimdienstchef Beria die Macht übernehmen würde. Beria war nach Stalins Tod sofort Innenminister geworden und verfügte damit über eigene Truppen. Chruschtschew stand zu diesem Zeitpunkt an fünfter Stelle in der sowje- tischen Machthierarchie und wurde von Beria nicht als ernsthafter Rivale wahrgenommen. Der arrogante Beria beging jedoch denselben Fehler wie Trotzki nach Lenins Tod: Er über- schätzte seine Autorität, vertrat seine Position ohne Rücksicht auf andere Meinungen und wähnte sich bis zuletzt in Sicherheit. Der Georgier Beria distanzierte sich im Frühjahr 1953 deutlich von Sta- lins Russophilie und wollte eigene Akzente in der sowjetischen Nationalitätenpolitik setzen: Er kriti- sierte die Dominanz des Russischen in den von der Roten Armee neu eroberten Gebieten in Weiss- russland, Litauen, Estland und in der Westukraine. Er war sogar bereit, die DDR aufzugeben und für eine angemessene Kompensation einem neu- tralen deutschen Gesamtstaat zuzustimmen. Das war für den überzeugten Kommunisten Chru- schtschew zu viel. Er wartete einen günstigen Moment ab (der Kommandant der Truppen des Innenministeriums war wegen eines Manövers nicht in Moskau) und liess Beria verhaften. Erst nach der Hinrichtung des Rivalen (wegen Spio- nage für Grossbritannien und des Versuchs der Be- seitigung der Sowjetmacht) im Dezember 1953 wurde deutlich, dass Chruschtschew die sowjeti- sche Führung für sich allein beanspruchte. «Secunda inter pares» Die Übertragung der Krim an die Ukraine er- scheint vor diesem Hintergrund als strategischer Schachzug. Chruschtschew war in Donezk aufge- wachsen, bezeichnete sich selbst aber immer als Russen und sprach auch kein Ukrainisch. Seine eigene Karriere hing aber von der Loyalität der Ukraine zum Kreml ab. Bereits während des Zwei- ten Weltkriegs arbeitete Chruschtschew daran, das Territorium der Sowjetukraine zu vergrössern, um zu zeigen, dass die Bolschewiki die Interessen der Ukraine besser wahrten als die ukrainischen Nationalisten. Er war verantwortlich für die West- erweiterung der Ukraine und wollte ihr zusätzlich auch die polnische Region Chelm zuschlagen. Bereits 1944 hatte Chruschtschew angeregt, die Krim der Ukraine zu übergeben, weil die vertrie- benen Krimtataren durch ukrainische Bauern er- setzt werden sollten. Die verspätete Durchführung dieses Plans im Jahr 1954 erscheint damit als Ab- schluss einer längerfristig angelegten Strategie: Chruschtschew beabsichtigte, seine Hausmacht zu stärken, indem er als Garant der Ukraine als «secunda inter pares» innerhalb der Hierarchie der Sowjetnationen auftrat. 1954 war ein besonderes Jahr für die ukrainisch- russischen Beziehungen: Man feierte das 300-Jahr- Jubiläum der Brüderschaft der beiden Völker. 1654 hatten die ukrainischen Kosaken in Perejaslaw einen Treueeid auf den russischen Zaren abgelegt, um einen mächtigen Verbündeten im Kampf gegen die polnische Übermacht zu gewinnen. Aus russi- scher Sicht wird dieser Vertrag bis heute als Wille der Ukraine interpretiert, zu Russland zu gehören. 1954 verwiesen die offiziellen Dokumente darauf, dass der Wechsel der Krim zur Ukraine «das unbe- grenzte Vertrauen des grossen russischen Volks in das ukrainische Volk» bezeuge. Nikita Chruschtschew verfolgte mit seiner Krim-Politik durchaus auch eine ideologische Ab-

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

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Feuilleton 19.04.14 / Nr. 91 / Seite 57 / Teil 01

! NZZ AG

Chruschtschews Ge-schenk

Was genau steckt hinter dem innersowjetischen Republikwechselder Krim zur Ukraine im Jahr 1954?

In der Debatte um die Legitimation derrussischen Ansprüche auf die Krim wirdoft ins Feld geführt, dass die Ukraine1954 durch eine dubiose Schenkung desdamals frisch gewählten sowjetischenParteiführers Nikita Chruschtschew inihren Besitz gekommen sei. Was genausteckte hinter dessen Entscheid?

Ulrich M. Schmid

«In einer Mauschelei auf dem Flur» habe NikitaChruschtschew 1954 die Krim der Ukraine ge-schenkt, meinte Wladimir Putin in seiner magistra-len Duma-Rede vom 18. März. Deshalb sah sichder russische Präsident im Recht, von einer «Wie-dervereinigung» der Krim mit Russland zu spre-chen. Damit folgte der russische Präsident derüblichen Logik der Begründung territorialer An-sprüche: Durch eine Unrechtshandlung ist es zueinem historischen Fehler gekommen, und nunwird der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt.Unbestritten ist, dass die Krim in der Tat erst vorsechzig Jahren der Ukraine angegliedert wurde.Wenig überraschend erscheint auch die Tatsache,dass Parlament und Bevölkerung in der totalitärenSowjetunion wenig zum Republikwechsel derKrim zu sagen hatten. Trotzdem sollte man die Be-gleitumstände dieses Gebietstransfers unter Chru-schtschew genauer anschauen, bevor man PutinsDarstellung der Ereignisse mit eifrigem Kopf-nicken übernimmt.

Berias ArroganzWichtig war vor allem der Zeitpunkt der Aktion.Nikita Chruschtschew (1894–1971) absolvierte un-ter Stalin in der Moskauer und ukrainischen Par-teiorganisation eine steile Karriere. Als der miss-trauische Diktator am 5. März 1953 starb, war dieNachfolge ungeklärt. Zunächst sah es so aus, als obStalins skrupelloser Geheimdienstchef Beria dieMacht übernehmen würde. Beria war nach StalinsTod sofort Innenminister geworden und verfügtedamit über eigene Truppen. Chruschtschew standzu diesem Zeitpunkt an fünfter Stelle in der sowje-tischen Machthierarchie und wurde von Berianicht als ernsthafter Rivale wahrgenommen.

Der arrogante Beria beging jedoch denselbenFehler wie Trotzki nach Lenins Tod: Er über-schätzte seine Autorität, vertrat seine Positionohne Rücksicht auf andere Meinungen und wähntesich bis zuletzt in Sicherheit. Der Georgier Beriadistanzierte sich im Frühjahr 1953 deutlich von Sta-lins Russophilie und wollte eigene Akzente in dersowjetischen Nationalitätenpolitik setzen: Er kriti-

sierte die Dominanz des Russischen in den von derRoten Armee neu eroberten Gebieten in Weiss-russland, Litauen, Estland und in der Westukraine.

Er war sogar bereit, die DDR aufzugeben undfür eine angemessene Kompensation einem neu-tralen deutschen Gesamtstaat zuzustimmen. Daswar für den überzeugten Kommunisten Chru-schtschew zu viel. Er wartete einen günstigenMoment ab (der Kommandant der Truppen desInnenministeriums war wegen eines Manöversnicht in Moskau) und liess Beria verhaften. Erstnach der Hinrichtung des Rivalen (wegen Spio-nage für Grossbritannien und des Versuchs der Be-seitigung der Sowjetmacht) im Dezember 1953wurde deutlich, dass Chruschtschew die sowjeti-sche Führung für sich allein beanspruchte.

«Secunda inter pares»Die Übertragung der Krim an die Ukraine er-scheint vor diesem Hintergrund als strategischerSchachzug. Chruschtschew war in Donezk aufge-wachsen, bezeichnete sich selbst aber immer alsRussen und sprach auch kein Ukrainisch. Seineeigene Karriere hing aber von der Loyalität derUkraine zum Kreml ab. Bereits während des Zwei-ten Weltkriegs arbeitete Chruschtschew daran, dasTerritorium der Sowjetukraine zu vergrössern, umzu zeigen, dass die Bolschewiki die Interessen derUkraine besser wahrten als die ukrainischenNationalisten. Er war verantwortlich für die West-erweiterung der Ukraine und wollte ihr zusätzlichauch die polnische Region Chelm zuschlagen.

Bereits 1944 hatte Chruschtschew angeregt, dieKrim der Ukraine zu übergeben, weil die vertrie-benen Krimtataren durch ukrainische Bauern er-setzt werden sollten. Die verspätete Durchführungdieses Plans im Jahr 1954 erscheint damit als Ab-schluss einer längerfristig angelegten Strategie:Chruschtschew beabsichtigte, seine Hausmacht zustärken, indem er als Garant der Ukraine als«secunda inter pares» innerhalb der Hierarchie derSowjetnationen auftrat.

1954 war ein besonderes Jahr für die ukrainisch-russischen Beziehungen: Man feierte das 300-Jahr-Jubiläum der Brüderschaft der beiden Völker. 1654hatten die ukrainischen Kosaken in Perejaslaweinen Treueeid auf den russischen Zaren abgelegt,um einen mächtigen Verbündeten im Kampf gegendie polnische Übermacht zu gewinnen. Aus russi-scher Sicht wird dieser Vertrag bis heute als Willeder Ukraine interpretiert, zu Russland zu gehören.1954 verwiesen die offiziellen Dokumente darauf,dass der Wechsel der Krim zur Ukraine «das unbe-grenzte Vertrauen des grossen russischen Volks indas ukrainische Volk» bezeuge.

Nikita Chruschtschew verfolgte mit seinerKrim-Politik durchaus auch eine ideologische Ab-

Page 2: Chruschtschews Ge- schenk...D amit folgte der russische Präsident der üblichen Logik der Begründung territorialer An-sprüche: D ur ch eine Unr echtshandlung ist es zu einem historischen

Front 11.06.12 / Nr. 133 / Seite 1 / Teil 01

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BÖRSEN UND MÄRKTE

Investoren wetten auf LockerungenInvestoren in den USA bringen sichzurzeit in Position, um von einer wei-teren quantitativen geldpolitischenLockerung zu profitieren.

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sicht. Er glaubte fest daran, dass der Sowjetpatrio-tismus – also eine staatsbürgerliche Identität, dienicht auf einer nationalen, sondern einer sozialisti-schen Überzeugung beruht – die alten ethnischenUnterscheidungen in Zukunft obsolet machenwürde. Deshalb rechtfertigte er den territorialenWechsel der Krim öffentlich mit praktischen Erwä-gungen wie der «ökonomischen Einheit», der «ter-ritorialen Nähe» und den «engen kulturellen Ver-bindungen» zwischen der Krim und der Ukraine.Bestätigt wurde diese Logik durch Infrastruktur-projekte wie etwa den wichtigen Kanal, der nach1954 gebaut wurde und bis heute dringend benötig-tes Wasser für die Landwirtschaft aus dem Dniproauf die Halbinsel führt.

Historische Legitimationen von territorialenAnsprüchen, wie sie Putin in seiner Rede vorge-nommen hat, sind leicht zu widerlegen. Man musssich auch bei der Krim nur wenig auf der Zeitachsebewegen, um zu sehen, dass die Zugehörigkeit zuRussland im 20. Jahrhundert lediglich eine Optionunter anderen war. Nach der Oktoberrevolutionversuchten zunächst die Krimtataren, eine eigeneRepublik zu gründen. 1918 und 1919 wechselte dieKrim im russischen Bürgerkrieg zwei Mal zwischenden «Roten» und den «Weissen». Dabei waren diekurzlebigen Sowjetrepubliken auf der Krim jeweilsautonome Einheiten, während die «weissen» Ge-neräle die Krim als Musterstaat in einer zukünfti-gen russischen Föderation und Ausgangspunkt fürdie militärische Rückeroberung Russlands be-trachteten.

Schwankende Identität der KrimNach dem endgültigen Sieg der Bolschewiki wurde1921 auf der Krim eine Autonome SozialistischeSowjetrepublik errichtet, die ihrerseits zur domi-nanten russischen Teilrepublik der Sowjetunion(RSFSR) gehörte. Nach der deutschen Besetzungim Zweiten Weltkrieg verlor die Krim den Repu-blikstatus und wurde für den Rest der Sowjetzeit zueiner Provinz degradiert. Gegen Ende der achtzi-ger Jahre kehrten die Krimtataren aus der usbeki-schen Verbannung in ihr angestammtes Gebiet zu-rück und weckten auch bei der russischen Bevölke-rung das Bewusstsein für den besonderen Statusder Krim. Wichtig waren während der Perestroikaauch Proteste gegen ein Atomkraftwerk auf derKrim – der Widerstand gegen den Moskauer Pla-nungsentscheid einigte die Krim-Bewohner allerNationalitäten. Deshalb forderte ein Referendum,das am 20. Januar 1991 von 93 Prozent aller Krim-bewohner angenommen wurde, die Errichtungeiner Autonomen Republik als eines direktenFöderationssubjekts der Sowjetunion – also ohneZugehörigkeit zur RSFSR.

Allerdings wurde wenige Monate später diesowjetische Fahne auf dem Dach des Kremls einge-holt. Bereits 1992 verabschiedete die Krim eineVerfassung, die zunächst die Eigenstaatlichkeit,dann aber – auf Druck der Kiewer Regierung –eine Integration in den neuen ukrainischen Staatvorsah. Noch in einer Erhebung vom Januar 2013,vor dem «Euromaidan», antworteten nur etwa 10Prozent der Krim-Bewohner auf die Frage: «Wasist ihre Heimat?», mit «Russland». 35 Prozentnannten die Ukraine; über 50 Prozent verwiesenauf die «eigene Region», also die Krim, als Heimat.

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Prof. Dr. Ulrich Schmid lehrt Kultur und Gesellschaft Russlands ander Universität St. Gallen. Seine Hauptforschungsgebiete sind Politik

und Medien in Russland sowie Nationalismus in Osteuropa. Für dieNZZ schreibt er seit 1993 zu osteuropäischen und russischen Themen.