cinearte XL 011
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XL
Das Magazin für Filmschaffende
011 März 2009 | 5 Euro
4 196651 805005 900114 196651 805005 90011
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Zum Geleit
3
Von Lyon über New York nach Istanbul jagt Tom Tykwer seinen
International um die Welt. Kai Wessels Hilde zieht es von Berlin nach
Hollywood und wieder zurück – gedreht unter anderem auch in
Südafrika. Und gerade ist in unseren Kinos Florian Gallenbergers
Geschichte vom guten Nazi in China angelaufen: John Rabe wurde
an Originalschauplätzen gedreht. Derart aufwendige Produktionen
gab es zwar auch vor zehn Jahren schon zu sehen, selbst im Kino.
Aber allmählich scheinen sie normal zu werden. Und daß es bei all
diesen prächtigen Ausstattungsstücken auch noch die ganz norma-
len, »kleinen« Themen gibt, zeigt eine bezaubernde Bandbreite des
Filmschaffens.
Ein Grund dafür wird laut betrommelt: Der Deutsche Filmförder-
fonds sei es, der große Produktionen ins Land hole, einheimischen
Filmemachern den Mut und das Geld gebe, ebenfalls Großes zu wa-
gen, und die hiesige Kinoindustrie stärke. Fördereffekte um die 632
Prozent erziele dieser Fond – ein Bespiel für gelungene Wirtschafts-
förderung!
Nun sollte man generell mißtrauisch sein, wenn für Fonds mit
dreistelligen Prozentzahlen geworben wird. Und wer eine Vorstel-
lung von den Vorlaufzeiten einer Filmproduktion hat, kann sich vor-
stellen, daß manches Drehbuch schon älter ist als der Fördertopf.
Schön ist es aber, wenn Geld und Geist zusammenkommen. Damit
alle Filmgewerke zeigen können, zu was sie imstande sind. Und die
Zuschauer das auch sehen.
Herzlichst, Ihr
Liebe Leser,
Fot
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Impressum
Ausgabe 011 vom31. März 2009.
Anschrift: cınearte Peter Hartig,Friedrichstraße 15, 96047Bamberg.
Redaktion: Peter Hartig (verant-wortlich), Tel. 0951-2974 6955.
Anzeigen: Michael Wesp-Bergmann (verantwortlich),Tel. 089-5529 8563.
Redaktionsschluß ist vierWochen vor Erscheinen derAusgabe.
Für unverlangt eingesandteManuskripte und Fotos über-nehmen wir keine Haftung.Namentlich gekennzeichneteArtikel entsprechen nichtunbedingt der Meinung derRedaktion. Nachdrucke, auchauszugsweise, nur mit Ge-nehmigung der Redaktion.Gerichtsstand ist Bamberg.
Es gilt die Anzeigenpreisliste 8vom 1. Januar 2009.
Mitarbeiter dieser Ausgabe:Hans-Günther Dicks, JanFedesz, Sabine Felber,Christoph Gröner, Uli Hanisch,Connie van Opeln, MaxRomero, Michael Stadler, IanUmlauff, Carlo Vivari, KarolinaWrobel.
Soundtrack bei der Erstellungdieser Ausgabe mit wehmütigemBlick zurück: Paolo Conte»Dancing« (LDX, 274834); TheStyle Council: »Café Bleu«(Polydor, 8175351); Yes: »Closeto the Edge« (ATL, 50012).
Layoutkonzept: Jana Cerno,www.cernodesign.de.
Druck: Creo-Druck, 96050Bamberg
Vertrieb Einzelverkauf: VUVerlagsunion KG, 65396 Walluf
cınearte XL erscheint viermaljährlich und wird herausgegebenvon Peter Hartig in Kooperationmit www.crew-united.com.Der Einzelverkaufspreis beträgt5 Euro.
Diese Ausgabe wird allenMitgliedern der Filmberufs-verbände BVK und SFK imRahmen ihrer Mitgliedschaftohne besondere Bezugsgebührgeliefert. Keine Haftung bei Stö-rung durch höhere Gewalt.
cınearte XL wird gefördert vonder Kulturwerk der VGBild Kunst GmbH, Bonn.
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:14 Uhr Seite 3
Inhalt
Der Regisseur Sven Taddicken sieht so nett aus,
daß wir ihn auch in unsere Küche lassen würden.
Aber achten Sie auf Seite 96 mal auf sein T-Shirt.
011 | März 2009
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18 Zwischen zwei Welten
Im Kino bekam Jolanta Dylewska die Antwort auf Fragen, die sie sich nie zu stellen traute.
Weshalb sie gleich dort blieb.
40 Die letzte Diva
Dafür kann man ja schon mal singen lernen: Mit aufwendigen Kulissen und viel Rauch
in der Stimme kommt die Knef noch einmal auf die Leinwand.
54 Schattenspieler
Wenn bei den Berliner Filmfestspielen alle nur Augen für die Leinwand haben, ist im
Projektionsraum wohl alles richtig gelaufen.
62 Spiel mit der Angst
Kaum Platz, wenig Zeit – damit macht das Kino seine Sachen seit Ewigkeiten spannend.
David Fincher machte es im Panic Room noch ein bißchen spannender.
80 Filmarchitektur
The International spielt in den virtuellen Welten der globalisierten Wirtschaft.
Das Szenenbild fand Uli Hanisch ganz konkret in deren Palästen.
96 Klare Sicht
Sven Taddicken ist ein zurückhaltender Mensch. Seine Filme gar nicht.
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:14 Uhr Seite 4
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www.camelot-berlin.de
Wir sind d
abei: Dig
italeCine
matograp
hie 2009
25./26. J
uni in Mü
nchen
Vermischtes
03 Zum Geleit
03 Impressum
06 Wege zum Ruhm
08 Produktion
10 Technik
12 Weite Welt
16 Kalender
35 Auf der Couch
75 Gesetze der Serie
103 Letzte Bilder
104 Vorspann
106 Mein Arbeitsplatz
108 Statistik
109 Lexikon
110 Lesen – Sehen – Hören
113 Tip 5
114 Rätsel
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:14 Uhr Seite 5
Vorspann | Wege zum Ruhm cınearte XL 011
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Foto: Ampas, Michael Yada
GoldigeMännchenDamit jetzt bloß keine Verwechslungen aufkom-
men: Links oben ist der berühmteste Filmpreis der
Welt im Bild, rechts, mit ähnlicher Frisur, freut sich
Jochen Alexander Freydank. Der 41jährige Regis-
seur hat neulich bei den »Oscars« gewonnen.
Das haben leider nicht ganz so viele bemerkt,
obwohl die Preisgala der Filmakademie von Holly-
wood rund um die Welt im Fernsehen übertragen
wird und die Kategorie für den besten fremdspra-
chigen Film inzwischen so eine Art Weltmeister-
schaft der Kinematografie ist, für die von Jahr zu
Jahr mehr Vorschläge eingereicht werden.
Freydanks Film Spielzeugland war aber nicht
hier nominiert, sondern bei den Kurzfilmen, und
die werden ja leider immer noch nicht so richtig
wahrgenommen. Schade eigentlich, denn mit
Reto Caffis Auf der Strecke, der an dieser Stelle vor
einem Jahr zu sehen war, weil er den »Studenten-
Oscar« gewonnen hatte, war hier noch ein zweites
Werk »Made in Germany« nominiert. Vier Jahre
lang hatte Freydank an seinem 14minüter, der die
Judenverfolgung während der Nazi-Diktatur aus
der Perspektive eines Jungen darstellt, gearbeitet –
die Hälfte der Zeit brauchte er, um die Finanzie-
rung zusammenzubringen. Letztlich konnte der
Film aber nur zustandekommen, weil das Team
umsonst mitmachte: das einfühlsame Drehbuch,
von Freydank und seinem Koautor Johann A. Bun-
ners hatte alle gepackt.
So ein bißchen konnte sich das Filmland auch
bei den anderen Kategorien auf die Schulter klop-
fen. Die englische Schauspielerin Kate Winslet er-
hielt ihren »Oscar« für Der Vorleser, der in Görlitz,
Köln und Babelsberg gedreht wurde. Und Slum-
dog Millionär, der große Abräumer des Abends,
war durch Kameratechnik aus Deutschland erst
möglich geworden, wie wir auf der übernächsten
Seite erklären. c
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:14 Uhr Seite 6
cınearte XL 011 Vorspann | Wege zum Ruhm
7
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:14 Uhr Seite 7
Vorspann | Produktion cınearte XL 011
8
Foto: Axel Block
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:15 Uhr Seite 8
cınearte XL 011 Vorspann | Produktion
9
»Die Kälte und Dunkelheit eines Klosters zeigen,
aber dabei nicht diese Farbintensität verlieren, die
man mit dem Mittelalter so verbindet.« Ein kleines
Dilemma, dem sich Axel Block (bvk) aussetzte, als
er die Bildgestaltung für Margarethe von Trotta
übernahm: Vision erzählt Aus dem Leben der Hil-
degard von Bingen und wurde zum Teil in den
Klöstern Maulbronn, Hirsan und Eberbach ge-
dreht. Wegen der Denkmalschutzauflagen durften
neben halogenbrenner-verstärkten Kerzen aus-
schließlich Kaltlichtquellen verwendet werden.
Kreuzgang, Schlafsaal und Refektorium wurden
unterdessen im Kölner Studio aufwendig nachge-
baut. Da hatten auch die Butterfly-Richtgitter von
DoP Choice ihre Premiere. Acht der Gitter in Grö-
ßen von 6 mal 6 bis 12 mal 12 Fuß wurden mit Di-
nolights beleuchtet. Die Lichtqualität des Halo-
genlichts sei dabei den Kaltlichtquellen, vor allem
bei den kritischen Hauttönen, deutlich überlegen
gewesen. Wirklich begeistert hätten ihn aber die
Richtgitter selbst, sagt Block. Weil mit ihnen ohne
zusätzliche Fahnen im Motiv eine Lichttrennung
zwischen Vorder- und Hintergrund erreicht wurde
und weil sie selbst kopfüber straff gespannt auf
dem Rahmen bleiben. Übliche Richtgitter neigen
da zum »Bauchansatz«: Sie hängen durch, und das
weiche Licht wird nicht mehr sauber kanalisiert.
Zudem war die Montage bislang Fummelarbeit.
All das sollen die Soft-Light-Richtgitter von DoP
Choice abschaffen. Firmengründer Stefan Karle,
selbst Kameramann, achtet auf Material und Ver-
arbeitung: Die Stoffstreifen sind einzeln vernäht,
so bleibt alles straff, und es gibt kein Streulicht.
Axel Block jedenfalls will die Gitter bei seinem
nächsten Film auch an Originalmotiven anwen-
den. Weil sie sich auch rasend schnell aufbauen
lassen. Bei der Kombination mit einem Avenger-
Klapprahmen in weniger als einer Minute.
HellesMittelalter
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xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:15 Uhr Seite 9
Vorspann | Technik cınearte XL 011
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Foto: Pille Filmgeräte
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:15 Uhr Seite 10
cınearte XL 011 Vorspann | Technik
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VersteckteKameraDaß Anthony Dod Mantle hier so fröhlich in die
Kamera lächelt, liegt nicht etwa daran, daß er im
Urlaub ist – auch wenn er so aussieht wie ein typi-
scher Rucksacktourist, der sich an exotischen Or-
ten verlaufen hat. Im Rucksack steckt nämlich ki-
logrammweise Arbeit. In dieser Tarnung war das
Kamerateam unterwegs, um Danny Boyles Slum-
dog Millionär an Originalschauplätzen zu drehen.
Das sind die Slums der indischen Stadt Mumbai,
aus denen der Held zum Gewinner einer Quizsen-
dung aufsteigt.
Um inmitten unbedarfter »Komparsen« mög-
lichst echte Bilder zu erhalten, entschied sich Boy-
le fürs »Guerilla-Shooting« – außer der Crew wuß-
te keiner, daß hier gerade ein Kinofilm entstand.
Möglich machte dies das digitalen Kamerasystem
SI-2K, eine Entwicklung der P+S Technik aus Otto-
brunn bei München und der Silicon Imaging in
New York. Wie eine Kinokamera sieht das Aufnah-
megeräte nicht aus. Besser noch: Der Kamerakopf
mit dem 2/3-Zoll-CMOS-Bildsensor, vor den die
Optik montiert wird, kann vom Rest des Systems
getrennt werden. Die eigentlichen Bildverarbei-
tungs- und Aufnahmekomponenten stecken im
Rucksack des Kameramanns. Und was noch zu se-
hen ist, wirkt wie der Camcorder eines Touristen.
Der Wiesbadener Verleih Pille Filmgeräte hatte
mit DIT Stefan Ciupek vier digitale Kamerasyste-
me für die Mission vorbereitet und fürs Klima vor
Ort in der Sauna getestet. Allein zur Kühlung der
digitalen Aufnahmegeräte wurden jeden Tag mehr
als 20 Kilogramm Trockeneis benötigt.
Für die ganz eigene Bildsprache bekam Dod
Mantle denn auch den »Oscar« – einen der acht,
die Slumdog Millionär insgesamt gewonnen hat.
Womit der Überraschungssieger auch das erste
zum Großteil digital produzierte Werk ist, das den
»Oscar« für den besten Film erhielt. c
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:16 Uhr Seite 11
Vorspann | Weite Welt cınearte XL 011
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Erlebnis-Kino
Foto: VEB Filmtheaterbetriebe
So sieht also das Kino der Zukunft aus: Sanftes
Licht aus LED, breite Ledersessel mit Liegeposi-
tion und Fußschemeln, weicher Teppichboden
und auf Wunsch ein Separée. Dazu vom Türsteher
vorbei an den Garderobieren bis zum Platzanwei-
ser eine Rundumbetreuung – den Rotwein holt
man sich natürlich nicht am Schalter, sondern be-
stellt bequem am Platz aus der Karte.
Hinter dem neuen Konzept steckt Hans-Joa-
chim Flebbe, der uns schon die Multiplexe be-
schert hatte. Irgendwann dämmerte dem Großki-
nobetreiber, daß Popcorn und Cola in Fünf-Liter-
Eimern nicht ganz das sind, was er sich unter ei-
nem gelungenen Filmabend vorgestellt hatte, und
er verwirklichte ein weiteres Mal einen Kino-
traum. »Astor Film Lounge« heißt nun passender-
weise, was einst der »Filmpalast Berlin« am Kur-
fürstendamm war.
Das Konzept entstand nach vielen Diskussio-
nen darüber, warum viele Leute nicht ins Kino ge-
hen, berichtet Theaterleiter Jürgen Friedrich, der
seit 20 Jahren im Haus arbeitet und in der Zeit
zwei Komplettrenovierungen erlebte. Das kommt
offenbbar an: Als die Lounge kurz vor Jahreswech-
sel eröffnete, zeigten sich die Feuilletons vor Ort
begeistert. Statt Nachos mit Käsesoße gibt’s hier
Fingerfood vom benachbarten Caterer, statt 470
nur 250 Sitzplätze, aber die mit ordentlich Bein-
freiheit. Weshalb der Eintritt auch gerne ein wenig
mehr kosten darf, die drei Vorstellungen am Tag
aber trotzdem gut besucht sind. Die Zielgruppe sei
»30 plus«, sagt Friedrich, es komme aber »uner-
wartet viel junges Publikum«, um einen etwas an-
deren Kinoabend zu erleben.
Kein Wunder, daß man da schon wieder ein we-
nig größer denkt: Für andere Großstädte hätte das
Konzept durchaus Zukunft, wenn das Ambiente
stimmt. c
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:16 Uhr Seite 12
cınearte XL 011 Vorspann | Weite Welt
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xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:16 Uhr Seite 13
Vorspann | Weite Welt cınearte XL 011
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Foto: Internationale Filmfestspiele Berlin, Andreas Teich
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cınearte XL 011 Vorspann | Weite Welt
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Was haben wir geschwelgt, damals, vor einem
Vierteljahrhundert, als das Licht im Kino erlosch
und uns mit einem Paukenschlag die Sitar um die
Ohren flog. Dann erst öffnete sich der Vorhang,
und David Lean nahm uns mit auf seine letzte
Reise nach Indien. Vermutlich wäre der ganze
Lean nur halb so kurzweilig gewesen, hätte er
nicht soviel Unterstützung auf der Tonspur erhal-
ten. Mit wenigen Takten machte Maurice Jarre
klar, welche Eindrücke den Zuschauer in den
nächsten zwei Stunden erwarten. Manche mei-
nen, er konnte die Seele des Films in wenigen Tak-
ten erfassen. Auf jeden Fall hört er sich toll an.
Schon 1961, als der französische Komponist
und der englische Regisseur zum ersten Mal auf-
einandertrafen und Schneesturm wie Wüsten-
wind gemeinsam trotzten: Jarres Arrangements zu
Lawrence von Arabien waren sein weltweiter
Durchbruch, Lara’s Theme in Doktor Schiwago
wurde ab 1965 zum Ohrwurm. Beide Filme brach-
ten ihm einen »Oscar« ein. Den dritten »Oscar«
gab’s – erraten – für die Reise nach Indien, wieder
mit Lean.
Der Ruhm war schwer verdient: Lean hatte den
Komponisten spät engagiert. Eine ganze Woche
lang mußte Jarre in der Wüste die Dreharbeiten ei-
ner großen Schlacht mitverfolgen, danach in
sechs Wochen die Musik schreiben. Nicht besser
ergeht es ihm drei Jahre später. Für Doktor Schi-
wago dirigierte er 35 Balalaika-Spieler – von de-
nen keiner Noten lesen konnte.
Noch für gut 150 andere Filme hat Jarre die No-
ten geschrieben und damit Kinogeschichte. Zu-
letzt hatte ihn im Februar die Berlinale mit ihrem
»Ehrenbären« versehen. Im Hintergrund applau-
diert Volker Schlöndorff, dem der studierte
Schlagzeuger Die Blechtrommel betonte. Am 29.
März ist Maurice Jarre mit 84 Jahren verstorben.
Bombastmit Gefühl
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xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:17 Uhr Seite 15
Vorspann | Kalender cınearte XL 011
16
Foto: Digitale Cinematographie
xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:17 Uhr Seite 16
cınearte XL 011 Vorspann | Kalender
17
Die Digitaltechnik hat’s ja nicht immer leicht am
Set. Zwar greifen immer mehr Filmemacher auch
nach Geräten, die ihr Bild nicht auf langen Streifen
aus Cellulose-Triacetat aufzeichnen, doch man-
cher gestandene Bildgestalter beäugt die Entwick-
lung noch mit einigem Mißtrauen. Muß er nicht,
darf er aber, meinen die Veranstalter der Ausstel-
lung und Fachtagung »Digitale Cinematographie«,
denn genau dafür laden sie ja am 25. und 26. Juni
ins Forum am Deutschen Museum in München –
inzwischen im siebten Jahr.
Darauf ist das Veranstaltertrio aus Gerhard Bai-
er (Band Pro Munich), Martin Ludwig (Ludwig Ka-
meraverleih) und Martin Kreitl (MK Media Pro-
duction) zu Recht stolz, genauso wie auf die »stetig
wachsenden Besucherzahlen« und die »beständig
steigende Bedeutung« des Branchentreffens. Of-
fenbar haben die Pixel und Datenströme auch ihre
attraktiven Seiten, denn seit vorigem Jahr tagt die
Digitale Cinematographie zweitägig. Trotz alle-
dem, versichert man, habe »das Happening« sei-
nen familiären Charakter bewahrt.
Mit den Dreien zeigen noch mehr als 30 weite-
re Hersteller und Dienstleister den aktuellen Stand
der Technik von neuen Kameras und Produktions-
zubehör bis zur Archivierung in HD. In Workshops
und Vorträgen können sich die Besucher einge-
hender mit der Technik auseinandersetzen, und
für den Praxistest haben Szenenbildner ein
Kameraset vorbereitet, an dem die neuesten Ka-
merasysteme mit verschiedenen Lichtstimmun-
gen, diversen Requisiten und »lebenden Schau-
spielern« ausprobiert werden können.
Daß auch Einsen und Nullen große Gefühle
transportieren können, ist schließlich bei den
Screenings im ehemaligen Imax-Kino zu sehen.
Auf der über 300 Quadratmeter großen Leinwand
kann die Digitale Cinematographie zeigen, was in
ihr steckt.
Von Einsenund Nullen
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xl011_O_Vorspann 01.04.2009 20:17 Uhr Seite 17
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Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
18
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 18
Zwischenzweı
Welten
cınearte XL 011 Interview | Jolanta Dylewska
19
Ich erinnere mich noch an unser erstes Interview vor etlichen Jahren, da haben
Sie sich erschrocken dagegen gewehrt, einen eigenen Stil zu haben. Aber haben
Sie nicht seit damals doch so etwas wie einen eigenen Stil entwickelt?
Ich habe vielleicht einen eigenen Stil, aber ich sehe mich eher als Mitschöpfer des Stils
des Regisseurs. Ich bin eine Kamerafrau, die gerne den Gedanken und Gefühlen des
Regisseurs folgt, nicht jemand, der eine eigene Meinung durchsetzen will. Nach
meinem Verständnis machen ein Kameramann oder eine Kamerafrau die Regie des
Bildes, wenn sie sich mit der visuellen Dramaturgie beschäftigen. Meine Schauspieler
sind Licht und Dunkelheit, die Perspektive, die Farben, auch die Kamerabewegungen,
die Texturen und alles. Ich muß entscheiden, mit was davon ich die Geschichte erzäh-
Spiel- oder Dokumentarfilm? Regie oder Kamera? Gar keine Fragen –
Jolanta Dylewska fühlt sich auf beiden Seiten wohl. Und unterrichtet in
Lodz und Ludwigsburg.
Interview Hans-Günther Dicks
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 19
Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
20
le. Viele meinen, das Licht ist das Wichtigste für
einen Kameramann. Für mich ist es nicht immer
das Wichtigste, sondern ebenso die Kamera-
bewegung, die Farben, also die ganze Architektur
des Films. Das fasziniert mich sehr in meinem
Beruf.
Wie sehen Sie in dieser visuellen Dramaturgie,
von der Sie sprechen, die Rolle der Kamera?
Das hört sich vielleicht komisch an, wenn eine er-
fahrene, erwachsene Kamerafrau so etwas sagt,
aber immer noch ist für mich die Kamera ein klei-
nes Wunder, etwas Unglaubliches, eine der größ-
ten Entdeckungen der menschlichen Geschichte.
Die Kamera kann uns staunen lassen, sie kann un-
sere Stimmung beeinflussen, sie kann uns sogar
unsterblich machen, denn nur die Kamera kann
Menschen und Ereignisse in der Zeit festhalten.
Ich entdecke ständig Neues und weiß noch immer
nicht alles, was die Kamera kann. Für mich bleibt
auf dem Trägermaterial nicht nur das Bild, das
man durch das Objektiv einfängt, sondern dort
sammelt sich auch Energie, Energie von denen,
die es aufnimmt, aber auch von allen anderen Be-
teiligten, und diese Energie gibt es später an den
Zuschauer.
Ich habe das besonders deutlich erkannt, als
ich angefangen habe, mit Archivmaterialien zu ar-
beiten, jetzt bei Po-Lin, aber auch früher schon,
als ich Die Chronik des Aufstandes im Warschauer
Ghetto nach Marek Edelman gemacht habe, einen
Film aus Material, das Nazi-Kameraleute im War-
schauer Ghetto aufgenommen haben. Von einem
von ihnen gibt es nur zwölf Minuten Material,
aber daran kann man ablesen, wie er sich verän-
dert. Zuerst filmt er rein »objektiv«, aber gegen
Ende erkennt man, daß er ein bißchen Mitleid hat
mit den Leuten, die leiden. Da habe ich gespürt,
daß ein kleiner Teil von diesen Menschen, eine Art
Energie in dem Material steckt, etwas von ihren
Seelen, und das war für mich eine unglaublich
wichtige Entdeckung.
Was hat Sie zum Film gebracht?
Daran war Visconti Schuld. Ich hatte mich in seine
Filme regelrecht verliebt, denn darin habe ich ge-
funden, daß man eine ganz besondere Nähe zu
anderen Menschen haben kann. Ich war immer
Vorne und hinten am Set von Maries Lied: Links achtet die Kamerafrau auf die Belichtung, rechts Regisseur Niko von Glasow-Brü-
chers auf die Kamerafrau. Hauptdarstellerin Sylvie Testud ist jedes Mal dabei.
»Ich war immer sehr schüchtern. Die Fragen, die ich stellen wollte, habe
ich in der Schule nie gestellt. Dann entdeckte ich, daß man im Kino
Antworten bekommt, auch ohne Fragen zu stellen. Ich war damals zwölf
und schon sicher: ich will etwas mit Film machen.« Fot
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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 20
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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 21
Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
22
sehr schüchtern und bin es immer noch, natürlich
muß ich das heute verstecken. In der Schule wuß-
te ich zwar meistens die Antwort, aber die Fragen,
die ich stellen wollte, habe ich nie gestellt. Dann
habe ich entdeckt, daß man im Kino Antworten
bekommt, auch ohne Fragen zu stellen. Man sitzt
einfach unbemerkt im Dunkeln und bekommt die
Antworten, die man sucht. Ich war damals unge-
fähr zwölf Jahre alt und schon sicher, ich will etwas
mit Film machen.
Sind Sie dann nach dem Abitur gleich auf die
Filmhochschule gegangen?
Nein, nicht gleich, ich habe erst noch ein bißchen
Pause gemacht und gearbeitet. Auf der Filmschule
in Lodz hatte ich anfangs nur mittelmäßige Noten,
und die Filme waren auch nicht besonders. Im
zweiten Studienjahr habe ich dann einen ziemlich
guten Film gemacht, aber dafür eine schlechte
Note bekommen. Eigentlich wollte mich die Kom-
mission sogar rauswerfen, weil der große polni-
sche Kameramann Mieczyslaw Jahoda gesagt hat:
Was macht die hier? Sie hat doch kein Talent. Bei
dieser Prüfung habe ich gemerkt, für mich ist es
immer gut, wenn jemand mir sagt: Du schaffst das
nicht. Das spornt mich nur an, und ich gebe mein
Bestes. Ich durfte dann doch bleiben, mußte nur
das zweite Jahr wiederholen, aber ich bin Jahoda
bis heute dankbar, daß er mich zu dieser »Ehren-
runde« gezwungen hat.
Hat er sein Urteil irgendwann einmal revidiert?
»Kameraleute machen die Regie des Bildes, wenn sie sich mit der
visuellen Dramaturgie beschäftigen. Meine Schauspieler sind Licht und
Dunkelheit, die Perspektive, die Farben, auch die Kamerabewegungen,
die Texturen und alles.«
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 22
cınearte XL 011
Natürlich, und heute hat er immer noch ein
schlechtes Gefühl deswegen. Aber ich habe ihn
beruhigt und ihm erklärt, daß er mir unglaublich
geholfen hat. Er war für mich ein wichtiger Lehrer,
aber stärker noch Jerzy Wojcik, denn der hat mich
wirklich geöffnet, weil er sich auch viel mit der
Dramaturgie des Bildes befaßt hat, und das war
für mich besonders wichtig. Wichtige Lehrer wa-
ren auch Wojciech Jerzy Has und die Dokumentar-
filmregisseure Jerzy Bossak und Andrzej Brzo-
zowski. Die haben mir gesagt, ich soll Regie
machen, also habe ich auch Spielfilm bei Jerzy Ka-
walerowicz und Dokumentarfilm bei Brzozowski
studiert.
Aber Spielfilmregie interessiert Sie nicht so?
Mich interessiert Spielfilm, aber nicht in der klas-
sischen Form. Ich wäre interessiert, einen neuen
Weg zu finden. Kamera zu machen ist für mich
eine unglaubliche Freude, das ist etwas Angeneh-
mes und Leichtes. Regie beim Dokumentarfilm zu
machen ist etwas ganz anderes, aber beides ist mir
wichtig. Die Themen suche ich nicht, sie kommen
zu mir. Und es sind immer Themen, die mit der
Chefkamerafrau Jolanta Dylewska
(oben links) und Kameramann Pawel
Sobczyk nahmen die Edelweißpiraten
durchgängig mit zwei DV-Kameras auf.
Es wurde nicht geprobt, sondern immer
sofort gedreht und nach Bildern
gesucht. Heraus kamen Einstellungen,
die für das Thema ungewohnt sind:
statt nostalgischer Kostümschau
beinahe dokumentarische Bilder, die
Bedrohung und Stimmung in die Gegen-
wart transportieren. Leider habe die
konventionelle Montage das wieder
verdorben, bedauert die Bildgestalterin.Fot
os:
Pal
ladi
oF
ilm
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 23
Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
24
Vergangenheit zu tun haben. Nur einmal war das
anders, da hat mich ein polnischer Animations-
filmer, Pjotr Dumala, gebeten, einen Film über ihn
zu machen. Er war später auch unzufrieden, und
ich habe mir gesagt, nein, das mache ich nie mehr.
Auch bei Niko von Glasow-Brüchers Edelweiß-
piraten waren Sie mit dem Ergebnis Ihrer Arbeit
nicht glücklich?
Wir hatten ja schon Maries Lied zusammen ge-
macht. Niko hat mich gefragt, ob ich Edelweißpi-
raten mit ihm machen will, und ich sagte: Ja, ger-
ne. Wir hätten auch auf 35 Millimeter drehen
können, aber es war Nikos Wunsch, solche kleinen
Kameras zu haben, die Sony DVCam 150. Ich habe
mir vorgestellt, diese kleinen Kameras wirken et-
was unsicher, und das entspricht auch der Lage
der jungen Nazigegner in dem Film. Ich habe ge-
merkt, wie unglaublich schwer es gewesen sein
muß, damals in Deutschland zu leben, wenn man
kein Nazianhänger war. Es interessierte mich, die
deutsche Geschichte etwas von innen kennenzu-
lernen. So habe ich gedacht, mit den Videokame-
ras, das geht in Ordnung. Wir haben in St. Peters-
burg gedreht und geschnitten, und eigentlich
hatte Niko mir versprochen, das ganz unkonven-
tionell und mit vielen Achsensprüngen zu schnei-
den. Aber dann hat er es doch klassisch geschnit-
ten. Leider hatten wir soviel Material gedreht, daß
er das machen konnte. Da ist mir klar geworden,
ich werde nie mehr einem Regisseur so viele Mög-
lichkeiten offen lassen, denn ich war künstlerisch
von seinen Entscheidungen enttäuscht.
Haben Sie nach Tulpan und Po-Lin schon ein
konkretes nächstes Projekt?
Ich habe zur Zeit mehrere Projekte. Eines werde
ich mit der polnischen Autorin Hanna Krall ma-
chen, wir schreiben ein Drehbuch über Fanny Ka-
plan, diese junge Frau, die 1918 auf Lenin ge-
schossen hat und die man nach wenigen Tagen
hingerichtet hat. Wir schreiben das Buch, und das
polnische Fernsehen ist schon interessiert.
Und Marek Edelmann hat mich gebeten, ich
soll einen Film machen über Liebe im Ghetto. So
einen Stoff hatte ich schon einmal 1993 im Sinn,
aber dann kamen andere Projekte dazwischen.
Aber das Thema beschäftigt mich sehr.
Sie unterrichten seit einigen Jahren auch selbst
in Lodz und in Ludwigsburg. Über was spre-
chen Sie da? Über Ihre eigenen Filme? Über
Technik?
Mich interessiert es, mit den Studenten über et-
was zu sprechen, das sie nicht in Büchern finden
Fast zehn Jahre lang hat
Dylewska in Archiven rund
um die Welt recherchiert,
um das Material für Po-Lin
zu sammeln. Der Doku-
mentarfilm läßt das Leben
der Juden in polnischen
Kleinstädten der 1930er
Jahre wieder auferstehen:
Mit Amateuraufnahmen aus
jener Zeit. In Polen und
Israel startete der Film
Ende vorigen Jahres im
Kino und erhielt den Preis
der polnischen Filmjourna-
listen. Hier hat die deutsch-
polnische Koproduktion
noch keinen Verleih.
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 24
cınearte XL 011 Interview | Jolanta Dylewska
25
können. Natürlich spricht man immer auch über
Kameras und die ganze Technik, denn wenn wir
die nicht beherrschen, können wir unsere Ideen
nicht realisieren. Aber was mich fasziniert, ist, je-
den einzelnen anzuschauen und seine Möglich-
keiten, auch seine Probleme oder Besonderheiten
zu entdecken. Und ich möchte ihm ein bißchen
helfen, denn ich habe nicht vergessen, wie schwer
es mir gefallen ist auf der Schule. Wichtig ist mir,
den Studenten beizubringen, wie man nachden-
ken kann über ein Projekt, denn das ist wichtig,
um sich nicht zu verlieren. Ich sage den Studenten
immer, ich bin eure ältere Kollegin, denkt bitte
nicht, daß ich alles weiß. Ich weiß ein bißchen,
und ich übernehme auch sehr viel von den Stu-
denten.
Ich glaube auch, daß die neue Generation ganz
anders denkt als die unsere, und das ist faszinie-
rend. Über meine eigenen Filme spreche ich dabei
nicht gerne. Ich mache das lieber mit den ganz fri-
schen, neuen Filmen, denn mich interessiert, wie
sich da Dinge verändern, die Kameramode und
das alles, und ich suche gemeinsam mit den Stu-
denten etwas darin.
Viele sagen, es gebe heute zu viele Filmstuden-
ten. Teilen Sie diese Meinung?
Vielleicht gibt es zu viele Filmschulen. Die Film-
schulen in Polen zum Beispiel – in Deutschland
kann ich das nicht beurteilen – bilden zu viele Ka-
meraleute aus, und nicht alle finden dann auch
Arbeit. Manchmal macht jemand in der Schule
wunderbare Sachen, aber er findet sich später in
dieser Kommerzwelt nicht zurecht, weil niemand
sein Talent fördert, und wenn keine Aufträge kom-
men, kann ich nicht Kamerafrau sein.
Da Sie ja Neuem gegenüber aufgeschlossen
sind, wie stehen Sie zur Digitaltechnik?
Ich denke, das ergibt wunderbare neue Möglich-
keiten. Ich vermute, das Negativ wird bleiben,
aber man wird nicht mehr soviel damit drehen.
Die digitale Revolution im Kino wird schon etwas
bringen. Man soll da auch nicht beim Negativ ste-
hen bleiben, sondern das muß sich entwickeln.
Natürlich verführt das digitale Arbeiten auch zur
Nachlässigkeit, weil alles so einfach und schnell
geht, deshalb braucht man da immer eine große
Disziplin.
Bei der ersten Gala zum Europäischen Film-
preis hat Ingmar Bergman auf der Bühne etwas
gesagt, was ich sehr gut fand. Sinngemäß sagte er:
»Ich hoffe, daß das Video nicht die Schatten im
Kino umbringen wird.« Ich verstehe das als eine
»Die Kamera ist ein kleines Wunder, eine der größten Entdeckungen
der menschlichen Geschichte. Die Kamera kann uns staunen lassen,
unsere Stimmung beeinflussen, sie kann uns sogar unsterblich machen.«
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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 25
Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
26
Art Metapher. Das Kino hat in all den Jahren Wich-
tiges erreicht, aber wenn es um die Nähe zu den
Menschen, um ihre Geheimnisse geht, dann soll
durch die neuen technischen Möglichkeiten nicht
das, was es bereits gibt, verloren gehen. Deswegen
müssen in Ludwigsburg die Studenten im zweiten
Studienjahr das auch noch üben, wie man an ei-
nem klassischen Schneidetisch arbeitet und einen
Film montiert.
Sie haben soeben die Mischung der deutschen
Version von Po Lin – Spuren der Erinnerung fer-
tiggestellt, einem Dokumentarfilm, bei dem Sie
die Regie geführt haben. Was bedeutet der Ti-
tel?
Der kommt von einer alten jüdischen Legende.
Po-Lin ist der hebräische Name für Polen, und als
im 14. und 15. Jahrhundert die Juden aus Spanien
und aus Deutschland vertrieben wurden, kamen
sie in den Osten nach Polen. Hier wurden sie sehr
freundlich aufgenommen, also haben sie gesagt:
Wir bleiben hier.
Wie kamen Sie auf das Thema?
Ich habe für den Dokumentarfilm Children of the
Night in amerikanischen, europäischen und israe-
lischen Archiven 1995 recherchiert, und in Yad
Vashem habe ich dabei den Film aus Kaluschin ge-
funden, also das erste dieser »Home Movies«. Ich
kannte zwar schon zwei ähnliche Passagen aus
anderen Filmen, aber dieser Film war nie benutzt
worden, denn er war von technisch sehr schlech-
ter Qualität. Aber ich habe gewußt, den vergesse
ich nicht und werde einmal etwas damit machen.
Dann habe ich weitere solche Filme gefunden,
und mir war klar, ich muß daraus einen Film ma-
chen. Was mich an diesen »Home Movies« so be-
rührt hat, war, daß die Leute vor der Kamera die
Kamera nicht zu bemerken scheinen. Sie beneh-
men sich ganz natürlich.
Auf was sind diese Filme gedreht worden?
Das war Kodak Home Movie, 16 Millimeter
Schwarzweiß-Duppositiv, gedreht von Verwand-
ten aus Amerika bei deren Besuchen in Polen. Die
haben die Filme dann mitgenommen nach Hause
und sie später jüdischen Institutionen übergeben.
Aber die, die das gedreht haben, hatten oft zum
ersten Mal in ihrem Leben eine Kamera in der
Hand. Die arbeiten so, daß das heute alles so mo-
dern aussieht, fast wie Dogma-Filme, aber das
»Wenn es um die Nähe zu den Menschen, um ihre Geheimnisse geht,
dann soll durch die neuen technischen Möglichkeiten nicht das, was es
bereits gibt, verloren gehen.«
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cınearte XL 011
bringt viel Authentizität, und das war für mich der
Kern der Sache. Die Leute treten vor die Kamera,
schauen auch in das Objektiv, aber auf ganz ande-
re Art, so daß die Kamera praktisch verschwindet,
und wichtig wird der Mensch, der die Kamera
führt. Denn das war der Sohn, der Onkel oder der
Bruder, deshalb sind die Leute so warmherzig. Aus
diesen Einstellungen, gedreht in den 30er Jahren,
schauen diese Leute uns heute an, und so warm,
fast wie mit Liebe, daß sich die Zuschauer von
heute ihnen unglaublich nahe fühlen können.
Fragmente von den besten dieser »Home Mo-
vies« waren schon durch andere Filme bekannt,
aber darin hatte man die Archivmaterialien wie
eine Illustration verwendet, und ich mag es lieber,
wenn man daraus eine Art Rekonstruktion macht.
Mit den Materialien aus dem Warschauer Ghetto
habe ich auch so gearbeitet. Ich habe mit meiner
Kamera diese Archivbilder neu und anders aufge-
nommen. Ich mache mir diese Arbeit, damit es
nicht bloß Illustration wird. Ich wollte ja auch die
Personen mit ihrem Namen und auch mit dem
präsent werden lassen, was sie beruflich gemacht
haben.
Kommen wir zu Tulpan. Sie haben ihn als Ihren
wichtigsten Film bezeichnet, und doch wollten
Sie ihn anfangs gar nicht machen. Wie kam
das?
Die Idee, daß ich bei Sergej [Dwortsewoj] die Ka-
mera machen sollte, kam nicht von ihm, sondern
von Raimond Goebel, dem Produzenten bei Pan-
Fot
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ilm
Flache Landschaft, leerer Himmel. Der deutsche
Produzent brachte Jolanta Dylewska mit Sergej
Dwortsewoj zusammen. Der Regisseur versuchte
die Kamerafrau zuerst abzuschrecken – schließlich
wird die Gegend, in der die beiden Tulpan drehen
sollten, nicht umsonst »Hungersteppe« genannt.
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 27
Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
28
dora-Film. Auf Wunsch von Pandora haben Sergej
und ich uns in Rotterdam beim Festival kennen
gelernt, aber nur ganz kurz, denn statt über sein
Konzept für den Film zu sprechen, hat er nur et-
was von Skorpionen und Spinnen und großen
Giftschlangen in Kasachstan erzählt und von der
großen Hitze dort. Ich habe zunächst nicht ver-
standen, warum er mir das alles erzählt, und nach
diesem Treffen habe ich Raimond Goebel angeru-
fen und gesagt: Ich mache den Film nicht. Aber sie
haben mich gedrängt, mich noch einmal mit Ser-
gej zu treffen, und zur Berlinale 2004 hat er seine
Filme mitgebracht, ich die meinen, und so haben
wir doch noch eine gemeinsame Sprache gefun-
den und gesagt: Ja, wir machen das. Später hat mir
Sergej gestanden, daß er nicht besonders angetan
war von Idee, mit einer Kamerafrau zu arbeiten,
weil er gewußt hat, das wird dort ein schweres Le-
ben. Er wollte das nicht direkt bei Pandora sagen,
sondern ich sollte von mir aus aussteigen.
Hinterher waren die Probleme ja wohl noch
drastischer als Sergej sie geschildert hat?
Ja, vor allem, weil wir mitten in der Hungersteppe
gedreht haben, ohne Handy und anfangs ohne Sa-
tellitentelefon, 500 Kilometer von der nächsten
Stadt. Die heißt wirklich Hungersteppe, denn das
Leben dort ist sehr schwer, sowohl für die Men-
schen wie für die Tiere. Da ist nichts als flache
Landschaft und ein leerer Himmel. Aber wir woll-
ten genau dort drehen, wo die Geschichte spielt.
Dort wurde ein kleines Camp für die Darsteller
und die Crew gebaut einfach auf der Erde aus win-
zigen Räumen mit winzigen Fenstern und winzi-
gen Türen, versteckt in einem Tal, damit man es
»Bei den Dreharbeiten zu ›Tulpan‹ konnte man Demut üben. Aber es war
eine sehr schöne Arbeit – die beste in meinem Leben.«
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 28
cınearte XL 011
vom Set aus nicht sehen konnte. Ursprünglich wa-
ren 2004 fünf Monate Drehzeit vorgesehen gewe-
sen, aber was wirklich passierte, war, daß wir den
Film über eine Zeit von vier Jahren drehten. Die
letzten Bilder für diesen Film haben wir erst im
Frühjahr 2008 gedreht.
Hat denn der Regisseur Sie trotz seiner anfäng-
lichen Skepsis dann gleich akzeptiert?
Es gab noch eine Krise, am 15. Mai im ersten Jahr
der Dreharbeiten. Wir hatten da noch zwei Movie-
cams, eine immer mit dem Material in Reserve,
damit man im Ernstfall direkt drehen konnte. Wir
drehten gerade die Proben, noch nicht die eigent-
lichen Aufnahmen, da kam ein Gewitter auf, das
sah ich, und da war ein Hund, ein kleiner Hund,
der irgendetwas fraß, also ein tolles Bild: das gro-
ße Gewitter und der kleine Hund. Ich wußte, wenn
ich Sergej erst gefragt hätte, was er sagen würde:
Wir haben nicht soviel Material, und die Kamera-
leute wollen immer nur drehen, drehen, drehen…
Also habe ich meinem Assi gesagt, er soll mir
schnell die Kamera geben, und ich habe das ge-
dreht. Da kam Sergej auf mich zu, hat mich un-
glaublich angeschrieen: Es sei inakzeptabel, daß
ich drehe, ohne ihn zu fragen. Ich habe versucht,
es ihm zu erklären, aber er blieb dabei, er werde
das sowieso nicht verwenden. Aber als wir die
Muster angeschaut haben, hat er sich entschul-
digt, und diese Einstellung mit dem Hund und
dem Gewitterpanorama ist auch im Film.
Das war unsere schlimmste Auseinanderset-
zung, wir mußten uns auch erst richtig kennen
lernen. Aber die Beziehung hat sich mit der Zeit
entwickelt. Durch diesen Streit hat er verstanden,
ich will das Beste für den Film und wir machen
den gleichen Film, ich stehe zu ihm.
Sergej Dwortsewoj hatte vorher nur vier mittel-
lange Dokumentarfilme gemacht?
Ja, aber die wurden sofort Kultfilme. Das liegt wohl
an seiner Arbeitsweise. Er dreht ein Stück, analy-
siert es dann gründlich, dann dreht er wieder,
montiert das Gedrehte ein und so immer weiter,
so entsteht das Drehbuch praktisch parallel zum
Drehen. Mit dieser Methode haben wir auch Tul-
pan gedreht. Im ursprünglichen Drehbuch, das er
mit dem bekannten russischen Autor Gennadi
Ostrowski geschrieben hatte, gab es diese SzeneFot
os:P
ando
ra
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Interview | Jolanta Dylewska cınearte XL 011
30
mit der Geburt eines Lamms, und Sergej, der die-
se Gegend sehr gut kennt, wußte, daß die Lämmer
immer im Mai geboren werden. Danach mußten
wir uns richten. Wir haben also die Lammgeburt
im Mai 2004 als erstes gedreht. Sergej wußte, das
wird schwer werden, denn die Schafe leben dort ja
wild und lassen einen nicht nahe heran, deshalb
sind wir ihnen erst einmal zwei Wochen immer
nachgefahren, um sie an uns zu gewöhnen. Natür-
lich sind sie auch sehr mager, und das macht ech-
te Probleme bei den Geburten.
So kam es, daß bei der ersten Geburt das Lamm
starb, selbst Ondas Besikbasov, der den Ondas
spielt und auch Tierarzt ist, konnte es nicht retten.
Also mußten wir noch eine zweite Geburt drehen,
und diesmal blieb das Lamm am Leben. Der Re-
gisseur hat dann darum gebeten, wir sollten auf
Video das komplette Drehbuch drehen, nicht mit
den Schauspielern, nur mit den Komparsen und
den Doubles. Das haben wir so gedreht und am
Computer zusammenmontiert, und da war klar,
wir müssen ganz anders drehen, denn die beiden
Geschichten waren so stark, aber haben zu der ur-
sprünglichen Geschichte, die viel spielerischer an-
gelegt war, nicht gepaßt. Also änderten wir später
alles so, daß es zu diesen zwei Szenen passen soll-
te, denn die haben uns erst ein Gefühl für den
Rhythmus des Erzählens gegeben.
Der Film wäre ganz anders geworden, wenn
dieses erste Lamm am Leben geblieben wäre. Wir
verstanden, daß die Geschichte im Drehbuch
nicht ganz fertig war, sondern jetzt erst fertig
wurde.
Das klingt ja nach Ausprobieren und Improvisa-
tion und so, als hätte Sergej doch nicht genau
gewußt, was er wollte?
Im Gegenteil, Sergej hat ein sehr genaues Gespür
für das, was er will, aber er weiß auch, daß man
sich nicht sklavisch an das einmal Geplante klam-
mern darf. Denn auch wenn alles verplant ist,
kriegen wir manchmal von oben ein unerwartetes
Geschenk, und hier gehört Sergej Dwortsewoj zu
den Regisseuren, die diese Geschenke zu hundert
Prozent nutzen. Es gibt nicht viele solche Regis-
seure. Improvisiert haben wir eigentlich gar nicht,
sondern sogar unglaublich viel geprobt und im-
mer das Material Hunderte Male angeschaut, bis
sich die Essenz des Films dadurch herausdestil-
lierte. Manchmal bis zu 90 Proben, und auch die
Proben schon mit der Sony DV gedreht. Das war
nötig, weil viele der Darsteller ja Laien waren, nur
der Darsteller des Boni hatte Kameraerfahrung,
Vater und Mutter vergaßen ständig ihre Texte. Und
dazu immer diese Hitze, 50 Grad Celsius in der
Jurte, und auch die schwere Moviecam-SL-Kame-
ra, die der arme Schwenker immer herumtragen
mußte, denn da wir sehr lange Einstellungen dre-
hen wollten, brauchten wir natürlich 300-Meter-
Kassetten. Die Szene in der Jurte, wo sie mit dem
Lämpchen hantiert, die haben wir drei Monate ge-
dreht, und noch heute sterbe ich immer, wenn ich
die Schatten sehe, weil ich keinen Platz hatte, das
>> Zur Person. Jolanta Dylewska wurde 1962 im polnischen Breslau geboren und studierte nach dem Ab-
itur an der Filmhochschule in Lodz zunächst Kamera, später auch Dokumentarfilmregie. Schon während
des Studiums begann ihre Zusammenarbeit mit den Regisseuren Mariusz Grzegorzek und Przemyslaw
Wojcieszek, für die sie zur Stammkamerafrau wurde. Ab Mitte der 90er Jahre arbeitete sie auch in Deutsch-
land mit Regisseuren wie Nico von Glasow-Brücher und Ulla Wagner. Als Regisseurin machte sie sich mit
Dokumentarfilmen wie Die Chronik des Aufstandes im Warschauer Ghetto nach Marek Edelman und
jüngst Po-Lin einen Namen. Ihre Bildgestaltung von Sergej Dwortsewojs Spielfilm Tulpan trug ihr zahlrei-
che Preise ein. Jolanta Dylewska ist Mitglied der Europäischen Filmakademie und unterrichtet an den
Filmhochschulen in Lodz und Ludwigsburg.
»Ich frage mich immer zuerst: Wer ist die Kamera als Erzähler des Films?
Daraus ergibt sich, auf welche Art man die Kamera bewegen sollte.«
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cınearte XL 008
richtig zu beleuchten, aber das ist nicht mehr zu
ändern. Ich habe auch akzeptiert, daß es für Sergej
wichtig war, von den Schauspielern das Optimale
zu bekommen, auch wenn das heißt, ich kann
nicht so ein perfektes Licht machen.
Viel Licht werden Sie auch nicht dabei gehabt
haben, oder?
Mir war von Anfang an klar, daß meine wichtigste
Lichtquelle die Sonne sein würde. Noch vor Dreh-
beginn bin ich mit dem Schwenker einen kom-
pletten Tag lang an den Drehort gegangen, wo der
Set noch nicht aufgebaut war, und wir haben mit
einer selbst gebastelten Sonnenuhr den Verlauf
der Schatten markiert. Ich mußte mich dabei beei-
len, denn ich mußte ja für den Drehbeginn fertig
werden, und dazu mußte man die beiden Jurten
nach der Sonne ausrichten und festlegen, nach
welcher Richtung der Eingang und wo das Viehge-
hege sein sollte. Natürlich mußten wir oft auch auf
das richtige Licht warten oder auf Wolken, die
nicht kamen. Das hat alles viel Zeit gekostet, aber
das Wetter dort ist nun mal so, wie es ist. Mal kei-
ne Wolken, mal kein Wind. Es war ein Film, in dem
man Demut üben konnte. Aber es war eine sehr
schöne Arbeit, die beste Arbeit in meinem Leben.
Was auffällt, sind die fast durchgängige Hand-
kamera und die oft extrem langen Einstellun-
gen. Wie kamen Sie auf diesen Stil?
Sergej hat mir am Anfang gesagt, er will Handka-
mera, und ich habe verstanden, das ist die richtige
Entscheidung für diesen Film; Die Kamera erzählt
die Geschichte mit einer gewissen Unsicherheit,
sie weiß selber nicht, was passiert. Sie ist wie je-
mand, der die Situation verfolgen will. Dort in der
Steppe ist alles in Bewegung, die Leute, die von ei-
nem Platz zum anderen ziehen mit ihren Jurten,
die Tiere und alles, und da wäre eine Kamera, die
auf einem Stativ steht, etwas Fremdes. Ich stelle
mir bei meinen Filmen immer zuerst die Frage:
Wer ist die Kamera? Wer ist die Kamera als Erzäh-
ler des Films? Daraus ergibt sich dann, auf welche
Art man die Kamera bewegen sollte, mit welchem
Maß an Subjektivität. Es geht darum, welche Sub-
jektivität, welche Sinnlichkeit diese Kamera hat.
Das steht immer am Anfang meiner Überlegung.
Und was die langen Einstellungen angeht: Das ist
einfach die Seele der Steppe, und die würdest du
xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 32
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xl012_Z_Abo 18.06.2009 5:52 Uhr Seite 41
sicher auch so in langen Einstellungen drehen,
denn die Zeit läuft dort so. Man hat vielleicht ei-
nen anderen Rhythmus im Kopf, wenn man hin-
kommt, aber dann merkt man, die Zeit läuft dort
anders. Auch das habe ich von Sergej gelernt.
Überhaupt war für mich das, was ich als erfahrene
Kamerafrau hier mit diesem Debütregisseur erlebt
habe, wie eine neue Filmschule.
Die Vorstellung von der Kamera als Person ge-
fällt mir, aber sagen Sie auch mal was zu ihren
»Augen«, also Optiken und Blenden.
Ich hatte schnell begriffen, daß diese Umgebung
ein einziges Objektiv brauchte. Ich hatte Optiken
so zwischen 30 und 45 Millimeter und habe mich
dann zu 90 Prozent für 40 Millimeter entschieden.
Bei der Wahl der Blende habe ich gesucht, welche
Tiefenschärfe am besten die Beziehungen zwi-
schen den Menschen, den Tieren und der Natur
wiedergeben, und ich habe dann meistens mit
Blende 6,3 gedreht, das war die richtige Blende.
Das war auch für den Focuspuller gut, und er hat
es auch geschafft, alles scharf zu kriegen.
Sie haben erzählt, daß es durch die lange Dreh-
zeit viel Fluktuation auch im Team gab, und im
Abspann sind sogar fünf Schwenker genannt.
Ja, aber nacheinander, weil die alle nicht vier Jah-
re bleiben konnten. Wir haben sogar den kasachi-
schen Kameraassistenten zum Schwenker ange-
lernt und seinen Assistenten zum Focus Puller
gemacht. Außer Sergej und mir waren nur die
Schauspieler von Anfang bis Schluß dabei, und
auch die Produktion war oft kurz davor, das Pro-
jekt aufzugeben.
Aber haben Sie nicht oft bereut, nicht bei Ihrer
anfänglichen Skepsis geblieben zu sein?
Nein. Meine Skepsis war nur am Anfang, später
wollte ich nie aussteigen, weil wir eine Ebene er-
reicht hatten, die, wenn ich ausgestiegen wäre, ein
anderer so nicht hätte fortsetzen können. Aber
man darf nicht verschweigen, daß Karl Baumgart-
ner als Hauptproduzent immer noch seine Wun-
den leckt, weil wir das Budget so weit überzogen
haben, deshalb sind wir ihm und Pandora-Film
besonders dankbar, daß er das Projekt durchgezo-
gen hat. Und ich gestehe, ich habe auch heute
noch Sehnsucht nach der Steppe, nach den Men-
schen dort und all dem.
cınearte XL 008
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xl011_A1_Int_Dylewska 01.04.2009 16:38 Uhr Seite 34
cınearte XL 011 Auf der Couch
35
Ein Münchner Taxi von innen. Der Fahrer liest
gemütlich in der Zeitung. Im Radio Schlager: Es
fährt ein Zug nach Nirgendwo von Christian
Anders. Die Tür geht auf. Stadler und Groener
lassen sich mit roten Köpfen auf die Rücksitze
fallen.
Gröner: Folgen Sie diesem Wagen!
Stadler: Schnell!
Taxifahrer (raschelt mit der Zeitung): Ach geh,
wieso? Welcher denn?
Gröner: Na da, der blaue Opel da vorne.
Stadler: Genau, geben Sie Gummi!
Taxifahrer (verlagert das Gewicht von einer Po-
backe auf die andere): Nix Gummi. Ich verfolge
niemanden. Ihr sagt’s mir, wo’s hingeht. Und
dahin fahren wir dann. Könnt’s ihr mir folgen?
Gröner: Nein.
Stille.
Stadler: Einmal Glockenbachviertel bitte.
Taxifahrer: Na also.
Das Taxi fährt los. Der Tacho zeigt 40. Tristesse
auf dem Rücksitz.
Gröner: Ich wußte, daß das nicht klappt.
Stadler: Das Leben ist kein Frankenheimer-
Film.
Gröner: »Eine Verfolgungsjagd in echt erle-
ben«. Ich hab’ gleich gesagt, das ist Blödsinn.
Stadler: Der Mann am Steuer muß eben auch
Pep haben. Wie bei Luc Besson!
Taxifahrer: Nix hier Pep. Ich bin der Sepp (zeigt
auf seinen Taxlerausweis).
Stadler: Na servus.
Gröner: Mei, die Bayern. Nenn mir einen bay-
erischen Film, in dem es eine Verfolgungsjagd
gibt.
Stadler: Der Förster vom Silberwald. Wie er
dem Gamsbock hinterherjagt.
Kein Film zu kritisieren, aber wieder zu viel Zeit. Gröner und Stadler sind auf Speed. Doch
nicht jeder fährt auf sie ab.
Text Michael Stadler und Christoph Gröner
Tödlich geschwind
xl011_C1_Couch Taxi 01.04.2009 16:55 Uhr Seite 35
Auf der Couch cınearte XL 011
36
Taxifahrer: Der jagt doch den Madeln hinter-
her! Im Übrigen ist der Silberwald in Öster-
reich, ihr Spezialisten.
Gröner: Aha, da ist er jetzt wieder dabei.
Stadler: Konzentrieren Sie sich bitte aufs Fah-
ren, ja?
Taxifahrer: Keinen Schimmer habt’s.
Konzentrierte Aggression im Wagen. Im Radio
jetzt Nicole: Ein bißchen Frieden.
Gröner: Hören Sie, da ist aber was dran. Der
alte Jagdtrieb, dieses Archaische. Deswegen
schaut man sich gerne Verfolgungsjagden an.
Wie Steve McQueen sich heranpirscht, die Ka-
mera zeigt seinen Wagen von innen, wir sitzen
mit drin, schauen mit in den Rückspiegel…
Taxifahrer: Bullitt. Den kenn ich. Super Film!
Wie die hurtig durch San Franzisko hüpfen!
Stadler: Na, dann hüpfen Sie doch mal ein
bißchen aufs Gas!
Taxifahrer: Gemütlich fährt am längsten.
120.000 Kilometer unfallfrei.
Gröner: Bei Bullitt geht’s auch langsam los.
Lässige Seventies-Musik, ein Katz-und-Maus-
Spiel.
Stadler: Bis die Maus merkt, daß sie verfolgt
wird. Und dann: die Jagd. Nur noch Schnitte
und das Dröhnen der Motoren, das ist alles.
Und alles wird…
Taxler muß abrupt bremsen. Gröner und Stad-
ler haut es nach vorne.
Taxifahrer (schlägt aufs Lenkrad): Ja verreck,
nimmt mir das Arschloch die Vorfahrt!
Gröner: Schnell, den schnappen wir uns!
Stadler: Dieses Arschloch!
Taxler fährt an, Tacho zeigt wieder 40.
Taxifahrer: Wer früher bremst, ist später tot.
Gröner: Von wegen. Der Rosenmüller insze-
niert rasanter, als sie fahren, soviel ist mal klar.
Bei ihm ist sogar die Oma im Bett schneller
unterwegs.
Taxifahrer: Wie sie da hurtig über die Bergwie-
sen hüpft und der Junge hintendrein (lacht).
Gröner: Typischer Slapstick.
Stadler: Mit dem Slapstick wurde ja auch die
Verfolgungsjagd geboren. Man wollte damals
ja auch zeigen, was das Medium so drauf hat.
Chaplin, Keaton, die Keystone Cops – da ging
es nicht um Leben und Tod, sondern um die
Bewegung an sich. Alles sehr verspielt. Die Ka-
mera haben sie langsamer gekurbelt, damit die
Leute noch schneller liefen.
Gröner: Das alte Räuber-und-Gendarm-Prin-
zip, das zieht heute immer noch. Nur damals
fand die Bewegung hauptsächlich im Bild
statt: Treppe rauf, Treppe runter, einmal rund
um den Tisch…
Stadler: …dann wurde auch der Schnitt ein
wenig vorangetrieben: aus der Tür rechts raus,
Schnitt, von links wieder rein ins Bild…
Gröner: …dann hat sich die Kamera mehr be-
wegt, um die Personen zu verfolgen. Die Ka-
mera als Auge…
Stadler: …und heute ist wirklich alles durch-
dynamisiert, schnelle Autos, schneller Schnitt,
schnelle Musik…
Taxler hält an einer Ampel an, die gerade auf
Gelb gesprungen ist. Im Radio: Über sieben
Brücken mußt du gehen.
Taxifahrer: Immer wieder gut, der Maffay.
Stadler: Mir schlafen die Füße ein.
Stadler: Ein bißchen weniger Drive wäre gar
nicht schlecht. Das Actionkino hat zuviel Angst
vor dem Stillstand. Heute weiß man gar nicht
mehr, wo hinten und vorne ist.
Taxifahrer (zeigt nach vorne): Da ist vorne.
Stadler: Danke.
Gröner: Man verliert wirklich völlig die Orien-
tierung. In The Rock muß der Ferrari schon
knallgelb sein, damit man ab und zu weiß, wer
wen verfolgt.
Stadler: Sowieso diese ganzen Michael-Bay-
Filme. In Bad Boys 2 fliegen die Autos überein-
ander hinweg, als ob sie leicht wie Federn wä-
ren.
Gröner: Das Schlimmste war Speed Racer, da
geht die ganze Körperlichkeit verloren. Eine
Zeichentrick-Adaptation, die nur noch aus Ge-
räuschen und Farben besteht.
Stadler: Die reine Geschwindigkeit, ohne
Schwerkraft.
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Auf der Couch cınearte XL 011
38
Gröner: Wie bei Computerspielen, es zählt nur
noch die Ego-Perspektive.
Taxifahrer: Fahr ma jetzt nach rechts in die
Ainmiller?
Gröner: Ja bitte.
Stadler: Mit der Schwerkraft haben Sie ja keine
Probleme.
Der Taxler biegt ab. Radio: Über den Wolken.
Taxifahrer: Nur Fliegen ist schöner.
Gröner: Oder Sterben.
Taxifahrer: Hier wird nicht gestorben. 120.000
Kilometer unfallfrei!
Stadler: Das ist das Schöne bei ihnen. Im Film
muß man ja immer Angst haben, daß jemand
drauf geht.
Gröner: Wobei es ja Passanten bei Verfolgungs-
jagden eher selten trifft.
Stadler: So eine Unfalleiche würde ja auch nur
ablenken.
Gröner: Perfekt choreografiert, das alles, so ein
Film wie Ronin ist ja wie Ballett. Für die Stunt-
men ist das ein Fest, da können sie die Puppen
tanzen lassen. Und die Zuschauer genießen
den stereotypen Ablauf: Menschen, die zur
Seite springen, Überholmanöver, Crashs….
Stadler: Da weiß man, was man hat…
Taxifahrer: Und mei, die schönen Autos!
Stadler: Im dritten Transporter tritt ein Audi
gegen einen BMW an.
Taxifahrer: Der BMW gewinnt, oder?
Stadler: Nee, beide Hersteller gewinnen.
Taxifahrer: Mei, Schleichwerbung halt.
Gröner: Die Autos rasen, die Werbung
schleicht…
Stadler: Ich kenne noch einen, der schleicht.
Gröner: …und nicht nur Autos bekommen
ihre Reklame. In Stirb an einem anderen Tag
wurde für über 20 Marken geworben, von der
Limo bis zur Limousine! Dafür haben die Fir-
men schlappe 120 Millionen Euro bezahlt.
Taxifahrer: Bei mir kommt’s billiger davon.
Stadler: Ja, sie sind ein Schnäppchen.
Plötzlich eine Polizeisirene von hinten.
Stadler (aufgeregt): Da, die Musik der Verfol-
gungsjagd!
Gröner (blickt nach hinten): Denk an die real-
ste Verfolgungsjagd aller Zeiten! Die mit O. J.
Simpson und der Polizei. Da hat die Wirklich-
keit die Fiktion überholt, aber von rechts!
Das Polizeiauto fährt dicht hinter dem Taxi.
Blaulicht. Stadler kurbelt das Fenster herunter
Stadler (ruft heraus): Hilfe! Folgen Sie diesem
Wagen. Retten Sie uns vor dem Schlager!
Gröner (ruft heraus): Hilfe! Ein Verbrechen!
Der Taxler fährt permanent 40!
Das Polizeiauto fährt vorbei. Keine Rettung.
Taxler (wütend): Jetzt reicht’s!
Er hält an, steigt aus, öffnet die hintere Tür.
Taxifahrer: Ihr beiden schleicht’s euch jetzt,
aber ganz schnell. Und davor zahlen, 15 Euro!
Stadler und Gröner staunen. Aus dem Radio:
Die Wanne ist voll mit Dieter Hallervorden und
Helga Feddersen. Sie steigen aus. Stadler kramt
im Geldbeutel einen 20-Euro-Schein hervor.
Stadler: Hier!
Taxifahrer: Servus.
Er steigt vorne wieder ein. Quietschende Reifen.
Und weg.
Gröner: Moment mal… Du bekommst noch 5
Euro raus!
Stadler: Mit soviel Trinkgeld kann der sich
zwei Bier kaufen! Heh!
Sie rennen hinterher, schreiend. Sie sehen ein
anderes Taxi, parkend. Stadler und Gröner öff-
nen die Tür, lassen sich mit roten Köpfen in die
Polster fallen.
Stadler und Gröner (erregt): Folgen Sie diesem
Wagen!
Taxifahrer (raschelt mit der Zeitung): Ach geh,
wieso?
Stadler und Gröner sind Filmkritiker. Böse Zungen behaupten, sie sähen aus wie Quentin Taranti-
no und Philipp Seymour Hoffman. Das finden Stadler und Gröner überhaupt nicht. Aber sie versu-
chen, damit zu leben. Und ein Taxi zu erwischen.
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Produktion | Hilde cınearte XL 011
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In der Garderobe kurz vor dem großen Auftritt: Beim berühmten Konzert in der Berliner
Philharmonie, das auf diese Szene folgt, wird DoP Hagen Bogdanski »die Knef« in kühlem
Glamour zeigen und die Verfolger der Bühnenbeleuchtung als Gegenlicht nutzen, die in
Heike Makatschs Haar einen Lichtkranz erzeugen – wie es sich für eine Diva gehört.
Fotos: Egoli Tossell
Die letzte Diva
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cınearte XL 011 Produktion | Hilde
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Dafür kann man schon mal singen lernen: In opulenten
Bildern und aufwendigen Kulissen kommt Hildegard
Knef noch einmal auf die Kinoleinwände.
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Produktion | Hilde cınearte XL 011
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Heike Makatsch war wegen
ihrer Ähnlichkeit von Anfang
an für die Rolle der Hildegard
Knef vorgesehen und bereitete
sich akribisch darauf vor.
Fotos: Egoli Tossell
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Produktion | Hilde cınearte XL 011
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Text Ian Umlauff
Schon wenige Worte reichen, um zu wissen, von
wem die Rede ist. 2002, nur elf Monate nach ihrem
Tod, wurde sie auf einer Briefmarke verewigt. So
lächerlich das für manche klingen mag, vielen
Prominenten ist das nie vergönnt. Sie jedoch war
eine der »Frauen der deutschen Geschichte«, so
der Titel der Briefmarkenserie: Hildegard Knef.
Wie Marlene Dietrich ist auch »die Knef« heute
eine Legende. Über das Leben der Schauspielerin,
die selbst in fast 60 Filmen mitgespielt hat, gab es
bereits 2005 einen Fernsehfilm. Jetzt hat Regisseur
Kai Wessel (Goebbels und Geduldig, Leben wäre
schön und Die Flucht) einen neuen Film über die
Diva gedreht, der am 13. Februar auf der Berlinale
Premiere hatte und seit März in deutschen Kinos
läuft: Hilde. Mit Hagen Bogdanski als DoP und
Heike Makatsch in der Titelrolle erzählt Wessel die
Geschichte einer starken Frau, die ihrer Zeit oft-
mals voraus ist. Der Engländer Dan Stevens ver-
körpert Knefs zweiten Ehemann David Cameron,
mit dem sie von 1962 bis 1976 verheiratet war. Das
Auf und Ab der Diva Hildegard Knef, die Haßliebe,
die sie mit dem deutschen Publikum verband – ein
großartiger Filmstoff.
Ihre Karriere beginnt 1943 in den Ufa-Studios,
wo sich die 19jährige Schauspielschülerin un-
sterblich in Ewald von Demandowsky verliebt,
den »Reichsfilmdramaturg«, im Film dargestellt
von Anian Zollner. Nach Propagandaminister Jo-
seph Goebbels ist der Produktionschef der Tobis
der zweitmächtigste Filmfunktionär des »Dritten
Reiches« – eine Beziehung, die man ihr später bei
der Entnazifizierung aufs Schwerste vorwerfen
wird. Als Mann verkleidet, kämpft sie in den letz-
ten Kriegstagen an Demandowskys Seite im Volks-
sturm gegen die russischen Panzer, die am Stadt-
rand Berlins aufziehen. Doch die beiden werden
in den letzten Kriegswirren von einander getrennt.
Nach Kriegsende, die Metropole liegt in Trüm-
mern, kehrt die Knef zurück. Sie schafft es wieder
auf die Bühne, wo sie der Filmproduzent Erich
Pommer (Hans Zischler) entdeckt, der nach seiner
Rückkehr aus der Emigration beim Wiederaufbau
der deutschen Filmindustrie helfen soll. Ihrer Ver-
strickung mit Demandowsky zum Trotz wird der Fot
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xl011_A2_Prod Hilde 01.04.2009 17:29 Uhr Seite 44
cınearte XL 011 Produktion | Hilde
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Hildegard Knef bei der Premiere zu Die Sünderin,
dem »Skandalfilm«, der sie berühmt machte (oben).
Schauwerte waren bei dem Biopic, das bei der Ufa
in den letzten Kriegsjahren beginnt (links) und vor
dem Mikrofon im Plattenstudio in den 60ern endet
(rechts), aber zweitrangig. »Wir wollten möglichst
nahe an der Figur sein«, sagt DoP Hagen
Bogdanski.
xl011_A2_Prod Hilde 01.04.2009 17:29 Uhr Seite 45
Produktion | Hilde cınearte XL 011
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Antifaschist Pommer ihr väterlicher Freund und
Förderer. Bereits 1946 spielt sie die weibliche
Hauptrolle in Wolfgang Staudtes Film Die Mörder
sind unter uns und wird damit zum Star. David O.
Selznick holt sie nach Hollywood, Filmrollen aber
bleiben aus. 1950 wieder in Deutschland, spielt sie
eine Prostituierte in Willi Frosts Film Die Sünderin.
Eine kurze Einstellung lang ist die Knef barbusig
zu sehen und löst damit im biederen Nachkriegs-
deutschland der Adenauer-Ära einen Skandal aus.
Doch Demonstrationen, verbarrikadierte Kinos,
Aufführungsverbote und Gerichtsverfahren bis
zum Bundesgerichtshof sind ideale Publicity. Sie-
ben Millionen Deutsche strömen in die Kinos. Mit
der Abscheu gegen die Knef wächst auch ihr
Ruhm. Wieder in den USA, dreht sie einige Filme
für die Fox, wird 1952 zur Schauspielerin mit dem
größten Sex-Appeal gewählt. Als erste Deutsche
gibt sie 1955 in einer Hauptrolle ihr Debüt am
Broadway – als Ninotschka in Cole Porters Musical
Seidenstrümpfe, auch das ein Riesenerfolg.
Zwei Jahre später will MGM das Musical verfil-
men. Hildegarde Neff, wie die Knef in englisch-
sprachigen Ländern genannt wird, soll die Haupt-
rolle spielen und singen. Aber die Fox gibt den
deutschen Star nicht frei. Wieder verläßt die Knef
die USA und begeht damit Vertragsbruch – das
Ende ihrer Hollywoodkarriere. Sie dreht Filme in
Frankreich und England, große Erfolge jedoch
bleiben aus.
Ihren Zenit als Schauspielerin hat sie offenkun-
dig hinter sich. Dafür wird sie als Chansonsänge-
rin immer bekannter, veröffentlicht zahlreiche
Schallplatten. 1962 heiratet sie ihren bereits zwei-
Ein Set aus vier Perspektiven. Neben Originalschauplätzen wurde unter anderem in Kölner Studios gedreht, wo die Blicke nach
außen noch auf die Greenscreen fielen. Das passende Panorama setzte in der Postproduktion dann Pictorion Das Werk ein, das
in den fünf Städten München, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt und Berlin Niederlassungen hat. Die vernetzte Kraft der Nach-
bearbeitung konnte man für die vielen Aufgaben auch brauchen.
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cınearte XL 011
ten Mann, den britischen Schauspieler David Ca-
meron. 1968 kommt ihre Tochter Christina Anto-
nia auf die Welt, ihre Liedzeilen »Für mich soll’s
rote Rosen regnen« gehen um die Welt. 1970 lan-
det ihr erstes Buch, die Autobiografie Der ge-
schenkte Gaul auf Platz 1 auf der Spiegel-Bestsel-
lerliste. Weitere Bücher folgen.
Als die Plattenverkäufe zurückgehen, ihre Ehe
mit David scheitert, sie an Krebs erkrankt und ihr
Gesicht liften läßt, kommt es zu einer Schlamm-
schlacht mit der deutschen Presse. Wieder flüchtet
sie, nach Los Angeles. Erst 1989 kehrt sie nach Ber-
lin zurück, im Gepäck einen Berg von Schulden.
Sie spielt Nebenrollen in Fernsehfilmen, wird von
Fernsehshow zu Fernsehshow herumgereicht, lebt
von ihrem verblassenden Ruhm und dem Ruf, die
letzte deutsche Diva zu sein. Doch ihr Gesund-
heitszustand verschlechtert sich zusehends. Nicht
zuletzt das jahrelange Rauchen fordert seinen Tri-
but. Am 1. Februar 2002 stirbt Hildegard Knef mit
76 Jahren an akuter Lungenentzündung, zwei Wo-
chen nach ihrem letzten öffentlichen Auftritt im
ZDF bei Johannes B. Kerner.
Das Drehbuch, das Maria von Heland, basierend
auf Knefs Autobiografie Der geschenkte Gaul, ge-
schrieben hat, beschränkt sich auf die Zeit von
1943 bis 1966, Knefs Anfänge bis zum Höhepunkt
ihrer Karriere. Der Plot läßt den Film mit dem
Höhepunkt beginnen, mit Hildegard Knefs erstem
Konzert in der Berliner Philharmonie, in der bis
dahin nur klassische Konzerte gegeben worden
waren.
Regisseur Kai Wessel wollte sich von vornherein
in seiner Verfilmung von Hildegard Knefs Leben
auf die Persönlichkeit der späteren Diva konzen-
trieren. Hilde ist ein Film über die Knef selbst, we-
niger über ihr Leben und die Umstände, unter de-
nen es sich so entwickelt hat. »Wir wollten
möglichst nahe an der Figur sein«, erklärt der DoP
von Hilde, Hagen Bogdanski. »Wir wollten die Per-
son psychologisch nachvollziehbar machen.
Schauwerte waren zweitrangig.«
Hagen Bogdanski, 1964 in Berlin geboren, hat
an der Berliner Kunsthochschule Fotografie stu-
diert. Er war Kameraassistent bei Xaver Schwar-
zenberger, Jürgen Jürges und Gernot Roll. Sein
xl011_A2_Prod Austausch 02.04.2009 22:01 Uhr Seite 47
Produktion | Hilde cınearte XL 011
48 zweiter Film als Kameramann war 1996 Kai Wes-
sels Kinderfilm Die Spur der roten Fässer. Das Jahr
der ersten Küsse war 2002 die zweite Zusammenar-
beit. Auf internationalem Parkett profilierte sich
Bogdanski 2004 durch seine Kameraarbeit bei
Christian Alvarts Hollywood-Debüt Case 39 mit
Renée Zellweger sowie 2008 bei Jena-Marc Vallées
The Young Victoria. Den »Deutschen Filmpreis« für
Kamera und Bildgestaltung bekam Bogdanski
2006 für Das Leben der anderen von Florian Hen-
ckel von Donnersmarck.
Hilde ist Bogdanskis dritte Zusammenarbeit
mit Kai Wessel, der ihn bereits gut zwei Jahre vor
Drehstart zu den Vorbereitungen dazugeholt hat.
»Wir haben uns sehr früh über mögliche Konzepte
unterhalten, über Motive«, erinnert sich Bogdan-
ski. »Hilde ist ein klassisches Biopic. Deshalb ha-
ben wir uns zur Vorbereitung sehr viele Biopics
angesehen, unter anderem den über Marlene Die-
trich. Ich selbst habe an Hildegard Knef keine ei-
genen Erinnerungen. Ihren Tod 2002 habe ich ge-
rade so mitbekommen, ihre künstlerische Karriere
jedoch nicht. Das war vor meiner Zeit. Aber natür-
lich stand auch bei meinen Eltern Der geschenkte
Gaul im Bücherschrank, und sie hatten eine
Schallplatte, wenn ich mich richtig erinnere.« Auf
Hilde vorbereitet hat sich Bogdanski durch das
Studium von Dokumentarfilmen und zahlreichen
Fotografien und natürlich Knefs Autobiografie. Ein
Bildband über das Konzert der Knef in der Berliner
Philharmonie 1966 diente anfangs als direkte In-
spiration, von der sich Bogdanski dann jedoch
sehr entfernt hat. »Am ehesten direkt inspiriert ha-
ben mich die Modestrecken der Zeitschrift Twen«,
meint Bogdanski. Die deutsche Jugendzeitschrift
mit aufwendigen Fotostrecken zu Lifestyle-The-
men wie Mode, Musik, Partnerschaft und Urlaub
diente als Vorlage für das England der späten 60er
Jahre.
Auch Kai Wessel verband ursprünglich wenig
mit dem Namen Hildegard Knef, obwohl er
immerhin drei Jahre älter ist als Bogdanski. »In
meiner Jugend sah man überall Schallplatten von
ihr«, erinnert sich Wessel. »Das war schon auffal-
lend. Aber in jedem Fall war es Elternkultur und
damit für mich uninteressant. Mit dem Alter wird
man natürlich gnädiger und vielleicht neugieriger,
Dinge zu verstehen, die man früher einfach abge-
tan hat. Faszinierend an der Knef ist ihre Komple- Fot
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xl011_A2_Prod Austausch 02.04.2009 22:01 Uhr Seite 48
cınearte XL 011
xität, ihr klarer, scharfer, aber bodenständiger
Blick auf das Leben und ihre liebevolle Art, immer
wieder die Absurdität zu beschreiben, die wir Le-
bensziel nennen. Und ihr vielfaches Talent! Mir
fällt keine deutsche Nachkriegskünstlerin ein, die
derart viele Begabungen hatte und damit sogar
international erfolgreich war.«
Die Zeit von 1943 bis 1966 hält Wessel für die
interessanteste in Knefs Leben. »Nach 1966 wurde
Hildegard Knef eine andere Figur«, meint auch
Drehbuchautorin Maria von Heland. »Da fing sie
an, das, was sie vorher gemacht hatte, in Literatur
und in Chansons zu verarbeiten. Mir kam das so
vor, wie es David Cameron formuliert hat, der ein-
mal von einer ›Hilde 1‹ und einer ›Hilde 2‹ sprach.«
Dramaturgisch war die Entwicklung von »Hilde 1«
besser zu einem stringenten, übersehbaren Dreh-
buch zu verarbeiten. »Der Film unternimmt nicht
den Versuch, Hildes Leben zu dokumentieren, er
will es verstehen«, so von Heland. »Es ist eine
psychologische Reise.«
Prädestiniert durch ihre große äußerliche Ähn-
lichkeit war Heike Makatsch von Anfang an vorge-
sehen für die Titelrolle. Makatsch: »Einer Figur ge-
1/2P+S
Die Knef zierte vor 60 Jahren das erste Titelbild des
Stern und heute eine Briefmarke. Aber als Jugendlicher
konnte er mit der Diva wenig anfangen, gesteht
Regisseur Kai Wessel (links): »Das war Elternkultur und
damit für mich uninteressant. Mit dem Alter wird man
natürlich gnädiger und vielleicht neugieriger.«
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Erst in der Postproduktion bei Pictorion Das Werk wurde aus mancher Kulisse ein Filmbild (oben). Die Greenscreen hält in der
Berliner Straße Platz frei für den Blick in die Tiefe, die später am Rechner hinzugefügt wird. Auch die Kulissen am Drehort in
Südafrika wurden erst durch Seterweiterungen und Matte-Malereien zum Studiogelände in Hollywood. Dabei wurde für jeden
Zeit- und Lebensabschnitt auf einen eigenen »Look« bei Licht und Farbe geachtet. DoP Hagen Bogdanski (unten) unterstrich
das noch, indem er in verschiedenen Formaten drehte. Veröffentlicht wird Hilde in Scope.
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cınearte XL 011 Produktion | Hilde
flach, ihr Haar scharf, ihre Gesichtskonturen
schon unscharf vor fast schwarzem Hintergrund.
Glamour pur. Von dort springt der Film zurück in
die 40er Jahre. »Da sind die Bilder ruhig, etwas
farblos, gehen in Richtung Schwarzweiß. Eigent-
lich wollte ich Teile des Films in Schwarzweiß dre-
hen. Die Idee wurde anfangs auch mit Begeiste-
rung aufgenommen. Der Verleih empfand sie
jedoch als unkommerziell und zu ›arthausmäßig‹.
So haben wir alles in Farbe gedreht und später
beim Colorizing entsättigt«, so Bogdanski.
Beim Sprung in die Nachkriegszeit ändert sich
der »Look« abermals. »Die Zeit des Wirtschafts-
wunders zeigen wir farbiger, opulenter, auch in
den Kamerabewegungen. Hiervon mußten sich
die Szenen in Hollywood unterscheiden. Sie sind
wie in Westsonne aufgenommen. Sie haben eine
andere Farbigkeit, erwecken den Eindruck greller
Sonne und haben dunklere Schatten.« Um die
1/4Chrosziel
recht zu werden, von der viele Menschen schon
ein starkes Bild haben, von der es Filme gibt, Ton-
aufnahmen, das ist schon eine Herausforderung.
Natürlich ist das meine Interpretation von Hilde-
gard Knef, dabei durfte ich jedoch nicht vergessen,
daß sie viele Spuren hinterlassen hat. Darum habe
ich mich schon stark mit dem Bildmaterial ausein-
andergesetzt und mit ihren Talkshowauftritten.
Die junge Hildegard Knef habe ich viel freier ge-
staltet als die ältere. Da gab es auch viel weniger
Vorlagen. Als junges Mädchen kann sie nicht so
gewesen sein wie als 40jährige Frau. Da ist zu viel
Theater, zu viel Film, zu viel Diva in dieser Frau.«
Makatsch führte lange Gespräche mit Knefs
drittem Ehemann, dem österreichisch-ungari-
schen Aristokraten Paul Freiherr von Schell. Ma-
katsch hat sich private Filmaufnahmen von Knefs
erstem Ehemann, dem Schauspielagenten Kurt
Hirsch, angesehen und alles über Hildegard Knef
gelesen, was sie finden konnte. »Sie hat sich, frü-
her noch als ich, intensiv mit ihr befaßt, hat Ge-
sangsstunden genommen und Berlinerisch ge-
paukt«, lobt Wessel seine Hauptdarstellerin. »Die
Schwierigkeit war eher zu entscheiden, was man
von diesem komplexen Lebenslauf erzählen muß
und was man auslassen kann. Heike war sehr eng
mit der Entwicklung des Filmes betraut. Wir ha-
ben vor allem diskutiert, welche Bögen uns wich-
tig sind, wie die emotionalen Zustände waren,
welche Sehnsüchte Hildegard Knef in den jeweili-
gen Jahren getrieben haben mögen.«
Die psychologische Reise, die Umstände zu er-
zählen, die sich auf die persönliche Entwicklung
Hildegard Knefs ausgewirkt haben, war eine Her-
ausforderung für Bogdanski. »Verschiedene Ab-
schnitte in Hildes Leben sollten verschiedene
Looks bekommen, ohne daß der Film visuell aus-
einanderfällt. Ihre Lebensentscheidungen waren
sehr konsequent und teilweise abrupt«, meint
Bogdanski. Beim Konzert in der Berliner Philhar-
monie 1966 zeigt er die Knef in kühlem Glamour.
Die Verfolger der Bühnenbeleuchtung nutzt er
nicht als Vorder-, sondern als Gegenlicht, die in
Heike Makatschs Haar einen Lichtkranz erzeugen,
auf ihr Gesicht nur eine Kante werfen. In einer
Großaufnahme etwa ist die Schärfenebene ganz
xl011_A2_Prod Austausch 02.04.2009 22:01 Uhr Seite 51
Produktion | Hilde cınearte XL 011
52
Unterschiede zwischen den einzelnen »Looks«
und Lebensabschnitten noch deutlicher zu ma-
chen, drehte Bogdanski in unterschiedlichen For-
maten. Hilde wird in Scope veröffentlicht. Gedreht
wurde der Film jedoch auf Super 35, Super 16 und
Normal 16. Bogdanski fotografierte auf Negativ-
und Umkehrfilm. Außerdem wurde Archivmateri-
al eingesetzt. Kamera- und Beleuchtungsequip-
ment kamen von Cinegate Berlin und Köln.
Das Vorhaben, die Szenen im Hollywood der
50er und 60er Jahre tatsächlich in Los Angeles zu
drehen, wurde aus Kostengründen schnell ver-
worfen. Dasselbe galt für England, trotz eines rela-
tiv hohen Budgets. »Acht bis neun Millionen Euro
hat der Film gekostet, so weit ich weiß«, sagt
Bogdanski.
Andere Quellen sprechen von 15 Millionen. Sie
ermöglichten es immerhin, Szenen, die in den
USA und Großbritannien spielen, in Südafrika zu
realisieren. »Was wir nicht bedacht hatten, war das
schlechte Wetter, das es im August in Südafrika ge-
ben kann«, resümiert Produzentin Tossell. »Es hat
geregnet und geregnet. Aber am Ende hatten wir
bei unseren Drehtagen richtig Glück. Als es Lon-
don sein sollte, hat es geregnet, und als es Holly-
wood sein sollte, schien die Sonne.«
Studioaufnahmen wurden in Deutschland un-
ter anderem in den Kölner MMC-Studios gedreht.
Viele Szenen entstanden an Originaldrehorten,
wie dem Flughafen Tempelhof und der Berliner
Philharmonie. Hier kam es zu Problemen durch
ein Feuer, das kurz vor Drehbeginn bei Bauarbei-
ten an der Philharmonie ausgebrochen ist. Trotz-
dem konnte das Gebäude schließlich als Location
genutzt werden. Szenen vom Kriegsende entstan-
den in der »Berliner Straße« im Studio Babelsberg
sowie bei einem Häuserabbruch in Dresden. Wei-
tere Stationen waren Breslau und Magdeburg.
Und aufgrund der Förderung durch die Filmstif-
tung NRW wurde auch an Locations in Nordrhein
Westfalen gedreht – unter anderem in Bonn, das
immer öfter von Film- und Fernsehproduktionen
frequentiert wird. Die Godesberger Redoute, ein
ehemals kurfürstliches Ballhaus aus der zweiten
Hälfte des 18. Jahrhunderts, diente sowohl als
Drehort für Szenen im Berliner Nobelhotel Adlon
Kempinski als auch für Hildes private Villa. Im be-
nachbarten Redoutenpark stellte das Team durch
strenges Blocking abgeschirmt Dreharbeiten zu
Die Sünderin nach. Die ehemalige Bundeshaupt-
stadt mit ihren nach wie vor zahlreichen leer ste-
henden, teils historischen, Regierungsgebäuden
bot noch weitere Locations, wie die ehemalige
Wirtschaftskammer und das Bundesamt für Wehr-
verwaltung.
Trotz des publikumsträchtigen Themas mußte
die Produktion dreimal verschoben werden, so
Bogdanski. Die letzte Verzögerung gab es erst we-
nige Wochen vor dem schließlich geplanten Dreh-
start, weil ein Teil der Förderung bis zum letzten
Moment nicht sicher war. Doch Produzentin Judy
Und immer wieder sollte es rote
Rosen regnen: Die Knef wurde
unzählige Male ausgezeichnet –
mit dem »Deutschen Filmpreis«,
damals noch »Bundesfilmpreis«
genannt.
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cınearte XL 011
Tossell hat die schwierige Situation gemeistert,
und die Dreharbeiten konnten schließlich Mitte
Juni 2008 endgültig beginnen.
»Es waren etwa 43 Drehtage«, schätzt Bogdan-
ski. »Wir haben bis Ende August gedreht, zuletzt in
Südafrika. Auch in Deutschland hatten wir prak-
tisch jeden Tag ein anderes Motiv, mußten sehr
viel umziehen, was logistisch sehr aufwendig war.
Mein Oberbeleuchter Janosch Voss hat das sehr
gut gelöst.« Auch Bogdanskis erste Kameraassis-
tentin Andrea Theiss hatte alle Hände voll zu tun,
um dafür zu sorgen, daß das umfangreiche und
vielfältige Kameragerät an den verschiedenen Lo-
cations zuverlässig zur Verfügung stand. »Andrea
hatte diese ganze Logistik, inklusive der Drehar-
beiten in Südafrika, hervorragend im Griff. Ohne
Janosch und Andrea wäre ich ziemlich alleine ge-
wesen auf weiter Flur.«
Ein freudiges Ereignis gab es einige Monate
nach Drehende. Andrea Theiss bekam ein Kind.
Zum Ende der Dreharbeiten war sie bereits seit
mehreren Wochen schwanger. »Ich habe mich un-
heimlich für Andrea gefreut!«, begeistert sich
Bogdanski. »Aber ich war froh, sie noch als Assis-
tentin dabei gehabt zu haben. Mit einer fortge-
schrittenen Schwangerschaft hätte ich sie nicht so
gerne arbeiten gesehen. Das ist einfach eine zu
große Belastung«, meint Bodganski, der mit Frau
und Kindern in Hildes Wahlheimat zu Hause ist:
Berlin.
Hilde Deutschland 2009 Regie Kai Wessel
Drehbuch Maria von Heland Kamera Hagen
Bogdanski (bvk) Szenenbild Thomas Freudenthal
(sfk) Kostüm Lucie Bates (sfk) Maske Wolfgang
Böge, Heiko Schmidt Montage Tina Freitag (bfs)
Musik Martin Todsharow Originalton Erik Seifert
(vdt) Sound Design Guido Zettier Mischton-
meister Stefan Korte Besetzung Nina Haun,
Leo Davis, Lissy Holm Herstellungsleitung Anne
Leppin Produzentin Judy Tossell Darsteller
Heike Makatsch, Dan Stevens, Monica Bleibtreu,
Michael Gwisdek, Hanns Zischler, Anian Zollner,
Trystan Pütter, Johanna Gastdorf, Sylvester Grot,
Roger Cicero Kinostart 12. März 2009.
1/2Kamtek
c
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sich über die ganze Rückwand des Saals in die
Länge zieht. Zwei Meter breit vielleicht, aber das
ist schwer abzuschätzen, weil er an beiden Seite
mit Geräten und Maschinen vollgestellt ist. Bleibt
ein schmaler Korridor, in dem sich zwei Menschen
aneinander vorbeischieben können, der mit
Durchgängen nochmals unterteilt ist. Wer zum er-
sten Mal hier ist oder in Eile, steht schnell schon
mal im Weg. Vier Menschen drängen sich hier im
mittleren Abschnitt. Jeder ist mit etwas beschäf-
tigt, eilig hat es keiner.
»Die Zeiten, daß wir vor der Premiere hektisch
werden, sind lange vorbei«, sagt Uli Schmidt. Es ist
die 23. Berlinale, für die er am Projektor steht. Da-
mit ist er der Dienstälteste der sechs Vorführer im
»Berlinale-Palast«. Gewissermaßen der Chefpro-
jektionist. Den Begriff benutzt er nicht. Wenn Uli
aus dem Vorführraum erzählt, spricht er vom
Team. Das mag auch an seinem anderen Beruf lie-
gen, dem, den er »richtig« gelernt hat, mit Studium
und so. Denn wenn Uli Schmidt keine Filme vor-
führt, dreht er sie – als Kameraassistent oder Ope-
rator, vier bis fünf Spielfilme oder Fernsehspiele
pro Jahr. Das sei ein guter Rhythmus, sagt er. Den
Rest der Zeit ist er Projektionist in der »Astor Film
Lounge«, ehemals »Filmpalast Berlin«, Berlins
neuem Edelkino am Kurfürstendamm.
Draußen vor dem »Berlinale-Palast« liegen die
roten Teppiche. An den Absperrungen drücken
sich die ersten Schaulustigen herum. Im Foyer
rüsten sich die Einweiser. Gedämpft die Stim-
mung – noch eine Stunde bis zur Abendgala. Der
ganz große Auftrieb ist wohl nicht zu erwarten.
Lukas Moodyssons Wettbewerbsfilm Mammooth
läuft. Ein Fest für Cineasten, aber nicht mit den
Namen besetzt, die den Boulevard an den Teppich
locken.
Für sowas hat die Berlinale andere Beträge im
Wettbewerb. Der rosarote Panther 2 zum Beispiel.
Nicht unbedingt der Titel, den man auf dem zweit-
wichtigsten Filmfest der Welt erwartet, aber er
sorgt für Aufmerksamkeit. »Außer Konkurrenz«
laufen solche Beiträge darum.
Der Kinosaal, wo übers Jahr Musicals aufge-
führt werden, aber keine Filme, ist noch leer. Sanf-
tes Licht liegt über den roten Polstermöbeln, die
Hostessen erkunden schon mal ihre Positionen.
Sie haben ihre Uniformen gegen schwarze Abend-
kleider gewechselt. Wenn sich die Gäste der Pre-
mierenvorstellung gleich durch die Lichtschleuse
in den Saal schieben, werden sie die Tür an der
Seite wohl alle übersehen haben.
Das ist normal, und muß wohl auch so sein.
Denn hinter der Tür befindet sich der wichtigste
Raum des Festivals. Es ist ein langer Schlauch, der
Report | Projektion cınearte XL 011
54
SchattenspielerWenn bei den Berliner Filmfestspielen alle nur Augen für die Leinwand und den roten Teppich
haben, ist das schon ganz richtig so. Das Team im Projektionsraum weiß dann zumindest, daß es
seine Sache gut gemacht hat.
Text Peter Hartig | Fotos Sabine Felber
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cınearte XL 011 Report | Projektion
55
Das Leben, 24 mal pro Sekunde – wenn die Anzeige stimmt.
So sieht die Kinowelt aus der Sicht eines Projektionisten aus.
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Report | Projektion cınearte XL 011
56
Vorne im Saal blitzen Fotoapparate. Genau ge-
nommen blitzen sie draußen vor dem Kino, wo ge-
rade das Darstellerensemble aus der Limousine
steigt und sich den Fotografen und Schaulustigen
stellt, die jetzt doch mehr geworden sind. Die Ber-
linale ist populär geworden. Die ganz bekannten
Namen braucht es gar nicht mehr. Zu sehen ist
das auf einer kleinen Leinwand auf der Bühne –
von der Größe, auf die Ende der 70er viele Groß-
stadtkinos das Filmerlebnis herunterformatierten.
Und wie sie manche Multiplexe heute noch in Saal
12 und weiter hinten anbieten. Für die Arthouse-
Filme oder die in der 21. Woche.
Die richtige Leinwand hängt noch oben, gut
zehn Meter über der Bühne mit den anderen Ku-
lissen, an einem Rack. Den Rest des Jahre über ist
der »Berlinale-Palast« Musicaltheater. Mit den
Lautsprechern dahinter wird die Leinwand an den
Gala-Abenden erst kurz vor der Vorstellung her-
untergelassen und jedesmal neu verkabelt. Die
kann deshalb auch schon mal vergessen werden.
Wie 2001 bei Tom Tykwers Heaven geschehen –
zum Glück nur morgens bei der Probe.
Viel Aufwand für zehn Festspieltage. Auch hin-
ten: Im Vorführraum stehen drei große Kinoton-
Projektoren nebeneinander. Der FP30E ist ein 35-
Millimeter-Projektor, die beiden FP75E können
mit wenigen Handgriffen auf 70 Millimeter umge-
rüstet werden – die Transportwalzen sind so ange-
legt, daß beide Größen über sie laufen. »Im Prinzip
können wir fast alles spielen, was in der Kinoge-
schichte an Formaten üblich war«, erklärt
Schmidt.
Im nächsten Raum steht die große Barco-Bea-
mer für die digitaleProjektion, von der jetzt überall
so viel die Rede ist. Auch bei der Berlinale. Sechs
der 19 Wettbewerbsfilme sollten als Digitalprojek-
tionen vorgeführt werden, auch der Eröffnungs-
film The International. Weitere Kinoserver hatte
das Festival angeschafft, weitere Säle aufgerüstet,
ein technischer Dienstleister hatte sich für die Be-
treuung für die Dauer des Festivals im »Berlinale-
Palast« eingerichtet, und Barco eine Truppe eige-
ner Techniker mitgeschickt.
Denn die neue Technik macht es auch nicht
leichter. In den fünf Jahren, seit auch bei den Film-
Nach der letzten Vorstellung beginnt die Nachtschicht für Uli
Schmidt und seine Kollegen – Proben für den nächsten Tag.
Wenn wir geahnt hätten, welcher Aufwand so im Projektions-
raum getrieben wird, würden wir wohl öfter mal die Finger
vom Videorekorder lassen. Und mit mehr Ehrfurcht ins Kino
gehen.
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München 089/68 95 92-0 . [email protected] 040/59 35 46 60 . [email protected]öln 0221/969 71 51 . [email protected] 030/757 82-220 . [email protected] 0341/241 97 21 . [email protected]
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Mit den neuen 35 mm Single-Sensoren stoßendigitale Kameras in Leistungsbereiche vor,die bis vor kurzem noch analogen Filmka-meras vorbehalten waren. Vorausgesetztdas Equipment und der digitale Work-flow stimmt. Aber dafür haben Sie ja uns.In München, Hamburg, Köln, Berlin.
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cınearte XL 011
festspielen die digitale Projektion üblich ist, gab es
auch Schwierigkeiten. Denn die digitalen Formate
sind nicht gleich, jedes hat seine anderen techni-
schen Vorgaben.
Mitunter spielen sich hier hinten im Vorführ-
raum Dramen ab, von denen die Zuschauer vorne
nichts ahnen. Die sie auch nicht verstehen wür-
den, obwohl sie gewaltiger sind als manches, was
vorne auf der Leinwand geschieht. Ed Lachman
saß hier, der Robert Altmans letzten Film aufge-
nommen hatte und sein Koregisseur war. A Prairie
Home Companion, Wettbewerbsbeitrag 2006,
komplett digital aufgenommen. Und so sollte
auch projiziert werden. Bis zur Probe: »Ihm liefen
die Tränen übers Geicht«, erzählt Schmidt. »Kein
sattes Schwarz! Ich habe ihm dann gesagt, wir hät-
ten auch eine 35-Millimeter-Kopie, auf die ich ja
eben mal wechseln könnte. Eine Minute später
war die Entscheidung klar.« Die Premiere lief dann
vom Film.
Auf einen Glaubenskrieg will sich Schmidt dabei
nicht einlassen. »Es geht nicht um digital oder
analog, sondern darum, mit welcher Gründlich-
keit eine Kopie hergestellt wurde – egal, ob als Da-
tenpaket oder als Filmkopie. Allerdings: Im direk-
ten Vergleich von exzellenten Filmkopien gegen
digitale Medien gewinnt immer noch der Film
wegen seines besseren Kontrastumfangs mit sei-
nen echten Schwärzen und Zeichnungen in den
Lichtern. Leider sind die Massenkopien mancher
Verleiher oft nur sehr mittelmäßig.« Freilich hat
der Projektionist ganz andere Möglichkeiten, zu
reagieren. Wenn die DLP-Maschine versagt, hilft
nur noch der Ingenieur vom Kundendienst. Am
Filmprojektor kann man notfalls noch selbst Hand
anlegen.
Den Teller von Hand drehen, wenn der Motor
mitten in der Vorstellung kaputt geht – auch das ist
schon vorgekommen und noch mehr. »Wir haben
Projektoren auseinandergebaut, das Bildfenster
mit Alufolie unterfüttert, um die Schärfe bei
Schrägprojektion auszugleichen – solche Tricks
gehen natürlich nicht an einem digitalen Projek-
tor.«
Und das geht auch nicht in den meisten Kinos,
wo oft angelernte Studenten auf den Schalter
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Report | Projektion cınearte XL 011
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drücken und zehn Filme auf einmal fahren. Wo die
Filme vom Teller laufen, und keiner mehr Über-
blenden lernt. Wo nicht jeder weiß, daß auch der
Vorführer auf den Bildstrich achten muß, wenn
ein Film »Open Gate« geliefert wird, weil sonst
mitunter die Mikros auf der Leinwand baumeln
oder die Kadrage nicht stimmt. Das muß man ler-
nen. Und sich für die Bilder interessieren.
Das Team im »Berlinale-Palast« hat da die be-
sten Voraussetzungen. Drei der sechs kommen
von der anderen Seite des Bildermachens: Neben
Uli Schmidt sind auch Andreas Erben und Christi-
ne Wagner Mitglieder im Bundesverband Kamera.
Wagner kam vor fünf Jahren dazu, Erben ist seit
2000 Festspielprojektionist. Vor zwei Jahren durfte
er seinen eigenen Film zeigen: Andreas war Erster
Focus Puller bei Die Fälscher – Österreichs erstem
»Oscar«-Film und Wettbewerbsfilm auf der Berli-
nale. Da stellte er dann auch wieder die Schärfe
ein.
Die Schauspieler sind jetzt im ersten Stock an-
gekommen. Während immer mehr Zuschauer in
den Saal strömen, unterzeichnen sie die großfor-
matigen Fotos, die den Treppenaufgang im »Berli-
nale-Palast« jedes Jahr schmücken.
Uli Schmidt war 14, als er an den Projektor kam.
Er stammt aus der Fränkischen Schweiz. Schöne
Landschaft, aber nicht gerade Kinogegend. Mit
einem Wanderkino zog er am Wochenende mit
einem 35-Millimeter-Projektor über die Dörfer.
»Da lernt man auch, mit der Technik umzugehen.«
Wenn etwas kaputt ging, mußte man improvisie-
ren. Nach dem Abitur jobbte er im Kopierwerk von
Berola in Forchheim, abends und am Wochen-
ende saß er im Projektionsraum des »Kinocenter
Forchheim« von Smaragda Dengler, des Kinos der
Kreisstadt. »Da habe ich überblenden gelernt.«
Als er schließlich nach Berlin ging, an die dama-
lige SFOF, um die Arbeit an der Kamera zu lernen,
war klar, daß er auch wieder im Kino landen wür-
de. 1987, seine erste Berlinale. Quer durch die
Stadt zog sich noch eine Mauer, und der »Zoo-Pa-
last« war das Hauptkino der Festspiele. »Dort habe
ich während der Festspiele im Filmmarkt vorge-
führt. Danach hat man mir im ›Gloria-Palast‹ ne-
ben der Gedächtniskirche die Wochenendvertre-
Ein Schrank für jede Tonart. Im Berlinale-Palast kann jedes
Format abgespielt werden. Vom einstigen Digitalton-Pionier
ist nur noch ein Putzlappen übriggeblieben.
xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 58
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FilmFernsehFonds Bayern GmbHSonnenstr. 21 I 80331 MünchenTel. 089-544 602 -0 I Fax 089-544 602 [email protected]
JOHN RABENominiert für Bester Spielfilm (Mischa Hofmann, Hofmann &Voges Entertainment; Benjamin Herrmann, Majestic Film; JanMojto, EOS Entertainment), Beste Regie (Florian Gallenberger),Beste männliche Hauptrolle (Ulrich Tukur), Beste Kamera/Bild-gestaltung (Jürgen Jürges), Bestes Szenenbild (Tu Ju Hua), BestesKostüm (Lisy Christl), Beste männliche Nebenrolle (Steve Buscemi)
DER BAADER MEINHOF KOMPLEXNominiert für Bester Spielfilm (Bernd Eichinger, Constantin Film),Beste Regie (Uli Edel), Bestes Drehbuch (Uli Edel), Beste weiblicheHauptrolle (Johanna Wokalek), Bestes Kostüm (Birgit Misall)
IM WINTER EIN JAHRNominiert für Bester Spielfilm (Uschi Reich, Bavaria Filmverleih –und Produktion; Martin Moszkowicz, Constantin Film), Bestemännliche Hauptrolle (Josef Bierbichler), Bester Schnitt (PatriciaRommel), Beste Filmmusik (Niki Reiser)
KRABATNominiert für Bestes Szenenbild (Christian M. Goldberg),Beste Filmmusik (Annette Focks), Beste Tongestaltung (ManfredBanach, Tschangis Chahrokh, Dirk Jacob, Carsten Richter)
NORDWANDNominiert für Beste Kamera/Bildgestaltung (Kolja Brandt),Bestes Szenenbild (Udo Kramer), Beste Tongestaltung (ChristianBischoff, Tschangis Chahrokh, Heinz Ebner, Guido Zettier)
EFFI BRIESTNominiert für Beste männliche Nebenrolle (Rüdiger Vogler)Bestes Kostüm (Lucie Bates)
HEXE LILLI - DER DRACHE UNDDAS MAGISCHE BUCHNominiert für Bester Kinder-/Jugendfilm (Blue Eyes Fiction,Trixter Film)
FilmFernsehFonds Bayern beimDeutschen Filmpreis 2009
WIR FREUEN UNS ÜBER
24 NOMINIERUNGEN
FÜR SIEBEN
FFF-GEFÖRDERTE
KINOFILME
xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 59
Report | Projektion cınearte XL 011
60
tungen für Herrn Hansmann angeboten. Ein Vor-
führer der alten Schule«, erzählt Schmidt. »Ich
stellte mich vor und sagte: ›Ich kann das!‹ Hans-
mann brauchte fünf Minuten, um mir zu zeigen,
daß ich nichts eigentlich noch ziemlich wenig
kann. Und so begann eine richtige Lehrzeit.«
Während er erzählt, hat sich der Saal gefüllt.
Die ersten Akte sind eingespannt, die Leinwand
heruntergefahren. Der Festspiel-Trailer läuft, ent-
spannte Lounge-Stimmung im Saal. »Da ist noch
ein Lichtfleck auf der Leinwand«, bemerkt Bert
Günther, der Mann am anderen Projektor. Nichts
darf den Bildeindruck stören. Den Ton auch nicht.
Deshalb hat Christine Wagner ihren Posten drau-
ßen im Saal und horcht, ob Klang und Lautstärke
stimmen. Keine Selbstverständlichkeit im Kino.
An Tönen steht alles zur Auswahl. An der Rück-
wand steht ein mannshohes Rack. Wahlweise
kann Dolby Digital abgespielt werden oder DTS
oder SDDS oder, wenn gar nichts hilft, analoger
Lichtton. Manche Kopien bieten alles: Die Licht-
tonspur verläuft auf der einen Seite der Bilder, da-
neben zieht sich der DTS Timecode wie ein Strich-
code und auf den Kanten zwei SDDS-Spuren. Das
Dolby-Signal sitzt zwischen den Perforationslö-
chern: Wie das Scannerbild auf den Onlinetickets
der Deutschen Bahn sieht es aus, im Zentrum der
winzigkleinen Marken das Dolby-Logo.
Es herrscht ein bitterer Verdrängungkampf auf
dem Filmstreifen. Zehn Prozent Marktanteil hat
DTS, den ganzen großen Rest Dolby. SDDS hat
sich heimlich schon fast verabschiedet. Auch L.C.
Concept war mal möglich, eine französische
Entwicklung und das erste digitale Tonystem am
Markt. Kusturicas Arizona Dream war Anfang der
1990er Jahre damit ausgestattet. Nur noch einen
Putzlappen mit dem Logo haben sie im Projek-
tionsraum davon übrigbehalten.
Dann läuft der Film. Der Vorführer ist zufrie-
den: »Ein tolle Kopie! Das bekommt man digital
gar nicht hin mit diesem Schwarz.« Im Kino leider
auch nicht oft. Was hier läuft, kommt frisch aus
dem Kopierwerk, eine Festivalkopie eben, bei der
sich alle besondere Mühe geben. Auch die Projek-
tionisten. Nach der Abendpremiere fängt im »Ber-
linale-Palast« nämlich die Arbeit erst an. Die gan-
Überblenden muß man können, um beim Festival vorzuführen.
Eine kleine Markierung in der Bildecke warnt den Vorführer,
daß es Zeit wird für die nächste Rolle. Danach bleiben nur
noch sechs Sekunden und 24 Frames. Und die Leinwand darf
nicht dunkel werden. Christine Wagner (unten) hört im Saal
genau hin, daß der Ton stimmt.
xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 60
ze Nacht durch haben die Verleiher und Produzen-
ten den Saal für eine Generalprobe gebucht, um
Ihre Kopien oder Untertitel zu prüfen. Klingt die
Tonmischung perfekt und stimmt die Helligkeit
der Projektion? Manches kann jetzt noch verbes-
sert oder gerettet werden. Gestern war Sally Potter
da, um zwei Kopien zu vergleichen. Dem Zufall
wird nichts überlassen. Zwei Projektoren sind nor-
malerweise im Einsatz, der dritte steht als Reserve.
Eine kleine Markierung in der Bildecke warnt
den Vorführer, daß es Zeit wird für die Überblen-
dung, sechs Sekunden später das zweite Signal.
Danach bleiben nur noch 24 Frames. Manchmal
machen sich Vorführer einen Sport daraus, wer die
Rolle bis zum letzten Bild auskosten kann, nach
dem Überblendzeichen am längsten abwartet, bis
er auf die andere Rolle überblendet, ohne daß die
Leinwand dazwischen schwarz wird. Ein Spiel,
klar. Aber auch der Versuch, wirklich jedes Bild
herauszuholen. Im Wechsel zwischen den Akten
passiert zwar nicht viel, damit nichts Wesentliches
in der Handlung verloren geht, wenn irgendwo ein
Vorführer nicht richtig aufpaßt, aber jedes Bild ist
ein Stück Filmkunst. Der Rollenwechsel auch.
Selbst wenn er nicht mehr oft praktiziert wird.
In den meisten Kinos werden die Akte vor der er-
sten Vorstellung zusammengeklebt und vom Teller
gespielt. Das spart Zeit und Arbeit, und der Vor-
führer kann so mehrere Säle auf einmal bedienen.
Das Publikum wird sich schon melden, wenn
plötzlich die Schärfe nicht stimmt. Daß der Film
nach jeder Station ein Stückchen kürzer wird, weil
die Akte am Ende auch wieder getrennt werden
müssen und die Klebestellen geschnitten werden,
merkt es nicht. Wer sieht schon 24stelsekunden?
Nur bei Festivalkopien ist solche Schnippelei un-
denkbar.
Mag sein, daß das Publikum nichts von alldem
mitbekommt – so soll es ja auch sein. Unbemerkt
bleibt die Arbeit nicht. Schon »mehr als einmal«
seien Vertreter der Verleihfirmen hinterher zu den
Vorführern gekommen, um sich zu bedanken.
Und Sätze zu sagen wie: »Wir wünschten, in Can-
nes wäre die Projektion genauso perfekt!« Da lä-
chelt Schmidt ein wenig stolz: »Das ist das schön-
ste Lob.«
cınearte XL 011
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c
xl011_B1_Projektion 01.04.2009 18:11 Uhr Seite 61
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Analyse | Panic Room cınearte XL 011
62
Spiel mit derReduzierter Raum, Einheit von Raum und Zeit – das hat im Film Tradition als
Spannungserzeuger. Wie man es trotzdem noch ein bißchen anders machen
kann, zeigte David Fincher im Panic Room.
Text Ian Umlauff Fot
o:C
olum
bia
Tris
tar
Nur keine Panik: Für die Dramatisierung
des hauptsächlich in einem Raum
spielenden Films benutzten Regisseur
David Fincher und sein Kameramann
Conrad W. Hall unter anderem starke
Ober- und Untersichten. Auffallend ist
auch die äußerliche Ähnlichkeit von
»Tochter« Kristen Stewart und »Mutter«
Jodie Foster – obwohl letztere erst spät
einsprang.
xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 62
cınearte XL 011 Analyse | Panic Room
63
Kaum einer wird es bestreiten: David Fincher gehört zu den der-
zeitigen Regiegrößen Hollywoods. Für 13 »Oscars« war sein jüngster
Film Der seltsame Fall des Benjamin Button nominiert, darunter in
den Kategorien Bester Film, Regie, Bildgestaltung, Art Direction, Vi-
sual Effects, bester Schauspieler in einer Hauptrolle und beste
Schauspielerin in einer Nebenrolle. Aber auch ihm erging es wie vie-
len anderen vor ihm: Abräumen tat überraschend ein anderer, die-
Angst
xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 63
Analyse | Panic Room cınearte XL 011
64
ses Jahr Danny Boyles Slumdog Millionäre. Fin-
chers Benjamin Button erhielt immerhin drei
»Academy Awards« – für die Kategorien Szenen-
bild, Visuelle Effekte und Maske.
Fincher hat sich mit Alien 3 – Die Wiedergeburt,
(USA 1992, Bild Alex Thomson), Sieben (USA 1995,
Bild Darius Khondji, Harri Savides), The Game –
Das Geschenk seines Lebens (USA 1997, Bild Harris
Savides) und Fight Club (USA 2000, Bild Jeff Cro-
nenweth) einen Namen gemacht als Regisseur er-
zählerisch komplexer Psychotrips. Die Fans lieben
das Gefühl der grausigen Verunsicherung, das un-
vorbereitete Zuschauer nach dem Abspann
manchmal auch etwas verstört mit nach Hause
nehmen. So gingen die Meinungen der Kritiker zu
Fight Club vielfach auseinander. »Den ambitio-
nierten Wunsch, eine Synthese aus groß angeleg-
ter Hollywood-Produktion und europäischem
Autorenkino herbeizuführen, um damit etwas
Drittes, völlig Neues zu schaffen«, bescheinigte
der katholische Filmdienst Finchers Fight Club.
»Trotz seines Scheiterns ein achtbares Unterfan-
gen«.
Auch mit Finchers Film Panic Room, fotografiert
von Conrad W. Hall, tat sich die Kritik mitunter
schwer. Filme von A-Z.de, die Internetdatenbank
des neuen Lexikons des Internationalen Films, ur-
teilte: »Mit kameratechnischen Kabinettstückche
gespicktes Spannungskino, das eine komplexe
Mutter-Tochter-Beziehung behauptet, ohne sie
glaubwürdig zu belegen. Zwar liefert der Film soli-
des Genrekino, doch gemessen an anderen Pro-
duktionen David Finchers, der hier seinen eigen-
willigen Stilwillen nur aufschimmern läßt, bietet
er vor allem nur routiniertes Handwerk.« Bei Fin-
cher sollte man vielleicht alleine deswegen schon
genauer hinsehen, was dahinter steckt.
Nicht erst seit den Anschlägen vom 11. Septem-
ber 2001 geht in der amerikanischen Bevölkerung
eine steigende Angst um Heim und Hof um. In
Metropolen wie New York sind die großen luxuriö-
sen Stadthäuser immer öfter mit Schutzräumen
ausgestattet. Oft erst nachträglich eingebaut, sol-
len diese gepanzerten und mit umfangreicher
Überwachungs- und Kommunikationstechnik
ausgestatteten Geheimkammern den Bewohnern
Zuflucht vor unerwünschten Eindringlingen bie-
ten. Auch das »Stadtpalais«, in das Meg Altman
(Jodie Foster) und ihre vielleicht zwölfjährige
Tochter Sarah (Kristen Stewart) einziehen, bietet
eine solche Zuflucht: einen »Panic Room«.
Der zur Klaustrophobie neigenden Meg ist der
Raum nicht geheuer. Sie ahnt nicht, wie schnell sie
und ihre Tochter ihn brauchen werden. Denn
schon in der ersten Nacht im neuen Domizil wer-
den sie Opfer eines Einbruchs: Drei Männer drin-
gen in das Haus ein. Meg und Sarah ist im ersten
Stockwerk der Fluchtweg auf die Straße abge-
schnitten. Einzige Zuflucht bietet der »Panik-
Raum«, ebenfalls im ersten Stock gelegen. Dort
verschanzen sich die beiden. Was sie nicht wissen
können: Was die drei Einbrecher suchen, das ver-F
otos
:Ian
Um
lauf
f|C
olum
bia
Tris
tar
Jim Haygood (links) hatte schon David Finchers Musikvideos für
Madonna und die Rolling Stones montiert, aber auch mehrere seiner
Spielfilme, ehe sich die beiden in den Panic Room wagten. Ein Dreh
mit Hindernissen: Jodie Foster (Foto rechts, mit dem Regisseur)
sprang für die verletzte Nicole Kidman ein. Das Drehbuch mußte
daraufhin umgeschrieben werden.
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cınearte XL 011 Analyse | Panic Room
65
schollene Millionenvermögen des ehemaligen
Hausherrn, befindet sich genau dort.
Fincher sieht den Plot in der Nähe zu Hitch-
cocks Das Fenster zum Hof (USA 1954, Bild Robert
Burks), der nach einem Drehbuch von John Mi-
chael Hayes 1999 von Jeff Bleckner für das Fernse-
hen mit Christopher Reeve neu verfilmt wurde
(Bild Ken Kelsch), hauptsächlich aufgrund der bei-
den Geschichten gemeinsamen Einheit von Ort
und Zeit. Mit Hitchcock verglichen werden will er
jedoch nicht – eher dem Genre seinen eigenen
Stempel aufdrücken unter Ausnutzung aller, auch
digitaler, Mittel.
Entgegen der »Mittelklasse-Vorstellung von ei-
nem modernen Thriller, zum Beispiel, daß alles
gut ausgeht«, wollte Fincher, wie er im American
Cinematographer erläutert hat, den Film »ein biß-
chen schmutziger« und »weniger vorhersehbar«
machen. Es gebe zahlreiche »Drehungen und
Wendungen« in der Geschichte, auf die die Figu-
ren keinen Einfluß haben. Dem sollte der Zu-
schauer in seinem Film folgen können.
In dieser Hinsicht weist Panic Room dramaturgi-
sche Parallelen zu Terence Youngs Verfilmung von
Frederick Knotts Bühnenstück Warte, bis es dun-
kel wird (USA 1967, Bild Charles Lang) auf. Auch
hier wird eine junge Frau, gespielt von Audrey
Hepburn, von drei Gangstern terrorisiert, um ihr
ein »MacGuffin« abzupressen, das sich, anfangs
noch ohne ihr Wissen, in ihrem Haus befindet. In
dem Film erscheint die Protagonistin durch ihre
Blindheit zusätzlich verwundbar. In Panic Room
ist Megs größte Schwäche ihre zuckerkranke Toch-
ter Sarah. Durch die Todesangst, die das Mädchen
erlebt, sinkt ihr Blutzuckerspiegel unter den kriti-
schen Wert. Das Mädchen erleidet einen Schock,
braucht dringend eine lebensrettende Injektion.
Ein erschwerendes Detail, wenn man sich mit be-
waffneten und zu Allem bereiten Gangstern im ei-
genen Haus herumschlagen muß.
Und wie in Youngs Film sind auch Finchers Anta-
gonisten durchaus nicht alle eindimensional. In
Warte, bis es dunkel wird ist es Mike (Richard
Crenna), der die Protagonistin schließlich vor dem
brutalen Obergangster Roat (Alan Arkin) schützen
will. Finchers Pendant zu dieser Figur ist Burn-
ham, gespielt von Forest Whitaker. Als ob er je-
doch mit den Erwartungen und Erfahrungen des
Zuschauers spielen will (zumindest manche wer-
den sich an Youngs Film erinnern), variiert er den
Fortgang der Geschichte. In Knotts Bühnenstück
zieht der Gute unter den Bösen den Kürzeren. Bei
Fincher ist er es, der friedfertigste und am stärk-
sten von Skrupeln geplagte unter den Gangstern,
der schließlich über seinen Schatten springen
muß, um Meg vor dem Schlimmsten zu bewahren.
Mit einem dramaturgisch konventionellen
Drehbuch als Basis und anfangs dem erfahrenen
DoP Darius Khondji an seiner Seite rechnete Fin-
cher zu Beginn mit weniger künstlerischen und lo-
gistischen Klippen als bei seinen vorherigen Fil-
men. Schließlich sei es aber so kompliziert
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Analyse | Panic Room cınearte XL 011
66
Film hatten, lag an meiner Unfähigkeit, den Film
so wachsen zu lassen, wie er (der Film) es gerne
wollte«, gibt Fincher auch sich die Schuld für den
Rücktritt Khondjis, mit dem er seit der gemeinsa-
men Arbeit an Sieben auch privat befreundet ist.
Kondji stehe immer »tausendprozentig« hinter ei-
nem Projekt und arbeite »absolut konzentriert«.
Wenn es gelinge, mit ihm einen »gemeinsamen
Rhythmus« zu entwickeln, könne man »großartig«
zusammenarbeiten, wenn nicht, sei es »schwer«
und »emotional belastend«.
So stieß Conrad W. Hall, der Sohn des berühm-
ten, 2003 verstorbenen amerikanischen Kamera-
manns Conrad L. Hall, dazu. Hall junior hatte be-
reits mehrmals bei Filmen von Fincher
geschwenkt, sodaß dieser ihm »ein gewisses
Vertrauen« entgegenbrachte, erzählt er. Fincher
wisse aber sehr viel über die Jobs aller Beteiligten
und lege »die Meßlatte so hoch, daß man ganz
David Fincher (Mitte) und Jared Leto (rechts), der den Anführer der Gangster spielt, bei den Dreharbeiten. Fincher, Jahrgang 1962,
arbeitete für George Lucas’ Trickfirma Industrial Light and Magic und machte später Werbung und Musikvideos. Sein erster
großer Kinoerfolg war der dritte Streich der Alien-Tetralogie.
geworden »wie Rubiks Würfel«. Während The
Game eine komplizierte, jedoch einfach erzählte
Story gewesen sei, habe er die sehr einfache Ge-
schichte von Panic Room »auf die denkbar schwie-
rigste Weise« erzählen wollen.
Nach Drehbeginn sah sich die Produktion dann
in regelmäßigen Abständen unerwartet großen
Problemen gegenüber. Das erste waren die hefti-
gen Beschwerden, die Nicole Kidman nach einer
Knieverletzung hatte, die sie sich bei den Drehar-
beiten zu Moulin Rouge zugezogen hatte. Sie
mußte abbrechen, Jodie Foster übernahm die Rol-
le der Meg. Alle Szenen mit Meg mußten mit
Foster erneut gedreht werden. Aber nicht genug:
Fosters eher »toughes« Image zwang Fincher zu
Änderungen am Drehbuch.
Ein anderer Rückschlag war der Ausstieg von
Khondji, als bereits ein Teil des Films abgedreht
war. »Eine Anzahl der Probleme, die wir bei dem
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cınearte XL 011 Analyse | Panic Room
67
schön ins Schwitzen« komme: »Was er sehen will,
ist, daß man für ihn kämpft und alles gibt, was
man kann.«
Hall junior hat sich durch die verschiedenen
Positionen der Kameraabteilung hochgearbeitet,
so zum Beispiel unter Jordan Cronenweth, John
Toll, Robbie Greenberg und zuletzt auch unter sei-
nem Vater, Conrad L. Hall. Als Second-Unit-Kame-
ramann war er vor Panic Room unter anderem be-
teiligt an Das Phantom (Simon Wincer, USA 1996,
Bild David Burr), Sleepy Hollow (Tim Burton, USA
1999, Bild Emmanuel Lubezki) und American Be-
auty (Sam Mendes, USA 1999, Bild Conrad L. Hall).
Bei Alien – Die Wiedergeburt (Jean-Pierre Jeunet,
USA 1997, Bild Darius Khondji) machte er als ver-
antwortlicher Visuelle-Effekte-Kameramann mit.
Erst unmittelbar vor Panic Room hatte er seinen
ersten Film als DoP gedreht: A Gentleman’s Game
(J. Mills Goodloe, USA 2001).
Panic Room, so Hall, sollte vom »Look« her ein
besonders düsterer Film werden, im übertragenen
wie im wörtlichen Sinne, es sollte »alles unbe-
leuchtet aussehen, als wäre kein Licht an«. Schwer
sei das Beleuchtungskonzept für einen Film gewe-
sen, in dem zu Beginn des Einbruchs »jeder schläft
und nur sehr wenige Lampen an sind«. Kein Licht
von außen, keine Straßenbeleuchtung hätten den
Raum charakterisieren helfen können. Normaler-
weise arbeite man bei Nachtaufnahmen mit ho-
hem Kontrast, versuche man, »die Leute sichtbar
zu machen und es gleichzeitig so aussehen zu las-
sen, als wäre kein Licht da«.
Aber bei Panic Room durften, »wo keine Leuch-
ten sind, auch keine Schatten sein«. Also beleuch-
tete Hall die Szenerie hauptsächlich mit Leucht-
stoffröhren und von oben. Dieses Kopflicht sei auf
den Figuren oft zwei Blenden unterhalb der Ar-
beitsblende gewesen, im Hintergrund sogar bis zu
dreieinhalb Blenden darunter. Das 320 Asa emp-
findliche Kodak 5277 sei hier aber empfindlich ge-
nug bei gleichzeitig ausreichend feinem Korn ge-
wesen, »genau das Richtige für diesen Film«.
Doch das Arbeiten am unteren Ende des Belich-
tungsumfangs empfand der noch relativ junge
DoP auch als großes Wagnis: »Mein Belichtungs-
messer zeigte oft einfach nur noch ›E‹ an, sodaß
ich ihn auf 640 ASA einstellen mußte, um über-
haupt eine Anzeige zu bekommen«. Aber wenn er
eins von seinem Vater gelernt habe, dann »nicht
auf Nummer sicher gehen«, und dabei habe ihn
Fincher unterstützt.
Hauptbeleuchtungsgerät für die nächtlichen
Szenen im Hausinneren waren Kinoflos. Hall be-
nutzte 3200-Grad-Kelvin-Röhren und filterte sie
mit 1/8 Orange. Oft verwendete er 2-mal-120-Zen-
timeter-Leuchten, die als Kopflicht einfach in die
aus Holz gebauten Plafonds der Dekoration ge-
schraubt wurden. Darunter hängten die Beleuch-
ter Rahmen mit »Heavy Frost« und eine Kombina-
tion aus ND.3 und ND.15. So kam Hall auf eine
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Die erste, extrem lange und nur teilweise real ausgeführte
Kranfahrt über mehrere Stockwerke des Hauses (hier eine
Standbildreihe) kündigt dramaturgisch das drohende
Unheil an.
Analyse | Panic Room cınearte XL 011
gemessene Blende von 1 bis 1.4 bei den Kopflich-
tern, belichtete aber T2 bis T2.8.
»Es scheint ein inhaltlicher Widerspruch, aber
die – bewußt unkorrigiert gehaltene – grünstichige
Leuchtstoffröhrenbeleuchtung des Panik-Raums,
eines eigentlich grauen Beton-Raums, erscheint
mir tatsächlich heller als der Rest des eigentlich
unbeleuchteten Hauses. Das ist gewollt, denn hier
spielt ein Großteil des Films.« Hier finden Meg und
Sarah Schutz, wenigstens eine Zeit lang. »Das
Schöne am Panik-Raum war«, sagt Hall, »daß er in
gewissem Sinne eine Art 18-Prozent-Grau-Kam-
mer war. Die Wände saugten das Licht auf und re-
flektierten nicht besonders viel«.
So ließ sich Dekorations- und Darstellerlicht
besonders gut trennen. Er beleuchtete Foster zu
Beginn der Story mit umschmeichelndem Porträt-
licht. Ab dem Eindringen der Einbrecher reduzier-
te er ihr Darstellerlicht immer mehr. Als sie wieder
die Oberhand gewinnt, begann er, sie langsam be-
drohlicher aussehen zu lassen.
Um die einfache Geschichte so eindringlich wie
möglich zu erzählen, benutzt Fincher unter ande-
rem komplexe Kamerabewegungen, in Kauf neh-
mend, daß sie den Zuschauern und der Kritik als
»kameratechnische Kabinettstückchen« auffallen.
Aber er setzt sie dramaturgisch durchdacht und
sehr konsequent ausschließlich dann ein, wenn
sie wirklich motiviert sind.
Den Anfang des Films dagegen halten Fincher
und Hall bildgestalterisch sehr zurückhaltend:
Meg und ihre Tochter besichtigen das neue Haus,
ziehen kurz darauf ein, packen die ersten Sachen
aus und essen abends, zwischen Umzugskartons
sitzend, italienisch vom Pizza-Service. Die Kamera
bleibt, bis auf Ausnahmen, zwischen Kopf- und
Hüfthöhe. Auf Brust- und Hüfthöhe ist sie immer
dann, wenn es darum geht, Jodie Fosters im Ver-
gleich zu den anderen Darstellern geringe Körper-
größe zu kompensieren. Die Auflösung ist konven-
tionell.
Erst als Sarah im Bett und Meg mit sich allein
ist, helfen erste lange Kamerafahrten durch das
noch leere Haus tief über dem Boden, Megs Ge-
fühle zu vermitteln. Am Ende einer der Fahrten
sitzt sie (wohl wegen der hinter ihr liegenden Vide
ostil
l:D
VD
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icR
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olum
bia
Tris
tar,
2007
xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 68
Scheidung) mit den Tränen ringend, körperlich
entblößt wie im übertragenen Sinne schutzlos, in
der Badewanne. Das für die zwei viel zu große
Haus gibt ihr keine Geborgenheit. Um diesen Ein-
druck zu unterstützen, hält sich das Szenenbild
von Arthur Max (Gladiator, Hannibal) im Innern
des Hauses an ein enges Farbschema aus Unbunt-
tönen. Auch Michael Kaplans Kostümdesign folgt
diesem Farbkonzept.
Als Meg endlich Schlaf findet, ändert sich die
Ästhetik. Als hätte die Kamera darauf gewartet,
scheint sie sich selbständig zu machen. Meg wälzt
sich herum, ihr Arm ragt über die Bettkante. Es
folgt eine höchst ungewöhnliche Blickrichtung:
Wir sehen von unten an einem auf dem Boden ste-
henden Weinglas vorbei, aus dem Meg den ganzen
Abend versucht hat, ihre Verlorenheitsgefühle zu
ertränken, nach oben zur Bettkante und Richtung
Zimmerdecke. Ähnlich einem »Match Cut« ist
Megs Arm das verbindende Element, ohne das der
Zuschauer die Orientierung verlieren würde. Das
ungewöhnliche Bild signalisiert: Jetzt wird etwas
passieren.
Mit dem nächsten Bild, einer Halbtotale, die
Meg in schräger und leichter Draufsicht im Bett
zeigt, beginnt die erste der langen und komplexen
Kamerafahrten in Panic Room. Erst rückwärts von
Meg weg, durch die Zimmertür zur Treppe, durch
die eng zusammenstehenden Gitterstäbe des
Treppengeländers hindurch, abwärts in das Stock-
werk darunter und in die Küche. Durch die Fenster
sieht man vor dem Haus mehrere Gestalten aus ei-
nem haltenden Auto aussteigen. Die Kamera folgt
ihnen in Richtung Tür, und dann der Clou: ins Zy-
linderschloß hinein. Übergroß sehen wir, wie der
Schlüssel von außen, das heißt uns entgegen, ins
Schloß geschoben wird. Die erste Penetration,
wenn auch erfolglos.
Als er wieder herausgezogen wird, verlassen
auch wir wieder das Schloß, schweben zurück
zum Fenster, wo die Gestalten einige Worte wech-
seln, einer von ihnen das erste Mal ganz nah an
die Scheibe kommt, um zu uns hineinzustieren.
Die zweite Penetration. Der andere verschwindet.
Die Kamera wendet sich um, ganz ruhig. Es ist kei-
ne Subjektive, die nun wackelig wird, um wach-
cınearte XL 011 Analyse | Panic Room
xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 69
Analyse | Panic Room cınearte XL 011
70 sende Unruhe zu suggerieren. Die Kamera ver-
sucht sich auch nicht zu verbergen. Stattdessen
bewegen wir uns so schnurgerade wie unaus-
weichlich durch zwei enge Durchreichen und den
Griff einer Kaffeekanne hindurch auf eine Hinter-
tür zu. Aber auch hier leisten zwei Türen der dunk-
len Gestalt erfolgreich Widerstand.
Als der Mann eine Feuerleiter hochklettert, be-
ginnt auch die Kamera eine Aufwärtsbewegung,
vorbei an Deckenleuchten, durch die einzelnen
Decken des Hauses hindurch, Stockwerk um
Stockwerk, an Megs Schlafzimmer vorbei bis zu ei-
ner ovalen Glaskuppel im Dach, an der der Mann
vorbeiläuft.
Zuletzt gelangen wir durch einen Türspalt in
eine schummerige Abstellkammer mit einer
metallenen Luke zum Dach, die der Einbrecher
ohne jede Schwierigkeit mit einem umgebogenen
Flacheisen öffnet. Schnitt.
Bevor wir jetzt wieder Meg sehen, die von all
dem nichts bemerkt, hat diese Kranfahrt durch
alle Etagen des Gebäudes hinauf und wieder her-
unter, durch zahlreiche Räume und Nadelöhre
hindurch etwa 180 Sekunden gedauert. Das reicht
für den Zuschauer locker aus, um noch Chips zu
holen oder sogar auf die Toilette zu gehen. Die ab-
solut präzise, ruckelfreie Kamerabewegung, die
teilweise schnurgerade verläuft und durch Eng-
pässe hindurchführt, von denen auch durch-
schnittliche Kinozuschauer wissen, daß dort keine
Filmkamera hindurchpaßt, hat etwas deutlich Ar-
tifizielles.
»Ich wollte, daß es sich so anfühlt, als ob es in
eine bestimmte Richtung führt. Ich wollte nicht,
daß es vage oder wie zufällig erscheint. Bei einem
solchen Film will man nicht, daß die Dinge auf
eine plumpe Art und Weise zusammenkommen«,
erläutert Fincher das ästhetische Konzept dahin-
ter.
Um Einstellungen und Szenen wie diese über-
haupt planen und Schauspielern und Team erklä-
ren zu können, ließ Fincher große Teile des Filmes
von Pixel Liberation Front als »Animatics«, ein-
fachste Computeranimationen, vorvisualisieren.
Unter Ron Frankels Leitung erstellte die Firma ver-
schiedene Planungshilfen: Grundrisse des Sets mit
genauen Angaben zu den Kamerapositionen und
den Gängen der Schauspieler, 3D-Schrägansich-
Um Darstellern
und Team die
komplizierten
Einstellungen des
Films zu erklären,
ließ Fincher von
großen Teilen
vorher »Anima-
tics« anfertigen.
Links eine
Raumorientierung
für das Kamera-
team, rechts
die geplante
Einstellung und
das fertige
Filmbild.
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xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 70
passieren. Und natürlich tragen die Toneffekte
und Howard Shores Musik immens zur »Action«-
Inszenierung bei. Die Kamera jedoch bleibt relativ
ruhig. Bewegt sie sich, so tut sie das mit großer
Präzision und eigentümlich minimalistisch, nicht
mehr als nötig. Für die Schwenker stellte dieser
Anspruch sicher eine hohe Belastung dar.
Extreme Blickrichtungen, Auf- oder Untersichten
vermeiden Fincher und Hall bis auf wenige, streng
motivierte Ausnahmen, die sich alle um die Trep-
pe herum abspielen, wenn diese jemand hinauf-
oder hinunterläuft. Wichtiges, wenn auch sehr
unterschwelliges visuelles Mittel ist jedoch der
vorrangige Einsatz kurzer Brennweiten. Hall dreh-
te Panic Room mit den älteren Panavision-Primos,
weil diese Serie eine größere Auswahl an Weitwin-
keln bietet, unter anderem 21-, 24-, 27- und 30-
Millimeter-Objektive mit geringen Minimalentfer-
nungen.
Entscheidend für die (Un-)Farbigkeit von Panic
Room war neben Arthur Max’ Szenenbild auch der
Postproduktionsweg über ein digitales Intermedi-
ate in 2K-Auflösung, gescannt auf einem Spirit bei
Technique (Technicolor). »Nur weil die digitale
cınearte XL 011 Analyse | Panic Room
71ten und schließlich die 3D-Animationen. Diese
konzentrierten sich anfangs auf die Gänge der
Schauspieler, auf Kamerabewegungen und die Ka-
drierung. Später wurden sie um die wichtigsten
Gesten der Darsteller ergänzt. Mit Hilfe dieser An-
imatics konnte man bei der Szenenauflösung im
Hinblick auf visuelle Effekte, dem »Visual Effects
Breakdown«, sehr viel präziser ermitteln, welche
Teile zum Beispiel der beschriebenen langen
»Kranfahrt« real durchgeführt werden konnten
und welche Bildelemente als CGI hergestellt wer-
den mußten.
Das visuelle Konzept großer Präzision und
Stringenz halten Fincher und Hall den ganzen
Film lang konsequent durch, auch in den Action-
szenen. Niemals verfällt die Kamera selbst in hek-
tische Bewegungen, produziert etwa verrissene
Bilder mit gewollt geringer Erkennbarkeit. »Ac-
tion« vermittelt Fincher in erster Linie durch die
Bewegung der Schauspieler, durch Haygoods
schneller werdende Schnitte zwischen Ran- und
Wegsprüngen, verschiedene Blickrichtungen auf
dieselbe Aktion oder unterschiedliche Räume im
Haus, in denen gleichzeitig verschiedene Dinge
xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 71
Postproduktion heute so weit ist, konnten wir den
›Look‹ von Panic Room genauso kontrollieren wie
den einer Werbung«, meint Hall im Nachhinein.
»Beim Drehen wußten wir, daß wir das Schwarz
hochziehen und bestimmte Dinge (in der Postpro-
duktion) überstrahlen lassen würden. Schon wäh-
rend ich geleuchtet habe, haben wir oft über die
digitale Korrektur gesprochen. (…) Das Spannen-
de an diesem Film war, daß wir aufgrund der heu-
te verfügbaren Technik länger an diesen äußerst
kreativen Prozessen beteiligt waren, längst nach-
dem ich ›fertig‹ gesagt hatte.«
Künstler, wie zum Beispiel sein Vater oder Vitto-
rio Storaro, hätten immer versucht, die Möglich-
keiten auszuloten, die auf die Belichtung des Ne-
gativs folgten. »Mit David Fincher zu arbeiten«,
sagt Hall, »war in dieser Hinsicht eine große Chan-
ce.«
Analyse | Panic Room cınearte XL 011
72
Panic Room (oben) erzählt eine Geschichte mit einfachem Grundmuster, macht es sich aber nicht leicht. Die klaustrophobische
Begrenzung weist Parallelen zu Terence Youngs Warte, bis es dunkel wird und Alfred Hitchcocks Das Fenster zum Hof auf.
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xl011_A3_Panic Room 01.04.2009 18:23 Uhr Seite 72
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xl011_Z_Abo 02.04.2009 0:53 Uhr Seite 62
cınearte XL 011 Gesetze der Serie | Gilmore Girls
75
Text Connie van Opeln
Vorspann. New England ist, kei-
ne Frage, der »Indian Summer«:
Bunte Blätter vor putzigen Holz-
häuschen – Amerikas heile Welt.
Der Vorspann, nach einer Ein-
gangsszene, macht darum das
Setting klar: Totale auf das fikti-
ve Städtchen Stars Hollow in
Connecticut, das in die bunten
Kronen eines Laubwalds einge-
bettet ist. Dann tauchen wir ein
in die Welt der Gilmore Girls – in
einer Aneinanderreihung ver-
schiedener Szenen aus der Se-
rie, in denen Chararaktere und
Schauplätze vorgestellt werden,
und die von Staffel zu Staffel nur
geringfügig verändert wird.
Worum geht’s? Um das wahre
Leben und den ganzen Rest ver-
mutlich. Die Gilmore Girls sind
Lorelai und Rory, Mutter und
Tochter. Erstere stammt aus Neu
Englands Oberschicht, wo man
die Vorfahren bis zur Mayflower
zurückverfolgen kann und das
auch jeden spüren läßt. Lorelai
ist eine Art Anti-Schneewitt-
chen: Als sie mit 16 schwanger
wurde, riß sie von zu Hause aus
– um es alleine zu schaffen und
dem strengen Korsett ihrer
Schicht zu entkommen. Hinter
den Laubwäldern der Ostküste
begann sie in dem kleinen
Städtchen Stars Hollow ein neu-
es Leben unter (mehr oder we-
niger) normalen Menschen und
zog alleine ihre Tochter groß.
Die übrigens ebenfalls hochbe-
gabt, dickköpfig und gelegent-
lich hormonell verwirrt ist.
Über allem liegen optisch ein
Tabakfilter, der die Szenerie in-
dian-summer-mäßig einfärbt,
und akustisch das Titellied Whe-
re You Lead von Carole King –
eine Komposition aus dem Jahr
1971.
Das Ganze ist kein eigenstän-
diger, kunstvoll ersonnener Vor-
spann mit Logo-Qualität, son-
dern so altmodisch handgebas-
telt, daß klar ist: hier geht es
nicht um die große Sensation im
Handlungsbogen, sondern um
etwas anderes. Geschichten aus
dem wahren Leben möglicher-
weise.
Wenn einer fünf Geschichten auf einmal erzählt,
sich dafür 1001 Minute Zeit nimmt und trotzdem
kein Ende findet, freuen sich die Zuschauer.
Fernsehserien wecken Begeisterung wie nur
wenige Kinofilme. Warum eigentlich?
Gesetze der Serie:
04_Gilmore Girls
xl011_C2_Serie Gilmore Girls 01.04.2009 18:57 Uhr Seite 75
Gesetze der Serie | Gilmore Girls cınearte XL 011
76
Philosophischer Ansatz. Alle
Menschen sind gleich. Und je-
der kann es schaffen. Die Kern-
aussage, der durch Plot und
Subplots der Serie weht, drückt
den ureigensten amerikani-
schen Traum aus. Darum kann
die Serie auch kaum woanders
spielen als an der Ostküste, wo
all das seinen Anfang nahm.
Vom hübschen Bühnenbild
sollte man sich nicht täuschen
lassen – das Titellied ist ja ein
Hippie-Song. Mit der Grund-
konstellation ist für wachsame
Zuschauer schon geklärt, wo die
Macher der Serie ideologisch
stehen (verkörpert werden die
beiden Pole durch Luke – heim-
licher Held der Serie – und den
Stadtvorsteher Taylor).
Sex vor der Ehe ist so eine
Frage, die in Fernsehserien oft
diskutiert wird. Hier stellt sie
sich gar nicht erst. Die Antwort
an konservative Geister wird
trotzdem gegeben: Rory, die un-
eheliche Tochter eine mißrate-
nen Teenager-Mutter, bekommt
von den besten Universitäten
des Landes Angebote für einen
Studienplatz.
Worum geht’s wirklich? Auch
nicht leicht zu sagen. Die Gil-
more Girls tragen keine Bot-
schaft vor sich her. Wozu auch,
der Weg ist das Ziel. Im Grunde
sind sie die entspannte Alter-
native zu Sex and the City – ohne
Schuhekaufen, Vibratoren, hys-
terische Beziehungsdiskussio-
nen und insgesamt leibhaftiger.
Die Damen in Stars Hollow
durchleben ebenfalls so ihre
Achterbahnfahrten der Gefühle,
rücken es aber ins richtige Ver-
hältnis. Schließlich gibt es ja
nicht nur die Suche nach dem
Mann fürs Leben. Mindestens
ebenso wichtig sind ein guter
Schulabschluß, das eigene Ho-
tel, die Musikkarriere oder der
Videofreitagabend mit Süßig-
keiten und Essen vom Chine-
sen.
Vorbilder. Die Gilmore Girls
würden zur Not auch als Hör-
spiel funktionieren: Die Dialoge
machen den Reiz der Serie aus.
75 bis 80 Seiten umfaßt ein
Drehbuch einer Folge – fast
doppelt so viel, wie bei anderen
Serien üblich ist.
Es ist kein Zufall, daß die Se-
rie in einem Setting spielt, wie
es Frank Capra nicht besser hät-
te darstellen können, und so
konventionell inszeniert und
bebildert ist wie ein Stück Holly-
wood aus den 30er Jahren. In
den temporeichsten Szenen
und skurrilsten Charakteren
hält die Serie mit jeder Screw-
ball-Komödie mit, wo ja auch
gerne Upper class und normales
Leben aufeinanderprallten.
Lorelai, die Ältere, könnte
man sich auch als Katherine
Hepburn in einer modernisier-
ten Variante von Die Nacht vor
der Hochzeit vorstellen. Und
Luke, der Gastwirt, wirkt wie
Gary Cooper in einer Lubitsch-
Komödie.
xl011_C2_Serie Gilmore Girls 01.04.2009 18:57 Uhr Seite 76
cınearte XL 011 Gesetze der Serie | Gilmore Girls
77
Zeit und Ort. Stars Hollow ist
eine heile Welt voller Herbst-
blätter, Kürbistorten und Trut-
hähne, wie sie sich selbst Nor-
man Rockwell und Frank Capra
nur gemeinsam erträumen
könnten. Amy Sherman-Palladi-
no hat noch reichlich Ahornsi-
rup drübergekippt. Den Traum-
ort gibt’s wirklich, wenn auch
unter anderem Namen. Wäh-
rend eines Urlaubs hatte sich
die Produzentin in ein Städt-
chen in Connecticut verirrt und
war von seiner Schnuckeligkeit
gebannt.
Das »richtige« Stars Hollow
entstand freilich auf der ande-
ren Seite des Kontinents, auf
dem Studiogelände von Warner
Brothers. Der Hauptplatz dien-
ten schon während des Zweiten
Weltkriegs als Filmkulisse, in
Lorelais Hotel »Dragonfly Inn«
wünschten sich einst Die Wal-
tons gute Nacht, und gelegent-
lich ist im Hintergrund der
»Mount Hollywood« zu sehen,
auf dem das berühmte Orts-
schild steht.
Ansonsten spielt die Serie im
hier und jetzt. Diskurse zur Pop-
kultur sind wesentlicher Be-
standteil der Dialoge, gesell-
schaftliche Themen werden ge-
schickt zwischen den Zeilen
aufs Korn genommen.
Mit direkten politischen Aus-
sagen hält sich die Fernsehserie
zurück. Alkohol, Sex, Drogen
sind kein Thema wie in anderen
Serien (manches findet einfach
statt). Nur zum Ende der letzten
Staffel wird Rory als Journalistin
Barak Obama auf seiner Wahl-
kampftour begleiten.
Stammpersonal. Der Titel gibt
es vor: Im Mittelpunkt stehen
Mutter und Tochter Gilmore, die
beste Freundinnen sind und
den selben, für deutsche Zu-
schauer gewöhnungsbedürfti-
gen Vornamen haben: Lorelai.
Um auch alle anderen nicht un-
nötig zu verwirren, wird die Jün-
gere nur Rory gerufen.
Um die beiden kreisen un-
zählige Charaktere mit liebens-
werten Macken, von denen die
meisten es durch alle sieben
Staffeln schaffen. Wer eine Lie-
besbeziehung mit einem der
Gilmore Girls eingeht, vermin-
dert diese Chancen allerdings
beträchtlich.
Zu den Haupt- unter den
Nebenrollen zählen Luke, der
mürrische Betreiber des ört-
lichen Diner, Lorelais Ge-
schäftspartnerin Sookie und Ro-
rys beste Freundin Lane, eine
Koreanerin mit strenger Mutter,
die von einer Rockmusikkarriere
träumt. Und natürlich Lorelais
snobistische Eltern.
In der nächsten Umlaufbahn
nehmen die Eigenarten sogar
zu. Beispielhaft sind der seltsa-
me Kirk, der bei jedem Auftritt
eine andere glücklose Ge-
schäftsidee verfolgt, oder der
Lebensmittelhändler Taylor, ein
Blockwart des amerikanischen
Traums, der aus dem Städtchen
ein Retro-Disneyland machen
will.
xl011_C2_Serie Gilmore Girls 01.04.2009 18:57 Uhr Seite 77
Helden. Nobody’s perfect –
immerhin basiert die Serie auf
einer Konstellation, die nicht
nur Lorelais konservative Eltern
als moralischen Fehltritt anse-
hen. Andererseits hat sie diese
Situation aus eigener Kraft vor-
bildlich gemeistert. Tochter
Rory ist ein sympathischer
Superstreber, die vom Studium
in Harvard träumt. Zu Beginn
der ersten Staffel wird sie an ei-
ner renommierten Privatschule
aufgenommen, was der Serie
erst das nötige Konfliktpotential
für 153 Folgen eröffnet: Um die
Schulgebühren zu bezahlen,
muß Lorelai sich wieder ihren
Eltern stellen.
Daß Lorelai ähnlich begabt
ist wie ihre Tochter, offenbart
sich erst allmählich. Kein Wun-
der, daß bei den Girls ein Hang
zur Überheblichkeit durch-
schimmert, der nur durch eine
gesunde Selbstironie gemildert
wird. Denn fehlerfrei sind sie
nicht: Rory schwankt mehrere
Folgen lang zwischen zwei
Freunden, später hat sie eine Af-
färe mit dem Ex, der inzwischen
verheiratet ist. Und Lorelai hat
im Eifer, das »Dragonfly Inn« zu
erwerben, keine Hemmungen,
die Erben der verstorbenen Ei-
gentümerin anzusprechen –
während der Beerdigung.
Musik. Die Gilmore Girls sind so
randvoll mit Zitaten aus der
Popkultur, daß die deutsche
Synchronisation gar nicht rich-
tig mithalten kann. Im Wettstreit
zwischen Film und Musik als
Kulturträger liegt letztere vorn:
Die Titelsängerin Carole King
tritt als Besitzerin des Musikla-
dens der Stadt auf. Im Laufe der
ersten Staffel erhält Stars Hollow
nach kurzem Sängerwettstreit
einen »Stadttroubadour«besetzt
mit Grant Lee Phillips, dem ehe-
maligen Leadsänger der Band
Grant Lee Buffalo. Und Rorys
Freundin Lane arbeitet an ihrer
Karriere als Rockmusikerin.
Gimmicks. Kaffee ist das
Hauptthema, das sich durch alle
Folgen zieht, denn die Lorelais
sind süchtig danach. Zweiter
Dauergag der Serie: Lorelais
standesbewußte Mutter ist auch
gegenüber dem Personal streng.
In jeder Folge hat sie ein ande-
res Dienstmädchen.
Wer in den Genuß der vollen
Dialogkraft kommen will, sollte
in der populären Kultur auf der
Höhe der Zeit sein. Besonders
die Anspielungen auf Filme und
Musik sind unerschöpflich. Wer
weniger Vorkenntnisse mit-
bringt, erhält viele Anregungen.
Suchtfaktoren. Wer für Komö-
dien der 30er Jahre schwärmt
oder nach dem amerikanischen
Traum sucht, findet all das bei
den Gilmore Girls: Von der alter-
würdigen Elite-Universität bis
zum Diner, Schuluniformen
und Flanellhemden, Rock’n’-
Roll-Rebellen mit Lederjacke,
Hippies und Quarterbacks –
vorgetragen mit einem liebevol-
len Spott, der soviel Wohlgefühl
erträglich macht.
Das brauchte der aufgeklärte
Teil der Nation in den Bush-Jah-
ren nach Clinton: Man sehnte
sich nach einer heilen Welt,
blieb aber doch realistisch. In-
sofern paßt es, wenn alles mit
Obamas Wahlkampf endet.
Gesetze der Serie | Gilmore Girls cınearte XL 011
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cınearte XL 011 Gesetze der Serie | Gilmore Girls
79
c
Zahlen. Die erste Folge wurde
am 5. Oktober 2000 auf The WB,
dem Fernsehsender von Warner
Brothers, ausgestrahlt – ein Mo-
nat, bevor George W. Bush die
Präsidentschaftswahlen in Flo-
rida für sich entscheiden ließ.
Dreieinhalb Jahre dauerte es, bis
man in Deutschland darauf auf-
merksam wurde: Vox holte die
ersten vier Folgen ab dem 1.
April 2004 (einen Monat nach
dem ORF) nach – zuerst fünfmal
die Woche nachmittags. Von den
Quoten war man offenbar selbst
überrascht. Mit der 5. Staffel ka-
men die Girls ab dem 8. Novem-
ber 2005 wöchentlich ins
Abendprogramm. Die letzte Fol-
ge wurde in Deutschland im
März 2008 ausgestrahlt.
So hätte es eigentlich endlos
weitergehen können, denn die
Serie hat keinen Meta-Plot, der
irgendwann erschöpft wäre,
und die Quoten stimmten. Doch
Stars Hollow liegt nun mal in
Hollywood und ist daher keine
ganz so heile Welt: Amy Sher-
man-Palladino und ihr Ehe-
mann Daniel, die die Serie pro-
duzierten und mehr als die Hälf-
te der Drehbücher geschrieben
hatten, konnten sich mit Warner
Brothers nicht mehr über einen
neuen Vertrag einigen.
153 Folgen in 7 Staffeln waren
unterdessen gelaufen. 107 Stun-
den Sehnsucht nach einem bes-
seren Amerika.
Einfluß. Starke Serienrollen ver-
schaffen ihren Darstellern zwar
ein ständiges Einkommen und
sogar Ruhm, in eine Karriere auf
der großen Leinwand lassen sie
sich nur selten ummünzen.
Auch den Gilmore Girls Lauren
Graham und Alexis Bledel war
nach der Serie bislang noch kein
richtig großer Auftritt vergönnt.
Freilich ist auch noch nicht zu-
viel Zeit vergangen.
Anders verhält es sich mit
ehemaligen Liebhabern. Jared
Padalecki (Dean) übernahm
eine der beiden Hauptrollen in
Supernatural, Milo Ventimiglia
(Jess) ist der Superheld unter
den Heroes. Bei Lanes Freund
Dave war es umgekehrt: Seine
Serienbeziehung endete, weil er
in O. C., California einstieg.
Visuelle Merkmale. Im Mini-
kosmos mit derartiger Hand-
lungsvorgabe noch optische Es-
kapaden zu erwarten, wäre zu-
viel verlangt. Um wenigstens
etwas Abwechslung zu gewähr-
leisten, verpflichteten die Pro-
duzenten allein für die erste
Staffel 13 Regisseure und 9 Auto-
ren. Der Vorspann zeigt bereits,
daß auf unkonventionelle Bild-
gestaltung kein besonderer Wert
gelegt wurde. Wie bei den Ko-
mödien der 30er Jahre ist die Ka-
drage nur die Bühne für Schau-
spieler und Dialoge.
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Portfolio | The International cınearte XL 011
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Text Karolina Wrobel und Uli Hanisch | Fotos Uli Hanisch | Zeichnungen Agi Dawaachu
Gleich kracht’s gewaltig: Die manische Jagd des
Filmhelden entlädt sich an einem Heiligtum der
Moderne, in der virtuellen Hauptstadt der Welt.
Das Guggenheim-Museum in New York –
nachgebaut im Bebelsberger Studio.
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Märkte ohne Grenzen, Geschäfte ohne Waren – die virtuellen Welten einer globalisierten
Wirtschaft sind Schauplatz des Thrillers The International. Die Kulissen aus Stahl, Glas
und Beton fand Szenenbildner Uli Hanisch in den Kathedralen des 21. Jahrhunderts.Sze
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Filmarchitektur
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Portfolio | The International cınearte XL 011
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Macht wird gerne zur Schau gestellt, das wußte
man in der einfachen Diktatur ebenso wie im
Weltkapitalismus: Keine Metropole also ohne vor-
zeigbare Skyline, in der Banken und andere globa-
lisierte Unternehmen die eigene Größe in Stahl
und Glas zelebrieren. Der Betrachter zu ihren Fü-
ßen mag trotz durchlässiger Glasfassade nicht da-
hinterkommen, was tatsächlich in diesen Schalt-
zentren passiert. »Es sind eigentlich virtuelle
Welten, in denen wir uns bewegen«, erklärt Uli
Hanisch. »Ob Flughäfen, Hotellobbys oder Büros –
all diese modernen Welten unterliegen von vorn-
herein einer bewußten Inszenierung. Wirft man
einen Blick dahinter, stimmt nichts mehr. Das ist
eine ganz unangenehme, seltsame Modernität«.
Mit Tom Tykwer hat der Szenenbildner einen
selbstbewußten Blick hinter die Glasfronten ge-
worfen. Die Filmemacher haben die Geschichte
der 1991 kollabierten »Bank of Credit and Com-
mercial International« fiktional aufgearbeitet: In
The International versucht der Interpol-Agent
Louis Salinger zusammen mit der ambitionierten
New Yorker Staatsanwältin Eleanor Whitman die
korrupten Bankmanager des international agie-
renden Geldhauses IBBC zur Strecke bringen.
»Das erste Mal haben wir uns im Spätsommer
2006 über das Thema unterhalten«, erzählt der
Szenenbildner Uli Hanisch über das Vorgespräch
mit Regisseur Tom Tykwer und Kameramann
Frank Griebe. Es sollte die fünfte Zusammenarbeit
der drei werden – damals erhielt Hanisch für seine
herausragende Leistung an Tykwers Das Parfum
den »Europäischen« und zum zweiten Mal den
»Deutschen Filmpreis«, die erste Auszeichnung
hatte es für die Arbeit an Oliver Hirschbiegels Das
Experiment fünf Jahre zuvor gegeben. »Ich arbeite
bei historischen Filmen ja mit relativ festen stilis-
tischen Vorgaben, es geht oft um die bloße Rich-
tigkeit der Epoche«, erklärt Hanisch, der seine Kar-
riere als Grafiker in Werbeagenturen begann und
mit Christoph Schlingensief erste Arbeiten schuf.
»Zeitgenössische Stoffe haben viel mehr mit subti-
ler Finesse zu tun. Man ist freier, weil man jeden
Ort viel genauer zuordnen kann«.
In The International rückt das Szenenbild in ei-
nen ganz besonderen Mittelpunkt: »Jeder der Orte
hat eine ganz eigene dramaturgische Struktur: Es
Der Storyboard-Zeichner Agi Dawaachu entwarf
im Vorfeld vielerlei »Moods« – hier sollte eine
puristische Lichtinstallation die Rotunde des
Museums in stimmungsvolles Licht in Blau und
in Gelb tauchen.
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cınearte XL 011 Portfolio | The International
83Motiv: Guggenheim-Museum, New York.
Drehort: Studio-Kulisse, Babelsberg.
Das Team hatte die Kulisse in zwei Teilen konstruiert: Zunächst
wurden die Etagen drei bis fünf gebaut, dann wurde das Ganze
abgedreht und anschließend in die Lobby mit erster und zweiter
Etage umgebaut. Die Kuppelhöhe des Lokschuppens entsprach
nicht exakt den Originalmaßen – wir hatten ja lediglich eine
Bauhöhe von 14 Metern und an die 35 Meter an Durchmesser.
Deshalb mußten wir unser Guggenheim geringfügig eindamp-
fen.
Um dem Ganzen noch eins drauf zu setzen, sagte Tom, wir
sollten in der Ausstellung mit virtueller Kunst arbeiten, damit
wir die Themen Transparenz und die Abwesenheit von realen
Handlungsflächen noch einmal darstellen. So auch die Idee, die
Projektionen in den Wandnischen im Kronleuchter, dieser hän-
genden Leinwandskulptur, noch mal aufzunehmen. Die Kunst
wird auf diese Skulptur projiziert, doch es gibt einen Moment,
wo die Projektion stoppt, um das Bild zu wechseln – in dem Au-
genblick wird aus der Projektionsfläche eine Spiegelfläche. In
diesem Moment sehen sich die beiden Figuren – der Auftragskil-
ler und Salinger. Das ist das Schlüsselbild des ganzen Films. Es
geht um An- und Abwesenheit – wann ist etwas da, ist es über-
haupt da? Gegen wen tritt man an? Was ist echt, was nur vorge-
spiegelt? – plötzlich im wahrsten Sinne!
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Portfolio | The International cınearte XL 011
84
gibt Welten und Gegenwelten«. Tatsächlich stehen
die Filmhelden in The International anderen Film-
Agenten an geografischer Handlungsfläche in
nichts nach. Die Figuren folgen dabei einer sze-
nenbildnerischen Infrastruktur, die kaum weniger
global ausgerichtet ist.
Drehbuchautor Eric Singer hatte konkrete Anga-
ben zu den Locations gemacht – »das einzige, was
wirklich im Drehbuch feststand und sich nicht be-
wegen ließ, war der Showdown im Guggenheim-
Museum. Auch die moderne Architektur und die
Büros waren durchaus thematisiert«, erinnert sich
Hanisch. »Aber wir haben noch viel verändert. Wir
fanden Modernitäts-Klammern viel interessanter.
Simpel ausgedrückt: Modern ist böse. Alt ist gut«.
In Berlin erwartet den Agenten eine äußerst
feindliche Atmosphäre, New York dagegen ist sei-
ne Rückzugsmöglichkeit: »Also zeigen wir Berlin
extrem modern, im Gegensatz dazu wirkt New
York fast gemütlich«. Zusätzlich legte man sich auf
die Städte Lyon, Mailand und Istanbul fest. »Letzt-
lich fragten wir uns aber, inwieweit wir die Städte
spezifisch darstellen und trennen sollten«, er-
innert sich der Filmemacher, auch, wie sie zu-
nächst versucht hatten, sie in einzelne Tonalitäten
einzuordnen – in Blau, Grau, Grün, Rot und Vio-
lett. Da sich das aber an den Locations selbst nicht
stark genug beeinflussen ließ, setzte Hanisch auf
die Darstellung der Architektur und der Innenräu-
me. So stehen dunkle Innenräume in Brooklyn
den lichten Glaspalästen in Berlin gegenüber – wie
etwa dem Hauptbahnhof, dem Lafayette-Gebäude
mit seinem gläsernen Kegel, dem futuristischen
ICC in Berlin oder dem kathedralen Konzern-Fo-
rum der VW-Autostadt in Wolfsburg.
Hanisch machte sich die Austauschbarkeit die-
ses internationalen Architekturstils zu eigen: »Die
völlig verschiedenen Locations sind alle für sich
markante Gebäude – im Film beinahe unverfroren
zusammengesetzt ergeben sie aber ein neues,
durchgehendes Motiv«, erklärt er. »Der Held ist ge-
fangen in dieser Transparenz und wird wie auf ei-
nen Seziertisch geführt. Diese ganzen unnötigen
Gänge, die er zu gehen hat, diese ganzen transpa-
renten oder verspiegelten Ebenen in der moder-
nen Architektur – im Prinzip schafft diese Durch-
Tom Tykwer plante eigentlich, den Guggenheim-Showdown im verschneiten New York zu drehen – um es anschließend auch
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zeigen. Richtig problematisch erwies sich die im
Nachbau des Guggenheims ausgestellte Kunst –
Tykwer hatte sich mit Rücksprache des Kuratori-
ums des Hamburger Bahnhofs für den Video-
künstler Julian Rosenfeldt entschieden. »Am An-
fang erschien die Videokunst rein drehtechnisch
gesehen auch praktischer«, erinnert sich Hanisch,
»dabei hat sie sich als der größte technische Alb-
traum entpuppt«. Statisch wurde die Guggen-
heim-Konstruktion nämlich schwingend konzi-
piert – »eigentlich perfekt gelöst, wie bei einer
Seilbrücke«. Doch da die Beamer an den nunmehr
schwingenden Decken befestigt waren, wippten
die projizierten Bilder. »Es war sehr aufwendig,
diesen Teufelskreis zu bewältigen. Versuch alle
Projektionen mal zu fokussieren und zu synchro-
nisieren! Ein fast unlösbares Problem«, lacht der
41jährige.
Einen Kontrast zu der hochindustrialisierten
Moderne in Berlin und New York bildet die Final-
sequenz, in der die Filmfiguren aus den Glaspaläs-
ten in die Altstadt von Istanbul geführt werden,
gleich zu Beginn der Produktion an historischen
lässigkeit keine Transparenz, sondern nur Verwir-
rung.«
Den Höhepunkt und die Entladung der mani-
schen Suche des Filmhelden verortete Eric Singer
in einen fast heiligen Ort der Moderne – und der
wurde exakt nachgebaut. »Das Guggenheim ist
eine Ikone der Architektur, eines der bekanntesten
Gebäude der Welt«, erklärt Hanisch ein wenig
stolz. Vielleicht, weil er allein sechs Wochen lang
die Architekturpläne des legendären Gebäudes
von Frank Lloyd Wright zusammen mit den Art Di-
rektorinnen Sarah Horton und Bettina Lessnig für
den Kulissenbau übersetzte. In zehn Wochen Bau-
zeit wurde das Museum in zwei Phasen in einem
Potsdamer Lokschuppen vom Studio Babelsberg
aufgebaut. »Das Gebäude haben wir nur minimal
eingedampft, da die Kuppelhöhe nicht exakt unse-
ren Bedürfnissen entsprach«. Auch gab es die Idee,
nur die Hälfte der Rotunde zu bauen, anstatt Drei-
viertel ihrer Länge.
Hanisch argumentierte gegen den kostenspa-
renden Einfall, denn so war es nicht möglich, die
Szenerie in einer vollen Kameraumdrehung zu
durch die durchbrochene Decke des Museums rieseln zu lassen.
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Orten abgedreht: Ob im unterirdischen Säulen-
gang der Cisterna Basilica, oder vor dem Hinter-
grund der Blauen Moschee, »es waren Orte, die im
Vergleich zur modernen Architektur so exotisch
wie möglich anmuten sollten«. Dabei hatte Ha-
nisch lange Zeit auch die Hagia Sophia als Motiv-
idee im Kopf, jedoch bot die Cisterna Basilica mit
ihren Säulengängen im Halbdunkel mehr Spiel-
raum für Agent Salingers Lauschangriff auf die
Konspiranten.
Das szenenbildnerische Konzept endet mit ei-
nem besonderen Schlußpunkt: Für Hanisch war
es nur schlüssig, die letzte Einstellung sich über
jegliche Architektur erheben zu lassen und den
Handel als urmenschlichen Austausch auch kon-
kret zu verorten. Salinger steht auf einem ganzen
Verbund von Dächern, unter ihnen ein ganzes
Straßensystem: Es sind die Dächer vom Großen
Basar, seit gut einem halben Jahrtausend einer der
größten Marktplätze der Welt.
»Modern ist böse. Alt ist gut«, faßt Uli Hanisch das Konzept für
die Filmarchitektur in The International zusammen. Es geht
aber auch andersherum: Die rustikale Kulisse, in der er 2005
ebenfalls unter Tykwers Regie stand, gehört zu Das Parfum –
die ziemlich alte Geschichte eines Serienmörders. Fot
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cınearte XL 011 Portfolio | The International
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Motiv: Guggenheim-Museum, New York.
Drehort: Studio-Kulisse, Babelsberg.
Vor der Szene im Guggenheim befindet man sich im größten Strudel des Tempos, dieser frenetischen Ver-
folgung… Salinger ist ja vollkommen getrieben. Plötzlich stolpert er unvorbereitet und ungeplant über
den gesuchten »Consultant«, den Auftragskiller. Und dann fallen Sie in diesen Ort ein. Der Effekt des Gug-
genheim-Museums ist ja der, daß er aus der Wirklichkeit herausgekoppelt erscheint. Beinahe schwebend.
Durch die Abwesenheit von Farben, durch diese runde und schwingende Form verliert man den Bezug zu
Zeit und Raum. Das hat eine gewisse Transzendenz, es ist ein Ort beinahe heiliger Architektur – und in
diesem bricht nun diese banale Gewalt ein, die weder spektakulär, noch elegant ist. Das gibt einen maxi-
mal starken Kontrast zur Umgebung, das fand ich besonders interessant.
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Motiv: IBBC-Hauptquartier, Martin Whites Büro.
Drehort: Lafayette-Gebäude an der Friedrich-
straße in Berlin. Gläserner Kegel von Star-
Architekt Jean Nouvel.
Dieses Büro des Anwalts White bei der IBBC war ty-
pisch, weil es verspiegelte und nicht verspiegelte
gläserne Wände hatte und mit diesen scheinbaren
transparenten Tiefen spielte. Es hatte zwar zwei
Arbeitsplätze, von denen aber nur einer besetzt
war. Hinten befand sich eine offene Sitzgruppe –
das war fast wie ein Gemeinschaftsbüro, obwohl es
dafür viel zu exklusiv ausgestattet war.
Schreibtischtäter
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Motiv: Interpol Lyon, Louis Salingers Arbeitsplatz.
Drehort: Internationales Congress Centrum Berlin.
Salinger arbeitet in einem Office-Pool in Lyon, in einer Wabe, einem Großraumbüro
bei Interpol. Das war eine formal-inhaltliche Entscheidung, denn im Drehbuch hat er
ein winziges Büro in einem endlosen Gang. Wir lösten somit letztlich seinen eigenen
Raum auf. Auf dem Schreibtisch und den Wänden sollte der manische Charakter des
Helden deutlich werden, wie er sich überbordend unter zahllosen Unterlagen begräbt.
Wir haben uns gesagt, es soll im Ganzen ein großer Kontrast zu den hochtransparen-
ten, schicken, gläsernen Büros der repräsentativen Räume der IBBC werden. Dabei soll
es bei Interpol auch so rückständig wie möglich zugehen, fast in einer 80er Jahre
Ästhetik. Als idealer erwies sich das ICC in Berlin, wo wir das Set aufgebaut haben.
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Das war ganz klar – da sollte nichts auf den Schreibtischen zu sehen sein. Nicht mal ein Stück Papier. Wir
zeigen hier immer die Abwesenheit von echter Arbeit. Es gibt nur einen Bildschirm, ein Keyboard und ein
sehr elegantes Tischtelefon. Ansonsten haben wir demjenigen einen Stift in die Hand gegeben und das war
es dann. Denn da wird gar nicht mehr am Schreibtisch gearbeitet, sondern man bespricht sich in dieser
Sitzgruppe, auch in dem Gemeinschaftsbüro.
Motiv: IBBC-Hauptquartier, Vorraum von
Jonas Skarssens Büro.
Drehort: Lafayette-Gebäude an der
Friedrichstraße in Berlin.
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Motiv: Calvini Office Building, Büro von Enzo und Mario Calvini.
Drehort: Ausstellungsbereich des Phaeno-Museum in Wolfsburg (Architektin: Zaha Hadid).
Motiv: IBBC-Hauptquartier, Vorraum von Jonas Skarssens Büro.
Drehort: Lafayette-Gebäude an der Friedrichstraße in Berlin.
Diese Büroform suggeriert eigentlich: das sind ganz moderne, kommunikative, aufgeschlossene
Manager, die sich in einer legeren Gruppenform besprechen. Das hat etwas von einem Brainstor-
ming-Konferenzraum einer Werbeagentur. In Wahrheit ist das nur zur gegenseitigen Kontrolle
da. Deutlich wird es vor allem, als Salinger wie ein Schuljunge vor dem Anwalt sitzt, neben ihm
der Commissioner, der ihn über den polizeilichen Irrtum aufklärt – mit den verschobenen An-
kunftszeiten. Im Hintergrund sitzt aber die ganze Zeit noch jemand auf diesem Sofa… Der Held
ist also umringt von Menschen, mit denen er eigentlich gar nicht sprechen wollte. Er weiß nicht:
Wo bin ich? Was sehe ich? Von wem werde ich gesehen? Was passiert dahinter? Wer ist eigentlich
da? So dreht sich der ganze Spieß um.
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Motiv: Büro von Eleanor Whitman.
Drehort: Financial District in New York.
Hier sehen wir das Hauptquartier der IBBC-Ermittlungen des Bezirksstaatsanwalts in
New York, also die Arbeitsräume von Eleanor Whitman (Naomi Watts). Gedreht wurde
»on location« im Financial District, in Sichtweite der Freiheitsstatue. Sehr schöner Blick!
Transparenz gegen
Motiv: Isaacson Institute in New York.
Drehort: Cumberland Hotel in Berlin.
Hier finden Salinger und seine Kollegen die Akte der Fußprothese des »Consultants« –
des Auftragskillers der IBBC und nehmen die Verfolgung auf… Das Cumberland ist
denkmalgeschützt und einer der beliebtesten Drehorte in Berlin. Erbaut 1911/12 nach
dem Entwurf von Robert Leibnitz, der auch der Architekt des alten Hotels Adlon war. Es
ist einer der letzten Prachtbauten auf dem Kurfürstendamm. Wir haben uns sehr be-
müht, das Motiv in diesem Hotel »amerikanisch« wirken zu lassen.
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Motiv: Moody’s Bail Bond Office.
Drehort: Brooklyn, New York.
In New York ziehen sich Salinger und die Staatsanwältin Eleanor Whitman in diese
Schutzhöhle zurück – in Moody’s Bail Bond. Es war ganz klar, daß das ein alter Ort sein
müßte. Die beiden kommen in Brooklyn vor diesem Büro von Moody an, mit diesem
prächtigen Blick auf Manhattan, und dann gehen sie die Treppe runter in dieses fen-
sterlose Loch.
Bail Bond Offices sind für die Amerikaner relativ normale Orte, jede Stadt hat so et-
was. Das sind oft abgewrackte, unschöne Orte im Kleinkriminellen-Milieu. Moody ist
dementsprechend ein ehemaliger Bulle, der da in seinem Büro sitzt wie eine Kröte, und
hat da unten seinen halb-illegalen, inoffiziellen Verhörraum. Aus dem Grund ist das
auch der dunkelste Raum von allen gewesen. Der soziale Kontext ist für einen europäi-
schen Betrachter relativ unklar, ein Amerikaner versteht das sofort.
Als Location fanden wir eine Polsterwerkstatt für Kinosessel in Brooklyn. Die Wand-
panele, Theke und sämtliche Einrichtung wurden von uns eingebaut.
Undurchlässigkeit
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Portfolio | The International cınearte XL 011
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Drehort: Großer Basar, Istanbul
In Istanbul verliert die Hetzjagd schließlich an Tempo, der Held ist
am Ziel. Die Kamera schwebt rein und man badet im Stadtbild – der
Fülle der Straßen, der Fremdartigkeit und dem Alter des Ortes an der
Schnittstelle von Europa zum Orient. Bei dem Schlußbild muss man
verstehen, was das eigentlich für Dächer sind: Es ist die Überdachung
vom Großen Basar in Istanbul. Über 500 Jahre lang war das der größ-
te Marktplatz der Welt, sozusagen die Mutter aller Märkte in der Ge-
schichte der Menschheit. Über diesem historischen Markplatz findet
dann diese finale Auseinandersetzung statt. Das ist nicht nur ein
atemberaubendes Motiv, sondern ein überwältigendes Symbol. Wo
könnte unser Held Salinger besser den Schurken virtueller Verbrechen
stellen, als direkt über den historischen Hallen des Handels? Das war
natürlich ein unschlagbarer Fang!
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cınearte XL 011 Portfolio | The International
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Drehort: Cisterna Basilica, Istanbul
Der Gedanke war, daß Skarssen aus seinem
gläsernen Palast herausgelockt werden muß,
um an einen möglichst kontrastierenden Ort
gebracht zu werden. Die alternative und
nicht weniger historische Motividee, die wir
sehr lange hatten, war die Hagia Sophia –
auch ein berühmtes Bauwerk. Letztlich hat-
ten wir uns aber für den Säulengang in der
Cisterna Basilica entschieden, weil er mehr
Möglichkeiten als unterirdisches Versteck bot.
Für mich war das umwerfend, diese düstere
Zisterne – vor allem weil man sich ansonsten
meist in den lichten Glaspalästen aufhält.
Oben und unten
xl011_A4_International 01.04.2009 19:18 Uhr Seite 95
Porträt | Sven Taddicken cınearte XL 011
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Klare SichtSven Taddicken ist ein zurückhaltender Mensch: Dafür sind seine
Filme bunt, laut – und überwältigen den Zuschauer mit verquerer
Leidenschaft.
Text Christoph Gröner | Foto Sabine Felber
xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 96
cınearte XL 011 Porträt | Sven Taddicken
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Sven, 5, konnte wohl kaum wissen, was aus ihm
einmal werden würde. Aber wenn Eltern mit Su-
per-8 die Peanuts aus dem Fernseher abfilmen,
um das flimmernde Bild dem Sohn ganz ohne Ton
übers Bett zu projizieren, damit der besser ein-
schläft – dann muß man sich über eine Kinokar-
riere nicht wundern.
Den Melancholiker Charlie Brown, seinen To-
talverweiger von Hund Snoopy, das Klaviergenie
Schröder und die ihm verfallene Machtfrau Lucy,
das ganze melancholische, lebensweise Peanuts-
Universum also hat Taddicken früh aufgesaugt wie
Bildermilch: Dann muß man wohl solche Filme
wie der 1974 geborene Hamburger drehen; Filme,
in denen die Menschen an ihren oft dunklen Lei-
denschaften verzweifeln – oder einfach damit le-
ben.
»Glück ist nicht lustig«, entschuldigte Charles
M. Schulz die ständigen Ausrutscher seines Hel-
den Charlie Brown. Sven Taddickens Filme prä-
sentieren Glück auch nur in homöopathischen
Dosen: Dafür ist es oft verdammt komisch, wie da
Schicht um Schicht Sehnsüchte freigelegt werden
und man sich beim Sehen denkt: Hoppla, er-
wischt! Taddicken sucht mit viel Fantasie nach
wahrhaftigen Gefühlen: »Das Verrückte ist ja, ich
gebe mir bei jedem Film große Mühe, realistisch
zu sein. Daß sie etwas Verträumtes haben, das
Emotionale, Schwebende, wie auch immer – das
passiert mir dann einfach«, sagt er.
Als Kind hatte er die Super-8-Kamera schnell
selbst in der Hand, die ersten Versuche waren aber
erstaunlich nüchtern: Mit sechs filmte er die
Nummernschilder an Autos in seiner Straße ab
und schnitt die Bilder zusammen. Die Lebensge-
schichten hinter den Schildern kamen später. Bis
heute geht es dann meist um Figuren, die stark
fühlen und nur stockend darüber reden können.
In einem seiner Kurzfilme an der Filmakademie
Ludwigsburg, dem für den »Studenten-Oscar« no-
minierten Schäfchen zählen, gibt es so ein typi-
Laß’ uns mal darüber reden! Sven Taddicken spricht gerne Klartext. In Filmbildern.
xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 97
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Porträt | Sven Taddicken cınearte XL 011
98
sches Figurenarsenal, unter anderem eine Schaff-
nerin, die sich in Liebesromane versenkt, aber ei-
nen Mann lieber nach einer K.O.-Spritze vergewal-
tigt, als sich mit den Gefühlen wirklich
auseinandersetzen (»Ich bin pervers, sie mußten
drunter leiden. Das tut mir leid«, ist ihr lakoni-
sches Statement, als er doch aufwacht.) Der Mann
wiederum liebt Pornos und wird von einem Poli-
zisten verfolgt, der den harten Gesetzeshüter mar-
kiert, weil ihn seine liebreizende Kollegin abblit-
zen läßt. Übersprungshandlungen bei jeder Figur.
Als Taddicken mit Mein Bruder, der Vampir
2001 sein langes Debüt dreht, präsentiert er gleich
eine ganze verrückte Familie. Alle leben in ihrer ei-
genen Traumwelt, und Josch besonders: Er ist gei-
stig zurückgeblieben, und es geht im Film vor al-
lem darum, wie er seine Sexualität entdeckt. Es ist
eine der schärfsten, grenzwertigsten Auflösungen,
die Taddicken dabei gewählt hat: Am Ende geht
der Junge mit seiner Schwester Nic ins Bett.
Rückblickend, erzählt Taddicken, sei er damit
nicht mehr ganz zufrieden. »Für mich stand im
Mittelpunkt: Sex ist Vertrauenssache.« Klar, Bruder
und Schwester hätten sich nichts zu beweisen.
Nur unterschlug Taddicken damit den dramatur-
gischen Aufbau, daß sein Held eigentlich den gan-
zen Film ein anderes Mädchen liebte – und Sex
nur eine Nebensache war. »Aber immerhin, ich
hatte einen diabolischen Spaß, meine Botschaft
mit einer Inzestszene zu zeigen«, lacht er.
Über Fehler im Überschwang, über sein Leben
redet Taddicken am Ende ganz offen. Aber als das
Gespräch beginnt, wirkt er fast schüchtern. Er hat
feines Haar, das etwas absteht: da ist etwas von ei-
nem introvertierten Punksänger, der es erst auf
der Bühne richtig krachen läßt.
Aber auch wenn er tatsächlich als Schüler in
Bands gespielt hat – der Bildermensch war stärker
in ihm. Auch stärker als die Scheu: »Tja, wie wird
man Regisseur? Vom Menschlichen her war ich
mir nicht sicher, ob ich ein Regisseur bin. Kom-
munikativ sein, Leute erreichen, das waren Dinge,
die ich wirklich im Studium lernen mußte. Aber
ich hatte immer das Gefühl, ich sehe die Dinge
anders.«
So anders, daß er nun oft zu radikal überhöhten
filmischen Metaphern findet. Wo ist eigentlich die
Grenze, was fühlt sich noch richtig an? »Meine Fi-
guren müssen nicht reale Menschen sein. Das sind
radikale Verkörperungen von Typen, Fähigkeiten,
Sehnsüchten«, erklärt er, das sei wie ein »Schutz-
mantel«. Seine Filme sehen dabei völlig unter-
schiedlich aus. Sein Abschlußprojekt Einfach so
bleiben war schwarz-weiß, dann folgte der knalli-
ge Mein Bruder, der Vampir, der mit schrägen
Sichten auf die Figuren und die Welt an das frühe
Kino von Jean-Pierre Jeunet erinnert. Danach folg-
te das farbensatte Melodram Emmas Glück, in
dem es um die Liebe der Schweinezüchterin
Emma zu einem krebskranken Autohändler geht,
Naturburschikos stapft die Schweinezüchterin Emma ihrem Glück entgegen, und Sven Taddicken erfreut sich dabei auch an dras-
tischeren Scherzen. Weil es eigentlich ja um ganz große Gefühle und völlige Hingabe geht.
xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 98
cınearte XL 011 Porträt | Sven Taddicken
99
der ihr nach einem Unfall wirklich vor die Füße
fällt.
Emma sei eine Verkörperung von Natur selbst,
sagt der Regisseur: »Da spielen Leben und Tod zu-
sammen.« Sie müsse gar nichts Bäuerliches aus-
strahlen, sondern ein Gefühl repräsentieren. In ei-
ner Szene trägt Emma-Darstellerin Jördis Triebel
im Hochzeitskleid ihren Mann über die Schwelle.
Es ist ein ungewöhnlich zerbrechlicher Jürgen Vo-
gel, der ihr in den Armen liegt – und ihr noch vor
der Tür auf das Hochzeitskleid kotzt. Eine berüh-
rende Szene, auch wenn das geschrieben anders
scheinen mag: Es geht um Sterbehilfe, natürlich,
aber vor allem um Hingabe.
Fast 400.000 Zuschauer haben sich damit ins
Kino locken lassen. »Ich kann für jemanden da
sein – davor haben wir Angst, danach sehnen wir
uns, das kann einen ganz schön schütteln.« Und
den Zuschauer soll es auch schütteln: Taddicken
will, daß die Leute ein bißchen verändert aus sei-
nen Film gehen, ein bißchen mehr reden: »Ich will
keinen fernen Kosmos inszenieren.«
Die Seherfahrungen, die ihn beeinflussen, sind
dabei so vielfältig wie seine bisherigen Filme: Die
Anarchie der Muppet-Show, die radikale Schau-
spielführungen von John Cassavetes, die Heißblü-
tigkeit von Almodovars Feßle mich und Peter Gree-
naway, den er heute mehr für das Frivole als das
Formale an seinen Filmen schätzt. Auch bei Taddi-
ckens Filmen werden emotionale Extreme nicht
glattgebügelt, sondern einfach gezeigt. Was ist
denn normal, heißt das. Aber vor allem: Wie er-
klärt man, was man da fühlt?
Wer so viel über Kommunikation zwischen den
Menschen sinniert, braucht Mitstreiter, die einem
blind verstehen. »Man baut sich beim Film fast
eine gesellschaftliche Struktur mit Freunden«, sagt
Taddicken über die Arbeit am Set. Die Kamerafrau
Daniela Knapp zählt zu den häufigsten Mitarbei-
tern, mit ihr hat er fast alle seine Filme realisiert.
Hinnerk Schönemann spielt vor der Kamera oft
wunderbar verdruckste Charaktere für ihn – in
Emmas Glück eine wunderbare Nebenrolle: einen
Polizisten mit Triebstau und notorischem Bleifuß,
der Emma so sehr liebt, daß er sie am liebsten
emotional erpeßt. Und dann ist da auch noch
Matthias Pacht, der Autor, aus dessen Feder Schäf-
chen zählen, Mein Bruder, der Vampir und nun
auch Zwölf Meter ohne Kopf stammen und der da-
mit viel zum schrägen Figurenuniversum von Tad-
dicken beigetragen hat: Der Regisseur versteht
sich als »gefühlter Autorenfilmer«, der mit seinen
Drehbuchautoren eng gemeinsam entwickelt.
Bei dem jüngsten Film hat es am Ende acht Jah-
re gedauert. 2001 hatten Pacht und Taddicken die
Idee einer Buddy-Komödie über den Piraten Klaus
Störtebeker und seinen Freund Gödeke Michels –
Zwölf Meter ohne Kopf. »Ich dachte am Anfang, wir
machen den ersten relevanten Piratenfilm nach 50
Jahren«, so Taddicken. Daß das Gespann nach der
Taddickens Filme bewegen sich irgendwo zwischen Muppet-Show und Cassavetes. Eine ziemlich verrückte Familie tummelt sich
in Mein Bruder, der Vampir. Die Kamerafrau Daniela Knapp hat fast alle seine Filme fotografiert.
xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 99
Porträt | Sven Taddicken cınearte XL 011
100
Fluch-der-Karibik-Trilogie die Produzenten noch
begeistern konnte, spricht für das Vertrauen, das
Wüste Film dem Regisseur nach Emmas Glück
entgegenbringt.
Es ist seine erste Großproduktion – das Budget
liegt bei mehr als sechs Millionen Euro. Taddicken
sagt trotzdem, die Arbeit fühle sich frisch an wie
beim Vampir. Aber er muß bei einem Film, den
Warner Brothers herausbringen wird, auch auf sei-
ne Professionalität bauen, die er bereits in Auf-
tragsproduktionen wie Braams unter Beweis ge-
stellt hat. »Wir hatten immer 25 Piraten vor der
Kamera, auf See. Da ist es völlig okay, daß mir ge-
sagt wurde: Sven, mach doch noch mal einen
Test«, sagt er gelassen. Nur Kompromisse bei sei-
ner Vision will er nicht machen. »Das Schlimmste
wäre, die Kontrolle über einen meiner Filme zu
verlieren. Da bin ich zäh.«
Seine Vorstellung ist tatsächlich ziemlich ver-
rückt und ziemlich vielversprechend: »Da geht es
um die Sehnsucht nach einem alternativen Le-
bensgefühl – wie in einem besetzten Haus zu le-
ben. Ich habe den Schauspielern gesagt, Mensch,
eigentlich seid ihr wie eine Punkrockband. Und
jetzt hat der eine ein Mädchen gefunden, er will
seßhaft werden. Sein Freund hat eher Vorbilder
wie Kurt Cobain und Sid Vicious und sucht lieber
den Drogentod als das langweilige Leben an
Land.« Ronald Zehrfeld spielt den verliebten Stör-
tebeker, Matthias Schweighöfer seinen punkigen
Kumpel – die Wiederaufnahme des Mythos wird
auch noch mit viel Pop unterlegt.
Wild sind nicht nur diese Aussichten, auch der
Dreh auf hoher See war ungewöhnlich. Drei klas-
sische Koggen kamen zum Einsatz, das Deck wim-
melte vor Schauspielern – und trotzdem kam der
Film ohne Nachdreh ins Dock, bei den Vorberei-
tungen hatte die Crew schon alles erlebt. »Richtig
abbrechen bei Windstärke 6 mußten wir nur ein-
mal beim dritten Testdreh. Ich habe es überstan-
den, ohne über der Reling zu hängen. Meiner Ka-
merafrau Daniela ging es schlechter, aber sie kam
tapfer zurück. Das war schon eine Grenze.«
Taddicken schneidet derzeit, vom Film zeigen
kann er nichts, aber sein Ziel bleibt auch hier das
Gleiche: »Die Leute sollen danach das Gefühl ha-
ben, daß sie alte Freunde anrufen müssen.« Er will
die Leute zum Reden bringen, dabei läßt er selbst
am liebsten seine Filme sprechen. Am Ende des
Gesprächs noch die biografische Spurensuche:
Wieso gibt es eigentlich keine Elternfiguren in
seinen Filmen? Ja, die existentialistischen Figuren
hätten mit seiner Biografie schon zu tun, sagt
Taddicken dann. Seine Eltern hätten ihn stets
unterstützt, aber da gab es auch »die typische
68er-Erziehung: Sven kriegt lieber keinen Klavier-
unterricht, dann bekommt er eher Lust, zu spie-
len.«
Zu dieser Seite der Erziehung hat er heute ein
schwieriges Verhältnis – ganz anders als zu den
Peanuts über dem Bett. Aber beides hat mit seinen
Filmen zu tun. »Vielleicht sind meine Filme des-
halb laut und bunt. Da ist eine Sehnsucht, klar zu
kommunizieren.«
Eigentlich war Klaus Störtebeker ja Punkrocker, dachte sich
Taddicken und machte sich daran, den »ersten relevanten
Piratenfilm nach 50 Jahren« zu drehen. Vom Plan bis zur
ersten Klappe dauerte es aber acht Jahre.
c Fot
o:W
üste
Film
xl011_B2_Sven Taddicken 01.04.2009 19:38 Uhr Seite 100
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cınearte XL 011 Abspann | Letzte Bilder
103
Abspann
a
f-
Das Appartement
USA 1960
Regie Billy Wilder
Drehbuch Billy Wilder und I. A. L. Diamond
Kamera Joseph LaShelle
Szenenbild Alexander Trauner
Maske Harry Ray
Montage Daniel Mandell
Musik Adolph Deutsch
Produktion Billy Wilder
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 103
Lange Zeit war der Vorspann nur eine Folge
von Texttafeln, die auflisteten, wer am Film so
mitgearbeitet hatte. Allmählich erhielten sie
mehr und mehr dekorative Elemente. Heute ist
ein gelungener Vorspann ein eigener Kurzfilm,
der in Stimmung und Stil des Hauptwerks
einführt. Das ist das Werk von Spezialisten –
genannt werden sie allerdings oft nicht einmal
im Abspann. Bis jetzt.
Abspann | Vorspann cınearte XL 011
104
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xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 104
cınearte XL 011 Abspann | Vorspann
105
Kaum ein Film hat wohl den unsichtbaren Geist seiner Zeit so ins Bild gefaßt ohne da-
bei modisch zu werden wie Norman Jewisons Thomas Crown ist nicht zu fassen von 1968.
Schon Stab und Besetzung verraten (zumindest im Rückblick) die Bedeutung der seltsa-
men Kriminalkomödie: Steve McQueen und Faye Dunaway in den Hauptrollen, Haskell
Wexler an der Kamera, Hal Ashby im Schneideraum, Musik von Michel Legrand und der
Vorspann von Pablo Ferro.
Wie so viele seiner Zunft kam auch Ferro von den unbewegten Bildern zum Film. Als Ju-
gendlicher war er mit seiner Familie nach New York emigriert und begann seine Karriere
als Comiczeichner, ehe er dann Werbung in einem Animationsstudio machte. Sein erster
Filmvorspann ließ ihn schlagartig berühmt werden: Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die
Bombe zu lieben. Regisseur Stanley Kubrick sollte ihn später auch für A Clockwork Orange
engagieren. Dazwischen schuf Ferro aber die Titel zu dem Film, der zu seinem eigenen Stil
paßte wie kein anderer. Jewison nutzte intensiv die Split-Screen-Technik, um den perfekt
geplanten Bankübefall darzustellen: Parallel ablaufende Handlungsstränge sind in kleinen
Fenstern eingeblendet. Dazu kommen mehrere extreme Tempowechsel – darunter auch
der mit 55 Sekunden längste Filmkuß seiner Zeit. All das griff Ferro mit seiner Vorspann-
arbeit (in der sein Name sogar auftaucht) auf und experimentierte als einer der ersten mit
schnellen Schnittabfolgen. Bildkader unterschiedlicher Größe mit Szenen aus dem Film
schweben über eine schwarze Oberfläche, ändern Farbe und Größe im Rhythmus der Mu-
sik. Diese Art, mehrere Bilder zu einer Collage in einem Frame zusammenzustellen, wur-
de schließlich zu Ferros Markenzeichen. Jan Fedesz
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 105
Abspann | Mein Arbeitsplatz cınearte XL 011
106
Wie arbeitet man eigentlich für den Film? Wir fragten die Kostümbildnerin Bettina Marx.
»Jede neue Produktion bekommt bei mir eine bestimmte Farbe, in der ich Notizbuch und Ordner aussu-
che. Ich muß mich in diesen Ordnern ›zu Hause‹ fühlen, das ist mein mobiles Büro für den jeweiligen
Film. Was unabdingbar ist, ist mein rotes Mäppchen von ›Interflug‹ – ein Necessaire-Täschchen aus der
DDR, das schon auseinanderfällt. Bei einer normal budgetierten Produktion fange ich in der Regel fünf
Wochen vor Drehbeginn an. Ich arbeite mit einer Assistentin. Am Set gibt es später noch zwei Gardero-
bieren. Vor Drehbeginn führe ich lange Gespräche mit Regisseur und Szenenbildner und vertiefe mich
tage-, manchmal wochenlang in Bilder, Filme und Fotos zum Thema. Später treffe ich die Schauspieler,
nehme Maß. Zusammen versuchen wir, uns dem Erscheinungsbild ihrer Rolle anzunähern. Das Leitbild
ist mit dem Regisseur schon vorab besprochen. Beim ersten Lesen des Drehbuchs sehe ich den speziel-
len Typen, seinen Charakter in der Regel schon vor mir. Bei ernsten Stoffen etwa halte ich mich mehr am
Fotorealismus – ich habe eine umfassende Sammlung an Büchern, Foto-, Mode- und Kostümbüchern,
aber auch an Modemagazinen und Illustrierten.
Für Komödien kann man schon mal deftig überzeichnen, die Figuren in einer satirischen Form ver-
fremden. Da sind auch Geschmacklosigkeiten erlaubt, zu enge Klamotten, man kann auch richtig in die
Farbe gehen. Dagegen wird dem Drama schon mal eher Farbe entzogen. Für die Typisierung mache ich
Collagen wie beim Theater – A3-Blätter mit Skizzen, Fotoausschnitten, Materialien, Farben.
Wenn ich fürs Theater arbeite, lasse ich viel nähen, weil ich es liebe, mit Stoffen umzugehen, zu fär-
ben und mir Schnitte auszudenken. Beim Film dagegen hat man dafür oft keine Zeit, da besorge ich viel.
Man kauft, trödelt, leiht, man holt aus seinem Fundus. Teilweise geht man an den Schrank der Schau-
spieler und sucht sich die eine oder andere Sache raus. Bei Schuhen achte ich darauf, daß sie nicht neu
sind, sondern getragen. Dann gehe ich durch die Läden, die Kleidung passend zum jeweiligen Typus ha-
ben könnten. Da habe ich ein Adressenverzeichnis, aufgeteilt nach Bezirken und Angebot.
Bei der Filmvorbereitung stehe ich um halb sieben Uhr auf und düse meist noch bis 20 Uhr durch die
Geschäfte. Abends müssen dann die Quittungen sortiert werden, ich gehe noch mal die Ständer durch –
sortiere die Kleidung neu, bereite die Anproben vor, drapiere Kostüme auf Kleiderpuppen vorm Spiegel,
überprüfe meine Ideen, Formen, Farbe. Beim Dreh selbst kommt es für meine Arbeit darauf an, was im
Bild ist. Wenn die Kamera beispielsweise ein Dekolleté fokussiert, ist die Auswahl des Büstenhalters ent-
scheidend. Wenn er nicht sichtbar ist, ist er Formgeber, das ist genauso wichtig. Sieht man ihn, muß ent-
schieden werden: Paßt er zum Typ der Frau, ist er neu, bewußt gewählt, oder ist er Alltag, hat er ausge-
leierte Träger, ist er schon fünfzig Mal in der Waschmaschine gewesen?
Für Frauen fällt einem immer etwas ein, um tausend Typen zu differenzieren. Es ist schwieriger, eben-
so viele Männer gegeneinander abzusetzen. Wie viele Arten von Männerbekleidung gibt es? Unterhem-
den, T-Shirts, Pullover, Oberhemden – mit Krawatte, ohne Krawatte – Pullover drüber, Pullunder, Anzug.
Abendanzug. Selten Farben. Männermode ist begrenzt in ihrer Ausdrucksform. Da würde ich wahnsin-
nig gerne mal die Zeit von Arthur Conan Doyle um 1880 herum ausstatten. Bei den Frauen war die Tur-
nüre Mode, der Körper war extrem geschnürt und ›verformt‹. Und auch die Männermode war körperbe-
tont und vielfältiger.«
Protokoll und Foto Karolina Wrobel
Mein Arbeitsplatz
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 106
cınearte XL 011 Abspann | Mein Arbeitsplatz
107
Eigentlich hatte Bettina Marx, Jahrgang 1960, kein großes Interesse am Film. Sie ging lieber ins Theater. Deshalb studierte sie
Theaterwissenschaften an der FU Berlin. Von der Theorie drängte sie ihr Mitbewohner in die Praxis, an die Berliner Schaubühne.
Dort arbeitete sie als Abend-Ankleiderin für Peter Steins Orestie und begann 1982 ein Volontariat bei Moidele Bickel, betreute die
Proben, fertigte Schwertgehänge und Masken an. Bald zog es sie als Assistentin ans Stuttgarter Staatstheater, dessen Mitarbeiter
der SWR anwarb. So stattete sie die schwäbische Serie Der König von Bärenbach aus. Ein Kinofilm brachte die berufliche Wende:
Lost Killers von Dito Tsintsadze. Fünf Jahre später gab’s die erste Auszeichnung – mit Mein erster Freund, meine Mutter und ich
gewann Marx 2004 den »Deutschen Fernsehpreis«, 2006 dann den »Deutschen Filmpreis« für Hans-Christian Schmids Requiem.
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 107
Abspann | Statistik cınearte XL 011
108
Prämien, die bei den »Oscars« an Nominierte und Preisträger vergeben werden, in Euro 0
Prämien beim »Deutschen Filmpreis« für Nominierte und Preisträger in Euro 2 845 000
Kategorien beim »Deutschen Filmpreis« 15
Davon für »künstlerische Einzelleistungen« jenseits der Kameralinie 8
Ständige Kategorien bei den »Oscars« 24
Davon für »künstlerische Einzelleistungen« jenseits der Kameralinie (ohne »Bestes Lied«) 12
Fernsehzuschauer ab drei Jahren in Deutschland, die sich in diesem Jahr ab 2:30 Uhr
die »Oscar«-Verleihung ansahen 540 000
Zuschauer, die im vergangenen Jahr freitagabends ab 21:45 in der ARD die Verleihung
des »Deutschen Filmpreises« verfolgten 1 980 000
Anteil deutscher Produktionen an den Kinofilmen, die 2007 in Deutschland angelaufen
sind, in Prozent 36
Marktanteil des deutschen Films 2007 nach Besuchern in Prozent 18,9
Anteil deutscher Produktionen an den Kinostarts 2008 in Prozent 39
Marktanteil des deutschen Films 2008 nach Besuchern in Prozent 26,6
Marktanteil im »Rekordjahr« 2004 in Prozent 23,8
Besucherzahl deutscher Filme 2004 in Millionen 36,7
Besucherzahl 2008 in Millionen 33,9
Davon Zuschauer, die Keinohrhasen, den erfolgreichsten Film des Jahres 2008, sahen, in Millionen 4,9
Zuschauer bei Keinohrhasen insgesamt in Millionen 6,3
Kategorien, in denen Keinohrhasen für den »Deutschen Filmpreis« nominiert ist 0
[1 | 5-6] Academy of Motion Pictures Arts and Sciences [2-4 | 18] Deutsche Filmakademie [7] DWDL [8] ARD [9-17] Filmförderungsanstalt
Die Welt in Zahlen
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 108
cınearte XL 011 Abspann | Lexikon
109
Independent – da schweift ein Hauch von Hippieness und Underground durch den Raum. Bunt be-
malte VW-Busse, fröhlich-gelockte Mädchen mit Blumen im Haar und coole Jungs mit glasigem Blick,
die später mal so ganz nebenbei freundliche Computer erfinden werden oder den koffeinfreien Latte
macchiato. Nicht fürs Geld, sondern wegen der tollen Idee. Kunst der Kunst wegen.
Soweit der Mythos. Genau genommen war Hollywood selbst ja das Ergebnis einer Independent-Be-
wegung – weg von der Ostküste und der Kontrolle durch Edisons Kartell. Gemeinhin versteht man heu-
te unter »Indies« die Filme, bei denen keines der sechs großen Studios die Finger in Produktion und Ver-
trieb hat – »mit geringem Geldeinsatz und unter hohem Zeitdruck hergestellt, dafür gehen sie kreativ mit
ihren Geschichten um und erzählen, ohne den Hollywood-Erzählmustern zu folgen«, nährt auch die Wi-
kipedia den Mythos von den Indies. Tatsächlich sind sie entstanden, weil künstlerische und finanzielle
Vision nicht immer zusammenpassen wollten, und mancher sich andere Geldgeber suchte. Schon 1919
hatten darum Charles Chaplin, D. W. Griffith, Douglas Fairbanks und Mary Pickford United Artists ge-
gründet. Orson Welles holte sich sein Geld in Europa (oder arbeitete seine Schulden als Schauspieler und
Regisseur ab). Und dann gab es natürlich die amerikanischen Autorenfilmer wie Stanley Kubrick oder
John Cassavetes, die das »New Hollywood« so beeinflußten. Aber damals wußte man noch nichts von
»Independents«, denn der Begriff entstand erst in den 1980er Jahren, als die nächste Generation sich an
die Filmarbeit machte und bekannt wurde: Nachdem Jim Jarmusch, Spike Lee, Steven Soderbergh oder
Quentin Tarantino mit kleinen Werken große Kasse machten, kauften sich auch die großen Studios flugs
eine Indie-Tochter. Zumal die bei ihren Produktionen nicht an die Gewerkschaften gebunden ist.
Mit dem Budget aber hat es weniger zu tun. Filme wie Shakespeare in Love kosteten mehr als manche
europäische »Großproduktion«. Oder Der Herr der Ringe von New Line produziert – eine Tochter von
Warner Brothers. Und dann denke man nur an den größten Independent-Filmer von allen, der bis heu-
te tun und lassen kann, was er will: George Lucas hat um seine Krieg-der-Sterne-Trilogien eine Galaxie
aus Studios und Firmen gebaut, um sich die kreative Unabhängigkeit zu sichern.
Mit dem Erfolg nämlich kommt auch die Mißgunst – ob begründet oder nicht. Bestes Beispiel ist das
Sundance Festival, von »New Hollywood«-Ikone Robert Redford einst als Forum für den unabhängigen
Film gegründet. Bald war das einigen schon wieder zu mainstreamig. Heute gibt es am gleichen Ort zur
gleichen Zeit eine Gegenveranstaltung: Slamdance. Carlo Vivari
IIndies
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 109
Das vollkommene irdische Glück des Günter
Rohrbach muß man sich wohl so vorstellen: Er
sitzt in einem Kinosessel um das Jahr 1920 in
einem Hotel in Singapur und redet über Dreh-
bücher. Solche für Schwarzweiß-Filme vermut-
lich, denn das sei seine Lieblingsfarbe. So hat er es
zumindest der Frankfurter Allgemeinen Zeitung
vor 15 Jahren in ihrem berühmten Fragebogen er-
klärt.
Vielleicht schwingt da auch ein wenig Kokette-
rie mit, wenn der Produzent den italienischen
Filmregisseur Frederico Fellini als seinen Lieb-
lingsschriftsteller nennt und den deutschen Film-
regisseur Wim Wenders als liebsten Lyriker. Aber
die Begeisterung fürs Kino ist bei Günter Rohr-
bach nicht zu übersehen. Dafür hat er sich oft und
deutlich zu Wort gemeldet, wenn es zum Thema
etwas zu sagen gab. Über den Standpunkt mochte
man da bisweilen streiten (was er zuletzt mit
Deutschlands Filmkritikern und mit Volker
Schlöndorff gerne tat), aber die Auseinanderset-
zung mit den Argumenten und Erfahrungen lohnt
sich.
Da paßt es, wenn zum 80. Geburtstag im vori-
gen Oktober die Deutsche Filmakademie die ge-
sammelten Werke ihres Präsidenten als Buch her-
ausgegeben hat. 64 Zeitungsartikel, Reden und
Aufsätze aus einem halben Jahrhundert sind da
auf über 300 Seiten versammelt. Das ist nicht ein-
fach eine Zettelsammlung, die einer über der
Druckmaschine ausgeleert hat, sondern ist von
Hans Helmut Prinzler sauber (und beinahe möch-
te man sagen: liebevoll) aufbereitet. Und es lohnt
sich allemal. Schließlich hat der Produzent bereits
als Redakteur Mut zum Wagnis gezeigt – ohne ihn
wäre die Miniserie Holocaust damals vermutlich
nicht ins deutsche Fernsehen gekommen.
Über Filmberufe, das Kino, das Fernsehen, Hol-
lywood, Das Boot und über Filmschaffende hat
sich Rohrbach oft und gerne geäußert. Das Meiste
ist auch heute noch interessant – vor allem solche
anekdotenhaften Randberichte, wie der von der
Reise ins ehemalige Stalingrad zwecks Vorberei-
tung von Joseph Vilsmaiers gleichnamigem Film.
Manches ist immer noch gültig, und alles wunder-
bar zu lesen – als ein so kurzweiliger wie informa-
tiver Spaziergang durch vier Jahrzehnte bundes-
deutscher Film- und Fernsehgeschichte.
Der Fragebogen für die FAZ ist im Anhang übri-
gens auch dabei. Carlo Vivari
Schwarzweiße Lyrik
Günter Rohrbach: Texte über Film und Fernsehen | Bertz + Fischer Verlag, Berlin 2008 |
ISBN 978-3-86505-186-8 | 24 Euro
Abspann | Buch cınearte XL 011
110
Fot
os:B
ertz
-Fis
cher
|Pro
kino
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 110
cınearte XL 011 Abspann | Musik
111
Nicht erst seit dem Boom von Bollywood sind
Musik- und Filmindustrie eng miteinander ver-
knüpft. Doch was da geboten wird, ist für ein west-
liches Gehör und den dazugehörigen Bewegungs-
apparat nur schwer zu durchdringen. Das
erkannte auch der britische Filmemacher Danny
Boyle, weshalb er für die Vertonung seines Slum-
dog Millionär den Komponisten Alla Rakha Rah-
man engagierte. Kein anderer indischer Musiker
versteht sich so darauf, die indische Tonsprache
mit populärer Musik westlicher Orientierung zu
vereinen. Heraus kam eine Art Weltmusik.
In 13 Tracks gliedert sich der Soundtrack, für
deren Song Jai Ho und den Filmscore Rahman mit
zwei »Oscars« bedacht wurde. Allen Stücken ge-
meinsam sind die rhythmischen Grundthemen
und die Melodiestrukturen: Während letztere den
klassisch indischen Phrasierungen mit ihren zahl-
reichen Auf- und Abwärts-Glissandi folgt und an
die ursprüngliche Vokalmusik anknüpft, ist der
Rhythmus konventionell westlich geprägt – Syn-
thesizer-Schlagzeug im Hip-Hop-Beat, mit Rhyth-
musmontage oder, seltener, mit klassischen Zähl-
zeiten lassen die vielschichtigen Melodien
verständlicher erscheinen und bleiben als Film-
musik erfahrbar. Zudem durchzieht Rahman seine
Kompositionen mit Geräuschkulissen und arbei-
tet mit Lautsprache: In O… Saya wird das Schlag-
zeug zum pneumatischen Werkzeug, das Crescen-
do schwillt parallel zum schneller werdenden
Tempo an – die Klangelemente ziehen am Ohr
vorbei wie ein fahrender Zug, was ein wiederkeh-
rendes Motiv auch im Film ist. Die Zusammenar-
beit mit der englischen Rapperin M.I.A. und die
musikalischen Grime-Einflüsse geben dem einen
hörbar jüngeren und moderneren Anstrich.
Sphärisch hält es Rahman in der Komposition
Latikas Theme und im Song Dreams On Fire, wo er
die hereinschwebende Frauenstimme mit einer
pulsierenden Synthesizer-Orchestrierung unter-
malt und eine Sitar mit klassischer Gitarre ver-
webt. Experimental wird es in Liquid Dance, wo er
das Gefüge zwischen Rhythmus und Melodie zer-
fallen läßt, nur um es so zerfranst wieder einan-
einderzubauen. In Gangsta Blues dagegen setzt er
ganz auf das Klischee der Hip-Hop-Gangster aus
der Bronx, denen so mancher Kleinkriminelle in
Mumbai nacheifert – im harten Beat der Drums,
dafür mit Hindu-Rap. Tatsächlich ist die Filmkom-
position eine Vereinbarmachung zwischen ver-
schiedenen Kulturen – eine Fusion jenseits verein-
heitlichendem Multikulti. Karolina Wrobel
Hindi Hip to the Hop
Alla Rakha Rahman: Slumdog Millionär | Interscope | B001NH4KPA
xl011_X_Abspann 02.04.2009 0:40 Uhr Seite 111
Abspann | Musik cınearte XL 011
112
Vom Krieg erzeugte Bilder ähneln wohl am we-
nigsten denen einer gewöhnlichen Wirklichkeit –
vielleicht deshalb ist das Kino ein geeigneter Ort,
um sie zu verwahren. In seinem preisgekrönten
Dokumentarfilm Waltz with Bashir erinnert Ari
Folman die eigenen Kriegserlebnisse in animier-
ten Bildern. Die atmosphärisch dichte Musik dazu
komponierte der in Deutschland geborene und in
England lebende Max Richter, der dafür 2008 den
»Europäischen Filmpreis« erhielt.
In wenigen Tagen soll Folman seine Idee
niedergeschrieben und die Vergangenheit mit Hil-
fe der düsteren Musik Richters evoziert haben. Da-
bei muß der Filmemacher wohl auf dessen letztes
Album The Blue Notebook zurückgegriffen haben,
denn viele der zeitgenössischen Kompositionen
finden sich auch auf dem Soundtrack wieder. Gan-
ze 20 wurden zusammengestellt, einzig This Is Not
a Love Song und Enola Gay stammen nicht aus
Richters Feder – der Song von Orchestral Manoeu-
vres in the Dark aus den 1980er Jahren verweist
namentlich auf den B-29-Bomber, der die erste
Atombombe über Hiroshima abwarf. Dabei hat
Richter für Waltz with Bashir eigene Stücke ge-
schaffen, die ähnlich auf einen kriegerischen Kon-
text verweisen: Wie etwa im Stück jsp/rpg, in dem
er sich auf einen universell einsetzbaren Panzer-
abwehr-Granatwerfer beziehen mag und dabei
den Filmtitel am deutlichsten umsetzt: Das kleine
Streicherensemble zupft im Dreivierteltakt einen
Walzer, während Richters Spiel am Klavier kontra-
stierend dazu an eine Bachsche Fuge erinnert. Am
stärksten ist jedoch die Verbindung zur sakralen
Musik in Iconography, wo Richter ein einzelnes
Orgelspiel mit Hall derart verwischt, das es sich als
sphärischer Klang im Raum zu verlieren scheint.
In The Haunted Ocean schließlich breitet er ei-
nen sonoren Klangteppich mit einer breiteren Or-
chestrierung aus, läßt aber eine einzelne Geigen-
stimme in den Vordergrund treten. In auf- und
absteigenden Tonhöhen ahmt sie Meereswogen
nach. Überhaupt arbeitet der Komponist mit äu-
ßerst reduziertem Arrangement, fast minimalis-
tisch erinnert es an Thomas Newman oder Mi-
chael Nyman, obwohl Richter kein Filmkomponist
ist. Und so ist es auch nicht verwunderlich, daß er
eine recht klassische Orchestrierung behält, sie je-
doch mit Klangphänomenen durchbricht. Am
deutlichsten in Shadow Journal, wo ein Schreib-
maschinentippen das Tempo vorgibt. Hier rezi-
tiert niemand geringeres als Tilda Swinton aus
Franz Kafkas Oktavheften. Karolina Wrobel
Kriegsmalereien
Max Richter: Waltz With Bashir | Emi | B001HVB4VK Fot
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Nur weil Ostern ist, sollten wir nicht dem Hasen trauen. Einem Kaninchen schon gar nicht.
Fünf Warnungen vor hinterlistigen Langohren.
Mein Freund Harvey [USA 1950]. Eine Welt mit solch einem Film kann nicht gänzlich
schlecht sein: James Stewart gibt einen liebenswerten Herren mit einem ernsthaften Al-
koholproblem, dessen bester Freund ein zwei Meter (und neun Zentimeter) großes, un-
sichtbares Kaninchen ist. Alles klar? Stewart selbst fand das Ganze allzu niedlich, doch
hinter der sentimentalen Fassade steckt eine knallharte Abrechnung mit sozialen
Zwängen und Intoleranz. Sicherlich der beste Film über Alkoholiker und menschliche
Kaninchen aller Zeiten.
Die Ritter der Kokosnuß [Großbritannien 1975]. Zeit und Raum und Requisiten gera-
ten aus den Fugen in der ultimativen Fassung der Artus-Sage, in der Ritter in Ermange-
lung von Pferden die titelgebenden Kokosnüsse schlagen lassen, um wenigstens Huf-
getrappel zu erzeugen, und lebenswichtige Fragen sich um das Flugvermögen von
Brieftauben drehen. Ganze Partyabende sind erfolgreich damit verbracht worden, sich
gegenseitig die Szenen nachzuerzählen, in denen Tiere dubiose Rollen spielen. Wie je-
nes tödliche Kaninchen, das den Heiligen Gral beschützt. Das muß man lustig finden.
Wallace und Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen [Großbritannien
2005]. Ein wilder Ritt durch den Grusel- und viele andere Filme und außerdem very bri-
tish ist die Begegnung von Herr und Hund mit dem unvorstellbaren Grauen. Die be-
rühmtesten aller Knetmännchen hatten es ja schon mit den perfidesten Bösewichten
zu tun und machten ihnen in Kurzfilmzeit den Garaus. In ihrem ersten abendfüllenden
Spielfilm begegnet ihnen die vegetarische Variante eines Werwolfs. Trotzdem nicht
harmloser.
Ekel [Großbritannien 1965] So kann’s gehen, wenn man mit seiner Sexualität nicht
richtig klarkommt, warnte Roman Polanski in seinem ersten englischen Film und
steckte ausgerechnet Belle de Jour Catherine Deneuve mit einem Kaninchenkadaver in
ein Appartement. Sehr symbolisch, aber vielleicht nicht ganz das Richtige für Zuschau-
er, die sich unter einem Horrorfilm vor allem Teenager vorstellen, die in Streifen ge-
schnitten werden: Polanskis Andeutungen gehen tiefer als jede Kettensäge – und wir-
ken länger.
Donnie Darko [USA 2001]. Klasse Film – aber worum geht’s eigentlich? Das weiß der
Titelheld selbst nicht, als er knapp dem Tode entkommt und fortan Visionen von einem
äußerst böswilligen Riesenkaninchen hat – und nur noch 28 Tage, um die Welt zu ret-
ten. Die Orientierungslosigkeit irgendwo zwischen Existentialismus und Geisteskrank-
heit wirkt lange nach. Übrigens auch beim Film selbst: Im Kino lief er mäßig, erst als Vi-
deo wurde er zu einem der wenigen Werke, die sich heute noch den Begriff »Kult«
verdient haben.
Harmlose Gesellen
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Abspann | Rätselraten cınearte XL 011
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LebensweisheitenWeniger ins Kino gehen und lieber ein gutes Buch lesen? Die Weisheiten des Lebens lauern
mitunter da, wo man sie am wenigsten vermutet.
Vermutlich reitet den Juraprofessor der Teufel, als er sich darauf einläßt, den Hörsaal seiner Universität
zu verlassen, um im Gerichtssaal einen angeblichen Sexualmörder zu verteidigen. Vielleicht ist er aber
auch nur die ständigen Sprüche über Akademiker im Elfenbeinturm satt. Jedenfalls erwidert er darauf
recht ungehalten und sinngemäß:
WWaarruumm nnuurr mmeeiinntt jjeeddeerr,, ddaass wwaahhrree LLeebbeenn sseeii üübbeerraallll,, bbllooßß nniicchhttaann ddeerr UUnniivveerrssiittäätt??
Wir wollen wissen: Aus welchem Meisterwerk der Kinematografie stammt dieses Zitat? Wenn Sie die Ant-
wort wissen, schreiben Sie sie bitte auf eine hübsche Postkarte und senden Sie das Ganze an: cinearte –
Peter Hartig, Friedrichstraße 15, 96047 Bamberg.
Unter allen richtigen Einsendungen verlosen wir gemeinsam mit der Süddeutschen Zeitung 15 Mal
je eine DVD aus der Reihe »Screwball Comedy – Hollywoods schönste
Beziehungskomödien«.
Einsendeschluß ist der 20. März. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen (das
müssen wir schreiben).
Wonach wir in der vorigen Ausgabe gefragt hatten? Spiderman. Fot
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