cinearte XL 011

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XL Das Magazin für Filmschaffende 011 März 2009 | 5 Euro 4 196651 805005 90011

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April-June 2009

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XL

Das Magazin für Filmschaffende

011 März 2009 | 5 Euro

4 196651 805005 900114 196651 805005 90011

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Page 3: cinearte XL 011

Zum Geleit

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Von Lyon über New York nach Istanbul jagt Tom Tykwer seinen

International um die Welt. Kai Wessels Hilde zieht es von Berlin nach

Hollywood und wieder zurück – gedreht unter anderem auch in

Südafrika. Und gerade ist in unseren Kinos Florian Gallenbergers

Geschichte vom guten Nazi in China angelaufen: John Rabe wurde

an Originalschauplätzen gedreht. Derart aufwendige Produktionen

gab es zwar auch vor zehn Jahren schon zu sehen, selbst im Kino.

Aber allmählich scheinen sie normal zu werden. Und daß es bei all

diesen prächtigen Ausstattungsstücken auch noch die ganz norma-

len, »kleinen« Themen gibt, zeigt eine bezaubernde Bandbreite des

Filmschaffens.

Ein Grund dafür wird laut betrommelt: Der Deutsche Filmförder-

fonds sei es, der große Produktionen ins Land hole, einheimischen

Filmemachern den Mut und das Geld gebe, ebenfalls Großes zu wa-

gen, und die hiesige Kinoindustrie stärke. Fördereffekte um die 632

Prozent erziele dieser Fond – ein Bespiel für gelungene Wirtschafts-

förderung!

Nun sollte man generell mißtrauisch sein, wenn für Fonds mit

dreistelligen Prozentzahlen geworben wird. Und wer eine Vorstel-

lung von den Vorlaufzeiten einer Filmproduktion hat, kann sich vor-

stellen, daß manches Drehbuch schon älter ist als der Fördertopf.

Schön ist es aber, wenn Geld und Geist zusammenkommen. Damit

alle Filmgewerke zeigen können, zu was sie imstande sind. Und die

Zuschauer das auch sehen.

Herzlichst, Ihr

Liebe Leser,

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Impressum

Ausgabe 011 vom31. März 2009.

Anschrift: cınearte Peter Hartig,Friedrichstraße 15, 96047Bamberg.

Redaktion: Peter Hartig (verant-wortlich), Tel. 0951-2974 6955.

Anzeigen: Michael Wesp-Bergmann (verantwortlich),Tel. 089-5529 8563.

Redaktionsschluß ist vierWochen vor Erscheinen derAusgabe.

Für unverlangt eingesandteManuskripte und Fotos über-nehmen wir keine Haftung.Namentlich gekennzeichneteArtikel entsprechen nichtunbedingt der Meinung derRedaktion. Nachdrucke, auchauszugsweise, nur mit Ge-nehmigung der Redaktion.Gerichtsstand ist Bamberg.

Es gilt die Anzeigenpreisliste 8vom 1. Januar 2009.

Mitarbeiter dieser Ausgabe:Hans-Günther Dicks, JanFedesz, Sabine Felber,Christoph Gröner, Uli Hanisch,Connie van Opeln, MaxRomero, Michael Stadler, IanUmlauff, Carlo Vivari, KarolinaWrobel.

Soundtrack bei der Erstellungdieser Ausgabe mit wehmütigemBlick zurück: Paolo Conte»Dancing« (LDX, 274834); TheStyle Council: »Café Bleu«(Polydor, 8175351); Yes: »Closeto the Edge« (ATL, 50012).

Layoutkonzept: Jana Cerno,www.cernodesign.de.

Druck: Creo-Druck, 96050Bamberg

Vertrieb Einzelverkauf: VUVerlagsunion KG, 65396 Walluf

cınearte XL erscheint viermaljährlich und wird herausgegebenvon Peter Hartig in Kooperationmit www.crew-united.com.Der Einzelverkaufspreis beträgt5 Euro.

Diese Ausgabe wird allenMitgliedern der Filmberufs-verbände BVK und SFK imRahmen ihrer Mitgliedschaftohne besondere Bezugsgebührgeliefert. Keine Haftung bei Stö-rung durch höhere Gewalt.

cınearte XL wird gefördert vonder Kulturwerk der VGBild Kunst GmbH, Bonn.

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Inhalt

Der Regisseur Sven Taddicken sieht so nett aus,

daß wir ihn auch in unsere Küche lassen würden.

Aber achten Sie auf Seite 96 mal auf sein T-Shirt.

011 | März 2009

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18 Zwischen zwei Welten

Im Kino bekam Jolanta Dylewska die Antwort auf Fragen, die sie sich nie zu stellen traute.

Weshalb sie gleich dort blieb.

40 Die letzte Diva

Dafür kann man ja schon mal singen lernen: Mit aufwendigen Kulissen und viel Rauch

in der Stimme kommt die Knef noch einmal auf die Leinwand.

54 Schattenspieler

Wenn bei den Berliner Filmfestspielen alle nur Augen für die Leinwand haben, ist im

Projektionsraum wohl alles richtig gelaufen.

62 Spiel mit der Angst

Kaum Platz, wenig Zeit – damit macht das Kino seine Sachen seit Ewigkeiten spannend.

David Fincher machte es im Panic Room noch ein bißchen spannender.

80 Filmarchitektur

The International spielt in den virtuellen Welten der globalisierten Wirtschaft.

Das Szenenbild fand Uli Hanisch ganz konkret in deren Palästen.

96 Klare Sicht

Sven Taddicken ist ein zurückhaltender Mensch. Seine Filme gar nicht.

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hie 2009

25./26. J

uni in Mü

nchen

Vermischtes

03 Zum Geleit

03 Impressum

06 Wege zum Ruhm

08 Produktion

10 Technik

12 Weite Welt

16 Kalender

35 Auf der Couch

75 Gesetze der Serie

103 Letzte Bilder

104 Vorspann

106 Mein Arbeitsplatz

108 Statistik

109 Lexikon

110 Lesen – Sehen – Hören

113 Tip 5

114 Rätsel

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Vorspann | Wege zum Ruhm cınearte XL 011

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Foto: Ampas, Michael Yada

GoldigeMännchenDamit jetzt bloß keine Verwechslungen aufkom-

men: Links oben ist der berühmteste Filmpreis der

Welt im Bild, rechts, mit ähnlicher Frisur, freut sich

Jochen Alexander Freydank. Der 41jährige Regis-

seur hat neulich bei den »Oscars« gewonnen.

Das haben leider nicht ganz so viele bemerkt,

obwohl die Preisgala der Filmakademie von Holly-

wood rund um die Welt im Fernsehen übertragen

wird und die Kategorie für den besten fremdspra-

chigen Film inzwischen so eine Art Weltmeister-

schaft der Kinematografie ist, für die von Jahr zu

Jahr mehr Vorschläge eingereicht werden.

Freydanks Film Spielzeugland war aber nicht

hier nominiert, sondern bei den Kurzfilmen, und

die werden ja leider immer noch nicht so richtig

wahrgenommen. Schade eigentlich, denn mit

Reto Caffis Auf der Strecke, der an dieser Stelle vor

einem Jahr zu sehen war, weil er den »Studenten-

Oscar« gewonnen hatte, war hier noch ein zweites

Werk »Made in Germany« nominiert. Vier Jahre

lang hatte Freydank an seinem 14minüter, der die

Judenverfolgung während der Nazi-Diktatur aus

der Perspektive eines Jungen darstellt, gearbeitet –

die Hälfte der Zeit brauchte er, um die Finanzie-

rung zusammenzubringen. Letztlich konnte der

Film aber nur zustandekommen, weil das Team

umsonst mitmachte: das einfühlsame Drehbuch,

von Freydank und seinem Koautor Johann A. Bun-

ners hatte alle gepackt.

So ein bißchen konnte sich das Filmland auch

bei den anderen Kategorien auf die Schulter klop-

fen. Die englische Schauspielerin Kate Winslet er-

hielt ihren »Oscar« für Der Vorleser, der in Görlitz,

Köln und Babelsberg gedreht wurde. Und Slum-

dog Millionär, der große Abräumer des Abends,

war durch Kameratechnik aus Deutschland erst

möglich geworden, wie wir auf der übernächsten

Seite erklären. c

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cınearte XL 011 Vorspann | Wege zum Ruhm

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Vorspann | Produktion cınearte XL 011

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Foto: Axel Block

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cınearte XL 011 Vorspann | Produktion

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»Die Kälte und Dunkelheit eines Klosters zeigen,

aber dabei nicht diese Farbintensität verlieren, die

man mit dem Mittelalter so verbindet.« Ein kleines

Dilemma, dem sich Axel Block (bvk) aussetzte, als

er die Bildgestaltung für Margarethe von Trotta

übernahm: Vision erzählt Aus dem Leben der Hil-

degard von Bingen und wurde zum Teil in den

Klöstern Maulbronn, Hirsan und Eberbach ge-

dreht. Wegen der Denkmalschutzauflagen durften

neben halogenbrenner-verstärkten Kerzen aus-

schließlich Kaltlichtquellen verwendet werden.

Kreuzgang, Schlafsaal und Refektorium wurden

unterdessen im Kölner Studio aufwendig nachge-

baut. Da hatten auch die Butterfly-Richtgitter von

DoP Choice ihre Premiere. Acht der Gitter in Grö-

ßen von 6 mal 6 bis 12 mal 12 Fuß wurden mit Di-

nolights beleuchtet. Die Lichtqualität des Halo-

genlichts sei dabei den Kaltlichtquellen, vor allem

bei den kritischen Hauttönen, deutlich überlegen

gewesen. Wirklich begeistert hätten ihn aber die

Richtgitter selbst, sagt Block. Weil mit ihnen ohne

zusätzliche Fahnen im Motiv eine Lichttrennung

zwischen Vorder- und Hintergrund erreicht wurde

und weil sie selbst kopfüber straff gespannt auf

dem Rahmen bleiben. Übliche Richtgitter neigen

da zum »Bauchansatz«: Sie hängen durch, und das

weiche Licht wird nicht mehr sauber kanalisiert.

Zudem war die Montage bislang Fummelarbeit.

All das sollen die Soft-Light-Richtgitter von DoP

Choice abschaffen. Firmengründer Stefan Karle,

selbst Kameramann, achtet auf Material und Ver-

arbeitung: Die Stoffstreifen sind einzeln vernäht,

so bleibt alles straff, und es gibt kein Streulicht.

Axel Block jedenfalls will die Gitter bei seinem

nächsten Film auch an Originalmotiven anwen-

den. Weil sie sich auch rasend schnell aufbauen

lassen. Bei der Kombination mit einem Avenger-

Klapprahmen in weniger als einer Minute.

HellesMittelalter

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Vorspann | Technik cınearte XL 011

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Foto: Pille Filmgeräte

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cınearte XL 011 Vorspann | Technik

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VersteckteKameraDaß Anthony Dod Mantle hier so fröhlich in die

Kamera lächelt, liegt nicht etwa daran, daß er im

Urlaub ist – auch wenn er so aussieht wie ein typi-

scher Rucksacktourist, der sich an exotischen Or-

ten verlaufen hat. Im Rucksack steckt nämlich ki-

logrammweise Arbeit. In dieser Tarnung war das

Kamerateam unterwegs, um Danny Boyles Slum-

dog Millionär an Originalschauplätzen zu drehen.

Das sind die Slums der indischen Stadt Mumbai,

aus denen der Held zum Gewinner einer Quizsen-

dung aufsteigt.

Um inmitten unbedarfter »Komparsen« mög-

lichst echte Bilder zu erhalten, entschied sich Boy-

le fürs »Guerilla-Shooting« – außer der Crew wuß-

te keiner, daß hier gerade ein Kinofilm entstand.

Möglich machte dies das digitalen Kamerasystem

SI-2K, eine Entwicklung der P+S Technik aus Otto-

brunn bei München und der Silicon Imaging in

New York. Wie eine Kinokamera sieht das Aufnah-

megeräte nicht aus. Besser noch: Der Kamerakopf

mit dem 2/3-Zoll-CMOS-Bildsensor, vor den die

Optik montiert wird, kann vom Rest des Systems

getrennt werden. Die eigentlichen Bildverarbei-

tungs- und Aufnahmekomponenten stecken im

Rucksack des Kameramanns. Und was noch zu se-

hen ist, wirkt wie der Camcorder eines Touristen.

Der Wiesbadener Verleih Pille Filmgeräte hatte

mit DIT Stefan Ciupek vier digitale Kamerasyste-

me für die Mission vorbereitet und fürs Klima vor

Ort in der Sauna getestet. Allein zur Kühlung der

digitalen Aufnahmegeräte wurden jeden Tag mehr

als 20 Kilogramm Trockeneis benötigt.

Für die ganz eigene Bildsprache bekam Dod

Mantle denn auch den »Oscar« – einen der acht,

die Slumdog Millionär insgesamt gewonnen hat.

Womit der Überraschungssieger auch das erste

zum Großteil digital produzierte Werk ist, das den

»Oscar« für den besten Film erhielt. c

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Vorspann | Weite Welt cınearte XL 011

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Erlebnis-Kino

Foto: VEB Filmtheaterbetriebe

So sieht also das Kino der Zukunft aus: Sanftes

Licht aus LED, breite Ledersessel mit Liegeposi-

tion und Fußschemeln, weicher Teppichboden

und auf Wunsch ein Separée. Dazu vom Türsteher

vorbei an den Garderobieren bis zum Platzanwei-

ser eine Rundumbetreuung – den Rotwein holt

man sich natürlich nicht am Schalter, sondern be-

stellt bequem am Platz aus der Karte.

Hinter dem neuen Konzept steckt Hans-Joa-

chim Flebbe, der uns schon die Multiplexe be-

schert hatte. Irgendwann dämmerte dem Großki-

nobetreiber, daß Popcorn und Cola in Fünf-Liter-

Eimern nicht ganz das sind, was er sich unter ei-

nem gelungenen Filmabend vorgestellt hatte, und

er verwirklichte ein weiteres Mal einen Kino-

traum. »Astor Film Lounge« heißt nun passender-

weise, was einst der »Filmpalast Berlin« am Kur-

fürstendamm war.

Das Konzept entstand nach vielen Diskussio-

nen darüber, warum viele Leute nicht ins Kino ge-

hen, berichtet Theaterleiter Jürgen Friedrich, der

seit 20 Jahren im Haus arbeitet und in der Zeit

zwei Komplettrenovierungen erlebte. Das kommt

offenbbar an: Als die Lounge kurz vor Jahreswech-

sel eröffnete, zeigten sich die Feuilletons vor Ort

begeistert. Statt Nachos mit Käsesoße gibt’s hier

Fingerfood vom benachbarten Caterer, statt 470

nur 250 Sitzplätze, aber die mit ordentlich Bein-

freiheit. Weshalb der Eintritt auch gerne ein wenig

mehr kosten darf, die drei Vorstellungen am Tag

aber trotzdem gut besucht sind. Die Zielgruppe sei

»30 plus«, sagt Friedrich, es komme aber »uner-

wartet viel junges Publikum«, um einen etwas an-

deren Kinoabend zu erleben.

Kein Wunder, daß man da schon wieder ein we-

nig größer denkt: Für andere Großstädte hätte das

Konzept durchaus Zukunft, wenn das Ambiente

stimmt. c

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cınearte XL 011 Vorspann | Weite Welt

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Vorspann | Weite Welt cınearte XL 011

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Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin, Andreas Teich

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cınearte XL 011 Vorspann | Weite Welt

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Was haben wir geschwelgt, damals, vor einem

Vierteljahrhundert, als das Licht im Kino erlosch

und uns mit einem Paukenschlag die Sitar um die

Ohren flog. Dann erst öffnete sich der Vorhang,

und David Lean nahm uns mit auf seine letzte

Reise nach Indien. Vermutlich wäre der ganze

Lean nur halb so kurzweilig gewesen, hätte er

nicht soviel Unterstützung auf der Tonspur erhal-

ten. Mit wenigen Takten machte Maurice Jarre

klar, welche Eindrücke den Zuschauer in den

nächsten zwei Stunden erwarten. Manche mei-

nen, er konnte die Seele des Films in wenigen Tak-

ten erfassen. Auf jeden Fall hört er sich toll an.

Schon 1961, als der französische Komponist

und der englische Regisseur zum ersten Mal auf-

einandertrafen und Schneesturm wie Wüsten-

wind gemeinsam trotzten: Jarres Arrangements zu

Lawrence von Arabien waren sein weltweiter

Durchbruch, Lara’s Theme in Doktor Schiwago

wurde ab 1965 zum Ohrwurm. Beide Filme brach-

ten ihm einen »Oscar« ein. Den dritten »Oscar«

gab’s – erraten – für die Reise nach Indien, wieder

mit Lean.

Der Ruhm war schwer verdient: Lean hatte den

Komponisten spät engagiert. Eine ganze Woche

lang mußte Jarre in der Wüste die Dreharbeiten ei-

ner großen Schlacht mitverfolgen, danach in

sechs Wochen die Musik schreiben. Nicht besser

ergeht es ihm drei Jahre später. Für Doktor Schi-

wago dirigierte er 35 Balalaika-Spieler – von de-

nen keiner Noten lesen konnte.

Noch für gut 150 andere Filme hat Jarre die No-

ten geschrieben und damit Kinogeschichte. Zu-

letzt hatte ihn im Februar die Berlinale mit ihrem

»Ehrenbären« versehen. Im Hintergrund applau-

diert Volker Schlöndorff, dem der studierte

Schlagzeuger Die Blechtrommel betonte. Am 29.

März ist Maurice Jarre mit 84 Jahren verstorben.

Bombastmit Gefühl

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Vorspann | Kalender cınearte XL 011

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Foto: Digitale Cinematographie

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Page 17: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Vorspann | Kalender

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Die Digitaltechnik hat’s ja nicht immer leicht am

Set. Zwar greifen immer mehr Filmemacher auch

nach Geräten, die ihr Bild nicht auf langen Streifen

aus Cellulose-Triacetat aufzeichnen, doch man-

cher gestandene Bildgestalter beäugt die Entwick-

lung noch mit einigem Mißtrauen. Muß er nicht,

darf er aber, meinen die Veranstalter der Ausstel-

lung und Fachtagung »Digitale Cinematographie«,

denn genau dafür laden sie ja am 25. und 26. Juni

ins Forum am Deutschen Museum in München –

inzwischen im siebten Jahr.

Darauf ist das Veranstaltertrio aus Gerhard Bai-

er (Band Pro Munich), Martin Ludwig (Ludwig Ka-

meraverleih) und Martin Kreitl (MK Media Pro-

duction) zu Recht stolz, genauso wie auf die »stetig

wachsenden Besucherzahlen« und die »beständig

steigende Bedeutung« des Branchentreffens. Of-

fenbar haben die Pixel und Datenströme auch ihre

attraktiven Seiten, denn seit vorigem Jahr tagt die

Digitale Cinematographie zweitägig. Trotz alle-

dem, versichert man, habe »das Happening« sei-

nen familiären Charakter bewahrt.

Mit den Dreien zeigen noch mehr als 30 weite-

re Hersteller und Dienstleister den aktuellen Stand

der Technik von neuen Kameras und Produktions-

zubehör bis zur Archivierung in HD. In Workshops

und Vorträgen können sich die Besucher einge-

hender mit der Technik auseinandersetzen, und

für den Praxistest haben Szenenbildner ein

Kameraset vorbereitet, an dem die neuesten Ka-

merasysteme mit verschiedenen Lichtstimmun-

gen, diversen Requisiten und »lebenden Schau-

spielern« ausprobiert werden können.

Daß auch Einsen und Nullen große Gefühle

transportieren können, ist schließlich bei den

Screenings im ehemaligen Imax-Kino zu sehen.

Auf der über 300 Quadratmeter großen Leinwand

kann die Digitale Cinematographie zeigen, was in

ihr steckt.

Von Einsenund Nullen

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Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

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Page 19: cinearte XL 011

Zwischenzweı

Welten

cınearte XL 011 Interview | Jolanta Dylewska

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Ich erinnere mich noch an unser erstes Interview vor etlichen Jahren, da haben

Sie sich erschrocken dagegen gewehrt, einen eigenen Stil zu haben. Aber haben

Sie nicht seit damals doch so etwas wie einen eigenen Stil entwickelt?

Ich habe vielleicht einen eigenen Stil, aber ich sehe mich eher als Mitschöpfer des Stils

des Regisseurs. Ich bin eine Kamerafrau, die gerne den Gedanken und Gefühlen des

Regisseurs folgt, nicht jemand, der eine eigene Meinung durchsetzen will. Nach

meinem Verständnis machen ein Kameramann oder eine Kamerafrau die Regie des

Bildes, wenn sie sich mit der visuellen Dramaturgie beschäftigen. Meine Schauspieler

sind Licht und Dunkelheit, die Perspektive, die Farben, auch die Kamerabewegungen,

die Texturen und alles. Ich muß entscheiden, mit was davon ich die Geschichte erzäh-

Spiel- oder Dokumentarfilm? Regie oder Kamera? Gar keine Fragen –

Jolanta Dylewska fühlt sich auf beiden Seiten wohl. Und unterrichtet in

Lodz und Ludwigsburg.

Interview Hans-Günther Dicks

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Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

20

le. Viele meinen, das Licht ist das Wichtigste für

einen Kameramann. Für mich ist es nicht immer

das Wichtigste, sondern ebenso die Kamera-

bewegung, die Farben, also die ganze Architektur

des Films. Das fasziniert mich sehr in meinem

Beruf.

Wie sehen Sie in dieser visuellen Dramaturgie,

von der Sie sprechen, die Rolle der Kamera?

Das hört sich vielleicht komisch an, wenn eine er-

fahrene, erwachsene Kamerafrau so etwas sagt,

aber immer noch ist für mich die Kamera ein klei-

nes Wunder, etwas Unglaubliches, eine der größ-

ten Entdeckungen der menschlichen Geschichte.

Die Kamera kann uns staunen lassen, sie kann un-

sere Stimmung beeinflussen, sie kann uns sogar

unsterblich machen, denn nur die Kamera kann

Menschen und Ereignisse in der Zeit festhalten.

Ich entdecke ständig Neues und weiß noch immer

nicht alles, was die Kamera kann. Für mich bleibt

auf dem Trägermaterial nicht nur das Bild, das

man durch das Objektiv einfängt, sondern dort

sammelt sich auch Energie, Energie von denen,

die es aufnimmt, aber auch von allen anderen Be-

teiligten, und diese Energie gibt es später an den

Zuschauer.

Ich habe das besonders deutlich erkannt, als

ich angefangen habe, mit Archivmaterialien zu ar-

beiten, jetzt bei Po-Lin, aber auch früher schon,

als ich Die Chronik des Aufstandes im Warschauer

Ghetto nach Marek Edelman gemacht habe, einen

Film aus Material, das Nazi-Kameraleute im War-

schauer Ghetto aufgenommen haben. Von einem

von ihnen gibt es nur zwölf Minuten Material,

aber daran kann man ablesen, wie er sich verän-

dert. Zuerst filmt er rein »objektiv«, aber gegen

Ende erkennt man, daß er ein bißchen Mitleid hat

mit den Leuten, die leiden. Da habe ich gespürt,

daß ein kleiner Teil von diesen Menschen, eine Art

Energie in dem Material steckt, etwas von ihren

Seelen, und das war für mich eine unglaublich

wichtige Entdeckung.

Was hat Sie zum Film gebracht?

Daran war Visconti Schuld. Ich hatte mich in seine

Filme regelrecht verliebt, denn darin habe ich ge-

funden, daß man eine ganz besondere Nähe zu

anderen Menschen haben kann. Ich war immer

Vorne und hinten am Set von Maries Lied: Links achtet die Kamerafrau auf die Belichtung, rechts Regisseur Niko von Glasow-Brü-

chers auf die Kamerafrau. Hauptdarstellerin Sylvie Testud ist jedes Mal dabei.

»Ich war immer sehr schüchtern. Die Fragen, die ich stellen wollte, habe

ich in der Schule nie gestellt. Dann entdeckte ich, daß man im Kino

Antworten bekommt, auch ohne Fragen zu stellen. Ich war damals zwölf

und schon sicher: ich will etwas mit Film machen.« Fot

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Page 21: cinearte XL 011

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Page 22: cinearte XL 011

Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

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sehr schüchtern und bin es immer noch, natürlich

muß ich das heute verstecken. In der Schule wuß-

te ich zwar meistens die Antwort, aber die Fragen,

die ich stellen wollte, habe ich nie gestellt. Dann

habe ich entdeckt, daß man im Kino Antworten

bekommt, auch ohne Fragen zu stellen. Man sitzt

einfach unbemerkt im Dunkeln und bekommt die

Antworten, die man sucht. Ich war damals unge-

fähr zwölf Jahre alt und schon sicher, ich will etwas

mit Film machen.

Sind Sie dann nach dem Abitur gleich auf die

Filmhochschule gegangen?

Nein, nicht gleich, ich habe erst noch ein bißchen

Pause gemacht und gearbeitet. Auf der Filmschule

in Lodz hatte ich anfangs nur mittelmäßige Noten,

und die Filme waren auch nicht besonders. Im

zweiten Studienjahr habe ich dann einen ziemlich

guten Film gemacht, aber dafür eine schlechte

Note bekommen. Eigentlich wollte mich die Kom-

mission sogar rauswerfen, weil der große polni-

sche Kameramann Mieczyslaw Jahoda gesagt hat:

Was macht die hier? Sie hat doch kein Talent. Bei

dieser Prüfung habe ich gemerkt, für mich ist es

immer gut, wenn jemand mir sagt: Du schaffst das

nicht. Das spornt mich nur an, und ich gebe mein

Bestes. Ich durfte dann doch bleiben, mußte nur

das zweite Jahr wiederholen, aber ich bin Jahoda

bis heute dankbar, daß er mich zu dieser »Ehren-

runde« gezwungen hat.

Hat er sein Urteil irgendwann einmal revidiert?

»Kameraleute machen die Regie des Bildes, wenn sie sich mit der

visuellen Dramaturgie beschäftigen. Meine Schauspieler sind Licht und

Dunkelheit, die Perspektive, die Farben, auch die Kamerabewegungen,

die Texturen und alles.«

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Page 23: cinearte XL 011

cınearte XL 011

Natürlich, und heute hat er immer noch ein

schlechtes Gefühl deswegen. Aber ich habe ihn

beruhigt und ihm erklärt, daß er mir unglaublich

geholfen hat. Er war für mich ein wichtiger Lehrer,

aber stärker noch Jerzy Wojcik, denn der hat mich

wirklich geöffnet, weil er sich auch viel mit der

Dramaturgie des Bildes befaßt hat, und das war

für mich besonders wichtig. Wichtige Lehrer wa-

ren auch Wojciech Jerzy Has und die Dokumentar-

filmregisseure Jerzy Bossak und Andrzej Brzo-

zowski. Die haben mir gesagt, ich soll Regie

machen, also habe ich auch Spielfilm bei Jerzy Ka-

walerowicz und Dokumentarfilm bei Brzozowski

studiert.

Aber Spielfilmregie interessiert Sie nicht so?

Mich interessiert Spielfilm, aber nicht in der klas-

sischen Form. Ich wäre interessiert, einen neuen

Weg zu finden. Kamera zu machen ist für mich

eine unglaubliche Freude, das ist etwas Angeneh-

mes und Leichtes. Regie beim Dokumentarfilm zu

machen ist etwas ganz anderes, aber beides ist mir

wichtig. Die Themen suche ich nicht, sie kommen

zu mir. Und es sind immer Themen, die mit der

Chefkamerafrau Jolanta Dylewska

(oben links) und Kameramann Pawel

Sobczyk nahmen die Edelweißpiraten

durchgängig mit zwei DV-Kameras auf.

Es wurde nicht geprobt, sondern immer

sofort gedreht und nach Bildern

gesucht. Heraus kamen Einstellungen,

die für das Thema ungewohnt sind:

statt nostalgischer Kostümschau

beinahe dokumentarische Bilder, die

Bedrohung und Stimmung in die Gegen-

wart transportieren. Leider habe die

konventionelle Montage das wieder

verdorben, bedauert die Bildgestalterin.Fot

os:

Pal

ladi

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ilm

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 23

Page 24: cinearte XL 011

Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

24

Vergangenheit zu tun haben. Nur einmal war das

anders, da hat mich ein polnischer Animations-

filmer, Pjotr Dumala, gebeten, einen Film über ihn

zu machen. Er war später auch unzufrieden, und

ich habe mir gesagt, nein, das mache ich nie mehr.

Auch bei Niko von Glasow-Brüchers Edelweiß-

piraten waren Sie mit dem Ergebnis Ihrer Arbeit

nicht glücklich?

Wir hatten ja schon Maries Lied zusammen ge-

macht. Niko hat mich gefragt, ob ich Edelweißpi-

raten mit ihm machen will, und ich sagte: Ja, ger-

ne. Wir hätten auch auf 35 Millimeter drehen

können, aber es war Nikos Wunsch, solche kleinen

Kameras zu haben, die Sony DVCam 150. Ich habe

mir vorgestellt, diese kleinen Kameras wirken et-

was unsicher, und das entspricht auch der Lage

der jungen Nazigegner in dem Film. Ich habe ge-

merkt, wie unglaublich schwer es gewesen sein

muß, damals in Deutschland zu leben, wenn man

kein Nazianhänger war. Es interessierte mich, die

deutsche Geschichte etwas von innen kennenzu-

lernen. So habe ich gedacht, mit den Videokame-

ras, das geht in Ordnung. Wir haben in St. Peters-

burg gedreht und geschnitten, und eigentlich

hatte Niko mir versprochen, das ganz unkonven-

tionell und mit vielen Achsensprüngen zu schnei-

den. Aber dann hat er es doch klassisch geschnit-

ten. Leider hatten wir soviel Material gedreht, daß

er das machen konnte. Da ist mir klar geworden,

ich werde nie mehr einem Regisseur so viele Mög-

lichkeiten offen lassen, denn ich war künstlerisch

von seinen Entscheidungen enttäuscht.

Haben Sie nach Tulpan und Po-Lin schon ein

konkretes nächstes Projekt?

Ich habe zur Zeit mehrere Projekte. Eines werde

ich mit der polnischen Autorin Hanna Krall ma-

chen, wir schreiben ein Drehbuch über Fanny Ka-

plan, diese junge Frau, die 1918 auf Lenin ge-

schossen hat und die man nach wenigen Tagen

hingerichtet hat. Wir schreiben das Buch, und das

polnische Fernsehen ist schon interessiert.

Und Marek Edelmann hat mich gebeten, ich

soll einen Film machen über Liebe im Ghetto. So

einen Stoff hatte ich schon einmal 1993 im Sinn,

aber dann kamen andere Projekte dazwischen.

Aber das Thema beschäftigt mich sehr.

Sie unterrichten seit einigen Jahren auch selbst

in Lodz und in Ludwigsburg. Über was spre-

chen Sie da? Über Ihre eigenen Filme? Über

Technik?

Mich interessiert es, mit den Studenten über et-

was zu sprechen, das sie nicht in Büchern finden

Fast zehn Jahre lang hat

Dylewska in Archiven rund

um die Welt recherchiert,

um das Material für Po-Lin

zu sammeln. Der Doku-

mentarfilm läßt das Leben

der Juden in polnischen

Kleinstädten der 1930er

Jahre wieder auferstehen:

Mit Amateuraufnahmen aus

jener Zeit. In Polen und

Israel startete der Film

Ende vorigen Jahres im

Kino und erhielt den Preis

der polnischen Filmjourna-

listen. Hier hat die deutsch-

polnische Koproduktion

noch keinen Verleih.

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 24

Page 25: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Interview | Jolanta Dylewska

25

können. Natürlich spricht man immer auch über

Kameras und die ganze Technik, denn wenn wir

die nicht beherrschen, können wir unsere Ideen

nicht realisieren. Aber was mich fasziniert, ist, je-

den einzelnen anzuschauen und seine Möglich-

keiten, auch seine Probleme oder Besonderheiten

zu entdecken. Und ich möchte ihm ein bißchen

helfen, denn ich habe nicht vergessen, wie schwer

es mir gefallen ist auf der Schule. Wichtig ist mir,

den Studenten beizubringen, wie man nachden-

ken kann über ein Projekt, denn das ist wichtig,

um sich nicht zu verlieren. Ich sage den Studenten

immer, ich bin eure ältere Kollegin, denkt bitte

nicht, daß ich alles weiß. Ich weiß ein bißchen,

und ich übernehme auch sehr viel von den Stu-

denten.

Ich glaube auch, daß die neue Generation ganz

anders denkt als die unsere, und das ist faszinie-

rend. Über meine eigenen Filme spreche ich dabei

nicht gerne. Ich mache das lieber mit den ganz fri-

schen, neuen Filmen, denn mich interessiert, wie

sich da Dinge verändern, die Kameramode und

das alles, und ich suche gemeinsam mit den Stu-

denten etwas darin.

Viele sagen, es gebe heute zu viele Filmstuden-

ten. Teilen Sie diese Meinung?

Vielleicht gibt es zu viele Filmschulen. Die Film-

schulen in Polen zum Beispiel – in Deutschland

kann ich das nicht beurteilen – bilden zu viele Ka-

meraleute aus, und nicht alle finden dann auch

Arbeit. Manchmal macht jemand in der Schule

wunderbare Sachen, aber er findet sich später in

dieser Kommerzwelt nicht zurecht, weil niemand

sein Talent fördert, und wenn keine Aufträge kom-

men, kann ich nicht Kamerafrau sein.

Da Sie ja Neuem gegenüber aufgeschlossen

sind, wie stehen Sie zur Digitaltechnik?

Ich denke, das ergibt wunderbare neue Möglich-

keiten. Ich vermute, das Negativ wird bleiben,

aber man wird nicht mehr soviel damit drehen.

Die digitale Revolution im Kino wird schon etwas

bringen. Man soll da auch nicht beim Negativ ste-

hen bleiben, sondern das muß sich entwickeln.

Natürlich verführt das digitale Arbeiten auch zur

Nachlässigkeit, weil alles so einfach und schnell

geht, deshalb braucht man da immer eine große

Disziplin.

Bei der ersten Gala zum Europäischen Film-

preis hat Ingmar Bergman auf der Bühne etwas

gesagt, was ich sehr gut fand. Sinngemäß sagte er:

»Ich hoffe, daß das Video nicht die Schatten im

Kino umbringen wird.« Ich verstehe das als eine

»Die Kamera ist ein kleines Wunder, eine der größten Entdeckungen

der menschlichen Geschichte. Die Kamera kann uns staunen lassen,

unsere Stimmung beeinflussen, sie kann uns sogar unsterblich machen.«

Fot

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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 25

Page 26: cinearte XL 011

Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

26

Art Metapher. Das Kino hat in all den Jahren Wich-

tiges erreicht, aber wenn es um die Nähe zu den

Menschen, um ihre Geheimnisse geht, dann soll

durch die neuen technischen Möglichkeiten nicht

das, was es bereits gibt, verloren gehen. Deswegen

müssen in Ludwigsburg die Studenten im zweiten

Studienjahr das auch noch üben, wie man an ei-

nem klassischen Schneidetisch arbeitet und einen

Film montiert.

Sie haben soeben die Mischung der deutschen

Version von Po Lin – Spuren der Erinnerung fer-

tiggestellt, einem Dokumentarfilm, bei dem Sie

die Regie geführt haben. Was bedeutet der Ti-

tel?

Der kommt von einer alten jüdischen Legende.

Po-Lin ist der hebräische Name für Polen, und als

im 14. und 15. Jahrhundert die Juden aus Spanien

und aus Deutschland vertrieben wurden, kamen

sie in den Osten nach Polen. Hier wurden sie sehr

freundlich aufgenommen, also haben sie gesagt:

Wir bleiben hier.

Wie kamen Sie auf das Thema?

Ich habe für den Dokumentarfilm Children of the

Night in amerikanischen, europäischen und israe-

lischen Archiven 1995 recherchiert, und in Yad

Vashem habe ich dabei den Film aus Kaluschin ge-

funden, also das erste dieser »Home Movies«. Ich

kannte zwar schon zwei ähnliche Passagen aus

anderen Filmen, aber dieser Film war nie benutzt

worden, denn er war von technisch sehr schlech-

ter Qualität. Aber ich habe gewußt, den vergesse

ich nicht und werde einmal etwas damit machen.

Dann habe ich weitere solche Filme gefunden,

und mir war klar, ich muß daraus einen Film ma-

chen. Was mich an diesen »Home Movies« so be-

rührt hat, war, daß die Leute vor der Kamera die

Kamera nicht zu bemerken scheinen. Sie beneh-

men sich ganz natürlich.

Auf was sind diese Filme gedreht worden?

Das war Kodak Home Movie, 16 Millimeter

Schwarzweiß-Duppositiv, gedreht von Verwand-

ten aus Amerika bei deren Besuchen in Polen. Die

haben die Filme dann mitgenommen nach Hause

und sie später jüdischen Institutionen übergeben.

Aber die, die das gedreht haben, hatten oft zum

ersten Mal in ihrem Leben eine Kamera in der

Hand. Die arbeiten so, daß das heute alles so mo-

dern aussieht, fast wie Dogma-Filme, aber das

»Wenn es um die Nähe zu den Menschen, um ihre Geheimnisse geht,

dann soll durch die neuen technischen Möglichkeiten nicht das, was es

bereits gibt, verloren gehen.«

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 26

Page 27: cinearte XL 011

cınearte XL 011

bringt viel Authentizität, und das war für mich der

Kern der Sache. Die Leute treten vor die Kamera,

schauen auch in das Objektiv, aber auf ganz ande-

re Art, so daß die Kamera praktisch verschwindet,

und wichtig wird der Mensch, der die Kamera

führt. Denn das war der Sohn, der Onkel oder der

Bruder, deshalb sind die Leute so warmherzig. Aus

diesen Einstellungen, gedreht in den 30er Jahren,

schauen diese Leute uns heute an, und so warm,

fast wie mit Liebe, daß sich die Zuschauer von

heute ihnen unglaublich nahe fühlen können.

Fragmente von den besten dieser »Home Mo-

vies« waren schon durch andere Filme bekannt,

aber darin hatte man die Archivmaterialien wie

eine Illustration verwendet, und ich mag es lieber,

wenn man daraus eine Art Rekonstruktion macht.

Mit den Materialien aus dem Warschauer Ghetto

habe ich auch so gearbeitet. Ich habe mit meiner

Kamera diese Archivbilder neu und anders aufge-

nommen. Ich mache mir diese Arbeit, damit es

nicht bloß Illustration wird. Ich wollte ja auch die

Personen mit ihrem Namen und auch mit dem

präsent werden lassen, was sie beruflich gemacht

haben.

Kommen wir zu Tulpan. Sie haben ihn als Ihren

wichtigsten Film bezeichnet, und doch wollten

Sie ihn anfangs gar nicht machen. Wie kam

das?

Die Idee, daß ich bei Sergej [Dwortsewoj] die Ka-

mera machen sollte, kam nicht von ihm, sondern

von Raimond Goebel, dem Produzenten bei Pan-

Fot

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Flache Landschaft, leerer Himmel. Der deutsche

Produzent brachte Jolanta Dylewska mit Sergej

Dwortsewoj zusammen. Der Regisseur versuchte

die Kamerafrau zuerst abzuschrecken – schließlich

wird die Gegend, in der die beiden Tulpan drehen

sollten, nicht umsonst »Hungersteppe« genannt.

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 27

Page 28: cinearte XL 011

Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

28

dora-Film. Auf Wunsch von Pandora haben Sergej

und ich uns in Rotterdam beim Festival kennen

gelernt, aber nur ganz kurz, denn statt über sein

Konzept für den Film zu sprechen, hat er nur et-

was von Skorpionen und Spinnen und großen

Giftschlangen in Kasachstan erzählt und von der

großen Hitze dort. Ich habe zunächst nicht ver-

standen, warum er mir das alles erzählt, und nach

diesem Treffen habe ich Raimond Goebel angeru-

fen und gesagt: Ich mache den Film nicht. Aber sie

haben mich gedrängt, mich noch einmal mit Ser-

gej zu treffen, und zur Berlinale 2004 hat er seine

Filme mitgebracht, ich die meinen, und so haben

wir doch noch eine gemeinsame Sprache gefun-

den und gesagt: Ja, wir machen das. Später hat mir

Sergej gestanden, daß er nicht besonders angetan

war von Idee, mit einer Kamerafrau zu arbeiten,

weil er gewußt hat, das wird dort ein schweres Le-

ben. Er wollte das nicht direkt bei Pandora sagen,

sondern ich sollte von mir aus aussteigen.

Hinterher waren die Probleme ja wohl noch

drastischer als Sergej sie geschildert hat?

Ja, vor allem, weil wir mitten in der Hungersteppe

gedreht haben, ohne Handy und anfangs ohne Sa-

tellitentelefon, 500 Kilometer von der nächsten

Stadt. Die heißt wirklich Hungersteppe, denn das

Leben dort ist sehr schwer, sowohl für die Men-

schen wie für die Tiere. Da ist nichts als flache

Landschaft und ein leerer Himmel. Aber wir woll-

ten genau dort drehen, wo die Geschichte spielt.

Dort wurde ein kleines Camp für die Darsteller

und die Crew gebaut einfach auf der Erde aus win-

zigen Räumen mit winzigen Fenstern und winzi-

gen Türen, versteckt in einem Tal, damit man es

»Bei den Dreharbeiten zu ›Tulpan‹ konnte man Demut üben. Aber es war

eine sehr schöne Arbeit – die beste in meinem Leben.«

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 28

Page 29: cinearte XL 011

cınearte XL 011

vom Set aus nicht sehen konnte. Ursprünglich wa-

ren 2004 fünf Monate Drehzeit vorgesehen gewe-

sen, aber was wirklich passierte, war, daß wir den

Film über eine Zeit von vier Jahren drehten. Die

letzten Bilder für diesen Film haben wir erst im

Frühjahr 2008 gedreht.

Hat denn der Regisseur Sie trotz seiner anfäng-

lichen Skepsis dann gleich akzeptiert?

Es gab noch eine Krise, am 15. Mai im ersten Jahr

der Dreharbeiten. Wir hatten da noch zwei Movie-

cams, eine immer mit dem Material in Reserve,

damit man im Ernstfall direkt drehen konnte. Wir

drehten gerade die Proben, noch nicht die eigent-

lichen Aufnahmen, da kam ein Gewitter auf, das

sah ich, und da war ein Hund, ein kleiner Hund,

der irgendetwas fraß, also ein tolles Bild: das gro-

ße Gewitter und der kleine Hund. Ich wußte, wenn

ich Sergej erst gefragt hätte, was er sagen würde:

Wir haben nicht soviel Material, und die Kamera-

leute wollen immer nur drehen, drehen, drehen…

Also habe ich meinem Assi gesagt, er soll mir

schnell die Kamera geben, und ich habe das ge-

dreht. Da kam Sergej auf mich zu, hat mich un-

glaublich angeschrieen: Es sei inakzeptabel, daß

ich drehe, ohne ihn zu fragen. Ich habe versucht,

es ihm zu erklären, aber er blieb dabei, er werde

das sowieso nicht verwenden. Aber als wir die

Muster angeschaut haben, hat er sich entschul-

digt, und diese Einstellung mit dem Hund und

dem Gewitterpanorama ist auch im Film.

Das war unsere schlimmste Auseinanderset-

zung, wir mußten uns auch erst richtig kennen

lernen. Aber die Beziehung hat sich mit der Zeit

entwickelt. Durch diesen Streit hat er verstanden,

ich will das Beste für den Film und wir machen

den gleichen Film, ich stehe zu ihm.

Sergej Dwortsewoj hatte vorher nur vier mittel-

lange Dokumentarfilme gemacht?

Ja, aber die wurden sofort Kultfilme. Das liegt wohl

an seiner Arbeitsweise. Er dreht ein Stück, analy-

siert es dann gründlich, dann dreht er wieder,

montiert das Gedrehte ein und so immer weiter,

so entsteht das Drehbuch praktisch parallel zum

Drehen. Mit dieser Methode haben wir auch Tul-

pan gedreht. Im ursprünglichen Drehbuch, das er

mit dem bekannten russischen Autor Gennadi

Ostrowski geschrieben hatte, gab es diese SzeneFot

os:P

ando

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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 29

Page 30: cinearte XL 011

Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011

30

mit der Geburt eines Lamms, und Sergej, der die-

se Gegend sehr gut kennt, wußte, daß die Lämmer

immer im Mai geboren werden. Danach mußten

wir uns richten. Wir haben also die Lammgeburt

im Mai 2004 als erstes gedreht. Sergej wußte, das

wird schwer werden, denn die Schafe leben dort ja

wild und lassen einen nicht nahe heran, deshalb

sind wir ihnen erst einmal zwei Wochen immer

nachgefahren, um sie an uns zu gewöhnen. Natür-

lich sind sie auch sehr mager, und das macht ech-

te Probleme bei den Geburten.

So kam es, daß bei der ersten Geburt das Lamm

starb, selbst Ondas Besikbasov, der den Ondas

spielt und auch Tierarzt ist, konnte es nicht retten.

Also mußten wir noch eine zweite Geburt drehen,

und diesmal blieb das Lamm am Leben. Der Re-

gisseur hat dann darum gebeten, wir sollten auf

Video das komplette Drehbuch drehen, nicht mit

den Schauspielern, nur mit den Komparsen und

den Doubles. Das haben wir so gedreht und am

Computer zusammenmontiert, und da war klar,

wir müssen ganz anders drehen, denn die beiden

Geschichten waren so stark, aber haben zu der ur-

sprünglichen Geschichte, die viel spielerischer an-

gelegt war, nicht gepaßt. Also änderten wir später

alles so, daß es zu diesen zwei Szenen passen soll-

te, denn die haben uns erst ein Gefühl für den

Rhythmus des Erzählens gegeben.

Der Film wäre ganz anders geworden, wenn

dieses erste Lamm am Leben geblieben wäre. Wir

verstanden, daß die Geschichte im Drehbuch

nicht ganz fertig war, sondern jetzt erst fertig

wurde.

Das klingt ja nach Ausprobieren und Improvisa-

tion und so, als hätte Sergej doch nicht genau

gewußt, was er wollte?

Im Gegenteil, Sergej hat ein sehr genaues Gespür

für das, was er will, aber er weiß auch, daß man

sich nicht sklavisch an das einmal Geplante klam-

mern darf. Denn auch wenn alles verplant ist,

kriegen wir manchmal von oben ein unerwartetes

Geschenk, und hier gehört Sergej Dwortsewoj zu

den Regisseuren, die diese Geschenke zu hundert

Prozent nutzen. Es gibt nicht viele solche Regis-

seure. Improvisiert haben wir eigentlich gar nicht,

sondern sogar unglaublich viel geprobt und im-

mer das Material Hunderte Male angeschaut, bis

sich die Essenz des Films dadurch herausdestil-

lierte. Manchmal bis zu 90 Proben, und auch die

Proben schon mit der Sony DV gedreht. Das war

nötig, weil viele der Darsteller ja Laien waren, nur

der Darsteller des Boni hatte Kameraerfahrung,

Vater und Mutter vergaßen ständig ihre Texte. Und

dazu immer diese Hitze, 50 Grad Celsius in der

Jurte, und auch die schwere Moviecam-SL-Kame-

ra, die der arme Schwenker immer herumtragen

mußte, denn da wir sehr lange Einstellungen dre-

hen wollten, brauchten wir natürlich 300-Meter-

Kassetten. Die Szene in der Jurte, wo sie mit dem

Lämpchen hantiert, die haben wir drei Monate ge-

dreht, und noch heute sterbe ich immer, wenn ich

die Schatten sehe, weil ich keinen Platz hatte, das

>> Zur Person. Jolanta Dylewska wurde 1962 im polnischen Breslau geboren und studierte nach dem Ab-

itur an der Filmhochschule in Lodz zunächst Kamera, später auch Dokumentarfilmregie. Schon während

des Studiums begann ihre Zusammenarbeit mit den Regisseuren Mariusz Grzegorzek und Przemyslaw

Wojcieszek, für die sie zur Stammkamerafrau wurde. Ab Mitte der 90er Jahre arbeitete sie auch in Deutsch-

land mit Regisseuren wie Nico von Glasow-Brücher und Ulla Wagner. Als Regisseurin machte sie sich mit

Dokumentarfilmen wie Die Chronik des Aufstandes im Warschauer Ghetto nach Marek Edelman und

jüngst Po-Lin einen Namen. Ihre Bildgestaltung von Sergej Dwortsewojs Spielfilm Tulpan trug ihr zahlrei-

che Preise ein. Jolanta Dylewska ist Mitglied der Europäischen Filmakademie und unterrichtet an den

Filmhochschulen in Lodz und Ludwigsburg.

»Ich frage mich immer zuerst: Wer ist die Kamera als Erzähler des Films?

Daraus ergibt sich, auf welche Art man die Kamera bewegen sollte.«

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 30

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cınearte XL 008

richtig zu beleuchten, aber das ist nicht mehr zu

ändern. Ich habe auch akzeptiert, daß es für Sergej

wichtig war, von den Schauspielern das Optimale

zu bekommen, auch wenn das heißt, ich kann

nicht so ein perfektes Licht machen.

Viel Licht werden Sie auch nicht dabei gehabt

haben, oder?

Mir war von Anfang an klar, daß meine wichtigste

Lichtquelle die Sonne sein würde. Noch vor Dreh-

beginn bin ich mit dem Schwenker einen kom-

pletten Tag lang an den Drehort gegangen, wo der

Set noch nicht aufgebaut war, und wir haben mit

einer selbst gebastelten Sonnenuhr den Verlauf

der Schatten markiert. Ich mußte mich dabei beei-

len, denn ich mußte ja für den Drehbeginn fertig

werden, und dazu mußte man die beiden Jurten

nach der Sonne ausrichten und festlegen, nach

welcher Richtung der Eingang und wo das Viehge-

hege sein sollte. Natürlich mußten wir oft auch auf

das richtige Licht warten oder auf Wolken, die

nicht kamen. Das hat alles viel Zeit gekostet, aber

das Wetter dort ist nun mal so, wie es ist. Mal kei-

ne Wolken, mal kein Wind. Es war ein Film, in dem

man Demut üben konnte. Aber es war eine sehr

schöne Arbeit, die beste Arbeit in meinem Leben.

Was auffällt, sind die fast durchgängige Hand-

kamera und die oft extrem langen Einstellun-

gen. Wie kamen Sie auf diesen Stil?

Sergej hat mir am Anfang gesagt, er will Handka-

mera, und ich habe verstanden, das ist die richtige

Entscheidung für diesen Film; Die Kamera erzählt

die Geschichte mit einer gewissen Unsicherheit,

sie weiß selber nicht, was passiert. Sie ist wie je-

mand, der die Situation verfolgen will. Dort in der

Steppe ist alles in Bewegung, die Leute, die von ei-

nem Platz zum anderen ziehen mit ihren Jurten,

die Tiere und alles, und da wäre eine Kamera, die

auf einem Stativ steht, etwas Fremdes. Ich stelle

mir bei meinen Filmen immer zuerst die Frage:

Wer ist die Kamera? Wer ist die Kamera als Erzäh-

ler des Films? Daraus ergibt sich dann, auf welche

Art man die Kamera bewegen sollte, mit welchem

Maß an Subjektivität. Es geht darum, welche Sub-

jektivität, welche Sinnlichkeit diese Kamera hat.

Das steht immer am Anfang meiner Überlegung.

Und was die langen Einstellungen angeht: Das ist

einfach die Seele der Steppe, und die würdest du

xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 32

Page 33: cinearte XL 011

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Page 34: cinearte XL 011

sicher auch so in langen Einstellungen drehen,

denn die Zeit läuft dort so. Man hat vielleicht ei-

nen anderen Rhythmus im Kopf, wenn man hin-

kommt, aber dann merkt man, die Zeit läuft dort

anders. Auch das habe ich von Sergej gelernt.

Überhaupt war für mich das, was ich als erfahrene

Kamerafrau hier mit diesem Debütregisseur erlebt

habe, wie eine neue Filmschule.

Die Vorstellung von der Kamera als Person ge-

fällt mir, aber sagen Sie auch mal was zu ihren

»Augen«, also Optiken und Blenden.

Ich hatte schnell begriffen, daß diese Umgebung

ein einziges Objektiv brauchte. Ich hatte Optiken

so zwischen 30 und 45 Millimeter und habe mich

dann zu 90 Prozent für 40 Millimeter entschieden.

Bei der Wahl der Blende habe ich gesucht, welche

Tiefenschärfe am besten die Beziehungen zwi-

schen den Menschen, den Tieren und der Natur

wiedergeben, und ich habe dann meistens mit

Blende 6,3 gedreht, das war die richtige Blende.

Das war auch für den Focuspuller gut, und er hat

es auch geschafft, alles scharf zu kriegen.

Sie haben erzählt, daß es durch die lange Dreh-

zeit viel Fluktuation auch im Team gab, und im

Abspann sind sogar fünf Schwenker genannt.

Ja, aber nacheinander, weil die alle nicht vier Jah-

re bleiben konnten. Wir haben sogar den kasachi-

schen Kameraassistenten zum Schwenker ange-

lernt und seinen Assistenten zum Focus Puller

gemacht. Außer Sergej und mir waren nur die

Schauspieler von Anfang bis Schluß dabei, und

auch die Produktion war oft kurz davor, das Pro-

jekt aufzugeben.

Aber haben Sie nicht oft bereut, nicht bei Ihrer

anfänglichen Skepsis geblieben zu sein?

Nein. Meine Skepsis war nur am Anfang, später

wollte ich nie aussteigen, weil wir eine Ebene er-

reicht hatten, die, wenn ich ausgestiegen wäre, ein

anderer so nicht hätte fortsetzen können. Aber

man darf nicht verschweigen, daß Karl Baumgart-

ner als Hauptproduzent immer noch seine Wun-

den leckt, weil wir das Budget so weit überzogen

haben, deshalb sind wir ihm und Pandora-Film

besonders dankbar, daß er das Projekt durchgezo-

gen hat. Und ich gestehe, ich habe auch heute

noch Sehnsucht nach der Steppe, nach den Men-

schen dort und all dem.

cınearte XL 008

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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 34

Page 35: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Auf der Couch

35

Ein Münchner Taxi von innen. Der Fahrer liest

gemütlich in der Zeitung. Im Radio Schlager: Es

fährt ein Zug nach Nirgendwo von Christian

Anders. Die Tür geht auf. Stadler und Groener

lassen sich mit roten Köpfen auf die Rücksitze

fallen.

Gröner: Folgen Sie diesem Wagen!

Stadler: Schnell!

Taxifahrer (raschelt mit der Zeitung): Ach geh,

wieso? Welcher denn?

Gröner: Na da, der blaue Opel da vorne.

Stadler: Genau, geben Sie Gummi!

Taxifahrer (verlagert das Gewicht von einer Po-

backe auf die andere): Nix Gummi. Ich verfolge

niemanden. Ihr sagt’s mir, wo’s hingeht. Und

dahin fahren wir dann. Könnt’s ihr mir folgen?

Gröner: Nein.

Stille.

Stadler: Einmal Glockenbachviertel bitte.

Taxifahrer: Na also.

Das Taxi fährt los. Der Tacho zeigt 40. Tristesse

auf dem Rücksitz.

Gröner: Ich wußte, daß das nicht klappt.

Stadler: Das Leben ist kein Frankenheimer-

Film.

Gröner: »Eine Verfolgungsjagd in echt erle-

ben«. Ich hab’ gleich gesagt, das ist Blödsinn.

Stadler: Der Mann am Steuer muß eben auch

Pep haben. Wie bei Luc Besson!

Taxifahrer: Nix hier Pep. Ich bin der Sepp (zeigt

auf seinen Taxlerausweis).

Stadler: Na servus.

Gröner: Mei, die Bayern. Nenn mir einen bay-

erischen Film, in dem es eine Verfolgungsjagd

gibt.

Stadler: Der Förster vom Silberwald. Wie er

dem Gamsbock hinterherjagt.

Kein Film zu kritisieren, aber wieder zu viel Zeit. Gröner und Stadler sind auf Speed. Doch

nicht jeder fährt auf sie ab.

Text Michael Stadler und Christoph Gröner

Tödlich geschwind

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Page 36: cinearte XL 011

Auf der Couch cınearte XL 011

36

Taxifahrer: Der jagt doch den Madeln hinter-

her! Im Übrigen ist der Silberwald in Öster-

reich, ihr Spezialisten.

Gröner: Aha, da ist er jetzt wieder dabei.

Stadler: Konzentrieren Sie sich bitte aufs Fah-

ren, ja?

Taxifahrer: Keinen Schimmer habt’s.

Konzentrierte Aggression im Wagen. Im Radio

jetzt Nicole: Ein bißchen Frieden.

Gröner: Hören Sie, da ist aber was dran. Der

alte Jagdtrieb, dieses Archaische. Deswegen

schaut man sich gerne Verfolgungsjagden an.

Wie Steve McQueen sich heranpirscht, die Ka-

mera zeigt seinen Wagen von innen, wir sitzen

mit drin, schauen mit in den Rückspiegel…

Taxifahrer: Bullitt. Den kenn ich. Super Film!

Wie die hurtig durch San Franzisko hüpfen!

Stadler: Na, dann hüpfen Sie doch mal ein

bißchen aufs Gas!

Taxifahrer: Gemütlich fährt am längsten.

120.000 Kilometer unfallfrei.

Gröner: Bei Bullitt geht’s auch langsam los.

Lässige Seventies-Musik, ein Katz-und-Maus-

Spiel.

Stadler: Bis die Maus merkt, daß sie verfolgt

wird. Und dann: die Jagd. Nur noch Schnitte

und das Dröhnen der Motoren, das ist alles.

Und alles wird…

Taxler muß abrupt bremsen. Gröner und Stad-

ler haut es nach vorne.

Taxifahrer (schlägt aufs Lenkrad): Ja verreck,

nimmt mir das Arschloch die Vorfahrt!

Gröner: Schnell, den schnappen wir uns!

Stadler: Dieses Arschloch!

Taxler fährt an, Tacho zeigt wieder 40.

Taxifahrer: Wer früher bremst, ist später tot.

Gröner: Von wegen. Der Rosenmüller insze-

niert rasanter, als sie fahren, soviel ist mal klar.

Bei ihm ist sogar die Oma im Bett schneller

unterwegs.

Taxifahrer: Wie sie da hurtig über die Bergwie-

sen hüpft und der Junge hintendrein (lacht).

Gröner: Typischer Slapstick.

Stadler: Mit dem Slapstick wurde ja auch die

Verfolgungsjagd geboren. Man wollte damals

ja auch zeigen, was das Medium so drauf hat.

Chaplin, Keaton, die Keystone Cops – da ging

es nicht um Leben und Tod, sondern um die

Bewegung an sich. Alles sehr verspielt. Die Ka-

mera haben sie langsamer gekurbelt, damit die

Leute noch schneller liefen.

Gröner: Das alte Räuber-und-Gendarm-Prin-

zip, das zieht heute immer noch. Nur damals

fand die Bewegung hauptsächlich im Bild

statt: Treppe rauf, Treppe runter, einmal rund

um den Tisch…

Stadler: …dann wurde auch der Schnitt ein

wenig vorangetrieben: aus der Tür rechts raus,

Schnitt, von links wieder rein ins Bild…

Gröner: …dann hat sich die Kamera mehr be-

wegt, um die Personen zu verfolgen. Die Ka-

mera als Auge…

Stadler: …und heute ist wirklich alles durch-

dynamisiert, schnelle Autos, schneller Schnitt,

schnelle Musik…

Taxler hält an einer Ampel an, die gerade auf

Gelb gesprungen ist. Im Radio: Über sieben

Brücken mußt du gehen.

Taxifahrer: Immer wieder gut, der Maffay.

Stadler: Mir schlafen die Füße ein.

Stadler: Ein bißchen weniger Drive wäre gar

nicht schlecht. Das Actionkino hat zuviel Angst

vor dem Stillstand. Heute weiß man gar nicht

mehr, wo hinten und vorne ist.

Taxifahrer (zeigt nach vorne): Da ist vorne.

Stadler: Danke.

Gröner: Man verliert wirklich völlig die Orien-

tierung. In The Rock muß der Ferrari schon

knallgelb sein, damit man ab und zu weiß, wer

wen verfolgt.

Stadler: Sowieso diese ganzen Michael-Bay-

Filme. In Bad Boys 2 fliegen die Autos überein-

ander hinweg, als ob sie leicht wie Federn wä-

ren.

Gröner: Das Schlimmste war Speed Racer, da

geht die ganze Körperlichkeit verloren. Eine

Zeichentrick-Adaptation, die nur noch aus Ge-

räuschen und Farben besteht.

Stadler: Die reine Geschwindigkeit, ohne

Schwerkraft.

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Page 38: cinearte XL 011

Auf der Couch cınearte XL 011

38

Gröner: Wie bei Computerspielen, es zählt nur

noch die Ego-Perspektive.

Taxifahrer: Fahr ma jetzt nach rechts in die

Ainmiller?

Gröner: Ja bitte.

Stadler: Mit der Schwerkraft haben Sie ja keine

Probleme.

Der Taxler biegt ab. Radio: Über den Wolken.

Taxifahrer: Nur Fliegen ist schöner.

Gröner: Oder Sterben.

Taxifahrer: Hier wird nicht gestorben. 120.000

Kilometer unfallfrei!

Stadler: Das ist das Schöne bei ihnen. Im Film

muß man ja immer Angst haben, daß jemand

drauf geht.

Gröner: Wobei es ja Passanten bei Verfolgungs-

jagden eher selten trifft.

Stadler: So eine Unfalleiche würde ja auch nur

ablenken.

Gröner: Perfekt choreografiert, das alles, so ein

Film wie Ronin ist ja wie Ballett. Für die Stunt-

men ist das ein Fest, da können sie die Puppen

tanzen lassen. Und die Zuschauer genießen

den stereotypen Ablauf: Menschen, die zur

Seite springen, Überholmanöver, Crashs….

Stadler: Da weiß man, was man hat…

Taxifahrer: Und mei, die schönen Autos!

Stadler: Im dritten Transporter tritt ein Audi

gegen einen BMW an.

Taxifahrer: Der BMW gewinnt, oder?

Stadler: Nee, beide Hersteller gewinnen.

Taxifahrer: Mei, Schleichwerbung halt.

Gröner: Die Autos rasen, die Werbung

schleicht…

Stadler: Ich kenne noch einen, der schleicht.

Gröner: …und nicht nur Autos bekommen

ihre Reklame. In Stirb an einem anderen Tag

wurde für über 20 Marken geworben, von der

Limo bis zur Limousine! Dafür haben die Fir-

men schlappe 120 Millionen Euro bezahlt.

Taxifahrer: Bei mir kommt’s billiger davon.

Stadler: Ja, sie sind ein Schnäppchen.

Plötzlich eine Polizeisirene von hinten.

Stadler (aufgeregt): Da, die Musik der Verfol-

gungsjagd!

Gröner (blickt nach hinten): Denk an die real-

ste Verfolgungsjagd aller Zeiten! Die mit O. J.

Simpson und der Polizei. Da hat die Wirklich-

keit die Fiktion überholt, aber von rechts!

Das Polizeiauto fährt dicht hinter dem Taxi.

Blaulicht. Stadler kurbelt das Fenster herunter

Stadler (ruft heraus): Hilfe! Folgen Sie diesem

Wagen. Retten Sie uns vor dem Schlager!

Gröner (ruft heraus): Hilfe! Ein Verbrechen!

Der Taxler fährt permanent 40!

Das Polizeiauto fährt vorbei. Keine Rettung.

Taxler (wütend): Jetzt reicht’s!

Er hält an, steigt aus, öffnet die hintere Tür.

Taxifahrer: Ihr beiden schleicht’s euch jetzt,

aber ganz schnell. Und davor zahlen, 15 Euro!

Stadler und Gröner staunen. Aus dem Radio:

Die Wanne ist voll mit Dieter Hallervorden und

Helga Feddersen. Sie steigen aus. Stadler kramt

im Geldbeutel einen 20-Euro-Schein hervor.

Stadler: Hier!

Taxifahrer: Servus.

Er steigt vorne wieder ein. Quietschende Reifen.

Und weg.

Gröner: Moment mal… Du bekommst noch 5

Euro raus!

Stadler: Mit soviel Trinkgeld kann der sich

zwei Bier kaufen! Heh!

Sie rennen hinterher, schreiend. Sie sehen ein

anderes Taxi, parkend. Stadler und Gröner öff-

nen die Tür, lassen sich mit roten Köpfen in die

Polster fallen.

Stadler und Gröner (erregt): Folgen Sie diesem

Wagen!

Taxifahrer (raschelt mit der Zeitung): Ach geh,

wieso?

Stadler und Gröner sind Filmkritiker. Böse Zungen behaupten, sie sähen aus wie Quentin Taranti-

no und Philipp Seymour Hoffman. Das finden Stadler und Gröner überhaupt nicht. Aber sie versu-

chen, damit zu leben. Und ein Taxi zu erwischen.

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Produktion | Hilde cınearte XL 011

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In der Garderobe kurz vor dem großen Auftritt: Beim berühmten Konzert in der Berliner

Philharmonie, das auf diese Szene folgt, wird DoP Hagen Bogdanski »die Knef« in kühlem

Glamour zeigen und die Verfolger der Bühnenbeleuchtung als Gegenlicht nutzen, die in

Heike Makatschs Haar einen Lichtkranz erzeugen – wie es sich für eine Diva gehört.

Fotos: Egoli Tossell

Die letzte Diva

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cınearte XL 011 Produktion | Hilde

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Dafür kann man schon mal singen lernen: In opulenten

Bildern und aufwendigen Kulissen kommt Hildegard

Knef noch einmal auf die Kinoleinwände.

xl011_A2_Prod Hilde 01.04.2009 17:28 Uhr Seite 41

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Produktion | Hilde cınearte XL 011

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Heike Makatsch war wegen

ihrer Ähnlichkeit von Anfang

an für die Rolle der Hildegard

Knef vorgesehen und bereitete

sich akribisch darauf vor.

Fotos: Egoli Tossell

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cınearte XL 011 Produktion | Hilde

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Produktion | Hilde cınearte XL 011

44

Text Ian Umlauff

Schon wenige Worte reichen, um zu wissen, von

wem die Rede ist. 2002, nur elf Monate nach ihrem

Tod, wurde sie auf einer Briefmarke verewigt. So

lächerlich das für manche klingen mag, vielen

Prominenten ist das nie vergönnt. Sie jedoch war

eine der »Frauen der deutschen Geschichte«, so

der Titel der Briefmarkenserie: Hildegard Knef.

Wie Marlene Dietrich ist auch »die Knef« heute

eine Legende. Über das Leben der Schauspielerin,

die selbst in fast 60 Filmen mitgespielt hat, gab es

bereits 2005 einen Fernsehfilm. Jetzt hat Regisseur

Kai Wessel (Goebbels und Geduldig, Leben wäre

schön und Die Flucht) einen neuen Film über die

Diva gedreht, der am 13. Februar auf der Berlinale

Premiere hatte und seit März in deutschen Kinos

läuft: Hilde. Mit Hagen Bogdanski als DoP und

Heike Makatsch in der Titelrolle erzählt Wessel die

Geschichte einer starken Frau, die ihrer Zeit oft-

mals voraus ist. Der Engländer Dan Stevens ver-

körpert Knefs zweiten Ehemann David Cameron,

mit dem sie von 1962 bis 1976 verheiratet war. Das

Auf und Ab der Diva Hildegard Knef, die Haßliebe,

die sie mit dem deutschen Publikum verband – ein

großartiger Filmstoff.

Ihre Karriere beginnt 1943 in den Ufa-Studios,

wo sich die 19jährige Schauspielschülerin un-

sterblich in Ewald von Demandowsky verliebt,

den »Reichsfilmdramaturg«, im Film dargestellt

von Anian Zollner. Nach Propagandaminister Jo-

seph Goebbels ist der Produktionschef der Tobis

der zweitmächtigste Filmfunktionär des »Dritten

Reiches« – eine Beziehung, die man ihr später bei

der Entnazifizierung aufs Schwerste vorwerfen

wird. Als Mann verkleidet, kämpft sie in den letz-

ten Kriegstagen an Demandowskys Seite im Volks-

sturm gegen die russischen Panzer, die am Stadt-

rand Berlins aufziehen. Doch die beiden werden

in den letzten Kriegswirren von einander getrennt.

Nach Kriegsende, die Metropole liegt in Trüm-

mern, kehrt die Knef zurück. Sie schafft es wieder

auf die Bühne, wo sie der Filmproduzent Erich

Pommer (Hans Zischler) entdeckt, der nach seiner

Rückkehr aus der Emigration beim Wiederaufbau

der deutschen Filmindustrie helfen soll. Ihrer Ver-

strickung mit Demandowsky zum Trotz wird der Fot

os:E

goli

Toss

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cınearte XL 011 Produktion | Hilde

45

Hildegard Knef bei der Premiere zu Die Sünderin,

dem »Skandalfilm«, der sie berühmt machte (oben).

Schauwerte waren bei dem Biopic, das bei der Ufa

in den letzten Kriegsjahren beginnt (links) und vor

dem Mikrofon im Plattenstudio in den 60ern endet

(rechts), aber zweitrangig. »Wir wollten möglichst

nahe an der Figur sein«, sagt DoP Hagen

Bogdanski.

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Page 46: cinearte XL 011

Produktion | Hilde cınearte XL 011

46

Antifaschist Pommer ihr väterlicher Freund und

Förderer. Bereits 1946 spielt sie die weibliche

Hauptrolle in Wolfgang Staudtes Film Die Mörder

sind unter uns und wird damit zum Star. David O.

Selznick holt sie nach Hollywood, Filmrollen aber

bleiben aus. 1950 wieder in Deutschland, spielt sie

eine Prostituierte in Willi Frosts Film Die Sünderin.

Eine kurze Einstellung lang ist die Knef barbusig

zu sehen und löst damit im biederen Nachkriegs-

deutschland der Adenauer-Ära einen Skandal aus.

Doch Demonstrationen, verbarrikadierte Kinos,

Aufführungsverbote und Gerichtsverfahren bis

zum Bundesgerichtshof sind ideale Publicity. Sie-

ben Millionen Deutsche strömen in die Kinos. Mit

der Abscheu gegen die Knef wächst auch ihr

Ruhm. Wieder in den USA, dreht sie einige Filme

für die Fox, wird 1952 zur Schauspielerin mit dem

größten Sex-Appeal gewählt. Als erste Deutsche

gibt sie 1955 in einer Hauptrolle ihr Debüt am

Broadway – als Ninotschka in Cole Porters Musical

Seidenstrümpfe, auch das ein Riesenerfolg.

Zwei Jahre später will MGM das Musical verfil-

men. Hildegarde Neff, wie die Knef in englisch-

sprachigen Ländern genannt wird, soll die Haupt-

rolle spielen und singen. Aber die Fox gibt den

deutschen Star nicht frei. Wieder verläßt die Knef

die USA und begeht damit Vertragsbruch – das

Ende ihrer Hollywoodkarriere. Sie dreht Filme in

Frankreich und England, große Erfolge jedoch

bleiben aus.

Ihren Zenit als Schauspielerin hat sie offenkun-

dig hinter sich. Dafür wird sie als Chansonsänge-

rin immer bekannter, veröffentlicht zahlreiche

Schallplatten. 1962 heiratet sie ihren bereits zwei-

Ein Set aus vier Perspektiven. Neben Originalschauplätzen wurde unter anderem in Kölner Studios gedreht, wo die Blicke nach

außen noch auf die Greenscreen fielen. Das passende Panorama setzte in der Postproduktion dann Pictorion Das Werk ein, das

in den fünf Städten München, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und Berlin Niederlassungen hat. Die vernetzte Kraft der Nach-

bearbeitung konnte man für die vielen Aufgaben auch brauchen.

Fot

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Page 47: cinearte XL 011

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cınearte XL 011

ten Mann, den britischen Schauspieler David Ca-

meron. 1968 kommt ihre Tochter Christina Anto-

nia auf die Welt, ihre Liedzeilen »Für mich soll’s

rote Rosen regnen« gehen um die Welt. 1970 lan-

det ihr erstes Buch, die Autobiografie Der ge-

schenkte Gaul auf Platz 1 auf der Spiegel-Bestsel-

lerliste. Weitere Bücher folgen.

Als die Plattenverkäufe zurückgehen, ihre Ehe

mit David scheitert, sie an Krebs erkrankt und ihr

Gesicht liften läßt, kommt es zu einer Schlamm-

schlacht mit der deutschen Presse. Wieder flüchtet

sie, nach Los Angeles. Erst 1989 kehrt sie nach Ber-

lin zurück, im Gepäck einen Berg von Schulden.

Sie spielt Nebenrollen in Fernsehfilmen, wird von

Fernsehshow zu Fernsehshow herumgereicht, lebt

von ihrem verblassenden Ruhm und dem Ruf, die

letzte deutsche Diva zu sein. Doch ihr Gesund-

heitszustand verschlechtert sich zusehends. Nicht

zuletzt das jahrelange Rauchen fordert seinen Tri-

but. Am 1. Februar 2002 stirbt Hildegard Knef mit

76 Jahren an akuter Lungenentzündung, zwei Wo-

chen nach ihrem letzten öffentlichen Auftritt im

ZDF bei Johannes B. Kerner.

Das Drehbuch, das Maria von Heland, basierend

auf Knefs Autobiografie Der geschenkte Gaul, ge-

schrieben hat, beschränkt sich auf die Zeit von

1943 bis 1966, Knefs Anfänge bis zum Höhepunkt

ihrer Karriere. Der Plot läßt den Film mit dem

Höhepunkt beginnen, mit Hildegard Knefs erstem

Konzert in der Berliner Philharmonie, in der bis

dahin nur klassische Konzerte gegeben worden

waren.

Regisseur Kai Wessel wollte sich von vornherein

in seiner Verfilmung von Hildegard Knefs Leben

auf die Persönlichkeit der späteren Diva konzen-

trieren. Hilde ist ein Film über die Knef selbst, we-

niger über ihr Leben und die Umstände, unter de-

nen es sich so entwickelt hat. »Wir wollten

möglichst nahe an der Figur sein«, erklärt der DoP

von Hilde, Hagen Bogdanski. »Wir wollten die Per-

son psychologisch nachvollziehbar machen.

Schauwerte waren zweitrangig.«

Hagen Bogdanski, 1964 in Berlin geboren, hat

an der Berliner Kunsthochschule Fotografie stu-

diert. Er war Kameraassistent bei Xaver Schwar-

zenberger, Jürgen Jürges und Gernot Roll. Sein

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Page 48: cinearte XL 011

Produktion | Hilde cınearte XL 011

48 zweiter Film als Kameramann war 1996 Kai Wes-

sels Kinderfilm Die Spur der roten Fässer. Das Jahr

der ersten Küsse war 2002 die zweite Zusammenar-

beit. Auf internationalem Parkett profilierte sich

Bogdanski 2004 durch seine Kameraarbeit bei

Christian Alvarts Hollywood-Debüt Case 39 mit

Renée Zellweger sowie 2008 bei Jena-Marc Vallées

The Young Victoria. Den »Deutschen Filmpreis« für

Kamera und Bildgestaltung bekam Bogdanski

2006 für Das Leben der anderen von Florian Hen-

ckel von Donnersmarck.

Hilde ist Bogdanskis dritte Zusammenarbeit

mit Kai Wessel, der ihn bereits gut zwei Jahre vor

Drehstart zu den Vorbereitungen dazugeholt hat.

»Wir haben uns sehr früh über mögliche Konzepte

unterhalten, über Motive«, erinnert sich Bogdan-

ski. »Hilde ist ein klassisches Biopic. Deshalb ha-

ben wir uns zur Vorbereitung sehr viele Biopics

angesehen, unter anderem den über Marlene Die-

trich. Ich selbst habe an Hildegard Knef keine ei-

genen Erinnerungen. Ihren Tod 2002 habe ich ge-

rade so mitbekommen, ihre künstlerische Karriere

jedoch nicht. Das war vor meiner Zeit. Aber natür-

lich stand auch bei meinen Eltern Der geschenkte

Gaul im Bücherschrank, und sie hatten eine

Schallplatte, wenn ich mich richtig erinnere.« Auf

Hilde vorbereitet hat sich Bogdanski durch das

Studium von Dokumentarfilmen und zahlreichen

Fotografien und natürlich Knefs Autobiografie. Ein

Bildband über das Konzert der Knef in der Berliner

Philharmonie 1966 diente anfangs als direkte In-

spiration, von der sich Bogdanski dann jedoch

sehr entfernt hat. »Am ehesten direkt inspiriert ha-

ben mich die Modestrecken der Zeitschrift Twen«,

meint Bogdanski. Die deutsche Jugendzeitschrift

mit aufwendigen Fotostrecken zu Lifestyle-The-

men wie Mode, Musik, Partnerschaft und Urlaub

diente als Vorlage für das England der späten 60er

Jahre.

Auch Kai Wessel verband ursprünglich wenig

mit dem Namen Hildegard Knef, obwohl er

immerhin drei Jahre älter ist als Bogdanski. »In

meiner Jugend sah man überall Schallplatten von

ihr«, erinnert sich Wessel. »Das war schon auffal-

lend. Aber in jedem Fall war es Elternkultur und

damit für mich uninteressant. Mit dem Alter wird

man natürlich gnädiger und vielleicht neugieriger,

Dinge zu verstehen, die man früher einfach abge-

tan hat. Faszinierend an der Knef ist ihre Komple- Fot

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Page 49: cinearte XL 011

cınearte XL 011

xität, ihr klarer, scharfer, aber bodenständiger

Blick auf das Leben und ihre liebevolle Art, immer

wieder die Absurdität zu beschreiben, die wir Le-

bensziel nennen. Und ihr vielfaches Talent! Mir

fällt keine deutsche Nachkriegskünstlerin ein, die

derart viele Begabungen hatte und damit sogar

international erfolgreich war.«

Die Zeit von 1943 bis 1966 hält Wessel für die

interessanteste in Knefs Leben. »Nach 1966 wurde

Hildegard Knef eine andere Figur«, meint auch

Drehbuchautorin Maria von Heland. »Da fing sie

an, das, was sie vorher gemacht hatte, in Literatur

und in Chansons zu verarbeiten. Mir kam das so

vor, wie es David Cameron formuliert hat, der ein-

mal von einer ›Hilde 1‹ und einer ›Hilde 2‹ sprach.«

Dramaturgisch war die Entwicklung von »Hilde 1«

besser zu einem stringenten, übersehbaren Dreh-

buch zu verarbeiten. »Der Film unternimmt nicht

den Versuch, Hildes Leben zu dokumentieren, er

will es verstehen«, so von Heland. »Es ist eine

psychologische Reise.«

Prädestiniert durch ihre große äußerliche Ähn-

lichkeit war Heike Makatsch von Anfang an vorge-

sehen für die Titelrolle. Makatsch: »Einer Figur ge-

1/2P+S

Die Knef zierte vor 60 Jahren das erste Titelbild des

Stern und heute eine Briefmarke. Aber als Jugendlicher

konnte er mit der Diva wenig anfangen, gesteht

Regisseur Kai Wessel (links): »Das war Elternkultur und

damit für mich uninteressant. Mit dem Alter wird man

natürlich gnädiger und vielleicht neugieriger.«

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Page 50: cinearte XL 011

Produktion | Hilde cınearte XL 011

50

Erst in der Postproduktion bei Pictorion Das Werk wurde aus mancher Kulisse ein Filmbild (oben). Die Greenscreen hält in der

Berliner Straße Platz frei für den Blick in die Tiefe, die später am Rechner hinzugefügt wird. Auch die Kulissen am Drehort in

Südafrika wurden erst durch Seterweiterungen und Matte-Malereien zum Studiogelände in Hollywood. Dabei wurde für jeden

Zeit- und Lebensabschnitt auf einen eigenen »Look« bei Licht und Farbe geachtet. DoP Hagen Bogdanski (unten) unterstrich

das noch, indem er in verschiedenen Formaten drehte. Veröffentlicht wird Hilde in Scope.

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cınearte XL 011 Produktion | Hilde

flach, ihr Haar scharf, ihre Gesichtskonturen

schon unscharf vor fast schwarzem Hintergrund.

Glamour pur. Von dort springt der Film zurück in

die 40er Jahre. »Da sind die Bilder ruhig, etwas

farblos, gehen in Richtung Schwarzweiß. Eigent-

lich wollte ich Teile des Films in Schwarzweiß dre-

hen. Die Idee wurde anfangs auch mit Begeiste-

rung aufgenommen. Der Verleih empfand sie

jedoch als unkommerziell und zu ›arthausmäßig‹.

So haben wir alles in Farbe gedreht und später

beim Colorizing entsättigt«, so Bogdanski.

Beim Sprung in die Nachkriegszeit ändert sich

der »Look« abermals. »Die Zeit des Wirtschafts-

wunders zeigen wir farbiger, opulenter, auch in

den Kamerabewegungen. Hiervon mußten sich

die Szenen in Hollywood unterscheiden. Sie sind

wie in Westsonne aufgenommen. Sie haben eine

andere Farbigkeit, erwecken den Eindruck greller

Sonne und haben dunklere Schatten.« Um die

1/4Chrosziel

recht zu werden, von der viele Menschen schon

ein starkes Bild haben, von der es Filme gibt, Ton-

aufnahmen, das ist schon eine Herausforderung.

Natürlich ist das meine Interpretation von Hilde-

gard Knef, dabei durfte ich jedoch nicht vergessen,

daß sie viele Spuren hinterlassen hat. Darum habe

ich mich schon stark mit dem Bildmaterial ausein-

andergesetzt und mit ihren Talkshowauftritten.

Die junge Hildegard Knef habe ich viel freier ge-

staltet als die ältere. Da gab es auch viel weniger

Vorlagen. Als junges Mädchen kann sie nicht so

gewesen sein wie als 40jährige Frau. Da ist zu viel

Theater, zu viel Film, zu viel Diva in dieser Frau.«

Makatsch führte lange Gespräche mit Knefs

drittem Ehemann, dem österreichisch-ungari-

schen Aristokraten Paul Freiherr von Schell. Ma-

katsch hat sich private Filmaufnahmen von Knefs

erstem Ehemann, dem Schauspielagenten Kurt

Hirsch, angesehen und alles über Hildegard Knef

gelesen, was sie finden konnte. »Sie hat sich, frü-

her noch als ich, intensiv mit ihr befaßt, hat Ge-

sangsstunden genommen und Berlinerisch ge-

paukt«, lobt Wessel seine Hauptdarstellerin. »Die

Schwierigkeit war eher zu entscheiden, was man

von diesem komplexen Lebenslauf erzählen muß

und was man auslassen kann. Heike war sehr eng

mit der Entwicklung des Filmes betraut. Wir ha-

ben vor allem diskutiert, welche Bögen uns wich-

tig sind, wie die emotionalen Zustände waren,

welche Sehnsüchte Hildegard Knef in den jeweili-

gen Jahren getrieben haben mögen.«

Die psychologische Reise, die Umstände zu er-

zählen, die sich auf die persönliche Entwicklung

Hildegard Knefs ausgewirkt haben, war eine Her-

ausforderung für Bogdanski. »Verschiedene Ab-

schnitte in Hildes Leben sollten verschiedene

Looks bekommen, ohne daß der Film visuell aus-

einanderfällt. Ihre Lebensentscheidungen waren

sehr konsequent und teilweise abrupt«, meint

Bogdanski. Beim Konzert in der Berliner Philhar-

monie 1966 zeigt er die Knef in kühlem Glamour.

Die Verfolger der Bühnenbeleuchtung nutzt er

nicht als Vorder-, sondern als Gegenlicht, die in

Heike Makatschs Haar einen Lichtkranz erzeugen,

auf ihr Gesicht nur eine Kante werfen. In einer

Großaufnahme etwa ist die Schärfenebene ganz

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Page 52: cinearte XL 011

Produktion | Hilde cınearte XL 011

52

Unterschiede zwischen den einzelnen »Looks«

und Lebensabschnitten noch deutlicher zu ma-

chen, drehte Bogdanski in unterschiedlichen For-

maten. Hilde wird in Scope veröffentlicht. Gedreht

wurde der Film jedoch auf Super 35, Super 16 und

Normal 16. Bogdanski fotografierte auf Negativ-

und Umkehrfilm. Außerdem wurde Archivmateri-

al eingesetzt. Kamera- und Beleuchtungsequip-

ment kamen von Cinegate Berlin und Köln.

Das Vorhaben, die Szenen im Hollywood der

50er und 60er Jahre tatsächlich in Los Angeles zu

drehen, wurde aus Kostengründen schnell ver-

worfen. Dasselbe galt für England, trotz eines rela-

tiv hohen Budgets. »Acht bis neun Millionen Euro

hat der Film gekostet, so weit ich weiß«, sagt

Bogdanski.

Andere Quellen sprechen von 15 Millionen. Sie

ermöglichten es immerhin, Szenen, die in den

USA und Großbritannien spielen, in Südafrika zu

realisieren. »Was wir nicht bedacht hatten, war das

schlechte Wetter, das es im August in Südafrika ge-

ben kann«, resümiert Produzentin Tossell. »Es hat

geregnet und geregnet. Aber am Ende hatten wir

bei unseren Drehtagen richtig Glück. Als es Lon-

don sein sollte, hat es geregnet, und als es Holly-

wood sein sollte, schien die Sonne.«

Studioaufnahmen wurden in Deutschland un-

ter anderem in den Kölner MMC-Studios gedreht.

Viele Szenen entstanden an Originaldrehorten,

wie dem Flughafen Tempelhof und der Berliner

Philharmonie. Hier kam es zu Problemen durch

ein Feuer, das kurz vor Drehbeginn bei Bauarbei-

ten an der Philharmonie ausgebrochen ist. Trotz-

dem konnte das Gebäude schließlich als Location

genutzt werden. Szenen vom Kriegsende entstan-

den in der »Berliner Straße« im Studio Babelsberg

sowie bei einem Häuserabbruch in Dresden. Wei-

tere Stationen waren Breslau und Magdeburg.

Und aufgrund der Förderung durch die Filmstif-

tung NRW wurde auch an Locations in Nordrhein

Westfalen gedreht – unter anderem in Bonn, das

immer öfter von Film- und Fernsehproduktionen

frequentiert wird. Die Godesberger Redoute, ein

ehemals kurfürstliches Ballhaus aus der zweiten

Hälfte des 18. Jahrhunderts, diente sowohl als

Drehort für Szenen im Berliner Nobelhotel Adlon

Kempinski als auch für Hildes private Villa. Im be-

nachbarten Redoutenpark stellte das Team durch

strenges Blocking abgeschirmt Dreharbeiten zu

Die Sünderin nach. Die ehemalige Bundeshaupt-

stadt mit ihren nach wie vor zahlreichen leer ste-

henden, teils historischen, Regierungsgebäuden

bot noch weitere Locations, wie die ehemalige

Wirtschaftskammer und das Bundesamt für Wehr-

verwaltung.

Trotz des publikumsträchtigen Themas mußte

die Produktion dreimal verschoben werden, so

Bogdanski. Die letzte Verzögerung gab es erst we-

nige Wochen vor dem schließlich geplanten Dreh-

start, weil ein Teil der Förderung bis zum letzten

Moment nicht sicher war. Doch Produzentin Judy

Und immer wieder sollte es rote

Rosen regnen: Die Knef wurde

unzählige Male ausgezeichnet –

mit dem »Deutschen Filmpreis«,

damals noch »Bundesfilmpreis«

genannt.

xl011_A2_Prod Hilde 01.04.2009 17:30 Uhr Seite 52

Page 53: cinearte XL 011

cınearte XL 011

Tossell hat die schwierige Situation gemeistert,

und die Dreharbeiten konnten schließlich Mitte

Juni 2008 endgültig beginnen.

»Es waren etwa 43 Drehtage«, schätzt Bogdan-

ski. »Wir haben bis Ende August gedreht, zuletzt in

Südafrika. Auch in Deutschland hatten wir prak-

tisch jeden Tag ein anderes Motiv, mußten sehr

viel umziehen, was logistisch sehr aufwendig war.

Mein Oberbeleuchter Janosch Voss hat das sehr

gut gelöst.« Auch Bogdanskis erste Kameraassis-

tentin Andrea Theiss hatte alle Hände voll zu tun,

um dafür zu sorgen, daß das umfangreiche und

vielfältige Kameragerät an den verschiedenen Lo-

cations zuverlässig zur Verfügung stand. »Andrea

hatte diese ganze Logistik, inklusive der Drehar-

beiten in Südafrika, hervorragend im Griff. Ohne

Janosch und Andrea wäre ich ziemlich alleine ge-

wesen auf weiter Flur.«

Ein freudiges Ereignis gab es einige Monate

nach Drehende. Andrea Theiss bekam ein Kind.

Zum Ende der Dreharbeiten war sie bereits seit

mehreren Wochen schwanger. »Ich habe mich un-

heimlich für Andrea gefreut!«, begeistert sich

Bogdanski. »Aber ich war froh, sie noch als Assis-

tentin dabei gehabt zu haben. Mit einer fortge-

schrittenen Schwangerschaft hätte ich sie nicht so

gerne arbeiten gesehen. Das ist einfach eine zu

große Belastung«, meint Bodganski, der mit Frau

und Kindern in Hildes Wahlheimat zu Hause ist:

Berlin.

Hilde Deutschland 2009 Regie Kai Wessel

Drehbuch Maria von Heland Kamera Hagen

Bogdanski (bvk) Szenenbild Thomas Freudenthal

(sfk) Kostüm Lucie Bates (sfk) Maske Wolfgang

Böge, Heiko Schmidt Montage Tina Freitag (bfs)

Musik Martin Todsharow Originalton Erik Seifert

(vdt) Sound Design Guido Zettier Mischton-

meister Stefan Korte Besetzung Nina Haun,

Leo Davis, Lissy Holm Herstellungsleitung Anne

Leppin Produzentin Judy Tossell Darsteller

Heike Makatsch, Dan Stevens, Monica Bleibtreu,

Michael Gwisdek, Hanns Zischler, Anian Zollner,

Trystan Pütter, Johanna Gastdorf, Sylvester Grot,

Roger Cicero Kinostart 12. März 2009.

1/2Kamtek

c

xl011_A2_Prod Hilde 01.04.2009 17:30 Uhr Seite 53

Page 54: cinearte XL 011

sich über die ganze Rückwand des Saals in die

Länge zieht. Zwei Meter breit vielleicht, aber das

ist schwer abzuschätzen, weil er an beiden Seite

mit Geräten und Maschinen vollgestellt ist. Bleibt

ein schmaler Korridor, in dem sich zwei Menschen

aneinander vorbeischieben können, der mit

Durchgängen nochmals unterteilt ist. Wer zum er-

sten Mal hier ist oder in Eile, steht schnell schon

mal im Weg. Vier Menschen drängen sich hier im

mittleren Abschnitt. Jeder ist mit etwas beschäf-

tigt, eilig hat es keiner.

»Die Zeiten, daß wir vor der Premiere hektisch

werden, sind lange vorbei«, sagt Uli Schmidt. Es ist

die 23. Berlinale, für die er am Projektor steht. Da-

mit ist er der Dienstälteste der sechs Vorführer im

»Berlinale-Palast«. Gewissermaßen der Chefpro-

jektionist. Den Begriff benutzt er nicht. Wenn Uli

aus dem Vorführraum erzählt, spricht er vom

Team. Das mag auch an seinem anderen Beruf lie-

gen, dem, den er »richtig« gelernt hat, mit Studium

und so. Denn wenn Uli Schmidt keine Filme vor-

führt, dreht er sie – als Kameraassistent oder Ope-

rator, vier bis fünf Spielfilme oder Fernsehspiele

pro Jahr. Das sei ein guter Rhythmus, sagt er. Den

Rest der Zeit ist er Projektionist in der »Astor Film

Lounge«, ehemals »Filmpalast Berlin«, Berlins

neuem Edelkino am Kurfürstendamm.

Draußen vor dem »Berlinale-Palast« liegen die

roten Teppiche. An den Absperrungen drücken

sich die ersten Schaulustigen herum. Im Foyer

rüsten sich die Einweiser. Gedämpft die Stim-

mung – noch eine Stunde bis zur Abendgala. Der

ganz große Auftrieb ist wohl nicht zu erwarten.

Lukas Moodyssons Wettbewerbsfilm Mammooth

läuft. Ein Fest für Cineasten, aber nicht mit den

Namen besetzt, die den Boulevard an den Teppich

locken.

Für sowas hat die Berlinale andere Beträge im

Wettbewerb. Der rosarote Panther 2 zum Beispiel.

Nicht unbedingt der Titel, den man auf dem zweit-

wichtigsten Filmfest der Welt erwartet, aber er

sorgt für Aufmerksamkeit. »Außer Konkurrenz«

laufen solche Beiträge darum.

Der Kinosaal, wo übers Jahr Musicals aufge-

führt werden, aber keine Filme, ist noch leer. Sanf-

tes Licht liegt über den roten Polstermöbeln, die

Hostessen erkunden schon mal ihre Positionen.

Sie haben ihre Uniformen gegen schwarze Abend-

kleider gewechselt. Wenn sich die Gäste der Pre-

mierenvorstellung gleich durch die Lichtschleuse

in den Saal schieben, werden sie die Tür an der

Seite wohl alle übersehen haben.

Das ist normal, und muß wohl auch so sein.

Denn hinter der Tür befindet sich der wichtigste

Raum des Festivals. Es ist ein langer Schlauch, der

Report | Projektion cınearte XL 011

54

SchattenspielerWenn bei den Berliner Filmfestspielen alle nur Augen für die Leinwand und den roten Teppich

haben, ist das schon ganz richtig so. Das Team im Projektionsraum weiß dann zumindest, daß es

seine Sache gut gemacht hat.

Text Peter Hartig | Fotos Sabine Felber

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 54

Page 55: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Report | Projektion

55

Das Leben, 24 mal pro Sekunde – wenn die Anzeige stimmt.

So sieht die Kinowelt aus der Sicht eines Projektionisten aus.

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 55

Page 56: cinearte XL 011

Report | Projektion cınearte XL 011

56

Vorne im Saal blitzen Fotoapparate. Genau ge-

nommen blitzen sie draußen vor dem Kino, wo ge-

rade das Darstellerensemble aus der Limousine

steigt und sich den Fotografen und Schaulustigen

stellt, die jetzt doch mehr geworden sind. Die Ber-

linale ist populär geworden. Die ganz bekannten

Namen braucht es gar nicht mehr. Zu sehen ist

das auf einer kleinen Leinwand auf der Bühne –

von der Größe, auf die Ende der 70er viele Groß-

stadtkinos das Filmerlebnis herunterformatierten.

Und wie sie manche Multiplexe heute noch in Saal

12 und weiter hinten anbieten. Für die Arthouse-

Filme oder die in der 21. Woche.

Die richtige Leinwand hängt noch oben, gut

zehn Meter über der Bühne mit den anderen Ku-

lissen, an einem Rack. Den Rest des Jahre über ist

der »Berlinale-Palast« Musicaltheater. Mit den

Lautsprechern dahinter wird die Leinwand an den

Gala-Abenden erst kurz vor der Vorstellung her-

untergelassen und jedesmal neu verkabelt. Die

kann deshalb auch schon mal vergessen werden.

Wie 2001 bei Tom Tykwers Heaven geschehen –

zum Glück nur morgens bei der Probe.

Viel Aufwand für zehn Festspieltage. Auch hin-

ten: Im Vorführraum stehen drei große Kinoton-

Projektoren nebeneinander. Der FP30E ist ein 35-

Millimeter-Projektor, die beiden FP75E können

mit wenigen Handgriffen auf 70 Millimeter umge-

rüstet werden – die Transportwalzen sind so ange-

legt, daß beide Größen über sie laufen. »Im Prinzip

können wir fast alles spielen, was in der Kinoge-

schichte an Formaten üblich war«, erklärt

Schmidt.

Im nächsten Raum steht die große Barco-Bea-

mer für die digitaleProjektion, von der jetzt überall

so viel die Rede ist. Auch bei der Berlinale. Sechs

der 19 Wettbewerbsfilme sollten als Digitalprojek-

tionen vorgeführt werden, auch der Eröffnungs-

film The International. Weitere Kinoserver hatte

das Festival angeschafft, weitere Säle aufgerüstet,

ein technischer Dienstleister hatte sich für die Be-

treuung für die Dauer des Festivals im »Berlinale-

Palast« eingerichtet, und Barco eine Truppe eige-

ner Techniker mitgeschickt.

Denn die neue Technik macht es auch nicht

leichter. In den fünf Jahren, seit auch bei den Film-

Nach der letzten Vorstellung beginnt die Nachtschicht für Uli

Schmidt und seine Kollegen – Proben für den nächsten Tag.

Wenn wir geahnt hätten, welcher Aufwand so im Projektions-

raum getrieben wird, würden wir wohl öfter mal die Finger

vom Videorekorder lassen. Und mit mehr Ehrfurcht ins Kino

gehen.

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 56

Page 57: cinearte XL 011

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cınearte XL 011

festspielen die digitale Projektion üblich ist, gab es

auch Schwierigkeiten. Denn die digitalen Formate

sind nicht gleich, jedes hat seine anderen techni-

schen Vorgaben.

Mitunter spielen sich hier hinten im Vorführ-

raum Dramen ab, von denen die Zuschauer vorne

nichts ahnen. Die sie auch nicht verstehen wür-

den, obwohl sie gewaltiger sind als manches, was

vorne auf der Leinwand geschieht. Ed Lachman

saß hier, der Robert Altmans letzten Film aufge-

nommen hatte und sein Koregisseur war. A Prairie

Home Companion, Wettbewerbsbeitrag 2006,

komplett digital aufgenommen. Und so sollte

auch projiziert werden. Bis zur Probe: »Ihm liefen

die Tränen übers Geicht«, erzählt Schmidt. »Kein

sattes Schwarz! Ich habe ihm dann gesagt, wir hät-

ten auch eine 35-Millimeter-Kopie, auf die ich ja

eben mal wechseln könnte. Eine Minute später

war die Entscheidung klar.« Die Premiere lief dann

vom Film.

Auf einen Glaubenskrieg will sich Schmidt dabei

nicht einlassen. »Es geht nicht um digital oder

analog, sondern darum, mit welcher Gründlich-

keit eine Kopie hergestellt wurde – egal, ob als Da-

tenpaket oder als Filmkopie. Allerdings: Im direk-

ten Vergleich von exzellenten Filmkopien gegen

digitale Medien gewinnt immer noch der Film

wegen seines besseren Kontrastumfangs mit sei-

nen echten Schwärzen und Zeichnungen in den

Lichtern. Leider sind die Massenkopien mancher

Verleiher oft nur sehr mittelmäßig.« Freilich hat

der Projektionist ganz andere Möglichkeiten, zu

reagieren. Wenn die DLP-Maschine versagt, hilft

nur noch der Ingenieur vom Kundendienst. Am

Filmprojektor kann man notfalls noch selbst Hand

anlegen.

Den Teller von Hand drehen, wenn der Motor

mitten in der Vorstellung kaputt geht – auch das ist

schon vorgekommen und noch mehr. »Wir haben

Projektoren auseinandergebaut, das Bildfenster

mit Alufolie unterfüttert, um die Schärfe bei

Schrägprojektion auszugleichen – solche Tricks

gehen natürlich nicht an einem digitalen Projek-

tor.«

Und das geht auch nicht in den meisten Kinos,

wo oft angelernte Studenten auf den Schalter

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 57

Page 58: cinearte XL 011

Report | Projektion cınearte XL 011

58

drücken und zehn Filme auf einmal fahren. Wo die

Filme vom Teller laufen, und keiner mehr Über-

blenden lernt. Wo nicht jeder weiß, daß auch der

Vorführer auf den Bildstrich achten muß, wenn

ein Film »Open Gate« geliefert wird, weil sonst

mitunter die Mikros auf der Leinwand baumeln

oder die Kadrage nicht stimmt. Das muß man ler-

nen. Und sich für die Bilder interessieren.

Das Team im »Berlinale-Palast« hat da die be-

sten Voraussetzungen. Drei der sechs kommen

von der anderen Seite des Bildermachens: Neben

Uli Schmidt sind auch Andreas Erben und Christi-

ne Wagner Mitglieder im Bundesverband Kamera.

Wagner kam vor fünf Jahren dazu, Erben ist seit

2000 Festspielprojektionist. Vor zwei Jahren durfte

er seinen eigenen Film zeigen: Andreas war Erster

Focus Puller bei Die Fälscher – Österreichs erstem

»Oscar«-Film und Wettbewerbsfilm auf der Berli-

nale. Da stellte er dann auch wieder die Schärfe

ein.

Die Schauspieler sind jetzt im ersten Stock an-

gekommen. Während immer mehr Zuschauer in

den Saal strömen, unterzeichnen sie die großfor-

matigen Fotos, die den Treppenaufgang im »Berli-

nale-Palast« jedes Jahr schmücken.

Uli Schmidt war 14, als er an den Projektor kam.

Er stammt aus der Fränkischen Schweiz. Schöne

Landschaft, aber nicht gerade Kinogegend. Mit

einem Wanderkino zog er am Wochenende mit

einem 35-Millimeter-Projektor über die Dörfer.

»Da lernt man auch, mit der Technik umzugehen.«

Wenn etwas kaputt ging, mußte man improvisie-

ren. Nach dem Abitur jobbte er im Kopierwerk von

Berola in Forchheim, abends und am Wochen-

ende saß er im Projektionsraum des »Kinocenter

Forchheim« von Smaragda Dengler, des Kinos der

Kreisstadt. »Da habe ich überblenden gelernt.«

Als er schließlich nach Berlin ging, an die dama-

lige SFOF, um die Arbeit an der Kamera zu lernen,

war klar, daß er auch wieder im Kino landen wür-

de. 1987, seine erste Berlinale. Quer durch die

Stadt zog sich noch eine Mauer, und der »Zoo-Pa-

last« war das Hauptkino der Festspiele. »Dort habe

ich während der Festspiele im Filmmarkt vorge-

führt. Danach hat man mir im ›Gloria-Palast‹ ne-

ben der Gedächtniskirche die Wochenendvertre-

Ein Schrank für jede Tonart. Im Berlinale-Palast kann jedes

Format abgespielt werden. Vom einstigen Digitalton-Pionier

ist nur noch ein Putzlappen übriggeblieben.

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 58

Page 59: cinearte XL 011

www.fff-bayern.de

FilmFernsehFonds Bayern GmbHSonnenstr. 21 I 80331 MünchenTel. 089-544 602 -0 I Fax 089-544 602 [email protected]

JOHN RABENominiert für Bester Spielfilm (Mischa Hofmann, Hofmann &Voges Entertainment; Benjamin Herrmann, Majestic Film; JanMojto, EOS Entertainment), Beste Regie (Florian Gallenberger),Beste männliche Hauptrolle (Ulrich Tukur), Beste Kamera/Bild-gestaltung (Jürgen Jürges), Bestes Szenenbild (Tu Ju Hua), BestesKostüm (Lisy Christl), Beste männliche Nebenrolle (Steve Buscemi)

DER BAADER MEINHOF KOMPLEXNominiert für Bester Spielfilm (Bernd Eichinger, Constantin Film),Beste Regie (Uli Edel), Bestes Drehbuch (Uli Edel), Beste weiblicheHauptrolle (Johanna Wokalek), Bestes Kostüm (Birgit Misall)

IM WINTER EIN JAHRNominiert für Bester Spielfilm (Uschi Reich, Bavaria Filmverleih –und Produktion; Martin Moszkowicz, Constantin Film), Bestemännliche Hauptrolle (Josef Bierbichler), Bester Schnitt (PatriciaRommel), Beste Filmmusik (Niki Reiser)

KRABATNominiert für Bestes Szenenbild (Christian M. Goldberg),Beste Filmmusik (Annette Focks), Beste Tongestaltung (ManfredBanach, Tschangis Chahrokh, Dirk Jacob, Carsten Richter)

NORDWANDNominiert für Beste Kamera/Bildgestaltung (Kolja Brandt),Bestes Szenenbild (Udo Kramer), Beste Tongestaltung (ChristianBischoff, Tschangis Chahrokh, Heinz Ebner, Guido Zettier)

EFFI BRIESTNominiert für Beste männliche Nebenrolle (Rüdiger Vogler)Bestes Kostüm (Lucie Bates)

HEXE LILLI - DER DRACHE UNDDAS MAGISCHE BUCHNominiert für Bester Kinder-/Jugendfilm (Blue Eyes Fiction,Trixter Film)

FilmFernsehFonds Bayern beimDeutschen Filmpreis 2009

WIR FREUEN UNS ÜBER

24 NOMINIERUNGEN

FÜR SIEBEN

FFF-GEFÖRDERTE

KINOFILME

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 59

Page 60: cinearte XL 011

Report | Projektion cınearte XL 011

60

tungen für Herrn Hansmann angeboten. Ein Vor-

führer der alten Schule«, erzählt Schmidt. »Ich

stellte mich vor und sagte: ›Ich kann das!‹ Hans-

mann brauchte fünf Minuten, um mir zu zeigen,

daß ich nichts eigentlich noch ziemlich wenig

kann. Und so begann eine richtige Lehrzeit.«

Während er erzählt, hat sich der Saal gefüllt.

Die ersten Akte sind eingespannt, die Leinwand

heruntergefahren. Der Festspiel-Trailer läuft, ent-

spannte Lounge-Stimmung im Saal. »Da ist noch

ein Lichtfleck auf der Leinwand«, bemerkt Bert

Günther, der Mann am anderen Projektor. Nichts

darf den Bildeindruck stören. Den Ton auch nicht.

Deshalb hat Christine Wagner ihren Posten drau-

ßen im Saal und horcht, ob Klang und Lautstärke

stimmen. Keine Selbstverständlichkeit im Kino.

An Tönen steht alles zur Auswahl. An der Rück-

wand steht ein mannshohes Rack. Wahlweise

kann Dolby Digital abgespielt werden oder DTS

oder SDDS oder, wenn gar nichts hilft, analoger

Lichtton. Manche Kopien bieten alles: Die Licht-

tonspur verläuft auf der einen Seite der Bilder, da-

neben zieht sich der DTS Timecode wie ein Strich-

code und auf den Kanten zwei SDDS-Spuren. Das

Dolby-Signal sitzt zwischen den Perforationslö-

chern: Wie das Scannerbild auf den Onlinetickets

der Deutschen Bahn sieht es aus, im Zentrum der

winzigkleinen Marken das Dolby-Logo.

Es herrscht ein bitterer Verdrängungkampf auf

dem Filmstreifen. Zehn Prozent Marktanteil hat

DTS, den ganzen großen Rest Dolby. SDDS hat

sich heimlich schon fast verabschiedet. Auch L.C.

Concept war mal möglich, eine französische

Entwicklung und das erste digitale Tonystem am

Markt. Kusturicas Arizona Dream war Anfang der

1990er Jahre damit ausgestattet. Nur noch einen

Putzlappen mit dem Logo haben sie im Projek-

tionsraum davon übrigbehalten.

Dann läuft der Film. Der Vorführer ist zufrie-

den: »Ein tolle Kopie! Das bekommt man digital

gar nicht hin mit diesem Schwarz.« Im Kino leider

auch nicht oft. Was hier läuft, kommt frisch aus

dem Kopierwerk, eine Festivalkopie eben, bei der

sich alle besondere Mühe geben. Auch die Projek-

tionisten. Nach der Abendpremiere fängt im »Ber-

linale-Palast« nämlich die Arbeit erst an. Die gan-

Überblenden muß man können, um beim Festival vorzuführen.

Eine kleine Markierung in der Bildecke warnt den Vorführer,

daß es Zeit wird für die nächste Rolle. Danach bleiben nur

noch sechs Sekunden und 24 Frames. Und die Leinwand darf

nicht dunkel werden. Christine Wagner (unten) hört im Saal

genau hin, daß der Ton stimmt.

xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 60

Page 61: cinearte XL 011

ze Nacht durch haben die Verleiher und Produzen-

ten den Saal für eine Generalprobe gebucht, um

Ihre Kopien oder Untertitel zu prüfen. Klingt die

Tonmischung perfekt und stimmt die Helligkeit

der Projektion? Manches kann jetzt noch verbes-

sert oder gerettet werden. Gestern war Sally Potter

da, um zwei Kopien zu vergleichen. Dem Zufall

wird nichts überlassen. Zwei Projektoren sind nor-

malerweise im Einsatz, der dritte steht als Reserve.

Eine kleine Markierung in der Bildecke warnt

den Vorführer, daß es Zeit wird für die Überblen-

dung, sechs Sekunden später das zweite Signal.

Danach bleiben nur noch 24 Frames. Manchmal

machen sich Vorführer einen Sport daraus, wer die

Rolle bis zum letzten Bild auskosten kann, nach

dem Überblendzeichen am längsten abwartet, bis

er auf die andere Rolle überblendet, ohne daß die

Leinwand dazwischen schwarz wird. Ein Spiel,

klar. Aber auch der Versuch, wirklich jedes Bild

herauszuholen. Im Wechsel zwischen den Akten

passiert zwar nicht viel, damit nichts Wesentliches

in der Handlung verloren geht, wenn irgendwo ein

Vorführer nicht richtig aufpaßt, aber jedes Bild ist

ein Stück Filmkunst. Der Rollenwechsel auch.

Selbst wenn er nicht mehr oft praktiziert wird.

In den meisten Kinos werden die Akte vor der er-

sten Vorstellung zusammengeklebt und vom Teller

gespielt. Das spart Zeit und Arbeit, und der Vor-

führer kann so mehrere Säle auf einmal bedienen.

Das Publikum wird sich schon melden, wenn

plötzlich die Schärfe nicht stimmt. Daß der Film

nach jeder Station ein Stückchen kürzer wird, weil

die Akte am Ende auch wieder getrennt werden

müssen und die Klebestellen geschnitten werden,

merkt es nicht. Wer sieht schon 24stelsekunden?

Nur bei Festivalkopien ist solche Schnippelei un-

denkbar.

Mag sein, daß das Publikum nichts von alldem

mitbekommt – so soll es ja auch sein. Unbemerkt

bleibt die Arbeit nicht. Schon »mehr als einmal«

seien Vertreter der Verleihfirmen hinterher zu den

Vorführern gekommen, um sich zu bedanken.

Und Sätze zu sagen wie: »Wir wünschten, in Can-

nes wäre die Projektion genauso perfekt!« Da lä-

chelt Schmidt ein wenig stolz: »Das ist das schön-

ste Lob.«

cınearte XL 011

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xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 61

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Page 62: cinearte XL 011

Analyse | Panic Room cınearte XL 011

62

Spiel mit derReduzierter Raum, Einheit von Raum und Zeit – das hat im Film Tradition als

Spannungserzeuger. Wie man es trotzdem noch ein bißchen anders machen

kann, zeigte David Fincher im Panic Room.

Text Ian Umlauff Fot

o:C

olum

bia

Tris

tar

Nur keine Panik: Für die Dramatisierung

des hauptsächlich in einem Raum

spielenden Films benutzten Regisseur

David Fincher und sein Kameramann

Conrad W. Hall unter anderem starke

Ober- und Untersichten. Auffallend ist

auch die äußerliche Ähnlichkeit von

»Tochter« Kristen Stewart und »Mutter«

Jodie Foster – obwohl letztere erst spät

einsprang.

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 62

Page 63: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Analyse | Panic Room

63

Kaum einer wird es bestreiten: David Fincher gehört zu den der-

zeitigen Regiegrößen Hollywoods. Für 13 »Oscars« war sein jüngster

Film Der seltsame Fall des Benjamin Button nominiert, darunter in

den Kategorien Bester Film, Regie, Bildgestaltung, Art Direction, Vi-

sual Effects, bester Schauspieler in einer Hauptrolle und beste

Schauspielerin in einer Nebenrolle. Aber auch ihm erging es wie vie-

len anderen vor ihm: Abräumen tat überraschend ein anderer, die-

Angst

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 63

Page 64: cinearte XL 011

Analyse | Panic Room cınearte XL 011

64

ses Jahr Danny Boyles Slumdog Millionäre. Fin-

chers Benjamin Button erhielt immerhin drei

»Academy Awards« – für die Kategorien Szenen-

bild, Visuelle Effekte und Maske.

Fincher hat sich mit Alien 3 – Die Wiedergeburt,

(USA 1992, Bild Alex Thomson), Sieben (USA 1995,

Bild Darius Khondji, Harri Savides), The Game –

Das Geschenk seines Lebens (USA 1997, Bild Harris

Savides) und Fight Club (USA 2000, Bild Jeff Cro-

nenweth) einen Namen gemacht als Regisseur er-

zählerisch komplexer Psychotrips. Die Fans lieben

das Gefühl der grausigen Verunsicherung, das un-

vorbereitete Zuschauer nach dem Abspann

manchmal auch etwas verstört mit nach Hause

nehmen. So gingen die Meinungen der Kritiker zu

Fight Club vielfach auseinander. »Den ambitio-

nierten Wunsch, eine Synthese aus groß angeleg-

ter Hollywood-Produktion und europäischem

Autorenkino herbeizuführen, um damit etwas

Drittes, völlig Neues zu schaffen«, bescheinigte

der katholische Filmdienst Finchers Fight Club.

»Trotz seines Scheiterns ein achtbares Unterfan-

gen«.

Auch mit Finchers Film Panic Room, fotografiert

von Conrad W. Hall, tat sich die Kritik mitunter

schwer. Filme von A-Z.de, die Internetdatenbank

des neuen Lexikons des Internationalen Films, ur-

teilte: »Mit kameratechnischen Kabinettstückche

gespicktes Spannungskino, das eine komplexe

Mutter-Tochter-Beziehung behauptet, ohne sie

glaubwürdig zu belegen. Zwar liefert der Film soli-

des Genrekino, doch gemessen an anderen Pro-

duktionen David Finchers, der hier seinen eigen-

willigen Stilwillen nur aufschimmern läßt, bietet

er vor allem nur routiniertes Handwerk.« Bei Fin-

cher sollte man vielleicht alleine deswegen schon

genauer hinsehen, was dahinter steckt.

Nicht erst seit den Anschlägen vom 11. Septem-

ber 2001 geht in der amerikanischen Bevölkerung

eine steigende Angst um Heim und Hof um. In

Metropolen wie New York sind die großen luxuriö-

sen Stadthäuser immer öfter mit Schutzräumen

ausgestattet. Oft erst nachträglich eingebaut, sol-

len diese gepanzerten und mit umfangreicher

Überwachungs- und Kommunikationstechnik

ausgestatteten Geheimkammern den Bewohnern

Zuflucht vor unerwünschten Eindringlingen bie-

ten. Auch das »Stadtpalais«, in das Meg Altman

(Jodie Foster) und ihre vielleicht zwölfjährige

Tochter Sarah (Kristen Stewart) einziehen, bietet

eine solche Zuflucht: einen »Panic Room«.

Der zur Klaustrophobie neigenden Meg ist der

Raum nicht geheuer. Sie ahnt nicht, wie schnell sie

und ihre Tochter ihn brauchen werden. Denn

schon in der ersten Nacht im neuen Domizil wer-

den sie Opfer eines Einbruchs: Drei Männer drin-

gen in das Haus ein. Meg und Sarah ist im ersten

Stockwerk der Fluchtweg auf die Straße abge-

schnitten. Einzige Zuflucht bietet der »Panik-

Raum«, ebenfalls im ersten Stock gelegen. Dort

verschanzen sich die beiden. Was sie nicht wissen

können: Was die drei Einbrecher suchen, das ver-F

otos

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Um

lauf

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Tris

tar

Jim Haygood (links) hatte schon David Finchers Musikvideos für

Madonna und die Rolling Stones montiert, aber auch mehrere seiner

Spielfilme, ehe sich die beiden in den Panic Room wagten. Ein Dreh

mit Hindernissen: Jodie Foster (Foto rechts, mit dem Regisseur)

sprang für die verletzte Nicole Kidman ein. Das Drehbuch mußte

daraufhin umgeschrieben werden.

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 64

Page 65: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Analyse | Panic Room

65

schollene Millionenvermögen des ehemaligen

Hausherrn, befindet sich genau dort.

Fincher sieht den Plot in der Nähe zu Hitch-

cocks Das Fenster zum Hof (USA 1954, Bild Robert

Burks), der nach einem Drehbuch von John Mi-

chael Hayes 1999 von Jeff Bleckner für das Fernse-

hen mit Christopher Reeve neu verfilmt wurde

(Bild Ken Kelsch), hauptsächlich aufgrund der bei-

den Geschichten gemeinsamen Einheit von Ort

und Zeit. Mit Hitchcock verglichen werden will er

jedoch nicht – eher dem Genre seinen eigenen

Stempel aufdrücken unter Ausnutzung aller, auch

digitaler, Mittel.

Entgegen der »Mittelklasse-Vorstellung von ei-

nem modernen Thriller, zum Beispiel, daß alles

gut ausgeht«, wollte Fincher, wie er im American

Cinematographer erläutert hat, den Film »ein biß-

chen schmutziger« und »weniger vorhersehbar«

machen. Es gebe zahlreiche »Drehungen und

Wendungen« in der Geschichte, auf die die Figu-

ren keinen Einfluß haben. Dem sollte der Zu-

schauer in seinem Film folgen können.

In dieser Hinsicht weist Panic Room dramaturgi-

sche Parallelen zu Terence Youngs Verfilmung von

Frederick Knotts Bühnenstück Warte, bis es dun-

kel wird (USA 1967, Bild Charles Lang) auf. Auch

hier wird eine junge Frau, gespielt von Audrey

Hepburn, von drei Gangstern terrorisiert, um ihr

ein »MacGuffin« abzupressen, das sich, anfangs

noch ohne ihr Wissen, in ihrem Haus befindet. In

dem Film erscheint die Protagonistin durch ihre

Blindheit zusätzlich verwundbar. In Panic Room

ist Megs größte Schwäche ihre zuckerkranke Toch-

ter Sarah. Durch die Todesangst, die das Mädchen

erlebt, sinkt ihr Blutzuckerspiegel unter den kriti-

schen Wert. Das Mädchen erleidet einen Schock,

braucht dringend eine lebensrettende Injektion.

Ein erschwerendes Detail, wenn man sich mit be-

waffneten und zu Allem bereiten Gangstern im ei-

genen Haus herumschlagen muß.

Und wie in Youngs Film sind auch Finchers Anta-

gonisten durchaus nicht alle eindimensional. In

Warte, bis es dunkel wird ist es Mike (Richard

Crenna), der die Protagonistin schließlich vor dem

brutalen Obergangster Roat (Alan Arkin) schützen

will. Finchers Pendant zu dieser Figur ist Burn-

ham, gespielt von Forest Whitaker. Als ob er je-

doch mit den Erwartungen und Erfahrungen des

Zuschauers spielen will (zumindest manche wer-

den sich an Youngs Film erinnern), variiert er den

Fortgang der Geschichte. In Knotts Bühnenstück

zieht der Gute unter den Bösen den Kürzeren. Bei

Fincher ist er es, der friedfertigste und am stärk-

sten von Skrupeln geplagte unter den Gangstern,

der schließlich über seinen Schatten springen

muß, um Meg vor dem Schlimmsten zu bewahren.

Mit einem dramaturgisch konventionellen

Drehbuch als Basis und anfangs dem erfahrenen

DoP Darius Khondji an seiner Seite rechnete Fin-

cher zu Beginn mit weniger künstlerischen und lo-

gistischen Klippen als bei seinen vorherigen Fil-

men. Schließlich sei es aber so kompliziert

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 65

Page 66: cinearte XL 011

Analyse | Panic Room cınearte XL 011

66

Film hatten, lag an meiner Unfähigkeit, den Film

so wachsen zu lassen, wie er (der Film) es gerne

wollte«, gibt Fincher auch sich die Schuld für den

Rücktritt Khondjis, mit dem er seit der gemeinsa-

men Arbeit an Sieben auch privat befreundet ist.

Kondji stehe immer »tausendprozentig« hinter ei-

nem Projekt und arbeite »absolut konzentriert«.

Wenn es gelinge, mit ihm einen »gemeinsamen

Rhythmus« zu entwickeln, könne man »großartig«

zusammenarbeiten, wenn nicht, sei es »schwer«

und »emotional belastend«.

So stieß Conrad W. Hall, der Sohn des berühm-

ten, 2003 verstorbenen amerikanischen Kamera-

manns Conrad L. Hall, dazu. Hall junior hatte be-

reits mehrmals bei Filmen von Fincher

geschwenkt, sodaß dieser ihm »ein gewisses

Vertrauen« entgegenbrachte, erzählt er. Fincher

wisse aber sehr viel über die Jobs aller Beteiligten

und lege »die Meßlatte so hoch, daß man ganz

David Fincher (Mitte) und Jared Leto (rechts), der den Anführer der Gangster spielt, bei den Dreharbeiten. Fincher, Jahrgang 1962,

arbeitete für George Lucas’ Trickfirma Industrial Light and Magic und machte später Werbung und Musikvideos. Sein erster

großer Kinoerfolg war der dritte Streich der Alien-Tetralogie.

geworden »wie Rubiks Würfel«. Während The

Game eine komplizierte, jedoch einfach erzählte

Story gewesen sei, habe er die sehr einfache Ge-

schichte von Panic Room »auf die denkbar schwie-

rigste Weise« erzählen wollen.

Nach Drehbeginn sah sich die Produktion dann

in regelmäßigen Abständen unerwartet großen

Problemen gegenüber. Das erste waren die hefti-

gen Beschwerden, die Nicole Kidman nach einer

Knieverletzung hatte, die sie sich bei den Drehar-

beiten zu Moulin Rouge zugezogen hatte. Sie

mußte abbrechen, Jodie Foster übernahm die Rol-

le der Meg. Alle Szenen mit Meg mußten mit

Foster erneut gedreht werden. Aber nicht genug:

Fosters eher »toughes« Image zwang Fincher zu

Änderungen am Drehbuch.

Ein anderer Rückschlag war der Ausstieg von

Khondji, als bereits ein Teil des Films abgedreht

war. »Eine Anzahl der Probleme, die wir bei dem

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 66

Page 67: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Analyse | Panic Room

67

schön ins Schwitzen« komme: »Was er sehen will,

ist, daß man für ihn kämpft und alles gibt, was

man kann.«

Hall junior hat sich durch die verschiedenen

Positionen der Kameraabteilung hochgearbeitet,

so zum Beispiel unter Jordan Cronenweth, John

Toll, Robbie Greenberg und zuletzt auch unter sei-

nem Vater, Conrad L. Hall. Als Second-Unit-Kame-

ramann war er vor Panic Room unter anderem be-

teiligt an Das Phantom (Simon Wincer, USA 1996,

Bild David Burr), Sleepy Hollow (Tim Burton, USA

1999, Bild Emmanuel Lubezki) und American Be-

auty (Sam Mendes, USA 1999, Bild Conrad L. Hall).

Bei Alien – Die Wiedergeburt (Jean-Pierre Jeunet,

USA 1997, Bild Darius Khondji) machte er als ver-

antwortlicher Visuelle-Effekte-Kameramann mit.

Erst unmittelbar vor Panic Room hatte er seinen

ersten Film als DoP gedreht: A Gentleman’s Game

(J. Mills Goodloe, USA 2001).

Panic Room, so Hall, sollte vom »Look« her ein

besonders düsterer Film werden, im übertragenen

wie im wörtlichen Sinne, es sollte »alles unbe-

leuchtet aussehen, als wäre kein Licht an«. Schwer

sei das Beleuchtungskonzept für einen Film gewe-

sen, in dem zu Beginn des Einbruchs »jeder schläft

und nur sehr wenige Lampen an sind«. Kein Licht

von außen, keine Straßenbeleuchtung hätten den

Raum charakterisieren helfen können. Normaler-

weise arbeite man bei Nachtaufnahmen mit ho-

hem Kontrast, versuche man, »die Leute sichtbar

zu machen und es gleichzeitig so aussehen zu las-

sen, als wäre kein Licht da«.

Aber bei Panic Room durften, »wo keine Leuch-

ten sind, auch keine Schatten sein«. Also beleuch-

tete Hall die Szenerie hauptsächlich mit Leucht-

stoffröhren und von oben. Dieses Kopflicht sei auf

den Figuren oft zwei Blenden unterhalb der Ar-

beitsblende gewesen, im Hintergrund sogar bis zu

dreieinhalb Blenden darunter. Das 320 Asa emp-

findliche Kodak 5277 sei hier aber empfindlich ge-

nug bei gleichzeitig ausreichend feinem Korn ge-

wesen, »genau das Richtige für diesen Film«.

Doch das Arbeiten am unteren Ende des Belich-

tungsumfangs empfand der noch relativ junge

DoP auch als großes Wagnis: »Mein Belichtungs-

messer zeigte oft einfach nur noch ›E‹ an, sodaß

ich ihn auf 640 ASA einstellen mußte, um über-

haupt eine Anzeige zu bekommen«. Aber wenn er

eins von seinem Vater gelernt habe, dann »nicht

auf Nummer sicher gehen«, und dabei habe ihn

Fincher unterstützt.

Hauptbeleuchtungsgerät für die nächtlichen

Szenen im Hausinneren waren Kinoflos. Hall be-

nutzte 3200-Grad-Kelvin-Röhren und filterte sie

mit 1/8 Orange. Oft verwendete er 2-mal-120-Zen-

timeter-Leuchten, die als Kopflicht einfach in die

aus Holz gebauten Plafonds der Dekoration ge-

schraubt wurden. Darunter hängten die Beleuch-

ter Rahmen mit »Heavy Frost« und eine Kombina-

tion aus ND.3 und ND.15. So kam Hall auf eine

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Page 68: cinearte XL 011

Die erste, extrem lange und nur teilweise real ausgeführte

Kranfahrt über mehrere Stockwerke des Hauses (hier eine

Standbildreihe) kündigt dramaturgisch das drohende

Unheil an.

Analyse | Panic Room cınearte XL 011

gemessene Blende von 1 bis 1.4 bei den Kopflich-

tern, belichtete aber T2 bis T2.8.

»Es scheint ein inhaltlicher Widerspruch, aber

die – bewußt unkorrigiert gehaltene – grünstichige

Leuchtstoffröhrenbeleuchtung des Panik-Raums,

eines eigentlich grauen Beton-Raums, erscheint

mir tatsächlich heller als der Rest des eigentlich

unbeleuchteten Hauses. Das ist gewollt, denn hier

spielt ein Großteil des Films.« Hier finden Meg und

Sarah Schutz, wenigstens eine Zeit lang. »Das

Schöne am Panik-Raum war«, sagt Hall, »daß er in

gewissem Sinne eine Art 18-Prozent-Grau-Kam-

mer war. Die Wände saugten das Licht auf und re-

flektierten nicht besonders viel«.

So ließ sich Dekorations- und Darstellerlicht

besonders gut trennen. Er beleuchtete Foster zu

Beginn der Story mit umschmeichelndem Porträt-

licht. Ab dem Eindringen der Einbrecher reduzier-

te er ihr Darstellerlicht immer mehr. Als sie wieder

die Oberhand gewinnt, begann er, sie langsam be-

drohlicher aussehen zu lassen.

Um die einfache Geschichte so eindringlich wie

möglich zu erzählen, benutzt Fincher unter ande-

rem komplexe Kamerabewegungen, in Kauf neh-

mend, daß sie den Zuschauern und der Kritik als

»kameratechnische Kabinettstückchen« auffallen.

Aber er setzt sie dramaturgisch durchdacht und

sehr konsequent ausschließlich dann ein, wenn

sie wirklich motiviert sind.

Den Anfang des Films dagegen halten Fincher

und Hall bildgestalterisch sehr zurückhaltend:

Meg und ihre Tochter besichtigen das neue Haus,

ziehen kurz darauf ein, packen die ersten Sachen

aus und essen abends, zwischen Umzugskartons

sitzend, italienisch vom Pizza-Service. Die Kamera

bleibt, bis auf Ausnahmen, zwischen Kopf- und

Hüfthöhe. Auf Brust- und Hüfthöhe ist sie immer

dann, wenn es darum geht, Jodie Fosters im Ver-

gleich zu den anderen Darstellern geringe Körper-

größe zu kompensieren. Die Auflösung ist konven-

tionell.

Erst als Sarah im Bett und Meg mit sich allein

ist, helfen erste lange Kamerafahrten durch das

noch leere Haus tief über dem Boden, Megs Ge-

fühle zu vermitteln. Am Ende einer der Fahrten

sitzt sie (wohl wegen der hinter ihr liegenden Vide

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2007

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 68

Page 69: cinearte XL 011

Scheidung) mit den Tränen ringend, körperlich

entblößt wie im übertragenen Sinne schutzlos, in

der Badewanne. Das für die zwei viel zu große

Haus gibt ihr keine Geborgenheit. Um diesen Ein-

druck zu unterstützen, hält sich das Szenenbild

von Arthur Max (Gladiator, Hannibal) im Innern

des Hauses an ein enges Farbschema aus Unbunt-

tönen. Auch Michael Kaplans Kostümdesign folgt

diesem Farbkonzept.

Als Meg endlich Schlaf findet, ändert sich die

Ästhetik. Als hätte die Kamera darauf gewartet,

scheint sie sich selbständig zu machen. Meg wälzt

sich herum, ihr Arm ragt über die Bettkante. Es

folgt eine höchst ungewöhnliche Blickrichtung:

Wir sehen von unten an einem auf dem Boden ste-

henden Weinglas vorbei, aus dem Meg den ganzen

Abend versucht hat, ihre Verlorenheitsgefühle zu

ertränken, nach oben zur Bettkante und Richtung

Zimmerdecke. Ähnlich einem »Match Cut« ist

Megs Arm das verbindende Element, ohne das der

Zuschauer die Orientierung verlieren würde. Das

ungewöhnliche Bild signalisiert: Jetzt wird etwas

passieren.

Mit dem nächsten Bild, einer Halbtotale, die

Meg in schräger und leichter Draufsicht im Bett

zeigt, beginnt die erste der langen und komplexen

Kamerafahrten in Panic Room. Erst rückwärts von

Meg weg, durch die Zimmertür zur Treppe, durch

die eng zusammenstehenden Gitterstäbe des

Treppengeländers hindurch, abwärts in das Stock-

werk darunter und in die Küche. Durch die Fenster

sieht man vor dem Haus mehrere Gestalten aus ei-

nem haltenden Auto aussteigen. Die Kamera folgt

ihnen in Richtung Tür, und dann der Clou: ins Zy-

linderschloß hinein. Übergroß sehen wir, wie der

Schlüssel von außen, das heißt uns entgegen, ins

Schloß geschoben wird. Die erste Penetration,

wenn auch erfolglos.

Als er wieder herausgezogen wird, verlassen

auch wir wieder das Schloß, schweben zurück

zum Fenster, wo die Gestalten einige Worte wech-

seln, einer von ihnen das erste Mal ganz nah an

die Scheibe kommt, um zu uns hineinzustieren.

Die zweite Penetration. Der andere verschwindet.

Die Kamera wendet sich um, ganz ruhig. Es ist kei-

ne Subjektive, die nun wackelig wird, um wach-

cınearte XL 011 Analyse | Panic Room

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 69

Page 70: cinearte XL 011

Analyse | Panic Room cınearte XL 011

70 sende Unruhe zu suggerieren. Die Kamera ver-

sucht sich auch nicht zu verbergen. Stattdessen

bewegen wir uns so schnurgerade wie unaus-

weichlich durch zwei enge Durchreichen und den

Griff einer Kaffeekanne hindurch auf eine Hinter-

tür zu. Aber auch hier leisten zwei Türen der dunk-

len Gestalt erfolgreich Widerstand.

Als der Mann eine Feuerleiter hochklettert, be-

ginnt auch die Kamera eine Aufwärtsbewegung,

vorbei an Deckenleuchten, durch die einzelnen

Decken des Hauses hindurch, Stockwerk um

Stockwerk, an Megs Schlafzimmer vorbei bis zu ei-

ner ovalen Glaskuppel im Dach, an der der Mann

vorbeiläuft.

Zuletzt gelangen wir durch einen Türspalt in

eine schummerige Abstellkammer mit einer

metallenen Luke zum Dach, die der Einbrecher

ohne jede Schwierigkeit mit einem umgebogenen

Flacheisen öffnet. Schnitt.

Bevor wir jetzt wieder Meg sehen, die von all

dem nichts bemerkt, hat diese Kranfahrt durch

alle Etagen des Gebäudes hinauf und wieder her-

unter, durch zahlreiche Räume und Nadelöhre

hindurch etwa 180 Sekunden gedauert. Das reicht

für den Zuschauer locker aus, um noch Chips zu

holen oder sogar auf die Toilette zu gehen. Die ab-

solut präzise, ruckelfreie Kamerabewegung, die

teilweise schnurgerade verläuft und durch Eng-

pässe hindurchführt, von denen auch durch-

schnittliche Kinozuschauer wissen, daß dort keine

Filmkamera hindurchpaßt, hat etwas deutlich Ar-

tifizielles.

»Ich wollte, daß es sich so anfühlt, als ob es in

eine bestimmte Richtung führt. Ich wollte nicht,

daß es vage oder wie zufällig erscheint. Bei einem

solchen Film will man nicht, daß die Dinge auf

eine plumpe Art und Weise zusammenkommen«,

erläutert Fincher das ästhetische Konzept dahin-

ter.

Um Einstellungen und Szenen wie diese über-

haupt planen und Schauspielern und Team erklä-

ren zu können, ließ Fincher große Teile des Filmes

von Pixel Liberation Front als »Animatics«, ein-

fachste Computeranimationen, vorvisualisieren.

Unter Ron Frankels Leitung erstellte die Firma ver-

schiedene Planungshilfen: Grundrisse des Sets mit

genauen Angaben zu den Kamerapositionen und

den Gängen der Schauspieler, 3D-Schrägansich-

Um Darstellern

und Team die

komplizierten

Einstellungen des

Films zu erklären,

ließ Fincher von

großen Teilen

vorher »Anima-

tics« anfertigen.

Links eine

Raumorientierung

für das Kamera-

team, rechts

die geplante

Einstellung und

das fertige

Filmbild.

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xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 70

Page 71: cinearte XL 011

passieren. Und natürlich tragen die Toneffekte

und Howard Shores Musik immens zur »Action«-

Inszenierung bei. Die Kamera jedoch bleibt relativ

ruhig. Bewegt sie sich, so tut sie das mit großer

Präzision und eigentümlich minimalistisch, nicht

mehr als nötig. Für die Schwenker stellte dieser

Anspruch sicher eine hohe Belastung dar.

Extreme Blickrichtungen, Auf- oder Untersichten

vermeiden Fincher und Hall bis auf wenige, streng

motivierte Ausnahmen, die sich alle um die Trep-

pe herum abspielen, wenn diese jemand hinauf-

oder hinunterläuft. Wichtiges, wenn auch sehr

unterschwelliges visuelles Mittel ist jedoch der

vorrangige Einsatz kurzer Brennweiten. Hall dreh-

te Panic Room mit den älteren Panavision-Primos,

weil diese Serie eine größere Auswahl an Weitwin-

keln bietet, unter anderem 21-, 24-, 27- und 30-

Millimeter-Objektive mit geringen Minimalentfer-

nungen.

Entscheidend für die (Un-)Farbigkeit von Panic

Room war neben Arthur Max’ Szenenbild auch der

Postproduktionsweg über ein digitales Intermedi-

ate in 2K-Auflösung, gescannt auf einem Spirit bei

Technique (Technicolor). »Nur weil die digitale

cınearte XL 011 Analyse | Panic Room

71ten und schließlich die 3D-Animationen. Diese

konzentrierten sich anfangs auf die Gänge der

Schauspieler, auf Kamerabewegungen und die Ka-

drierung. Später wurden sie um die wichtigsten

Gesten der Darsteller ergänzt. Mit Hilfe dieser An-

imatics konnte man bei der Szenenauflösung im

Hinblick auf visuelle Effekte, dem »Visual Effects

Breakdown«, sehr viel präziser ermitteln, welche

Teile zum Beispiel der beschriebenen langen

»Kranfahrt« real durchgeführt werden konnten

und welche Bildelemente als CGI hergestellt wer-

den mußten.

Das visuelle Konzept großer Präzision und

Stringenz halten Fincher und Hall den ganzen

Film lang konsequent durch, auch in den Action-

szenen. Niemals verfällt die Kamera selbst in hek-

tische Bewegungen, produziert etwa verrissene

Bilder mit gewollt geringer Erkennbarkeit. »Ac-

tion« vermittelt Fincher in erster Linie durch die

Bewegung der Schauspieler, durch Haygoods

schneller werdende Schnitte zwischen Ran- und

Wegsprüngen, verschiedene Blickrichtungen auf

dieselbe Aktion oder unterschiedliche Räume im

Haus, in denen gleichzeitig verschiedene Dinge

xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 71

Page 72: cinearte XL 011

Postproduktion heute so weit ist, konnten wir den

›Look‹ von Panic Room genauso kontrollieren wie

den einer Werbung«, meint Hall im Nachhinein.

»Beim Drehen wußten wir, daß wir das Schwarz

hochziehen und bestimmte Dinge (in der Postpro-

duktion) überstrahlen lassen würden. Schon wäh-

rend ich geleuchtet habe, haben wir oft über die

digitale Korrektur gesprochen. (…) Das Spannen-

de an diesem Film war, daß wir aufgrund der heu-

te verfügbaren Technik länger an diesen äußerst

kreativen Prozessen beteiligt waren, längst nach-

dem ich ›fertig‹ gesagt hatte.«

Künstler, wie zum Beispiel sein Vater oder Vitto-

rio Storaro, hätten immer versucht, die Möglich-

keiten auszuloten, die auf die Belichtung des Ne-

gativs folgten. »Mit David Fincher zu arbeiten«,

sagt Hall, »war in dieser Hinsicht eine große Chan-

ce.«

Analyse | Panic Room cınearte XL 011

72

Panic Room (oben) erzählt eine Geschichte mit einfachem Grundmuster, macht es sich aber nicht leicht. Die klaustrophobische

Begrenzung weist Parallelen zu Terence Youngs Warte, bis es dunkel wird und Alfred Hitchcocks Das Fenster zum Hof auf.

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xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 72

Page 73: cinearte XL 011

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Page 75: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Gesetze der Serie | Gilmore Girls

75

Text Connie van Opeln

Vorspann. New England ist, kei-

ne Frage, der »Indian Summer«:

Bunte Blätter vor putzigen Holz-

häuschen – Amerikas heile Welt.

Der Vorspann, nach einer Ein-

gangsszene, macht darum das

Setting klar: Totale auf das fikti-

ve Städtchen Stars Hollow in

Connecticut, das in die bunten

Kronen eines Laubwalds einge-

bettet ist. Dann tauchen wir ein

in die Welt der Gilmore Girls – in

einer Aneinanderreihung ver-

schiedener Szenen aus der Se-

rie, in denen Chararaktere und

Schauplätze vorgestellt werden,

und die von Staffel zu Staffel nur

geringfügig verändert wird.

Worum geht’s? Um das wahre

Leben und den ganzen Rest ver-

mutlich. Die Gilmore Girls sind

Lorelai und Rory, Mutter und

Tochter. Erstere stammt aus Neu

Englands Oberschicht, wo man

die Vorfahren bis zur Mayflower

zurückverfolgen kann und das

auch jeden spüren läßt. Lorelai

ist eine Art Anti-Schneewitt-

chen: Als sie mit 16 schwanger

wurde, riß sie von zu Hause aus

– um es alleine zu schaffen und

dem strengen Korsett ihrer

Schicht zu entkommen. Hinter

den Laubwäldern der Ostküste

begann sie in dem kleinen

Städtchen Stars Hollow ein neu-

es Leben unter (mehr oder we-

niger) normalen Menschen und

zog alleine ihre Tochter groß.

Die übrigens ebenfalls hochbe-

gabt, dickköpfig und gelegent-

lich hormonell verwirrt ist.

Über allem liegen optisch ein

Tabakfilter, der die Szenerie in-

dian-summer-mäßig einfärbt,

und akustisch das Titellied Whe-

re You Lead von Carole King –

eine Komposition aus dem Jahr

1971.

Das Ganze ist kein eigenstän-

diger, kunstvoll ersonnener Vor-

spann mit Logo-Qualität, son-

dern so altmodisch handgebas-

telt, daß klar ist: hier geht es

nicht um die große Sensation im

Handlungsbogen, sondern um

etwas anderes. Geschichten aus

dem wahren Leben möglicher-

weise.

Wenn einer fünf Geschichten auf einmal erzählt,

sich dafür 1001 Minute Zeit nimmt und trotzdem

kein Ende findet, freuen sich die Zuschauer.

Fernsehserien wecken Begeisterung wie nur

wenige Kinofilme. Warum eigentlich?

Gesetze der Serie:

04_Gilmore Girls

xl011_C2_Serie Gilmore Girls 01.04.2009 18:57 Uhr Seite 75

Page 76: cinearte XL 011

Gesetze der Serie | Gilmore Girls cınearte XL 011

76

Philosophischer Ansatz. Alle

Menschen sind gleich. Und je-

der kann es schaffen. Die Kern-

aussage, der durch Plot und

Subplots der Serie weht, drückt

den ureigensten amerikani-

schen Traum aus. Darum kann

die Serie auch kaum woanders

spielen als an der Ostküste, wo

all das seinen Anfang nahm.

Vom hübschen Bühnenbild

sollte man sich nicht täuschen

lassen – das Titellied ist ja ein

Hippie-Song. Mit der Grund-

konstellation ist für wachsame

Zuschauer schon geklärt, wo die

Macher der Serie ideologisch

stehen (verkörpert werden die

beiden Pole durch Luke – heim-

licher Held der Serie – und den

Stadtvorsteher Taylor).

Sex vor der Ehe ist so eine

Frage, die in Fernsehserien oft

diskutiert wird. Hier stellt sie

sich gar nicht erst. Die Antwort

an konservative Geister wird

trotzdem gegeben: Rory, die un-

eheliche Tochter eine mißrate-

nen Teenager-Mutter, bekommt

von den besten Universitäten

des Landes Angebote für einen

Studienplatz.

Worum geht’s wirklich? Auch

nicht leicht zu sagen. Die Gil-

more Girls tragen keine Bot-

schaft vor sich her. Wozu auch,

der Weg ist das Ziel. Im Grunde

sind sie die entspannte Alter-

native zu Sex and the City – ohne

Schuhekaufen, Vibratoren, hys-

terische Beziehungsdiskussio-

nen und insgesamt leibhaftiger.

Die Damen in Stars Hollow

durchleben ebenfalls so ihre

Achterbahnfahrten der Gefühle,

rücken es aber ins richtige Ver-

hältnis. Schließlich gibt es ja

nicht nur die Suche nach dem

Mann fürs Leben. Mindestens

ebenso wichtig sind ein guter

Schulabschluß, das eigene Ho-

tel, die Musikkarriere oder der

Videofreitagabend mit Süßig-

keiten und Essen vom Chine-

sen.

Vorbilder. Die Gilmore Girls

würden zur Not auch als Hör-

spiel funktionieren: Die Dialoge

machen den Reiz der Serie aus.

75 bis 80 Seiten umfaßt ein

Drehbuch einer Folge – fast

doppelt so viel, wie bei anderen

Serien üblich ist.

Es ist kein Zufall, daß die Se-

rie in einem Setting spielt, wie

es Frank Capra nicht besser hät-

te darstellen können, und so

konventionell inszeniert und

bebildert ist wie ein Stück Holly-

wood aus den 30er Jahren. In

den temporeichsten Szenen

und skurrilsten Charakteren

hält die Serie mit jeder Screw-

ball-Komödie mit, wo ja auch

gerne Upper class und normales

Leben aufeinanderprallten.

Lorelai, die Ältere, könnte

man sich auch als Katherine

Hepburn in einer modernisier-

ten Variante von Die Nacht vor

der Hochzeit vorstellen. Und

Luke, der Gastwirt, wirkt wie

Gary Cooper in einer Lubitsch-

Komödie.

xl011_C2_Serie Gilmore Girls 01.04.2009 18:57 Uhr Seite 76

Page 77: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Gesetze der Serie | Gilmore Girls

77

Zeit und Ort. Stars Hollow ist

eine heile Welt voller Herbst-

blätter, Kürbistorten und Trut-

hähne, wie sie sich selbst Nor-

man Rockwell und Frank Capra

nur gemeinsam erträumen

könnten. Amy Sherman-Palladi-

no hat noch reichlich Ahornsi-

rup drübergekippt. Den Traum-

ort gibt’s wirklich, wenn auch

unter anderem Namen. Wäh-

rend eines Urlaubs hatte sich

die Produzentin in ein Städt-

chen in Connecticut verirrt und

war von seiner Schnuckeligkeit

gebannt.

Das »richtige« Stars Hollow

entstand freilich auf der ande-

ren Seite des Kontinents, auf

dem Studiogelände von Warner

Brothers. Der Hauptplatz dien-

ten schon während des Zweiten

Weltkriegs als Filmkulisse, in

Lorelais Hotel »Dragonfly Inn«

wünschten sich einst Die Wal-

tons gute Nacht, und gelegent-

lich ist im Hintergrund der

»Mount Hollywood« zu sehen,

auf dem das berühmte Orts-

schild steht.

Ansonsten spielt die Serie im

hier und jetzt. Diskurse zur Pop-

kultur sind wesentlicher Be-

standteil der Dialoge, gesell-

schaftliche Themen werden ge-

schickt zwischen den Zeilen

aufs Korn genommen.

Mit direkten politischen Aus-

sagen hält sich die Fernsehserie

zurück. Alkohol, Sex, Drogen

sind kein Thema wie in anderen

Serien (manches findet einfach

statt). Nur zum Ende der letzten

Staffel wird Rory als Journalistin

Barak Obama auf seiner Wahl-

kampftour begleiten.

Stammpersonal. Der Titel gibt

es vor: Im Mittelpunkt stehen

Mutter und Tochter Gilmore, die

beste Freundinnen sind und

den selben, für deutsche Zu-

schauer gewöhnungsbedürfti-

gen Vornamen haben: Lorelai.

Um auch alle anderen nicht un-

nötig zu verwirren, wird die Jün-

gere nur Rory gerufen.

Um die beiden kreisen un-

zählige Charaktere mit liebens-

werten Macken, von denen die

meisten es durch alle sieben

Staffeln schaffen. Wer eine Lie-

besbeziehung mit einem der

Gilmore Girls eingeht, vermin-

dert diese Chancen allerdings

beträchtlich.

Zu den Haupt- unter den

Nebenrollen zählen Luke, der

mürrische Betreiber des ört-

lichen Diner, Lorelais Ge-

schäftspartnerin Sookie und Ro-

rys beste Freundin Lane, eine

Koreanerin mit strenger Mutter,

die von einer Rockmusikkarriere

träumt. Und natürlich Lorelais

snobistische Eltern.

In der nächsten Umlaufbahn

nehmen die Eigenarten sogar

zu. Beispielhaft sind der seltsa-

me Kirk, der bei jedem Auftritt

eine andere glücklose Ge-

schäftsidee verfolgt, oder der

Lebensmittelhändler Taylor, ein

Blockwart des amerikanischen

Traums, der aus dem Städtchen

ein Retro-Disneyland machen

will.

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Page 78: cinearte XL 011

Helden. Nobody’s perfect –

immerhin basiert die Serie auf

einer Konstellation, die nicht

nur Lorelais konservative Eltern

als moralischen Fehltritt anse-

hen. Andererseits hat sie diese

Situation aus eigener Kraft vor-

bildlich gemeistert. Tochter

Rory ist ein sympathischer

Superstreber, die vom Studium

in Harvard träumt. Zu Beginn

der ersten Staffel wird sie an ei-

ner renommierten Privatschule

aufgenommen, was der Serie

erst das nötige Konfliktpotential

für 153 Folgen eröffnet: Um die

Schulgebühren zu bezahlen,

muß Lorelai sich wieder ihren

Eltern stellen.

Daß Lorelai ähnlich begabt

ist wie ihre Tochter, offenbart

sich erst allmählich. Kein Wun-

der, daß bei den Girls ein Hang

zur Überheblichkeit durch-

schimmert, der nur durch eine

gesunde Selbstironie gemildert

wird. Denn fehlerfrei sind sie

nicht: Rory schwankt mehrere

Folgen lang zwischen zwei

Freunden, später hat sie eine Af-

färe mit dem Ex, der inzwischen

verheiratet ist. Und Lorelai hat

im Eifer, das »Dragonfly Inn« zu

erwerben, keine Hemmungen,

die Erben der verstorbenen Ei-

gentümerin anzusprechen –

während der Beerdigung.

Musik. Die Gilmore Girls sind so

randvoll mit Zitaten aus der

Popkultur, daß die deutsche

Synchronisation gar nicht rich-

tig mithalten kann. Im Wettstreit

zwischen Film und Musik als

Kulturträger liegt letztere vorn:

Die Titelsängerin Carole King

tritt als Besitzerin des Musikla-

dens der Stadt auf. Im Laufe der

ersten Staffel erhält Stars Hollow

nach kurzem Sängerwettstreit

einen »Stadttroubadour«besetzt

mit Grant Lee Phillips, dem ehe-

maligen Leadsänger der Band

Grant Lee Buffalo. Und Rorys

Freundin Lane arbeitet an ihrer

Karriere als Rockmusikerin.

Gimmicks. Kaffee ist das

Hauptthema, das sich durch alle

Folgen zieht, denn die Lorelais

sind süchtig danach. Zweiter

Dauergag der Serie: Lorelais

standesbewußte Mutter ist auch

gegenüber dem Personal streng.

In jeder Folge hat sie ein ande-

res Dienstmädchen.

Wer in den Genuß der vollen

Dialogkraft kommen will, sollte

in der populären Kultur auf der

Höhe der Zeit sein. Besonders

die Anspielungen auf Filme und

Musik sind unerschöpflich. Wer

weniger Vorkenntnisse mit-

bringt, erhält viele Anregungen.

Suchtfaktoren. Wer für Komö-

dien der 30er Jahre schwärmt

oder nach dem amerikanischen

Traum sucht, findet all das bei

den Gilmore Girls: Von der alter-

würdigen Elite-Universität bis

zum Diner, Schuluniformen

und Flanellhemden, Rock’n’-

Roll-Rebellen mit Lederjacke,

Hippies und Quarterbacks –

vorgetragen mit einem liebevol-

len Spott, der soviel Wohlgefühl

erträglich macht.

Das brauchte der aufgeklärte

Teil der Nation in den Bush-Jah-

ren nach Clinton: Man sehnte

sich nach einer heilen Welt,

blieb aber doch realistisch. In-

sofern paßt es, wenn alles mit

Obamas Wahlkampf endet.

Gesetze der Serie | Gilmore Girls cınearte XL 011

78

xl011_C2_Serie Gilmore Girls 01.04.2009 18:57 Uhr Seite 78

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cınearte XL 011 Gesetze der Serie | Gilmore Girls

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c

Zahlen. Die erste Folge wurde

am 5. Oktober 2000 auf The WB,

dem Fernsehsender von Warner

Brothers, ausgestrahlt – ein Mo-

nat, bevor George W. Bush die

Präsidentschaftswahlen in Flo-

rida für sich entscheiden ließ.

Dreieinhalb Jahre dauerte es, bis

man in Deutschland darauf auf-

merksam wurde: Vox holte die

ersten vier Folgen ab dem 1.

April 2004 (einen Monat nach

dem ORF) nach – zuerst fünfmal

die Woche nachmittags. Von den

Quoten war man offenbar selbst

überrascht. Mit der 5. Staffel ka-

men die Girls ab dem 8. Novem-

ber 2005 wöchentlich ins

Abendprogramm. Die letzte Fol-

ge wurde in Deutschland im

März 2008 ausgestrahlt.

So hätte es eigentlich endlos

weitergehen können, denn die

Serie hat keinen Meta-Plot, der

irgendwann erschöpft wäre,

und die Quoten stimmten. Doch

Stars Hollow liegt nun mal in

Hollywood und ist daher keine

ganz so heile Welt: Amy Sher-

man-Palladino und ihr Ehe-

mann Daniel, die die Serie pro-

duzierten und mehr als die Hälf-

te der Drehbücher geschrieben

hatten, konnten sich mit Warner

Brothers nicht mehr über einen

neuen Vertrag einigen.

153 Folgen in 7 Staffeln waren

unterdessen gelaufen. 107 Stun-

den Sehnsucht nach einem bes-

seren Amerika.

Einfluß. Starke Serienrollen ver-

schaffen ihren Darstellern zwar

ein ständiges Einkommen und

sogar Ruhm, in eine Karriere auf

der großen Leinwand lassen sie

sich nur selten ummünzen.

Auch den Gilmore Girls Lauren

Graham und Alexis Bledel war

nach der Serie bislang noch kein

richtig großer Auftritt vergönnt.

Freilich ist auch noch nicht zu-

viel Zeit vergangen.

Anders verhält es sich mit

ehemaligen Liebhabern. Jared

Padalecki (Dean) übernahm

eine der beiden Hauptrollen in

Supernatural, Milo Ventimiglia

(Jess) ist der Superheld unter

den Heroes. Bei Lanes Freund

Dave war es umgekehrt: Seine

Serienbeziehung endete, weil er

in O. C., California einstieg.

Visuelle Merkmale. Im Mini-

kosmos mit derartiger Hand-

lungsvorgabe noch optische Es-

kapaden zu erwarten, wäre zu-

viel verlangt. Um wenigstens

etwas Abwechslung zu gewähr-

leisten, verpflichteten die Pro-

duzenten allein für die erste

Staffel 13 Regisseure und 9 Auto-

ren. Der Vorspann zeigt bereits,

daß auf unkonventionelle Bild-

gestaltung kein besonderer Wert

gelegt wurde. Wie bei den Ko-

mödien der 30er Jahre ist die Ka-

drage nur die Bühne für Schau-

spieler und Dialoge.

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Portfolio | The International cınearte XL 011

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Text Karolina Wrobel und Uli Hanisch | Fotos Uli Hanisch | Zeichnungen Agi Dawaachu

Gleich kracht’s gewaltig: Die manische Jagd des

Filmhelden entlädt sich an einem Heiligtum der

Moderne, in der virtuellen Hauptstadt der Welt.

Das Guggenheim-Museum in New York –

nachgebaut im Bebelsberger Studio.

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cınearte XL 011 Portfolio | The International

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Märkte ohne Grenzen, Geschäfte ohne Waren – die virtuellen Welten einer globalisierten

Wirtschaft sind Schauplatz des Thrillers The International. Die Kulissen aus Stahl, Glas

und Beton fand Szenenbildner Uli Hanisch in den Kathedralen des 21. Jahrhunderts.Sze

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otos

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Filmarchitektur

xl011_A4_International 01.04.2009 19:17 Uhr Seite 81

Page 82: cinearte XL 011

Portfolio | The International cınearte XL 011

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Macht wird gerne zur Schau gestellt, das wußte

man in der einfachen Diktatur ebenso wie im

Weltkapitalismus: Keine Metropole also ohne vor-

zeigbare Skyline, in der Banken und andere globa-

lisierte Unternehmen die eigene Größe in Stahl

und Glas zelebrieren. Der Betrachter zu ihren Fü-

ßen mag trotz durchlässiger Glasfassade nicht da-

hinterkommen, was tatsächlich in diesen Schalt-

zentren passiert. »Es sind eigentlich virtuelle

Welten, in denen wir uns bewegen«, erklärt Uli

Hanisch. »Ob Flughäfen, Hotellobbys oder Büros –

all diese modernen Welten unterliegen von vorn-

herein einer bewußten Inszenierung. Wirft man

einen Blick dahinter, stimmt nichts mehr. Das ist

eine ganz unangenehme, seltsame Modernität«.

Mit Tom Tykwer hat der Szenenbildner einen

selbstbewußten Blick hinter die Glasfronten ge-

worfen. Die Filmemacher haben die Geschichte

der 1991 kollabierten »Bank of Credit and Com-

mercial International« fiktional aufgearbeitet: In

The International versucht der Interpol-Agent

Louis Salinger zusammen mit der ambitionierten

New Yorker Staatsanwältin Eleanor Whitman die

korrupten Bankmanager des international agie-

renden Geldhauses IBBC zur Strecke bringen.

»Das erste Mal haben wir uns im Spätsommer

2006 über das Thema unterhalten«, erzählt der

Szenenbildner Uli Hanisch über das Vorgespräch

mit Regisseur Tom Tykwer und Kameramann

Frank Griebe. Es sollte die fünfte Zusammenarbeit

der drei werden – damals erhielt Hanisch für seine

herausragende Leistung an Tykwers Das Parfum

den »Europäischen« und zum zweiten Mal den

»Deutschen Filmpreis«, die erste Auszeichnung

hatte es für die Arbeit an Oliver Hirschbiegels Das

Experiment fünf Jahre zuvor gegeben. »Ich arbeite

bei historischen Filmen ja mit relativ festen stilis-

tischen Vorgaben, es geht oft um die bloße Rich-

tigkeit der Epoche«, erklärt Hanisch, der seine Kar-

riere als Grafiker in Werbeagenturen begann und

mit Christoph Schlingensief erste Arbeiten schuf.

»Zeitgenössische Stoffe haben viel mehr mit subti-

ler Finesse zu tun. Man ist freier, weil man jeden

Ort viel genauer zuordnen kann«.

In The International rückt das Szenenbild in ei-

nen ganz besonderen Mittelpunkt: »Jeder der Orte

hat eine ganz eigene dramaturgische Struktur: Es

Der Storyboard-Zeichner Agi Dawaachu entwarf

im Vorfeld vielerlei »Moods« – hier sollte eine

puristische Lichtinstallation die Rotunde des

Museums in stimmungsvolles Licht in Blau und

in Gelb tauchen.

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cınearte XL 011 Portfolio | The International

83Motiv: Guggenheim-Museum, New York.

Drehort: Studio-Kulisse, Babelsberg.

Das Team hatte die Kulisse in zwei Teilen konstruiert: Zunächst

wurden die Etagen drei bis fünf gebaut, dann wurde das Ganze

abgedreht und anschließend in die Lobby mit erster und zweiter

Etage umgebaut. Die Kuppelhöhe des Lokschuppens entsprach

nicht exakt den Originalmaßen – wir hatten ja lediglich eine

Bauhöhe von 14 Metern und an die 35 Meter an Durchmesser.

Deshalb mußten wir unser Guggenheim geringfügig eindamp-

fen.

Um dem Ganzen noch eins drauf zu setzen, sagte Tom, wir

sollten in der Ausstellung mit virtueller Kunst arbeiten, damit

wir die Themen Transparenz und die Abwesenheit von realen

Handlungsflächen noch einmal darstellen. So auch die Idee, die

Projektionen in den Wandnischen im Kronleuchter, dieser hän-

genden Leinwandskulptur, noch mal aufzunehmen. Die Kunst

wird auf diese Skulptur projiziert, doch es gibt einen Moment,

wo die Projektion stoppt, um das Bild zu wechseln – in dem Au-

genblick wird aus der Projektionsfläche eine Spiegelfläche. In

diesem Moment sehen sich die beiden Figuren – der Auftragskil-

ler und Salinger. Das ist das Schlüsselbild des ganzen Films. Es

geht um An- und Abwesenheit – wann ist etwas da, ist es über-

haupt da? Gegen wen tritt man an? Was ist echt, was nur vorge-

spiegelt? – plötzlich im wahrsten Sinne!

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Portfolio | The International cınearte XL 011

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gibt Welten und Gegenwelten«. Tatsächlich stehen

die Filmhelden in The International anderen Film-

Agenten an geografischer Handlungsfläche in

nichts nach. Die Figuren folgen dabei einer sze-

nenbildnerischen Infrastruktur, die kaum weniger

global ausgerichtet ist.

Drehbuchautor Eric Singer hatte konkrete Anga-

ben zu den Locations gemacht – »das einzige, was

wirklich im Drehbuch feststand und sich nicht be-

wegen ließ, war der Showdown im Guggenheim-

Museum. Auch die moderne Architektur und die

Büros waren durchaus thematisiert«, erinnert sich

Hanisch. »Aber wir haben noch viel verändert. Wir

fanden Modernitäts-Klammern viel interessanter.

Simpel ausgedrückt: Modern ist böse. Alt ist gut«.

In Berlin erwartet den Agenten eine äußerst

feindliche Atmosphäre, New York dagegen ist sei-

ne Rückzugsmöglichkeit: »Also zeigen wir Berlin

extrem modern, im Gegensatz dazu wirkt New

York fast gemütlich«. Zusätzlich legte man sich auf

die Städte Lyon, Mailand und Istanbul fest. »Letzt-

lich fragten wir uns aber, inwieweit wir die Städte

spezifisch darstellen und trennen sollten«, er-

innert sich der Filmemacher, auch, wie sie zu-

nächst versucht hatten, sie in einzelne Tonalitäten

einzuordnen – in Blau, Grau, Grün, Rot und Vio-

lett. Da sich das aber an den Locations selbst nicht

stark genug beeinflussen ließ, setzte Hanisch auf

die Darstellung der Architektur und der Innenräu-

me. So stehen dunkle Innenräume in Brooklyn

den lichten Glaspalästen in Berlin gegenüber – wie

etwa dem Hauptbahnhof, dem Lafayette-Gebäude

mit seinem gläsernen Kegel, dem futuristischen

ICC in Berlin oder dem kathedralen Konzern-Fo-

rum der VW-Autostadt in Wolfsburg.

Hanisch machte sich die Austauschbarkeit die-

ses internationalen Architekturstils zu eigen: »Die

völlig verschiedenen Locations sind alle für sich

markante Gebäude – im Film beinahe unverfroren

zusammengesetzt ergeben sie aber ein neues,

durchgehendes Motiv«, erklärt er. »Der Held ist ge-

fangen in dieser Transparenz und wird wie auf ei-

nen Seziertisch geführt. Diese ganzen unnötigen

Gänge, die er zu gehen hat, diese ganzen transpa-

renten oder verspiegelten Ebenen in der moder-

nen Architektur – im Prinzip schafft diese Durch-

Tom Tykwer plante eigentlich, den Guggenheim-Showdown im verschneiten New York zu drehen – um es anschließend auch

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cınearte XL 011 Portfolio | The International

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zeigen. Richtig problematisch erwies sich die im

Nachbau des Guggenheims ausgestellte Kunst –

Tykwer hatte sich mit Rücksprache des Kuratori-

ums des Hamburger Bahnhofs für den Video-

künstler Julian Rosenfeldt entschieden. »Am An-

fang erschien die Videokunst rein drehtechnisch

gesehen auch praktischer«, erinnert sich Hanisch,

»dabei hat sie sich als der größte technische Alb-

traum entpuppt«. Statisch wurde die Guggen-

heim-Konstruktion nämlich schwingend konzi-

piert – »eigentlich perfekt gelöst, wie bei einer

Seilbrücke«. Doch da die Beamer an den nunmehr

schwingenden Decken befestigt waren, wippten

die projizierten Bilder. »Es war sehr aufwendig,

diesen Teufelskreis zu bewältigen. Versuch alle

Projektionen mal zu fokussieren und zu synchro-

nisieren! Ein fast unlösbares Problem«, lacht der

41jährige.

Einen Kontrast zu der hochindustrialisierten

Moderne in Berlin und New York bildet die Final-

sequenz, in der die Filmfiguren aus den Glaspaläs-

ten in die Altstadt von Istanbul geführt werden,

gleich zu Beginn der Produktion an historischen

lässigkeit keine Transparenz, sondern nur Verwir-

rung.«

Den Höhepunkt und die Entladung der mani-

schen Suche des Filmhelden verortete Eric Singer

in einen fast heiligen Ort der Moderne – und der

wurde exakt nachgebaut. »Das Guggenheim ist

eine Ikone der Architektur, eines der bekanntesten

Gebäude der Welt«, erklärt Hanisch ein wenig

stolz. Vielleicht, weil er allein sechs Wochen lang

die Architekturpläne des legendären Gebäudes

von Frank Lloyd Wright zusammen mit den Art Di-

rektorinnen Sarah Horton und Bettina Lessnig für

den Kulissenbau übersetzte. In zehn Wochen Bau-

zeit wurde das Museum in zwei Phasen in einem

Potsdamer Lokschuppen vom Studio Babelsberg

aufgebaut. »Das Gebäude haben wir nur minimal

eingedampft, da die Kuppelhöhe nicht exakt unse-

ren Bedürfnissen entsprach«. Auch gab es die Idee,

nur die Hälfte der Rotunde zu bauen, anstatt Drei-

viertel ihrer Länge.

Hanisch argumentierte gegen den kostenspa-

renden Einfall, denn so war es nicht möglich, die

Szenerie in einer vollen Kameraumdrehung zu

durch die durchbrochene Decke des Museums rieseln zu lassen.

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Orten abgedreht: Ob im unterirdischen Säulen-

gang der Cisterna Basilica, oder vor dem Hinter-

grund der Blauen Moschee, »es waren Orte, die im

Vergleich zur modernen Architektur so exotisch

wie möglich anmuten sollten«. Dabei hatte Ha-

nisch lange Zeit auch die Hagia Sophia als Motiv-

idee im Kopf, jedoch bot die Cisterna Basilica mit

ihren Säulengängen im Halbdunkel mehr Spiel-

raum für Agent Salingers Lauschangriff auf die

Konspiranten.

Das szenenbildnerische Konzept endet mit ei-

nem besonderen Schlußpunkt: Für Hanisch war

es nur schlüssig, die letzte Einstellung sich über

jegliche Architektur erheben zu lassen und den

Handel als urmenschlichen Austausch auch kon-

kret zu verorten. Salinger steht auf einem ganzen

Verbund von Dächern, unter ihnen ein ganzes

Straßensystem: Es sind die Dächer vom Großen

Basar, seit gut einem halben Jahrtausend einer der

größten Marktplätze der Welt.

»Modern ist böse. Alt ist gut«, faßt Uli Hanisch das Konzept für

die Filmarchitektur in The International zusammen. Es geht

aber auch andersherum: Die rustikale Kulisse, in der er 2005

ebenfalls unter Tykwers Regie stand, gehört zu Das Parfum –

die ziemlich alte Geschichte eines Serienmörders. Fot

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Motiv: Guggenheim-Museum, New York.

Drehort: Studio-Kulisse, Babelsberg.

Vor der Szene im Guggenheim befindet man sich im größten Strudel des Tempos, dieser frenetischen Ver-

folgung… Salinger ist ja vollkommen getrieben. Plötzlich stolpert er unvorbereitet und ungeplant über

den gesuchten »Consultant«, den Auftragskiller. Und dann fallen Sie in diesen Ort ein. Der Effekt des Gug-

genheim-Museums ist ja der, daß er aus der Wirklichkeit herausgekoppelt erscheint. Beinahe schwebend.

Durch die Abwesenheit von Farben, durch diese runde und schwingende Form verliert man den Bezug zu

Zeit und Raum. Das hat eine gewisse Transzendenz, es ist ein Ort beinahe heiliger Architektur – und in

diesem bricht nun diese banale Gewalt ein, die weder spektakulär, noch elegant ist. Das gibt einen maxi-

mal starken Kontrast zur Umgebung, das fand ich besonders interessant.

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Motiv: IBBC-Hauptquartier, Martin Whites Büro.

Drehort: Lafayette-Gebäude an der Friedrich-

straße in Berlin. Gläserner Kegel von Star-

Architekt Jean Nouvel.

Dieses Büro des Anwalts White bei der IBBC war ty-

pisch, weil es verspiegelte und nicht verspiegelte

gläserne Wände hatte und mit diesen scheinbaren

transparenten Tiefen spielte. Es hatte zwar zwei

Arbeitsplätze, von denen aber nur einer besetzt

war. Hinten befand sich eine offene Sitzgruppe –

das war fast wie ein Gemeinschaftsbüro, obwohl es

dafür viel zu exklusiv ausgestattet war.

Schreibtischtäter

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Motiv: Interpol Lyon, Louis Salingers Arbeitsplatz.

Drehort: Internationales Congress Centrum Berlin.

Salinger arbeitet in einem Office-Pool in Lyon, in einer Wabe, einem Großraumbüro

bei Interpol. Das war eine formal-inhaltliche Entscheidung, denn im Drehbuch hat er

ein winziges Büro in einem endlosen Gang. Wir lösten somit letztlich seinen eigenen

Raum auf. Auf dem Schreibtisch und den Wänden sollte der manische Charakter des

Helden deutlich werden, wie er sich überbordend unter zahllosen Unterlagen begräbt.

Wir haben uns gesagt, es soll im Ganzen ein großer Kontrast zu den hochtransparen-

ten, schicken, gläsernen Büros der repräsentativen Räume der IBBC werden. Dabei soll

es bei Interpol auch so rückständig wie möglich zugehen, fast in einer 80er Jahre

Ästhetik. Als idealer erwies sich das ICC in Berlin, wo wir das Set aufgebaut haben.

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Das war ganz klar – da sollte nichts auf den Schreibtischen zu sehen sein. Nicht mal ein Stück Papier. Wir

zeigen hier immer die Abwesenheit von echter Arbeit. Es gibt nur einen Bildschirm, ein Keyboard und ein

sehr elegantes Tischtelefon. Ansonsten haben wir demjenigen einen Stift in die Hand gegeben und das war

es dann. Denn da wird gar nicht mehr am Schreibtisch gearbeitet, sondern man bespricht sich in dieser

Sitzgruppe, auch in dem Gemeinschaftsbüro.

Motiv: IBBC-Hauptquartier, Vorraum von

Jonas Skarssens Büro.

Drehort: Lafayette-Gebäude an der

Friedrichstraße in Berlin.

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Motiv: Calvini Office Building, Büro von Enzo und Mario Calvini.

Drehort: Ausstellungsbereich des Phaeno-Museum in Wolfsburg (Architektin: Zaha Hadid).

Motiv: IBBC-Hauptquartier, Vorraum von Jonas Skarssens Büro.

Drehort: Lafayette-Gebäude an der Friedrichstraße in Berlin.

Diese Büroform suggeriert eigentlich: das sind ganz moderne, kommunikative, aufgeschlossene

Manager, die sich in einer legeren Gruppenform besprechen. Das hat etwas von einem Brainstor-

ming-Konferenzraum einer Werbeagentur. In Wahrheit ist das nur zur gegenseitigen Kontrolle

da. Deutlich wird es vor allem, als Salinger wie ein Schuljunge vor dem Anwalt sitzt, neben ihm

der Commissioner, der ihn über den polizeilichen Irrtum aufklärt – mit den verschobenen An-

kunftszeiten. Im Hintergrund sitzt aber die ganze Zeit noch jemand auf diesem Sofa… Der Held

ist also umringt von Menschen, mit denen er eigentlich gar nicht sprechen wollte. Er weiß nicht:

Wo bin ich? Was sehe ich? Von wem werde ich gesehen? Was passiert dahinter? Wer ist eigentlich

da? So dreht sich der ganze Spieß um.

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Motiv: Büro von Eleanor Whitman.

Drehort: Financial District in New York.

Hier sehen wir das Hauptquartier der IBBC-Ermittlungen des Bezirksstaatsanwalts in

New York, also die Arbeitsräume von Eleanor Whitman (Naomi Watts). Gedreht wurde

»on location« im Financial District, in Sichtweite der Freiheitsstatue. Sehr schöner Blick!

Transparenz gegen

Motiv: Isaacson Institute in New York.

Drehort: Cumberland Hotel in Berlin.

Hier finden Salinger und seine Kollegen die Akte der Fußprothese des »Consultants« –

des Auftragskillers der IBBC und nehmen die Verfolgung auf… Das Cumberland ist

denkmalgeschützt und einer der beliebtesten Drehorte in Berlin. Erbaut 1911/12 nach

dem Entwurf von Robert Leibnitz, der auch der Architekt des alten Hotels Adlon war. Es

ist einer der letzten Prachtbauten auf dem Kurfürstendamm. Wir haben uns sehr be-

müht, das Motiv in diesem Hotel »amerikanisch« wirken zu lassen.

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Motiv: Moody’s Bail Bond Office.

Drehort: Brooklyn, New York.

In New York ziehen sich Salinger und die Staatsanwältin Eleanor Whitman in diese

Schutzhöhle zurück – in Moody’s Bail Bond. Es war ganz klar, daß das ein alter Ort sein

müßte. Die beiden kommen in Brooklyn vor diesem Büro von Moody an, mit diesem

prächtigen Blick auf Manhattan, und dann gehen sie die Treppe runter in dieses fen-

sterlose Loch.

Bail Bond Offices sind für die Amerikaner relativ normale Orte, jede Stadt hat so et-

was. Das sind oft abgewrackte, unschöne Orte im Kleinkriminellen-Milieu. Moody ist

dementsprechend ein ehemaliger Bulle, der da in seinem Büro sitzt wie eine Kröte, und

hat da unten seinen halb-illegalen, inoffiziellen Verhörraum. Aus dem Grund ist das

auch der dunkelste Raum von allen gewesen. Der soziale Kontext ist für einen europäi-

schen Betrachter relativ unklar, ein Amerikaner versteht das sofort.

Als Location fanden wir eine Polsterwerkstatt für Kinosessel in Brooklyn. Die Wand-

panele, Theke und sämtliche Einrichtung wurden von uns eingebaut.

Undurchlässigkeit

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Drehort: Großer Basar, Istanbul

In Istanbul verliert die Hetzjagd schließlich an Tempo, der Held ist

am Ziel. Die Kamera schwebt rein und man badet im Stadtbild – der

Fülle der Straßen, der Fremdartigkeit und dem Alter des Ortes an der

Schnittstelle von Europa zum Orient. Bei dem Schlußbild muss man

verstehen, was das eigentlich für Dächer sind: Es ist die Überdachung

vom Großen Basar in Istanbul. Über 500 Jahre lang war das der größ-

te Marktplatz der Welt, sozusagen die Mutter aller Märkte in der Ge-

schichte der Menschheit. Über diesem historischen Markplatz findet

dann diese finale Auseinandersetzung statt. Das ist nicht nur ein

atemberaubendes Motiv, sondern ein überwältigendes Symbol. Wo

könnte unser Held Salinger besser den Schurken virtueller Verbrechen

stellen, als direkt über den historischen Hallen des Handels? Das war

natürlich ein unschlagbarer Fang!

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Drehort: Cisterna Basilica, Istanbul

Der Gedanke war, daß Skarssen aus seinem

gläsernen Palast herausgelockt werden muß,

um an einen möglichst kontrastierenden Ort

gebracht zu werden. Die alternative und

nicht weniger historische Motividee, die wir

sehr lange hatten, war die Hagia Sophia –

auch ein berühmtes Bauwerk. Letztlich hat-

ten wir uns aber für den Säulengang in der

Cisterna Basilica entschieden, weil er mehr

Möglichkeiten als unterirdisches Versteck bot.

Für mich war das umwerfend, diese düstere

Zisterne – vor allem weil man sich ansonsten

meist in den lichten Glaspalästen aufhält.

Oben und unten

xl011_A4_International 01.04.2009 19:18 Uhr Seite 95

Page 96: cinearte XL 011

Porträt | Sven Taddicken cınearte XL 011

96

Klare SichtSven Taddicken ist ein zurückhaltender Mensch: Dafür sind seine

Filme bunt, laut – und überwältigen den Zuschauer mit verquerer

Leidenschaft.

Text Christoph Gröner | Foto Sabine Felber

xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 96

Page 97: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Porträt | Sven Taddicken

97

Sven, 5, konnte wohl kaum wissen, was aus ihm

einmal werden würde. Aber wenn Eltern mit Su-

per-8 die Peanuts aus dem Fernseher abfilmen,

um das flimmernde Bild dem Sohn ganz ohne Ton

übers Bett zu projizieren, damit der besser ein-

schläft – dann muß man sich über eine Kinokar-

riere nicht wundern.

Den Melancholiker Charlie Brown, seinen To-

talverweiger von Hund Snoopy, das Klaviergenie

Schröder und die ihm verfallene Machtfrau Lucy,

das ganze melancholische, lebensweise Peanuts-

Universum also hat Taddicken früh aufgesaugt wie

Bildermilch: Dann muß man wohl solche Filme

wie der 1974 geborene Hamburger drehen; Filme,

in denen die Menschen an ihren oft dunklen Lei-

denschaften verzweifeln – oder einfach damit le-

ben.

»Glück ist nicht lustig«, entschuldigte Charles

M. Schulz die ständigen Ausrutscher seines Hel-

den Charlie Brown. Sven Taddickens Filme prä-

sentieren Glück auch nur in homöopathischen

Dosen: Dafür ist es oft verdammt komisch, wie da

Schicht um Schicht Sehnsüchte freigelegt werden

und man sich beim Sehen denkt: Hoppla, er-

wischt! Taddicken sucht mit viel Fantasie nach

wahrhaftigen Gefühlen: »Das Verrückte ist ja, ich

gebe mir bei jedem Film große Mühe, realistisch

zu sein. Daß sie etwas Verträumtes haben, das

Emotionale, Schwebende, wie auch immer – das

passiert mir dann einfach«, sagt er.

Als Kind hatte er die Super-8-Kamera schnell

selbst in der Hand, die ersten Versuche waren aber

erstaunlich nüchtern: Mit sechs filmte er die

Nummernschilder an Autos in seiner Straße ab

und schnitt die Bilder zusammen. Die Lebensge-

schichten hinter den Schildern kamen später. Bis

heute geht es dann meist um Figuren, die stark

fühlen und nur stockend darüber reden können.

In einem seiner Kurzfilme an der Filmakademie

Ludwigsburg, dem für den »Studenten-Oscar« no-

minierten Schäfchen zählen, gibt es so ein typi-

Laß’ uns mal darüber reden! Sven Taddicken spricht gerne Klartext. In Filmbildern.

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Page 98: cinearte XL 011

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Porträt | Sven Taddicken cınearte XL 011

98

sches Figurenarsenal, unter anderem eine Schaff-

nerin, die sich in Liebesromane versenkt, aber ei-

nen Mann lieber nach einer K.O.-Spritze vergewal-

tigt, als sich mit den Gefühlen wirklich

auseinandersetzen (»Ich bin pervers, sie mußten

drunter leiden. Das tut mir leid«, ist ihr lakoni-

sches Statement, als er doch aufwacht.) Der Mann

wiederum liebt Pornos und wird von einem Poli-

zisten verfolgt, der den harten Gesetzeshüter mar-

kiert, weil ihn seine liebreizende Kollegin abblit-

zen läßt. Übersprungshandlungen bei jeder Figur.

Als Taddicken mit Mein Bruder, der Vampir

2001 sein langes Debüt dreht, präsentiert er gleich

eine ganze verrückte Familie. Alle leben in ihrer ei-

genen Traumwelt, und Josch besonders: Er ist gei-

stig zurückgeblieben, und es geht im Film vor al-

lem darum, wie er seine Sexualität entdeckt. Es ist

eine der schärfsten, grenzwertigsten Auflösungen,

die Taddicken dabei gewählt hat: Am Ende geht

der Junge mit seiner Schwester Nic ins Bett.

Rückblickend, erzählt Taddicken, sei er damit

nicht mehr ganz zufrieden. »Für mich stand im

Mittelpunkt: Sex ist Vertrauenssache.« Klar, Bruder

und Schwester hätten sich nichts zu beweisen.

Nur unterschlug Taddicken damit den dramatur-

gischen Aufbau, daß sein Held eigentlich den gan-

zen Film ein anderes Mädchen liebte – und Sex

nur eine Nebensache war. »Aber immerhin, ich

hatte einen diabolischen Spaß, meine Botschaft

mit einer Inzestszene zu zeigen«, lacht er.

Über Fehler im Überschwang, über sein Leben

redet Taddicken am Ende ganz offen. Aber als das

Gespräch beginnt, wirkt er fast schüchtern. Er hat

feines Haar, das etwas absteht: da ist etwas von ei-

nem introvertierten Punksänger, der es erst auf

der Bühne richtig krachen läßt.

Aber auch wenn er tatsächlich als Schüler in

Bands gespielt hat – der Bildermensch war stärker

in ihm. Auch stärker als die Scheu: »Tja, wie wird

man Regisseur? Vom Menschlichen her war ich

mir nicht sicher, ob ich ein Regisseur bin. Kom-

munikativ sein, Leute erreichen, das waren Dinge,

die ich wirklich im Studium lernen mußte. Aber

ich hatte immer das Gefühl, ich sehe die Dinge

anders.«

So anders, daß er nun oft zu radikal überhöhten

filmischen Metaphern findet. Wo ist eigentlich die

Grenze, was fühlt sich noch richtig an? »Meine Fi-

guren müssen nicht reale Menschen sein. Das sind

radikale Verkörperungen von Typen, Fähigkeiten,

Sehnsüchten«, erklärt er, das sei wie ein »Schutz-

mantel«. Seine Filme sehen dabei völlig unter-

schiedlich aus. Sein Abschlußprojekt Einfach so

bleiben war schwarz-weiß, dann folgte der knalli-

ge Mein Bruder, der Vampir, der mit schrägen

Sichten auf die Figuren und die Welt an das frühe

Kino von Jean-Pierre Jeunet erinnert. Danach folg-

te das farbensatte Melodram Emmas Glück, in

dem es um die Liebe der Schweinezüchterin

Emma zu einem krebskranken Autohändler geht,

Naturburschikos stapft die Schweinezüchterin Emma ihrem Glück entgegen, und Sven Taddicken erfreut sich dabei auch an dras-

tischeren Scherzen. Weil es eigentlich ja um ganz große Gefühle und völlige Hingabe geht.

xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 98

Page 99: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Porträt | Sven Taddicken

99

der ihr nach einem Unfall wirklich vor die Füße

fällt.

Emma sei eine Verkörperung von Natur selbst,

sagt der Regisseur: »Da spielen Leben und Tod zu-

sammen.« Sie müsse gar nichts Bäuerliches aus-

strahlen, sondern ein Gefühl repräsentieren. In ei-

ner Szene trägt Emma-Darstellerin Jördis Triebel

im Hochzeitskleid ihren Mann über die Schwelle.

Es ist ein ungewöhnlich zerbrechlicher Jürgen Vo-

gel, der ihr in den Armen liegt – und ihr noch vor

der Tür auf das Hochzeitskleid kotzt. Eine berüh-

rende Szene, auch wenn das geschrieben anders

scheinen mag: Es geht um Sterbehilfe, natürlich,

aber vor allem um Hingabe.

Fast 400.000 Zuschauer haben sich damit ins

Kino locken lassen. »Ich kann für jemanden da

sein – davor haben wir Angst, danach sehnen wir

uns, das kann einen ganz schön schütteln.« Und

den Zuschauer soll es auch schütteln: Taddicken

will, daß die Leute ein bißchen verändert aus sei-

nen Film gehen, ein bißchen mehr reden: »Ich will

keinen fernen Kosmos inszenieren.«

Die Seherfahrungen, die ihn beeinflussen, sind

dabei so vielfältig wie seine bisherigen Filme: Die

Anarchie der Muppet-Show, die radikale Schau-

spielführungen von John Cassavetes, die Heißblü-

tigkeit von Almodovars Feßle mich und Peter Gree-

naway, den er heute mehr für das Frivole als das

Formale an seinen Filmen schätzt. Auch bei Taddi-

ckens Filmen werden emotionale Extreme nicht

glattgebügelt, sondern einfach gezeigt. Was ist

denn normal, heißt das. Aber vor allem: Wie er-

klärt man, was man da fühlt?

Wer so viel über Kommunikation zwischen den

Menschen sinniert, braucht Mitstreiter, die einem

blind verstehen. »Man baut sich beim Film fast

eine gesellschaftliche Struktur mit Freunden«, sagt

Taddicken über die Arbeit am Set. Die Kamerafrau

Daniela Knapp zählt zu den häufigsten Mitarbei-

tern, mit ihr hat er fast alle seine Filme realisiert.

Hinnerk Schönemann spielt vor der Kamera oft

wunderbar verdruckste Charaktere für ihn – in

Emmas Glück eine wunderbare Nebenrolle: einen

Polizisten mit Triebstau und notorischem Bleifuß,

der Emma so sehr liebt, daß er sie am liebsten

emotional erpeßt. Und dann ist da auch noch

Matthias Pacht, der Autor, aus dessen Feder Schäf-

chen zählen, Mein Bruder, der Vampir und nun

auch Zwölf Meter ohne Kopf stammen und der da-

mit viel zum schrägen Figurenuniversum von Tad-

dicken beigetragen hat: Der Regisseur versteht

sich als »gefühlter Autorenfilmer«, der mit seinen

Drehbuchautoren eng gemeinsam entwickelt.

Bei dem jüngsten Film hat es am Ende acht Jah-

re gedauert. 2001 hatten Pacht und Taddicken die

Idee einer Buddy-Komödie über den Piraten Klaus

Störtebeker und seinen Freund Gödeke Michels –

Zwölf Meter ohne Kopf. »Ich dachte am Anfang, wir

machen den ersten relevanten Piratenfilm nach 50

Jahren«, so Taddicken. Daß das Gespann nach der

Taddickens Filme bewegen sich irgendwo zwischen Muppet-Show und Cassavetes. Eine ziemlich verrückte Familie tummelt sich

in Mein Bruder, der Vampir. Die Kamerafrau Daniela Knapp hat fast alle seine Filme fotografiert.

xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 99

Page 100: cinearte XL 011

Porträt | Sven Taddicken cınearte XL 011

100

Fluch-der-Karibik-Trilogie die Produzenten noch

begeistern konnte, spricht für das Vertrauen, das

Wüste Film dem Regisseur nach Emmas Glück

entgegenbringt.

Es ist seine erste Großproduktion – das Budget

liegt bei mehr als sechs Millionen Euro. Taddicken

sagt trotzdem, die Arbeit fühle sich frisch an wie

beim Vampir. Aber er muß bei einem Film, den

Warner Brothers herausbringen wird, auch auf sei-

ne Professionalität bauen, die er bereits in Auf-

tragsproduktionen wie Braams unter Beweis ge-

stellt hat. »Wir hatten immer 25 Piraten vor der

Kamera, auf See. Da ist es völlig okay, daß mir ge-

sagt wurde: Sven, mach doch noch mal einen

Test«, sagt er gelassen. Nur Kompromisse bei sei-

ner Vision will er nicht machen. »Das Schlimmste

wäre, die Kontrolle über einen meiner Filme zu

verlieren. Da bin ich zäh.«

Seine Vorstellung ist tatsächlich ziemlich ver-

rückt und ziemlich vielversprechend: »Da geht es

um die Sehnsucht nach einem alternativen Le-

bensgefühl – wie in einem besetzten Haus zu le-

ben. Ich habe den Schauspielern gesagt, Mensch,

eigentlich seid ihr wie eine Punkrockband. Und

jetzt hat der eine ein Mädchen gefunden, er will

seßhaft werden. Sein Freund hat eher Vorbilder

wie Kurt Cobain und Sid Vicious und sucht lieber

den Drogentod als das langweilige Leben an

Land.« Ronald Zehrfeld spielt den verliebten Stör-

tebeker, Matthias Schweighöfer seinen punkigen

Kumpel – die Wiederaufnahme des Mythos wird

auch noch mit viel Pop unterlegt.

Wild sind nicht nur diese Aussichten, auch der

Dreh auf hoher See war ungewöhnlich. Drei klas-

sische Koggen kamen zum Einsatz, das Deck wim-

melte vor Schauspielern – und trotzdem kam der

Film ohne Nachdreh ins Dock, bei den Vorberei-

tungen hatte die Crew schon alles erlebt. »Richtig

abbrechen bei Windstärke 6 mußten wir nur ein-

mal beim dritten Testdreh. Ich habe es überstan-

den, ohne über der Reling zu hängen. Meiner Ka-

merafrau Daniela ging es schlechter, aber sie kam

tapfer zurück. Das war schon eine Grenze.«

Taddicken schneidet derzeit, vom Film zeigen

kann er nichts, aber sein Ziel bleibt auch hier das

Gleiche: »Die Leute sollen danach das Gefühl ha-

ben, daß sie alte Freunde anrufen müssen.« Er will

die Leute zum Reden bringen, dabei läßt er selbst

am liebsten seine Filme sprechen. Am Ende des

Gesprächs noch die biografische Spurensuche:

Wieso gibt es eigentlich keine Elternfiguren in

seinen Filmen? Ja, die existentialistischen Figuren

hätten mit seiner Biografie schon zu tun, sagt

Taddicken dann. Seine Eltern hätten ihn stets

unterstützt, aber da gab es auch »die typische

68er-Erziehung: Sven kriegt lieber keinen Klavier-

unterricht, dann bekommt er eher Lust, zu spie-

len.«

Zu dieser Seite der Erziehung hat er heute ein

schwieriges Verhältnis – ganz anders als zu den

Peanuts über dem Bett. Aber beides hat mit seinen

Filmen zu tun. »Vielleicht sind meine Filme des-

halb laut und bunt. Da ist eine Sehnsucht, klar zu

kommunizieren.«

Eigentlich war Klaus Störtebeker ja Punkrocker, dachte sich

Taddicken und machte sich daran, den »ersten relevanten

Piratenfilm nach 50 Jahren« zu drehen. Vom Plan bis zur

ersten Klappe dauerte es aber acht Jahre.

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Film

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Page 101: cinearte XL 011

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Page 103: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Abspann | Letzte Bilder

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Abspann

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f-

Das Appartement

USA 1960

Regie Billy Wilder

Drehbuch Billy Wilder und I. A. L. Diamond

Kamera Joseph LaShelle

Szenenbild Alexander Trauner

Maske Harry Ray

Montage Daniel Mandell

Musik Adolph Deutsch

Produktion Billy Wilder

xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 103

Page 104: cinearte XL 011

Lange Zeit war der Vorspann nur eine Folge

von Texttafeln, die auflisteten, wer am Film so

mitgearbeitet hatte. Allmählich erhielten sie

mehr und mehr dekorative Elemente. Heute ist

ein gelungener Vorspann ein eigener Kurzfilm,

der in Stimmung und Stil des Hauptwerks

einführt. Das ist das Werk von Spezialisten –

genannt werden sie allerdings oft nicht einmal

im Abspann. Bis jetzt.

Abspann | Vorspann cınearte XL 011

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Page 105: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Abspann | Vorspann

105

Kaum ein Film hat wohl den unsichtbaren Geist seiner Zeit so ins Bild gefaßt ohne da-

bei modisch zu werden wie Norman Jewisons Thomas Crown ist nicht zu fassen von 1968.

Schon Stab und Besetzung verraten (zumindest im Rückblick) die Bedeutung der seltsa-

men Kriminalkomödie: Steve McQueen und Faye Dunaway in den Hauptrollen, Haskell

Wexler an der Kamera, Hal Ashby im Schneideraum, Musik von Michel Legrand und der

Vorspann von Pablo Ferro.

Wie so viele seiner Zunft kam auch Ferro von den unbewegten Bildern zum Film. Als Ju-

gendlicher war er mit seiner Familie nach New York emigriert und begann seine Karriere

als Comiczeichner, ehe er dann Werbung in einem Animationsstudio machte. Sein erster

Filmvorspann ließ ihn schlagartig berühmt werden: Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die

Bombe zu lieben. Regisseur Stanley Kubrick sollte ihn später auch für A Clockwork Orange

engagieren. Dazwischen schuf Ferro aber die Titel zu dem Film, der zu seinem eigenen Stil

paßte wie kein anderer. Jewison nutzte intensiv die Split-Screen-Technik, um den perfekt

geplanten Bankübefall darzustellen: Parallel ablaufende Handlungsstränge sind in kleinen

Fenstern eingeblendet. Dazu kommen mehrere extreme Tempowechsel – darunter auch

der mit 55 Sekunden längste Filmkuß seiner Zeit. All das griff Ferro mit seiner Vorspann-

arbeit (in der sein Name sogar auftaucht) auf und experimentierte als einer der ersten mit

schnellen Schnittabfolgen. Bildkader unterschiedlicher Größe mit Szenen aus dem Film

schweben über eine schwarze Oberfläche, ändern Farbe und Größe im Rhythmus der Mu-

sik. Diese Art, mehrere Bilder zu einer Collage in einem Frame zusammenzustellen, wur-

de schließlich zu Ferros Markenzeichen. Jan Fedesz

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Page 106: cinearte XL 011

Abspann | Mein Arbeitsplatz cınearte XL 011

106

Wie arbeitet man eigentlich für den Film? Wir fragten die Kostümbildnerin Bettina Marx.

»Jede neue Produktion bekommt bei mir eine bestimmte Farbe, in der ich Notizbuch und Ordner aussu-

che. Ich muß mich in diesen Ordnern ›zu Hause‹ fühlen, das ist mein mobiles Büro für den jeweiligen

Film. Was unabdingbar ist, ist mein rotes Mäppchen von ›Interflug‹ – ein Necessaire-Täschchen aus der

DDR, das schon auseinanderfällt. Bei einer normal budgetierten Produktion fange ich in der Regel fünf

Wochen vor Drehbeginn an. Ich arbeite mit einer Assistentin. Am Set gibt es später noch zwei Gardero-

bieren. Vor Drehbeginn führe ich lange Gespräche mit Regisseur und Szenenbildner und vertiefe mich

tage-, manchmal wochenlang in Bilder, Filme und Fotos zum Thema. Später treffe ich die Schauspieler,

nehme Maß. Zusammen versuchen wir, uns dem Erscheinungsbild ihrer Rolle anzunähern. Das Leitbild

ist mit dem Regisseur schon vorab besprochen. Beim ersten Lesen des Drehbuchs sehe ich den speziel-

len Typen, seinen Charakter in der Regel schon vor mir. Bei ernsten Stoffen etwa halte ich mich mehr am

Fotorealismus – ich habe eine umfassende Sammlung an Büchern, Foto-, Mode- und Kostümbüchern,

aber auch an Modemagazinen und Illustrierten.

Für Komödien kann man schon mal deftig überzeichnen, die Figuren in einer satirischen Form ver-

fremden. Da sind auch Geschmacklosigkeiten erlaubt, zu enge Klamotten, man kann auch richtig in die

Farbe gehen. Dagegen wird dem Drama schon mal eher Farbe entzogen. Für die Typisierung mache ich

Collagen wie beim Theater – A3-Blätter mit Skizzen, Fotoausschnitten, Materialien, Farben.

Wenn ich fürs Theater arbeite, lasse ich viel nähen, weil ich es liebe, mit Stoffen umzugehen, zu fär-

ben und mir Schnitte auszudenken. Beim Film dagegen hat man dafür oft keine Zeit, da besorge ich viel.

Man kauft, trödelt, leiht, man holt aus seinem Fundus. Teilweise geht man an den Schrank der Schau-

spieler und sucht sich die eine oder andere Sache raus. Bei Schuhen achte ich darauf, daß sie nicht neu

sind, sondern getragen. Dann gehe ich durch die Läden, die Kleidung passend zum jeweiligen Typus ha-

ben könnten. Da habe ich ein Adressenverzeichnis, aufgeteilt nach Bezirken und Angebot.

Bei der Filmvorbereitung stehe ich um halb sieben Uhr auf und düse meist noch bis 20 Uhr durch die

Geschäfte. Abends müssen dann die Quittungen sortiert werden, ich gehe noch mal die Ständer durch –

sortiere die Kleidung neu, bereite die Anproben vor, drapiere Kostüme auf Kleiderpuppen vorm Spiegel,

überprüfe meine Ideen, Formen, Farbe. Beim Dreh selbst kommt es für meine Arbeit darauf an, was im

Bild ist. Wenn die Kamera beispielsweise ein Dekolleté fokussiert, ist die Auswahl des Büstenhalters ent-

scheidend. Wenn er nicht sichtbar ist, ist er Formgeber, das ist genauso wichtig. Sieht man ihn, muß ent-

schieden werden: Paßt er zum Typ der Frau, ist er neu, bewußt gewählt, oder ist er Alltag, hat er ausge-

leierte Träger, ist er schon fünfzig Mal in der Waschmaschine gewesen?

Für Frauen fällt einem immer etwas ein, um tausend Typen zu differenzieren. Es ist schwieriger, eben-

so viele Männer gegeneinander abzusetzen. Wie viele Arten von Männerbekleidung gibt es? Unterhem-

den, T-Shirts, Pullover, Oberhemden – mit Krawatte, ohne Krawatte – Pullover drüber, Pullunder, Anzug.

Abendanzug. Selten Farben. Männermode ist begrenzt in ihrer Ausdrucksform. Da würde ich wahnsin-

nig gerne mal die Zeit von Arthur Conan Doyle um 1880 herum ausstatten. Bei den Frauen war die Tur-

nüre Mode, der Körper war extrem geschnürt und ›verformt‹. Und auch die Männermode war körperbe-

tont und vielfältiger.«

Protokoll und Foto Karolina Wrobel

Mein Arbeitsplatz

xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 106

Page 107: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Abspann | Mein Arbeitsplatz

107

Eigentlich hatte Bettina Marx, Jahrgang 1960, kein großes Interesse am Film. Sie ging lieber ins Theater. Deshalb studierte sie

Theaterwissenschaften an der FU Berlin. Von der Theorie drängte sie ihr Mitbewohner in die Praxis, an die Berliner Schaubühne.

Dort arbeitete sie als Abend-Ankleiderin für Peter Steins Orestie und begann 1982 ein Volontariat bei Moidele Bickel, betreute die

Proben, fertigte Schwertgehänge und Masken an. Bald zog es sie als Assistentin ans Stuttgarter Staatstheater, dessen Mitarbeiter

der SWR anwarb. So stattete sie die schwäbische Serie Der König von Bärenbach aus. Ein Kinofilm brachte die berufliche Wende:

Lost Killers von Dito Tsintsadze. Fünf Jahre später gab’s die erste Auszeichnung – mit Mein erster Freund, meine Mutter und ich

gewann Marx 2004 den »Deutschen Fernsehpreis«, 2006 dann den »Deutschen Filmpreis« für Hans-Christian Schmids Requiem.

xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 107

Page 108: cinearte XL 011

Abspann | Statistik cınearte XL 011

108

Prämien, die bei den »Oscars« an Nominierte und Preisträger vergeben werden, in Euro 0

Prämien beim »Deutschen Filmpreis« für Nominierte und Preisträger in Euro 2 845 000

Kategorien beim »Deutschen Filmpreis« 15

Davon für »künstlerische Einzelleistungen« jenseits der Kameralinie 8

Ständige Kategorien bei den »Oscars« 24

Davon für »künstlerische Einzelleistungen« jenseits der Kameralinie (ohne »Bestes Lied«) 12

Fernsehzuschauer ab drei Jahren in Deutschland, die sich in diesem Jahr ab 2:30 Uhr

die »Oscar«-Verleihung ansahen 540 000

Zuschauer, die im vergangenen Jahr freitagabends ab 21:45 in der ARD die Verleihung

des »Deutschen Filmpreises« verfolgten 1 980 000

Anteil deutscher Produktionen an den Kinofilmen, die 2007 in Deutschland angelaufen

sind, in Prozent 36

Marktanteil des deutschen Films 2007 nach Besuchern in Prozent 18,9

Anteil deutscher Produktionen an den Kinostarts 2008 in Prozent 39

Marktanteil des deutschen Films 2008 nach Besuchern in Prozent 26,6

Marktanteil im »Rekordjahr« 2004 in Prozent 23,8

Besucherzahl deutscher Filme 2004 in Millionen 36,7

Besucherzahl 2008 in Millionen 33,9

Davon Zuschauer, die Keinohrhasen, den erfolgreichsten Film des Jahres 2008, sahen, in Millionen 4,9

Zuschauer bei Keinohrhasen insgesamt in Millionen 6,3

Kategorien, in denen Keinohrhasen für den »Deutschen Filmpreis« nominiert ist 0

[1 | 5-6] Academy of Motion Pictures Arts and Sciences [2-4 | 18] Deutsche Filmakademie [7] DWDL [8] ARD [9-17] Filmförderungsanstalt

Die Welt in Zahlen

xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 108

Page 109: cinearte XL 011

cınearte XL 011 Abspann | Lexikon

109

Independent – da schweift ein Hauch von Hippieness und Underground durch den Raum. Bunt be-

malte VW-Busse, fröhlich-gelockte Mädchen mit Blumen im Haar und coole Jungs mit glasigem Blick,

die später mal so ganz nebenbei freundliche Computer erfinden werden oder den koffeinfreien Latte

macchiato. Nicht fürs Geld, sondern wegen der tollen Idee. Kunst der Kunst wegen.

Soweit der Mythos. Genau genommen war Hollywood selbst ja das Ergebnis einer Independent-Be-

wegung – weg von der Ostküste und der Kontrolle durch Edisons Kartell. Gemeinhin versteht man heu-

te unter »Indies« die Filme, bei denen keines der sechs großen Studios die Finger in Produktion und Ver-

trieb hat – »mit geringem Geldeinsatz und unter hohem Zeitdruck hergestellt, dafür gehen sie kreativ mit

ihren Geschichten um und erzählen, ohne den Hollywood-Erzählmustern zu folgen«, nährt auch die Wi-

kipedia den Mythos von den Indies. Tatsächlich sind sie entstanden, weil künstlerische und finanzielle

Vision nicht immer zusammenpassen wollten, und mancher sich andere Geldgeber suchte. Schon 1919

hatten darum Charles Chaplin, D. W. Griffith, Douglas Fairbanks und Mary Pickford United Artists ge-

gründet. Orson Welles holte sich sein Geld in Europa (oder arbeitete seine Schulden als Schauspieler und

Regisseur ab). Und dann gab es natürlich die amerikanischen Autorenfilmer wie Stanley Kubrick oder

John Cassavetes, die das »New Hollywood« so beeinflußten. Aber damals wußte man noch nichts von

»Independents«, denn der Begriff entstand erst in den 1980er Jahren, als die nächste Generation sich an

die Filmarbeit machte und bekannt wurde: Nachdem Jim Jarmusch, Spike Lee, Steven Soderbergh oder

Quentin Tarantino mit kleinen Werken große Kasse machten, kauften sich auch die großen Studios flugs

eine Indie-Tochter. Zumal die bei ihren Produktionen nicht an die Gewerkschaften gebunden ist.

Mit dem Budget aber hat es weniger zu tun. Filme wie Shakespeare in Love kosteten mehr als manche

europäische »Großproduktion«. Oder Der Herr der Ringe von New Line produziert – eine Tochter von

Warner Brothers. Und dann denke man nur an den größten Independent-Filmer von allen, der bis heu-

te tun und lassen kann, was er will: George Lucas hat um seine Krieg-der-Sterne-Trilogien eine Galaxie

aus Studios und Firmen gebaut, um sich die kreative Unabhängigkeit zu sichern.

Mit dem Erfolg nämlich kommt auch die Mißgunst – ob begründet oder nicht. Bestes Beispiel ist das

Sundance Festival, von »New Hollywood«-Ikone Robert Redford einst als Forum für den unabhängigen

Film gegründet. Bald war das einigen schon wieder zu mainstreamig. Heute gibt es am gleichen Ort zur

gleichen Zeit eine Gegenveranstaltung: Slamdance. Carlo Vivari

IIndies

xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 109

Page 110: cinearte XL 011

Das vollkommene irdische Glück des Günter

Rohrbach muß man sich wohl so vorstellen: Er

sitzt in einem Kinosessel um das Jahr 1920 in

einem Hotel in Singapur und redet über Dreh-

bücher. Solche für Schwarzweiß-Filme vermut-

lich, denn das sei seine Lieblingsfarbe. So hat er es

zumindest der Frankfurter Allgemeinen Zeitung

vor 15 Jahren in ihrem berühmten Fragebogen er-

klärt.

Vielleicht schwingt da auch ein wenig Kokette-

rie mit, wenn der Produzent den italienischen

Filmregisseur Frederico Fellini als seinen Lieb-

lingsschriftsteller nennt und den deutschen Film-

regisseur Wim Wenders als liebsten Lyriker. Aber

die Begeisterung fürs Kino ist bei Günter Rohr-

bach nicht zu übersehen. Dafür hat er sich oft und

deutlich zu Wort gemeldet, wenn es zum Thema

etwas zu sagen gab. Über den Standpunkt mochte

man da bisweilen streiten (was er zuletzt mit

Deutschlands Filmkritikern und mit Volker

Schlöndorff gerne tat), aber die Auseinanderset-

zung mit den Argumenten und Erfahrungen lohnt

sich.

Da paßt es, wenn zum 80. Geburtstag im vori-

gen Oktober die Deutsche Filmakademie die ge-

sammelten Werke ihres Präsidenten als Buch her-

ausgegeben hat. 64 Zeitungsartikel, Reden und

Aufsätze aus einem halben Jahrhundert sind da

auf über 300 Seiten versammelt. Das ist nicht ein-

fach eine Zettelsammlung, die einer über der

Druckmaschine ausgeleert hat, sondern ist von

Hans Helmut Prinzler sauber (und beinahe möch-

te man sagen: liebevoll) aufbereitet. Und es lohnt

sich allemal. Schließlich hat der Produzent bereits

als Redakteur Mut zum Wagnis gezeigt – ohne ihn

wäre die Miniserie Holocaust damals vermutlich

nicht ins deutsche Fernsehen gekommen.

Über Filmberufe, das Kino, das Fernsehen, Hol-

lywood, Das Boot und über Filmschaffende hat

sich Rohrbach oft und gerne geäußert. Das Meiste

ist auch heute noch interessant – vor allem solche

anekdotenhaften Randberichte, wie der von der

Reise ins ehemalige Stalingrad zwecks Vorberei-

tung von Joseph Vilsmaiers gleichnamigem Film.

Manches ist immer noch gültig, und alles wunder-

bar zu lesen – als ein so kurzweiliger wie informa-

tiver Spaziergang durch vier Jahrzehnte bundes-

deutscher Film- und Fernsehgeschichte.

Der Fragebogen für die FAZ ist im Anhang übri-

gens auch dabei. Carlo Vivari

Schwarzweiße Lyrik

Günter Rohrbach: Texte über Film und Fernsehen | Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2008 |

ISBN 978-3-86505-186-8 | 24 Euro

Abspann | Buch cınearte XL 011

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cınearte XL 011 Abspann | Musik

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Nicht erst seit dem Boom von Bollywood sind

Musik- und Filmindustrie eng miteinander ver-

knüpft. Doch was da geboten wird, ist für ein west-

liches Gehör und den dazugehörigen Bewegungs-

apparat nur schwer zu durchdringen. Das

erkannte auch der britische Filmemacher Danny

Boyle, weshalb er für die Vertonung seines Slum-

dog Millionär den Komponisten Alla Rakha Rah-

man engagierte. Kein anderer indischer Musiker

versteht sich so darauf, die indische Tonsprache

mit populärer Musik westlicher Orientierung zu

vereinen. Heraus kam eine Art Weltmusik.

In 13 Tracks gliedert sich der Soundtrack, für

deren Song Jai Ho und den Filmscore Rahman mit

zwei »Oscars« bedacht wurde. Allen Stücken ge-

meinsam sind die rhythmischen Grundthemen

und die Melodiestrukturen: Während letztere den

klassisch indischen Phrasierungen mit ihren zahl-

reichen Auf- und Abwärts-Glissandi folgt und an

die ursprüngliche Vokalmusik anknüpft, ist der

Rhythmus konventionell westlich geprägt – Syn-

thesizer-Schlagzeug im Hip-Hop-Beat, mit Rhyth-

musmontage oder, seltener, mit klassischen Zähl-

zeiten lassen die vielschichtigen Melodien

verständlicher erscheinen und bleiben als Film-

musik erfahrbar. Zudem durchzieht Rahman seine

Kompositionen mit Geräuschkulissen und arbei-

tet mit Lautsprache: In O… Saya wird das Schlag-

zeug zum pneumatischen Werkzeug, das Crescen-

do schwillt parallel zum schneller werdenden

Tempo an – die Klangelemente ziehen am Ohr

vorbei wie ein fahrender Zug, was ein wiederkeh-

rendes Motiv auch im Film ist. Die Zusammenar-

beit mit der englischen Rapperin M.I.A. und die

musikalischen Grime-Einflüsse geben dem einen

hörbar jüngeren und moderneren Anstrich.

Sphärisch hält es Rahman in der Komposition

Latikas Theme und im Song Dreams On Fire, wo er

die hereinschwebende Frauenstimme mit einer

pulsierenden Synthesizer-Orchestrierung unter-

malt und eine Sitar mit klassischer Gitarre ver-

webt. Experimental wird es in Liquid Dance, wo er

das Gefüge zwischen Rhythmus und Melodie zer-

fallen läßt, nur um es so zerfranst wieder einan-

einderzubauen. In Gangsta Blues dagegen setzt er

ganz auf das Klischee der Hip-Hop-Gangster aus

der Bronx, denen so mancher Kleinkriminelle in

Mumbai nacheifert – im harten Beat der Drums,

dafür mit Hindu-Rap. Tatsächlich ist die Filmkom-

position eine Vereinbarmachung zwischen ver-

schiedenen Kulturen – eine Fusion jenseits verein-

heitlichendem Multikulti. Karolina Wrobel

Hindi Hip to the Hop

Alla Rakha Rahman: Slumdog Millionär | Interscope | B001NH4KPA

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Abspann | Musik cınearte XL 011

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Vom Krieg erzeugte Bilder ähneln wohl am we-

nigsten denen einer gewöhnlichen Wirklichkeit –

vielleicht deshalb ist das Kino ein geeigneter Ort,

um sie zu verwahren. In seinem preisgekrönten

Dokumentarfilm Waltz with Bashir erinnert Ari

Folman die eigenen Kriegserlebnisse in animier-

ten Bildern. Die atmosphärisch dichte Musik dazu

komponierte der in Deutschland geborene und in

England lebende Max Richter, der dafür 2008 den

»Europäischen Filmpreis« erhielt.

In wenigen Tagen soll Folman seine Idee

niedergeschrieben und die Vergangenheit mit Hil-

fe der düsteren Musik Richters evoziert haben. Da-

bei muß der Filmemacher wohl auf dessen letztes

Album The Blue Notebook zurückgegriffen haben,

denn viele der zeitgenössischen Kompositionen

finden sich auch auf dem Soundtrack wieder. Gan-

ze 20 wurden zusammengestellt, einzig This Is Not

a Love Song und Enola Gay stammen nicht aus

Richters Feder – der Song von Orchestral Manoeu-

vres in the Dark aus den 1980er Jahren verweist

namentlich auf den B-29-Bomber, der die erste

Atombombe über Hiroshima abwarf. Dabei hat

Richter für Waltz with Bashir eigene Stücke ge-

schaffen, die ähnlich auf einen kriegerischen Kon-

text verweisen: Wie etwa im Stück jsp/rpg, in dem

er sich auf einen universell einsetzbaren Panzer-

abwehr-Granatwerfer beziehen mag und dabei

den Filmtitel am deutlichsten umsetzt: Das kleine

Streicherensemble zupft im Dreivierteltakt einen

Walzer, während Richters Spiel am Klavier kontra-

stierend dazu an eine Bachsche Fuge erinnert. Am

stärksten ist jedoch die Verbindung zur sakralen

Musik in Iconography, wo Richter ein einzelnes

Orgelspiel mit Hall derart verwischt, das es sich als

sphärischer Klang im Raum zu verlieren scheint.

In The Haunted Ocean schließlich breitet er ei-

nen sonoren Klangteppich mit einer breiteren Or-

chestrierung aus, läßt aber eine einzelne Geigen-

stimme in den Vordergrund treten. In auf- und

absteigenden Tonhöhen ahmt sie Meereswogen

nach. Überhaupt arbeitet der Komponist mit äu-

ßerst reduziertem Arrangement, fast minimalis-

tisch erinnert es an Thomas Newman oder Mi-

chael Nyman, obwohl Richter kein Filmkomponist

ist. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß er

eine recht klassische Orchestrierung behält, sie je-

doch mit Klangphänomenen durchbricht. Am

deutlichsten in Shadow Journal, wo ein Schreib-

maschinentippen das Tempo vorgibt. Hier rezi-

tiert niemand geringeres als Tilda Swinton aus

Franz Kafkas Oktavheften. Karolina Wrobel

Kriegsmalereien

Max Richter: Waltz With Bashir | Emi | B001HVB4VK Fot

os:

Pan

dora

|Arc

hiv

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cınearte XL 011 Abspann | Tip 5

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Nur weil Ostern ist, sollten wir nicht dem Hasen trauen. Einem Kaninchen schon gar nicht.

Fünf Warnungen vor hinterlistigen Langohren.

Mein Freund Harvey [USA 1950]. Eine Welt mit solch einem Film kann nicht gänzlich

schlecht sein: James Stewart gibt einen liebenswerten Herren mit einem ernsthaften Al-

koholproblem, dessen bester Freund ein zwei Meter (und neun Zentimeter) großes, un-

sichtbares Kaninchen ist. Alles klar? Stewart selbst fand das Ganze allzu niedlich, doch

hinter der sentimentalen Fassade steckt eine knallharte Abrechnung mit sozialen

Zwängen und Intoleranz. Sicherlich der beste Film über Alkoholiker und menschliche

Kaninchen aller Zeiten.

Die Ritter der Kokosnuß [Großbritannien 1975]. Zeit und Raum und Requisiten gera-

ten aus den Fugen in der ultimativen Fassung der Artus-Sage, in der Ritter in Ermange-

lung von Pferden die titelgebenden Kokosnüsse schlagen lassen, um wenigstens Huf-

getrappel zu erzeugen, und lebenswichtige Fragen sich um das Flugvermögen von

Brieftauben drehen. Ganze Partyabende sind erfolgreich damit verbracht worden, sich

gegenseitig die Szenen nachzuerzählen, in denen Tiere dubiose Rollen spielen. Wie je-

nes tödliche Kaninchen, das den Heiligen Gral beschützt. Das muß man lustig finden.

Wallace und Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen [Großbritannien

2005]. Ein wilder Ritt durch den Grusel- und viele andere Filme und außerdem very bri-

tish ist die Begegnung von Herr und Hund mit dem unvorstellbaren Grauen. Die be-

rühmtesten aller Knetmännchen hatten es ja schon mit den perfidesten Bösewichten

zu tun und machten ihnen in Kurzfilmzeit den Garaus. In ihrem ersten abendfüllenden

Spielfilm begegnet ihnen die vegetarische Variante eines Werwolfs. Trotzdem nicht

harmloser.

Ekel [Großbritannien 1965] So kann’s gehen, wenn man mit seiner Sexualität nicht

richtig klarkommt, warnte Roman Polanski in seinem ersten englischen Film und

steckte ausgerechnet Belle de Jour Catherine Deneuve mit einem Kaninchenkadaver in

ein Appartement. Sehr symbolisch, aber vielleicht nicht ganz das Richtige für Zuschau-

er, die sich unter einem Horrorfilm vor allem Teenager vorstellen, die in Streifen ge-

schnitten werden: Polanskis Andeutungen gehen tiefer als jede Kettensäge – und wir-

ken länger.

Donnie Darko [USA 2001]. Klasse Film – aber worum geht’s eigentlich? Das weiß der

Titelheld selbst nicht, als er knapp dem Tode entkommt und fortan Visionen von einem

äußerst böswilligen Riesenkaninchen hat – und nur noch 28 Tage, um die Welt zu ret-

ten. Die Orientierungslosigkeit irgendwo zwischen Existentialismus und Geisteskrank-

heit wirkt lange nach. Übrigens auch beim Film selbst: Im Kino lief er mäßig, erst als Vi-

deo wurde er zu einem der wenigen Werke, die sich heute noch den Begriff »Kult«

verdient haben.

Harmlose Gesellen

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Abspann | Rätselraten cınearte XL 011

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LebensweisheitenWeniger ins Kino gehen und lieber ein gutes Buch lesen? Die Weisheiten des Lebens lauern

mitunter da, wo man sie am wenigsten vermutet.

Vermutlich reitet den Juraprofessor der Teufel, als er sich darauf einläßt, den Hörsaal seiner Universität

zu verlassen, um im Gerichtssaal einen angeblichen Sexualmörder zu verteidigen. Vielleicht ist er aber

auch nur die ständigen Sprüche über Akademiker im Elfenbeinturm satt. Jedenfalls erwidert er darauf

recht ungehalten und sinngemäß:

WWaarruumm nnuurr mmeeiinntt jjeeddeerr,, ddaass wwaahhrree LLeebbeenn sseeii üübbeerraallll,, bbllooßß nniicchhttaann ddeerr UUnniivveerrssiittäätt??

Wir wollen wissen: Aus welchem Meisterwerk der Kinematografie stammt dieses Zitat? Wenn Sie die Ant-

wort wissen, schreiben Sie sie bitte auf eine hübsche Postkarte und senden Sie das Ganze an: cinearte –

Peter Hartig, Friedrichstraße 15, 96047 Bamberg.

Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung 15 Mal

je eine DVD aus der Reihe »Screwball Comedy – Hollywoods schönste

Beziehungskomödien«.

Einsendeschluß ist der 20. März. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen (das

müssen wir schreiben).

Wonach wir in der vorigen Ausgabe gefragt hatten? Spiderman. Fot

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