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Clara Wichmann 1922

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Clara Wichmann 1922

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Leben und Werk Clara Wichmanns: Gewaltlose

Anarchistin und Antimilitaristin1885 – 1922

Institut für Friedensarbeit und gewaltfreie Konfliktaustragung

Vortrag

Essen, 13.4.2013

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Aufbau des Vortrags

• Ziel: Übersicht über das Werk (immanent, deskriptiv)

• Biographische Einführung• Wichtige Themen und Fragestellungen• Diskussion politisch-sozialer Bewegungen bei C.W.

• Einzelthemen:• Frauenbewegung• Ehe- und Familienrecht • Strafrecht• Krieg und Frieden • Gewaltlosigkeit, Ziel und Mittel• Tierrechte und Vegetarismus/Veganismus

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Clara Wichmann – eine Ikone

• Bild: Einladung, Titel der Graswurzelrevolution• Steun Clara! – Clara Wichmann Institut• Proefprocessenfond (u.a. 2005 gegen GSP)• 1985 Hundertjahrfeier, Neuauflage Dissertation• Texte: differenziert, großes Wissen, abwägend,

verständlich, verständnisvoll, unpolemisch,• Repräsentantin wichtiger Bewegungen +

Diskussionen in den fortschrittlichen NL

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Biografie: Ausbildung + Beruf

• 17.8.1885 Hamburg – 15.2.1922 (deutsch-niederländisch)

• Vater Geologieprofessor in Utrecht• Geschichtsstudium Gymnasialexamen 1905/

Philosophie: insbesondere Hegel• Jura 1912 Promotion („Historische Grundlagen

der gegenwärtigen Umformung des Strafbe-griffs“)

• Anwältin, Mitarbeit an der Ausstellung „Die Frau 1813-1913, Schule für Soziale Arbeit

• 1914 Zentralbüro für Statistik Den Haag

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Entwicklung/Persönlichkeit

• Elternhaus: „Klassische Bipolarität“ + Spannungen (Scheidung der Eltern 1916)

• Fremdheitserfahrungen (erste Schuljahre)• Ausgeprägte Bildungsambitionen• Ehrgeiz, Ernst, Idealismus, „Frauen müssen sich

beweisen“, Engagement, Verantwortung, Ethik, Anti-Egozentrik/Anti-Egoismus, Harmonie

• Bekanntschaft mit Bart de Ligt, zentrale Begriffe• Heirat mit J.B.Meyer (1895-1969)

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Arbeit + EngagementTheorie + Praxis

• Frauenfrage/-bewegung/-stimmrecht, UVSV+NBV (1907-1916 Gründung u. Vorstand)

• Strafrechtsreform, Gründung + Sekretariat CBMS, 1920• Internationale Schule für Philosophie Amersfoort

(praktisch-politischer Bezug 1916 ff)• Beratung Kriegsdienstverweigerer• Bond van Christen-Socialisten (1917-1919) „Opwaarts“• Bond van Revolutionnair Socialistische Intellectueelen,

1919-20 „De Nieuwe Amsterdammer“• Bond van Religieuze Anarcho-Communisten, 1920-22

„De Bevrijding“, „De Vrije Communist“ (BCS + Vrije Menschen Verbond v. L.v.Mierop)

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Wesentliche Fragen/Prinzipien

• Wie ist es? Darstellung und Kritik • Wie war es? Veränderlichkeit• Wie wird es sein? Entwicklung, Verfeinerung• Was ist zu tun? Der subjektive Faktor!• Ausgehen vom Konkreten, Persönlichen• Ständige Veränderung, Bewegung, Entwicklung• Dunkle Vergangenheit – helle Zukunft = falsches Schema,

Sedimentierung des Vergangenen• Relativität jeder (!) Weltanschauung, „Verzicht“ keine Relativierung der objektiven Probleme kein „Freund/Feind“ – Denken

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Gegenwärtige Gesellschaft

• Differenzierung, Verschärfung der Gegensätze, Krise, Elend, Ungerechtigkeit

• Umbruchszeit, individuell intensiveres Erleben• Gegenwärtige Ordnung erscheint als die -

unbedingt zu verteidigende - Ordnung• Abhängigkeit der Menschen vom Eigentum =

„Heiligtum“ • Familie ist ein Machtverhältnis, zwar vergeistigt,

aber Unterdrückung der Frau, der „Anderen“, der Kinder, der Jugend

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Dimensionen der Ungerechtigkeit

• Ungleiche Behandlung „Gleichartiger“ und „Anderer“ (Gruppenegoismus)

• Mangel an Empathie, Aufmerksamkeit, Eigengruppenegozentrik (unterdrückte Klassen, Straftäter, Tiere, Alte-Junge, geographisch entfernter Lebende)

• Andere Moral für Eigen- und Fremdgruppe• Herrscher und Namenlose• Starke und Schwache (Missbrauch)

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Gegenwärtige ökonomische Verhältnisse

• Macht des Kapitals wird akzeptiert • Ausrichtung auf Kapitalinteressen (Schule)• Quantitatives Denken: Produkt statt Arbeit,

Produktion für Markt statt Bedarf • Überstrapazierung u. Ausschluss vom

geistigen Leben u. Wachsen der Arbeiter• Staatl. Intervention, Sozialarbeit, Taylor-

system sichern status quo• „Kultur braucht Dienstboten“ = kulturlos

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Neue Gesellschaft

• Klassengegensätze sind durch Änderung der Produktionsweise aufzuheben

• Sozialismus ist Klassenkampf/Befreiung und (!) Aufbau neuen Zusammenlebens

• Neue Gesellschaft ist für alle (!) offen, Macht nicht nur für die Arbeiterklasse

• Heutige herrschende Klasse kann/muss den Verlust der Macht akzeptieren

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Geistige und gesellschaftliche Entwicklung

• Soziale Ethik muss der individuellen folgen• In der individuellen Ethik: Befreiung von: „geistiger Selbstbehauptung“ Selbstsucht/ Egoismus – Einsicht in eigene Begrenztheit – • „Verzicht“ darf und kann erwartet werden• Macht der Tradition, der „Phrase“ brechen• Statt „guter Glaube“ - „wahre Überzeugung“ • Ideologie (entspricht „positivem“ psychischen

Bedürfnis d. Ablehnung v. Egoismus) – Ideen

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Einzelner und Gesellschaft

• Die Verteidigung der Interessen der eigenen Gruppe ist nichts „Höheres“ als die individueller Interessen (wichtigstes Beispiel: Nationalismus)

• Das Individuum sowohl wie die eigene Gruppe, Rechtsordnung, Nation müssen untergehen, Akzeptieren und „Verzichten“ (herrschende Klasse)

• Einsicht: Alle Gruppen, Erscheinungen etc. tragen zur menschlichen Entwicklung bei

• Weitestgefasster „Antimilitarismus“, Selbstrelati-vierung, im engeren Sinne Dienstverweigerung

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Soziale Bewegungen: Sozialismus

• Religiös-ekstatischer S. (Mittelalter, Ketzer)• Utopischer S. 18. Jhdt. (Rationalismus)• Wissenschaftlicher S.19.Jhdt.(Moderne

Wissenschaft u. Industrie)• Historische Formen sedimentiert, Gefühle und

geistige Aktivität sollten übernommen werden (1,2),

• Vertrauen auf „Objektive Entwicklung“ (3) problematisch, auf „Reife“ warten - Quietismus (Reformismus, Parlamentarismus, Taktieren)

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Kommunismus

Kommunismus betont stärker die Eigentumsfrage,

Überbetonung der „objektiven Faktoren“, materialistischer Akzent (Basis – Überbau, Notwendigkeit – Freiheit, gesellschaftliche und persönliche Faktoren, Determinismus, kein Fatalismus (Gegensatz deutsche Sozialdemokratie)

Ideologiekritik aber Unterbelichtung/ Unterschät-zung der Ethik, der Ideale, der Persönlichkeit

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Historischer Materialismus als historische Erscheinung

• Ergebnis einer historischen Entwicklung – zeigt ein System (!) des Zusammenwirkens aller Einflussfaktoren (keine Monokausalität)

• Der subjektive Faktor wirkt selbst kausal• Einsicht in historische Gesetze als Faktor• Die moderne Entwicklung ermöglicht aktives

Eingreifen in den historischen Prozess• Demaskierung von Interessen, Unterscheidung

von Ideen und Idealen

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Bedeutung des Syndikalismusautoritär/antiautoritär

• Gegenbewegung zur/Warnung vor der Verbürgerlichung der Sozialdemokratie bzw. der „modernen“ Gewerkschaftsbewegung

• Ablehnung des parlamentarischen Aushandelns, der Kompromisse

• Belebung der sozialen Kämpfe durch direkte Aktion, Massenstreik,

• Kampf auf ökonomischem statt politischem Gebiet (Sozialisierung „von unten“) Relativierung der Demokratie (unpolitische Mehrheit)

• Spontaneität, Widersetzlichkeit, subjektiver Faktor, Solidarität statt Streikkassen, keine Funktionäre

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Anarchismus (Kropotkin)

• Gesellschaft ist fähig zur Selbstorganisation• Vertrauen auf ordnende gesellschaftliche Kräfte statt

Furcht vor chaotischen (Wahrnehmungstäuschung), Bedeutung der Dezentralisation (u.a. Beispiel E-Motor)

• Staat als späte historische Niedergangserscheinung (Spätmittelalter, Frühneuzeit)

• Kleine freie Gemeinschaften waren kulturell überlegen• Anarchistische Moral lehnt Belohnung und Strafe ab,

Prinzip der gegenseitigen Hilfe• Kritik von C.W.: Ethik zu sehr aus den Bedingungen des

Gruppenlebens erklärt, optimistische Überschätzung der ordnenden Kräfte

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Anarchismus und Kultur

• Anarchismus - erneuernde kulturelle Kraft• Alles verändert sich… ist relativ• Soziale Kämpfe als Beitrag zur Kultur (??)• Sozialer, kein individueller Anarchismus,

Verbindung mit Arbeiterbewegung (Anarcho-Syndikalismus)

• Konkretheit – keine allg. Theorie des A.• Revolutionär (Reife für den Sozialismus

erreichbar durch Handeln + Kämpfen)

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Anarcha-Feminismus (?)

• Begriff 1920 unbekannt (A. = Männerbund)• Fehlen von Dominanzstreben, Manipulation• Abweisung von Hierarchien, dafür: Respekt• Subjekt – Subjekt statt Subjekt – Objekt• Platz für Intuition und Gefühl, Vorsicht in

Beurteilungen • Versöhnung von Gegensätzen (Klischee?)• (Frauenwahlrecht: doch antihierarchisch!)• Zuständigkeit für Hausarbeit nicht thematisiert• Keine Genderdebatte, hist. rel. Essentialismus

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Frauenbewegung• 1907 – 1917 Engagement Frauenwahlrechts- Bewegung (Beruf +

Studium waren akzeptiert)• bestehendes Zensuswahlrecht, 1887 ges. Ergänzung: „männlich“,

1894 Vereinigung f. Frauenwahlrecht• 1907 Bund für Frauenwahlrecht (Clara Wichmann), Frauenwahlrecht

= Männerwahlrecht, kein „Haushalts-vorstandswahlrecht“ oder Altersgrenze für Frauen, Zusammenarbeit mit SDAP und Freisinnigen

• (geistige) Entwicklung zentral /Frage nach dem Glück • Ausstellung (1813-1913) Geschichte der Frauenarbeit• Modernes Arbeitssystem schafft Probleme für arbeitende Frauen/

Kinder/ Ruhe, Besinnung = wichtige Bedürfnisse• Sept. 1917: Die Frau u. die Friedensbewegung/ Jan.1921: Die

Ereignisse im Rev. Soc. Vrouwenbond

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Ehe- und Familie(nrecht)

• Gegenwärtige Familie ist nicht „die Familie“ • Unwürdige ökonomische (äußere) Zwänge• Stärkere Differenzierung der Menschen bedeutet

komplexere persönliche Verhältnisse• Missverständnis „freie Liebe“/Verantwortlichkeit • Sozialismus – Grenze zwischen Familie und Außenwelt

und die Grenze der persönlichen Entwicklung aufheben • Recht schafft keine neuen Sitten, kann neuem

sozialistischem Gewohnheitsrecht Raum geben (russisches Familienrecht als Übergang vom bürgerli-chen zum sozialistischen Recht)

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Strafbegriff

• Strafe – mythologische Vorstellungen: auf Unrecht muss Leid folgen

• Strafe als instinktive Reaktion

• Am Anfang der menschlichen Geschichte steht der Missetäter, der sich auflehnt, z.B. Prometheus, Lucifer

• Strafe als Strafe für Ungehorsam – durch die „Obrigkeit“ („Zeus“, „Gott“)

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Verbrechen/Strafe als Konflikt

Alte Norm – neue Entwicklung • a) persönlich (Lucifer)• b) andere Norm (Prometheus, Antigone)„anterograde“ oder „evolutive Kriminalität“(Tolstois „erster verweigernder Kannibale“)Kriegsdienstverweigerung – praktische Hilfe durch

C.W.)Verbrecher: Feind, Ungehorsamer, SünderStrafe: instinktive Reaktion, Rache, Erniedrigung

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Argumente gegen die Vergeltungstheorie

• Leid + Belohnung gehören zur Tauschgesell-schaft, nicht zur Sittlichkeit

• Es geht um Aufbauen, Aufrichten• Strafe stört den inneren Besinnungsprozess• Der bestrafte Mensch ist nicht derselbe, der die

Tat beging (Tat zeitigt Wirkungen im Täter)• Falsche Aufteilung in „Sünder und Gerechte“• Gerechtigkeit ist dem irrenden Menschen nicht

möglich (die Realität ist zu komplex)• Der Straffällige (insbes. äußere Gründe) muss

nicht schlechter sein als der Unbescholtene

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Gründe gegen ZwecktheorienGeneral- und Spezialprävention

• Einwirkung nur auf die „niedrige“ Seite des Menschen

• Verkennung der Natur des „Willens“ , der Rolle des Unbewussten

• Demoralisierende und meist überschätzte Wirkung der Abschreckung

• Der Bestrafte wird zum Instrument der Abschreckung, zum Mittel (s. Kant)

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Kriminalität hat meist gesellschaftliche Ursachen

• Wechselndes Erscheinungsbild in der Geschichte

• Kriminalität als Massenphänomen in Krisenzeiten (Frühkapitalismus, Gegenwart)

• Abhängigkeit von Jahreszeiten• Eugeniker verkennen soziale Gründe • Bürgerliche Milieutheoretiker verkennen

Zusammenhang des Verbrechens und des Strafrechts mit dem Kapitalismus

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Verbrechen in der sozialistischen Gesellschaft

• Verschwinden massenhafter Berufskriminalität• Es verringern sich wegen besserer Verhältnisse:• Psychopathen• Verbrechen aus Leidenschaft • Zufalls- und Nachlässigkeitsverbrechen• Es bleiben: Anti- oder a-soziale Charaktere

(hierfür sind Maßregeln zu treffen, da hier ein Mangel an Empathie, Intelligenz etc. Ursache)

• Evolutive Kriminalität sollte geschätzt werden

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Veränderungen im Strafrecht

• Absterben des Strafbegriffes• Aufgabe der primitiven Vorstellungen von

Schuld, Strafe, Gerechtigkeit• Historische Relativität von „Gerechtigkeit“,

„Schuld“ etc.• Grenzen der eigenen Urteilsfähigkeit (!)• Strafbarkeit im Bezug auf Eigentum, Obrigkeit,

Staat schützt keine sittlichen Werte• Liebe statt Vergeltung oder Strafe• Strafrecht stark rückständig, aktives Eintreten für

Reformen notwendig, kein Selbstläufer

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Bedeutung für die Strafrechtsreform

• Clara Wichmann als „Verteidigerin der Menschlichkeit“ (Bart de Ligt)

• Bedeutung der Arbeit für diese Idee (C.W. als Mitbegründerin u. Geschäftsführerin des Comité, Verfasserin der Gründungs-proklamation)

• Wiederbelebung in den 70-er Jahren• „Resozialisierung“, „Sozialtherapeutische

Anstalt“ statt Gefängnis

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Krieg und Frieden

• S. Selbstbehauptung v. Einzelnen und Gruppen• Nationale Interessen – sind Klasseninteressen• Besitz, Bestehen, Kampf sind nicht das Höchste• der Andere oder Feind ist wie man selbst• Recht und Unrecht sind nie ganz auf einer Seite• Wegen der eigene Beschränkung den Anderen im

milderen Licht sehen, aufhören zu hassen• Militarismus etc. erst im eigenen Land bekämpfen• Die Verschiedenheit akzeptieren lernen• Verschiedenheit als Reichtum der Menschheit sehen

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Gewaltlosigkeit und soziale Revolution

• Kein Prinzip kann bis zur letzten Konsequenz erfüllt werden, wichtig ist, anzufangen

• Keine abstrakte Frage, Kein Entweder oder bei der Gewaltlosigkeit

• Wehrlosigkeit oder Gewalt – falsche Alternative• Gewaltlosigkeit muss sich entwickeln• Gewalt ist die (historisch) primitivste Reaktion• Gewalt zieht Gewalt nach sich • Gewalt ist nicht immer falsch (z.T. besser als

Nichtstun, aber gewaltlose Mittel sind besser)• Neue Mittel suchen – „geistige Wehrhaftigkeit“

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Mittel und Zweck

• Objektiver Zusammenhang (nicht das unter-stellte Interesse am eigenen reinen Gewissen)

• Falsche (unethische) Mittel verfehlen den Zweck, führen von ihm weg, zum Gegenteil, ggf. Verzicht auf Ziel notwendig

• Gefahr der reaktionären Entwicklung• Zu bekämpfen ist die Gewaltsuggestion, Gewalt

wird selbsterfüllende Prophezeiung • Mittel der Selbstbefreiung der Ausgebeuteten:

Streik, Boykott, individuelle und massenhafte Dienstverweigerung (Beispiel: J. Meijer)

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Tiere und aktive Gewaltlosigkeit

Kropotkin: Gegenseitige Hilfe in der NaturVegetarismus im Anarchismus: Tolstoi, Elisé

Reclus, Louise Michel, tolstojanische Siedlungen in den Niederlanden

Domela Nieuwenhuis, Antimilitarist + Verweigerer Jan van der Veer (Vrede-groep 1897), Felix Ortt, Lodewijk van Mierop u.a. (Kolonie van de internationale broederschap 1899), Louis Bähler, Jacob van Rees, Clara Wichmann, Jo Meyer, u.a.

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Die Rechtsstellung der Haustiere (sog. Nutztiere)

• Tiere fallen unter das Sachenrecht• Tiere werden verkauft, gepfändet,

versteigert, gegen ihre persönlichen (!) Interessen

• Vergehen gegen Tiere gelten als Verstoß gegen die guten Sitten

• Lage der Tiere vergleichbar der der Sklaven, der Frauen, der unterdrückten Völker

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Forderungen zu Tierrechten

• Tiere gehören unter ein Personenrecht

• Ggf. stellvertretende Wahrnehmung ihrer Rechte

• Eigentumsrechte von Tieren („Für wen hat Gott die Milch bestimmt, wenn nicht für die kleine Ziege?“)

• Vegetarismus/Veganismus

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Vegetarismus + Veganismus“…het gaat om een grondige en innerlijke omzetting van der menschen verhouding tot de dieren. Om een om-wenteling van die oude gewoonte, de dieren te beschouwen als een zaak, aan Adam gegeven opdat hij er profijt en gemak van hebben zou.” De rechtspositie der huisdieren, 1920

“Es geht um eine grundlegenden und innere Veränderung des Verhaltens der Menschen gegenüber den Tieren. Um eine Umwälzung der alten Gewohnheit, Tiere als Sachen anzusehen, die Adam für seinen Profit und sein Vergnügen überlassen wurden.”

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Befreiung

• Befreiung bedeutet daher: sich losreißen von etwas, das keine Wahrheit mehr hat.

• Dass alles, was menschlich und begrenzt ist, auch zu seinem Ende kommen und von etwas anderem abgelöst werden muss.

• Es gibt keine wirkliche Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse ohne Selbsterziehung und Selbstreform des Menschen.

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Danke für die Aufmerksamkeit!

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Zum besseren Verständnis des Denkens von Clara Wichmann folgen hier einige Folien mit

Zitaten aus ihren Aufsätzen • Entwicklung des menschlichen Geistes in der

Entwicklungsgeschichte der Gesellschaft.• So läuft denn auch die Entwicklung unserer

Menschlichkeit mit der unserer gesellschaftlichen Organisation parallel. Es gibt keine wirkliche Verbesserung der gesellschaftlichen Verhältnisse ohne Selbsterziehung und Selbstreform des Menschen

• Denn in unserem bewussten Geistesleben überwiegt das Neuerworbene, das wirklich das „Unsere“ ist; und die Rudimente vergangener Kulturen liegen auf dem Boden

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Zitate II

• Der größte Teil des menschlichen Lebens wird noch so stark von dem Selbstverständlichen, Übernommenen, nicht selbständig, ehrlich neu Erfahrenen beherrscht,

• Der theoretische Ausdruck der Tradition ist die Phrase. • So ist denn auch der „gute Glaube“ der Menschen, die

einander in der Gesellschaft bekämpfen, keineswegs mit einer wahren Überzeugung auf eine Stufe zu stellen

• Denn die Wirklichkeit verlangt neue Erkenntnisse, neue Vergeistigung. Die Wahrheit über eine neue Wirklichkeit ist eine neue Wahrheit.

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Zitate III

• Befreiung bedeutet daher: sich losreißen von etwas, das keine Wahrheit mehr hat

• Etwas ganz anderes als lavierendes Verhandeln ist das versöhnende Begreifen auch dessen, der auf der Gegenseite steht.

• Es herrschen noch andere Mächte in der Gesellschaft als nur die Tradition. Es herrschen auch Selbstsucht und Egoismus

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Zitate III

• Die Selbstbehauptung beherrscht das gesamte gesellschaftliche Leben: die Verhältnisse zwischen den Völkern und dadurch die Rassen- und Bevölkerungsprobleme; die Verhältnisse zwischen den Klassen und dadurch den gesamten Produktions-, Verteilungs- und Konsumtionsprozess; selbst die Verhältnisse zwischen den geistigen Strömungen und dadurch die Kirche und die offizielle Wissenschaft.

• Die Verschleierung eines Interesses als Ideologie ist ein psychischer Prozess. Das Bessere und das Höhere im Menschen erlauben ihm nicht, lediglich seinen Eigeninteressen zu dienen;

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Zitate IV• Keine Angst ist groß wie die, dazu verurteilt zu sein, zu einer

Gruppe zu gehören, die es eigentlich nicht mehr geben dürfte. • Dieses Urteil trifft alle nationalistischen Ideologien, es trifft auch alle

Ideologien, in denen eine besitzende Klasse oder ein herrschendes Geschlecht in ihrer Herrschaft die Weltordnung so wie sie sein muss, verwirklicht wähnen. In viel geringerem Maße trifft es die, die noch im Aufstieg begriffen sind, die bisher zu kurz Gekommenen (: daher die Antinationalisten, die Proletarier, die Frauen); sie sind vorläufig noch im Recht. Doch dazu später.

• Hinzu kommt noch immer eine eigenartige Verwirrung: als sollte der Kampf für eine Gruppe immer von selbst ein altruistischer Kampf, ein Kampf für eine Idee sein.

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Zitate V

• Hinzu kommt noch immer eine eigenartige Verwirrung: als sollte der Kampf für eine Gruppe immer von selbst ein altruistischer Kampf, ein Kampf für eine Idee sein.

• Als ob dies ein nicht-egoistisches Ideal wäre – das ewige Bestehen oder auch die ewige Vorherrschaft einer Kategorie von Menschen zu wünschen, während doch alles, was menschlich und begrenzt ist, auch zu seinem Ende kommen und von etwas anderem abgelöst werden muss.

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In ähnlicher Fassung wurde dieser Vortrag auch bei der Feier des vierzig-jährigen Bestehens der Zeitung und des Verlages „Graswurzelrevolution“am 8. September 2012 in Münster gehalten.