Coaching Contemporary · Das System hat eine Ordnung und produziert eine Folge bzw. Wirkung, die...
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Internationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin
Mag. Linda KaszubskiDr. Thomas Koditek
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Coaching ContemporarySammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Impressum
Herausgeber:Mag. Linda Kaszubski, Dr. Thomas KoditekInternationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität BerlinInstitut Organisation und Management
Redaktion:Mag. Linda Kaszubski, [email protected]. Thomas [email protected] Akademie, Guerickestr. 27, 10587 BerlinTel: +49 30 57701098-0
Autorinnen und Autoren:Mag. Thomas TölzerDr. Sandra GruberDI Ingeborg Steiner Mag. Birgit Krenmayr Dr. Natalie Ségur-Cabanac Ann-Katrin SuckowMag. Sabine SauerzapfMag. Barbara Weber-KainzDr. Gerald Pail Claudia Krenn-CisséMag. Michael QuasUniv. Doz. Dr. Nina-Maria Wanek Mag. Michala FlatzbauerKonstanze HörburgerSylvie ReidlingerRenè BartalProf. Mag. Emmerich BachmayerMag. Heidemarie TruppeClaudia HammerlerManuela MuckenauerMag. Barbara Moser
Diesen dritten Band einer Buchreihe zum Thema Coaching verantwortet das Institut Organisation und Management der Internationalen Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin, Guerickestr. 27, 10587 Berlinim Sinne des Presserechts.www.ina-coaching.de
Layout / Design: designerie WERBEAGENTUR; www.designerie-werbeagentur.de
Coaching Contemporary
Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Internationale Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin
Herausgeber:
Mag. Linda Kaszubski,Dr. Thomas Koditek
Wien 2013
Einleitung
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Wir freuen uns sehr, Ihnen den Band 3 der vom Institut Organisation und Management der Internationalen Akade-
mie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin und der Firma C Plus Unternehmensberatung Wien
herausgegebenen Coachingbücher vorstellen zu dürfen. Es handelt sich dabei um Texte, die im Rahmen unserer
Coachingausbildungen in Wien entstanden sind, bei welchen die AbsolventInnen sich zum Abschluss mit einem
für sie relevanten Themenbereich auseinandersetzen und dies schriftlich festhalten. In diesem Band finden Sie eine
ausführliche Sammlung dieser Outputs.
Coaching ist nach wie vor ein Berufsfeld ohne eindeutige Abgrenzung zu anderen aus dem Feld der „helfenden und
beratenden“ Professionen. Coaching ist ohne Zweifel eine personenbezogene Dienstleistung, die sich in der Regel
in einem organisatorischen Kontext an Gruppen, Teams oder Einzelpersonen wendet, mit dem Ziel, kommunikative
Wirkzusammenhänge analysierbar zu machen und Individuen zu befähigen, sich in systemisch-interaktiven Kon-
texten mit gesteigerter Selbstbewusstheit erfolgreicher – im Sinne der Unternehmensziele und/oder der eigenen
wertebasierten Überzeugungen – zu positionieren.
Professionsgeschichtlich steht Coaching noch am Anfang seiner Entwicklung. Es existieren bis heute keine wissen-
schaftlich elaborierten Theorieansätze. Mit der Gründung von akkreditierten Masterstudiengängen in jüngster Zeit
(www.ina-coaching.de) steigen die Chancen für empirische Forschung im Feld und Theoriebildung. In Folge ist ein
ernstzunehmender Professionsschub zu erwarten, der das Berufsbild aus dem Dunstkreis der Beliebigkeit befreit
und auch bei den Anbietern von Coaching Ausbildungen sich die „Spreu vom Weizen“ trennen wird.
Eine Grundlage unseres wissenschaftlichen Zugangs ist eine Interpretation verschiedener systemtheoretischer
Schulen (Parsons, Luhmann, Wilke u.a.), die im Kern kommunikationstheoretische Prämissen zur Voraussetzung
haben.
Eine Organisation, d.h. in unserem Kontext ein Profit- oder Non-Profit-Unternehmen, wird als ein System betrach-
tet, dessen innerer Zusammenhang durch seine Struktur geprägt wird. Der hochkomplexe soziologische Strukturbe-
griff meint hier zunächst nichts anderes, als die ART und WEISE der Verbindung/Beziehung zwischen Abteilungen,
MitarbeiterInnen etc.. Die ART und WEISE regelt sich immer – d.h. grundsätzlich – über formelle und informelle
Kommunikation. Kommunikation ist das „Schmiermittel“ für Beschleunigung oder auch Störungen aller Verfah-
rensweisen und systemimmanenten Abläufe. Diese sensiblen WIRKZUSAMMENHÄNGE sind in der Regel von
Individuen und ihren (kommunikativen) Kompetenzen, ihrer „INNEREN HALTUNG“ und ihrer SELBSTBEWUSST-
HEIT abhängig. Sie bestimmen die DYNAMIK und damit QUALITÄT der interaktiven Prozesse, deren Optimierung
– im Sinne einer möglichst störungsfreien Kommunikation – sich Coaching zum Ziel gesetzt hat.
Führungskräfte haben – nach unseren Erfahrungen – in Dax notierten Unternehmen und im Mittelstand eine beson-
dere Verantwortung. Das Format Coaching ist in unserem Verständnis in erster Linie eine Dienstleitung für diesen
spezifischen Personenkreis, wird in der aktuellen Fachliteratur nach wie vor als Personalentwicklungsinstrument
Nr. 1 bezeichnet und somit auf allen Führungsebenen eingesetzt.
Alle weiteren Artefakte, d.h. Vereinbarungen zur Qualität von Wissens- und Wertemanagement etc. bis hin zur
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Produktqualität stehen in einem direkten, aber nachgeordneten Abhängigkeitsverhältnis zu den basalen kommuni-
kativen Wirkzusammenhängen, die direkten Einfluss auf die KULTUR eines Unternehmens haben.
Die Texte der Autorinnen und Autoren in diesem dritten Band greifen diesen ROTEN FADEN auf, alle Arbeiten basie-
ren auf Coaching als ständiger Veränderungsprozess und greifen aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in diesem
Feld auf. Der Sammelband ist in mehrere Bereiche unterteilt:
Der erste Teil, „Coaching allgemein“, bei dem es um den systemischen Ansatz und die Sicht auf Sprache, Neuro-
wissenschaft und Dynamiken innerhalb des Ansatzes geht.
Im zweiten Teil, „Lösungsorientiertes Vorgehen“, widmen sich die AutorInnen dem Vorgehen von Insoo Kim Berg
und Steve de Shazer und auch der Anwendung von Sprache in diesem Prozess.
In Teil drei, „Coaching und praktische Anwendung im Unternehmen“, schauen die AutorInnen auf Anwendungs-
bereiche von Coaching im Führungsalltag, der Führungskräfteentwicklung und ebenfalls als Tool für Mystery Shop-
ping und Lehrlingsausbildung.
Dann gibt es einen Exkurs in die systemische Organisationsberatung, in welcher Coaching einen Teilbereich
abdeckt.
Zum Abschluss werden Tools dargestellt, die einerseits in der Arbeit „Tools. Funktion der Sprache im Coaching-
prozess“ und andererseits am Ende des Buches dargestellt sind.
Jetzt bleibt uns noch, Ihnen viel Freude und Erkenntnisfortschritte beim Lesen zu wünschen.
Linda Kaszubski und Thomas Koditek
Wien und Berlin im September 2013
Dynamik
Produkt
Lernende Organisation
Werte / Wertemanagement
Information / Wissensmanagement
Glaube
Werte
System
ElementeStruktur
Kommunikation
QualitätssicherungStrukturqualität
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Inhaltsverzeichnis
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
COACHING ALLGEMEINSystemischer Ansatz 09 - 22Mag. Thomas Tölzer
Coaching-Fragen im Überblick 23 - 30Dr. Sandra Gruber
Grundhaltung des Coach im systemischen Coaching 31 - 42DI Ingeborg Steiner
Funktion der Sprache im Coachingprozess 43 - 57Mag. Birgit Krenmayr
„Jetzt hab’ ich’s!“. Motivation im Coachingprozess 58 - 74Dr. Natalie Ségur-Cabanac
Krise oder Konfliktlösung? Die Rolle der Emotionen im Coaching 75 - 83Ann-Katrin Suckow
Coaching aus Sicht der Neurowissenschaften 84 - 98Mag. Sabine Sauerzapf
Das Innere Team als Modell zum Verständnis von 99 - 109Aufbau und Dynamik der Persönlichkeit in der Coachingpraxis
Mag. Barbara Weber-Kainz
Psychodynamisches/psychoanalytisches Coaching 110 - 116
für Individuen und Organisationen
Dr. Gerald Pail
Interviews zum praktischen Einsatz des systemischen 117 - 130Ansatzes im Einzelsetting
Claudia Krenn-Cissé
LÖSUNGSORIENTIERTES VORGEHENLösungsorientierte Kurzzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de Shazer 131 - 136
Mag. Michael Quas
„Funktion der Sprache im Coachingprozess“ 137 - 158Univ. Doz. Dr. Nina-Maria Wanek
Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching für den Schulalltag 159 - 170Mag. Michala Flatzbauer
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Teamcoaching 171 - 193Konstanze Hörburger
Mama-Coaching nach dem A M W E G Modell 194 - 214Sylvie Reidlinger
COACHING UND PRAKTISCHE ANWENDUNG IM UNTERNEHMENCoaching als Tool für Führungskräfte. Aus dem Alltag einer Führungskraft 215 - 238
Renè Bartal
Coaching in der Führungskräfteentwicklung der öffentl. Verwaltung Österreich 239 - 244Prof. Mag. Emmerich Bachmayer
Coaching in der Führungskräfteentwicklung 245 - 254Mag. Heidemarie Truppe
Coaching. Ein Tool zur Verbesserung von Mystery Shopping Ergebnissen 255 - 267Claudia Hammerler
Coaching – ein neuer Bestandteil des Lehrlingsausbildungsprogramms 268 - 279Manuela Muckenauer
SYSTEMISCHE BERATUNGSystemische Organisations- und Organisationsberatung. 280 - 297Zielsetzungen und Perspektiven diesees Ansatzes
Mag. Barbara Moser
TOOLS 298Rollenspiel 299Solution Circle 300 - 301Zauberstab 302Zirkuläres Interview 303 - 304
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Systemischer AnsatzMag. Thomas Tölzer
Inhaltsverzeichnis
1. Grundlagen des Systemischen Coachings
1.1. Die Systemtheorie
1.2. Kybernetik 1. Ordnung
1.3. Kybernetik 2. Ordnung
1.4. Konstruktivismus
2. Grundprinzipien des systemischen Denkens
2.1. Was ist ein System
2.2. Menschen entstehen im System
2.3. Systemisch denken heißt zirkulär denken
2.4. Systemisch denken heißt, in Auswirkungen zu denken
2.5. Systemisches Denken ist zielorientiert
2.6. Menschen denken in ihren ureigenen Mustern
2.7. Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung angeregt werden
2.8. Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit
2.9. Wir arbeiten im Beratungs- nicht im Heimatsystem
3. Grundannahmen des Coachingsalon Wien
3.1. Es gibt keine objektive Wirklichkeit
3.2. Probleme als Konstrukte
3.3. Probleme anderer können nicht verstanden und gelöst werden
3.4. Probleme wollen wertgeschätzt werden
3.5. Wir entscheiden jede Minute unbewusst, was wir wahrnehmen und was nicht
3.6. Alles Erleben ist Aufmerksamkeitsfokussierung
3.7. Jede Intervention ist eine strukturierte Form der Aufmerksamkeitsfokussierung
3.8. Ressourcenstärkung: Fokussierung auf den Zielzustand
3.9. Jedes Verhalten hat einen Nutzen
3.10. Coach ist ein Prozessbegleiter – Coachee hält die inhaltliche Verantwortung
3.11. Der Mensch ist nicht, sondern verhält sich
4. Literaturverzeichnis
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1. Grundlagen des Systemischen Coachings1
Was ist eigentlich Systemisches Coaching? Eine Frage, die jeder Coach früher oder später einmal beantworten muss.
„Coaching“ ist in Mode gekommen, genauso wie „systemisch“. Aber was steckt dahinter? In diesem Kapitel des vor-
liegenden Buches werden wir dieser Frage nachgehen. Woher kommen die Begriffe? Welche Grundannahmen liegen
dahinter?
Der Begriff „Coach“ stammt aus dem Englischen und bedeutet ursprünglich (Pferde-) Kutsche. Er beschreibt ein Instru-
ment, das es Menschen ermöglicht, von einem Ort zum anderen zu gelangen. Coaching kann vor diesem Hintergrund auf
der Metaebene als Entwicklungsinstrument bezeichnet werden. Allgemein bekannt ist der Begriff aus der Sportwelt. Dort
ist der Coach nicht nur Trainer sportlicher Fertigkeiten, sondern darüber hinaus zielorientierter Begleiter und Motivator.2
Ein „System“ (aus dem Griechischen „das Gebilde, Zusammengestellte, Verbundene“) ist eine Gesamtheit von Ele-
menten, die so aufeinander bezogen sind und in einer Weise wechselwirken, dass sie als eine aufgaben-, sinn- oder
zweckgebundene Einheit angesehen werden können und sich in dieser Hinsicht gegenüber der sie umgebenden Umwelt
abgrenzen.
Systeme organisieren und erhalten sich durch Strukturen. Struktur bezeichnet das Muster (Form) der Systemelemente
und ihrer Beziehungsgeflechte, durch die ein System entsteht, funktioniert und sich erhält.3
Jedes System besteht aus mehreren einzelnen Teilen. Jeder dieser Teile ist wichtig und steht zu allen übrigen Teilen in
einer Beziehung, wobei es darum geht, ein bestimmtes Ergebnis zu erzielen; jeder Teil fungiert für die übrigen Teile als
Stimulus. Das System hat eine Ordnung und produziert eine Folge bzw. Wirkung, die durch Aktionen, Reaktionen und
Interaktionen der einzelnen Teile untereinander bestimmt ist. Dieses ständige Zusammenwirken ist ausschlaggebend
dafür, wie das System sich manifestiert. Ein System ist nur im Jetzt lebendig, nämlich dann, wenn seine Bestandteile
vorhanden sind. […] Um Brot zu backen, geben Sie Hefe, Mehl, Wasser und Zucker zusammen. Das Brot gleicht keinem
seiner Bestandteile, enthält sie jedoch alle.4
Der systemtheoretische Ansatz bezeichnet die Auffassung eines abgegrenzten Wirklichkeitsbereiches als „System“. Er
geht davon aus, dass dieser Wirklichkeitsbereich aus einer „Reihe von Elementen“ zusammengesetzt ist, „die in angeb-
baren Beziehungen zueinander stehen, aus denen sich das Verhalten dieser Elemente und das Gesamtsystem ableiten
lassen“.5
Die inzwischen sehr weit verbreiteten systemischen Beratungskonzepte haben ihre Wurzeln in der Tradition der Famili-
entherapie (Hoffmann 1982; von Schlippe und Schweitzer 1996). Im Laufe der letzten 25 Jahre haben sie sich darüber
hinaus zu einem allgemeinen Metakonzept entwickelt, innerhalb dessen systemisch-familientherapeutische Arbeit nur
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ein (wenn auch relativ wichtiges) Anwendungsfeld ist. Heute werden systemische Konzepte nicht nur für die Beratung
von Familien, sondern auch intensiv für die Beratung anderer sozialer Systeme genutzt. Insbesondere auch in der An-
wendung auf Organisations- und Teamberatung hat sich geradezu ein Boom entwickelt.6
Eine Zusammenfassung in einem Kernsatz könnte lauten: Systemisches Coaching bedeutet, nicht nur auf die Einzelper-
son zu schauen, sondern den Blick auf das soziale System zu richten.7
Doch was liegt dem Systemischen Gedankengut zu Grunde? Was heißt es, „systemisch“ zu coachen? Dazu ein kurzer
Rückblick: Die Wurzeln der Systemischen Beratung liegen in der Systemtheorie, der Kybernetik 1. und 2. Ordnung und
dem Konstruktivismus.
1.1. Die Systemtheorie
Die Systemtheorie ist Ende der 1940er-, Anfang der 1950er-Jahre entstanden. Damals wurde immer deutlicher, dass das
traditionelle lineare Ursache-Wirkungs-Denken nicht mehr ausreicht. Komplexe biologische Prozesse lassen sich nicht
einfach aus einer Ursache erklären. Es wirken verschiedene Faktoren wechselseitig aufeinander. Um komplexe Situatio-
nen zu erklären, entwickelten die Begründer der Systemtheorie, wie der Biologe Ludwig von Bertalanffy oder die Mathe-
matiker A.D. Hall und R.E. Fagen, ein neues Modell, das Systemmodell. Sie verdeutlichten es an der Kommunikation:
Kommunikation ist kein einseitiger Prozess, sondern ein „Regelkreis“, und zwar so, dass beide Kommunikationspartner
wechselseitig aufeinander einwirken: Der Sender wirkt auf den Empfänger – und zugleich wirkt der Empfänger auf den
Sender.8 Hall/Fagen definieren den Begriff System: „A system is a set of objects together with relationships between the
objects and between the attributes.”9
Damals gingen die frühen Vertreter der Systemtheorie davon aus, eine Supertheorie entwickeln zu können. Im Laufe der
Diskussion zu solchen Konzepten stellte sich aber heraus, dass eine solche „allgemeine Systemtheorie“ nicht haltbar
ist. Ein soziales System wie die Familie verhält sich nun mal anders als ein physikalisches System. Daher kam es zur
Entwicklung von verschiedenen systemtheoretischen Ansätzen. Einer davon ist die „Personale Systemtheorie“ in der Tra-
dition von Gregory Bateson. Der Anthropologe Gregory Bateson hat in den 1950er-Jahren in Zusammenarbeit mit dem
Psychiater John D. Jackmann versucht, die früheren systemtheoretischen Ansätze in Bezug auf praktisches Handeln zu
einer Theorie sozialer Systeme weiterzuentwickeln. Das Buch „Menschliche Kommunikation“ von Paul Watzlawick, Janet
H. Beavin und Don D. Jackson versucht eine allgemein verständliche Zusammenfassung von Batesons Systemtheorie.10
Das Verhalten eines sozialen Systems lässt sich nicht kausal erklären, wie man auf der Basis des Ursache-Wirkungs-
Denkens meinte, sondern resultiert aus dem Zusammenwirken verschiedener Faktoren:
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- den handelnden Personen,
- ihren subjektiven Deutungen,
- sozialen Regeln,
- immer wiederkehrenden Verhaltensmustern,
- der (materiellen oder sozialen) Systemumwelt sowie
- der bisherigen Entwicklung.
1.2. Kybernetik 1. Ordnung
Der Begriff der Kybernetik wurde von Norbert Wiener geprägt. Sie erklärt, wie komplexe Systeme unter welchen Umstän-
den funktionieren. Man spricht von „Kybernetik, wenn Effektoren, wie z.B. ein Motor, eine Maschine, unsere Muskeln
usw. mit einem sensorischen Organ verbunden sind, das mit seinen Signalen auf die Effektoren zurückwirkt. Es ist diese
zirkuläre Organisation, die die kybernetischen Systeme von anders organisierten Systemen unterscheidet.“11 Die Kyber-
netik 1. Ordnung ist die Lehre von Regelkreisen und beschäftigt sich mit der Theorie über beobachtete Systeme. Der Fo-
kus liegt dabei auf Regelung und Steuerung. Die Zirkularität ist dabei das fundamentale Prinzip. Deshalb kommen in der
Kybernetik als Systeme in erster Linie geregelte Mechanismen in Betracht. Die Regelung beruht immer auf Prozessen,
die mit der mathematischen Systemtheorie der Technik beschrieben werden. Ludwig von Bertalanffy hat sich gegen die
Vermischung seiner Systemlehre und der Kybernetik ausgesprochen, weil er das mechanistische Denken der Kybernetik
für die Beschreibung von Leben als nicht adäquat erachtete. Heute wird der Ausdruck „Systemtheorie“ aber beliebig für
beides auf drittes verwendet.12
1.3. Kybernetik 2. Ordnung
In diesem Schritt geht es von einem physikalischen zu einem biologischen Weltbild. „In der Kybernetik liefen von Anfang
an zwei grundlegende Orientierungen nebeneinander her. Die eine beschäftigte sich mit der Konzipierung und Planung
technischer Systeme, die auf den Mechanismus der Selbstregelung mit Hilfe von Rückkoppelung und zirkulärer Kausa-
lität beruhen. Zu ihren Errungenschaften gehören Industrieroboter, automatische Piloten […] und natürlich Computer.
[…] Die zweite Orientierung hat sich auf die allgemeine Frage des menschlichen Wissens konzentriert.“13
In der Kybernetik 1. und 2. Ordnung geht es um zwei fundamental unterschiedliche kybernetische Blickwinkel auf die
Realität, die Heinz von Foerster entwickelt hat. Erst die Rückkoppelung zwischen erster und zweiter Ordnung liefert die
entscheidenden praktischen Konsequenzen für den Erfolg, insbesondere für das Phänomen der Selbstorganisation.
In einem Interview, das Prof. Dr. Bernhard Pörksen – er ist Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tü-
bingen – mit dem 2002 verstorbenen Physiker und Begründer der Kybernetik zweiter Ordnung, Heinz von Foerster, 1998
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geführt hat, werden die Kernpunkte der Kybernetik zusammengefasst:
B. Pörksen: „Gibt es ein verbindendes Prinzip, das all diesen Vorstellungen über die Kybernetik gemeinsam ist?“
H. von Foerster: „Das fundamentale Prinzip kybernetischen Denkens ist, so meine ich, die Idee der Zirkularität. Da beginnt
alles, von dort aus muss man weiterdenken, das ist die Basis. Das Prinzip der Zirkularität zeitigt enorme Folgen, wenn
man es zu Ende und in die Tiefe denkt und mit erkenntnistheoretischen Fragen verknüpft. Man betritt auf einmal verbo-
tenes Terrain, befasst sich mit der unter den Logikern verpönten Selbstbezüglichkeit. Allerdings dauert es seine Zeit, bis
man die Konsequenzen zirkulärer Kausalität voll ausgelotet hat. Ich erinnere mich, dass ich einmal darauf hinwies, dass
die Zirkularität doch das Wesentliche der Kybernetik sei und dass man dieses Prinzip noch viel fundamentaler untersu-
chen müsste. Ich schrieb über eine neue Dimensionalität des Argumentierens, die die lineare Kausalität ablöst. Mein Pa-
pier, das als ein Vorwort zu den Berichten einer Reihe von wichtigen Kybernetik-Konferenzen gedacht war, schickte man
mir zurück und forderte mich auf, doch lieber über das Wasserklosett, den Thermostat und den Maxwellschen Regulator
in einer Dampfmaschine zu schreiben. Ich antwortete, dass ich mich nicht besonders für das Wasserklosett interessiere,
und der Thermostat macht das Leben angenehm, aber ich finde ihn nicht so schrecklich wichtig.“
B. Pörksen: „Die Beispiele, über die man damals sprach, luden ja auch wirklich nicht zu erkenntnistheoretischen Refle-
xionen ein: Thermostate, Wasserklosetts und das Steuern von Booten standen im Zentrum. Können Sie trotzdem eines
dieser Beispiele herausgreifen, um die Zirkularität zu erläutern?“
H. von Foerster: „Am besten sprechen wir über das Steuern eines Bootes, da der Begriff Kybernetik, den Norbert Wiener
prägte und im Jahre 1948 zum Titel seines Buches machte, auf das griechische Wort für Steuermann (kybernetes) zu-
rückgeht, das im Lateinischen zum gubernator und im Englischen zum governor wird. Ein amerikanischer Gouverneur
müsste eigentlich, folgt man der Wortgeschichte, ein Kybernetiker sein. Aber zurück zu unserem Beispiel: Was macht ein
Steuermann, der sein Schiff sicher in den Hafen hineinmanövrieren möchte? Er absolviert kein ein für allemal festgeleg-
tes Programm, sondern er variiert dies permanent. Wenn das Boot vom Kurs und seinem Ziel nach links abweicht, weil
der Wind so stark bläst, schätzt er diese Kursabweichung ein, sodass er weiterhin auf den Hafen zufährt. Er versucht, den
Fehler zu korrigieren. Und vielleicht steuert er etwas zu stark gegen. Das Ergebnis ist womöglich eine Kursabweichung
nach rechts und die Notwendigkeit, erneut gegenzusteuern. In jedem Moment wird die Abweichung in Relation zu dem
ins Auge gefassten Ziel, dem Telos, das zum Beispiel ein Hafen sein kann, korrigiert. Das Betätigen des Steuers, eine Ur-
sache, erzeugt also eine Wirkung; das ist die Kurskorrektur. Und diese Wirkung wird wieder zu einer Ursache, denn man
stellt eine neue Kursabweichung fest. Und diese erzeugt ihrerseits eine Wirkung, nämlich wiederum eine Kurskorrektur.
Solche Steuerungsvorgänge sind ein wunderbares Beispiel zirkulärer Kausalität.“
B. Pörksen: „Was hier passiert, ist im Grunde genommen ein Prozess der Informationsauswertung, der jeweils das
eigene Verhalten verändert. Man bemerkt eine Kursabweichung und handelt entsprechend, indem man gegensteuert.“
13
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H. von Foerster: „Die frühen Kybernetiker – Norbert Wiener, Claude Shannon, Warren Weaver, Ross Ashby – haben ge-
nau diesen Aspekt immer wieder betont. Sie machten deutlich, dass beispielsweise der Steuermann seinem motorischen
System „mitteilen“ muss, wie und in welchem Ausmaß es das Steuer bewegen soll. Und diese Mitteilung über die Art und
Weise der Bewegung im Verhältnis zu einem bestimmten Ziel kann man als einen Vorgang der Informationsauswertung
begreifen.““14
In der Kybernetik zweiter Ordnung geht es, vereinfacht ausgedrückt, um die Beobachtung der Beobachtung. Das heißt,
dass auch die Beobachtung des Beobachters Auswirkungen auf die zu beobachtende Situation hat. Dieser Aspekt ist
wichtig für die Eigenreflexion des Beobachters. Ein Coach sollte sich bewusst sein, mit welchen Kriterien und Annahmen
er seinem Coachee im Coachingprozess gegenübersteht. Das heißt, ein Bewusstwerden von allem, was der Coach wäh-
rend des Coachingprozesses wahrnimmt und auch reflektiert, was das mit ihm als Individuum macht.
1.4. Konstruktivismus
Der Konstruktivismus ist eine allgemeine Bezeichnung für verschiedene Richtungen in Wissenschaften und kulturellem
Leben, für die das Augenmerk bei der Betrachtung von Wirklichkeit auf deren Konstruktion bzw. Konstruiertheit liegt.
Anders gesagt fragt der Konstruktivismus, ob die Welt, wie wir sie sehen, Wirklichkeit ist oder ob sich jeder sein Weltbild
selbst konstruiert.
Im Bezug auf die Haltung des Coaches ist der radikale Konstruktivismus ausschlaggebend. Die Kernaussage besagt,
dass eine Wahrnehmung niemals ein Abbild der Realität liefert, sondern immer nur eine Konstruktion aus Sinnesreizen
und Gedächtnisleistung eines Individuums ist. Deshalb ist die Objektivität im Sinne einer Übereinstimmung von wahr-
genommenem (konstruiertem) Bild und Realität unmöglich, das heißt, jede Wahrnehmung ist ausnahmslos subjektiv.
Darin besteht die Radikalität, also die Kompromisslosigkeit des radikalen Konstruktivismus, als deren Begründer Ernst
von Glaserfeld gilt.15
Wenn wir beobachten, sind wir immer Teil der Beobachtung. „Ohne Beobachter gibt es keine Beobachtung“. Oder wie
Heinz von Foerster sagte, „Die Umwelt, wie wir sie wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“16
Nachdem wir uns mit dem grundlegenden systemischen Gedankengut beschäftigt haben, wollen wir uns in einem nächs-
ten Schritt den Grundprinzipien des systemischen Denkens und den Grundannahmen des Coachingsalon Wien zuwen-
den, welche die Basis für die praktische Umsetzung im systemischen Coaching bilden.
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2. Grundprinzipien des systemischen Denkens
Der Terminus des systemischen Denkens wird in sehr vielen unterschiedlichen Kontexten verwendet. Für den Kontext
der Beratung ist es wichtig, zwischen der systemischen Haltung und der Verwendung von systemischen Werkzeugen
klar zu unterscheiden:
Die systemische Haltung bestimmt, wie ein Coach in der Beratung agiert und welche Grundannahmen seinem Handeln zu
Grunde liegen (vergleiche Kapitel Grundannahmen des Coachingsalon Wien). Die Systemischen Werkzeuge wiederum
bestimmen, was der Berater tut, welche Interventionen und Methoden er einsetzt, um zum Beratungserfolg zu gelangen.
Im Folgenden widmen wir uns der systemischen Haltung, sprich den Grundannahmen, die hinter einer systemischen
Beratung liegen:17
2.1. Was ist ein System
Ein System ist ein Konstrukt (ein Hilfsmittel zum einfachen Arbeiten), das aus Strukturen, Regeln, Beziehungen, Kom-
munikationen und Handlungen besteht – die von Menschen (dem Systemumfeld), die dieses System bilden, erzeugt
werden. Im Coaching wird auf den Menschen mit seinen inneren Strukturen und damit auf das innere System des Indi-
viduums geschaut.
2.2. Menschen entstehen im System
Menschen bilden von der ersten Minute der Zeugung an Systeme und verhalten sich in verschiedenen Systemen völlig
unterschiedlich. Es macht einen Unterschied, ob man sich beispielsweise gerade im Familiensystem oder Organisati-
onssystem befindet. Das Handeln verändert sich oft grundlegend, da am Arbeitsplatz beispielsweise ein ganz anderes
Kommunikationsmuster als in der Familie herrscht.
2.3. Systemisch denken heißt zirkulär denken
Alles hat wechselseitig Einfluss aufeinander. Es gibt daher keine eindeutigen „Ursachen“ oder „Schuldige“, sondern
nur Beteiligungen von unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Ausmaß. Lineare Denkweisen reduzieren zwar die
Komplexität, damit werden aber Zusammenhänge oft nicht richtig erkannt. Zirkuläres Denken berücksichtigt die vielen
verschiedenen Wechselwirkungen. Jedes Verhalten jedes Beteiligten ist gleichzeitig Ursache und Wirkung des Verhal-
tens der anderen Beteiligten.18
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2.4. Systemisch Denken heißt, in Auswirkungen zu denken
Wir können stets frei wählen, übernehmen dabei aber die Verantwortung für die Folgen unseres Handelns. Das heißt,
indem wir uns bewusst für eine Handlung entscheiden, verzichten wir auf alle anderen Handlungsoptionen. Oder anders
ausgedrückt: Jede Medaille hat auch ihre Kehrseite. Jede Handlung hat ihren „Preis“.
2.5. Systemisches Denken ist zielorientiert
D.h. nicht „ursachen-“ und vergangenheitsorientiert. Das Problem hat nichts mit der Lösung zu tun. Anstatt Probleme,
Schwierigkeiten oder Gründe zu diskutieren, erkundet der Coach mit dem Klienten erwünschte Ziele, Lösungen und
Erfahrungen, die in der Vergangenheit bereits zu Erfolg führten.19 „Problem talk creates problems. Solution talk creates
solutions“, fasste es Steve de Shazer zusammen.20
2.6. Menschen denken in ihren ureigenen Mustern
Jeder Mensch hat individuelle „innere Landkarten“, die sich infolge seiner Sozialisation etabliert haben. Nach diesen
Mustern erfolgt in der Regel das Verhalten in bestimmten Situationen. Als Coaches unterstützen wir dabei, weniger hilf-
reiche Denkmuster beim Klienten zu unterbrechen bzw. neue zu finden.
2.7. Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung angeregt werden
Durch die Problemsicht und die dazugehörenden Denkmuster empfinden Klienten oft eine Ausweglosigkeit. Es braucht
daher eine „hilfreiche“ Verstörung“ von außen, um bisherige Denkschemata zu durchbrechen. Wir übernehmen als Coach
stets die Verantwortung für die Intensität und Art der Verstörung. „Wenn man hinterher ganz andere als die gewohnten
Antworten haben will, darf man nicht auf die gewohnte Art fragen“ (Bernd Schmid). Oder wie Albert Einstein sagte: „Die
signifikanten Probleme, die sich uns stellen, können nicht mit dem gleichen Grad des Denkens gelöst werden, den wir
hatten, als wir sie kreiert haben.“
2.8. Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit
Der Kunde bleibt Experte für die Inhalte (Problem- und Lösungswelt). Durch hilfreiche Verstörungen wird bewirkt, dass
es bei ihm zu neuen inneren Abläufen kommt. Der Coach übernimmt dabei die Rolle des Prozessgestalters. Er ist verant-
wortlich für den Ablauf des Coachingprozesses.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2.9. Wir arbeiten im Beratungs-, nicht im Heimatsystem21
Wir können im Coaching mit dem Kunden nur Maßnahmen für dessen Leben erarbeiten, wir können nicht mit ihm sein
Leben leben. In das Heimatsystem, aus dem der Kunde sein Problem schildert, ist der Coach nicht involviert. Lösungen
kann der Kunde nur selbst umsetzen. In der Praxis, im „Leben“, ist der Coach nicht dabei.22
3. Grundannahmen des Coachingsalon Wien23
Die Grundannahmen bilden die Basis für das Coachingsetting, sie sind sozusagen das MindSet und damit die Grund-
haltung, mit dem ein Coach einem Kunden begegnet. Im Folgenden sollen die wichtigsten dieser Grundannahmen
beschrieben werden.24
3.1. Es gibt keine objektive Wirklichkeit
Unser Denken und Handeln ist bestimmt von Wirklichkeitskonstruktionen. Wie auch immer die Außenwelt sein mag,
ein Mensch nutzt seine Sinne (sehen, hören, fühlen, riechen, schmecken), um sie zu erforschen und innere Landkarten
davon anzulegen.
Die Welt bietet unendlich viele Sinneseindrücke, der Mensch kann davon nur einen kleinen Teil wahrnehmen. Der Teil,
der wahrgenommen werden kann, wird weiter gefiltert durch Erfahrungen, Kultur, Einstellungen und Werte, Interessen
und Annahmen. Somit hat jedes Individuum eine eigene innere Landkarte und Struktur und damit eine individuelle (und
damit nicht objektive) Wahrnehmung der Wirklichkeit. Damit ist eine einzige, objektive Wirklichkeit von Grund auf aus-
geschlossen.
Will ein Coach die Themen (Probleme) von Kunden nachvollziehen, ist es wichtig, in die Welt (und damit innere Struktur
des Systems) einzutauchen (vgl. Kapitel Systemerkennung).
3.2. Probleme als Konstrukte
Probleme als Konstrukte, die zeit- und situationsabhängig nur von den beteiligten Personen wahrgenommen werden.
Jedes Problem ist einzigartig und stellt für den Einzelnen die Wirklichkeit dar.
Probleme werden im Coachingsetting als Wirklichkeitskonstruktionen gesehen. Jeder Coachee beschreibt, bewertet und
erklärt diese Konstrukte in der systemeigenen Weise. Andere Beteiligte würden dieselbe Situation ganz anders beschrei-
ben, bewerten und erklären. Das heißt auch, dass ein Problem nicht für alle wahrnehmbar ist, sondern vom Coachee aus
der Sicht und Interpretation des eigenen Erlebens und der individuellen inneren Landkarte wahrgenommen wird. Ohne
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Wahrnehmenden gibt es auch kein Problem.25 Und die individuelle Wahrnehmung des Problems ist für den Coachee
wirklichkeitsbestimmend.
Es wird niemals zwei Menschen geben, die zugleich auf die gleiche Art und Weise das Gleiche erleben. Wir tun zwar
immer so, als ob es eine abgesprochene Wirklichkeit gäbe. Paul Watzlawick hat das in seinem Buch „Vom Sinn des
Unsinns“ anhand eines Beispiels sinngemäß so beschrieben: Wenn wir auf einer Speisekarte ein Menü auswählen,
haben wir eine Vorstellung darüber, wie es aussehen und schmecken wird. Leider stimmen die gebotene Realität und
die vermutete Realität nur selten überein. Dadurch entstehen zwangsläufig Enttäuschungen, die daher kommen, dass wir
Bezeichnungen mit klaren Vorstellungen davon, „wie es sein soll“, verbinden. Wir gehen davon aus, dass alle Menschen
auf dieser Welt ähnlich denken und ähnliche Wertvorstellungen haben wie wir selbst.26
Nehmen wir den Begriff „Erfolg“. Würde man eine Befragung in einem Unternehmen über die Bedeutung dieses Begriffes
durchführen, würde man mit Sicherheit viele unterschiedliche Antworten erhalten. Genauso verhält es sich auch mit der
„Entstehung“ von Problemen. Genau genommen gibt es ohne die subjektive Wahrnehmung kein Problem. Und die Wahr-
nehmung ist bestimmt durch subjektive Interpretationen. Probleme sind Konstrukte der Beteiligten und jeder Beteiligte
beschreibt, erklärt und fühlt diese Konstrukte auf eine völlig individuelle Weise. Im Moment der Wahrnehmung ist es
für den Betroffenen wirklichkeitsbestimmend und wird mit dem Problemfokus gescannt (das beschriebene Problem wird
häufig als groß und nur schwer veränderbar wahrgenommen).
Im Coaching geht es häufig darum, mit dem Coachee neue Beschreibungen, Erklärungen oder Bewertungen von Situ-
ationen zu finden, die dann wiederum zu einer Veränderung der Situation und/oder des Verhaltens (zum Beispiel durch
eine andere Art der Kommunikation, ein anderes Wording) führen.
3.3. Probleme anderer können nicht verstanden und gelöst werden
Nachdem die Problemdarstellung eine Folge der Wirklichkeitskonstruktion des Kunden ist, kann ein Coach die Situation
weder verstehen und noch weniger lösen. Aus diesem Grunde arbeiten wir eben mit der inhaltsfreien und lösungs-
orientierten Vorgehensweise und sehen die Coachees für die absoluten Experten ihrer Themen an und bleiben in der
Grundhaltung der Prozessbegleiter. Diese Grundhaltung ist manchmal herausfordernd, weil es auch sein kann, dass die
eigenen Wirklichkeiten angesprochen werden und diese zu (unerwünschten) Interpretationen und Bewertungen kommt.
Wichtig ist, dies als Coach wahrzunehmen und sich bewusst wieder in die genannte Grundhaltung zu bewegen.
3.4. Probleme wollen wertgeschätzt werden
Ein wichtiger Punkt ist es, dem Problem den entsprechenden Platz einzuräumen. Auch wenn das Problem von außen
noch so einfach und klar erscheinen mag, ist es wichtig, ihm wertschätzend und anerkennend zu begegnen. Zeigt die
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Reaktion des Coaches einen „Ist doch alles halb so schlimm, ist doch gar kein Problem“-Ansatz, wird beim Kunden eine
massive Abwehrhaltung ausgelöst und er gelangt in eine Verteidigungshaltung, warum das Problem ein „wahnsinniges
Problem“ ist und der Problemfokus wird vertieft und das neuronale Muster bekommt neue Kraft.27 (vgl. Kapitel Hirnfor-
schung und das Muster der Veränderung)
3.5. Wir entscheiden jede Minute unbewusst, was wir wahrnehmen und was nicht
Wir können uns entscheiden, diese Aufmerksamkeit zu beeinflussen.
Peter Szabó schreibt in einem Artikel sinngemäß: „Wenn es keine objektive Wirklichkeit gibt und jeder von uns seine
eigene Wirklichkeit auf der Basis der subjektiven Erkenntnis konstruiert, warum sollten wir nicht unseren Klienten helfen,
eine hilfreiche und mögliche Realität zu konstruieren?“.28
Systemisches Coaching ist ziel- und lösungsorientiert. Dieses Prinzip ist geprägt von Steve de Shazer. Das Besondere
an diesem Ansatz ist, dass der Fokus nicht zu sehr auf das Problem, sondern zukunftsweisend – also nach vorne – hin
zur Lösung orientiert ist.
Als Coaches können wir natürlich auch viel Zeit in die Problemschilderung investieren. Zielführender für den Coachee
ist aber, nach Lösungen zu suchen. Nach Möglichkeiten, die ihm Energie bringen, neue Wege zu gehen oder alte Muster
zu verlassen.
Es gilt daher, den Coachee durch entsprechende Begleitung zur eigenen Lösungskompetenz zu führen. Denn nur er
selbst ist der Experte für die Lösung. Gerade als systemischer Coach sollte man sich mit Ratschlägen zurückhalten. Das
wäre kontraproduktiv und schwächt die Handlungskompetenz des Betroffenen.
3.6. Alles Erleben ist Aufmerksamkeitsfokussierung
Wir entscheiden jede Minute unbewusst, was wir wahrnehmen und was nicht, indem wir unsere Aufmerksamkeit auf
etwas fokussieren (vgl. Kapitel Hirnforschung). Daraus folgend ist alles Erleben Aufmerksamkeitsfokussierung und der
Coachee kann jederzeit entscheiden, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes (zum Beispiel die Lösung zu fokussieren).
Wichtig dabei ist, dass der Coachee eine bewusste Entscheidung trifft und damit eine Veränderung initiiert.29
„So bin ich nun mal, da kann man nichts ändern“. Diese Aussage hat jeder schon einmal gehört. Dabei sagt sie im Grun-
de nur aus: „Man“ kann es wirklich nicht ändern, das kann die Person nur selbst. Sie sagt auch aus, dass die Person
vielleicht tatsächlich in bestimmten Situationen sich immer gleich verhält. Aber eben nur bis jetzt. Es steht jeder und
jedem frei, ab sofort dieses Verhalten zu ändern.
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3.7. Jede Intervention ist eine strukturierte Form der Aufmerksamkeitsfokussierung
Jede Intervention im Coachingsetting (aufbauend auf der inneren Struktur des Coachees und der Hypothesenüberprü-
fung des Coaches) bietet demnach eine strukturierte Form der Aufmerksamkeitsfokussierung und damit eine Unterstüt-
zung für einen erfolgreichen Coachingprozess.
3.8. Ressourcenstärkung: Fokussierung auf den Zielzustand
Der Coach kann beispielsweise durch die „Wunderfrage“ den Coachee auf einen wünschenswerten Zustand fokussieren.
Durch Beispiele aus der Vergangenheit, wo Ähnliches schon einmal gut funktioniert hat, wird die Aufmerksamkeit des
Coachees auf einen wünschenswerten Zielzustand gelenkt. Der Coachee schildert möglichst detailliert, wie es sich im
gewünschten Zustand anfühlt, wie Dinge sich genau geändert haben müssen, um dieses Gefühl zu erlangen. Dadurch
wird auch die Problemlösungskompetenz gestärkt.
3.9. Jedes Verhalten hat einen Nutzen
Menschen tun immer das, was zu diesem Zeitpunkt für sie am meisten Sinn macht. Wenn ein Verhalten Sinn macht und
ein Nutzen daraus hervorgeht, agiert der Mensch in allen Situationen für ihn (zu diesem Zeitpunkt) bestmöglich. Zum
Beispiel kann Jähzorn einem Menschen zeigen, dass eine innere Grenze überschritten wurde. Das Verhalten ist grund-
sätzlich vom Coachee nicht gewünscht, aber das Wahrnehmen der Grenze wird dadurch forciert.
Im Coaching ist es Ziel, den Nutzen des Verhaltens herauszufiltern, um dann gegebenenfalls ein neues Verhalten zu
finden, in dem der Nutzen auch integriert ist. (Das Gegenteil davon wäre, dem Menschen klar machen zu wollen, dass
das Verhalten nichts bringt und dass er doch anders agieren sollte.)
3.10. Coach ist ein Prozessbegleiter – Coachee hält die inhaltliche Verantwortung
Das Verhalten von Menschen wird durch die Entscheidung bestimmt, in einer ganz individuellen Art zu reagieren, die
nicht vorhersagbar ist.30 Auf das Coaching übertragen heißt das, dass wir die Auswirkungen auf unsere Interventionen
zwar erahnen, aber letzten Endes nicht vorhersagen können. Knackpunkt ist hier im Beratungsprozess, dass der Coachee
von sich aus Sinn findet und bereit ist, die Veränderung anzugehen. Im Rahmen eines Einstiegsgespräches kann die
Thematik folgendermaßen angesprochen werden: „Es ist Ihre Entscheidung. Wenn Sie X wollen, dann geben Sie mir
Bescheid. Ich möchte aber auf jeden Fall, dass Sie sich bewusst dafür entscheiden.“
Durch eine solche Herangehensweise bleibt die Verantwortung für das Tun und für die Veränderung beim Kunden, der
Coach ist lediglich Prozessbegleiter.
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3.11. Der Mensch ist nicht, sondern verhält sich
Die Unterscheidung zwischen „ein Mensch ist“ und „ein Mensch verhält sich“ hat große Auswirkungen: Die Konstel-
lation „ein Mensch ist“ beinhaltet eine fixe Zuschreibung und führt zwangsläufig zu einer statischen Situation, die als
unveränderbar dargestellt wird.
Die Konstellation „ein Mensch verhält sich“ lässt offen, dass er sich beim nächsten Mal komplett anders verhält.
1) Ich habe aufgrund des einfacheren Schreib- und Leseflusses in meinen Ausführungen die männliche Schreibweise zugrundegelegt, meine aber damit gleichermaßen beide Geschlechter.2) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Coach, 9.4.2011, 16:00 Uhr.3) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/System, 9.4.2011, 18:00 Uhr.4) Satir, Virginia, 1999: Kommunikation Selbstwert Kongruenz, S. 179f.5) Steinert, Heinz, 1997: Systemtheorie. In: Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Fachlexikon der Sozialen Arbeit. 4. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln: Eigenverlag, S 942. In: Systemisches Coaching im Prozess, 2008. Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin (Hg.), S 14.6) Schmidt, Gunther, 2004: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, S. 18.7) Vgl. König, E., Volmer, G., 2009: Handbuch Systemisches Coaching, S 18 ff.8) Vgl. König, E., Volmer, G., 2009: Handbuch Systemisches Coaching, S 18.9) Hall/Fagen 1956: Definition of Systems. In: König/Volmer, 2009, Handbuch Systemisches Coaching, S. 18.10) Watzlawick, Paul u.a. 2007: Menschliche Kommunikation, ursprünglich 1969.11) Von Foerster, Heinz, 1993: KybernEthik. Merve Verlag, S. 61.12) Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie, 19.8.2011, 09:00 Uhr.13) Von Glaserfeld, Ernst, 1996: Radikaler Konstruktivismus. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1326, S. 240f.14) http://www.heise.de/tp/artikel/6/6240/1.html, 19.8.2011, 11:00 Uhr.15) http://de.wikipedia.org/wiki/Radikaler_Konstruktivismus, 20.8.2011, 08:00 Uhr.16) Von Foerster, Heinz. In: Renate Daimler, Basics der Systemischen Strukturaufstellungen, 2008, S 386.17) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1.18) Schmidt, Gunther, 2004: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung, S. 21.19) Vgl, Szabó, Peter: Introduction to Solution-focused Brief Coaching, Artikel S. 1.20) Vgl. de Shazer, Steve, Dolan, Yvonne, 2008: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute.21) Die Begriffe „Beratungssystem“ und „Heimatsystem“ stammen von Gunther Schmidt.22) Vgl. Radatz, Sonja, 2009: Beratung ohne Ratschlag. S. 75ff.23) Vgl. Radatz, Sonja. In: Kaszubski, Linda (2010). Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und Freie Universität Berlin_Einheit 1.24) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1.25) Schmidt, Gunther Seminarmitschrift LK.26) Vgl. Watzlawik in Radatz, Sonja, 2009, Beratung ohne Ratschlag, S. 33.27) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1.28) Szabó, Peter: Introduction to Solution-focused Brief Coaching, Artikel S. 2.29) Vgl. Kaszubski, Linda, 2010. Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der freien Universität Berlin_Einheit 1.30) Vgl. Radatz, Sonja. In: Kaszubski, Linda (2010). Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und Freie Universität Berlin_Einheit 1.
4. Literaturverzeichnis
De Shazer, Steve, Dolan, Yvonne, 2008: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute
Hall/Fagen 1956: Definition of Systems. In: König/Volmer, 2009, Handbuch Systemisches Coaching
http://de.wikipedia.org/wiki/Coach, 9.4.2011, 16:00 Uhr
http://de.wikipedia.org/wiki/Radikaler_Konstruktivismus, 20.8.2011, 08:00 Uhr
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http://de.wikipedia.org/wiki/Systemtheorie, 19.8.2011, 09:00 Uhr
http://www.heise.de/tp/artikel/6/6240/1.html, 19.8.2011, 11:00 Uhr
Kaszubski, Linda, 2010: Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin_Einheit 1
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
König, E., Volmer, G., 2009: Handbuch Systemisches Coaching
Radatz, Sonja, 2000 bzw. 2009: Beratung ohne Ratschlag
Satir, Virginia, 1999: Kommunikation Selbstwert Kongruenz
Schmidt, Gunther, 2004: Liebesaffären zwischen Problem und Lösung
Steinert, Heinz, 1997: Systemtheorie. In Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge (Hg.): Fachlexion der So-
zialen Arbeit. 4. Aufl. Stuttgart, Berlin, Köln: Eigenverlag, In: Systemisches Coaching, im Prozess, 2008. Internationale
Akademie an der Freien Universität Berlin (Hg.)
Szabó, Peter: Introduction to Solution-focused Brief Coaching, Artikel
Von Foerster, Heinz, 1993: KybernEthik. Merve Verlag
Von Foerster, Heinz. In: Renate Daimler, Basics der Systemischen Strukturaufstellungen, 2008
Von Glaserfeld, Ernst, 1996: Radikaler Konstruktivismus. Suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1326
Watzlawick, Paul u.a. 2007: Menschliche Kommunikation, ursprünglich 1969
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching-Fragen im Überblick Dr. Sandra Gruber
„Der Glaube, es gebe nur eine Wirklichkeit, ist die gefährlichste Selbsttäuschung.“
Paul Watzlawick
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeines
2. Fragen ins Thema
3. Fragen ins Ziel
4. Dissoziierende Fragen
5. Assoziierende Fragen
6. Fragen nach Ressourcen
7. Fragen nach Future Pace
8. Literatur- bzw. Quellenverzeichnis
1. Allgemeines
Coaching lebt von Fragen. Der Coach stellt dem Coachee abwechslungsreiche und anregende Fragen und verhilft dem
Coachee so zu unterschiedlichen Sichtweisen. Erst der breit gefächerte und neue Blick auf die Gesamtzusammenhänge
im System eröffnen dem Coachee eine Vielfalt an Handlungsmöglichkeiten. Mit Hilfe von Fragen unterstützt der Coach
den Coachee darüber hinaus, sich die eigenen Potenziale bewusst vor Augen zu führen und hilft, die persönlichen Res-
sourcen zur Lösungsfindung zu aktivieren.1
Obwohl Fragen eine zentrale Stellung im Coachingprozess einnehmen, existiert in der anerkannten Coaching-Literatur
zum aktuellen Zeitpunkt keine einheitlich und allgemein gültige Kategorisierung von Fragen. Im Gegenteil, es liegen
vielfältige Typisierungsansätze vor. Darüber hinaus ist es für den angehenden Coach vielfach schwierig, eine umfassende
Liste an Coachingfragen zu finden, aus der er/sie auswählen kann. Aus diesem Grund ist es Ziel des nachfolgenden Bei-
trags, eine kompakte Kategorisierung von Fragen vorzuschlagen und je Fragenkategorie praxiserprobte Coachingfragen
zur Verfügung zu stellen.2
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2. Fragen ins Thema
Zu Beginn des Coachingprozesses geht es darum, eine Situationsanalyse vorzunehmen. Mit „Fragen ins Thema“ wird
das Anliegen des Coachees klar auf den Punkt gebracht. Nachfolgende Beispiele führen gut zum aktuellen Zustand des
Coachees:3
- Bei welchem Thema kann ich Ihnen helfen?
- Was kann ich für Sie tun? Was führt Sie zu mir?
- Welche Erwartungen/Wünsche haben Sie an mich?
- Wessen Idee war es, dass Sie heute hier sind?
- Was müssten Sie tun, um xx davon zu überzeugen, dass Sie nicht zum Coaching kommen müssen?
- Wie beschreiben Sie Ihre momentane Situation? Was möchten Sie stattdessen?
Was ist an der jetzigen Situation bewahrenswert?
- Wie lautet Ihr Anliegen/Thema?
- Haben Sie bislang schon Lösungsversuche unternommen? Bitte schildern Sie diese.
Was war noch wichtig? Was noch? Fehlt noch etwas?
- Aus welchen Gründen möchten Sie Ihr Anliegen gerade jetzt bearbeiten?
- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es darum, dass ich Sie dabei unterstützen darf …
- Würden Sie mir bitte noch ein wenig mehr Input zu xx geben?
- Was soll heute das Thema sein?
- Was wäre für Sie heute nützlich?
- Sie haben viel genannt. Womit sollen wir Ihrer Meinung nach starten?
- Erzählen Sie bitte etwas über sich. Was führt Sie zu mir?
- Worüber möchten Sie heute mit mir sprechen?
- Welche Ziele verfolgen Sie mit dem Coaching?
- Wann wäre ich als Coach aus Ihrer Sicht erfolgreich?
- Ich habe da so eine Idee. Könnte es sein, dass ?
- Sie sagten gerade, dass … Ist das so?
- Können Sie das bitte noch einmal für mich formulieren?
- Gibt es noch etwas, was ich wissen sollte?
- Wenn Sie in sich hineinhören, wer meldet sich zu diesem Thema noch zu Wort?
- Wer ist in welcher Form noch in Ihre Situation involviert?
Was unternimmt jede einzelne dieser Personen, um diese Situation herbeizuführen?
- Welches Bild/Symbol finden Sie für Ihre jetzige Situation?
- Gibt es mit Bezug auf Ihre Situation etwas, was Sie noch nicht beschrieben haben?
- Was sind die „rote Fäden“ bei Ihrem Thema?
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Gibt es Bilder, Worte, Verhaltensweisen etc., die immer wieder vorkommen?
- Ich habe die Erfahrung gemacht, dass in der Zeit zwischen der Anmeldung zu einem Coaching-Termin
und der ersten Stunde eine Veränderung stattfindet, die dazu dienen soll, ein bestimmtes Problem zu lösen.
War das bei Ihnen auch so?4
- Was genau wollen Sie mittels Coaching erreichen?
- Nehmen Sie bitte an, Ihr Anliegen sei ein Wesen. Beschreiben Sie mir dieses Wesen.
Welches Geschlecht hätte es? Wie würde es heißen? Wie würde es aussehen?
Wäre es groß oder klein, alt oder jung? Welche Charaktereigenschaften würde es haben? Was noch?
- Was kann ich und was können Sie tun, um den Erfolg unserer gemeinsamen Arbeit zu sichern?
- Was müsste die letzten 20 Minuten dieser Coaching-Einheit passieren, damit die Stunde für Sie gut war?
- Was muss am Ende des Coaching für Sie herauskommen, damit Sie sagen, es war nützlich für Sie,
dass Sie sich die Zeit dafür genommen haben?
3. Fragen ins Ziel
Fragen ins Ziel helfen einerseits dem Coachee, Klarheit über sein Anliegen zu gewinnen. Andererseits richten sie den
Blick des Coachees auf ein konkretes, erwünschtes Endergebnis des Coaching-Prozesses5:
- Welches Ziel möchten Sie in dieser Situation erreichen?
- Erkennen Sie Zwischenziele, in die wir dieses große Ziel teilen können?
- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, gibt es für Sie mehrere Ziele.
Welches ist denn das wichtigste Ziel für Sie? Welches dieser Ziele sollten wir als erstes behandeln?
- Woran merken Sie, dass das Coaching beendet ist / Sie Ihr Ziel erreicht haben?
- Welchen Zustand wünschen Sie sich am Ende des Coaching? Wie fühlt sich das an?
- Welchen Schritt können/wollen Sie setzen, um Ihr Ziel zu erreichen? Was wird danach anders sein?
- Was gelingt / ist jetzt schon gut?
- Was würden Sie tun, damit Ihr Lösungsversuch mit Sicherheit daneben geht?
- Sie haben jetzt xx Mal das Wort „Problem“ benutzt. Können Sie sich vorstellen, dass wir dieses Wort
quasi als erste Veränderung weglassen und stattdessen das Wort „Thema/Anliegen“ verwenden?
- Wie schätzen Sie Ihre gegenwärtige Situation auf einer Skala von 1 bis 10 ein? 1 bedeutet, dass xx, und 10
bedeutet, dass xx maximal stattgefunden hat? Sie haben den Wert xx genannt, woran würden Sie merken,
dass Sie eine Stufe auf dieser Skala nach oben gewandert sind? Woran noch? Ist xx gut für Sie auf dieser
Skala oder wollen Sie noch weiter?
- Wie sieht Ihre aktuelle Situation mit Bezug auf Ihre Vision aus? Auf einer Skala von 1 bis 10, wo 1 xx bedeutet
und 10 xx bedeutet, wo wären Sie da?
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Wenn Sie jetzt ICH wären, was würden Sie jetzt fragen?
- Hat sich seit der letzten Coaching-Stunde schon etwas getan? Was ist besser geworden?
Was muss noch verändert werden?
- Was ist Ihnen in Bezug auf Ihr Anliegen bereits gelungen?
- Was würde Ihnen xx raten, anders zu machen?
- Was würde Ihnen xx sagen, womit Sie beginnen müssen, damit sich Ihre Situation verändert?
- Woran werden Sie erkennen, dass Sie genug getan haben? Woran noch?
- Welchen Nutzen, Vorteil, Gewinn, erhoffen Sie sich durch die Erreichung Ihres Ziels?
- Was in Ihren Augen wäre eine große und was eine kleine Veränderung?
- Wann fühlen Sie sich Ihrem Ziel näher? Wann fühlen Sie sich weiter davon entfernt?
Was oder wer löst diese Gefühle aus?
4. Dissoziierende Fragen
Diese Art der Fragen hilft dem Coachee, das System auf der Metaebene zu betrachten. Der Coachee kann u.U. eine
bislang nicht mögliche Beobachtung vornehmen und ist nicht direkt in das Geschehen involviert. Die dissoziierte Er-
lebensweise steht für das Wahrnehmen von außen. Mit anderen „Beobachtungsbrillen“ (z.B. die eines/einer Freundes/
Freundin – „Du-Position; die des/der neutralen Beobachters/Beobachterin – „Beobachter/innen-Postition“) wird dem
Coachee gestattet, auf die Situation zu blicken. „Blinde Flecken“ können so ausgemacht oder „verkleinert“ werden.6
Ausgewählte Fragen ermöglichen es dem Coachee bspw., einen veränderten zeitlichen Blick auf die eigene Situation zu
werfen. Negatives kann so in einem anderen, distanzierten Licht betrachtet werden. Mit Hilfe anderer Sichtweisen gelingt
es dem Coachee eventuell leichter, neue Lösungswege zu finden. Es geht vielfach auch darum, weg von der Problem-
orientierung und hin zur Lösungsorientierung zu gelangen. Eine geänderte Betrachtungssicht wird mit Hilfe folgender
Fragen aktiviert:7
- Wie würde Ihr/Ihre Freund/in Ihre Situation beschreiben?
- Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Vogel. Was würden Sie dann sehen?
- Stellen Sie sich vor, es wird ein Theaterstück über Ihre Situation aufgeführt.
Wo würden Sie im Zuschauer/innen-Raum sitzen? Was wäre anders, wenn Sie Ihren Sitzplatz wechseln würden?
- Wie würde die andere Seite darüber sprechen?
- Was würde Ihnen Ihr Gegenüber raten?
- Wäre die Veränderung für Ihre Kolleg/inn/en eine große Überraschung?
- Wie würden Ihre Freunde die Situation auf derselben Skala von 1 bis 10 einordnen?
1 bedeutet xx und 10 bedeutet xx.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Wie würde das Bild eines Malers aussehen, der Ihre Situation beschreibt?
- Wie erleben andere Personen das Geschehen/Ihre Situation?
- Wie würden Sie Ihre Situation beschreiben, wenn Sie nicht hier, sondern auf Urlaub wären?
- Wie hat Ihre Situation früher ausgesehen?
- Was halten Sie für das Gute im Schlechten und für wen?
- Was glauben Sie, denkt xx darüber?
- Wie werden Ihre Signale/Handlungsweisen von anderen gedeutet?
- Welche „Glaubenssätze“ könnten andere Personen von Ihrer Verhaltensweise ableiten?
- Wenn es im Unternehmen eine Krise gibt, wie würden dann Ihre Mitarbeiter/innen/Kolleg/inn/en
Ihre Reaktion beschreiben? Was würden sie wahrnehmen?
- Welche Zusammenhänge sehen Sie zwischen Ihrem Verhalten und dem Verhalten von xx?
Gibt es Unterschiede, Gleichheiten oder Abhängigkeiten? Welche sind das?
- Welche Zusammenhänge zwischen Ihrem Verhalten und dem Verhalten von xx würde
eine neutrale Person erkennen?
- Wann tritt diese Situation nicht auf, obwohl man dies eigentlich erwarten könnte?
Welche Bedingungen sind erfüllt, wenn das Problem nicht auftritt?
- Stellen Sie sich bitte Zeiten vor, in denen das Problem nicht auftritt. Wie würde xx Sie dann beschreiben?
- Was denkt xx, dass Sie anders machen würden, wenn Ihr/e Vorgesetzte/r das nicht mehr machen würde?
- Was würden Ihre besten Freund/inn/e/n darüber sagen, was Sie tun, damit Sie diese schwierige Situation
im Moment meistern?
- Woran würden andere Personen erkennen, dass es sich um eine passende Lösung für Sie handelt?
- Wie könnte eine andere Person genau zu einer umgekehrten Schilderung Ihrer Situation kommen?
- Stellen Sie sich bitte vor, dass es eine/n weltweit anerkannte/n Top-Expertin/Top-Experten für Ihr Anliegen gibt.
Diese Person hätte Ihr Problem völlig im Griff. Diese Person kommt zur Tür herein. Wie würde diese Person
die Situation sehen und was würde Ihnen diese Person raten?
- Stellen Sie sich bitte vor, Sie sind eine Fliege an der Zimmerdecke und sehen auf sich.
Was sehen Sie? Was wäre jetzt wichtig zu tun?
- Was sagt Ihre innere Gegenstimme zu der im Moment lautesten Stimme von Ihnen?
5. Assoziierende Fragen
Im assoziierten Zustand fühlt sich eine Person direkt „in einer konkreten Situation“. Die Wahrnehmung erfolgt aus der
eigenen, ganz persönlichen Perspektive. Die Person ist „mitten im Erleben“ und kann sich nicht von der Situation dis-
tanzieren.8
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Mit dem Einsatz „positiv assoziierender Fragen“ wird dem Coachee ermöglich, bewusst oder unbewusst eine bejahende
Verknüpfung von Gedanken und Zielen vorzunehmen. Nachfolgend sind „Assoziierende Fragen“ beispielhaft dargestellt:9
- Nehmen wir an, alles, was für die Problemlösung notwendig ist, wäre bereits passiert.
Woran würden Sie feststellen, dass eine positive Veränderung eingetreten ist?
- Woran würden andere erkennen, dass sich Ihre Situation positiv verändert hat?
- Stellen Sie sich vor, das Wunder ist passiert, was würden Sie danach als Erstes anders machen?
Wenn Sie etwas anders machen würden, wie würden die Menschen um Sie herum darauf reagieren?
- Wie sähe die Beziehung zwischen Ihnen und den Menschen um Sie herum – xx Monate nach dem Wunder – aus?
- In welches Tier würden Sie sich verwandeln, wenn Sie die Veränderung geschafft haben?
Was verbinden Sie mit diesem Tier?
- Wir haben Ihre Situation betrachtet. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
- Woran genau werden Sie erkennen, dass Sie Ihr Ziel erreicht haben? Woran noch? Und was noch?
Woran würden es andere Personen feststellen?
- Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihr Ziel erreicht. Wie fühlt sich das an?
- Welche Vorteile haben Sie aufgrund Ihrer momentanen Situation?
- Wenn Sie ein Buch schreiben würden, wie würde der Titel lauten und wem würden Sie es widmen?
- Stellen Sie sich vor, Sie kennen zehn gute Lösungen für Ihr Anliegen. Was wäre es, das all diese Lösungen
gemeinsam hätten? Anhand welcher Kriterien würden Sie die für Sie beste Lösung heraussuchen?
- Was müssen wir beachten, wenn wir nach einer guten Lösung für Sie suchen?
6. Fragen nach Ressourcen
In der Tradition der lösungsorientierten Beratung wird der Fokus der Betrachtung/ Wahrnehmung bewusst auf die Lösung
gelenkt. Das Problem des Klienten rückt gezielt in den Hintergrund. Zudem wird die „Problemsprache“ vermieden. Der
Aspekt der fördernden und hilfreichen Ressourcen gewinnt damit automatisch an Bedeutung.10 Die nachfolgende Aus-
wahl an Fragen soll helfen, positive Ressourcen in den Vordergrund zu stellen:
- Was hat sich seit der letzten Coaching-Stunde getan?
- Was haben Sie bislang unternommen? Welche Ressourcen haben Sie dafür verwendet?
- Hat es eine derartige oder ähnliche Situation in Ihrem Leben schon einmal gegeben?
Wie haben Sie diese Situation erlebt? Wie haben Sie diese Situation gemeistert?
Welche Strategien waren die erfolgreichsten?
- Was war der Impuls für den ersten Erfolg?
- Wenn Sie sich vorstellen, es wären xx Monate vergangen, was könnten Meilensteine der Lösung gewesen sein?
- Welchen Preis und/oder welche Konsequenzen hat die Lösung für Sie?
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Wie gestalten sich die Auswirkungen auf andere?
- Welche Ressourcen benötigen Sie zur Problemlösung? Welche davon haben Sie bereits?
Welche fehlen noch? Wie könnten Sie zu den fehlenden Ressourcen kommen?
- Wer würde Sie bei der Lösung unterstützen?
- Welche Handlung ist am einfachsten durchzuführen und erhält am meisten Unterstützung von wem?
- Was sind Ihre wichtigsten Kriterien, nach denen Sie knappe Ressourcen verteilen? Wer oder was geht leer aus?
- Welche Ihrer Fähigkeiten und Stärken könnten Sie als erstes einsetzen, um Ihrem Ziel einen ersten
Schritt näher zu kommen?
- Was oder wer kann dazu beitragen, dass Sie Ihr Zutrauen für den Veränderungsschritt stärken?
- Was steht in Ihrem Einflussbereich? Was genau können Sie tun?
Welche Unterstützung benötigen Sie zusätzlich? Von wem?
- Wer würde sich freuen, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben? Könnte diese Person etwas zur
Zielerreichung beitragen? Was? Was noch? Wer oder was kann Sie zusätzlich unterstützen?
- Welche Ressourcen sehen andere Menschen bei Ihnen, die Sie selbst nicht sehen?
7. Fragen nach Future Pace
Fragen nach „Future Pace“ veranlassen den Coachee, einen Schritt in die Zukunft zu gehen und eine bestimmte, noch
nicht realisierte Situation, vor dem geistigen Auge betrachten, erfühlen und für sich bewerten bzw. überprüfen zu können.
Positive Erlebnisse sollen hervorgehoben und somit Veränderung erleichtert werden. Es geht um den Aufbau einer „Hin-
zu - Motivation“ und um das Setzen eines „geistigen Ankers“, der in unterschiedlichen Situationen aktiviert werden kann.
Fragen nach „Future Pace“ können wie folgt lauten:11
- Wenn Sie diese Qualität für sich haben, wie sieht Ihre Situation dann aus?
- Was hat sich ganz konkret verändert, wenn Sie sich das Bild Ihrer Zukunft vor Ihr geistiges Auge rufen?
- Welchen Einfluss hat Ihr Thema nun auf Ihr Leben?
- Ich fürchte, ich habe kein Wunder für Sie. Aber angenommen, ich hätte eines, was wäre danach anders?
- Stellen Sie sich bitte vor, Sie gehen heute Abend schlafen und wenn Sie morgen aufwachen, wäre alles so,
wie Sie es möchten. Was wäre dann anders? An welchen Dingen können Sie die Veränderung erkennen?
Lassen Sie uns diese bitte genauer betrachten.
- Wofür wollen Sie bekannt sein?
- Was von dem, das bislang noch nicht passiert ist, würde dann in Ihrem Leben stattfinden?
- Was sehen, hören, fühlen, riechen Sie, wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben?
- Stellen Sie sich bitte vor, Sie malen ein Bild Ihrer Zukunft. Wie sieht dieses Bild aus? Woran denken Sie,
wenn Sie dieses Bild betrachten? Welche Sinneswahrnehmungen haben Sie dabei? Was hören, riechen,
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schmecken, fühlen Sie? Was geschieht auf diesem Bild?
- Stellen Sie sich Ihr neues Verhalten bitte in einer Situation in der Zukunft vor.
Was empfinden Sie dabei? Was läuft jetzt gut?
1) Vgl. Lindemann, 2008, S. 42ff; Müller, 2006, S. 27. 2) In diesem Kontext ist wichtig, dass die vorliegende Auswahl an Coachingfragen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Im Einzelfall kann die Zuordnung einer Frage zu mehreren Kategorien durchaus Diskussionspunkt sein. Die Darstellung in diesem Beitrag basiert auf Erkenntnissen und Beispielen aus dem „Coachinglehrgang von c+unternehmensberatung“ (Jahrgang 2011), Mitschriften sowie Handouts des „Neuwaldegger Curriculums für systemische Unternehmensentwicklung“ (Jahrgang 2008/2009) und berücksichtigt anerkannte Coachingliteratur.3) Vgl. Koditek, 2008, 31ff; vgl. Müller, 2006, S. 69f; vgl. Dehner, S. 353ff; vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 35ff; vgl. Radatz, 2009, S. 122f, S. 181ff. 4) Müller, 2006, S. 27.5) Vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 49ff; vgl. Radatz, 2009, S. 141ff, S. 181ff.6) Vgl. Koditek, 2008, S. 31ff; vgl. Lindemann, 2008, S. 49ff; vgl. Müller, 2006, S. 7ff, S. 101 und S. 132f; vgl. Radatz, 2009, S. 158f und S. 200ff.7) Vgl. Koditek, 2008, S. 31ff; vgl. Lindemann, 2008, S. 49ff; vgl. Müller, 2006, S. 7ff; vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 106ff, vgl. Radatz, 2009, S. 181ff.8) Vgl. Müller, 2006, S. 101 und S. 132f; vgl. Radatz, 2009, S. 159f.9) Vgl. Müller, 2006, S. 24ff.10) Vgl. Lindemann, 2008, S. 45ff, vgl. Radatz, 2009, S. 71 und S. 181ff.11) Vgl. Szabò, Kim Berg, 2009, S. 39.
8. Literatur- bzw. Quellenverzeichnis
U. Dehner: Leitfaden für das erste Coaching-Gespräch, In: Ch. Rauen (Hrsg.): Handbuch Coaching, 3. überarbeitete und
erweiterte Auflage, Hogrefe Verlag, Göttingen 2005.
T. Koditek (Hrsg.): Ein Lehr- und Arbeitsbuch zur Coaching-Ausbildung der Internationalen Akademie an der Freien
Universität Berlin, Arbeitsbereich Organisation und Management, Berlin 2008.
H. Lindemann: Systemisch beobachten - lösungsorientiert handeln; Ein Lehr-, Lern- und Arbeitsbuch für die pädagogi-
sche und betriebliche Praxis; Ökotopia Verlag; Münster 2008.
G. Müller: Systemisches Coaching im Management, Das Praxisbuch für Neueinsteiger und Profis, 2. Auflage, Beltz
Verlag, Weinheim, Basel, Berlin 2006.
S. Radatz: Beratung ohne Ratschlag; Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen; Ein Praxisbuch mit
den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten; 6. unveränderte
Auflage; Verlag systemisches Management; Wien 2009.
P. Szabò, I. Kim Berg: Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung, 2. Auflage, Verlag Borgmann Media, Dortmund 2009.
30
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Grundhaltung des Coach im systemischen CoachingDI Ingeborg Steiner
1. Einleitung
1.1. Aufbau der Arbeit
2. Kriterien für die Haltung des Coach in einem erfolgreichen
und zielführenden systemischen Coachingprozess
2.1. Die innere Haltung des Coach gegenüber seinem Coachee
2.2. Behutsamkeit
2.3. Respekt
2.4. Wert- und wertungsfreies Anerkennen des Themas
2.5. Ziel- und Lösungsorientiertheit statt Problemfokus
3. Humanistisches Welt- und Menschenbild
3.1. Grundpfeiler personenzentrierter Gesprächsführung nach Carl R. Rogers
3.1.1. Wertschätzung (Akzeptanz)
3.1.2. Authentizität (Echtheit, Kongruenz)
3.1.3. Empathie (Einfühlungsvermögen)
3.2. Rapport
4. Systemisch-konstruktivistisches Denken als Grundlage der Berater-Haltung im Coaching
4.1. Was ist ein System?
4.1.1. Eigenschaften eines Systems
4.1.2. Systemtheorie und Coaching
4.2. Konstruktivismus
4.2.1. Grundannahmen konstruktivistischen Denkens
5. Abschluss/Zusammenfassung
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Thema „Haltung“ im systemischen Coachingprozess löste sofort etwas in mir aus, brachte etwas zum Schwingen.
Ich spürte, dass es mit der Haltung, der Einstellung des Coach etwas ganz Wesentliches auf sich hatte, und dass die ent-
sprechende Grundhaltung, nebst fachlicher Qualifikation, einer der gelingenden Faktoren im Coaching sei. Im Idealfall
verfügt ein Coach über besondere Eigenschaften wie beispielsweise eine realistische Selbsteinschätzung, emotionale
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Stabilität, ein gesundes Selbstwertgefühl, Verantwortungsbewusstsein, intellektuelle Beweglichkeit und Einfühlungsver-
mögen. Tiefes Verständnis für das menschliche Sein sowie Achtung und Respekt vor dem individuellen Weg und den
individuellen Lernaufgaben jedes Menschen und vor der innewohnenden Intelligenz jedes Systems jedoch, stellen für
mich Grundlage und Krönung eines jeden Coachings dar.
Im Coachingprozess, eine Begegnung gleichrangiger Beteiligter, soll der Coachee dabei unterstützt werden, Ziele zu
finden, für die es sich für ihn persönlich lohnt, aktiv zu werden.
Coaching fokussiert die Aufmerksamkeit des Coachee auf seine Ressourcen, auf das Machbare und somit weg von einer
Konzentration auf angeblich oder tatsächlich vorhandene Defizite (vgl. Juchniewicz 2008, S. 9). Systemisches Coaching
ist ein Veränderungsprozess auf der Basis von Kooperation. Da der Coachee selbst als Experte für die anstehende Ver-
änderung gilt, legt er die Richtung und Geschwindigkeit des Prozesses fest (vgl. Müller 2003, S. 8 ff).
Ziel ist es, den Klienten auf der Grundlage eines ebenbürtigen Vertrauensverhältnisses anzuregen, seine Wahrnehmun-
gen, Bewertungen, Handlungs- und Verhaltensmuster offen und frei zu hinterfragen. In diesem Rahmen wird es auch
ermöglicht, die persönlichkeitsprägenden Glaubenssätze des Coachee zu überprüfen und ihn in seiner Lösungsfähigkeit
zu stärken und damit ein Klima zu schaffen, in welchem der Wunsch nach Veränderung aus eigener Erkenntnis und
Einsicht entstehen kann (vgl. Juchniewicz et al. 2008, S. 9).
Haltung soll im Rahmen dieses Beitrags als Gesinnung des Coach verstanden werden und seine Vorgehensweise im
Coachingprozess und die Bedeutung dessen vor dem Hintergrund des systemisch-konstruktivistischen Ansatzes mit-
einschließen.
Roswita Königswieser bezeichnet den gesamten systemischen Ansatz als Haltung: „Allerdings ist die Aneignung dieses
Ansatzes nicht so einfach, da es sich letztlich um eine Haltung und damit um mehr als um kognitiv erlernbares Knowhow
handelt“ (Königswieser/Hillebrand 2005, S. 7).
1.1. Aufbau der Arbeit
Zu Beginn des Beitrags erfolgt eine Auseinandersetzung mit dem Begriff der Haltung im Coaching, anschließend werden
die Kriterien für die Haltung des Coach in einem systemischen Coachingprozess erläutert.
In der Folge wird die Grundhaltung des Coach im Prozess anhand der personenzentrierten Gesprächsführung nach
Rogers beschrieben.
Wie bereits erwähnt, basiert die Haltung des Coach auf einem humanistischen Welt- und Menschenbild in Verbindung
mit dem systemisch-konstruktivistischen Ansatz. Diese Basis der inneren Haltung als auch die zugrundeliegenden Denk-
haltungen (Systemtheorie, Konstruktivismus) sollen im Anschluss genauer betrachtet werden. Am Ende der Arbeit sollen
die wichtigsten Kriterien für die Haltung des Coach im systemisch-konstruktivistischen Coachingprozess nochmals
zusammengefasst werden.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2. Kriterien für die Haltung des Coach in einem erfolgreichen und zielführenden systemischen Coachingprozess
2.1. Die innere Haltung des Coach gegenüber seinem Coachee
Der Coach tritt seinem Coachee mit Respekt für die Gestaltung seines Lebens in der Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft entgegen und geht von dessen Autonomie aus, sein Leben selbst verändern und gestalten zu können (vgl. Toma-
schek 2009, S. 134). Neben einer fundierten Ausbildung und Anwendung entsprechender Techniken und Werkzeuge ist
für einen lösungsorientierten Coachingprozess eine ganz bestimmte innere Haltung des Coach unabdingbar. Was diese
innere Grundhaltung betrifft, so möchte ich hier zwei Betrachtungsweisen heranziehen:
Zum einen ist die persönliche Grundhaltung des Coach gemeint, die einem humanistischen, wertschätzenden Men-
schenbild entspricht und die in jeder Coaching-Einheit zum Tragen kommt.
Zum anderen die Grundhaltung des Coach im Coachingprozess, der in eine systemisch-konstruktivistische Umwelt
eingebettet ist.
Der Begriff „Haltung“ hat unterschiedliche Bedeutungen. Königswieser und Hillebrand (2005, S. 39) verstehen unter
Haltung „die Art und Weise, wie wir uns zu uns selbst und zu unserer Umwelt in Beziehung bringen, wie wir uns mit
unserer Außen- und Innenwelt auseinandersetzen, wie wir Beziehungen gestalten, in welchen Schienen wir denken und
wahrnehmen. Sie umschreibt, was wir für „wahr nehmen oder für falsch halten.“
Der Fokus der vorliegenden Arbeit wird daher auf folgende Bedeutungen gelegt:
- Gesinnung im Sinne der auf ein bestimmtes Ziel gerichteten Grundhaltung eines Menschen
- Einstellung im Sinne der persönlichen Meinung zu einer Angelegenheit
- Körperhaltung, die Stellung des menschlichen Körpers
„Haltung steht in enger Verbindung mit Identität, Charakter, Einstellung, Wahrnehmungsweisen und Wirklichkeitskonst-
ruktionen“ (Königswieser 2005, S. 39).
Die Haltung des Coach bildet die Grundlage für einen professionellen Coachingprozess, bei dem der Coach erklären
kann, warum er etwas macht.
Königswieser/Sonuc/Gebhardt (2006, S. 103 f.) unterscheiden in Anlehnung an das Eisbergmodell der Kommunikation
drei Ebenen der Haltung:
1. Die oberste, sichtbare Ebene bildet die Interventionsrichtung und besteht aus Themen, Handlungen und Verhalten
2. Die mittlere Ebene ist jene der Regeln und Normen sowie der Gestaltung von Beziehungen und dem
Rollenselbstverständnis des Coach
3. Die unterste Ebene und somit die Basis bilden persönliche Werte, das Weltbild sowie Glaubenssätze
Die in der Basis verankerten Werte, Einstellungen und Haltungen können nicht unmittelbar verändert werden, es bedarf
der Reflexion sowie des Willens zur Veränderung, um beim Coachee einen nachhaltigen Prozess in Gang zu bringen.
Um einen erfolgreichen Coachingprozess zu initiieren, sollte die innere Haltung des Coach gegenüber seinem Coachee
33
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
folgende Kriterien umfassen:
- Behutsamkeit
- Respekt
- uneingeschränkte Wertschätzung und Akzeptanz (in Anlehnung an das humanistische Welt- und Menschenbild)
- wert- und wertungsfreies Anerkennen des Themas (Neutralität)
- Coach als Experte für den ziel- und lösungsorientierten Prozess
- Beobachtungen relativieren
- Leading/Pacing
- Ziel- und Lösungsorientierung
Einige der hier genannten Punkte werden in der Folge genauer betrachtet:
2.2. Behutsamkeit
Die große Kunst beim systemischen Coaching besteht vor allem darin, behutsam mit dem Coachee umzugehen. Das
impliziert, dass seine Einstellungen, Themen und die jeweilige persönliche Geschichte achtsam behandelt werden. Es ist
darauf zu achten, den Coachee nicht mit schlecht vorbereiteten und nicht an seine Bedürfnisse angepassten Fragen und
Interventionen abzuschrecken oder gar seine Integrität oder Würde zu verletzen (vgl. Tomaschek 2009, S. 119).
2.3. Respekt
Der systemisch-konstruktivistische Coachingprozess wird als Expertentreffen gesehen: Der Coach ist Experte für den
ziel- und lösungsorientierten Prozess, der Coachee für seinen spezifischen Kontext. Daher muss das Klientensystem mit
seiner Eigenlogik und Eigendynamik respektiert und wertgeschätzt werden. Der Coach nimmt sich zurück und begleitet
den Coachee auf dem Weg zu seiner Lösung. Der Coach anerkennt die Einzigartigkeit des Coachee und enthält sich dabei
auch moralischer Belehrungen. Wichtig ist auch, dass er Diskretion bezüglich des Themas des Coachee bewahrt.
2.4. Wert- und wertungsfreies Anerkennen des Themas
Der Coach vermeidet eine Bewertung der Aussagen und somit eine Be- oder Verurteilung des Coachee. Im Konflikt
zwischen Erhalten und Bewahren des Problems und dessen Veränderung (Mut zum Bewahren vs. Mut zur Veränderung)
agiert der Coach neutral, denn nur so ist es ihm möglich, beim Coachee nachzufragen, was die Kosten der Veränderung
bzw. des Bewahrens wären (vgl. Schlippe/Schweitzer 2003, S. 119).
Eigene Hypothesen oder Empfindungen kann der Coach äußern, indem er sie dem Coachee als unverbindliches Angebot
darlegt. Dies kann durch Formulierungen im Konjunktiv oder durch hypnosystemische Techniken realisiert werden.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2.5. Ziel- und Lösungsorientiertheit statt Problemfokus
“Problem talking creates problems. Solution talking creates solutions.”
Dieses Zitat von Steve de Shazer lenkt den Fokus des Coachingprozesses auf die Lösung und fokussiert somit direkt die
Ressourcen des Coachee.
Als zentraler Bestandteil einer systemischen Coachinghaltung ist das inhaltliche, sprachliche (z.B. durch positives Wor-
ding) und körperliche Fokussieren auf Vision, Ziel und Lösung zu sehen.
Die „Rolle“ bzw. Situation des Coachee lässt sich folgendermaßen beschreiben:
ist Experte für sein Thema
- ist selbst Teil mehrerer Systeme (z. B. Familie, Organisation)
- Handeln macht in seinem Kontext Sinn
- handelt aufgrund persönlicher Wahrnehmungen, Erlebnisse und Erfahrungen
3. Humanistisches Welt- und Menschenbild
Exemplarisch für ein Welt- und Menschenbild und somit für eine Grundhaltung im Coaching kann das humanistische
Welt- und Menschenbild angesehen werden.
Es umfasst folgende Annahmen: Der Mensch ist im Grunde gut. Er ist fähig und bestrebt, sein Leben selbst zu bestimmen
(Autonomie), ihm Sinn und Ziel zu geben. Der Mensch ist eine ganzheitliche Einheit (Körper-Seele-Geist).1
In neueren Ansätzen wird die stark individuelle Sichtweise ergänzt durch die Betonung der sozialen und gesellschaftli-
chen Bezogenheit des Menschen.
Welchen Bezug beide Bilder (Welt- und Menschenbild) auf das Coaching haben, beschreibt folgendes Zitat:
„Für ein erfolgreiches Coaching ist die Grundhaltung – die Lebensanschauung – des Coach von großer Bedeutung.
Der Coach muss sich seines ethischen Verständnisses bewusst sein, da dies maßgeblich die Qualität der Gespräche
bestimmt. Das Menschenbild des Coach ist das Fundament, auf dem sich das Coaching entwickelt.“2
3.1. Grundpfeiler personenzentrierter Gesprächsführung nach Carl R. Rogers
Basierend auf dem zuvor beschriebenen humanistischen Welt- und Menschenbild wird hier genauer auf die Basis der
personenzentrierten Gesprächsführung eingegangen. Nach Carl Rogers, dem Begründer der personenzentrierten Ge-
sprächsführung, aktiviert der Berater durch Authentizität und Empathie positive Kräfte des Klienten. Um eine relevante
Veränderung im Coachee zu bewirken, sollte der Coach folgende Eigenschaften in die Beziehung zum Coachee einbrin-
gen (vgl. Wingchen 2006, S. 56 ff.):
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
3.1.1. Wertschätzung (Akzeptanz)
Bedingungslose positive Wertschätzung gegenüber dem Coachee mit allen Schwierigkeiten und Eigenheiten. Die An-
nahme des Gegenübers und seines Problems bedeutet nicht, dass der Coach alles gutheißen oder verstehen muss und
schließt auch wertschätzend formulierte Kritik am Verhalten nicht aus.
3.1.2. Authentizität (Echtheit, Kongruenz)
Diese Offenheit schließt auch Echtheit in dem Sinne ein, dass Coaches nicht nur als Fachpersonen auftreten, sondern
sich auch und besonders als Person dem Coachee gegenüber zu erkennen geben. Bei der Kongruenz können verschie-
dene grundsätzliche Echtheitsformen unterschieden werden. Echtheit im Sinne von Konfrontation mit dem Coachee,
Echtheit im Sinne von Klärung des Beziehungsgehaltes mit dem Coachee oder im Sinne einer Selbstmitteilung des
Erlebens des Coach an den Coachee (vgl. Finke, 2004). Es gilt der Grundsatz, dass man sich als Coach im Zweifelsfall
authentisch verhalten soll.
3.1.3. Empathie (Einfühlungsvermögen)
Mitfühlen, Mitschwingen (ohne Mitleid zu haben)
Empathie ist die Fähigkeit einer Person, den Zustand einer anderen Person genau wahrzunehmen und ihr das auch
angemessen mitzuteilen. Grundformen sind beispielsweise die Wiederholung beziehungsweise die Konkretisierung des
vom Coachee Gesagten, die Empathie mit Bezug auf das Selbstkonzept des Coachee sowie auch mit Bezug auf dessen
Erleben, das seine Haltung prägt (vgl. Finke, 2004). Empathie steht auch in engem Zusammenhang mit dem Terminus
Rapport auf den im folgenden Abschnitt näher eingegangen wird. Diese empathische, authentische und wertschätzende
Haltung des Coach prägt die Beziehung zum Coachee, der sich aufgrund dessen selbst zunehmend empathisch, authen-
tisch und wertschätzend zuwenden kann (wachsende Selbstakzeptanz). Die konkrete Realisierung dieser Haltungen ist in
jedem Coachingprozess auf den jeweiligen Coachee abzustimmen und mündet somit in einen individuellen, personen-
zentrierten Prozess.
3.2. Rapport
Der Begriff Rapport stammt aus dem Französischen und bezeichnet den intensiven Kontakt zwischen interagierenden
Personen, der von Vertrauen und emotionaler Offenheit geprägt ist (vgl. Rückerl 2006, S. 381 f.).
Diese starke Form der Empathie ist unerlässlich für einen gelungenen Einstieg in eine Coachingeinheit und in weiterer
Folge für einen gelungenen Coachingprozess.
Aus meinen Beobachtungen und eigenen Erfahrungen ist dies – neben einer offenen und unvoreingenommenen Einstel-
36
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
lung dem Coachee gegenüber – einer der wesentlichsten Punkte. Und womöglich auch DAS Geheimnis.
Rapport bedeutet unmittelbarer Kontakt, auf dem die Verständigung zweier Menschen basiert.
Ein guter Rapport zwischen Coach und Coachee zeigt sich, wenn sich ihre Bewegungen aufeinander beziehen (wenn z.B.
der Coach den Coachee spiegelt) und sich ihre Körpersprache synchronisiert (vgl. Rückerl 2006, S. 382).
Entsprechend des Leading und Pacing bleibt der Coach mit dem Coachee in Rapport und übernimmt dessen Sprach-
muster, Themen und das Sprechtempo (vgl. Tomaschek 2009, S. 136).
Treten Menschen miteinander in Kontakt, passt sich in der Regel meist unbewusst ihre verbale und nonverbale Kom-
munikation einander an. Je positiver der Kontakt durch den Einzelnen bewertet wird, desto stärker ist seine Anpassung
(Bezogenheit) an das Gegenüber.
Menschen neigen bei bestehendem Rapport dazu, einander tendenziell positiv zu bewerten, sich eher zu vertrauen und
Gesagtes weniger kritisch aufzunehmen.
Rapport wird hergestellt durch:
- angeglichenen Atemrhythmus
- ähnliche Körperhaltung und Bewegungen
- Pacing
4. Systemisch-konstruktivistisches Denken als Grundlage der Berater-Haltung im Coaching
4.1. Was ist ein System?
Ein System ist ein nach Prinzipien geordnetes Ganzes, ein vereinfachtes, nicht angreifbares Modell der Realität.
Jedes System hat eine Struktur, bestehend aus:
- Regeln, die im jeweiligen System gelten
- bestehenden Beziehungsmustern
- Handlungs- und Kommunikationsmustern der jeweiligen Menschen im System
Die Beziehungen und die Sprache im jeweiligen System werden von der Struktur eben dieses Systems geprägt.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Systemisch-konstruktivistisches Modell eines Systems:
Erstellt in Anlehnung an Radatz 2000, S. 58
4.1.1. Eigenschaften eines Systems
Jedes System ist dynamisch und komplex, d. h. jeder Mensch wird von der Dynamik der Systeme, in denen er Mitglied
ist (z. B. Familie, Unternehmen, Gemeinde, Gesellschaft) beeinflusst und geprägt. Je nach System, in dem sich ein
Mensch befindet, verhält er sich entsprechend unterschiedlich. Systeme bleiben nicht statisch, sie verändern und ent-
wickeln sich ständig weiter.
4.1.2. Systemtheorie und Coaching
„Individuen und soziale Systeme werden als autonome, sich selbst organisierende Systeme aufgefasst, die ihre jeweili-
gen Wirklichkeiten konstruieren.“ (Grau, Möller 1990)
Für das Coaching bedeutet dies, dass für den Coachee neue Beobachtungsmöglichkeiten geschaffen werden, die ihm
helfen sollen, sein System neu und aus einem anderen Blickwinkel sehen zu können.
Ein soziales System kann nur dann von außen verändert werden, wenn die Maßnahme zum inneren Zustand des Systems
passt.
Aus systemischer Sicht haben Probleme immer einen Sinn. Jedes Problem hat Nach-, aber auch Vorteile, bietet Chancen
und Gefahren. Bei der Beratung ist deshalb zu beachten, was der Nutzen und die Kosten der Problemlösung im Vergleich
zur Problemerhaltung sind. Für das Coaching bedeutet dies wiederum, dass der Coach eine Intervention entsprechend
der Befindlichkeit des Systems auszuwählen hat.
Strukturim engeren
Sinn
Beziehungen
Handlungen,Kommunikationen
Soziale Systeme
Struktur im weiteren Sinn
Rahmenbedingungen, die wir intern weitergeben
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Systemisches Denken heißt zirkulär denken (vgl. Radatz 2009, S. 62).
Die in der Systemtheorie angewandte zirkulär-kausale Denkweise (im Gegensatz zur linear-kausalen Denkweise) bedeu-
tet, gewissermaßen im Kreis zu denken. Alles ist mit allem vernetzt, das eigene Verhalten und das der Anderen stehen im
System in Wechselbeziehung zueinander.
Im Coaching heißt das, der Coach stellt gezielte zirkuläre und systemische Fragen, um die Wechselbeziehungen und das
Verhalten des Coachee im System zu beleuchten.
Systemisches Denken bedeutet, in Auswirkungen zu denken (vgl. Radatz 2009, S. 67). Aus systemischer Sicht gibt es
kein „richtig“ oder „falsch“, sondern nur ein „passend“ (zu System, Situation, Kultur, zu Forderungen, die von außen
gestellt werden) oder „nicht passend“.
Für das Coaching bedeutet dies, was „passend“ oder „nicht passend“ ist, bewertet einzig der Coachee nach seinen Er-
fahrungen, Einstellungen und Zielen.
4.2. Konstruktivismus
4.2.1. Grundannahmen konstruktivistischen Denkens
„Die Umwelt, die wir wahrnehmen, ist unsere Erfindung.“ (Heinz von Foerster, 1973). Basierend auf diesem Zitat Heinz
von Foersters sollen nun diverse Aussagen des Konstruktivismus in Hinblick auf ihre Bedeutung für den Coachingpro-
zess näher beleuchtet werden.
Eine objektive Wirklichkeit gibt es nicht
Dies ergibt sich daraus, dass jeder Mensch in seiner einzigartigen Welt lebt, die sich durch seine Sinneswahrnehmungen
und seine individuellen Erfahrungen geformt hat.
Jeder Mensch legt sich ein eigenes Bild von der Wirklichkeit zu („Wirklichkeitskonstruktionen“), gegründet auf die Wahr-
nehmung seiner fünf Sinne, egal, wie die Außenwelt tatsächlich sein mag.
So wird die Welt von uns erforscht und wahrgenommen und eine eigene innere Landkarte angelegt. Obwohl die äußere
Welt eine Unendlichkeit an möglichen Sinneseindrücken darstellt, können wir nur einen kleinen, ganz spezifischen Teil
davon wahrnehmen. Und dieser kleine Teil durchläuft in weiterer Folge unsere inneren Filter von erlebten Erfahrungen,
Einstellungen, Werten, Interessen und Annahmen und unserer Kultur. Auf diesen „Wirklichkeitskonstruktionen“ und
inneren Landkarten basiert unser ganzes Denken und Handeln.
Für das Coaching bedeutet dies, dass sich ein Coach zunächst mit der inneren Landkarte des Coachee beschäftigen
muss, da er nie von seinem eigenen Verständnis der Welt ausgehen kann. Und dass er einen Blick hinter dessen Begriffs-
welt machen muss, um zu erkennen, was das Gegenüber mit einem bestimmten Begriff verbindet.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Niemand kann objektiv beobachten
Für einen Coach muss es klar sein, dass ein neutrales Beobachten nicht möglich ist. Denn auch die Sichtweise von
Außenstehenden ist stets von deren subjektiven Vorstellungen und Einstellungen gefärbt. Außerdem ist jeder Beobachter
immer auch Teil der Beobachtung.
Dieser Punkt wird auch ausschlaggebend für die Wahl der Problemlösung sein, die wohl gemäß der eigenen inneren
Wirklichkeit ausfallen wird.
Jedes Handeln macht Sinn für den Handelnden und hat einen dahinter liegenden Nutzen
Menschen handeln immer so, wie es in ihrem Kontext und zum Zeitpunkt des Handelns für sie am meisten Sinn macht.
Insofern handeln Menschen auch in allen Situationen im Augenblick des Handelns bestmöglich.
Für das Coaching bedeutet dies, dass Ziel und Nutzen des Handelns herauszufiltern sind, für den Coachee erkennbar
gemacht werden
und dann gegebenenfalls gemeinsam mit dem Coachee ein neues Verhalten
gefunden werden soll, in dem ebenfalls der Nutzen des vorangegangenen Verhaltens integriert ist.
Menschen „sind“ nicht, Menschen „verhalten“ sich
Diese Tatsache ist vor allem im Coaching-Kontext sehr positiv, denn sie lässt einfach offen, dass ein Mensch sich in
einer neuen Situation, in einem neuen Umfeld, völlig anders verhalten kann.
5. Abschluss/Zusammenfassung
Abschließend und zusammenfassend eine treffende Auflistung von Kriterien (vgl. Tomaschek 2009, S. 134 ff), die für
ein kompetentes systemisch-konstruktivistisches Coaching als erfolgversprechend gelten und die in der Haltung eines
Coach Ausdruck finden und darin widergespiegelt werden:
- Atmosphäre schaffen
- Respekt zeigen
- Vorurteile vermeiden und positiv werten
- Vernetzung bedenken
- zirkulär-systemisch fragen
- Ausnahmen hervorheben
- Ziele einführen
- konkretes Handeln erfragen
- Führung behalten (Leading)
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Schritt halten (Pacing)
- Polarität nützen
- Entscheidungsfreiheit wahren
„Ziel ist es, die Lernenden ein Stück ihres Weges zu begleiten, zu sensibilisieren, gemeinsam für sie relevante Themen
und Arbeitsformen auszuwählen und mögliche Wege und Erkenntnisse aufzuzeigen und zu probieren.“ (Carl Rogers)
Gleich zu Beginn meiner Ausbildung – sowohl jeweils in der Rolle der Coach als auch in der Rolle der Coachee – merkte
ich, welche Wirksamkeit das Setting des systemischen Coachings in sich birgt, ja, welcher Zauber ihm innewohnt.
Mich berührte genau diese Herangehensweise, diese Haltung, nämlich den Coachee seinen eigenen Experten sein zu
lassen und gemäß dem ressourcenorientierten Ansatz, mit ihm gemeinsam zu erarbeiten, wieviel schon an Fähigkeiten
und Fertigkeiten – an Ressourcen – da ist und mehr davon zu generieren und ins tägliche Leben einfließen zu lassen.
Anstatt in Form einer „Problemtrance“ im Problem hängen zu bleiben, wird sowohl mit dem nötigen Know-how und
jeweils passenden Tools, als auch mit Feingefühl, Respekt und einer guten Portion Humor, empathisch auf Lösung und
Vision fokussiert.
Einen Menschen auf diese Weise, mit dieser Grundhaltung, auf dem Weg zu seinem Ziel zu begleiten und im besten Fall
in sein volles Potenzial zu führen, mitzuerleben, was möglich wird, erfüllt mich jedes Mal mit einer tiefen Rührung und
Ehrfurcht vor dem menschlichen Sein, mit all seinen Höhen und Tiefen.
Abschließen möchte ich mit einem Zitat von Königswieser/Exner: “Die wirkungsvollsten Interventionen sind solche, die
‘Herzen öffnen’ und somit Strukturveränderungen tragen. Den Ausschlag gibt letztlich die Haltung, wenn wir eine Inter-
vention setzen” (Königswieser/Exner 1998).
6. Literaturverzeichnis
Finke, Jobst (2004): Gesprächspsychotherapie. Grundlagen und spezifische Anwendungen.
3. Auflage. Stuttgart: Thieme
Grau, Uwe und Möller, Jens (1990): Was wäre, wenn? – Problem(auf)lösungshilfen; in:
Königswieser, Roswita / Lutz, Christian (Hg.): Das systemisch evolutionäre Management. Wien: Orac
Juchniewicz, Bernhard; Ulkan, Angelica; Niessing, Frank (2008): Das Menschenbild. Leitbild im Coaching
oder Lehr- und Wanderjahres eines Coaches. 57. ECA (European Coaching Association) Fachartikel, Düsseldorf.
http://www.european-coaching-association.de/i/57%20%20eca%20fachartikel%20-%20das%20menschenbild%20
-%20leitbild%20im%20coaching.pdf (abgerufen am 1.09.2010)
41
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Kretz, Heike (o.J.): Grundhaltung im Coaching.
http://www.infoquelle.de/Management/Coaching/Coaching_Voraussetzung.php (abgerufen am 23.8.2010)
Müller, Gabriele (2003): Systemisches Coaching im Management.
Das Praxisbuch für Neueinsteiger und Profis. Weinheim: Beltz Verlag
Königswieser, Roswita und Exner, Alexander (1998): Systemische Intervention.
Architekturen und Designs für Berater und Veränderungsmanager, Stuttgart: Klett-Cotta
Königswieser, Roswita und Hillebrand, Martin (2005): Einführung in die systemische Organisationsberatung.
Heidelberg: Carl-Auer Verlag
Königswieser, Roswita; Sonuc, Ebru; Gebhardt, Jürgen (2006): Komplementärberatung.
Das Zusammenspiel von Fach- und Prozeß-Know-how. Stuttgart: Schäffer-Poeschel
Radatz, Sonja (2009): Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.
6. Auflage, Wien: Verlag Systemisches Management
Rückerl, Thomas und Rückerl, Torsten (2008): Coaching mit NLP-Werkzeugen. Weinheim: Wiley-VCH Verlag
Schlippe, Arist von und Schweitzer, Jochen (2003): Lehrbuch der Systemischen Therapie und Beratung.
10. Auflage, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Tomaschek, Nino (2009): Systemisches Coaching. Ein zielorientierter Beratungsansatz.
2. Auflage, Wien: Facultas
Wingchen, Jürgen (2006): Kommunikation und Gesprächsführung für Pflegeberufe. Ein Lehr- und Arbeitsbuch.
2. Auflage, Köln: Kunz Verlag
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Funktion der Sprache im CoachingprozessMag. Birgit Krenmayr
„Wenn Du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen, um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu
vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre sie die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer.“
Antoine de Saint-Exupéry
1. „Zauberkraft“ der Sprache in Wissenschaft, Gesellschaft und individueller Kommunikation
Sprache wird in zahlreichen Kulturen als wirkungsvolles Vehikel zur Vermittlung von Leitbildern der Gemeinschaft ge-
nutzt. Die tradierten und eigenen Erfahrungen schaffen neuronale Verschaltungen im Gehirn, die Denken, Fühlen und
Handeln bestimmen. Durch gezielten Einsatz der Sprache im Coaching können neue Bahnungen im Gehirn erzeugt
werden, die die Kraft besitzen, „innere Bilder“ und Einstellungen zu verändern.
1.1 Soziale Bedeutung der Sprache
In einem wissenschaftlichen Kontext das Wort „Zauber“ zu verwenden, erscheint gewagt. Und doch war es Sigmund
Freud, der im Rahmen einer Vorlesung zur Einführung in die Psychoanalyse 1915 sagte: „Worte waren ursprünglich
Zauber, und das Wort hat noch heute viel von seiner alten Zauberkraft bewahrt. Durch Worte kann ein Mensch den
anderen selig machen oder zur Verzweiflung treiben ... Worte rufen Affekte hervor und sind das allgemeine Mittel zur
Beeinflussung der Menschen untereinander.“1 Für die Relevanz dieser Sätze spricht die zigfache Zitierung dieser Aussage
seitens zahlreicher Experten im Coachingbereich wie u.a. von Steve de Shazer, Gründer des Brief Family Therapy Centers
in Milwaukee (Wisconsin) und Leitfigur des Systemischen Coachings.
Die Wirkung der Sprache zur Vermittlung von Visionen und Botschaften einzusetzen, machen sich Schriftsteller, aber
auch zahlreiche Kulturen zur Weitergabe von Traditionen und „Weisheiten“ ihrer sozialen Gemeinschaft u.a. in Form von
Gleichnissen und Märchen zunutze. Der Neurobiologe Gerald Hüther verwendet hierfür den Begriff der „inneren Bilder“:
„Mit Hilfe der Sprache wurden handlungsleitende innere Bilder ... von einer Person zur anderen übertragbar, kommuni-
zierbar ... Auf diese Weise entstand ein ständig wachsender, kulturell tradierter Schatz kollektiver Bilder von im Verlauf
der bisherigen Entwicklung einer Gemeinschaft bei der Bewältigung innerer und äußerer Probleme gemachten Erfahrun-
gen“ (Hüther, S. 37)2. Bekannt hierfür ist insbesondere die persische Erzählkunst – allen voran die Geschichten aus „Tau-
sendundeiner Nacht“: In der Rahmenhandlung dieser Märchensammlung fasst König Schahrayâr, der von seiner Frau
betrogen wurde, den Entschluss, sich von keiner Frau mehr hintergehen zu lassen. So heiratet er jeden Tag eine neue
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Frau, die er am nächsten Morgen töten lässt. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, lässt sich die kluge Scheherazade,
Tochter des Wesirs des Königs, von ihrem Vater dem König zur Frau geben. In der ersten Nacht beginnt sie, ihrem Mann
Geschichten zu erzählen, die jedes Mal an einer entscheidenden Stelle am nächsten Morgen abbrechen. Interessiert am
Ausgang der jeweiligen Geschichte, lässt der König seine Frau am Leben. Nach 1001 Nächten und der Geburt dreier
gemeinsamer Kinder ist der König aufgrund der weisen Geschichten seiner Frau von deren Treue und Klugheit überzeugt,
hat seine Einstellung zum Leben sowie seiner Frau gegenüber geändert und lässt sie leben.
1.2 Wirkung der Sprache auf die neuronalen Verschaltungen des Gehirns
Unser Sprachgebrauch ist unter anderem dafür verantwortlich, welche neuronalen und synaptischen Verschaltungen in
unserem Gehirn gebahnt und gefestigt werden. Abgespeicherte synaptische Verschaltungsmuster bzw. „innere Bilder“
können zur Vorlage für eigene Handlungen werden und Denken, Fühlen und Handeln bestimmen. „Je häufiger diese
einmal entstandenen Verschaltungsmuster durch eigene Erfahrung und Erlebnisse aktiviert, durch eigenes Handeln er-
neut abgerufen oder in der bloßen Vorstellung wieder wachgerufen werden, desto stärker werden die daran beteiligten
synaptischen Verbindungen und neuronalen Verschaltungen gefestigt“ (Hüther, S. 87)3. Die moderne Gehirnforschung
konnte nachweisen, dass sich das menschliche Gehirn bis ins hohe Alter entsprechend seiner Nutzung weiterentwickeln
kann und somit auch neue synaptische Bahnungen geschaffen werden können. Im Coaching ist es Ziel, diese Fähigkeit
des Gehirns zu nutzen und lösungsfokussiert neue „innere Bilder“ zu schaffen, die nicht uns, sondern die wir selbst
bestimmen.
Im Coaching wird diese Macht der Sprache im Rahmen von verschiedenen Interventionen, auf die in der Folge näher
eingegangen wird, bewusst eingesetzt: u.a. um die Aufmerksamkeit auf die eigenen Ressourcen zu lenken, neue Vernet-
zungen im Gehirn zu bahnen und letztendlich die innere Haltung eines Menschen zu verändern, mit der sich automatisch
auch dessen Umwelt wandelt – denn äußere Prozesse sind stets ein Spiegelbild der inneren Einstellung bzw. Prozesse.
2. Keywords: Subjektivität von Begriffen
Im Coachinggespräch fallen immer wieder Keywords, die Schlüssel zur Welt des Coachees darstellen. Diese Schlüssel-
begriffe sind jedoch mit den ganz persönlichen Erfahrungen des Coachees aufgeladen, sodass der Coach niemals mit
Sicherheit wissen kann, was sein Klient unter diesen konkret versteht. Hypothesen sind daher zu prüfen, der Coach kann
durch Fragen inhaltsfrei führen – Experte für sein Problem bleibt immer der Coachee.
Bei einem Coachinggespräch ist präzise auf die Keywords und -sätze zu achten, die ein Coachee zur Darstellung seines
Themas verwendet. Diese fallen häufig noch vor dem „offiziellen“ Beginn eines Coachinggesprächs im Rahmen der
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Begrüßung: Äußerungen in dieser Phase werden vom Coachee zumeist unbewusst bzw. spontan getätigt und unterliegen
weniger stark seiner Kontrolle, welche Information über sein Thema er dem Coach vermitteln soll. Die Keywords und
-sätze sind Schlüssel dazu, wie der Coachee sein Thema und die Welt um sich wahrnimmt und liefern dem Coach wert-
volle Ansatzpunkte für das Coachinggespräch.
Allerdings ist die einem Begriff immanente Bedeutung stets subjektiv, d.h. der Coach ist niemals in der Lage, genau zu
wissen, was sein Coachee unter einem bestimmten Begriff konkret versteht. “Weder der Autor oder Sprecher noch der
Leser oder Zuhörer können mit irgendeiner Sicherheit wissen, was der andere wirklich gemeint hat, denn jeder von ihnen
bringt in die Begegnung seine gesamte bisherige und einzigartige Erfahrung mit ein.“, bringt Steve de Shazer diese Er-
kenntnis auf den Punkt.4 Auch wenn wir annehmen, dass wir die Sprache des Coachees verstehen, dürfen wir uns nicht
Spekulationen hingeben, sondern haben Details – die Art, wie etwas gesagt wird, sowie Körpersprache und somatische
Marker – genau zu beachten und nachzufragen bzw. zu überprüfen, ob unsere Annahme berechtigt ist.
Praxisbeispiel:
Im Rahmen einer Intervention zur Ressourcenstärkung zählt eine Designerin ihre besonderen Fähigkeiten auf – unter an-
derem nennt sie im Zuge dessen „Das Auge“. Naheliegend ist die Interpretation, dass darunter ihr Blick für u.a. Farbkom-
binationen und verschiedene mit Design verbundene Eigenschaften zu verstehen sind. Bei Überprüfen dieser Hypothese
stellt sich jedoch heraus, dass dieser Begriff für die Coachee Menschenkenntnis, genaue Beobachtungsgabe, Wachheit,
Offenheit für Neues, die Fähigkeit, hinter Dinge zu blicken, etc. umfasst. Es ist davon auszugehen, dass die näheren
Ausführungen der Coachee nur einen Teil dessen definieren, was „Das Auge“ tatsächlich für sie bedeutet – weshalb es
wesentlich ist, mit dem von ihr eingebrachten Begriff weiterzuarbeiten.
Im Coaching wird der Coachee – im Gegensatz zur Therapie – als Experte seines Problems und Besitzer des gesamten
zur Problembewältigung erforderlichen Wissens gesehen. Der Coach folgt lediglich den Hinweisen überall hin und ist
Experte dafür, wonach er wo suchen muss.5 Alleine der Hinweis darauf, dass Coaching keine Beratung ist, sondern eine
Begleitung bei der Selbstreflexion – im Rahmen der ein Coach den Coachee gezielt zum eigenen Lösungsansatz führt –
stärkt das Vertrauen des Coachees in seine eigenen Lösungskompetenzen.
2.1 Herstellung von Rapport durch Verwenden der Sprache des Coachees
Empathisches Angleichen der Sprache an den Coachee – ähnliche Sprachmuster, Wiederholung des Gesagten, Anpas-
sung des Sprachrhythmus – fördert eine stärkere Beziehung zwischen dem Coach und seinem Klienten. Der Coachee
fühlt sich dadurch seinem Gegenüber näher und von ihm verstanden, was seine Bereitschaft fördert, sich im Gespräch
zu öffnen.
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Praxisbeispiel:
Ein Coachee schildert ausschweifend sein Anliegen, ohne dieses auf den Punkt zu bringen. Dies lädt den Coach dazu
ein, die Ausführungen zusammenzufassen, um den Coachingauftrag zu präzisieren. Da der Coach jedoch seine eigenen
Begriffe bzw. Interpretationen für diese Kurzfassung der Ausführungen verwendet, wehrt sich der Coachee dagegen und
korrigiert diese mit – zahlreichen – eigenen Worten. Der Coach versucht es abermals mit einer Kurzfassung, bis sich
sein Klient schließlich beschwert, dass die Zusammenfassungen immer weniger mit seinem Anliegen zu tun haben.
Erst nachdem der Coach die Keywords seines Klienten durch Wiederholung hervorhebt und seine Formulierungen den
sprachlichen Eigenheiten des Coachees anpasst, fühlt sich dieser verstanden und kann sich mit dem in seiner Sprache
verfassten Vorschlag des Coaches zur Auftragsformulierung identifizieren.
Trotz Anpassung der Sprache seitens des Coaches kann es in einem Gespräch vorkommen, dass ein Coachee sprachlich
Widerstand leistet und sich immer wieder verneinend oder ablehnend äußert. In diesem Fall bewährt es sich, verständ-
nisvolle verneinende Sprachformen – wie etwa: „es ist nicht leicht ...“ – zu verwenden. „Wenn man mit „schwierigen“
Menschen mit „Widerstand“ verständnisvolle verneinende Sprachformen verwendet, so hat das vor allem den Vorteil,
dass der Kampf überflüssig wird, da es nichts mehr gibt, wogegen man Widerstand leisten und sich wehren muss“ (Prior,
S. 85)6 .
3. Installieren einer Vision als Ausgangspunkt des Coachingprozesses
Bisherige Sicht- und Verhaltensweisen sind dem Coachee sehr vertraut. Jede Änderung erfordert Anstrengung und be-
deutet Ungewissheit, was diese bringen wird. Um seine gewohnten Denkmuster zu verlassen, braucht der Coachee daher
eine starke Motivation in Form eines attraktiven Zielzustandes bzw. einer Vision sowie das Vertrauen, dass er diese(n)
auch erreichen kann.
Eine Vision muss mit allen Sinnen erlebt werden, sodass sich eine neue Welt des Empfindens, Fühlens und Wahrneh-
mens erschließt. Dass Überzeugungen dissoziierte Ansammlungen von Konzepten und Ideen bleiben, bis sie durch ihre
Verbindung zu unserer Physiologie, unseren inneren Zuständen und Emotionen Kraft erhalten, bringt ein altes Sprich-
wort aus Neu Guinea auf den Punkt: „Wissen ist nur ein Gerücht, bis es sich in den Muskeln befindet“.7
Wird der Zielzustand durch detaillierte, emotionale Beschreibungen mit allen Sinnen (Sehen, Hören, Spüren, Riechen,
Schmecken) erlebbar, prägt sich dieser beim Coachee ein. Es wird unmittelbar spürbar und dadurch das Vertrauen
gestärkt, dass aus eigener Kraft Veränderung möglich und das Gewünschte zugänglich ist. Es bewährt sich, beständig
weitere Details zu erfragen – was es denn noch an Empfindungen gebe –, um ein möglichst umfassendes Erleben zu
ermöglichen. Je differenzierter und detaillierter der Coachee den Wunschzustand beschreibt, desto intensiver ist die
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Vision erlebbar, wodurch sie erst tatsächlich realisierbar wird und wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt. Nach-
haltig effektiv ist es, dieses Zielerleben mit einem Symbol für diesen Zustand – wie z.B. Einnehmen einer bestimmten
Körperhaltung – zu koppeln und dadurch „abrufbar“ zu machen. Diese Erkenntnis wird auch beim „Zielgehen“ genutzt.
s. TOOLBOX
4. „Lösungstrance“ durch Aufmerksamkeitsfokussierung
Indem die Aufmerksamkeit des Coachees auf entlastende, schutz-, kraft- und zuversichtsorientierte Erfahrungen gelenkt
wird, kann ein aktiver Prozess unbewussten Lernens in Gang gesetzt werden. Statt der bis dahin empfundenen Ein-
schränkungen werden damit die eigene Gestaltungsfähigkeit und die Existenz verschiedener Wahlmöglichkeiten erlebbar.
Die vielleicht häufigste fehlgeleitete Aufmerksamkeitsfokussierung erfolgt im Rahmen der Kindererziehung – wenn Eltern
ihrem Kind zum Beispiel eindringlich erklären, dass es nicht auf die Straße laufen soll. Effekt ist, dass genau das „Auf
die Straße Laufen“ in den Wahrnehmungsfokus des Kindes rückt. Ebenso wirken Paradoxien wie ein Straßenschild mit
der Aufschrift „Dieses Zeichen nicht beachten“.8 Bewusst eingesetzt spricht man von einer paradoxen Intervention, mit
der die Aufmerksamkeit eines Menschen indirekt und ohne, dass er sich dagegen wehren kann (gerade weil er sonst
Widerstand leisten würde), in eine bestimmte Richtung gelenkt wird. Manfred Prior nennt diese Interventionen bzw. Ir-
ritationen auch „Nicht-Vorschläge“. „Die Annahmequote der therapeutischen Vorschläge steigt bei manchen Menschen
erheblich, wenn man seine Vorschläge in Negationen verpackt ... Dabei nutzt man die Erkenntnis, dass alles, was hinter
einer Negation steht, unweigerlich für kurze Zeit innerlich aktiviert wird.“ 9
Während in einem therapeutischen Setting versucht wird, das Problem zu verstehen und dadurch eine stärkere Ausein-
andersetzung mit dem Problem in Gang gebracht wird, steht in einem Coachinggespräch die Lösung im Vordergrund.
Da es generell unmöglich ist, konkret zu erfassen, was für einen Coachee z.B. der Begriff Depression bedeutet, arbeitet
ein Coach konsequenterweise mit dem Begriff „Nicht-Depression“. Steve de Shazer dazu: „Mit dem Klienten darüber zu
sprechen, was das Problem/die Beschwerde nicht ist, z.B. „Nicht-Depression“, ist die Möglichkeit, Missverständnisse
kreativ zu nutzen. Der Fokus der „Nicht-Depression“ erlaubt es der Therapeutin und dem Klienten, auf Basis der Erfah-
rungen des Klienten außerhalb des Problembereichs gemeinsam eine Lösung zu konstruieren ... Während sie weiter über
das Nicht-Problem/die Nicht-Beschwerde sprechen, tun sie etwas anderes anstatt mehr desselben, was nicht funktioniert
hat. Je mehr sie über die „Ausnahmen“, „Wunder“ usw. sprechen, umso realer wird das, worüber sie da sprechen“.10
D.h. der Coachee wird dazu aufgefordert, sich mit dem Nicht-Problem-Zustand bzw. in weiterer Folge seinem subjektiven
Idealzustand auseinanderzusetzen, sodass dieser für ihn real greifbar wird (s. Wunderfrage). Damit wird der Coachee in
einen ressourcenstarken Zustand versetzt und motiviert, mehr von dem zu tun, was bereits einmal funktioniert hat.
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Praxisbeispiel:
Ein Manager beklagt im Rahmen eines Coachinggesprächs, dass er von seinem Job extrem frustriert ist. Auf die Frage,
ob es positive Ausnahmen gibt, führt er an, dass ihm die Arbeit im Team sehr wohl Spaß macht und er auch seinen
Aufgabenbereich durchaus spannend findet. Durch weitere Fragen zur einschränkenden Präzisierung des Frustrations-
gefühls kristallisiert sich heraus, dass der Coachee ein ausgeprägter Teammensch ist und sich in seiner erst kürzlich
erlangten Führungsrolle sehr einsam fühlt. Geführt durch lösungsfokussierte Fragen schildert der Coachee Situationen,
in denen er sich als Führungskraft tatsächlich wohl gefühlt hat und beschreibt, wie er diese herbeigeführt und wahrge-
nommen hat. Allen Beispielen ist gemeinsam, dass es ihm gelungen ist, sich mit einem oder mehreren Mitarbeitern
auszutauschen und eine persönliche Vertrauensebene aufzubauen. Die Frage, welche Führungskraft für ihn in diesem
Sinne Vorbildcharakter hat, motiviert den Coachee, sich damit auseinanderzusetzen, wie erfolgreiche Manager mit ihrer
beruflichen Rolle konstruktiv umgehen. Dieses Gedankenspiel ist für den Coachee zugleich Ansatzpunkt, zu reflektieren,
aus welchen Verhaltensweisen er für sich lernen könnte.
4.1 Prinzipien der hypnosystemischen Therapie
Gunther Schmidt, Begründer der hypnosystemischen Therapie und Leiter des Milton-Erickson-Instituts in Heidelberg,
sieht „Trancephänome“ als alltägliche Ergebnisse von Aufmerksamkeitsfokussierung – so werden z.B. stets vorhandene
Empfindungsreize erst bewusst wahrgenommen, wenn die Aufmerksamkeit darauf gelenkt wird. Die Hypnotherapie ge-
mäß Milton Erickson macht sich dieses Phänomen zunutze, indem der Coachee im Rahmen eines Gesprächs zu einer
Fokussierung eingeladen wird, sodass sich die gewünschten Erlebnisprozesse von selbst einstellen. Denn systemische
Angebote der Aufmerksamkeitsfokussierung auf entlastende, schutz-, kraft- und zuversichtsorientierte Erfahrungen kön-
nen ein Problemmuster, das durch Fokussierung der Aufmerksamkeit auf Angst- und Stressprozesse aufrecht erhalten
wird, entscheidend beeinflussen. Der Coachee wird bei der hypnosystemischen Therapie durch z.B. Fragen, Konfusi-
onstechniken, Metaphern s. TOOLBOX, Symbole, Anekdoten und andere Interventionen zu selbstorganisierten Fokus-
sierungsprozessen angeregt.
Die „Trance“ im Sinne der hypnosystemischen Therapie stellt einen aktiven Prozess unbewussten Lernens dar, durch
das die im üblichen Alltagsbezugsrahmen gelernten Begrenzungen erweitert werden. Gunther Schmidt präzisiert dies
folgendermaßen: „Ein Prinzip Erickson‘scher Arbeit ist außerdem, dass unwillkürliche Prozesse auf unbewusster Ebene
quasi autonom (also auch ohne ein dabei aktiv beteiligtes bewusstes, gezieltes Wollen) wirksam werden können. Das
sogenannte unbewusste Wissen kann so verstanden werden als sehr wichtiger, vertrauenswürdiger Bereich, dessen hilf-
reiche Kompetenzen man wie eine eigenständig funktionsfähige „Abteilung nutzen kann“.11 Durch „Trance“ können die
eigene Gestaltungsfähigkeit und die Existenz verschiedener Wahlmöglichkeiten erlebbar gemacht werden. Wesentlich ist
es dabei nicht, das Problem zu verstehen, sondern die Prozesse, die zu einem gewünschten Lösungserleben beitragen.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Gunther Schmidt knüpft an die Erkenntnisse des Neurobiologen Gerhard Roth an, dass Reize und Informationen von au-
ßen in unser neurologisches System eindringen, dieser Effekt jedoch verschwindend klein gegenüber dem internen Ge-
schehen ist. Schmidt geht daher davon aus, dass somit jede Fremdsuggestion nur als selbstgesteuerte umgesetzte Idee
wirkt. Grundlegender Gedanke der Hypnotherapie ist, dass niemals von außen etwas in einen Menschen hineingebracht
werden kann, was nicht ohnehin schon als gelebtes Potenzial gespeichert ist. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass
jeder Mensch bereits alle Kompetenzen für eine hilfreiche Lösung als Potenzial in sich trägt – auch wenn diese aufgrund
der zur jeweiligen Zeit am meisten aktiven Synapsennetzwerke zunächst noch schwer zugänglich sind.
5. Lösungssprache zur Formung der „inneren Bilder“
Unsere sprachliche Kommunikation ist Spiegel unserer Einstellungen und seelischen Prozesse – zugleich besitzt sie je-
doch auch die Kraft, unsere „inneren Bilder“ zu formen. Worte sind damit mächtige Werkzeuge des Denkens und anderer
bewusster sowie unbewusster Prozesse12, die im Coaching effektiv eingesetzt werden können.
5.1 Verbales und inhaltliches Reframing
Über die Sprache treten wir mit unseren „inneren Bildern“ in Kontakt, die weit über die Worte in ihrer allgemeinen
Bedeutung hinausreichen. „Im Widerspruch zum Alltagsverständnis findet Veränderung ... innerhalb der Sprache statt:
Worüber wir sprechen und wie wir darüber sprechen, macht einen Unterschied ... einen Unterschied in der Art, wie wir
über diese Dinge sprechen, als auch darin, wo wir nach Lösungen suchen“, präzisiert Steve de Shazer.2 Die Sprache kann
dazu genutzt werden, Glaubenssätze zu verändern, Aussagen oder Situationen neu zu interpretieren sowie anders darauf
zu reagieren und neue Perspektiven zu verankern. Wesentlich dabei ist es, die Problemsprache durch Reframing in eine
lösungsorientierte Sprache zu verwandeln, durch die der Coachee eine neue Sichtweise und ein verändertes Verständnis
der eigenen Person sowie seiner Umwelt entwickelt. Die „Neurahmung“ (Reframing), mit der lösungsfokussierende
Aspekte in den Vordergrund gestellt werden, modifiziert seine Art, die Realität wahrzunehmen und mit der Außenwelt zu
interagieren: Anstelle einengender Überzeugungen, die wie ein Wahrnehmungsfilter wirken, werden hilfreiche Perspek-
tiven entdeckt. Die Sichtweise eingeschränkter Möglichkeiten weicht derWahrnehmung zahlreicher (Entscheidungs-)
Optionen.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Problemsprache Lösungssprache (verbales und inhaltliches Reframing)
immerBeispiel: „Immer sagt mir mein Vater, was ich tun soll.“
Relativieren des Problems – statt „immer“ Verwendung von: oft; in der Vergangenheit; bisher
Beispiel: „Bisher hat mir mein Vater gesagt, was ich zu tun habe.“Durch Erfragen von „Wann nicht“ positive Ausnahmen finden und dadurch das Problem für den Coachee etwas abschwächen:
Beispiel: „Wann haben Sie sich nicht von ihrem Vater sagen lassen, was sie tun sollen?“
Andere Sichtweise durch Nennung von „Noch-nicht-Kompeten-zen“ schaffen – mittels Einsatz von „noch nicht genügend“:
Beispiel: „Ich habe noch nicht genügend Möglichkeiten gefunden, meinen eigenen Weg zu gehen.“
ob (Fragen mit „ob“ betreffen Informationen, Entscheidungen) Beispiel: „Ich will wissen, ob ich diese Ausbildung machen soll.“
Konkretes Reflektieren und Aktivieren von Lösungssuchprozessen durch Fragen, die beginnen mit:
welche; was; wie; welcheBeispiel: „Ich will wissen, was mir diese Ausbildung bringt.“
nicht mehrBeispiel: „Ich will nicht mehr dauernd mit meiner Kollegin streiten.“
Entwickeln eines lösungsorientierten Konzeptes durch den Zusatz von „sondern“:
Beispiel: „Ich will nicht mehr dauernd mit meiner Kollegin streiten, sondern einen konstruktiven Weg finden, mit ihr zusammenzuarbeiten“
hoffentlichBeispiel: „Hoffentlich falle ich nicht wieder bei der Prüfung durch.“
Vermeiden eines ängstlichen „hoffentlich“ und ersetzen durch: bestimmt; sicherlich; wahrscheinlich
Beispiel: „Wenn ich jetzt konsequent lerne, falle ich bestimmt nicht mehr bei der Prüfung durch.“
aberBeispiel: „Die Präsentation ist mir gut gelungen, aber ich war sehr unsicher.“
obwohl
Beispiel: „Die Präsentation ist mir gut gelungen, obwohl ich sehr unsicher war.“
sein (Veränderung erscheint schwer möglich)Beispiel: „Ich bin ein ungeduldiger Mensch.“
verhalten
(mögliche Veränderung greifbar) Beispiel: „Ich verhalte mich ungeduldig.“
negativ besetzter BegriffBeispiel: hyperaktiv
Suchen nach positivem Synonym
Beispiel: lebhaft
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ProblembeschreibungBeispiel: „Ich habe Angst davor, alleine zu sein.“
Vergleich des Problems mit einer Stärke und Aufdecken von Gemeinsamkeiten
Beispiel: „In meinem Job bin ich gut, weil ich Leute gut miteinander vernetzen kann.“ -> Lösung: Ein Abendessen wie ein Arbeitsprojekt organisieren und soziale Kontakte pflegen, um nicht alleine zu sein.
VorwurfBeispiel: „Immer kommst Du zu spät.“
Umformulierung des Vorwurfs in einen Wunsch
Beispiel: „Komme doch bitte nächstes Mal pünktlich.“
Misserfolg / Fokussierung eines möglichen VersagensBeispiel: „Ich muss meine Fähigkeiten beim Bewerbungsgespräch unbedingt gut verkaufen.“
Verständnis des Scheiterns als Feedback, um sich erfolgreich weiterentwickeln zu können / Fokussierung eines positiven Ergebnisses (Fortschritt durch Lernen)
Beispiel: „Wenn ich es nicht schaffe, mich beim Bewerbungsgespräch gut zu verkaufen, lerne ich, wie ich dies in Zukunft besser machen kann.“
Wahrnehmung der Existenz eines Problems Beispiel: Angst vor Versagen
Entdecken der Vorteile eines Problems
Beispiel: Aufgrund der Angst bin ich vorsichtig und überlegter, übersehe nichts, etc.
Verkleinerung des Problems durch Erfragen der genauen Eigenschaften und Grenzen
Formulierung drückt Unsicherheit ausBeispiel: „Falls ich einmal weniger Arbeit haben sollte, denke ich daran, wieder Sport zu betreiben.“
Formulierung, die Zuversicht / Ziel impliziert
Beispiel: „Sobald ich Zeit habe, betreibe ich wieder Sport.“
Quelle: Vgl. Prior 2009, Robert Dilts 2008, Sonja Radatz, 2000 13
5.2. Lösungsorientierte Fragen
Fragen – in erster Linie zum Sammeln von Informationen gedacht – werden im Coaching dazu eingesetzt, eine Reflexion
des Coachees in Gang zu bringen, sodass dieser neue Möglichkeiten der Wahrnehmung und der Handlung in Betracht
zieht. Bereits bei der Auftragsklärung zu Beginn des Coachings kann durch Fragen zum Thema, das oft hinter dem
genannten Thema steht, geführt und für den Coachee eine erste Klärung seiner Situation bewirkt werden. Im Coaching
werden verschiedenste Fragetechniken als Interventionen zur Selbstreflexion angewandt – wie zum Beispiel:
5.2.1 Dissoziierende Fragen
Wer zu nahe am Problem steht, kann nur einen schmalen Ausschnitt seiner Situation und nur beschränkte Auswege aus
seiner Lage sehen. Um den Blick auf die Gesamtsituation zu eröffnen, sind Fragen wirksam, die dem Coachee helfen, auf
die Metaebene zu gehen und seine Situation z.B. aus Sicht bzw. aus der Rolle eines Regisseurs oder Memoirenschreibers
zu sehen.
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5.2.2 Ressourcenorientierte Fragen
Vielen Coachees sind die eigenen Stärken, bereits bewältigte Herausforderungen oder hilfreiche Menschen, nutzbare
Ressourcen, in ihrem Umkreis gar nicht bewusst. Durch Fragen kann die Aufmerksamkeit auf diese „Kraftwerke“ gelenkt
und darauf aufmerksam gemacht werden, dass viel schon gelungen bzw. da ist und es „nur“ noch gilt, mehr davon zu
schaffen.
5.2.3 Zirkuläre Fragen – s. TOOLBOX
Da jedes Verhalten aller zu einem System gehörigen Menschen zugleich Ursache und Wirkung des Verhaltens der ande-
ren „Zugehörigen“ ist, gilt es, durch Fragen die Wechselwirkungen besser nachvollziehbar zu machen.
5.2.4 Hypothetische Fragen
Durch hypothetische Fragen kann seitens des Coaches ein erweitertes Blickfeld eröffnet werden, ohne die Eigenkompe-
tenz des Coachees zu unterlaufen. Sie sind eine Einladung (in Form eines Angebots mit freier Möglichkeit zur kritischen
Prüfung und Wahl seitens des Coachees) zur Aktivierung bzw. Entwicklung lösungsorientierter innerer Erlebnismuster.
5.2.5 Skalierungsfrage – s. TOOLBOX
Diese Fragemethode ermöglicht eine Standort- und Zielbestimmung des Coachees anhand einer Skala. Insbesondere
geht es jedoch um
- die Unterschiede im Verhalten auf einer bestimmten Stufe der Skala im Vergleich zum Verhalten auf einer anderen Stufe
sowie
- die Handlungsweise, die der Coachee setzen muss, um auf dem Skalenwert zu bleiben (Erreichtes festigen) bzw. diesen
in Richtung des auf der Skala definierten Zielzustandes zu verändern.14
Steve de Shazer setzt die Skalierungsfrage zur Lösungsfokussierung ein: „...Skalierungsfragen erleichtern es allen Be-
teiligten, auf der Seite der Lösung zu bleiben. Die Skalen sind so angelegt, dass alle Zahlen auf der Lösungsseite liegen.
Das heißt, „1 bis 10“ wird verwendet, um Erfolge zu bezeichnen, wogegen „0“ einfach den Ausgangspunkt vor Beginn
der Therapie markieren soll.“15
5.2.6 Wunderfrage – s. TOOLBOX
Eine wirkungsvolle Intervention ist es, den Coachee in das Gefühl hineinzuversetzen, wie es wäre, wenn das Ziel erreicht
ist. Steve de Shazer hat hierfür die „Wunderfrage“ erarbeitet, um den Coachee von augenblicklich wahrgenommenen
Einschränkungen loszulösen und seine Imagination zu nutzen. Dabei geht es darum, die Auswirkungen des veränder-
ten inneren Zustands für die eigene Person und das persönliche Umfeld für den Coachee erlebbar zu machen. „Innere
Bilder“ vom Zielzustand werden mit Emotionen und Inhalten aufgeladen, sodass sich dieser real anfühlt und die dazu
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erforderlichen Verhaltensweisen geübt werden können. „Die Wunderfrage ist ... dazu entwickelt worden, damit die Kli-
enten beschreiben können, was sie von der Therapie wollen, ohne sich dabei um das Problem und um die traditionelle
Annahme kümmern zu müssen, dass die Lösung in irgendeiner Weise damit verbunden sein müsste, das Problem zu
verstehen und zu eliminieren“.16
6. Dissoziierung durch Humor, Experiment und Spiel
Eine effektive Methode – um der Ernsthaftigkeit der Problemwahrnehmung des Coachees entgegen zu wirken und ihn
aus der Problemtrance zu führen – ist es, humoristische Elemente in das Coachinggespräch einzubauen. Zudem kann
der Coachee neue Verhaltensweisen im Rahmen eines Experiments oder Spiels – ausprobieren, ohne negative Konse-
quenzen be fürchten zu müssen – dies erhöht zugleich seine Bereitschaft, sich auf eine ihm noch unbekannte Art des
Agierens einzulassen.
Sich für eine neue Sichtweise zu entscheiden oder einen noch niemals betretenen Weg zu gehen, löst bei einem Coa-
chee oft Angst vor den Auswirkungen aus. Zudem sind oft alte, problembehaftete Verhaltensweisen liebgewonnen und
der Gedanke, nun einiges anders zu machen, ist schwer zu akzeptieren. In diesem Fall hilft es, neuen Perspektiven oder
Lösungsansätzen eine gewisse Leichtigkeit zu geben und diese mit Humor, als Experiment oder als Spiel zu präsentieren.
Auf diese Weise betrachtet der Coachee sein Problem mit der zur Lösungsorientierung erforderlichen Distanz aus der
Metaebene und kann verschiedene Lösungsszenarien auch im realen Leben für sich austesten.
Praxisbeispiel:
Eine junge Frau erzählt, dass ihre Familie ihr sehr nahesteht. Sie könne es allerdings nicht ertragen, dass sich ihre Mutter
bei ihr ununterbrochen über ihren Vater beschwere – dies vergifte immer die Stimmung. Allerdings habe ihre Mutter
sonst niemanden zum Reden und so müsse sie ihr doch zuhören. Durch den Vorschlag, diese Situation als Gesellschafts-
spiel zu sehen, kommt im Coachinggespräch Humor ins Spiel: Beim vorgeschlagenen Spiel geht es (ähnlich wie bei dem
Kinderspiel, bei dem verliert, wer „Ja“ oder „Nein“ ausspricht) darum, auf keine der Beschwerden einzugehen – und falls
dies doch geschieht, als „Wiedergutmachung“ sofort einen positiven Vorschlag (wie z.B. gemeinsames Kochen) einzu-
bringen. Die Coachee spielt dieses Spiel gedanklich durch, ist von der Wirkung noch nicht ganz überzeugt (auch davon
nicht, ihrer Mutter keine „Klagemauer“ mehr zu sein). Überzeugt ist sie erst von dem Vorschlag, es abwechselnd einen
Tag mit dem Gesellschaftsspiel und einen Tag mit der bisherigen Verhaltensweise zu versuchen, um die Auswirkungen
wie bei einem Experiment testen zu können. In einem weiteren Coachinggespräch erzählt die Coachee, dass sich ihre
Spielregeln sehr positiv auf die gesamte Atmosphäre zu Hause ausgewirkt hätten und sie diese nun beibehalten wolle.
Rein sprachlich kann ein Coachee durch „angenommen, Sie würden“ zu einem Gedankenexperiment eingeladen werden,
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bei dem er spielerisch – ohne etwaige Angst hervorrufende Konsequenzen – verschiedene lösungsorientierte Möglich-
keiten bzw. Verhaltensalternativen durchprobieren kann.
7. Grenzen der sprachlichen Wirkung
Der Wirkung sprachlicher Interventionen ist insbesondere bei „Kopfmenschen“, die ihr Problem in vielen Fällen sehr klar
zu erkennen und durchschauen glauben, oftmals eine Grenze gesetzt. Hilfreich ist es hier, Interventionen zu nutzen, die
darauf abzielen, die Problemsituation etwa durch eine Systemaufstellung aus einer neuen Perspektive auf unwillkürlicher
Ebene emotional intensiv erlebbar zu machen.
Gunther Schmidt bringt die begrenzte Macht der Sprache wie folgt auf den Punkt: „Interventionen der kognitiven, auch
mit Sprache assoziierten Art von Gedächtnis, können die Prozesse des expliziten Gedächtnisses oft sehr gut und wirksam
erreichen und dadurch zu hilfreichen Veränderungen von Problemmustern beitragen. Das implizite Gedächtnis aber,
das ganz oder teilweise unbewusst funktioniert, setzt je nach Auslöser Bruchstücke von Erinnerungen, Einschätzungen,
Körperreaktionen und Handlungsimpulsen frei, die sich auch gegen willkürliche Gegensteuerung meist kraftvoll durch-
setzen. ... Deshalb greifen auch Interventionen, die vor allem auf sprachliche Beeinflussung setzen, für viele Themen viel
zu kurz und wirken schlicht nicht hilfreich genug“.17
Um die Bereitschaft zu einer emotional intensiven Intervention auf unwillkürlicher Ebene zu erhalten, ist es sinnvoll, die-
se als etwas „verrückt“ oder Experiment anzukündigen – wodurch die Neugier geschürt wird. Bereitschaft fördert zudem
die Erklärung, dass das Problem offensichtlich mit dem Verstand bisher nicht gelöst werden konnte und ein Zugang über
das Unterbewusste bzw. den „Bauch“ neue Perspektiven vermittle.18
1) Vgl. de Shazer 2010, S. 18 2) Hüther 2010, S. 373) Hüther 2010, S. 874) de Shazer 2010, S. 255) de Shazer 2010, S. 107 ff6) Prior 2009, S. 857) Vgl. Dilts 2008, S. 1438) Vgl. Watzlawick 2010, S. 25 ff9) Prior 2009, S. 71 f10) de Shazer 2010, S. 7411) Gunther Schmidt 2010, S. 23 ff12) Vgl. Dits 2008, S. 2013) Vgl. Prior 2009, Dilts 200814) Vgl. Radatz 2009, S. 186 ff15) de Shazer 2010, S. 12216) de Shazer 2010, S. 28517) Gunther Schmidt 2010, S. 3218) Vgl. Prior 2009, 66 f
54
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Erfolgreiche Coaches präsentieren Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen).
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
„Jetzt hab’ ich’s!“. Motivation im CoachingprozessDr. Natalie Ségur-Cabanac
1. Einleitung
2. Motivation – was ist das? Woraus entsteht sie?
3. Gefühle und Emotionen versus Verstand
4. Flow
5. Wille, um zu wollen
6. Motivation und Handeln – Das Rubikon Modell der Handlungsphasen
7. Gedächtnis – Erfahrungen - Emotionen
8. Verstand – Emotion - Somatische Marker
9. Was bedeutet das für die Arbeit im Coaching?
10. Zusammenfassung
11. Literaturliste
1. Einleitung
Der Coachingprozess ist immer anders. Nicht zuletzt hat das auch mit der Persönlichkeit des/der Coach zu tun, aber –
bzw. vielmehr – und auch von der des Coachees/der Coachee1. Das Gelingen, der Fluss im Coachingprozess zur Lösung
hin hängt von vielen Faktoren ab. Zunächst davon, wie gut sich der Coach auf seinen Coachee einstellen kann, wie gut
ihm das „Pacing“ und „Leading“ gelingt, wie aktiv sich beide in das jeweils individuelle “Coachingfeld“ begeben und
einlassen können und wollen. In diesem Feld versucht der Coach den Blick auf die Ressourcen zu lenken, die Res-
sourcen in dem/der Coachee, aber auch die Ressourcen des Coachingprozesses an sich und auch die Ressourcen des
Coaches. Diese schaffen schließlich den Raum und die Linie für den Weg zur Lösung, zum Ziel, den der/die Coachee im
Coaching geht, um dann „anzukommen“.
Pacing und Leading beschreiben (ursprünglich im NLP) das Einstellen und Einklingen des Coaches auf seinen Coa-
chee und seine Verhaltensweisen, was ihm ermöglicht, den emotionalen Kontakt herzustellen, die Führung im Ge-
spräch mit dem Coachee sowie im Coachingprozess der Person zu übernehmen und ein Vertrauensverhältnis zu
schaffen und zu vertiefen. Dadurch wird durch die intuitive oder bewusste Anwendung von Führung und Anpassung
eine Verbindung zum Coachee im Gespräch hergestellt. Priorität hat hierbei nicht die Manipulation des Gegenübers,
sondern der bewusste emotionale Kontakt.
Pacing („Schritt halten“) meint, dass der Coach den Coachee in seinem Verhalten spiegelt, indem er bewusst sein
Verhalten in Körpersprache (Angleichen der Haltung, Gestik, Atemfrequenz), Mimik (Angleichen des Gesichtsaus-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
drucks), Stimme (Stimmlage, Lautstärke, Sprechgeschwindigkeit), Sprache (Wortwahl) auf die Verhaltensweise des
Coachees angleicht.
Leading: Ist das Vertrauen durch Pacing hergestellt, geht der Coach über körpersprachliche und/oder tonale Signale
zum Leading („Führen“) über, um im Gespräch die Führung zu übernehmen. Dabei muss dies nicht im selben Augen-
blick wie beim Gegenüber geschehen, sondern kann auch zeitversetzt ablaufen und sollte sich im Gespräch mit Pacing
abwechseln.
Ankommen, das Ziel erreichen
Was bedeutet das? Im Allgemeinen könnte man meinen, dass das Ergebnis eines Coachings darin besteht, dass ein
Thema, eine Fragestellung, ein Problem des Coachees tatsächlich gelöst ist. Das kann ein angenehmer Nebeneffekt sein,
doch dieses „Ankommen“ ist mehr ein Schlüssel zu der Tür, die dem Coachee den Blick auf einen Weg, eine Ressource,
eine Option etc. oder sogar auf eine Lösung öffnet.
Naturgemäß verläuft nicht jedes Coaching gleich, ein „Schema F“ gibt es nicht. Jeder Coach arbeitet anders, doch auch
nach vielen Jahren Coachingpraxis erfordert jedes Coaching eine individuelle besondere Aufmerksamkeit des Coaches
im Coaching. Der Coach lässt sich mit seinen ganzen Sinnen und Fähigkeiten gezielt auf den Coachee ein, begibt sich
in das Feld des Coachings mit genau diesem Coachee und führt den Coachee durch den Coachingprozess. Dabei hin-
terfragt der Coach auch sich selbst, seine eigenen Wahrnehmungen, seine eigenen Empfindungen, stellt seine Antennen
ganz fein auf die Schwingungen im Coachingfeld ab und schafft dadurch dem Coachee einen gesicherten Raum, die
eigenen Ressourcen zu entdecken, zu spüren, und auf die Tauglichkeit für eine angestrebte Lösung zu überprüfen.
Wovon hängt es nun ab, dass ein/e Coachee von einem für ihn/sie selber gelungenen Coaching sprechen kann? Was
passiert, wenn der/die Coachee in die manchmal lang ersehnte Lösungsenergie kommt? Was muss passieren, damit er/
sie in dieser Lösungsenergie bleibt und die Dinge in ihrem Leben so umsetzt, dass er/sie zu ihrem Ziel kommt?
2. Motivation – was ist das? Woraus entsteht sie?
Zunächst bedarf es eines gewissen Anlasses, eines inneren Impulses, überhaupt Coaching zu machen. Dies gilt sowohl
für Coach als auch für Coachee. Was ist es, das uns Menschen zu gewissen Handlungen, Entscheidungen, Veränderun-
gen etc. bewegt?
Motivation ist für uns bei anderen Menschen als solches unsichtbar, sichtbar wird sie in bestimmten Antriebszeichen,
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
die Menschen zeigen, starke Impulse zu handeln, sich zu bewegen.
Es geht also darum, dass jemand
(1) ein Ziel hat,
(2) dass er sich anstrengt und
(3) dass er ablenkungsfrei bei der Sache bleibt 1
Sind wir motiviert, erleben wir uns selbst in einem Zustand des Angezogenseins, Gefesseltsein, des Verlangens, Wollens
und Drängens, der Spannung, Aktivation und Ruhelosigkeit.
In jedem Fall ist es so, dass wir zwar in einem der oben beschriebenen Zustände mehr oder weniger kurz vor dem er-
sehnten Ziel sind, aber doch noch etwas tun müssen, um zugreifen zu können.2
Welche Rolle spielt dabei das genannte „Ziel“? Es scheint ja, dass die Motivation nichts sich selbst Befriedigendes bzw.
ein sich selbst begründender Zustand ist, sondern auf etwas hin gerichtet ist. Wir tun etwas, um etwas zu erreichen. Wir
erleben Motivation in bestimmten Motivationszuständen, die sich z.B. in Streben, Wollen, Bemühen, Wünschen, Hoffen
etc. ausdrücken. Gemeinsam ist ihnen eine gewisse aktivierende Ausrichtung des momentanen Lebensvollzuges auf
einen positiv bewerteten Zielzustand.1
Es ist daher eher ein Anziehen als ein Antreiben, das motiviertem Verhalten zu Grunde liegt. Relevant ist hier also der
zukünftige Zustand, den eine Person herbeiführen will. Nicht zurückliegende Ereignisse treiben und drängen, sondern
Erwartetes zieht und richtet aus.2
Andrea ist seit ein paar Monaten als Vertriebsleiterin in einem mittelgroßen Unternehmen beschäftigt. Das Unterneh-
men war bis vor einem Jahr in Familieneigentum und wurde schließlich vom Geschäftsführer und Familienoberhaupt,
der das Unternehmen bis dahin sehr patriarchalisch geführt hatte, an einen japanischen Konzern verkauft. Andrea hat
das Gefühl, dass sich einige Mitarbeiter, vorwiegend Männer, ihr gegenüber immer noch nach den alten patriarchali-
schen Mustern verhalten, was sich insbesondere in ihrer Einstellung zu Frauen, und zwar vor allem Frauen in Füh-
rungspositionen, äußert. Sie ist mittlerweile total verunsichert, was sich sogar auf ihre Arbeit auswirkt.
Was bewegt nun Andrea wirklich, etwas zu verändern? Es ist offensichtlich, dass sie nicht zufrieden ist, dass eine
Veränderung dringend ansteht. Doch was macht es aus, dass sich Andrea verändern möchte?
Neben unseren primären Bedürfnissen wie Hunger, Durst etc. werden in der Psychologischen Literatur3 auch sogenann-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
te sekundäre Bedürfnisse genannt wie Leistungsbedürfnis (need Achievement), Anschlussbedürfnis (need Affiliation),
Unabhängigkeitsbedürfnis (need Authority) etc., die im Verlauf der individuellen Entwicklung eines Menschen erworben
werden, und zwar durch Lernerfahrung in einer Welt, in der es bestimmte physikalische, soziale und kulturelle Struktu-
ren gibt. „Dabei ordnet Murray die Bedürfnisse nach der Art bzw. dem Thema der Beziehung, die zwischen Person und
Umwelt besteht. Wenn z.B. nahezu alles, woran jemand zur Zeit denkt, wonach er sich sehnt, worauf er in seiner Umwelt
achtet und was er in ihr tut, etwas mit der Herstellung oder Aufrechterhaltung einer engen freundschaftlichen Beziehung
zu tun hat, so wäre dies ein inhaltlich abgegrenztes Thema eines Person- Umweltbezugs.“4
Needs:
Entscheidend ist das Ziel, auf das das Verhalten hingerichtet ist, nicht das Verhalten selbst. Aus Verhaltensmerkmalen
lässt sich jedoch mitunter auf das Ziel schließen.
Press:
Press ist das, was durch eine bestimmte Situation, in der sich ein Mensch befindet, als Verlockung oder Bedrohung
bedürfnisspezifisch in Aussicht gestellt ist. 5
Für Andrea ist der äußerliche Druck aus ihrer derzeitigen Situation spürbar durch von ihr empfundene Anfeindungen
und Ausgrenzungen durch ihre Kollegen. Ihr Ziel ist es, unbeschwert und offen und frei ihren Job zu machen. Es
scheint für jeden von uns verständlich zu sein, weil wir alle in ähnlichen Gefühlssituationen waren, in denen wir
Ablehnung, Ausgrenzung und Unfreiheit zu spüren bekommen haben und können Andrea sehr gut verstehen. Wir
meinen, in ihrem Veränderungswillen eine gute und begründete Motivation zu erkennen. Wenn es um das Ziel, auf
das die Veränderung gerichtet ist, geht, würde vielleicht jeder von uns ein anderes wählen. Für den einen wäre es im
Fall von Andrea etwa die Firma verlassen, für einen anderen, Zähne zeigen und die Macht als Vertriebsleiterin aus-
spielen, für einen anderen wiederum wäre es vielleicht eine zweite dicke Haut aneignen, um die Angriffe nicht mehr zu
spüren etc.
Andrea fühlt sich nicht wohl, sie möchte als Frau akzeptiert werden und gleichwertig mit den männlichen Kollegen am
Erfolg des Unternehmens arbeiten. Dabei ist sie durchaus bereit, zu erfahren, wie sie sich selbst anders verhalten soll/
kann, bzw. auch interessiert zu erfahren, wieso die männlichen Kollegen ihr gegenüber dieses Verhalten zeigen.
Ihr Ziel ist also ein sehr lösungsorientiertes. Sie möchte schon herausfinden, was das Problem ist, aber es geht ihr
hauptsächlich darum weiterzukommen und das ohne die Einschränkungen im Jetzt. Was bewegt sie dabei, was treibt
sie, wieso ist ihr gerade das zu diesem Zeitpunkt so wichtig? Hängt es mit den Erfahrungen zusammen, die sie in
ihrem Leben bereits gemacht hat? Hat es etwas mit ihren Ängsten zu tun, die sie überwinden möchte? Ist es etwas
Unbewusstes oder etwas ganz Bewusstes, was sie „motiviert“?
61
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
3. Gefühle und Emotionen versus Verstand
Wir wollen etwas erreichen. Bei dem Bedürfnis, etwas erreichen zu wollen, werden wir oft von Gefühlen und Emotionen
geleitet, ja sozusagen getrieben, gedrängt, gezwungen. Wer kennt das nicht: Der Verstand kämpft mit den Emotionen um
die Oberhand im Entscheidungsprozess, wann welches Ziel wie und warum als solches definiert wird und auch tatsäch-
lich verwirklicht wird.
Roth1 hat das Zusammenspiel von Vernunft und Emotion einleuchtend erklärt3. Roth unterscheidet zwei Ebenen des
limbischen Systems, das bei der Erzeugung von Emotionen eine entscheidende Rolle spielt3:
1. Die kortikale Ebene – hier finden bewusste und bewusstseinsfähige Lern- und Bewertungsvorgänge statt, die dem
entsprechen, was wir in der Alltagssprache mit dem Begriff „Vernunft“ bezeichnen. Hier finden sich bewusste und
detaillierte Wahrnehmungen sowie autobiographische Gedächtnisinhalte, die „durch Erziehung stark beeinflusst wer-
den und in der Regel in gesellschaftliche Normen und Moralvorstellungen einmünden“1.
2. Die Subkortikale Ebene – wo die Vorgänge unbewusst erfolgen. Hier sind zunächst die primären Affekte, die Zustän-
de wie z.B. Wut, Furcht, Lust, reaktive Aggression zur Verteidigung oder Flucht hervorbringen, zu subsumieren. Diese
unterste Ebene des limbischen Systems sei durch bewusste Einflussnahme nicht einfach zu erreichen. Diese Ebene
zeichnet laut Roth mitunter das aus, was wir Persönlichkeit nennen. Zum anderen finden sich auf der subkortikalen
Ebene die sekundären Gefühle, die Roth das „emotionale Erfahrungsgedächtnis“ nennt. Dieses beruht auf Konditio-
nierungsprozessen und beginnt in uns zu wirken, lang bevor es ein bewusstes Denken gibt, nämlich schon im Mut-
terleib. Hier wird alles, was der Körper tut, nach den positiven und negativen Konsequenzen dieses Tuns bewertet und
diese Bewertung abgespeichert. Bewusst lässt sich diese Ebene eigentlich nicht erreichen, sie wirkt daher – ohne,
dass wir es bewusst steuern können.
Andrea hat als nunmehrige weibliche Führungskraft schon einige Erfahrung in ihrem Berufsleben gesammelt.
Vielleicht waren dabei auch Begegnungen mit männlichen Kollegen, die in ihrem (Unter)bewusstsein bestimmte
Reaktionen, Gefühle, Verhaltensmuster auslösen, wenn sie nun erneut auf eine bestimmte Art von männlichem Kolle-
gen trifft. Vielleicht sind dort auch Erfahrungen aus ihrer frühesten Kindheit abgespeichert, die ebenfalls dazu beitra-
gen, dass ihr Unterbewusstsein bestimme Befehle an den Körper gibt, die dann die Zustände, die sie beschrieben
hat, hervorrufen. Aus ihren Erzählungen im Coaching wird aber klar, dass sie ihre Muster langsam bewusst wahr-
nehmen kann, sie merkt, dass der Körper in einer gewissen Weise reagiert, die ihr nicht passt. Sie merkt, dass sie das
verändern möchte und kommt damit letztendlich zum Coaching.
62
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
4. Flow
Als Flow Zustand wird ein Zustand bezeichnet, in dem eine völlige Harmonie zwischen dem limbischen System (siehe
oben), das die Emotionen steuert, und dem kortikalen System/Neocortex (siehe dazu ebenfalls oben), dem der Sitz für
Bewusstsein und Verstand zugeordnet wird, herrscht.2 Im Flow liegen Herzschlag, Atmung und Blutdruck in einer op-
timalen Synchronisation. Körper, Geist und Umwelt sind im Gleichklang, was sich sogar quantitativ über die Messung
der Herzratenvariabilität (die eine messbare, biologische Bezugsgröße für Stresstoleranz und Funktionstüchtigkeit bietet)
erfassen und beschreiben lässt.3
Mihaly Csikszentmihalyi1 geht in seiner Theorie vom Flow der Frage nach und untersucht, wann Menschen sich am
glücklichsten fühlen. Was ist Glück und was muss passieren, damit wir Glück als solches empfinden können? Csiks-
zentmihalyi hat erforscht, was es ausmacht, dass eine Tätigkeit Flow erzeugen kann, die Person, die die Tätigkeit ausübt,
sich im Flow Zustand befindet.
Flow hilft, das Selbst zu integrieren, weil das Bewusstsein im Zustand höchster Konzentration gewöhnlich gut geord-
net ist. Gedanken, Absichten, Gefühle und alle Sinne sind auf das gleiche Ziel gerichtet. Diese Erfahrung heißt Harmonie.
Und wenn diese Flow Episode vorbei ist, fühlt man sich „gesammelter“ als zuvor, nicht nur innerlich, sondern auch mit
„Blick auf andere Menschen“.4 Flow ist wichtig, weil er den Moment der Gegenwart erfreulicher macht und weil er das
Selbstvertrauen stärkt, das uns ermöglicht, Fähigkeiten zu entwickeln und bedeutsame Beiträge für die Menschheit zu
leisten.5
Flow bereitet nicht nur Vergnügen (das ist ein Gefühl von Zufriedenheit, das man immer dann empfindet, wenn eine
Information im Bewusstsein uns sagt, dass die Erwartungen erfüllt wurden, die das biologische Programm oder gesell-
schaftliche Konditionierungen gesetzt haben), sondern vielmehr Freude: Freude findet statt, wenn man nicht nur eine
bestehende Erwartung, ein Bedürfnis oder einen Wunsch erfüllt hat, sondern über seine Vorprogrammierung hinausging
und etwas Unerwartetes ereichte, vielleicht etwas, das man sich vorher nicht einmal vorgestellt hat.4
Insgesamt sind es sieben Komponenten, wobei drei als Vorraussetzung gegeben sein müssen und vier von der
Person im „Flow“ im Bewusstsein erlebt werden können:
1. Die Aktivität hat deutliche Ziele, die Ziele sind klar und es gibt unmittelbare Rückmeldung:
Wir wissen, was wir tun müssen, um das Ziel zu erreichen. Die Aktivität hat unmittelbare Rückmeldung. Nur wenn
man lernt, sich ein Ziel zu setzen und Rückmeldungen in diesen Aktivitäten zu erkennen und zu beurteilen, wird
man sich über sie freuen.7 Dies zeigt sich vor allem in vielen sportlichen Disziplinen und künstlerischen Betäti-
gungen. Diese gehören deshalb zu den „klassischen“ Flow-Aktivitäten. Eine Tennisspielerin weiß, was nötig ist, um
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
ein Match zu gewinnen, die Regeln sind klar, und Erfolg wie Misserfolg einer jeden Handlung werden unmittelbar
erlebt.
2. Wir sind der Aktivität gewachsen, die Fähigkeiten und die besondere Geschicklichkeit für die
Anforderungen sind vorhanden:
Der Schwierigkeitsgrad einer Aufgabe muss im richtigen Verhältnis zu den Fähigkeiten der handelnden Person
stehen. Ein zu schwieriges Stück wird einen Musiker über kurz oder lang frustrieren und entmutigen, ein zu leichtes
dagegen wird ihn schnell langweilen.
3. Wir sind fähig, uns auf unser Tun zu konzentrieren:
Wir konzentrieren uns vollständig, sind nicht abgelenkt und lassen uns nicht ablenken. Wir hinterfragen die Aktivität
nicht. Gleichzeitig (oder auch: dadurch) sind die Sorgen des Alltags aus dem Bewusstsein verdrängt. Nur eine
begrenzte Anzahl von Informationen kann ins Bewusstsein dringen, alle beunruhigenden Gedanken, die einem nor-
malerweise durch den Kopf schießen, werden vorübergehend ausgeschlossen.1
Die folgenden vier Komponenten beschreiben die subjektiven Empfindungen, die mit Flow-Erfahrungen einhergehen.
4. Wir haben ein Gefühl erhöhter Kontrolle:
Dabei ist es nicht wichtig, ob wir tatsächlich die Kontrolle haben - unser Gefühl für die Kontrolle ist entscheidend
„Beim Flow haben wir unsere psychische Energie unter Kontrolle, und alles, was wir tun, trägt zu unserem Bewusst-
sein bei“.2
5. Verschmelzen von Handlung und Bewusstsein:
Die Bewusstheit von sich selbst geht verloren. Manchmal erlebt man die Ausweitung des Selbst über die Körper-
grenzen hinweg. Es ist keine Zeit zur Selbsterforschung – wir sind einfach. Unsere Sorgen um uns selbst ver-
schwinden. Man ist so in eine Tätigkeit vertieft, dass sie spontan, fast automatisch wird. Man nimmt sich nicht mehr
als unabhängig von der verrichteten Tätigkeit wahr.3
6. Mühelosigkeit des Handlungsablaufs
7. Veränderung des Zeiterlebens:
Wir haben das Gefühl, dass die Zeit schneller vergeht. „Die Freiheit von der Tyrannei der Zeit trägt zu der Erregung
bei, die man bei etwas verspürt, mit dem man vollständig eins ist.“4
Carina kommt ins Coaching mit dem Anliegen, in ihrem Leben (privat und beruflich) wieder „etwas weiterzu-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
bringen“, sich aufzuraffen zu Dingen, die sie gerne tun möchte, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen und
einen Plan dafür zu haben. Im Coaching werden die verschiedenen Lebenssysteme von Carina mithilfe von
Aufstellungen, Bodenankern, Rollenspielen und kreativen Systemdarstellungen dargestellt und in Verhältnis zu-
einander gebracht. Die Coach unterstützt Carina zunächst dabei, einen Plan zu finden und zu etablieren, der Ca-
rina helfen soll, die ersten Schritte zur Veränderung zu tun. Die Aufstellungen zeigen, dass Carina zum Teil sehr
von der Außenwelt abhängig ist, wenn es um Bestätigung ihres Könnens und ihrer Fähigkeiten, vor allem im
beruflichen Umfeld, ging. Ganz besonders macht ihr das Zustoßen einer neuen Kollegin in ihre Abteilung zu
schaffen, die sie als starke Konkurrentin empfindet. Im Laufe des Coachings lernt Carina, sich auf sich selbst zu
konzentrieren, sich ihrer Stärken und Schwächen bewusst zu werden und auch die Signale ihres Körpers in der
Reaktion auf andere Menschen wahrzunehmen und einzuordnen.
Carina schafft es wieder, Bewegung in ihr Leben zu bringen, Dinge anzupacken und Dinge, die sie gerne macht,
auch wirklich zu machen. Sie bekommt ein Gefühl der Kontrolle über die Dinge, die in ihrem Leben passieren, sie
kann sich gut auf das, was sie tut, konzentrieren, es fällt ihr zunehmend leichter, Handlungen zu setzen, für die
sie früher viele Anläufe und Überwindungen gebraucht hatte. In der letzten Coachingsitzung strahlt sie über das
ganze Gesicht, ihre ganze Körperhaltung hat sich aufgerichtet und Carina ist in ihrer Erscheinung viel präsenter
als sie es zu Beginn des Coachings gewesen ist. Es ist wieder zunehmend „Flow“ in ihr Leben eingekehrt, der
Motor läuft wie von selbst.
Doch was war es, was Carina geholfen hat, diese Brücke zu mehr Selbstbestimmung, zu mehr Plan in ihrem Leben zu
überqueren. War das die Coach, war sie es selber. Was hat die Coach beigetragen oder war sie das ganz allein?
5. Wille, um zu wollen
„Der Wille zählt“; „Wenn Du etwas wirklich willst, dann schaffst Du es auch“; „Wo ein Wille, da auch ein Weg“. Oft hören
wir solche Ratschläge, wenn es darum geht, uns zu stärken, ein Vorhaben umzusetzen, unser Selbstbewusstsein in unse-
re Fähigkeiten, etwas zu erreichen, zu unterstützen. Doch was genau heißt das? Es hängt vom Willen ab, etwas Gewolltes
zu erreichen? Reicht es, wenn ich etwas will? Oder gehört noch mal ein besonderer Wille dazu?
Auch die psychologische Wissenschaft hat sich seit den letzten zwanzig Jahren des vergangenen Jahrhunderts vermehrt
mit dem Thema Wille und Wollen in der Motivationspsychologie auseinandergesetzt. Zuvor lag der Fokus in diesem Zu-
sammenhang mehr auf Bedürfnissen, Motiven, Konflikten und Entscheidungen, nicht aber auf dem Willen und Wollen.1
Letztere beschäftigte sich vorwiegend mit dem Problem der Zielsetzung, also mit dem von den Wünschen, Bedürfnissen
und Interessen einer Person bestimmten „Kampf der Motive“, als mit der Frage des Zielstrebens und damit mit den
65
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
zielrealisierenden Handlungen selbst. Die Willenspsychologie hingegen beschäftigt sich mit (Vertreter hier waren
insbesondere Heinz Heckhausen, Peter M. Gollwitzer und Julius Kuhl. Von Heckhausen stammt auch das so genannte
Rubikon Modell, auf das ich gleich noch näher eingehen werde):
6. Motivation und Handeln – Das Rubikon Modell der Handlungsphasen
Woher kommt also die Motivation und was passiert, damit wir aus einer bestimmten Motivation heraus eine Handlung
setzen, um das angestrebte Ziel zu erreichen?
Jutta und Heinz Heckhausen haben in Fortsetzung der Forschungen von Gollwitzer und Heckhausen2 das Rubikon-
Modell der Handlungsphasen beschrieben und etabliert.
Am 11.1. des Jahres 49 v. Chr. hatte sich der spätere römische Kaiser Julius Cäsar mit den Worten „Alea jacta est“
(„Die Würfel sind gefallen“) entschlossen, mit seinen Legionen den Rubikon, einen kleinen Fluss in Italien, zu über-
schreiten. Damit hatte er sich endgültig für einen Krieg entscheiden, von dem es nun kein Zurück mehr gab. Von nun
an setzte er zielstrebig alles daran, den Krieg zu gewinnen. Die vorangegangene Phase des Zauderns und Abwägens
war damit endgültig vorbei.
Heckhausen vergleicht den für die Zielrealisierung wichtigen Schritt der Umwandlung eines Wunsches in ein
konkretes Ziel mit dem Vorgang der Rubikonüberquerung und auch mit deren Bedeutung und Auswirkung auf die
späteren Handlungen und hat seinem Modell daher auch den Namen des Flusses gegeben.2
Das Rubikon Modell versucht Antworten auf folgende Fragen zu geben:
- Wie wählt ein Handelnder seine Ziele aus?
- Wie plant er deren Realisierung?
- Wie führt er diese Pläne durch?
- Wie bewertet er seine Bemühungen um die Erreichung seines Handlungsziels?
Das Rubikon Modell kennt im Handlungsverlauf 4 Phasen:
1. Phase des Abwägens verschiedener Wünsche und Handlungsoptionen und deren jeweiliger positiver und
negativer Konsequenzen (prädezisionale Handlungsphase):
Welche Wünsche und Anliegen möchte ein Handelnder überhaupt in die Tat umsetzen? Dazu muss er zunächst
66
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
die Wünschbarkeit (d.h. den Wert des erwarteten Handlungsergebnisses) und die Realisierbarkeit (d.h. die Er-
wartung, dass das eigene Handeln zum Erfolg führt) der verschiedenen Wünsche und Anliegen gegeneinander
abwägen. Die Abwägung der Wünsche und der potentiellen Ziele erfolgt dabei nicht isoliert voneinander, sondern
in Relation zu
einander. Am Ende dieser Handlungsphase wird schließlich ein verbindliches Ziel gesetzt, das der Handelnde zu
erreichen versucht – der „Rubikon“ vom Wunsch zum Ziel überschritten. Hierbei entsteht ein Gefühl der Ver-
pflichtung („Commitment“), dieses Ziel auch wirklich in die Tat umzusetzen.3
Am Beispiel von Carina lässt sich diese Phase darstellen wie folgt: Carina ist in ihrem Beruf erfolgreich und
hat ihn bisher gerne ausgeübt. Sie spürt, dass sie eine Veränderung haben möchte, sie erinnert sich an ihren
früheren Job und an die dabei erlebte Zufriedenheit und Erfülltheit, die sie im jetzigen Job nicht (mehr) empfin-
den kann. Sie will aber andererseits den Weg, den sie begonnen hat, die Veränderungen, die sie eingeleitet hat in
ihrer Abteilung, nicht einfach stehen, unfertig zurücklassen, zumal es jetzt auch noch eine neue Kollegin gibt, die
Carina als Konkurrentin, ja fast als Bedrohung ihrer Stellung in der Abteilung, im Unternehmen, ansieht. Soll sie
sich mit der neuen Kollegin (Doris) arrangieren? Klein beigeben? Die Macht der Dienstälteren ausspielen und sie
bekämpfen? Soll sie sich auf etwas ganz Neues konzentrieren und ihren Weggang planen? Soll sie sich auf ihr
Privatleben konzentrieren, in dem es in letzter Zeit immer wieder zu Konflikten mit ihrem Partner gekommen ist?
Sie ist unzufrieden, schafft es irgendwie nicht, die Dinge, die sie gerne macht, auch wirklich zu tun. Radfahren,
Reiten, ihre Wohnung verschönern, Initiativen für Freizeitbeschäftigungen zu setzen. Es braucht einige Coaching
interventionen, damit Carina klar wird, dass Doris ein Spiegel für ihre Unzufriedenheit mit sich selber ist, sie
sieht, dass sie sich im Kreis dreht und von den wesentlichen Fragen in ihrem Leben ablenken lässt. Ihr Wunsch
ist es schließlich, wieder „Frau“ über die Handlungen und Ereignisse in ihrem Leben zu werden, und sie nicht
„passieren“ zu lassen. Sie nimmt sich vor, erste Schritte zu tun, auch wenn es Kraft und Anstrengung bedarf, in
die „Tun“-Energie zu kommen. Kaum hat sie den Wunsch für sich klar formuliert und die ersten Schritte getan, ist
das Ziel klar: Sie will in den nächsten zwei Jahren den Job wechseln.
2. Phase des Planes konkreter Strategien, mit denen eine Person versucht, das am Ende der Phase des Abwägens
etablierte Ziel zu realisieren (präaktionale/postdezisionale Handlungsphase):
Der Handelnde bedient sich bei der Realisierung des gesetzten Ziels einerseits bereits routinierter und gut ein
geübter Verhaltensweisen, die mehr oder weniger automatisch ablaufen, aber er wird vielleicht auch neue, noch
nicht etablierte Verhaltensweisen, über die er sich zunächst noch Gedanken machen muss, einsetzen.1
In dieser Phase werden günstigerweise entsprechende Pläne (beispielsweise in Form von Vorsätzen („Durchfüh-
rungsintentionen“) entwickelt, die für das Erreichen des gewünschten Zielzustandes förderlich erscheinen.2 Vorsätze
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
helfen bei der Initiierung, Durchführung und Beendigung von Handlungen, Realisierungsschwierigkeiten zu über-
winden. Solche Realisierungsschwierigkeiten sind insbesondere bei der Initiierung von Handlungen zu erwarten, da
diese oft verpasst und auf die lange Bank geschoben wird. Häufig werden auch günstige Gelegenheiten, zielför-
derndes Verhalten zu initiieren, übersehen. Mir der Überwindung solcher Probleme ist ein Handelnder in dieser
Phase beschäftigt.3
Kaum ist das Ziel definiert, merkt Carina, dass ihr der Alltag im Job, insbesondere mit Doris, viel leichter fällt.
Sie empfindet Auseinandersetzungen mit Doris nicht mehr als Konflikt, als Bedrohung, ganz im Gegenteil, sie
kann sie sogar als Bereicherung sehen, die Arbeit effizienter gestalten. Was macht Carina da anders? Im Coaching
stellt die Coach konkrete Arbeitssituationen im Alltag von Carina mithilfe von Aufstellungsfiguren nach. Da
durch wird das System, in dem Carina arbeitet, für Carina nicht nur visualisiert, sondern auch die Kräfte der
Personen zueinander und weg voneinander werden sichtbar. Carina sieht, dass sie selbst manche Konfliktsituati-
onen verursacht, beeinflusst oder verstärkt hat, indem sie „teamschädliches“ Verhalten setzt und insbesondere
Doris von notwendigen Informationen etc. abschneidet. Carina lernt, dass sie selbst den Arbeitsalltag positiv
(und auch negativ) beeinflussen und gestalten kann durch ihr eigenes Verhalten. Carina fällt es natürlich anfangs
gar nicht so leicht, sich selbst von außen zu betrachten in bestimmten Situationen und sich zu überlegen,
was genau gerade passiert. Aber sie lernt, auf diese Weise zu reflektieren und eine Sicht von außen als korrigie-
rendes Element zuzulassen. Und wie immer, wenn in einem System Veränderungen initiiert werden, reagiert auch
hier das System, reagieren die beteiligten Personen auf diese Veränderungen. Carina merkt, dass Doris sich
entspannt und so das gemeinsame Arbeiten nicht mehr ein Konkurrenzverhältnis ist, sondern mitunter zu einem
gemeinsamen konstruktiven Erfolgserlebnis wird.
3. Phase der Durchführung dieser Strategien (aktionale Handlungsphase)
Der Handelnde versucht, die geplanten zielfördernden Handlungen auch wirklich durchzuführen und sie zu einem
erfolgreichen Ende zu bringen bzw. das zuvor gesetzte Ziel zu erreichen. Dies wird am besten durch beharrliches
Verfolgen des Ziels und durch Steigerung von Anstrengungen bei Auftreten von Schwierigkeiten erreicht. Geleitet
wird die Handlungsdurchführung in dieser Phase durch die mentale Repräsentation des Ziels, auf welches ein
Handelnder sich verpflichtet hat, das Ziel muss aber dabei nicht im Bewusstsein gegenwärtig sein. Die Handlungs-
durchführung wird von der Volitionsstärke des Ziels bestimmt.1
Carina hat die Aufgabe, ein neues großes Projekt zu realisieren. Doris soll sie dabei unterstützen. Carina macht
einen Projektplan, bindet Doris dabei ein und gemeinsam legen sie den Fahrplan fest und machen eine konkrete
Aufgabenteilung. Carina schafft es sogar, Aufgaben, die sie früher allein für sich beansprucht hatte, an Doris zu
delegieren. Sie merkt, dass sie wieder gerne zur Arbeit geht. Sie achtet wieder mehr auf ihre Gesundheit und auf
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ihren Körper, macht mehr Bewegung, achtet auf ihr Gewicht und bekommt vermehrt ein Gefühl von Kontrolle in
ihrem Leben und über ihr Wohlbefinden.
4. Phase der Bewertung des sich daraus ergebenden Handlungsergebnisses (postaktionale Handlungsphase)
In dieser Phase bewertet ein Handelnder sein erreichtes Handlungsergebnis. Ist er mit diesem zufrieden, deakti-
viert er das am Ende der ersten Phase gesetzte Ziel. Ist er nicht zufrieden, senkt er entweder sein Anspruchsni-
veau und deaktiviert das Ziel oder er behält dieses bei und plant neue Handlungen, die dafür geeignet erscheinen,
den erwünschten Zielzustand doch noch zu erreichen.
Carina hat ein Zwischenziel erreicht, nämlich in ihrem jetzigen Umfeld zufriedener zu sein. Dadurch kann sie sich
mehr und mehr auf das eigentliche Ziel, die berufliche Veränderung und das berufliche Weiterkommen konzent-
rieren. Sie weiß, dass ihr allgemeines Wohlbefinden, das sie sich bisher erarbeitet hat, wichtig und Vorausset-
zung für die Realisierung des eigentlichen Ziels ist und fast auch als Maßstab für den Erfolg der Zielumsetzung
herangezogen werden kann. Je besser sie ihr jetziges Leben wahrnimmt, sie die definierten Handlungs- und
Verhaltensziele erfüllt, desto besser kann sie sich auf den geplanten Jobwechsel konzentrieren. Indem sich Cari-
na das bewusst macht, hat sie sogar eine Art Maßstab gefunden, anhand dessen sie die Effektivität der Zielreali-
sierung bemessen kann.
7. Gedächtnis – Erfahrungen - Emotionen
Bisher wurde erörtert, wie es der Coachee gelingt, Ziele zu finden, zu setzen und diese umzusetzen. Es klingt mitunter
einfach und anschaulich, doch woran merkt die Coach im Coaching, dass sich etwas bei der Coachee verändert, wo es
noch hakt, ob das ursprünglich gesetzte Ziel auch noch das aktuelle, gewollte ist etc.? Hängt es von der Begabung der
Coach ab, bedarf es eine Art Röntgenblick der Coach? Reicht es, wenn die Coachee sagt, dass sie die Lösung hat, in der
Zielenergie ist?
Im Coaching gibt es viele Wege, von der Auftragsklärung weg hin zum Ziel zu gelangen. Welche Methoden und Inter-
ventionen gewählt werden, hängt von den Vorlieben und Begabungen und Einstellungen der/des Coach/s ab, der sich
wiederum auf die Eigenheiten und Persönlichkeitsstruktur seiner Coachee einstellt und seine Werkzeuge danach wählt
und einsetzt. In allen Coachings, die erfolgreich sind, gibt es aber den Moment, in dem klar ist: „Jetzt hab ich‘s“.
Das menschliche Gehirn sammelt im Laufe seines Lebens Erfahrungen und speichert diese ab. Diese Erfahrungen
werden bewertet, und zwar im Hinblick darauf, ob sie dem Wohlbefinden des Menschen zuträglich oder abträglich sind,
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um dieses Wissen dann – je nach Situation – entweder ad hoc oder zur Handlungsplanung einzusetzen. Ein Teil unseres
Wissens stammt aus den Erfahrungen unserer Vorfahren, dem sogenannten Ahnenschatz, einen anderen Teil erwerben
wir im Laufe des Aufwachsens.5 Entscheidend und am prägendsten sind dabei die frühen Erfahrungen, die wir in der
Kindheit machen. Hier entscheidet sich oft für später, wie wir mit Angst- und Stresssituationen umgehen, aber genauso
werden da auch positive Erfahrungen im Gehirn nachhaltig gespeichert.1
Die moderne Hirnforschung (insbesondere Hüther) setzt sich mit der Frage auseinander, wie dann diese Erfahrun-
gen im Gehirn gespeichert werden. Ausgehend vom Modell der „Hebbschen Plastizität“, wonach zwei oder mehr
Nervenzellen, die gleichzeitig Signale und Informationen feuern, sich verdrahten und dadurch verstärken, gelangt Hüther
zudem zu der Erkenntnis, dass Verbindungen zwischen Gehirnsynapsen7 dadurch stärker und breiter („Bahnungen“)
werden, indem sie immer wieder und wieder angeregt und benutzt werden. So funktioniert schließlich auch Lernen:
Lernen im neurowissenschaftlichen Sinn bedeutet häufige gemeinsame Benutzung von Nervenzellen.8 In der Folge
werden nicht nur zwei, sondern ganze Gruppen von Nervenzellen miteinander verbunden, was in der Summe („neuronale
Netze“)9 letztendlich unser Gedächtnis ausmacht.5
Das Gedächtnis beruht also auf neuronalen Netzen, verbundenen Gruppen von Nervenzellen, die gemeinsam Signale und
Informationen in das Gehirn und in den Körper schicken. Es bleiben Erinnerungen an bestimmte Ereignisse, Erfah-
rungen, Informationen, Erlebnisse. Dabei speichert der Körper aber nicht nur sensorische Aspekte wie Farbe, Form oder
Klang, sondern auch emotionale Reaktionen.
Gerhard z.B. ist als das dritte von 4 Kindern einmal in der Woche mit seiner Oma auf den Spielplatz gegangen. Er
erinnert sich an die Schaukel, an den Sandkasten, diese sind gemeinsam mit dem Lärm der herumtollenden
Kinder und dem Geruch nach Würstel vom nahen Würstelstand in seinem Gedächtnis gespeichert. Denkt Gerhard
daran zurück, fühlt er sich gleich stolz und aufmerksam behandelt. Er, der sonst immer im Kreis seiner Geschwis-
ter mitgelaufen ist, durfte allein mit seiner Oma auf den Spielplatz und sie hat sich nur mit ihm beschäftigt. Das
bedeutet, dass neuronale Netze auch Informationen auf Körperebene, in Form von Gefühlen, die sich in körperli-
chen Reaktionen zeigen, speichert.6
8. Verstand – Emotion - Somatische Marker
Die Emotionen sind es auch, die als Bewertungssystem des Gedächtnisses auf das Verhalten des Organismus Ein-
fluss nehmen, „indem sie aufgrund angeborener „Schaltkreise“ oder aufgrund von Erfahrungen aus allen Reaktions- und
Verhaltensweisen, die dem Organismus zur Verfügung stehen, eine Auswahl treffen“.1
Dieses Bewertungssystem macht sich über körperliche Signale bemerkbar. Diese nennt Damasio somatische Marker.
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Wenn ein Organismus einem Objekt oder einer Situation ausgesetzt ist, werden nicht nur die entsprechenden Infor-
mationen über das entsprechende Objekt oder die Situation in einem neuronalen Netz gespeichert, sondern auch die
Emotionen und die Körperempfindungen, die sich aus der Begegnung mit diesem Objekt oder dieser Situation ergeben
haben. Jedes Objekt oder jede Situation, mit denen ein Organismus Erfahrungen gesammelt hat, hinterlassen einen
somatischen Marker, der eine Bewertung dieser Begegnung im Sinne von „das ist gut, das ist wieder anzustreben“ oder
„das ist schlecht und sollte vermieden werden“ speichert.
Dabei können alle Körperempfindungen als somatische Marker fungieren. Somatische Marker lenken die Aufmerk-
samkeit entweder auf ein positives oder negatives Erlebnis, “das eine bestimmte Handlungsweise nach sich
ziehen kann.” (Damasio 1997, S. 237).
Auf diese Weise nehmen wir eine Körperempfindung zum Beispiel als intuitives Start- oder Stoppsignal bezüglich einer
bestimmten Entscheidung wahr. Somatische Marker müssen nicht bewusst wahrgenommen werden, sie wirken auch
unbewusst. Somatische Marker spielen nicht nur in realen Situationen eine Rolle, sondern können auch nur in der
Vorstellung eines Menschen, der gerade in einer Phase des Planens und Abwägens ist, eine Rolle spielen, indem der
Mensch sich vorstellt, wie sich die körperlichen Reaktionen anfühlen könnten/würden.2
Emotionen und auch die damit einhergehenden körperlichen Begleiterscheinungen sind daher neben den rationalen
Überlegungen wesentlich für Entscheidungsprozesse. Ja, ohne Emotion und somatische Marker sind rationale Entschei-
dungen nicht möglich.3
9. Was bedeutet das für die Arbeit im Coaching?
Somatische Marker helfen der Coach, direkte Rückmeldungen aus dem inneren System der Coachee zu bekommen,
indem sie eine direkte Spiegelung dessen sind, was das tiefste Selbsterleben der Coachee ausmacht. „Das Auftauchen
von positiven somatischen Markern ist ein direkter Wegweiser zu den Themen, Inhalten, Absichten und Plänen, die von
dem Selbstsystem unserer Klienten unterstützt werden. Somatische Marker können in diesem Zusammenhang als diag-
nostisches Leitsystem für Selbstkongruenz eingesetzt werden. Sie zeigen an, wenn ein Mensch eine Entscheidung gefällt
hat, die er als zu sich selbst passende erlebt.“4
Die Coach beobachtet die Coachee ganz genau. Jede Intervention dient ja letztlich dazu, der Coachee zu helfen, die Stei-
ne, die auf dem Weg zu ihrem Ziel liegen, freizulegen, bei Seite zu legen, hinter sich zu lassen und das Ziel zu erreichen.
Erinnern wir uns an den Fall von Andrea: Sie möchte herausfinden, wie sie sich besser gegenüber ihren
männlichen Kollegen behaupten kann. Die Coachee wählt als Intervention die Nachstellung einer konkreten
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Arbeitssituation. Gemeinsam arrangieren sie die vorhandenen Möbel so, dass sie den tatsächlichen Büro-
räumlichkeiten von Andrea weitgehend entsprechend. Die Coach bittet Andrea, bei der Tür hereinzukom-
men, während die Coach in die Rolle des männlichen Arbeitskollegen schlüpft, der Andrea zurzeit am meis-
ten zu schaffen macht.
Aus der systemischen Aufstellungsarbeit wissen wir, dass beim Repräsentieren von realen Personen bei den Re-
präsentanten tatsächliche Gefühle, Emotionen und sogar körperliche Reaktionen hervorgerufen werden, die die reale
– repräsentierte Person – ebenfalls hat bzw. hätte. Diese Methode hilft zunächst, Systeme zu visualisieren und Bezie-
hungen innerhalb eines Systems darzustellen und offenzulegen; ferner und insbesondere auch, Reaktionen der einzelnen
Personen auf die Systemsituation und die darin befindlichen Beteiligten ans Licht zu bringen. Wie? Indem die Repräsen-
tanten diese am eigenen Körper spüren und wahrnehmen.
Andrea kommt herein und fragt die Coach in ihrer Rolle als Kollege von Andrea, bis wann sie mit der Erle-
digung einer Aufgabe rechnen kann. Andrea ist nervös und unsicher. Ihre Körperreaktionen darauf sind
unsicherer Blick, Zurückweichen und auf Abstand halten.
Hier scheinen somatische Marker als Warnung auf negative Erfahrungen zu fungieren.
Die Coach in ihrer Rolle als Kollege spürt eine unheimliche Unsicherheit und ein Gefühl von Verlorensein.
Dieses Gefühl hat jedoch eigentlich nichts mit Andrea zu tun, im Gegenteil: für Andrea empfindet die Coach
in ihrer Rolle als Kollege Respekt und Achtung. Als die Coach dies Andrea rückmeldet, erhellt sich das Ge-
sicht von Andrea zunehmend und sichtbar. Gemeinsam erörtern sie, was der Hintergrund für diese Reaktion
sein könnte. Sie finden heraus, dass dieser Kollege von einem Vorgesetzten aus der deutschen Mutterge-
sellschaft immer wieder mit Aufgaben betraut wird, aber ohne Unterstützung und Hilfe ist der Kollege mitt-
lerweile total verunsichert, vor allem, weil er sich seiner Stellung in der Hierarchie nicht sicher ist. Als
Andrea darauf kommt, dass es sich offenbar um ein strukturelles Problem handelt, das gar nichts mit ihr
persönlich zu tun hat, richtet sich ihr Körper auf, sie steht plötzlich ganz klar und gerade vor der Coach und
sagt mit fester Stimme: „Jetzt hab ich es verstanden. Der Kollege tut mir jetzt eigentlich wirklich leid und ich
sollte ihn unterstützen. Mir selbst geht es viel besser, ich habe wieder Mut, mich auf meine Arbeit zu kon-
zentrieren und mich als Frau und Führungskraft in dem Unternehmen zu etablieren.“
Im eigentlichen Sinne geben somatische Marker einen Hinweis darauf, ob sich der Körper in einer bestimmten Situation
an eine gute oder nicht so gute Erfahrung erinnert. Im weiteren Sinne und speziell für das Coaching kann man jedoch
auch jegliche Körperreaktion im Coachingprozess wahrnehmen und als Zeichen deuten, ob die Coachee am richtigen
Weg zu sich selber ist oder nicht. Jeder Coach braucht gewisse Rückmeldungen, Bestätigungen, Zeichen, ob das Coa-
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ching richtig läuft. Die verbale Rückmeldung des/der Coach reicht dazu nicht, denn was der Coachee im Kopf vielleicht
rational als Verbesserung wahrnimmt, muss nicht eine echte Verbesserung für sein inneres System sein, wo unbewusst
so viele Informationen abgespeichert sind, die wir rational gar nicht wahrnehmen können.
Wenn der Coach lernt, auf solche somatischen Marker zu achten, auf ganz feine körperliche Signale, kann dies viel
Aufschluss darüber geben, wo sich der/die Coachee gerade befindet. Oft stimmen die mit den rationalen Wahrnehmun-
gen des/der Coachee überein, oft aber vielleicht nicht. Hier kann der/die Coach einhaken und noch mal nachfragen,
erarbeiten, warum und wo Körper/Emotion/Verstand divergieren. So kann im Coaching schon zu einem frühen Stadium
sichtbar gemacht werden, was zwar vielleicht später eh sich gezeigt hätte, aber vielleicht noch viele Schleifen und viel
Zeit gekostet hat. Oder ein Coachee hat vermeintlich das Gefühl, dass das Coaching erfolgreich war, letztlich muss er
aber einige Zeit später feststellen, dass da doch noch was ist, was ihn an der Zielrealisierung hindert.
Auch der Coach selber ist mit seinen eigenen somatischen Markern, seinen speziellen körperlichen Reaktionen auf die
Vorgänge im Coaching konfrontiert. Dies ist ebenso eine große und starke Ressource im Coaching. Achtet der Coach
genau und sensibel auf seine eigenen Reaktionen, somatischen Marker, setzt er sich eben auch mit sich selber auseinan-
der, kann er lernen, daraus Fragen, Unklarheiten oder sogar auch Antworten aus dem Coachingprozess zu interpretieren.
Noras Thema wird im Coaching mittels Bodenankern (Karten, die jeweils einer Person, einer Eigenschaft,
einem gewünschten oder aktuellen Zustand, Ziel etc. zugeordnet wird bzw. diese repräsentiert) aufgestellt.
Im Laufe des Prozesses hat der Coach nach und nach vermehrt das Gefühl, dem Prozess nicht mehr ge-
wachsen zu sein, es zieht ihn förmlich hinaus aus dem Raum, aus dem aufgestellten System. Zunächst fühlt
er eine Art von Versagen und Hilflosigkeit. Der Coach versucht, diese Gefühle zu interpretieren und über-
legt, ob sie mit dem Coaching an sich oder mit seiner Coachee zusammenhängen und kommt darauf, dass
diese Gefühle genau das repräsentieren, was die Karten am Boden, was das aufgestellte und visualisierte
System im Raum sagen wollen. Genau darum geht es offenbar. Der Coach meldet dies an Nora zurück und
gemeinsam reflektieren sie, dass es offenbar in Wirklichkeit um Noras Gefühle/Reaktionen auf das System
geht, die der Coach spürt. Nun können sie im Coachingprozess genau da einhaken und reflektieren, ob das
Nora ihrem Ziel näherbringt. Ob diese Gefühle, Reaktionen z.B. in anderen Zusammenhängen aufgetaucht
sind oder eine Rolle spielen, ob es da um alte Muster geht etc.
10. Zusammenfassung
Ein Coachee kommt mit einem bestimmten Anliegen ins Coaching. Manchmal wird es im Coaching gemeinsam von
Coachee und Coach erst ans Licht gebracht, benannt, konkretisiert, bevor die eigentliche Arbeit, die Bearbeitung des
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Themas, eines Ziels etc. beginnt. All dies setzt eine bestimmte Einstellung, eine gewisse Motivation des Coachees
voraus, welche aus ganz unterschiedlichen Beweggründen entstanden sein kann. Es ist Aufgabe und Expertise eines
Coaches, auch diese Beweggründe mit zu ergründen, mit in den Coachingprozess aufzunehmen, und sei es auch nur in
seinen Hypothesen und Steuerungsgedanken, mit denen er den Prozess begleitet. Dabei achtet der Coach insbesondere
darauf, ob sein Coachee in Bezug auf Verstand, Gefühle, Wille, Gesundheit, körperliche Befindlichkeiten etc. in Einklang
ist mit dem Thema, dem Auftrag, dem Ziel, dem Prozess und der Vorgangsweise des Coaches. Coach und Coachee ler-
nen, die im Raum spürbaren Empfindungen einzuordnen und zuzuordnen und daraus direkt Fragen und Antworten direkt
aus dem Coachingprozess zu reflektieren.
11. Literaturliste
Falko Rheinberg, Motivation, Grundriss der Psychologie Band 6 (2008), Verlag Kohlhammer und Urban
Maja Storch, Frank Krause. Selbstmanagement – ressourcenorientiert – Grundlagen und Trainingsmanual für die Arbeit
mit dem Zürcher Ressourcenmodell 2005, Huber Verlag
Peter Findeisen 2006. Die Qualitäten des Herzens in der Psychotherapie (Vortrag 4.11.2006 Bad Salzuflen)
Dr.Dr. med Herbert Mück (Köln) und Prof. Dr. Michael Mück-Weymann 2007. Herzvariabilität Zusammenhang von Flow
und Herzvariabilität. (zu finden auf http://www.herzratenvariabilitaet.de/HRV-Perspektiven.htm)
Flow 2008. Das Geheimnis des Glücks, Klett-Cotta Verlag
Mihaly Csikszentmihalyi: Flow. Das Geheimnis des Glücks, 2008, Klett-Cotta Verlag
Jörg Schumacher, „Das Überschreiten des Rubikon: Willensprozesse und deren Bedeutung für Therapie und Rehabilita-
tion, erschienen in Schröder, H&H Heckhausen, W. (Hrsg.) (2001). Persönlichkeit und Individualität in der Rehabilitati-
on. Frankfurt a.M.: Verlag für Akademische Schriften (zu finden auf http//pp-praxis.ch/de/docs/Das Ueberschreitendes
Rubikon.pdf)
Jutta und Heinz Heckhausen: Motivation und Handeln, 2006, Springer Verlag
Roth G. (2001). Fühlen, Denken, Handeln. Wie das Gehirn unser Verhalten steuert. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Krise oder Konfliktlösung?Die Rolle der Emotionen im CoachingAnn-Katrin Suckow
1. Einleitung:
Unbestreitbar spielen Emotionen im Coaching eine wichtige Rolle. Was aber genau bedeuten sie? Was bringen sie für
den Prozess? Und wie lassen sie sich im Coachingsetting nutzen, ohne dass sie aus dem Ruder laufen?
Ziel dieses Kapitels ist es, die Herkunft und Bedeutung von Emotionen im Coaching zu erklären und Hinweise auf den
lösungs- und nutzenorientierten Umgang im Coachingsetting und für den Coachee in der Selbstanwendung zu geben.
Der einfachen Lesbarkeit halber verwende ich „der Coach“ und „er“ – gemeint sind selbstverständlich männliche und
weibliche Coaches.
2. Hintergrund und Theorie: Was sind Emotionen, und woher kommen sie?
Die Erforschung von Emotionen befindet sich in einem Stadium der Entwicklung. Viele Aspekte sind bekannt, andere
werden aber durch neue wissenschaftliche Erkenntnisse immer wieder berichtigt oder spezifiziert.
Antonio Damasio beschreibt die Entstehung von Emotionen wie z.B. Glück, Trauer, Verlegenheit oder Mitgefühl als einen
komplexen Ablauf chemischer und neuraler Reaktionen, die das Gehirn als Reaktion auf einen emotional besetzen Stimu-
lus produziert – der entweder konkret oder in der Erinnerung vorhanden ist1. Die Reaktionen laufen automatisch ab und
bewirken eine zeitweilige Veränderung des Zustands des Körpers und der Hirnstrukturen, die das Substrat des Denkens
bilden. Zweck dieser Veränderung ist es, die Bedingungen wiederherzustellen, die dem Überleben und Wohlbefinden
des Organismus dienen. Emotionen sind also ein natürliches Mittel für Gehirn und Geist, die Umwelt zu beurteilen und
passend darauf zu reagieren.
Für den Neurobiologen Michael Gershon2 ist der eigentliche Sitz von Emotionen der Bauch. Dieser ist mit denselben
Nervenzellen ausgestattet wie unser Gehirn und laut Gershon eine Art zweite Kommandozentrale, die oft kompetenter ent-
scheidet als der Kopf – nämlich „aus dem Bauch heraus“. Dieses Bauchgehirn besitzt eigene somatische Marker, die dem
Menschen eine Art „Vorgefühl“ vermitteln. Es sendet Informationen vom Bauch an das Großhirn, wo die Übersetzung in
Unwohlsein, Fröhlichkeit, schlechte oder gute Laune, geschieht.
75
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Diese Sichtweise passt auch zur traditionellen chinesischen Medizin: sie ordnet Emotionen Organen des Körpers zu.
Bestimmte Emotionen werden immer im Zellgedächtnis des dazugehörigen Organs gespeichert, beispielsweise Trauer
in der Lunge, Wut in der Leber oder Ärger im Magen. Gershon bezeichnet Emotionen entsprechend als die Quintessenz
unserer Lebenserfahrungen. Auch Joachim Bauer schreibt, dass die Erfahrungen jedes Menschen in seinem emotionalen
Erfahrungsgedächtnis gespeichert sind.3
Wenn Emotionen ausgelöst werden, dann aktivieren sie die passend dazu gespeicherten Handlungsmuster4. Diese Ak-
tivierungen dienen dem Überleben und Wohlbefinden des Körpers und sind in der Vergangenheit angelegt worden, um
den Menschen – damals wahrscheinlich noch ein Kind – vor einer vermeintlichen Gefahrensituation zu schützen. Bei
einem Erwachsenen können diese alten Handlungsmuster sich als ein riesiges Hindernis herausstellen. Ein Beispiel:
gelingt jemandem der finanzielle Erfolg einfach nicht, obwohl er scheinbar alle richtigen Schritte befolgt, so kann es an
einem alten Muster liegen, das ihm suggeriert, bloß nicht aufzufallen oder sich selbst klein zu halten. War dieses Muster
für ein Kleinkind vielleicht angemessen, um sich vor elterlichen Ausbrüchen zu schützen, so steht es dem erwachsenen
Geschäftsmann nun im Weg und verhindert buchstäblich den Erfolg.
2.1. Emotion und Vergessen
Interessant ist die Tatsache, dass der auslösende Impuls nicht einmal bewusst wahrgenommen werden muss, um eine
Emotion freizusetzen. In „Das Gedächtnis des Körpers“ beschreibt Bauer, dass bei Trauma-Patienten, die eine extreme
Gefahrensituation erlebt haben, schon ein bewusst nicht wahrnehmbares Bild oder eine für das Gehirn ähnlich schei-
nende Situation ausreicht, um die ursprünglichen Emotionen der Situation wieder herbeizuführen.5 So kann es einem
Autofahrer durchaus passieren, dass er nach einem schweren Unfall eine ähnliche Strecke nicht befahren kann, ohne eine
Panikattacke zu bekommen – obwohl die tatsächliche Gefahr in der Vergangenheit liegt und real nicht vorhanden ist, und
obwohl er während des Fahrens nicht an den Unfall gedacht hat.
In Coachingsettings kann man beobachten, dass die auslösenden, ursprünglichen Situationen aus dem bewusst ab-
rufbaren Gedächtnis sogar ganz verschwunden zu sein scheinen. Offensichtlich überdauern Emotionen das Vergessen.
Das bestätigt auch eine Pressemitteilung der University of Chicago aus dem Juni 2010, die beschreibt, dass bei Amne-
sie-Patienten auch dann Emotionen zu beobachten waren, wenn die auslösende Situation vollständig aus dem Gedächt-
nis gelöscht, also vergessen ist.6
Mit anderen Worten: das Gedächtnis für Situationen und das Gedächtnis von Emotionen ist ganz unterschiedlicher Art
und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft auch an unterschiedlichen Stellen im Körper gespeichert – nicht nur
im Gehirn.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2.2. Emotions-Auslöser
Ein Emotionen auslösender Stimulus kann schon der Gedanke an eine Person – nennen wir sie „X“ – sein, die man in
Kürze treffen wird. Je nach Art des Verhältnisses zu X und Erwartung an das Treffen kann der Gedanke Emotionen von
Vorfreude bis Furcht oder Widerwillen auslösen – ohne dass der auslösende Faktor, also X selbst, überhaupt in der Nähe
ist. Die Reaktion des Körpers ist gleich stark, egal ob der Körper auf einen real vorhandenen oder einen gedachten Impuls
reagiert.
Emotionen sind immer mit einer Information verknüpft. Die Information: „X ist ein Mensch, der mir sehr fehlt“, führt
dazu, dass wir beim Gedanken an ein Treffen Aufregung, Vorfreude und Glück verspüren. Lautet die Information „X ist
jemand, der mir schaden möchte“, dann führt der Gedanke an ein Treffen zu negativen Emotionen, zum Beispiel Ärger,
Furcht oder Verwirrung.
Für das Coachingsetting bedeutet diese Erkenntnis, dass Emotionen einen direkten Zugang zu Blockaden legen können,
die das Weiterkommen behindern oder die Bewältigung des Alltags erschweren. Und das ist selbst dann möglich, wenn
es zunächst keine bewusste Verknüpfung des vergangenen Geschehens mit der Gegenwart zu geben scheint – oder die
auslösende Begebenheit ganz und gar aus dem bewussten Gedächtnis verschwunden zu sein scheint.
Umgekehrt ist es möglich, durch eine Verknüpfung von gewünschten Ereignissen mit einer positiven Emotion dieses
Ereignis positiv zu „überschreiben“. Person X kann dann von einem Feind zu einem Freund werden, das Thema Beruf
von Angstbesetzung zu Mut und Selbstvertrauen. Dafür ist es lediglich nötig, die Negativ-Emotion, die im Zellgedächtnis
gespeichert ist und die alten Handlungsmuster aktiviert, wahrzunehmen und loszulassen.
Das Ziel eines Coachings ist es, alte, hinderliche Handlungsmuster durch neue, angemessene Muster zu ersetzen, die
zum gewünschten Ziel führen – sei es nun Erfolg, Wohlstand oder ein glückliches Grundgefühl.
3. Anwendung: Emotionen im Coaching
Emotion und Intuition – es gibt wohl kaum vergleichbare Aspekte im Coaching, die einerseits so schwer zu erklären sind,
andererseits aber die kraftvollsten Ergebnisse erzielen. Nicht nur entziehen sie sich bisher einer eindeutigen Zuordnung
und finaler wissenschaftlicher Erkenntnisse, sie können auch nicht mit einer einzigen standardisierten Herangehenswei-
se verwendet werden. Beide erfordern einfach die volle Aufmerksamkeit und eine starke Präsenz des Coaches.
Im Verlauf des Coachingsettings gibt es zwei Arten des Arbeitens mit Emotionen:
1. das Lesen/Verstehen des Themas aufgrund der vorhandenen (meist negativen) Emotionen des Coachees: hier wird
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
das System nach seinen Handlungsmustern untersucht, vorhandene Blockaden können klar erkannt werden.
2. das Anlegen von positiven Emotionen, die in der Arbeit mit einer Vision mit dem zu erreichenden Zielzustand verknüpft
werden: diese positive Emotion hilft dem Coachee im Alltag, aus seinen Handlungsoptionen immer wieder die zielfüh-
rendste (diese positive Emotion auslösende) auszuwählen.
3.1. Die Wahrnehmung von Emotionen
Emotionen sind anhand von somatischen Markern leicht zu erkennen (spürbare körperliche Veränderungen, z.B. Herz-
klopfen, geweitete Augen, aufrechte Haltung, Erröten). Emotionen müssen keine Aufsehen erregenden Ausbrüche in z.B.
Wut oder Trauer sein. Oft ist zum Beispiel einfach Verwirrung im Raum. Auch das ist eine Emotion, die es zu beachten
gilt.
Die italienischen Forscher Giacomo Rizzolatti und Corrado Sinigaglia berichten, dass der Mechanismus der Spiegelneu-
rone das unmittelbare Verstehen der Emotionen der anderen ermöglicht. Dies ist die notwendige Voraussetzung für die
Einfühlung, das empathische Verhalten.7
Dieses „Mit-Fühlen“ muss nicht einmal eine bewusste Handlung sein. Jede Emotion, die der Coach spürt, ist Teil des
Prozesses. Wenn dieses Bewusstsein erst einmal in den Coachingprozess eingeflossen ist, wird die Coachingarbeit
leichter und effektiver. Die Emotionen, die der Coach vonseiten des Coachees spürt, sind – selbst, wenn sie sich so
anfühlen – nicht persönlich gemeint. Auch eine direkte Kritik, die sich vermeintlich an den Coach richtet, ist erstmal nur
das: Ausdruck einer Emotion.
Die wichtigste Aufgabe des Coaches ist das Spüren, Annehmen und Aussprechen – und zwar dessen, was er selbst
empfindet. Statt sich beunruhigen zu lassen, ist die Emotion ein Beitrag, der ganz neutral wahrgenommen und als Beitrag
zur Klärung des Themas herangezogen werden sollte.
Im Grunde ist das eine sehr gute Nachricht für all diese Coaches, die immer wieder an ihren Fähigkeiten zweifeln – bleibt
man in der reinen Wahrnehmung und spricht man aus, was als Emotion im Raum ist, dann lassen sich die Themen des
Coachees viel leichter lösen. Auf diese Weise kann die Angst vor dem Scheitern (um nur ein Beispiel zu nennen) statt
einer Bremse für den Coach ein wertvoller Beitrag zur Konfliktlösung sein.7
3.2. Unterscheidung der eigenen Emotionen von denen des Coachees
Emotionen sind eine zutiefst subjektive Erfahrung. Man kann nicht von vorneherein sagen: „das ist meine Emotion“, oder
das ist nur mein Mit-Fühlen. Um nicht in die Falle von Projektionen zu laufen (also die eigenen Themen im Coachee zu
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
sehen), ist die beste Vorgehensweise immer ein Praxis-Check.
Idealerweise wird der Coachee zuallererst nach seiner Emotion befragt, z.B. „wie geht es Ihnen damit? Wie fühlt sich das
an?“. Erst dann ist es sinnvoll, mit Hilfe der eigenen Empfindung eine Vermutung anzustellen bzw. die eigene Emotion
zu benennen: „Mir scheint, Sie sind sehr aufgebracht“ oder „Ich fühle mich ein wenig verwirrt – kann es sein, dass diese
Verwirrung gerade im Raum ist? Kann das etwas mit Ihrem Thema zu tun haben?“
Nach und nach wird jeder aufmerksame Coach den Unterschied zwischen eigenen Emotionen und denen des Coachees
unterscheiden lernen und in solchen Fällen, in denen das eigene Thema tatsächlich mit betroffen ist, eine Supervision in
Anspruch nehmen – d.h. den Hinweis dankend für den eigenen Prozess nutzen, diesen aber aus der Sitzung auslagern.
3.3. Emotion als Wegweiser zum Thema
Wie in Kapitel 2 beschrieben, sind Emotionen eine körperliche Reaktion auf einen Impuls, der vom System als Unru-
hestifter erkannt wird. Der Körper tritt in einen besonders wachen und aufgeregten Zustand ein – so lange bis die als
„richtig“ gespeicherten Handlungsmuster aktiviert und durchgelaufen sind.
Nachdem im Coachingsetting versucht wird, durch Interventionen neue Möglichkeiten aufzuzeigen – also die Möglich-
keiten der inneren Bilder zu erweitern – weisen Emotionen deutlich auf das zu behandelnde Thema hin – das, worum es
in diesem Moment und Zusammenhang „wirklich“ geht. Sie führen den Coach direkt zum Kern des Problems. Verlässlich
zeigen sie auf: hier ist das Thema. Darum geht es jetzt.
Wie wir in Teil 2. gesehen habe, überdauern Emotionen das Vergessen und können selbst dann in Erscheinung treten,
wenn die auslösende Situation aus dem – bewussten – Gedächtnis verschwunden ist. Durch das Nutzen der emotionalen
Information erhalten wir also eine zusätzliche Quelle für die Themen des Coachees. Indem wir auf das Zellgedächtnis
zugreifen, haben wir mehr und tiefere Informationen, um Blockaden zu lösen, als bei der reinen Befragung (bei der wir
auf bewusste Erinnerungen zugreifen).
3.4. Das Lesen und Verstehen von Emotionen
Um angemessen mit Emotionen umgehen zu können, ist es wichtig, zu verstehen, dass jede emotionale Reaktion des
Systems der Wiederherstellung der Ordnung und des Wohlbefindens im System des Coachees gilt.
Worin diese Ordnung besteht und was als angemessene Reaktion einzustufen ist, lässt sich außerhalb dieses Systems
nicht beurteilen. Je neutraler der Blick auf die Reaktion und je wertfreier die Beobachtung, desto leichter ist der Coachee
zu erreichen.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Ein Beispiel: Eine Klientin bemüht sich seit Jahren um Erfolg in der Selbständigkeit. Als das Gespräch zufällig auf ihre
Mutter kommt, verändern sich Körperhaltung und Blick – sie scheint auf der Hut zu sein und sich vor einer Gefahr
schützen zu wollen. Auch wenn die Mutter mit ihrem Business nicht das Geringste zu tun hat, ist ihr Erfolg für ihr Sys-
tem direkt mit der kritischen Betrachtung durch die Mutter verknüpft. Für das System der Klientin ist diese Verknüpfung
vollkommen logisch, auch wenn die zwei Bereiche sachlich und inhaltlich nichts miteinander zu tun haben. Für das
Wohlbefinden und die Ordnung des Systems ist es wichtig, dass die Klientin erfolglos bleibt – der Mutter wegen. Es
schlägt Alarm, sobald die Mutter im Zusammenhang mit dem Thema des geschäftlichen Erfolgs ins Gespräch kommt.
Dieser Alarm wird in Form von somatischen Markern als Emotion sichtbar.
3.5. Interventionen: Mit Emotionen arbeiten
3.5.1. Disassoziation
Die somatischen Marker, die auf starke Emotion hinweisen, zeigen, dass der Coachee im Thema verhaftet, also mit dem
Thema assoziiert bzw. identifiziert ist. Diese Anzeichen sind bei jedem Menschen anders, sie können aber zum Beispiel
so aussehen:
Der Coachee
- zeigt starke Emotionen (verbal und nonverbal)
- sitzt sehr aufrecht (versus zurückgelehnt)
- wiederholt sich in Aussagen bzw. findet keine Worte für die Beschreibung der Situation
- spricht sehr aufgeregt
- zeigt häufig einen schweren, kurzen Atem
- hat oft keine Idee, welche Lösung es geben könnte (d.h. ist in einer Blockade
verankert). Mit der Intervention der Disassoziation lässt sich diese enge Verbindung in den meisten Fällen lösen. Hier
wird durch die Einnahme einer neutralen Position das Problem von einer anderen Seite aus betrachtet. Was würde ein
Außenstehender sagen? Wie würde eine nahestehende Person (Partner, gute Freunde, Kollegen) in dieser Situation
agieren? Was würde ein ganz Fremder (ein Außerirdischer) zur Situation und den Verhaltensweisen sagen? Dieses
Vorgehen löst den Coachee aus der Identifikation mit dem Thema.
3.5.1. Emotionen erzeugen
Um somatische Marker auch dem Coachee bewusst zu machen, lassen sich Emotionen bewusst vertiefen. Dazu bittet
man den Coachee, bewusst in seine Wahrnehmung zu gehen, also die Körperwahrnehmung und alle Gedanken und
Emotionen zu spüren und auszudrücken. So lernt der Coachee, seine eigenen Emotionen bewusst zu spüren und wahr-
zunehmen.
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Scheint ein Coachingsetting zu stagnieren, ist es auch möglich, Emotionen zu erzeugen. Auf diese Weise werden neue
Informationen aus dem (Zell-)Gedächtnis abgerufen.
Beispiel-Interventionen:
- absurde Intervention: das Problem in einen ganz anderen, absurden Zusammenhang zu stellen,
z.B. das Büro als Aquarium mit Gold- und Haifischen
- Tabus ansprechen: bisher Ungesagtes offen ansprechen, auch, wenn es sich um Vermutungen handelt.
Wichtig ist dabei eine positive Grundhaltung, so dass diese Offenheit als Unterstützung, nicht als Angriff gesehen wird
3.5.2. Tapping / EFT
Durch Klopfen der Energie-Meridiane, das sogenannte „Tapping“, lassen sich feste neuronale Verbindungen lockern und
auflösen. Diese relativ leicht zu erlernende Technik kann auch dann helfen, wenn ein Coachee in einer Emotion „fest-
zuhängen“ scheint.8 Ähnlich wie eine Akupunktur harmonisiert diese Technik die Energieflüsse des Körpers und ist seit
etwa zwanzig Jahren eine anerkannte Heilmethode, die auch bei emotionalen Blockaden sehr wirkungsvoll funktioniert.
3.6. Emotionen und die Zielvision
Sind die Blockaden erkannt bzw. vorhandene Gefühle wahrgenommen und anerkannt worden, entsteht Platz für das Neue.
Man könnte bildhaft sagen, dass durch den Wegfall eines alten Glaubenssatzes „Platz im Hirn“ entstanden ist. Um das
Ziel des Coachees zu unterstützen, geht es jetzt darum, neue Beschreibungen und Bewertungen und neue Verhaltenswei-
sen zu erarbeiten. Eine neue Sichtweise ist der erste Schritt zu einer neuen Interaktion mit der Umwelt.
Um nachhaltig Wirkung zu erzielen, werden die so entstehenden Emotionen von Begeisterung, Freude etc. mit der
gemeinsam erarbeiteten Vision des Ziels verknüpft. Während vorher bestehende Emotionen gesehen, herausgefordert,
angenommen worden sind, geht es nun darum, absichtlich Emotionen mit Zielbildern und Handlungen zu verknüpfen.
Damit entsteht eine Überschreibung von neuronalen Bahnen. Genau wie in der Krise ein Coachee wieder und wieder
über das Problem nachdenkt und es auf diese Weise verstärkt, so wird nun dieser Mechanismus genutzt, um die „Um-
programmierung“ ins Positive bleibend im Körper und im Zellgedächtnis zu verankern.
Auf diese Weise wird der Coachee ermächtigt, selbst seinen Prozess voranzutreiben: indem er in Situationen seine Hand-
lungsalternativen prüft und jene wählt, die seinem Ziel am nächsten kommt, bewegt er sich automatisch auf sein Ziel zu.
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Ein Beispiel:
Der Mitarbeiter eines Konzerns hat im Coaching erfahren, dass seine wiederkehrenden Konflikte mit einem ganz be-
stimmten Kollegen ihre Ursache in seiner Vergangenheit haben. Sein Ziel, auf der sachlichen Ebene zu bleiben und so
erfolgreich zu werden, ist mit einem Gefühl der Erleichterung, des Friedens und einem Gefühl von Freiheit verknüpft.
Tritt nun eine Situation ein, die früher zu einem Streit geführt hätte, kann er nun seine Optionen prüfen: laut werden, den
Raum verlassen oder ruhig um einen sachlichen Tonfall und die Darlegung des Problems bitten. Option C ist der Ziel-
Emotion am nächsten. Deshalb und „weil es sich gut anfühlt“ wählt er nun diese Option bewusst aus. Innerhalb kurzer
Zeit verwandelt sich die Feindschaft in eine kollegiale Beziehung, neuerdings sind sogar gemeinsame Interessen zur
Sprache gekommen.
3.7. Lassen sich Emotionen im Coaching ignorieren?
Das ist eine Frage, die aus der Angst vor Emotionen resultiert. Emotionen im Coaching sind ein Geschenk und eine der
wertvollsten Informationsquellen. Sie lassen sich lesen, mit etwas Übung „wie ein Buch“, und geben die wertvollsten
Hinweise, die das Unterbewusstsein aussenden kann. Denn vieles, das im Coaching gelöst werden soll, ist nicht mehr im
aktiven Gedächtnis gespeichert. Oft haben Coachees scheinbar keine Ahnung, woher ein bestimmtes Problem kommen
kann. Emotionen sind wie ein Wegweiser zu den größtenteils uralten, verdrängten oder vergessenen Auslösern von ganz
aktuellen Problemen. Sie sind eine Einladung: „Hallo, hier geht es lang! Und bitte dranbleiben.“
Weigert sich ein Coach, den „elephant in the room“ wahrzunehmen und zu benennen, wird das Coaching sich am Ende
halbgar und unbefriedigend anfühlen – für beide Seiten. Möglicherweise wird der Coachee sich auch aus der Zusam-
menarbeit verabschieden, denn er/sie spürt, dass etwas an seiner Wahrheit dem Coach unangenehm war. Es bleibt
ein unbestimmtes Gefühl der Ablehnung zurück, dem sich ein Coachee höchstwahrscheinlich nicht ein weiteres Mal
aussetzen wird.
Um aber beim Thema zu bleiben: auch die Angst vor Emotionen ist eine Emotion und eine Einladung, mit dem Thema zu
arbeiten. Möglicherweise gab es in der Kindheit heftige Ausbrüche von Bezugspersonen – in jedem Fall hat das System
daraufhin entschieden, Emotionen (besonders die negativen) um jeden Preis zu verhindern. Ich lade Sie ein, diese Ängs-
te bewusst wahrzunehmen und einer Vertrauensperson oder einem supervisierenden Coach gegenüber anzusprechen.
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4. Zusammenfassung und Schlussfolgerung
Emotionen im Coaching sind der erste Schritt zur Konfliktlösung und ein idealer Motor, um den gewünschten Zustand –
sei es Glück, beruflicher Erfolg oder eine gute Entscheidung – durch passende Handlungen zu erreichen.
Während das bewusste Gedächtnis nur einen begrenzten Zugriff auf vergangene Erlebnisse hat (und das oft mit voller
Absicht), lassen emotionale Erinnerungen sich nicht ohne Weiteres aus dem Zellgedächtnis löschen. Sie aber steuern
unsere Handlungen, meist, ohne dass uns das bewusst ist. Menschen vermeiden auf diese Weise ein erfülltes Leben
oder nennenswerten beruflichen Erfolg, obwohl sich das Handlungsmuster bei seiner Entstehung auf eine völlig andere
Situation bezogen hat – also längst hinfällig ist.
Das bewusste Wahrnehmen von Emotionen hilft dabei, diese Handlungsmuster aufzuspüren.
Das Wissen, dass Emotionen Handlungen lenken können, wird in neueren Coaching-Ansätzen darüber hinaus dafür
genutzt, zielführende Handlungen zu verankern und eindeutig zu markieren. Diese Verknüpfung von positiven Emotionen
mit der Zielvision hilft dem Coachee dabei, im Alltag seine Handlungsoptionen zu prüfen und zu bewerten und diejenigen
auszusuchen, die ihm zur Erreichung der eigenen Vision am nützlichsten sind. Außerdem dienen sie als Motor: eben
weil positive Gefühle „so schön“ sind, steckt in ihnen bereits ausreichend Motivation, um sie immer wieder erzeugen zu
wollen.
Wohl der wichtigste Hinweis für Coaches bei der Nutzung von Emotionen im Coachingsetting ist, nicht auf Emotionen
„anzuspringen“. Jede Wahrnehmung im Coachingsetting ist nur das: eine Wahrnehmung, die ausgedrückt werden muss,
um dann mit ihr weiterarbeiten zu können. Das Thema, um das es geht, ist immer das des Coachees. Auch wenn sich
das häufig anders anfühlt.
1) Antonio Damasio, Der Spinoza-Effekt, 2006, S. 67f. 2) Michael Gershon, Der kluge Bauch, 20013) Joachim Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2007, S. 1684) Gerald Huther, Die Macht der inneren Bilder, 20065) Joachim Bauer, Das Gedächtnis des Körpers, 2007, S.164f.6) Spektrum der Wissenschaften, Juni 20107) Giacomo Rizzolatti, Corrado Sinigaglia, Empathie und Spiegelneurone, Die biologische Basis des Mitgefühls. Aus dem Italienischen von Friedrich Griese; Suhrkamp Verlag, 20088) Christian Reiland, EFT: Klopfakupressur für Körper, Seele und Geist, Goldmann, 2006
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Coaching aus Sicht der NeurowissenschaftenMag. Sabine Sauerzapf
Hinführung
1. Neurowissenschaftliche Grundlagen unseres Gehirns
1.1 Erfahrung, Lernen und Gedächtnis
1.2 Neuroplastizität
1.3 Das limbische System
1.4 Somatische Marker
1.5 Neurotransmitter
2. Coaching vor einem neurowissenschaftlichen Hintergrund
2.1 Sichtbarmachung neuronaler Vorgänge mittels bildgebender Verfahren
2.2 Four-Faces-of-Insight Modell im Coaching
2.3 Implikationen der Neurowissenschaften für Coaching
2.4 Problem talk creates problems, solution talk creates solutions?
2.5 Ausblick und Implikationen der Neurowissenschaften für das Coaching
3. Literatur
Hinführung
„Wege entstehen dadurch, dass man sie geht.“
Franz Kafka
Die im Zusammenhang mit Coaching oft zitierte Aussage des deutsch-tschechischen Schriftstellers Franz Kafka erweist
sich in vielen systemisch-konstruktivistischen Coachingprozessen als Schlüssel zur Lösung.
Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit den Zusammenhängen zwischen Coaching und den Neurowissenschaften
und soll einen Überblick über aktuelle Entwicklungen in diesem Bereich bieten.
In Zeiten von ständigem Wandel und zunehmender Vernetzung erscheint es sinnvoll, Synergien und neue Erkenntnisse
aus unterschiedlichen Bereichen vor neuen Hintergründen zu beleuchten und durch systemische Betrachtung und In-
tegration auch die Neurowissenschaften für das Coaching nutzbar zu machen. Der Coach als Begleiter des (geistigen)
Veränderungsprozesses seines Coachees kann die Erkenntnisse der Neurowissenschaften über menschliches Verhalten,
Wahrnehmung und Lernen in den Coachingprozess einfließen lassen und diesen somit effektiver gestalten.
Ein neurowissenschaftlich basierter Ansatz ermöglicht einerseits, die Vorgänge im Gehirn des Coachees besser zu ver-
stehen und somit als Coach entsprechend zu handeln. Andererseits bietet er eine physische und konkret nachvollziehbare
Komponente: In einer materialistischen Welt ist es sowohl für Einzelpersonen als auch für Organisationen wichtig, dass
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Aktionen greifbar und auch messbar gestaltet werden1, die Neurowissenschaften bieten hierbei einen neuartigen Zugang.
Konkret soll im Rahmen dieses Beitrags folgenden Fragen nachgegangen werden:
- Was passiert bei Lern- und Veränderungsprozessen auf neurophysiologischer Ebene im menschlichen Gehirn?
- Bieten die Neurowissenschaften einen Erklärungsansatz für den Lösungsfokus im Coaching?
- Welche Regionen des menschlichen Gehirns werden im Coaching aktiviert und wie kann der Coach
neurowissenschaftliche Erkenntnisse in den Coachingablauf integrieren?
1. Neurowissenschaftliche Grundlagen unseres Gehirns
Während Wissenschaftler bis vor einigen Jahren das menschliche Gehirn mit einem Computer verglichen, auf dessen
Festplatte wir unsere Erfahrungen abspeichern, hat sich diese Sichtweise in den letzten Jahren sehr stark gewandelt – vor
allem aufgrund neuer Erkenntnisse der Neurowissenschaften.
Schätzungen zufolge besteht das menschliche Gehirn aus ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen (Neuronen), deren
Hauptaufgabe darin besteht, untereinander Informationen zu übermitteln.2
In den Neurowissenschaften wird das Gehirn als dynamisches, selbstorganisierendes, vernetztes und nicht-lineares Sys-
tem verstanden, das auf Erfahrungen beruht, Informationen über Menschen auswählt, bewertet und schließlich speichert.
Der in den USA lehrende Neurowissenschaftler A. Damasio bezeichnet das menschliche Gehirn als ein „Supersystem
von Systemen“3, das keine einzelnen Zentren für Sprache oder Sozialverhalten enthält, sondern aus vielen miteinander
vernetzten Regionen besteht.
Die Hirnforschung wies in den letzten Jahren nach, dass alle menschlichen Verhaltensweisen (inklusive der rationalen
und emotionalen Funktionen) auf bestimmten neuronalen Verarbeitungsprozessen basieren4 und dass unser Sein und
Handeln somit untrennbar mit den Strukturen unseres Gehirns verbunden ist.5
Will man die Funktionsweise des Gehirns verstehen und die Erkenntnisse der Neurowissenschaften auf Bereiche wie
Coaching übertragen, bedarf es zuerst des Verständnisses der funktionellen Grundeinheit des menschlichen Gehirns,
des Neurons. Die Grundlage der Erregungsverarbeitung im menschlichen Nervensystem bildet die elektrische Ladung
der neuronumgebenden Hülle.6
Das Neuron empfängt über den Zellkörper und dessen faserförmige Fortsätze (Dendriten) elektrochemische Informati-
onen, die durch einen elektrischen Reiz über eine Faser (Axon) weitertransportiert werden.7,8 Die Spannung entlädt sich
kurzfristig und erzeugt einen Impuls, der im Axon entlangläuft.9 Dieses Axon spaltet sich in dünne Verästelungen auf,
die in einzelne Verdickungen münden, an denen eine Synapse sitzt, die mit einer naheliegenden Zelle in Kontakt tritt
und somit die Information mittels eines chemischen Reizes überträgt. Diese Übertragung erfolgt über den synaptischen
Spalt, der zwischen dem Axon des einen und dem Zellkörper bzw. den Dendriten des nachfolgenden Neurons liegt (siehe
Abb. 1). Ein Neuron kann eine sehr hohe Anzahl synaptischer Verbindungen mit anderen Nervenzellen eingehen, das
menschliche Gehirn weist schätzungsweise eine Billiarde (1015) Synapsen auf.10
85
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Abb. 1: Reizübertragung zwischen den Neuronen
Quelle: Erstellt und modifiziert nach Kent11
Das ankommende elektrische Signal wird in ein chemisches umgewandelt. Die Neurotransmitter werden in den Ner-
venzellen produziert und wandern (verstaut in kleinen Vesikel, genannten Bläschen) über das Axon der präsynaptischen
Nervenzelle in den synaptischen Spalt. Ihr gegenüber liegt die postsynaptische „Empfängerzelle“, welche mit Rezeptoren
bestückt ist, an der die freigesetzten Neurotransmitter binden können. Im synaptischen Spalt können sich die verschie-
denen Stoffe mehr oder weniger frei bewegen.
Durch die Wechselwirkung von Neurotransmitter und Rezeptor am postsynaptischen Neuron wird das elektrische Signal
weitergeleitet. Danach wird der Neurotransmitter entweder über Enzyme abgebaut oder vom präsynaptischen Neuron
wiederaufgenommen und recycelt. Durch die Wirkung von abbauenden Enzymen verschwinden die Transmitter an der
Synapse schnell wieder, bei einigen Transmittern erfolgt gar kein Abbau: Sie werden wieder vom Axon aufgenommen.
Störungen der Neurotransmitter-Freisetzung sind die Ursache vieler psychiatrischer und neurologischer Erkrankungen.
Beispielsweise kann es zu einer Depression führen, wenn nicht genügend Serotonin gebildet oder ausgeschüttet wird.
Synapsen unterstützen die netzwerkartige Synchronisation der Gehirntätigkeit in größeren Systemen und bieten so die
wesentliche Voraussetzung für Lernen.12
Zusammenfassend lässt sich also festellen, dass Synapsen durch Erfahrungen gebildet und verändert werden.13
Präsynaptisches Neuron
Postsynaptisches NeuronZellkernDendrit
Axon
Elektrische Reizleitungentlang des Axons
Zellkörper
Präsynaptisches Neuron
Synaptischer Spalt
Postsynaptisches Neuron
Abbauende Enzyme Vesikel
Rückaufnahme
Postsynaptischer Rezeptor
Abbauende EnzymeNeurotransmitter
Recycling
Chemische Reizübertragungim synaptischen Spalt
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Die Leistungen des menschlichen Gehirns basieren auf der Organisation von Struktur und Funktion der Neuronen sowie
auf deren elektrischer und chemischer Interaktion, Vernetzung und gegenseitiger Einflussnahme.14 Letztlich entscheiden
Art und Intensität der Nutzung des Gehirns darüber, wie viele Milliarden von Verschaltungen zwischen Nervenzellen im
Gehirn entstehen, welche Verhaltensmuster sich dort stabilisieren und wie hoch die Komplexität der Verschaltungen
untereinander ist.15
1.1 Erfahrung, Lernen und Gedächtnis
„Erfahrung ist die Ursache, die Welt ist die Folge.“
Heinz v. Foerster16
Unter dem Begriff Lernen versteht man den Erwerb von Informationen oder von motorischen Fähigkeiten, während sich
der Begriff Gedächtnis auf deren Anwendung oder Abrufung bezieht.17
Im Lexikon wird Erfahrung einerseits als ein Erlebnis im Sinne eines wahrgenommenen Ereignisses und andererseits
als die Summe aus Wahrnehmungen, Sinneseindrücken und kognitiven Prozessen beschrieben. Erfahrung bleibt in
unserem Gedächtnis, sie ist jederzeit abrufbar und schließlich anwendbar.18 Erfahrungen werden durch wiederholte Akti-
vierung der Synapsen im menschlichen Gehirn gespeichert.19
Eine Synapse ist jene Stelle, an der zwei Nervenzellen durch chemische Botenstoffe (Neurotransmitter) miteinander
in Verbindung treten und Signale austauschen können.20 Dies stellt die Basis von Lernen und Gedächtnis dar. Je öfter
die Synapse und in weiterer Folge Gruppen von Synapsen erregt werden, desto stärker wird die Verbindung und umso
schneller die Informationsübertragung.21
Neurowissenschaftlich passiert der Akt des Lernens, indem die Information eines sinnlich wahrnehmbaren Reizes vom
Gehirn erfasst wird. Dieser Reiz kann visueller, auditiver, haptischer, olfaktorischer oder gustatorischer Art sein. Er trifft
auf eine Sinneszelle, die ihn sofort in Form eines elektrischen Erregungsimpulses an eine Nervenzelle und deren Fasern
weiterleitet. Der elektrische Erregungsimpuls bewegt sich nun zwischen den Nervenfaserenden auf bestimmten Bahnen
und hinterlässt dabei molekulare Spuren, die sich auch chemisch im Gehirn einprägen. Die zunächst noch nicht fest
zusammengeschalteten Nervenbahnen festigen sich.
Werden diese synpatischen Verbindungen zwischen den Nervenzellen durch wiederholte Benutzung immer mehr ver-
stärkt, spricht man von „Bahnung“ (englisch: priming).22
Dies hat zur Folge, dass der Inhalt ins Langzeitgedächtnis gelangt23 und so gelernt wird.
Hirnforscher veranschaulichen den Begriff der Bahnung mittels eines Weges, der, je öfter er benutzt wird, an Breite ge-
winnt und sich nach einigen Jahren in eine breite, gut begehbare Straße verwandelt hat, während Wege, die selten oder
gar unbenutzt bleiben, im Laufe der Zeit verwildern und zuwachsen.24;25 In einer anderen Quelle wird der Vergleich mit
einem Muskel gewählt, der durch häufige Aktivierung kräftiger wird. Dies erklärt auch, warum in unserem Nervensystem
bei neuen Reizen vor allem solche Verbindungen reagieren, bei denen bereits kräftige Verknüpfungen zwischen den
87
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
beteiligten Neuronen bestehen. Auch hier passt der Vergleich mit den Muskeln: Wer nur kräftige Beinmuskeln hat, wird
zum Heben schwerer Gegenstände vor allem diese einsetzen. Der daraus resultierende Nachteil ist, dass die Beine immer
kräftiger werden und andere Muskeln – mangels Benutzung – möglicherweise verkümmern.26
Die eben beschriebenen Bilder verdeutlichen auch, dass es Menschen so gut wie immer möglich ist, neue Wege im
Gehirn zu „bahnen“, gleichzeitig bleiben die alten Bahnen lange erhalten, verkümmern aber zunehmend. Je mehr sie
emotional gespeichert sind, umso schwieriger ist es, sie durch neue Erfahrungen zu löschen oder zu „überschreiben“.
So erklärt sich, warum es anfänglich immer wieder zu Rückfällen in die alten Bahnen (Gewohnheiten) kommt. Der neu
gebahnte Weg ist vorhanden und soll nach einigem „Üben“ anstelle des alten benutzt werden.27
Wie bereits erwähnt, ist menschliches Wissen nicht in einzelnen Neuronen sondern in neuronalen Netzen gespeichert,
Lernen ist daher die oftmalige gemeinsame Benutzung von Neuronengruppen. Diese sind multicodiert, was bedeutet,
dass sensorische, kognitive, emotionale und physische Informationen ebenfalls mitabgespeichert werden.28;29
1.2 Neuroplastizität
„Neurons that fire together, wire together.“
D. Hebb
Neuroplastizität bezeichnet die Fähigkeit des menschlichen Gehirns, seine Struktur und Organisation an veränderte
Umwelterfordernisse zu adaptieren, kleinere Defizite auszugleichen und vorhandene Funktionen entsprechend zu verän-
dern.30;31 Dies geschieht im Rahmen von Lernprozessen oder auch nach Läsionen32 (z.B. Schlaganfall, Tumor).
In Zeiten von ständigem Wandel und Vernetzung kann der Mensch daher besser überleben, weil sich sein Gehirn und
letztlich auch sein Körper an neue Anforderungen anpassen können.
Die synaptische Plastizität (von D. Hebb beschrieben) erklärt das Zustandekommen von Lernen in neuronalen Netzwer-
ken. Das obige Zitat besagt, dass je häufiger ein Neuron mit einem anderen Neuron aktiv ist, die beiden umso bevor-
zugter aufeinander reagieren.33
Das Gehirn als hochdynamisches, nicht-lineares System kann aufgrund der Fähigkeit des Lernens und der Neuroplasti-
zität neue Eigenschaften hervorbringen. Wahrnehmung oder motorische Programme sind hoch komplexe raum-zeitliche
Aktivitätsmuster in diesen neuronalen Netzwerken.34 Trotz der hohen Komplexität kann sich unser Gehirn ständig struk-
turell und funktionell reorganisieren.35
1.3 Das limbische System
Im Laufe der evolutionären Entwicklung des Menschen verringerten sich biologisch fix verankerte Verhaltensweisen,
dies führte zu einer größeren Vielfalt des emotionalen Erlebens sowie zu einer Verbesserung der Lernfähigkeit und der
Gedächtnisfunktionen.36
88
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Abb. 2: Die Lage des limbischen Systems im menschlichen Gehirn
Quelle: Multhaup37
Um durch Lernen bzw. Bahnung entstandene kodierte Informationen für das menschliche Verhalten nutzbar zu machen,
wird ein Bewertungssystem benötigt. Erfahrungen werden im menschlichen Gehirn danach gespeichert, ob sie das psy-
chobiologische Wohlbefinden erhöhen oder senken.
Eine der Kernaufgaben des gesamten Nervensystems besteht darin, diese Umweltveränderungen zu identifizieren und
entsprechende Signale weiterzuleiten.38
Unterschiede zwischen äußerer Welt und innerer Wahrnehmung, die eine Störung der inneren menschlichen Ordnung
bewirken, sollen ausgeglichen oder verhindert werden. Eine Nervenzelle leitet einen Impuls immer dann weiter, wenn
sie durch die ankommenden Impulse anderer Nervenzellen stark genug aktiviert wird. Das Gehirn reagiert, wenn die
wahrgenommene Veränderung so groß ist, dass auch tieferliegende Nervennetzwerke (im limbischen System, s.u.) erregt
werden. Diesen Impuls empfindet der Mensch als Störung seines emotionalen Gleichgewichts.39
Der Bewertungsvorgang der Wahrnehmungen erfolgt im limbischen System, das den Hirnstamm wie ein Saum (lat. lim-
bus) umgibt und somit die Grenze zur Hirnrinde bildet. Besonders die Regionen Hippocampus, Amygdala und anteriores
Cingulum nehmen hierbei im limbischen System zentrale Funktionen ein.40
Abb. 3: Der Aufbau des limbischen Systems
Quelle: Erstellt in Anlehnung an Thompson41
Großhirn
Hirnstamm
LimbischesSystem
Kleinhirn
Anteriores Cingulum
Amygdala
Septum
Hypothalamus
Hippocampus
PräfrontalerCortex
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Amygdala (Mandelkern)
Die Amygdala ist für das kontextabhängige schnelle Erkennen, Bewerten und Speichern von emotional wichtigen Reizen
(positiver oder negativer Art) verantwortlich und auch für die entsprechende Reaktion (z.B. Furcht oder Aggression)42 auf
diese Reize.
Hippocampus
Die aufgrund ihrer Form als Hippocampus (Seepferdchen) bezeichnete Hirnregion steuert gemeinsam mit anderen Teilen
des Gedächtnisnetzwerks den Erwerb, das Koordinieren und Speichern neuer Gedächtnisinhalte, ist für Bewegungspla-
nung und Orientierung im Raum verantwortlich und beeinflusst somit in weiterer Folge die Steuerung des menschlichen
Verhaltens.43;44
Der Hippocampus vergleicht jeden Reiz mit bereits gespeicherten Erfahrungen, sollte eine mit einer Gefahr verbundene
Erinnerung auftauchen, sendet die Amgydala, welche stark mit dem Hippocampus vernetzt ist, einen Angstreiz aus.45
Anteriores Cingulum
Das anteriore Cingulum ist für Aufmerksamkeitsfokussierung, Strategiebildung und Handlungsauswahl zuständig46, ins-
besondere letztere ist in Coachingprozessen essentiell.
Die drei genannten Hirnstrukturen weisen eine intensive neuronale Vernetzung miteinander auf und werden durch über-
geordnete Hirnbereiche wie z.B. dem präfrontalen Cortex (siehe unten) moduliert.
Im limbischen System sind Emotion, Kognition und Verhalten vereint47, es fungiert als Bewertungszentrum für Sinneser-
fahrungen und beeinflusst das menschliche Verhalten maßgeblich.
Zusammengefasst hat das limbische System zum Teil wesentlichen Einfluss auf:48
- gemütsbedingte Antriebe wie Angst, Wut, Ärger, Trauer, Erregung
- die Innervation innerer Organe und die hormonale Steuerung, in weiterer Folge beeinflusst das
limbische System vegetative Funktionen (Herzschlag, Atmung etc.)
- Gedächtnissteuerung, Motivation und Lernen
Strukturelle oder funktionelle Beeinträchtigungen des limbischen Systems führen häufig zu neurologischen oder psychi-
schen Erkrankungen (Neurosen, Suchterkrankungen, Schizophrenie, Depression etc.) sowie auch zu Gedächtnisstörun-
gen oder Halluzinationen.49
1.4 Somatische Marker
In der Hirnforschung werden die im präfrontalen Cortex (siehe Abb. 3) angesiedelten somatischen Marker als emotiona-
les Erfahrungsgedächtnis des Gehirns beschrieben.50
Bereits im Beitrag von Natalie Ségur-Cabanac in diesem Buch wurde auf die somatischen Marker und ihre praktische
Bedeutung im Coachingprozess eingegangen, hier sollen sie nun auch neurowissenschaftlich beleuchtet werden.
90
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Der präfrontale Cortex kann Signale aus allen sensorischen Regionen des menschlichen Körpers empfangen und macht
so nahezu jede Aktivität im menschlichen Körper oder Geist überprüfbar. Überdies bekommt der präfrontale Cortex auch
Signale aus der Amygdala und den Neuronen, die Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin ausschütten.
Durch die Zusammenführung aller Signale werden dem präfrontalen Cortex die wesentlichen Inhalte des biologischen
Wertesystems des Menschen übermittelt und in weiterer Folge die Basis für Denken und Entscheidungen geliefert.51 Der
präfrontale Cortex unterhält auch Verbindungen zu jeder im Gehirn vorhandenen Route für chemische oder motorische
Reaktionen.52
Bereits vor der Geburt wurden Erfahrungen auf unbewussten Ebenen in Form von Gefühlen und Körperempfindun-
gen in den somatischen Markern gespeichert. Jede Erfahrung, die sich in diesem Gedächtnisspeicher befindet, ist an
das menschliche Bewertungssystem gekoppelt.53 Damasio bezeichnet dieses bewertende Signalsystem des emotiona-
len Erfahrungsgedächtnisses als somatische Marker54 und betont damit den körperlichen Aspekt, den neuronale Netze
zusätzlich zu Informationen sensorischer, emotionaler und kognitiver Natur beinhalten.55 Somatische Marker richten
die Aufmerksamkeit auf die Konsequenzen einer Handlungsalternative und wirken daher als körpereigenes Warn- oder
Startsignal bei zu treffenden Entscheidungen. Damit werden Entscheidungsprozesse vermutlich präziser und nutzenma-
ximierender gestaltet.56
Neurowissenschaftlich betrachtet sind somatische Marker vom limbischen System abhängig, das bestimmte Ereignisse
mit der Aktivierung eines positiven oder negativen Körperzustands in Verbindung bringt.57
1.5 Neurotransmitter
Botenstoffe (sogenannte Neurotransmitter) dienen in den Synapsen als chemisches Kommunikationsmedium zwischen
zwei Nervenzellen.
Sie spielen bei der Regulierung des Aktivitätslevels der Gehirnregionen und damit des Verhaltens eine besondere Rolle.
Jeder Mensch weist einen spezifischen Spiegel dieser Neurotransmitter auf, der als Indikator und Maßstab für bestimmte
Reaktionen auf Umweltreize dient.58
Im synaptischen Spalt sind Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin oder Noradrenalin für die Weiterleitung des im
präsynaptischen Neuron ankommenden elektrischen Impulses an das postsynaptische Neuron zuständig. Nach der
Reizübertragung erfolgt entweder der Abbau des Neurotransmitters durch spezifische Enzyme oder ein „Recycling“ mit
Rückaufnahme des Neurotransmitters in das präsynaptische Neuron.59 (siehe auch Abb. 1).
Dopamin
Forschungen zeigten, dass Dopamin die synaptische Plastizität während des Lernens im Hippocampus initiiert. Ein
„Neuigkeitssignal“ im Gehirn wird in eine Region gesendet, wo sich dopaminhaltige Neuronen befinden. Dadurch wer-
den Neuronen aktiviert und setzen unter anderem auch im Hippocampus Dopamin frei. Dies verbessert die synaptische
Plastizität und verstärkt das Lernen.60
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Die Langzeitverstärkung des Lernens wird durch Dopamin, aber auch durch den Neurotransmitter Serotonin gesteuert.
Einer Studie von Waelti61 zufolge passiert Lernen dann, wenn dopaminerge Neuronen in Bezug auf ein erwartetes Er-
eignis einen Vorhersageirrtum feststellen; erst wenn eine Abweichung des Erwarteten (bzw. eine Überraschung) eintritt,
werden die Neuronen aktiviert und Lernen wird ermöglicht.62
Forschungen zu Wechselwirkungen zwischen Gedächtnis und Affekt zeigten, dass jene Informationen eher erinnert wer-
den können, die interessieren, überraschen, erstaunen oder Angst hervorrufen.63
Serotonin
Serotonin beeinflusst die Steuerung verschiedener neurophysiologischer Prozesse wie Bewegung, Gedächtnis, Schlaf,
Nahrungsaufnahme, Stimmung, Schmerzempfindung, Regulation der Hormonausschüttung. Ist ausreichend Serotonin
im menschlichen Körper vorhanden, fühlt man sich ruhig und ausgeglichen, ein extremer Mangel führt oft zu Aggression
oder emotionaler Überempfindlichkeit. Ein dauerhafter Serotoninmangel begünstigt das Auftreten psychischer Erkran-
kungen wie Angst-, Belastungs-, Ess- oder Schlafstörungen oder auch Depressionen.64
2. Coaching vor einem neurowissenschaftlichen Hintergrund
Die Neurowissenschaften bieten Erklärungsmechanismen an, wie und warum Coaching funktioniert. Ein neurowissen-
schaftlich basierter Ansatz bietet auch für den Coach die Möglichkeit, seine intuitiv oft sinnvollen Handlungen auf einer
neurowissenschaftlichen Ebene zu reflektieren und noch stärker auf die Lösung zu fokussieren65, um den Coachee beim
Lernen bzw. der Bahnung neuer „Wege“ nachhaltig zu unterstützen.
Neue empirische Ansätze der Gehirnforschung sowie der Einsatz bildgebender Verfahren für die Sichtbarmachung von
Gehirnaktivitäten unterstützen bei der Erweiterung bzw. Veränderung herkömmlicher menschlicher Denkmuster.
2.1 Sichtbarmachung neuronaler Vorgänge mittels bildgebender Verfahren
„Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit.“
Schiller
Mit bildgebenden Verfahren können allgemeine Prozesse, neuronale Netzwerke, Synapsen oder auch Neurotransmitter
im lebenden menschlichen Gehirn abgebildet werden.
Die Positronenemissionstomografie (PET) oder die funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) zeigen in sehr hoher
Auflösung wie viel Energie in welcher Hirnregion benötigt wird.66
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
PET
Mit PET können die Interaktionen der Neurotransmittersysteme abgebildet werden, wobei hierfür eine Injektion eines
radioaktiven Tracers in die menschliche Blutbahn benötigt wird.67
Die PET ermöglicht das Sichtbarmachen energieverbrauchender Prozesse und somit der neuronalen Aktivität und bildet
in der jeweiligen Hirnregion geleistete Arbeit ab. Weiters kann mittels PET die Verteilung molekularer Strukturen, die
an der synpatischen Übertragung mitwirken (z. B. neurotransmitterspezifische Rezeptoren und Transporter), abgebildet
werden.68
PET-Studien zeigten, dass Menschen bewusst die Menge und Qualität der Aufmerksamkeit auf vom Gehirn generierte
Gefühle wie Angst oder Stress beeinflussen können und dadurch auch die Funktionsweise ihres Gehirns verändern kön-
nen.69 Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse lässt sich für Coachingprozesse feststellen, dass der Coachee durch das
Fokussieren seiner Aufmerksamkeit auf sein Ziel nicht erwünschte Gefühle in Bezug auf sein Problem verändern kann.
fMRI
Mittels funktioneller Magnetresonanztomografie kann der Aktivitätszustand bestimmter Hirnregionen anhand des ver-
änderten Bluttransports in diesen Regionen dargestellt werden. Einerseits kann damit die Reaktion auf äußere Reize,
andererseits auch die Wirkung mentaler Vorstellungen untersucht werden. Im Rahmen von fMRI Untersuchungen werden
dabei die Aktivitätsveränderungen in den untersuchten Hirnregionen aufgezeigt, während die Probanden Aufgaben lösen.
Die Ergebnisse einer fMRI Untersuchung hängen daher sehr stark mit der Motivation und der Leistung der untersuchten
Person zusammen.70
Mit Hilfe des fMRI lässt sich beobachten, dass im Gehirn eines Menschen, der gerade intensiv über seine Problemlösung
(z.B. im Coaching) nachdenkt, gleichzeitig viele und weit voneinander entfernte neuronale Netzwerke im Gehirn aktiviert
werden. Bisher voneinander getrennt abgelegte Wissens- und Gedächtnisinhalte werden also vernetzt und gleichzeitig
aufgerufen (Näheres dazu auch im Four-Faces-of-Insight Modell, das im nächsten Punkt vorgestellt wird).
Die bildgebenden Verfahren ermöglichen einerseits einen Einblick in regional unterschiedlich ausgeprägte Gehirnaktivi-
täten und andererseits die Identifizierung von Einflüssen wie Medikamenteneinnahme, aber auch von psychotherapeuti-
schen Interventionen71 und Coachingsituationen.
2.2 Four-Faces-of-Insight Modell im Coaching
Der amerikanische Coach und Autor D. Rock hat sich gemeinsam mit dem Neurowissenschaftler J. Schwartz mit den
Auswirkungen von Coaching auf das menschliche Gehirn beschäftigt.
Veränderung während einer Coachingsitzung passiert, indem man innehält und eine bestimmte Handlungsweise fokus-
siert, dann die Betrachtungsweise in Gedanken reflektiert, um sie in einem neuen Licht zu betrachten und so neue Ver-
netzungen zu generieren. Schließlich sollen diese neu erschaffenen Verbindungen im Gehirn des Coachees gespeichert
werden und abrufbar sein.72
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Rock hat im Laufe seiner Arbeit als Coach das „Four-Faces-of-Insight Modell“ entwickelt, das zeigt, wie ein lösungsori-
entierter Coachingansatz zu einer „Einsicht“ (insight) beim Coachee führt und wie dies auch für den Coach an der Mimik
und Gestik des Coachees erkennbar ist.73
Die folgende Beschreibung basiert auf dem Artikel von David Rock74:
Abb. 4: Das Four-Faces-of-Insight-Modell
Quelle: Rock75
Ad 1) Awareness of Dilemma
Die Emotionen im Gesicht des Coachees zeigen Traurigkeit, Ratlosigkeit oder Verwirrung. Der Coachee macht sich sein
Problem bewusst und fühlt, dass es gelöst werden muss. Der Coachee befindet sich oft in einer Art Dilemma, wenn es
sich zum Beispiel um organisationsbezogene Themen zwischen Mitarbeitern und Führungskräften oder Mitarbeitern
untereinander handelt. Das Dilemma bezieht sich auf konkurrierende Werte oder Ressourcen und zeigt sich im Gehirn
durch verschiedene neuronale Vernetzungen, die miteinander in Konflikt stehen. Das Gehirn hat den Konflikt noch nicht
gelöst, weder durch Bildung neuer Vernetzungen noch durch die Veränderung der alten Verbindungen, und wartet ab.
Ein oft genanntes Beispiel für ein Dilemma ist, dass der Coachee gerne erfolgreich sein möchte, dafür aber länger arbei-
ten und somit seine Freizeit oder die Zeit mit seiner Familie opfern muss.
Ad 2) Reflection
In der Phase der Reflexion verändert sich das Gesicht des Coachees, oft blickt er nach unten oder oben, der Blick wirkt
etwas verschwommen. Der Coachee spricht nicht. Studien zeigten, dass während dieser Phase keine logischen oder ana-
lytischen Gedanken gefasst werden. Durch neuartige Fragen des Coaches wird der Coachee dazu motiviert, auf neuartige
Art und Weise über seine Situation nachzudenken.
Ad 3) Illumination
In der Phase der Illumination kommt es zu einem „Energierausch“, im Moment der Einsicht (insight) werden Neuro-
transmitter wie Adrenalin und teilweise auch Serotonin und Dopamin ausgestoßen. Während dieser Phase erschafft der
Coachee in seinem Gehirn eine Art Metanetz, das viele verschiedene Teile des Gehirns miteinander verbindet und ihm
eine mögliche Lösung zeigt.
1. Awareness of Dilemma
2. Refelction 3. Illumination 4. Motivation
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Ad 4) Motivation
Kurz nach einer Einsicht, einem Erkennen der Zusammenhänge, blicken die Augen geradeaus und der Coachee ist be-
reit, seinen Gedanken Taten folgen zu lassen. Jedoch ist dieser Moment sehr kurz und genau hier sollte der Coach den
Coachee dazu bringen, Handlungen zu setzen oder falls dies nicht möglich ist, sollte sich der Coachee wirklich darauf
festzulegen, diese später zu realisieren. Denn so können die eben gewonnenen Ideen auch Wirklichkeit werden.
Nur wenn der Coachee selbst die Idee für die Lösung seines Problems findet, kann er in seinem Gehirn neue Verbindun-
gen generieren und somit die entsprechenden Handlungen setzen.
„The power is in the focus“, meint J. Schwartz und betont damit, dass das, worauf wir uns konzentrieren, unser Gehirn
verändert und auch Einfluß auf unsere Interaktion mit der Welt hat76 und ein Coachee daher nur zu einer für ihn akzep-
tablen Lösung kommen kann, wenn er über sein Problem reflektiert und daraus die Kraft für eine Veränderung beziehen
kann.
Für viele Coachees ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, ihre Einsichten und Gedanken aufzuschreiben und mit
anderen Menschen darüber zu sprechen.77
2.3 Implikationen der Neurowissenschaften für Coaching
Wie bereits eingangs erwähnt, ist es in Zeiten des ständigen Wandels auch für den Menschen unerlässlich, sich zu ver-
ändern, um sich an neue Umweltbedingungen anzupassen.
Neurowissenschaftliche Studien der letzten Jahre ergaben, dass nachhaltige Veränderungen schwieriger herbeizuführen
sind als erwartet, denn das Thema benötigt außer dem bloßen Gedanken daran auch eine dauerhafte Zuwendung und
den nötigen Willen78 zur Veränderung.
Das menschliche Nervensystem ist darauf ausgerichtet, Veränderungen in der Umwelt wahrzunehmen, zu bewerten und
uns positive oder negative Signale weiterzuleiten, die unsere Handlungen leiten. Der Versuch, eine übliche Routine zu
verändern, führt zu einem Signal, dass etwas nicht stimmt, wir sind verwirrt und rationale Veränderungsgedanken kön-
nen schnell durch unser Gehirn zunichte gemacht werden. Alltägliche Routinen wie beispielsweise Auto fahren werden
nach einiger Zeit automatisiert, um im Gehirn Ressourcen einzusparen. In Ländern, wo auf der anderen Seite gefahren
wird, müssen wir als Autofahrer nun plötzlich umdenken und benötigen wieder mehr Ressourcen, um das Auto tatsäch-
lich auf die richtige Straßenseite steuern zu können. Auch hier zeigt sich: Wir versuchen tendenziell, Veränderungen zu
vermeiden, da diese unserem Gehirn sehr viel mehr an Energie abverlangen als Routineaufgaben.79
Die Bahnung bildet das Grundprinzip jeder Veränderung durch Lernen im menschlichen Leben, somit auch im Coaching.
Um einen Coachee zum Lernen zu motivieren, muss ein neuronales Erregungsmuster aktiviert und somit gebahnt wer-
den. Dies benötigt anfangs ständige Wiederholung und eine lange Aufrechterhaltung.
Im Coaching werden Qualitäten wie bewusste Reflexion der eigenen Handlungen, systemische Betrachtung der eigenen
Person im Gesamtsystem, Ausdrucksfähigkeit und Perspektivenwechsel, bewusst angeregt und bilden somit die für eine
Veränderung notwendigen Ressourcen.
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2.4 Problem talk creates problems, solution talk creates solutions80?
Das Zitat von Steve de Shazer zeigt die Orientierung vom Problemfokus hin zum Lösungsfokus im systemischen Coa-
ching. Der Coachee ist also angehalten, sich nicht mehr mit seinem Problem, sondern mit dessen Lösung zu beschäfti-
gen, da es de Shazer zufolge keinen Zusammenhang zwischen Problem und Lösung gibt.81 Doch kann die Sinnhaftigkeit
dieser Haltung auch von den Neuro-wissenschaften bestätigt werden?
„Where you focus your attention, you make connections.“
Jeffrey Schwartz82
Die Aussage des Neurowissenschaftlers J. Schwartz verdeutlicht, dass wenn sich der Coachee auf etwas Neues (wie bei-
spielsweise die Lösung seines Problems oder eine neue vom Coach initiierte Betrachtungsweise) konzentriert, er auch
neue synaptische Verbindungen im Gehirn ausbilden kann.
PET und fMRI zeigten Veränderungen der neuronalen Strukturen und Aktivitätsmuster im Gehirn der Coachees. Es erwies
sich aus neurowissenschaftlicher Sicht als sinnvoll, das Problem dort zu belassen, wo es war, und sich auf die Bahnung
neuer Verbindungen zu konzentrieren.83
2.5 Ausblick und Implikationen der Neurowissenschaften für das Coaching
Die Neurowissenschaften zeigen, dass Menschen unterschiedlich wahrnehmen, lernen und sich verändern, daher bedarf
es seitens des Coaches einer Auseinandersetzung mit dem Aufbau des menschlichen Gehirns, um den Coachee in sei-
nem Veränderungsprozess optimal und nachhaltig unterstützen zu können.
Konstruktivistisch betrachtet, kann (und soll) Wissen nicht vom Coach auf den Coachee übertragen werden, sondern in
dessen Gehirn neu enstehen und ihn dazu bringen, die für ihn beste Lösung selbst zu generieren.
Das Wissen um Bahnung und Neuroplastizität ermöglicht es dem Coach, seinen Coachee bei der Neu- oder Umprogram-
mierung von „Wegen“ im menschlichen Gehirn zu unterstützen. Erkenntnisse wie die „Four Faces of Insight“, somatische
Marker oder bildgebende Verfahren bieten dem Coach eine Unterstützung in der Deutung von Körpersignalen und der
Gehirnaktivität des Coachees.
Das Ende dieses Beitrags soll auch einen Rekurs auf den Beginn liefern, der von Kafkas Zitat: „Wege entstehen dadurch,
dass man sie geht“, ausging. Angewandt auf die in diesem Beitrag gezeigten Synergien zwischen Coaching und Neu-
rowissenschaften könnte dieser folgendermaßen lauten: „Lösungen im Coaching entstehen dadurch, dass man sie im
Gehirn bahnt.“
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1) in Anlehnung an (Rock 2006) S. 322) (Thompson 2001) S. 1-33) (Damasio 1994) S. 594) (Huether 2009) S. 1155) (Roth 2007) S. 236) (Roth 2009) S. 167) (Thompson 2001) S. 3 f.8) (Schwartz und Begley 2002) S. 1039) (Roth 2009) S. 16ff10) (Thompson 2001) S. 3 f.11) (Kent, Mathew et al. 2002)12) (Braus 2004) S. 4613) (Thompson 2001) S. 3 f.14) (Thompson 2001) S. 2915) (Huether 2009) S. 11916) (Foerster 1993) S. 10317) (Thompson 2001) S. 35918) (Wikipedia 2010)19) (Thompson 2001) S. 320) (Storch und Krause 2009) S. 3521) (Storch und Krause 2009) S. 39 f.22) (Storch und Krause 2009) S. 3623) (Sehr 2007) S. 19 f.24) (Huether 2009) S. 9825) (Schwartz und Begley 2002) S. 36626) (Mueck 2010)27) (Mueck 2010)28) (Pallasch und Petersen 2005) S. 193 f.29) (Storch und Krause 2009) S. 39 f.30) (Braus 2004) S. 4231) (Henningsen und Ende-Heningsen 1999) S. 2932) (Muellbacher 2006) S. 51333) Genaueres dazu in: Hebb, O. (1949/2002) The Organization of Behavior: A Neuropsychological Theory. New Jersey, Lawrence Erlbaum Association34) (Elger, Friederici et al. 2004)35) (Muellbacher 2006) S. 52636) (Braus 2004) S. 2637) (Multhaup 2002)38) (Rock 2006) S. 3439) (Huether 2009) S. 111 f.40) (Braus 2004) S. 2641) (Thompson 2001)
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Das Innere Team als Modell zum Verständnis von Aufbau und Dynamik der Persönlichkeit in der CoachingpraxisMag. Barbara Weber-Kainz
Inhaltsverzeichnis
1. Faust: „zwei Seelen ach!...“ Grundlagen des Inneren Teams
1.1 Ursprünge
1.2 Grundsätzlicher Aufbau des Systems des Inneren Teams
2. Dynamik der Persönlichkeit, ausgelöst durch das Modell des Inneren Teams
2.1 Warum werden Stammspieler zu solchen? Eine Geschichte des Erfolgs
2.2 Die Verbannung oder das unsägliche Schicksal der Antipoden
2.2.1 Verbannung die Erste, eine „unterdrückte Tugend“
2.2.2 Verbannung die Zweite, die „Unerwünschte“
2.2.3 Verbannung die Dritte, die „Gefürchtete“
2.3 Auswirkungen des Modells auf das berufliche Umfeld
3. Literaturverzeichnis
1. Faust: „….zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, …“ Grundlagen des Inneren Teams
Zwei Seelen wohnen, ach! in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen; die eine hält, in derber Liebeslust,
sich an die Welt mit klammernden Organen; die andere hebt gewaltsam sich vom Dust zu den Gefilden hoher Ahnen.
(Faust I, Vers 1112 1117)
Mit diesem Zitat beschreibt Goethe die innere Zerrissenheit und Unentschiedenheit eines Menschen, der sich verschie-
denen Sehnsüchten, Gefühlen, Wünschen, Erlebnissen etc. in sich gleichzeitig ausgesetzt sieht.
Friedemann Schulz von Thun hat darin eine wunderbare Ressource entdeckt und die Theorie des Inneren Teams entwi-
ckelt, die sich in den letzten Jahren in der Arbeit als Coach immer mehr als hilfreiches Werkzeug bewiesen hat.1
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Das Bild vom Inneren Team, wie von Friedemann Schulz von Thun in seinem Band „Miteinander Reden Teil 3“ detailliert
beschrieben, wird im Coachingprozess vor allem dann wichtig, wenn es um das Zusammenspiel von unterdrückten
Teamspielern mit den „mächtigen“ und „dominierenden“ Persönlichkeitsmerkmalen oder „Stammspielern“ geht. Dieser
Beitrag soll einen Einblick in das System und die möglichen Folgen für den Coachingprozess bieten.
1.1 Ursprünge
Parts Party nach Virginia Satir2
Zuvor findet sich bereits bei Virginia Satir, die in der Literatur unter anderem als Begründerin der Familientherapie
beschrieben wird, die Arbeit mit inneren Anteilen (Parts Party nach Virginia Satir). Nach Virginia Satir haben wir alle
unterschiedliche Persönlichkeitsanteile und Facetten (z.B. die Schüchterne, der Kreative, der Ungeduldige, die Zielstrebi-
ge), von denen wir einige positiv und andere negativ bewerten. Jeder Anteil (engl.: part) hat nun seine Licht- und Schat-
tenseiten. Und so hat der Schatten auch Licht – welches wir durch die Ablehnung jedoch nicht nutzen und so wertvolle
Ressourcen verschenken. Lehnen wir einzelne Anteile ab, geht Satir davon aus, dass wir der Welt Energien vorenthalten
und – weil wir uns dafür schämen – das verstecken, was in uns ist. Genau das führt aber zum gegenteiligen Effekt, näm-
lich: Treffen wir auf eine andere Person, die genau diese von uns abgelehnte und zu verstecken versuchte Eigenschaft
lebt, reagieren wir ihr gegenüber häufig mit Ablehnung und Aggression. Ebenso häufig bekämpfen und blockieren sich
unsere Anteile.
So entsteht ein heilloses „Gefühlsdurcheinander“. Der Schlüssel, um emotionaler Freiheit und Gelassenheit Raum zu
geben, liegt für Virginia Satir darin, dass wir unsere inneren Anteile identifizieren, deren wertvolle Seite erkennen und
annehmen, um sie dann integrieren zu können. Ziel der Parts Party ist es, die eigenen Anteile und Verhaltensmuster zu
erkennen und positiv im Alltag und im Beruf zu nutzen. Sie unterstützt uns darin, uns so zu akzeptieren und anzunehmen,
wie wir sind.
Das von Virginia Satir dafür entwickelte Tool ist die Parts Party: Dabei lädt eine Person als Gastgeber verschiedene nam-
hafte Gestalten der Gegenwart und der Vergangenheit, die jeweils positive oder negative Eigenschaften dieser Person
verkörpern, zu einer Party ein. Dadurch soll das positive und negative Wunschbild des Selbst des Gastgebers dargestellt
werden. Durch das sehr kompakte Geschehen auf der Party wird der Gastgeber in seiner Gesamtheit, in seinen Proble-
men und in seinen Potentialen sichtbar. Der Umgang des Gastgebers mit seinen Persönlichkeitsanteilen wird physisch
erlebbar. Die gegenseitige Beeinflussung der Gäste, sei es in Form von Konflikten oder in Form von Zusammenarbeit,
macht deutlich, wie die Persönlichkeitsanteile im Gastgeber zueinander stehen, doch auch, wie sie sich weiterentwickeln
und zu einem Ganzen werden können.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Das Ziel der Parts Party ist es, besser mit unseren vielen verschiedenen Teilen und Verhaltenstendenzen umzugehen und
sie in Ressourcen für Ganzheit und Kongruenz umzuwandeln. Durch die Parts Party werden unsere inneren Ressourcen
identifiziert, transformiert und integriert.
NLP Teilemodell3
Auch das NLP Teilemodell geht davon aus, dass in uns, neben unserem Bewusstsein, weitere unbewusste Teilpersönlich-
keiten existieren und agieren. Jeder dieser Teile verfolgt seine eigenen Ziele. Einzelne Teile wissen oft nichts voneinander,
interessieren sich auch nicht füreinander und können im Konflikt zueinander stehen. Sie agieren i.d.R. unabgestimmt
auf der unbewussten Ebene. Ihre wesentliche Gemeinsamkeit ist, dass sie zu derselben Person gehören. Ein Mensch ist
umso glücklicher, je mehr es ihm gelingt, dafür zu sorgen, dass seine Teile in Harmonie miteinander sind. Menschen
fühlen sich „zerrissen“ oder „fremdbestimmt“, wenn sie mächtige nicht integrierte Teile haben.
Im Rahmen der Teilearbeit wird die positive Absicht des Teils, der die unerwünschte Verhaltensweise/Reaktion/Emotion
hervorbringt, herausgearbeitet und gewürdigt (Aussöhnung). Das Modell beruht auf der Annahme, dass es unbewusste
Teile in uns gibt, die zwar unangenehmes Verhalten auslösen, dass diese Auslösung jedoch ihre Berechtigung und ihren
Sinn hat, also grundsätzlich angemessen und positiv intendiert ist. Das Verhalten verfolgt eine bestimmte, zunächst nicht
bewusste Funktion, die jedoch auch von einem anderen, nicht als störend empfundenen. Verhalten erfüllt werden könnte,
es wird die Funktion des Verhaltens vom gezeigten Verhalten getrennt. Daraufhin werden neue Wege zur verhaltensge-
mäßen Umsetzung dieser positiven Absicht des Verhaltens gefunden.
1.2 Grundsätzlicher Aufbau des Systems des Inneren Teams;
Innere Teamführung und Teamkonflikte
Wie kann man sich das Innere Team vorstellen? Schulz von Thun beschreibt es in seinem Buch als „das lebendige Wech-
selspiel verschiedener Teilkräfte, das Miteinander und Gegeneinander von Mitspielern auf einer Bühne, deren Vorhang
für ein Publikum mehr oder weniger auf- und zugezogen werden kann. Der Akzent liegt aber nicht nur darauf, dass die
inneren Mitglieder Wortmelder und Teilnehmer innerer Teamkonferenzen sind, sondern auch im „Außendienst“ zu sicht-
baren Akteuren im zwischenmenschlichen Kontakt werden.“4
Um die Situation des Inneren Teams besser zu beschreiben, liegt der Vergleich mit einem Theaterensemble auf der Hand,
da gibt es Hauptdarsteller, Nebenrollen, Souffleure etc. Das Modell des Inneren Teams wird in der Literatur und der
Praxis auch häufig als „innere Anteile“ bezeichnet, für die Coachingpraxis geht es aber in erster Linie um das Verständ-
nis für das Grundprinzip der Persönlichkeit des Menschen. So stellt sich diese als vorläufiges Ergebnis einer inneren
Gruppendynamik im Wechselspiel mit Feedbacks von außen dar, dieses Kräftespiel lässt manche Ensemblemitglieder
nach vorn, hält andere zurück und schiebt sie ab, lässt die einen Außendienst und die anderen Innendienst verrichten.5
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Nicht alle Mitspieler sind immer zu sehen und/oder für den Coachee bewusst wahrnehmbar, oft handelt es sich auch
um gut versteckte, verletzliche und schutzbedürftige Anteile, die alte Wunden in sich tragen und Angst haben, sich zu
zeigen. Das Innere Team wird von einem Regisseur zusammengehalten und aufgestellt und er steht mit dieser Aufgabe
im klassischen Dilemma, dafür zu sorgen, dass der Erfolg nach außen gesichert und gleichzeitig die inneren Konflikte so
gering wie möglich gehalten werden.6
2. Dynamik der Persönlichkeit, ausgelöst durch das Modell des Inneren Teams
2.1 Warum werden Stammspieler und Hauptdarsteller zu solchen?
Eine Geschichte des Erfolgs …
Man kann unterscheiden zwischen den Stammspielern und den Hauptdarstellern, die Hauptdarsteller werden der jewei-
ligen Situation und Erfordernissen angepasst, immer ausgerichtet auf den unmittelbaren Erfolg zum Einsatz kommen,
wohingegen der Stammspieler durchgängig, sozusagen lebenslang zum Einsatz kommt.
Warum werden nun Stammspieler und/oder Hauptdarsteller zu solchen? Es kommen zwei Lerntypen in Frage: „das Ler-
nen am Modell, am Vorbild“ (Mutter, Vater, wichtige Personen) und „das Lernen am Erfolg“, der Außenerfolg liegt in der
erwünschten Reaktion der Umwelt, der Binnenerfolg in der erwünschten Abwehr unliebsamer innerer Anteile.7
Erfolg im Außendienst. Jedes Umfeld und jedes System (zum Beispiel eine Familie, ein Unternehmen, ein Team) hat seine
eigenen Rollenbedürfnisse, Rollenzuweisungen und Rollenverteilungen. Wenn nun ein bestimmter Persönlichkeitsanteil
aus dem Inneren Team zufällig genau in einem System fehlt, dann kann dies für das Individuum zur Erfolgsgeschichte
werden. Siehe dazu auch das Beispiel von Elisabeth V.:
- Elisabeth ist Filialleiterin eines Museumsshops, sie ist für den Einkauf, die Präsentation der Ware, für das Personal
und die Warenwirtschaft verantwortlich. Elisabeth hat im Museum als Telefonistin begonnen und sich Schritt für
Schritt zur Shopleiterin mit eigener Budgetverantwortung und Personalhoheit hochgearbeitet. Ins Coaching kommt
sie, weil sie das Gefühl hat, immer noch „Mädchen für alles“ zu sein und in den Augen der anderen aus der Rolle der
„ehemaligen Telefonistin“ nicht raus zu kommen.
Die Coach fordert Elisabeth auf, in die Aufstellung auch noch die außenstehenden Positionen wie „die Direktion“ und
„ihre Mitarbeiterinnen“ hinzuzufügen. Schnell wird klar, dass ihre Rolle der Vorgesetzten die „schwächste“ Rolle am
Feld ist, sie wird ganz weit außen platziert, ist der kleinste und unauffälligste Baustein. Diese Position sollte gestärkt
werden, durch Nachfragen von Seiten der Coach, „was könnte helfen, um diese Rolle zu unterstützen“, kommt Elisa-
beth zu dem Schluss, dass ein weiterer Teamplayer in das gesamte Ensemble integriert werden muss, das „ent-
102
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
schiedene Nein“ zum geeigneten Zeitpunkt. Dieses wird helfen, klare Grenzen und deutliche Zeichen zu setzen. Weiters
kommt eine zusätzliche Kraft ins Spiel, diese wird als „Angst“ bezeichnet, Elisabeth setzt diese Position sehr zentral
und beschreibt, dass die „Angst“ momentan die dominante Rolle als Motivator und Triebkraft für ihre Tätigkeit dar-
stellt. Auf die Frage „Angst wovor?“: vor Jobverlust, vor Gesichtsverlust, vor Verlust von Achtung und Reputation etc.
Die Angst wird als solche gewürdigt und ihre Funktion als eine Art Netz, das alles zusammenhält auch nicht unmit-
telbar „bekämpft“, sondern belassen. Das „entschiedene Nein“ hingegen wird in die Aufstellung integriert und Eli-
sabeth versucht nachzuempfinden, was sich verändert, wenn das „entschiedene Nein“ eine größere Bedeutung erhält.
Elisabeth spürt, dass durch das Auftreten des „entschiedenen Neins“ auch die Angst ein wenig geschwächt und die
Position als Vorgesetzte gestärkt wird. Die Rolle als „das Mädchen für alles“ wird im Rahmen der Aufstellung immer
unbedeutender, vielmehr tritt ihre Rolle als Vorgesetzte in den Vordergrund. Elisabeth geht mit einer klaren Vorstellung
aus dem Coaching, wann und zu welchen Gelegenheiten in der nächsten Woche sie bereits das „entschiedene Nein“
zum Einsatz bringen wird. Sie will über diesen bewussten Einsatz des „entschiedenen Neins“ ein eigenes Tagebuch
führen.
- Als Elisabeth im Unternehmen zu arbeiten begonnen hat, war im Team der Platz des „Mädchen für alles“ frei gewe-
sen, Elisabeth hat diesen Platz gerne eingenommen, da konnte sie alle ihre Stärken leben und bekam im Gegenzug
dazu auch die gewünschte Anerkennung. Durch die Veränderung ihrer Position und der Hierarchieebene in der sie
operiert, ist die Rolle für sie nicht mehr adäquat. Sie versucht immer wieder, aus der Rolle auszubrechen. Nachdem
die Rolle im Unternehmen aber noch nicht neu besetzt ist, wird Elisabeth von ihren Kolleginnen, Vorgesetzten und
sogar von den eigenen Mitarbeiterinnen, immer wieder auch in dieser Funktion angesprochen und „ausgenutzt“.
- E. Stahl beschreibt in seinem Buch über „Dynamik in Gruppen“, wie in jeder Gruppe eine Anzahl von (psychologi-
schen) Rollenbildern vorgesehen ist. Kommt jemand neu in die Gruppe, so spürt er intuitiv, welche Rollen bereits
besetzt sind und welche Rollen noch frei sind. Hat nun der Neue ein Inneres Teammitglied zur Verfügung, das einer
noch freien Rolle entspricht, wird es die Rolle in der Gruppe übernehmen und zum Stammspieler werden.8
- Zuweilen zeigt sich im Coaching, dass ein Teamplayer völlig fehlt, wie hier das „entschiedene Nein“, und erst einge-
stellt und „eingeschult“ werden muss. Dabei ist darauf zu achten, dass dieser mit Bedacht zum Einsatz kommt und
nicht schnell mal über das Ziel schießt. Im Laufe der Zeit lässt sich auch beobachten, dass ein fehlender Teamplay-
er, einmal installiert, oft gar nicht mehr so oft zum Einsatz kommen muss, denn die Ausstrahlung auf die Umwelt ist
oft Zeichen genug.
Erfolg im Innendienst. Im Innendienst geht es darum, die verletzlichen, verletzten und weichen Teile des Selbst zu
beschützen. Oft handelt es sich um Verletzungen aus der Kindheit, das „Innere Kind“, wie bereits bei Eric Berne und
J. Bradshaw (1994. „Das Kind in uns“. Wie finde ich zu mir selbst, Verlag Droemer Knaur) beschrieben. Manchmal
werden diese Stammspieler in der Außenwelt als grob, arrogant und abweisend wahrgenommen, sie haben aber
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
eine ganz wesentliche Funktion im Innendienst und so bleiben sie, trotz Widerständen von außen, ein Leben lang ihrer
Aufgabe, das verletzte Innere zu beschützen, treu.
2.2 Die Verbannung; oder das unsägliche Schicksal der Antipoden
In einer zunehmend auf Leistung und „Vermarktung“ der eigenen Persönlichkeit ausgerichteten Arbeitswelt, ist jeder an-
gehalten, sich und seine Persönlichkeit (also nicht bloß seine Arbeit) im „besten Licht“ darzustellen. Diese Entwicklung
birgt Chancen, aber auch Gefahren mit sich:
Die Chance: Die Entwicklung der Persönlichkeit wird zur professionellen Herausforderung. Der Mensch ist angehalten,
sich selbst in den Blick zu nehmen: wie man auftritt, wie andere Menschen reagieren, wofür man steht etc.
Die Gefahr: wenn die Persönlichkeit zum Markenzeichen wird und sich auf ein „optimales Image“ reduziert und alles
verbannt, was zwar den ganzen Menschen ausmacht, aber das Erfolgsimage gefährden könnte.9
Der Mensch hat eine Vielzahl von widersprüchlichen Poden und Antipoden in sich, jede Eigenschaft trägt laut Friede-
mann Schulz von Thun auch das Potential des Gegenpols in sich, er bezeichnet diese als Antipoden. Sie können in der
Arbeit als Coach dann entscheidend werden, wenn durch die andauernde Abwehr von Antipoden langfristig ein „Raubbau
an der Gesamtpersönlichkeit“ folgt.
Aus diesem Grund soll hier das System der Antipoden genauer beleuchtet und die gängigsten „Verbannungsformen“
beschrieben werden.
Das System ist an einem einfachen Beispiel leicht zu verdeutlichen, wenn der innere Spieler „Kraftvoll und Dynamisch“
allein ohne seinen Antipoden „Innere Ruhe“ auftritt, dann kann es sehr rasch zu einer Radikalisierung kommen: der
Anteil „Innere Ruhe“ sucht einen anderen, kraftvolleren, lauteren Weg, zu seinem Recht zu kommen, und schlägt um
in „Lähmendes Nichtstun“, woraufhin der Teil „Kraftvoll und Dynamisch“ seinerseits radikalisiert, um das „Lähmende
Nichtstun“ zu bekämpfen und zu „Atemloser Hektik“ werden kann, ein Teufelskreis, der Ursprung zum „Elend der Anti-
poden“10 ist gelegt.
2.2.1 Verbannung die Erste, eine „unterdrückte Tugend“
Die erste Stufe der Verbannung der Antipoden besteht darin, dass die Antipoden hinter den Hauptdarstellern verdeckt
bleiben, aber vom Oberhaupt deutlich gespürt werden und prinzipiell anerkannt und nicht grundsätzlich abgelehnt wer-
den.11
104
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Ein Beispiel aus der Coachingpraxis zeigt, wie im Coachingprozess Anteile wieder integriert und versöhnt werden kön-
nen, die ursprünglich als sich widersprechend empfunden werden.
- Sabine L. ist leitende Angestellte in einem Altenheim. Sie hat die gesamte organisatorische und personelle Verantwor-
tung. Ihr macht der Job großen Spaß, sie steht 6 Jahre vor ihrer Pensionierung und möchte mit ihrer Arbeit noch etwas
erreichen, sie bekommt von ihren Vorgesetzten die Anerkennung, die sie für ihre Motivation braucht. In erster Linie ist
sie aber durch das Gelingen der kleinen Projekte und Ziele motiviert, die sie sich und ihren MitarbeiterInnen stellt. Sie
sagt, es ist der Job, den sie immer haben wollte, den sie aber so erst jetzt am Ende ihrer Berufslaufbahn gefunden hat.
Der Grund, warum sie ins Coaching gekommen ist, liegt darin, dass sie das Gefühl hat, sich über ihre gesundheit-
lichen Grenzen hinaus zu verausgaben und nicht „nein“ sagen zu können. Im Gespräch ergibt sich, dass sie sich als
unabkömmlich sieht und dass sie Sorge hat, wenn sie nicht da ist, könnte nichts mehr so klappen, wie sie sich das für
„ihr“ Haus vorstellt.
Sie spricht von verschiedenen Stimmen und Kräften, von verschiedenen Anteilen in ihr, die sich da zu Wort melden:
„die, die immer alles schafft“, „die, die mehr auf die Familie hören sollte“ „die, die auf die eigene Gesundheit achten
muss“, „die, die Spaß am Job hat“, „die, die sich unersetzlich fühlt“. Der Coach schlägt nun vor, diese Inneren Anteile
aufzuzeichnen, um sie zu visualisieren, damit wird das Bewusstsein für die einzelnen Anteile geweckt und vorerst ein
unbewertetes Nebeneinander ermöglicht. Im nächsten Schritt schlägt der Coach vor, eine Art systemische Aufstellung
mit den Anteilen zu machen, in diesem Fall waren es natürliche Personen, die sich dazu bereit erklärt haben, an einer
Aufstellung teilzunehmen.
Sabine ist sehr unsicher bei der Platzierung der Anteile, vor allem bei der Platzierung der Stimme der Familie und
der Gesundheit ändert sie mehrfach die Position. Schlussendlich stehen zwei Gruppen nebeneinander, da ist zum
einen „die, die mehr auf die Familie hören sollte“ und „die, die auf die eigene Gesundheit achten muss“ als eine Art
Gruppe, weiter weg davon, einander nicht ansehend, die Gruppe „die, die immer alles schafft“, „die, die Spaß am Job
hat“ und „die, die sich unersetzlich fühlt“. Diese zwei Gruppen stehen isoliert und unbeteiligt nebeneinander … . Im
Zuge des Aufstellungsprozesses verändert sich mehrfach die Situation, im Schlussbild allerdings stehen die Grup-
pen einander gegenüber, beachten und achten einander. Sabine kann anhand dieses Bildes verstehen, dass die Inne-
ren Anteile nicht gegeneinander, als Antipoden, agieren müssen, sondern ein achtungsvolles Miteinander und
„sowohl als auch“ möglich ist.
Wie im oben näher beschriebenen Coaching Fall geht es bei der ersten Stufe der Verbannung um die Versöhnung der
jeweiligen Anteile, es geht wie so oft in der Coachingpraxis um die Lösungssuche des „sowohl als auch“ statt des „ent-
weder oder“. Es sind also in dieser ersten Stufe der Verbannung alle Player einsatzbereit und auch einsatzwillig, nur,
105
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
durch äußere Umstände bedingt bzw. wegen alter Erfolgsgeschichten, daran gehindert, sich Gehör zu verschaffen. Eine
Versöhnung der beiden Anteile, ein kreatives Nebeneinander ist Ziel des Coachings. Oft ist übergroße Vorsicht und die
Sorge davor, einzelne Beteiligte des Geschehens vor den Kopf zu stoßen, die Antriebskraft, die innere Antipode nicht zu
Wort kommen zu lassen. Im Rahmen des Coachingprozesses im Businessumfeld begegnen wir dieser Form der Ver-
bannung häufig, der Anteil „Angst vor Arbeitsplatzverlust“ lässt manch kritischen Inneren Anteil verstummen, wenn die
Sorge um den Arbeitsplatz übermächtig wird. Gerade in diesem Fall ist es wichtig, eine umsichtige Möglichkeit zu finden,
die Angst zu würdigen, aber gleichzeitig die Antipoden zu Wort kommen zu lassen.
2.2.2 Verbannung die Zweite, die „Unerwünschte“
Im Falle der zweiten Verbannung werden nicht mehr opportunistische Gründe schlagend, hier geht es mehr um Vorbe-
halte der „Stammspieler“ gegenüber den Antipoden aus moralischen Gründen (verwerflich, unmoralisch), seelischen
Gründen (krankhaft, pervers ...) oder wegen fehlender Kompetenz (lächerlich, minderwertig …). Es handelt sich in
diesem Fall tatsächlich um die „Inneren Außenseiter“12, die hier verbannt werden.
- Anita kommt aufgeregt ins Coaching. Sie hat einen positiven Schwangerschaftstest in der Tasche. Die Coach merkt
im Gespräch mit Anita, dass die Aufregung nach außen als eine Mischung von diversen Gefühlen wie insbesondere
Verzweiflung, Freude, Ungewissheit, Spannung, Überforderung und Angst, wahrnehmbar ist. Was ist passiert? Anitas
Freund hat in den letzten Monaten der Beziehung immer wieder versucht, die Beziehung zu beenden, Anita hat dies
nicht ganz ernst genommen, weil sie den Willen zur Trennung bei ihrem Freund als emotional nicht authentisch emp-
finden konnte und die Trennungsversuche immer wieder mit reiner Kopfentscheidung seitens ihres Freundes abgetan
hat. Nun ist sie schwanger, ihr Freund ist alles andere als begeistert und besteht noch einmal mehr auf der Trennung,
die er ja schon lange wollte. Er will das Kind nicht akzeptieren, meint sogar, dass sie „absichtlich“ von ihm schwanger
geworden sei, um ihn an sich zu binden. Was geht in Anita vor? Welche Inneren Anteile haben welche Stimme und
wofür stehen sie? Anita will keine alleinerziehende Mutter eines unehelichen Kindes sein. Sie ist davon überzeugt,
dass ihr Freund die Trennung nicht ernst meinen kann, denn jetzt besteht ja die Chance auf ein Leben zu dritt, beson-
ders wichtig ist es ihr, mit ihm in eine Wohnung zu ziehen und das Kind aufzuziehen. Sie meint, dass es in allen Be-
ziehungen und Ehen eigentlich keine ausschließlich glücklichen Partnerschaften gebe, da ja immer Probleme und
äußere Zwangssituationen vorherrschen würden. Eine „arrangierte Familie“, wie sie es sich wünscht, wäre daher im
Ergebnis quasi nicht anders, als „gewünschte“ Familien leben würden. Sie fragt die Coach, was sie tun könne/müsse,
um ihren (Ex-)Freund dazu zu bringen, das Kind zu akzeptieren und ihren Wunschvorstellungen zu entsprechen.
Was kann die Coach aus dem bisher Gehörten herauslesen? Welche Anteile in Anita sprechen hier mit welcher Stim-
me? Welche werden verbannt, unterdrückt und dürfen ihr wahres Gesicht nicht zeigen?
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Was grummelt da in meinem Bauch?
Ach du Schreck! So bin ich auch!?13
Anita wirkt auf die Coach selbstbewusst, sie weiß in den meisten Lebenslagen, wo es langgeht und weiß sich auch in
diversen Spannungssituationen zu behaupten. Sie hatte einige Herausforderungen in ihrem Leben, die sie ganz gut zu
meistern schien. Anita ist selbst in einer Scheidungssituation aufgewachsen.
Welche Stimmen hört die Coach aus den Erzählungen über die neue Situation in Anitas Leben?
- Da ist einmal die Stimme der Moral: Ein uneheliches Kind wird als Makel empfunden, ebenso die Lage als allein-
erziehende Mutter.
- Die Stimme der Seele sagt: Ich fühle mich verlassen, ich bin enttäuscht und ich muss Schwäche zeigen, was ich
nicht will.
- Die Stimme des Selbstbewusstseins wirft ein, dass sie auf keinen Fall zeigen darf, dass die Situation ihre Kompe-
tenz, ihr Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten, damit fertig zu werden, übersteigt.
- Eine weitere Stimme der Trauer sagt, ich möchte nicht hinschauen, denn dann müsste ich sehen, dass die Bezie-
hung getrennt wurde und ich ohne Mann dastehe.
Warum sind diese Stimmen so laut hörbar, wenn doch die Coach dahinter auch noch andere Stimmen und Anteile in
Anita wahrzunehmen glaubt? Ihre Aufgabe könnte die Verbannung dieser anderen Anteile/Stimmen sein, damit diese
ja nicht zu Wort kommen. Möglich wären hier:
- Die Stimme der Kompetenz und der Stärke in Anita: Ich habe mein Leben im Griff, bin jeder Herausforderung
gewachsen und brauche keine Hilfe von außen. Wovon wird diese Stimme verbannt, was hindert sie daran, hervor-
zukommen? Dieser Anteil wird durch den oben angesprochenen moralischen Anspruch überlagert, der ihr lebens-
lang anerzogen worden war.
- Die Stimme der Schwäche, ja, der Frau in Anita, möchte sagen: Ich will schwach sein, ich möchte mich anlehnen an
eine starke Schulter, an jemanden, der Entscheidungen trifft und Verantwortung übernimmt, ich will nicht alles
alleine tragen müssen. Doch das lassen die oben genannten Stimmen (vor allem die der Seele) nicht zu, da Schwä-
che gleichbedeutend ist mit Unfähigkeit.
In der Verbannung und Unterdrückung können die Antipoden nicht lernen, zu kommunizieren und ihre Bedürfnisse zum
Ausdruck zu bringen. So passiert es (wie im oben beschriebenen Fall), dass Emotionen plötzlich und für die Umwelt
und die Person selbst oft erschreckend heftig zum Ausbruch kommen. Der Coachingprozess kann dahingehend unter-
stützend wirken, diese Kräfte ins Innere Team zu integrieren, ihnen eine adäquate Position zuzuschreiben und unter einer
starken Führung auch die geeignete Stimme zu geben. Diese Integration ist allerdings nicht einfach, da mit erheblichen
Widerständen von der Außenwelt und auch aus dem eigenen Inneren Team zu rechnen ist. Die Umwelt ist zumeist nicht
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
daran gewöhnt, dass auch unangenehme Seiten einer Person zu Tage treten und wehrt sich dagegen, denn angepasste,
„pflegeleichte“ Mitmenschen machen einfach weniger Schwierigkeiten im Umgang. Eine reife Persönlichkeit weiß aber
mit allen Inneren Anteilen umzugehen, hat die Stärke und auch die kommunikativen Fähigkeiten, diese Anteile zum Aus-
druck zu bringen, ohne die Umwelt vor den Kopf zu stoßen. Oft geht ein Prozess der „Abgrenzung“ und der Suche nach
dem eigenen authentischen Selbst diesem Prozess voraus.
2.2.3 Verbannung die Dritte, die „Gefürchtete“
Die dritte Stufe der Verbannung trifft Mitglieder des Inneren Teams, die völlig verbannt, von der Bildfläche verschwunden
und oft gar nicht bewusst sind. Es handelt sich bei diesen Mitgliedern um jene, die im Rahmen von Verletzungen des
Inneren Kindes oder traumatischen Erlebnissen zugefügt wurden. Die Niederhaltung dieser Anteile bindet im Laufe der
Zeit immer mehr Energie, mit der Folge, dass Lebenskraft und Vitalität verloren gehen. Auch zwischenmenschliche Be-
ziehungen leiden unter der, nur mehr sehr oberflächlich gelebten, „heilen“ Welt immens. Da diese aber auch oft Quell und
Heilkraft ist, kann die dritte Form der Verbannung zum Teufelskreis werden und bis zur Sucht (Alkohol, Drogen …) und/
oder Depression führen.14 Hier enden zumeist die Möglichkeiten des Coachings und es sollten bereits die Kompetenzen
von Therapie zu greifen beginnen.
2.3 Auswirkungen des Modells auf das Coaching im Businessumfeld
Das Modell des Inneren Teams kommt häufig im Persönlichkeitscoaching zur Anwendung, aber wie einige der Praxisbei-
spiele zeigen, findet man die Auswirkungen der Verbannung von Antipoden oder die Erklärungsmodelle über das Innere
Team auch im Businesscoaching.
Die Anstrengungen, die Menschen– MitarbeiterInnen – machen, um sich dem „System“ anzupassen, die Mechanismen,
mit denen sie ihre Inneren Anteile zum Schweigen bringen, sind vielfältig. Es ist in der Coachingpraxis von Vorteil, die
Mechanismen der Unterdrückung zu kennen, um den Coachee in der Entwicklung der Persönlichkeit zu unterstützen.
Wir können davon ausgehen, dass äußerer beruflicher Erfolg und innere Entwicklung trotz einer gewissen Gegensatz-
spannung miteinander vereinbar bleiben, dass Professionalität und Menschlichkeit zusammengehören und dass eine
berufsbezogene Beratung und Fortbildung den Profi und den Menschen gleichermaßen fördern können.15
Das Konzept bietet unter anderem auch eine wirksame Hilfe, „Hintergründe“ von Teamkonflikten aufzudecken. Mit der
Metapher vom Inneren Team lassen sich komplexe Hintergründe bei Konfliktpartnern erkunden und überschaubar ma-
chen.16 Der besondere Wert liegt darin, den Konflikt als Zusammenstoß zweier Innerer Teams zu interpretieren und dabei
nach Gegensätzen, Übereinstimmungen und unheiligen Allianzen zu suchen.17 Gelingt es dem Konfliktvermittler, mit
Hilfe der beiden Inneren Teams die Hintergründe den Beteiligten sichtbar zu machen, dann ist auf dieser Grundlage
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
möglich, ein größeres Verständnis für den jeweiligen Kontrahenten zu erwirken und damit zur Lösung beizutragen. Das
darf aber nicht als innerseelische Diagnose eines Fachexperten verwendet werde. Das Bild vom Inneren Team dient vor
allem der Suche nach einfachen, verständlichen und prägnanten Formulierungen für komplexe Vorgänge und als Hilfe
für das Sprachspiel in der Konfliktberatung.18
1) dazu und im Folgenden: Friedemann Schulz von Thun (2007), Miteinander Reden Teil 3 „Das „Innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation, Rowohlt Verlag 2) u.a. Moskau, Gaby; Müller, Gerd F. Virginia Satir – Wege zum Wachstum, Therapeutische Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien 3. Auflage, 20023) http://www.nlp-bibliothek.de/practitioner/p-05-06-das-teilemodell.html4) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1815) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1836) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1837) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1858) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 1869) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 19510) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 20011) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 20512) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 21213) Friedemann Schulz von Thun, Das Innere Team (2007), S. 21214) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 22915) Friedemann Schulz von Thun (2007), S. 23116) Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004). Das Innere Team in Aktion, praktische Arbeit mit dem Modell. Hamburg: Rowohlt, S. 6417) Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004), S. 7418) Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004), S. 79
3. Literaturverzeichnis
Friedemann Schulz von Thun (2007), Miteinander Reden Teil 3 „Das „Innere Team“
und situationsgerechte Kommunikation, Rowohlt Verlag
Friedemann Schulz von Thun, Wibke Stegemann (2004), Das Innere Team in Aktion,
praktische Arbeit mit dem Modell, Hamburg: Rowohlt
Moskau, Gaby, Müller, Gerd F. Virginia Satir, Wege zum Wachstum, Therapeutische Arbeit
mit Einzelnen, Paaren, Familien, 3. Auflage, 2002
http://www.nlp-bibliothek.de/practitioner/p-05-06-das-teilemodell.html
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Psychodynamisches/psychoanalytisches Coaching für Individuen und Organisationen Dr. Gerald Pail
Introduktion
Coaching ist eine relativ junge Disziplin, welche sich im Wesentlichen aus Methoden der Psychotherapie entwickelte. Im
Gegensatz zu dieser fokussiert Coaching jedoch auf Individuen, die nicht an einer krankheitswertigen Störung leiden, die
eine therapeutische Intervention implizieren würde. Prinzipiell steht es auch PatientInnen offen, Coaching in Anspruch zu
nehmen, allerdings sollte die/der Coach in diesem Fall mit einem Mediziner zusammenarbeiten, um Mindeststandards
der internationalen Therapieempfehlungen einzuhalten und PatientInnen indizierte diagnostische und therapeutische
Interventionen nicht vorzuenthalten.
In der Ausbildung von Coaches werden je nach Ausbildungsinstitution Elemente aus den großen psychotherapeutischen
Schulen, der Psychoanalyse, der systemischen Familientherapie und der Verhaltenstherapie in spezifischer Art und
Weise miteinander kombiniert, um den spezifischen Coaching-Anforderungen, z. B. Personal Coaching oder Business
Coaching gerecht zu werden. Während im deutschsprachigen Raum systemische Ansätze dominieren, überwiegen im
angelsächsischen Raum psychoanalytische Zugänge. In diesem Überblick wird in der Folge auf psychoanalytische bzw.
psychodynamische Techniken fokussiert werden, um der/dem interessierten und systemisch orientierten LeserIn einen
Einblick in alternative Modelle zu offerieren.
Die traditionelle Psychoanalyse wurde vom österreichischen Arzt Sigmund Freud am Ende des 19. und Beginn des 20.
Jahrhunderts entwickelt und stellt trotz pluriformer Kritik die zentrale tiefenpsychologische Theorie dar (Freud, 1938). Im
modernen Verständnis der Forschung ist es in diesem Kontext sinnvoller, über psychoanalytisch orientierte Psychothe-
rapie zu sprechen, welche sich von der klassischen Psychoanalyse in technischen Aspekten und in der therapeutischen
Ambition unterscheidet (Thomä, Kächele 2006). Eine spezielle und für die weitere Betrachtung relevante Variante ist die
übertragungsfokussierte Psychotherapie (im Englischen als Transference-Focused-Psychotherapy – TFP – bezeichnet),
welche vom in Wien geborenen, US-amerikanischen Psychoanalytiker Otto F. Kernberg konzipiert wurde und eine ma-
nualisierte Therapieform für Persönlichkeitsstörungen, wie etwa der Borderline Störung, darstellt (Clarkin, Yeomans,
Kernberg, 2008).
Auch wenn Coaching keinerlei therapeutische Intentionen postuliert, ist es notwendig, einzelne psychoanalytische bzw.
psychodynamische Konzepte näher zu erläutern, um die in der Folge beschriebenen Methoden verstehen zu können.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Psychodynamik beschreibt das dynamische Zusammenspiel von verschiedenen Anteilen innerhalb einer Persönlichkeit
oder auf der Ebene von Organisationen, innerhalb von verschiedenen Individuen innerhalb der jeweiligen Gruppe.
Persönlichkeitsentwicklung und Objektbeziehungstheorie
Ein zentrales Paradigma ist die Bedeutung der Persönlichkeitsentwicklung inklusive der besonderen Berücksichtigung
der frühen Kindheit. Persönlichkeit ist als umfassendes Konstrukt diverser Entitäten, wie Temperament, Charakter und
Identität, konzeptualisiert. Identität definiert sich als Summe aller Selbst- und Objektrepräsentanzen und damit aller ver-
innerlichten Bilder, Gefühle und weiterer Perzeptionen von anderen Personen, im weiteren als Objekte bezeichnet, und
sich selbst (Clarkin, Yeomans, Kernberg, 2008). Identität entsteht, entsprechend der psychoanalytischen Kerntheorie
bzw. der daraus weiterentwickelten Objektbeziehungstheorie nach Melanie Klein, in der Interaktion mit anderen Personen
(Klein, Thorner, 2011). Frühkindliche dyadische Beziehungen zu den Eltern oder zu äquivalenten primären Bezugsper-
sonen sind in diesem Zusammenhang von immanenter Bedeutung. Als Dyade wird die emotionsspezifische Interaktion
zwischen zwei Objekten bezeichnet (Clarkin, Yeomans, Kernberg, 2008). Als Beispiele für Dyaden könnten der strafende
Vater, der schuldhafte Sohn und Angst als vorrangiger Übertragungsaffekt bzw. der schüchterne Coachee, die souveräne
Coach und Neid als primärer Affekt dienen. Über die Wahrnehmung dieser Affekte, ein Begriff, der synonym zu Emotion
gesetzt werden kann, wird im Abschnitt Übertragung/Gegenübertragung eingegangen werden.
In den ersten Lebensmonaten/-jahren ist das Kleinkind mit multiplen existenziellen Bedrohungen konfrontiert: es kann
sein Überleben nicht selbst sichern und ist daher von der Mutter bzw. den Eltern abhängig. Dies führt zu intensiven und
primitiven Affekten, welche das Kind auch entsprechend kommuniziert und vom britischen Psychoanalytiker Wilfried
Bion als beta-Elemente bezeichnet wurden (Bion, 1992). Der Mutter fällt in diesem Fall eine zentrale Rolle zu. Sie muss
diese primitiven Affekte aufnehmen und ihrem Kind dabei helfen, diese in differenzierte Affekte zu verwandeln, welche
von Bion als alpha-Elemente tituliert wurden. Der beschriebene Vorgang definiert basale Konzepte des Containments. Ist
das Kind aufgrund von Deprivation nicht in der Lage, reifere Affekte zu entwickeln, besteht die Gefahr des Verbleibens
auf einem undifferenzierten emotionalen Niveau, welches sich in der Regel in einer Beziehungsunfähigkeit im privaten
und professionellen Umfeld äußert (Clarkin, Yeomans, Kernberg, 2008). Klinisch wird dies in der Regel als Persönlich-
keitsstörung bezeichnet. Auch wenn PatientInnen nicht das Kernklientel von Coaching darstellen, muss der/dem Coach
bewusst sein, dass sich alle Individuen bezüglich ihrer Persönlichkeitsentwicklung auf einem Kontinuum zwischen Ge-
sundheit und Krankheit bewegen bzw. über die Lebensspanne zwischen diesen Polen oszillieren. Gleichzeitig gelangt
die/der Coach automatisch in die Rolle des Containers (eine deutsche Übersetzung wird aufgrund ungünstiger Konno-
tationen traditionell vermieden): sie/er ist in der Rolle, die Emotionen der/des Coachee(s), die in zumeist konflikthaften
Situationen entstanden, aufzunehmen und diese zunächst vor allem auszuhalten (Lohmer, 2004). Ein/e Coach, welche(r)
sich, überwältigt von der Trauer einer Trennung des/r Coachee(s), selbst in Tränen ausbricht, durch die Situation hand-
lungsunfähig wird oder seine Neutralität verlässt, kann seine Funktion nicht entsprechend ausüben. Aus diesem Grund
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
ist es für die/den angehende/n Coach von Vorteil, zentrale Aspekte ihrer/seiner eigenen Entwicklung in einer Selbster-
fahrung bzw. im Rahmen von Coaching in einer tiefergehenden Art und Weise zu perzipieren.
Auch wenn in dieser Publikation nur ein kleiner spezifischer Ausschnitt der Persönlichkeitsentwicklung beleuchtet wer-
den kann, so sollten zwei Perspektiven dennoch besprochen werden, um narzisstische Persönlichkeiten verstehen zu
können. Diese bewegen sich aufgrund ihres Selbstanspruches häufig in Führungspositionen und die spezifische Kons-
titution impliziert aufgrund ihrer interpersonellen Limitationen einen Coaching Bedarf. Die eine Perspektive besteht im
Übergang von der sogenannten ‚paranoid-schizoiden Position’ nach Melanie Klein in die ‚depressive Position’ (Klein,
Thorner, 2011). In der genannten Übergangsphase entdeckt das Kind seine autochthone Aggression und die Nachteile
seiner Selbstbezogenheit. In einem gesunden Prozess schafft es das Kind, über diese Situationen, als es z. B. die Mutter
verletzte, zu trauern. Gelingt dies nicht, greift das Kind unter Umständen auf Mechanismen wie manische Abwehr zurück,
um dem ungelösten Konflikt nicht begegnen zu müssen. Die zweite Perspektive fußt im sogenannten Ödipus Konflikt,
der bei oberflächlicher Bedeutung häufig falsch verstanden und daher sehr kontrovers diskutiert wird. Im Wesentlichen
verdeutlicht dieser die typische Konstellation, dass z. B. der Sohn sich im Kleinkindalter in seine Mutter verliebt – wohl-
gemerkt auf seinem entsprechendem emotionalen Niveau – und plant, diese zu heiraten. Gelingt zur selben Zeit die
elterliche Beziehung nicht bzw. wird diese auf einem rein funktionalen Niveau geführt, kann die Situation entstehen, dass
die Mutter sich von ihrem Sohn verführen lässt und sich eine – wenn auch nicht sexuelle – partnerähnliche Beziehung
entwickelt. Der Sohn erfährt also nicht die Erfahrung einer Repräsentanz des elterlichen Paares in sich und kann somit
expansive Elemente, welche den Vater besiegen und seinen Platz einnehmen wollen, nicht entsprechend kontrollieren.
Eine solche Entwicklung wird auch als insuffiziente Triangulierung bezeichnet (Klein, Thorner, 2011). In der Folge fällt
es der erwachsenen narzisstischen Person schwer, gesunde partnerschaftliche Beziehungen einzugehen. Diese leiden
im beruflichen Umfeld an ihrer Selbstbezogenheit und Isoliertheit (Kernberg, Hartmann, 2009). Die/der Coach sollte aus
ihrer/seiner Sicht eine derartige Konstellation wahrnehmen können und sich der spezifischen Herausforderungen in Ver-
änderungsprozessen bewusst sein. Die Komplexität bei der Arbeit mit narzisstischen KlientInnen wird erhöht durch den
Umstand, dass sich die/der Coachee aus dem emotionalen Prozess herausnimmt und versucht, diese der/dem Coach
zu überlassen.
Methoden des psychodynamischen Coachings
Als primäre Differenzierung von anderen Konzepten postuliert die psychoanalytische Theorie die Existenz unbewusster
Prozesse, welche von bewussten und vorbewussten Prozessen zu unterscheiden sind. Letztere sind dem Bewusstsein
jederzeit zugänglich. Zum Unbewussten hat die/der KlientIn keinen Zugang, ein Umstand, der zum Beispiel die Installati-
on von Coaching-Aufträgen wesentlich beeinflussen kann. Während in der psychoanalytisch orientierten Psychotherapie
die/der PatientIn frei assoziiert und Gefühle, Träume, Hoffnungen völlig offen und auch mitunter unstrukturiert erzählt,
ist es in Coaching Prozessen notwendig, solche Einheiten mit zielorientierten Phasen abzuwechseln. Ziel der Arbeit an
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
unbewussten Inhalten ist es, ungelöste Konflikte zu detektieren, welche durch primitivere oder auch reifere Mechanismen
von der/dem Coachee abgewehrt werden. Ein Beispiel für einen reifen Abwehrmechanismus wäre eine Rationalisierung.
Eine Key-Account-Managerin entscheidet sich für ein MBA Studium, obwohl sie sich durch ihre Arbeit bereits stark
ausgelastet fühlt. Mitten im Studium wird die Klientin von ihrem Partner verlassen, woraufhin sie ein Burnout entwickelt,
das Studium abbricht und sich eine Auszeit nimmt. Im psychodynamischen Coaching Prozess stellt sich heraus, dass
die Coachee vor Beginn der Studiums an Ängsten litt, vom Partner verlassen zu werden, und sich aufgrund eines ent-
wickelnden Sicherheitsbedürfnisses für die Ausbildung entschied. Gleichzeitig hatte sie sich mehr Anerkennung durch
ihren Partner erhofft. Als Coaching Auftrag wird am Ende dieser Phase die bessere Integration von beruflichen und
privaten Zielen installiert (zum Thema Burnout siehe Musalek, Poltrum, 2012).
Das zentrale methodische Werkzeug in psychodynamischen Prozessen ist die Perzeption von Übertragung und Gegen-
übertragung, welche im Folgenden näher erläutert werden soll (Lohmer, 2004) . Als Übertragung wird in diesem Zu-
sammenhang die Summe der in Interaktion gelebten Vorerfahrungen der/des Coachee bezeichnet. Illustriert am Beispiel
der Key-Account-Managerin, kommen bei dieser am Ende des Erstkontaktes bei der Vereinbarung der Folgetermine
Befürchtungen auf, dass der Coach keine entsprechenden zeitlichen Ressourcen wird aufbringen können. Der Coach
nimmt diese Befürchtungen als inkongruent zu seinem Angebot wahr und thematisiert diese am Beginn der folgenden
Coaching Einheit. Als Gegenübertragung wird nun die Gesamtheit des emotionalen Erlebens des/der Coach verstanden.
Im genannten Beispiel empfindet der Coach Schuldgefühle, welche ihn selbst in einen Konflikt bringen, einen geplanten
Theaterbesuch eventuell abzusagen, um der Coachee einen früheren Folgetermin anbieten zu können.
Als Voraussetzung für die Anwendung dieser Methodik gilt die sogenannte technische Neutralität (Clarkin, Yeo-
mans, Kernberg, 2008). Diese bedeutet nicht etwa der von Populärmedien gezeichnete Vorteil der/des teilnahmslosen
PsychoanalytikerIn/s. Die Umsetzung bedarf im Wesentlichen folgender Voraussetzungen: 1) einer entsprechenden Re-
flexionsfähigkeit, um eigene Anteile der Gegenübertragung wahrnehmen zu können, 2) der Bereitschaft, die Gegenüber-
tragung nicht auszuagieren, sondern diese zu verbalisieren und im Coaching Prozess für den Coachee in spezifischer
Art und Weise zur Verfügung zu stellen. Im angeführten Beispiel wäre es entsprechend der technischen Neutralität weder
sinnvoll, den Theaterbesuch abzusagen, noch die Coachee mit dem privaten Umstand zu konfrontieren. Die Kommuni-
kation der dyadischen Beziehungskonstellation ist jedoch zentral. Der Coach könnte zum Beispiel so auf die Coachee re-
agieren: ‚Ich hatte am Ende der letzten Einheit den Eindruck, dass Sie Befürchtungen bezüglich unserer weiteren Termine
hatten. Es ging kurz soweit, dass ich das Gefühl hatte, dass Sie in mir ein Schuldgefühl auslösen wollten. Wie sehen Sie
diese Interaktion zwischen uns?’. Bei Interventionen auf der Beziehungsebene kann es hilfreich sein, die Interaktionen als
Szene zu beschreiben oder sich die/den Coachee wie in einem Traum vorzustellen (Lohmer, 2004). Prinzipiell geht es
in diesen offenen Einheiten also um die Perzeption von Gefühlen in der/dem Coachee und in der/dem Coach und deren
Bedeutung auf der Beziehungsebene. Als Vorteil gegenüber anders konzeptualisierten Methoden kann die/der Coachee
Fortschritte ihres/seines Prozesses direkt auf der Ebene der Coaching-Beziehung erleben. Im genannten Beispiel konnte
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
die Coachee ein Interaktionsmuster erkennen, welches sich in ihrem Leben zu wiederholen schien und welches sie
bereits aus ihrer Kindheit kannte. Ihr Vater hatte die Familie in ihrem siebenten Lebensjahr verlassen. Sie konnte den
Kontakt zu ihm wieder herstellen, allerdings gelang ihr das nur, indem sie entsprechend intensive Schuldgefühle in ihm
generierte. Die Coachee hatte also ein spezifisches Reaktionsmuster entwickelt, welches auch als Valenz bezeichnet
werden kann. Von Sigmund Freud wurde das genannte Phänomen als Wiederholungszwang beschrieben (Freud, 1938).
Der Coachee gelang es, die im Prozess spürbare Beziehungskonstellation und deren Implikationen auf die vergangene
sexuelle Beziehung sowie kompensatorische Entscheidungen im Sinne einer verbesserten Reflexionsfähigkeit für sich
zu nutzen.
Psychodynamisches Coaching/Consulting für Organisationen
In der Arbeit mit Gruppen und Organisationen ist die/der psychodynamische/psychoanalytische Coach häufig mit Kon-
stellationen konfrontiert, die sich trotz vorangegangener Coaching und Consulting Prozesse nicht lösen ließen. Eine
solche Lösung wäre zum Beispiel dann nicht zu erwarten, wenn Konflikte in der Gruppe den Mitgliedern nicht bewusst
sind bzw. diese so effizient unterdrückt werden, dass sie in systemischen Settings nicht zur Sprache kommen.
Eine erste bedeutende Information erlangt die/der Coach in der Beobachtung der Firmenkultur, am besten anhand der
Kontaktaufnahme und Auftragsvergabe (Schein, 2010). Ohne große Interventionen gilt es dabei, Übertragung und Ge-
genübertragung in gleichschwebender Aufmerksamkeit wahrzunehmen. Diese Wahrnehmungen umfassen den vollstän-
digen Kontakt mit dem Unternehmen: Die Human Resources Managerin ist am Telefon unter Druck (Übertragung). Die
Coach fühlt sich wenig willkommen, als der Portier ihren Ausweis verlangt (Gegenübertragung). Einige Mitarbeiter tu-
scheln verlegen am Gang, als wäre etwas Geheimnisvolles im Gange (Übertragung). Das Logo lässt die Coach völlig kalt
(Gegenübertragung). In der Subsummierung dieser Eindrücke ist es hilfreich, eine Idee der Firmenkultur zu entwickeln
und Personen und Entwicklungen, die diese prägten und prägen, zu identifizieren (Lohmer, 2004).
In der direkten Arbeit an einer spezifischen Problemkonstellation empfiehlt es sich, den Auftraggeber und Interventi-
onen vorangegangener Coaches und KonsulentInnen zu berücksichtigen. In der Diagnosephase ist es essentiell, eine
ausgewogene Balance zwischen Einzelinterviews und Gruppensettings zu treffen. In diesen wird entsprechend der psy-
choanalytischen Tradition von der/demm Coach ein möglichst offenes Klima geschaffen, um primär unbewusste oder
kaum formulierbare Konflikte aufdecken zu können. Diese treten häufig in der Form von Tabus zu Tage. Als Beispiel
wird eine Coach von der Geschäftsführung einer Privatklinik beauftragt, eine Konfliktsituation zwischen dem ärztlichen
Direktor und dem Pflegedirektor zu lösen. Bereits in der Kontaktaufnahme mit den beiden Personen ist die gegenseitige
Entwertung zu spüren, welche sich auch auf die jeweiligen Teams ausgebreitet hat. In der anschließenden Gruppenarbeit
und Detektion von Tabus wird die Entlohnung als verschwiegenes Thema erkennbar. Die PflegerInnen hatten im Zuge
einer Restrukturierung eine Gehaltseinbuße hinnehmen müssen, welche in der Folge zu Konflikten bezüglich der Auf-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
gabenteilung zwischen ÄrztInnen und PflegerInnen führte. Als dieser Konflikt schließlich am Höhepunkt angelangt war,
begann eine Phase, in der die Teamleiter im Sinne einer gegenseitigen projektiven Identifikation sich Unzulänglichkeiten
vorzuwerfen begannen. Im weiteren Verlauf wurde der monetäre Konflikt durch einen persönlichen Konflikt abgelöst, da
diese Projektion für die MitarbeiterInnen besser kommunizierbar war und daher nicht so stark abgewehrt werden musste.
Die Aufbereitung dieses Konfliktes ließ die Geschäftsführung die insuffizienten strukturellen Regelungen und die Kom-
pensation überdenken.
Prinzipiell sollten unbewusste Prozesse und Strukturen in einer Organisation nicht ob ihrer funktionellen Bedeutung
unterschätzt werden (Giernalczyk, Lohmer, 2006). So kann es für eine Gruppe in spezifischen Phasen durchaus sinnvoll
sein, einen paranoiden oder narzisstischen Leiter der Gruppe zu akzeptieren bzw. diesem zu folgen. Ebenso sollte be-
dacht werden, dass Konflikte in Gruppen aus gutem Grund abgewehrt werden, da einzelne Subgruppierungen Vorteile
aus der jeweiligen Konstellation ziehen, auch wenn sie insgesamt gesehen zur Unzufriedenheit dienen und die Entwick-
lung der Gesamtgruppe behindern. Häufig werden Ängste, die aus realen Risiken wie dem Innovationsdruck entstehen,
in Gruppen durch Arbeitsroutinen verdrängt und abgewehrt. Aus diesem Grund ist es bei der Begleitung von Change
Prozessen notwendig, diesen Ängsten entsprechenden Raum zu geben und den Gruppenmitgliedern die Möglichkeit zu
geben, diese zu verbalisieren.
In letzter Konsequenz sollte psychoanalytisches Coaching wesentlich dazu beitragen, abgespaltene oder auf eine inter-
personelle Ebene verlagerte strukturelle Defizite in Gruppen aufzudecken und damit eine funktionelle Reorganisation zu
ermöglichen.
Differenzierung von systemischem Coaching
Von systemischem Coaching unterscheidet sich psychodynamisches/psychoanalytisches Coaching im Wesentlichen
dadurch, dass der Beziehungsebene zwischen Coach und Coachee bzw. Gruppe eine größere Bedeutung beigemessen
wird. Die psychoanalytische Methode erlaubt sich hierbei die Entwicklung von Hypothesen, welche wiederum aus dem
individuellen Erleben der/des Coach in der Interaktion mit der/dem Coachee bzw. der Gruppe entstehen (zu systemischen
Ansätzen siehe Simon, 2005 bzw. Koditek, 2008).
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Referenzen und weiterführende Literatur
Sigmund Freud. Abriss der Psychoanalyse. Einführende Darstellungen. Psychologie Fischer, 1938.
Helmut Thomä, Horst Kächele (Herausgeber). Psychoanalytische Therapie. Springer, 2006.
John F. Clarkin, Frank E. Yeomans, Otto F. Kernberg. Psychotherapie der Borderline-Persönlichkeit:
Manual zur psychodynamischen Therapie. 2. Auflage. Schattauer, 2008.
Melanie Klein. Hans A. Thorner (Herausgeber). Das Seelenleben des Kleinkindes und andere Beiträge
zur Psychoanalyse. Klett-Cotta, 2011.
Wilfred R. Bion. Erika Krejci (Übersetzung). Lernen durch Erfahrung. Suhrkamp, 1992.
Otto F. Kernberg, Hans-Peter Hartmann (Übersetzung). Narzissmus. Grundlagen – Störungsbilder – Therapie.
Schattauer, 2009.
Michael Musalek, Martin Poltrum (Herausgeber). Burnout – Glut und Asche.
Neue Aspekte der Diagnostik und Behandlung. Parados, 2012.
Mathias Lohmer. Psychodynamische Organisationsberatung: Konflikte und Potentiale in
Veränderungsprozessen. 2. Auflage. Klett-Cotta, 2004.
Thomas Giernalczyk, Mathias Lohmer. Freud heute: Das Unbewusste einer Organsiation. Wirtschaft + Weiterbildung,
Ausgabe 09_2006, 2006.
Edgar H. Schein. Irmgard Hölscher (Übersetzung). Prozess und Philosophie des Helfens: Grundlagen und Formen der hel-
fenden Beziehung für Einzelberatung, Teamberatung und Organisationsentwicklung. EHP-Verlag Andreas Kohlhage, 2010.
Fritz B. Simon. Einführung in Systemtheorie und Konstruktivismus. 5. Auflage. Carl Auer Compact, 2005.
Thomas Koditek (Herausgeber). Systemisches Coaching im Prozess: Ein Lern- und Arbeitsbuch. abc Buchverlag, 2008.
Dr. Gerald Pail
ist Assistenzarzt in Psychiatrie und psychotherapeutischer Medizin. Er arbeitete am Anton Proksch Institut, Wien, und
an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Wien, mit den klinischen Schwerpunkten Bipolare Affektive
Störung, Burnout und Sucht. Seine Forschung im Rahmen des Doktoratsstudiums der angewandten medizinischen
Wissenschaften an der Medizinischen Universität Wien, Programm Clinical Neuroscience, fokussiert auf die Integration
von Emotion und Kognition im präfrontalen Kortex.Als psychotherapeutische Ausbildung wählte er das PSY-III Modul
Psychotherapeutische Medizin, Hauptfach Tiefenpsychologie, der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychothe-
rapie, Wien. Gerald Pail ist zertifizierter Business Coach der Freien Universität Berlin und absolvierte einen zweijährigen
Leadership&Consulting Lehrgang der Wiener Psychoanalytischen Akademie. Er ist zudem als Medical Consultant für
die pharmazeutische Industrie, als Arzt und Coach in der Ordinationsgemeinschaft Dr. Georg Schönbeck, Wien, sowie
als Lehrbeauftragter der Medizinischen Universität Wien tätig.
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Interviews zum praktischen Einsatz des systemischen Ansatzes im EinzelsettingClaudia Krenn-Cissé
„Weil das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile.“
Aristoteles
Interviews zum systemischen Ansatz
Systemisches Arbeiten liegt im Trend. Der Begriff „systemisch“ ist einfach und umfassend zugleich und eignet sich gut,
vieles darin zu verpacken. Was aber ist nun wirklich systemisch? Und vor allem: Was macht einen systemischen Ansatz
in der Praxis aus?
Um der Antwort auf diese Frage näherzukommen, wurden sechs Experten mit unterschiedlichen Grundausbildungen
interviewt. Die Interviews wurden mit Coaches während einer Arbeitsmarktmaßnahme zur Berufsorientierung 2010 in
Wien durchgeführt.
Die Fragen
1. Was bedeutet für Sie systemisch Arbeiten?
2. Wo sind Sie zum ersten Mal mit „systemisch Arbeiten“ in Berührung gekommen?
3. Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
4. Gibt es ein oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?
5. Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im Einzelcoaching?
Welche und warum?
6. Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
7. Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?
Die Antworten
Herr Mag. Udo Geske aus Hamburg, Studium Psychologie, Personal- und Organisationsentwickler, Coach
Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?
„Systemisches Arbeiten, im Coaching Setting, heißt für mich eine bestimmte Herangehensweise an ein Thema und eine
Frage. Also nicht nur das Symptom zu betrachten und zu verändern, sondern auch die ganze Wechselwirkung und das
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Umfeld mit einzubeziehen, Vorgeschichte, usw. ...“
Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
„Im Grunde im Beratungskontext mit verschiedenen systemischen Fragen. Aber auch schon als Trainer bei der NLP
Ausbildung, Anfang der 90er Jahre. Da ging es um das Thema, wer hat denn einen Nutzen davon, wenn das Problem
weiter besteht. Wie gesagt, in der Beratung, meist dann durch Vorgesetzte und Kollegen, die systemische Ausbildungen
hatten und dadurch systemisches Arbeiten verlangt wurde. Das prägt den eigenen Coaching Stil, auch wenn ich selbst
keine systemische Ausbildung habe.“
Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
Indem ich mir immer wieder diese Fragen (bezogen auf das System des Coachees) stelle, auch zwischen Sitzungen.
Ich habe gerade einen Teilnehmer, der seit 8 Jahren arbeitslos ist, ein intelligenter und engagierter Mann. Da stelle ich
mir dann schon so Fragen im Sinne von a) was hat er für Nutzen daraus, dass er keine Arbeit hat, oder b) wovor schützt
ihn auch diese Arbeitslosigkeit?“
Da es ja eigentlich nicht nachvollziehbar ist, dass ein normaler, durchschnittlicher, intelligenter, netter, engagierter Mann
keine Stelle findet. Dafür muss es ja irgendeinen Grund geben.
Entweder sucht er an der falschen Stelle, nach dem falschen Job. Was aber gar nicht zu ihm passt. Oder aber, es gibt
irgendein Thema in seinem Leben, würde er wieder arbeiten, würde er wieder damit konfrontiert oder in Berührung
kommen.
Deshalb ist es dann wieder für ihn gut, wenn er keine Stelle findet, so wie Freud sagt, der sogenannte sekundäre Krank-
heitsgewinn, keinen Job zu finden.
Dadurch wird dieses Thema ausgespart und er kommt mit diesem Thema nicht in Berührung, was auch immer das
Thema ist.“
Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die sie, um systemisch zu arbeiten, gerne an wenden?
„In erster Linie sind es die Fragen und meine Ideen zwischen den Sitzungen.
Oft bin ich im direkten Kontakt mit dem Coachee gar nicht so spontan und kreativ. Sondern in dem Moment, wo der Klient
gegangen ist, kommen mir verstärkt genau diese systemischen Fragen.
Ich habe dann auch Ideen und weitere Hypothesen, denen ich dann nachgehe.
Was ich ganz gerne mache, sind, Sachen aufmalen lassen oder aufschreiben. Zum Beispiel ein Soziogramm oder eine
Bilanz von Vor- und Nachteilen. Wobei ich gar nicht sicher bin, ob das im engeren Zusammenhang systemische Tools
sind. Wie gesagt, wenn dann Zeichnen, Visualisieren und in erster Linie die Fragen.“
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Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im
Einzelcoaching? Welche und warum?
„Ich würde das umgekehrt sehen. Der Coachee kennt meist die Fragen und könnte sie sich ja selbst stellen.
Aber in einem unerwarteten Moment, gefragt von meinem Gegenüber, können diese Fragen sehr heilsam sein.
Ich glaube, es braucht eine gewisse Offenheit des Coachees, sein Problem wirklich zu lösen oder auch andere Stand-
punkte einzunehmen.
Der Coachee könnte sonst die Fragen als albern, Zeit vertun oder Hokuspokus abtun. Es erfordert ein Gegenüber, das
eine gewisse Offenheit hat, auch so ein bisschen quer und vernetzt zu denken und auch eine gewisse Distanz zu dem
Problem einzunehmen.
Kann der Klient das nicht, glaube ich, kommt als Antwort: „Ich weiß nicht.“
Erst, wenn ich Nachdenken und Antworten auslöse, beginnen die Fragen zu arbeiten.“
Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
„Also, ich würde erstmals sagen, ich habe keine druckfertige Antwort.
Die erste Frage wäre, was ist der Unterschied zwischen Therapie und Coaching?
Coaching lässt für mich dem Gegenüber noch eine gewisse Lösungskompetenz und wird dort vom Coach unterstützt.
Ziel ist letztendlich ein sehr stark lösungsorientiertes Arbeiten.
Therapie hat vor allem auch etwas zu tun mit Vergangenheitsaufarbeitung, also auch ein Stück in den Spiegel rückwärts
schauen. Wie war das denn früher und seit wann kenne ich dieses Thema?
In bestimmten Therapieformen gibt es ja auch einen sehr starken Kontakt zwischen Klienten und Therapeuten.
Zum Beispiel während meiner Lehrausbildung habe ich viele Jahre eine Gesprächstherapie gemacht. Nach einigen Jah-
ren habe ich bei einer Sitzung zu meiner Therapeutin gesagt: „Heute habe ich gar kein Thema mitgebracht.“ Darauf
antwortet sie: “Das ist ja wunderbar, dann können wir genau das bearbeiten, was zwischen uns ist.“
Als Coachee hab ich ein Anliegen, zum Beispiel: Wie kann ich meine Rolle als Führungskraft besser ausfüllen und
effizienter arbeiten oder wie kann ich den Konflikt mit meinen Mitarbeitern lösen, oder auch Zielarbeit, das ist ja sehr
pragmatisch.
In der Therapie geht es sehr viel tiefer. Das kann auch heißen, dass ich manchmal sehr ratlos bin oder auch durch eine
stärkere Krise gehe, wenn ich in der Vergangenheit wühle.
Coaching soll ja Arbeitsweise und Wohlbefinden stärken.
Ich glaube, dass die systemischen Fragen in der Therapie sowohl als auch im Coaching vorkommen, die Unterschiede
liegen eher im Ziel der Arbeit, die sich dann aus den Fragen und Antworten ergeben.“
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Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?
„Ich würde sagen, da wo es dem Coachee verwirrt oder ratlos zurück lässt und man das Thema nicht auflösen kann.
Wenn alles von Wertschätzung und Empathie getragen ist, sehe ich im Moment keine Grenzen.
Die Systemische Arbeit ist ja immer von Hypothesen und Werten geleitet. Als Coach sollte ich immer offen bleiben. Mir
die Möglichkeit einräumen, dass ich ganz falsch liege und die Lösung ganz anders aussieht als ich vermute.“
Frau Mag. Daniela Pichler aus Kärnten, Sozialpädagogin, Trainerin und Coach
Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?
„Da wir alle in Strukturen drinnen sind, gilt für mich, vor allem in Gesprächen, zu schauen, in welchen Strukturen und
Systemen sich der Coachee befindet. Weiters auch sein Umfeld miteinzubeziehen, die Leute, die in diesem, seinem
Systems drinnen sind, und wie diese in Beziehung zueinander stehen.
Ich frage mich dann: Was kann der Klient verändern? Was bewirkt diese Veränderung im System?
Diese Verbindungen und Verknüpfungen aufzudecken, sichtbar zu machen, bedeutet für mich systemisch arbeiten.“
Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
„Zum ersten Mal habe ich davon in der Kindergartenpädagogik gehört. Später dann bewusster während des Psycholo-
giestudiums (3 Semester) und auch durch Familienaufstellungen nach Hellinger.“
Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
„Ich lasse oft aufzeichnen, um das System, wo und wie der Klient steht, anschaulich zu machen.
Der Teilnehmer zeichnet dann ein, wo er steht oder wo er hin will. Ich interpretiere mit ihm seine Zeichnung: Sie sind da,
es geht da hin.“
Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?
„Mit Karten, drauf stellen, einfühlen lassen, Aufstellungsarbeit, Zielarbeit, reingehen lassen, was hier in diesem Rahmen
möglich ist und auch mit dem Systembrett.“
Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im
Einzelcoaching? Welche und warum?
„Vielleicht, dass man den Blickwinkel nur zu sehr auf das System richtet und dadurch Dinge im System vergisst.“
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Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
„Oft vermischt sich natürlich diese Grenze.
Therapie ist meist langfristiger, es geht oft um tiefe Veränderungen und Traumata.
Coaching geht für mich auch in die Tiefe, aber in einer anderen Intensität. Somit gibt es für mich sehr wohl Grenzen
zwischen Coaching und Therapie.
Zum Beispiel, ein Teilnehmer ist depressiv und kommt zum Coach mit dem Thema, einen Job zu finden. Dann kann ich
mit ihm, unter Berücksichtigung seiner Depression, arbeiten.
Ich kann dann, wenn notwendig, klar darüber kommunizieren, dass mir das zum Beispiel auffällt ...
Für mich wäre eine Grenze, wenn der Klient kommt und die Depression behandeln möchte.
Hier würde ich auf eine Therapie verweisen. Für mich kommt es auf das Thema des Coachees an und auf die Heftigkeit.“
Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?
„Oft ist es notwendig, Themen in der Therapie vor dem Coaching zu lösen, um effektiv im Coaching zu arbeiten.
Zum Beispiel, wenn es Themen sind, die den Klienten so beschäftigen, dass es gar nicht möglich ist, einen Job zu
suchen oder zu finden und somit das definierte Coaching Ziel nicht erreicht werden kann. Dann rate ich, dieses Thema
eventuell zuerst in einer Therapie zu lösen.
Würdest Du den Klienten dann eher zur Therapie verweisen, wenn sich das so darstellt?
Kommt auf das Thema darauf an, zum Beispiel bei Schizophrenie, schwerer Depression und Traumata auf jeden Fall.
Im Coaching mache ich dann bewusst darauf aufmerksam. Zum Beispiel sage ich: „Es ergibt sich gerade jetzt dieses
Thema, ist das für Sie eine Möglichkeit, an dem jetzt zu arbeiten und das Coaching Ziel neu festzulegen?“
Herr Mag. Johannes Hollerer aus Wiener Neustadt, Wirtschaftsstudium, Unternehmens- und Personalberater, Coach
Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?
„Der Teilnehmer selbst trägt die Lösung für sein Anliegen in sich.
Die Aufgabe des Coachs ist, ihm die Möglichkeiten aufzuzeigen, die er hat. Meist ist das Wissen oder die Situation des
Klienten so, dass er sich in irgendeiner Weise eingeschränkt sieht und meint, nicht selbst das Thema lösen zu können.“
Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
„Während meines Studiums, ich habe ein Praktikum in einer Unternehmensberatung gemacht, wo es um systemische
Beratung insgesamt ging und auch um systemisches Coaching.“
Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
„Ich sehe den Vorteil des systemischen Coachings in der Hilfestellung für den Klienten, ihm Sichtweisen seines Systems
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aufzuzeigen. Dadurch hilft man dem Klienten zu reflektieren und gibt im gleichzeitig die Möglichkeit, sich auch in andere
Richtungen zu öffnen.“
Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?
„Sicherlich gehört hier die Wunderfrage dazu, die ich gerne stelle.
Aber auch Fragen wie: Warum glauben Sie, ist diese Situation so? Warum glauben Sie, gibt es keine andere Möglichkeit?
Ich verwende hauptsächlich Fragetechniken, vor allem zirkuläre Fragen.“
Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im
Einzelcoaching? Welche und warum?
„So richtig wahrgenommen habe ich Stolpersteine noch nicht, da ich immer versuche, auf das Klientensystem einzu-
gehen.
Wenn ich merke, das Gespräch läuft nicht so, wie es sich der Klient vorstellt oder ich es gerne hätte, versuche ich, ihm
neue Wege zu eröffnen. Das heißt, ich versuche, dem Klienten durch Fragen ganz neue Möglichkeiten aufzuzeigen. In
diesem Sinn habe ich noch keinen richtigen Stolperstein erlebt.“
Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
„Natürlich ist die Trennung oft sehr schwer möglich. Es liegt in der Entscheidung des Klienten, ob er zum Therapeuten
oder zum Coach geht. Das ist auch der Vorteil des Coaches, wenn der Klient sich für ihn entscheidet, die Freiwilligkeit
ist hier auch ganz wichtig.“
Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?
„Ich sehe keine Grenzen in dem Sinne, es ist ein Gespräch von Mensch zu Mensch, auf selber Ebene, indem man ver-
sucht, dem anderen neue Blickwinkel zu eröffnen.
Wenn es Grenzen gäbe, wäre es nicht systemisch. Wobei systemisch ja mit Grenzen, Boundaries, gekennzeichnet ist.
Diese Grenzen liegen für mich immer im persönlichen Kontext, vor allem auch im System des Klienten.
Ich denke, wo es Grenzen gibt, dort schweigt oft der Klient.
Würdest Du da dann nachfragen, einhaken?
Das liegt im System des Coachs, wo er sich selbst eingesteht, da kann ich nicht weiter, ist mir zu viel, da habe ich selbst
keine Kompetenz, den Klienten zu einer Lösung zu führen.
Oder der Klient selbst entscheidet, an diesem Punkt nicht weiterzugehen.
Die Grenzen ergeben sich im laufenden Interaktionsakt, wenn einer der beiden, Klient oder Coach, keine Lösungen sieht.“
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Frau Mag. Silvia Kosanova aus der Slowakei, Studium Pädagogik und Erziehungswissenschaften,
arbeitet seit 2006 in Österreich als Coach und Berufsorientierungstrainerin
Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch Arbeiten?
„Jeder Mensch hat im Kopf ein System und lebt auch in einem System.
In meiner Arbeit bedeutet das, dass für mich von großem Interesse ist, in welcher Umgebung lebt mein Klient und welche
Motive hat er, also, wie sieht sein System aus.
Wenn meine Aufgabe ist, ihm bei der Jobsuche zu helfen, dann kläre ich mit ihm seine Vorstellungen. Was wollte er als
Kind sein, was wollte er später sein, was will er jetzt sein?
Je nach Situation des Klienten und unter Einbeziehung seiner Visionen, die er gerade hat, suchen wir gemeinsam nach
Lösungen und Möglichkeiten.
Zum System gehören seine Familie und die Gesellschaft, die ihn umgibt. Es gilt, Lösungen zu finden, die in das System
passen (Job), oder das System entsprechend zu ändern.“
Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
„Intuitiv schon vor meiner Ausbildung, da ich mir selbst schon immer systemische Fragen gestellt habe. Auch wusste ich
schon aus eigener Erfahrung, dass das System (Umfeld) eine wichtige Rolle für Entscheidungen spielt.
Zum Beispiel, in Bezug auf den Beruf müssen Menschen oft mit ihren eigenen Zielen warten, wenn es für das Famili-
ensystem im Moment besser ist. Diese Erkenntnis versuche ich den Teilnehmern zu zeigen, manche wissen das schon,
dass die Entscheidung für die Jobauswahl an das System und ihr Umfeld gebunden ist.
In meinem Studium und bei der Coaching Ausbildung hat sich mein systemisches Wissen vertieft.“
Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
„Mit Fragetechniken, die auf das System schauen.“
Frage 4: Gibt es ein oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?
„Ich lasse die Klienten gerne ihr System aufzeichnen. Durch das Bild können Themen sichtbar gemacht werden. Ich
verwende auch Stifte oder andere kleine Gegenstände und analysiere dann mit dem Klienten, was er sieht und spürt.“
Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im
Einzelcoaching? Welche und warum?
„Nein, absolut nicht, mich interessiert jetzt die Lage und welche Schritte wollen die Klienten jetzt gehen.“
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
„Wenn ich merke, es geht tiefer, frage ich den Klienten, ob er Empfehlungen für Therapeuten von mir haben möchte und
gebe dann Adressen weiter.
Manche Klienten nehmen dieses Angebot dankend an, manche nicht, die Entscheidung liegt beim Klienten.“
Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?
„Ja, es gibt sicher Grenzen für mich. Zum Beispiel, wenn der Klient nicht weitergehen will und im Leid verharren möchte.
Dann sage ich Stopp, die Situation ist so, zwar schlimm, natürlich mit viel Empathie, verbleibe aber nicht mit ihm im
Leid, sondern unterstütze bei der Suche nach Lösungen.“
Herr Dr. Peter Taucher aus Wien, Studium der Physiologie, Kommunikationstrainer und Coach
Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch Arbeiten?
„Grundsätzlich habe ich in meiner Coaching Ausbildung vor allem die Methoden nach Werner Vogelauer kennengelernt
und mich im Coaching Setting danach orientiert.
Für mich bedeutet systemisches Coaching nicht nur, einen Blickwinkel zu haben und das Problem anzusehen, sondern
das Betrachten des Themas von verschiedenen Seiten und dementsprechend dann Fragen zu stellen.“
Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
„Durch Literatur von De Shazer Steve.“
Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
„Ich arbeite systemisch, aber nicht bewusst.
Wenn ich das Gefühl habe, dass der Klient sich festläuft, lade ich ihn ein, meist intuitiv, das Thema von einer anderen
Seite zu betrachten.“
Frage 4: Gibt es ein, oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne verwenden?
„Nicht bewusst, natürlich mit Fragen und sehr gerne mit der Wunderfrage.“
Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im Ein-
zelcoaching? Welche und warum?
„Könnte sein, wie bei allen Methoden, dass die Methode so im Vordergrund steht und man den Menschen daneben
vergisst. Zum Beispiel, vergesse wirklich zuzuhören.“
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Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
„Das Coaching geht nur bis zu einer „gewissen Tiefe“, es werden eher leicht lösbare Probleme behandelt.
Die Grenze selbst ist für mich der Klient. Will der Klient an einem bestimmten Thema noch weiter gehen oder wird es
ihm unangenehm. Danach orientiere ich mich.
Wenn der Coachee tiefer gehen möchte, frage ich seine Befindlichkeit ab und setze ein neues Coaching Ziel mit ihm fest.
Bei Themen, die nicht in einem Coaching Setting (1-5 Termine) zu lösen sind, verweise ich auf einen Therapeuten.“
Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten und warum?
„Grenzen im Coaching Setting gibt es, die Frage ist: Was kann durch das Coaching überhaupt erreicht und bewirkt
werden?
Der Coach meint oft, zu den wesentlichen Schritten, die sein Klient macht, vieles beizutragen.
Ein Mensch macht Veränderungen von sich aus.
Coaching kann einen kleinen Ansporn dazu geben. Ich vermute, wenn der Klient zum Coach kommt, dann hat er schon
diesen kleinen Ansporn in sich, den Willen, etwas zu verändern. Der Coach kann dann kleine Impulse geben und Rich-
tungen aufzeigen.
Grenze für mich ist, dass ich als Coach nicht genau abschätzen kann, ob das Coaching nachhaltig fruchtbar war und ob
ich wirklich mit meinen Interventionen zur Veränderung beitragen konnte.“
Herr Mag. Sven Kreble aus Süddeutschland, Krankenpfleger, Studium Psychologie, Systemischer Berater, Verkehrs-
psychologe, Coach
Frage 1: Was bedeutet für Sie systemisch arbeiten?
„In erster Linie bedeutet systemisch arbeiten für mich, dass jeder Mensch sein eigener Experte ist. Ich, als Berater und
Coach, kann entsprechend meiner Sichtweise, durch Fragestellungen, Hilfestellungen geben.
Durch diese Fragen kann der Klient ins Nachdenken kommen. Dadurch können Entwicklungskapazitäten erschlossen
werden, Potential aufgedeckt werden und bestimmte unbewusste Prozesse in Gang gebracht werden.“
Frage 2: Wo sind Sie zum ersten Mal damit in Berührung gekommen?
„Während des Studiums.“
Frage 3: Wie arbeiten Sie systemisch im Einzelcoaching?
„Ich arbeite immer auf Blickebene mit dem Klienten. Ich mache anfangs eine Erwartungsrunde, gleiche ab und setze dann
mit dem Klienten ein Ziel fest.
Frage dann ganz gezielt, was sich nach dem Coaching bei ihm verändern wird und was generell anders sein wird.“
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Frage 4: Gibt es ein oder mehrere Tools, die Sie, um systemisch zu arbeiten, gerne anwenden?
„Versuche immer, die eigenen Anteile aufzuzeigen.
Wenn ich merke, dass der Klient beim Reflektieren über sich selbst Probleme hat. Dann gehe ich zirkulär vor.
Weiß aus meiner Erfahrung, wenn Menschen Schwierigkeiten haben, sich selbst zu beschreiben, können sie aber
dennoch beschreiben, wie andere sie sehen.“
Frage 5: Gibt es für Sie Gefahren, Stolpersteine bei der Anwendung von systemischen Ansätzen im
Einzelcoaching? Welche und warum?
„Kann ich so nicht sagen. Ich gehe auch sehr gerne methodisch vor, bin ausgestattet mit dem Methodenkoffer und denke,
man kann damit langfristig gute Ziele erreichen.“
Frage 6: Wo liegt für Sie die Grenze zur Therapie?
„Es gibt für mich keine Grenzen im Coaching.
Ich denke, ob Therapie oder Coaching, man versucht, Prozesse auszulösen, die sich dann im Verhalten des Klienten
nachhaltig widerspiegeln.
Mein Klient bestimmt, was ihm wichtig ist, insofern, wenn ihm dieses Thema wichtig ist, dann wird es Thema im Coa-
ching sein.“
Frage 7: Gibt es überhaupt „Grenzen“ im Coaching, bezogen auf systemisches Arbeiten, und warum?
„Die Grenzen, die mein Klient setzt, sind für mich Grenzen.
Ich selbst setze mir keine Grenzen im Coaching, wann immer mir etwas auffällt, das mir für den Klienten wichtig
erscheint, teile ich ihm dies mit.“
Das Resümee
Zweck der Befragung war es, dem Begriff „systemisches Arbeiten “ im Einzelcoaching Setting nachzugehen.
Herangezogen wurden die systemischen Theoriegrundlagen nach Sonja Radatz. Diese wurden mit den Aussagen der
freien, qualitativen Interviews in Vergleich gesetzt.
Aufgrund der Inhaltsanalyse wurden folgende Hypothesen von den Praktikern angesprochen:
- „Menschen entstehen im System“ – sie bilden von der ersten Minute der Zeugung an Systeme und verhalten
sich in verschiedenen Systemen völlig unterschiedlich. 1
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Alle sechs Interviewpartner bestätigten die Annahme, dass der Mensch in Systemen lebt und sich dementsprechend
verhält. Deshalb ist es unerlässlich, das „System“ des Coachees in das Coaching miteinzubeziehen.
„… also nicht nur das Symptom zu betrachten und zu verändern, sondern auch die ganze Wechselwirkung und das
Umfeld mit einzubeziehen, Vorgeschichte …“
„... zu schauen, in welchen Strukturen und Systemen sich der Coachee befindet. Weiters auch sein Umfeld miteinzube-
ziehen, die Leute, die in diesem seinem Systems drinnen sind und wie diese in Beziehung zueinander stehen.“
„Jeder Mensch hat im Kopf ein System und lebt auch in einem System.“
„In meiner Arbeit bedeutet das, dass für mich von großem Interesse ist, in welcher Umgebung lebt mein Klient und wel-
che Motive hat er, also, wie sieht sein System aus.“
„Zum System gehören seine Familie und die Gesellschaft, die ihn umgibt. Es gilt, Lösungen zu finden, die in das System
passen (Job), oder das System entsprechend zu ändern.“
„Zum Beispiel, in Bezug auf den Beruf müssen Menschen oft mit ihren eigenen Zielen warten, wenn es für das Famili-
ensystem im Moment besser ist. Diese Erkenntnis versuche ich den Teilnehmern zu zeigen, manche wissen das schon,
dass die Entscheidung für die Jobauswahl an das System und ihr Umfeld gebunden ist.“
- „Menschen denken in ihren ureigenen Mustern“ – als Coaches unterstützen wir dabei,
weniger hilfreiche Denkmuster beim Kunden zu unterbrechen bzw. neue zu finden. 1
Vier der Befragten gaben bekannt, dass es ihre Intention ist, die Denkmuster des Coachees im Setting zu unterbrechen,
um die Möglichkeit zu geben, „Neues“ zu entdecken.
„Der Coachee kennt meist die Fragen und könnte sie sich ja selbst stellen. Aber in einem unerwarteten Moment, gefragt
von meinem Gegenüber, können diese Fragen sehr heilsam sein…“
„Ich sehe den Vorteil des systemischen Coachings in der Hilfestellung für den Klienten, ihm Sichtweisen seines Systems
aufzuzeigen. Dadurch hilft man dem Klienten, zu reflektieren und gibt im gleichzeitig die Möglichkeit, sich auch in andere
Richtungen zu öffnen ...“
„Wenn ich das Gefühl habe, dass der Klient sich festläuft, lade ich ihn ein, meist intuitiv, das Thema von einer anderen
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Seite zu betrachten.“
„Ich, als Berater und Coach, kann entsprechend meiner Sichtweise, durch Fragestellungen, Hilfestellungen geben. Durch
diese Fragen kann der Klient ins Nachdenken kommen. Dadurch können Entwicklungskapazitäten erschlossen werden,
Potential aufgedeckt werden und bestimmte unbewusste Prozesse in Gang gebracht werden.“
- „Systemisch denken heißt zirkulär denken“ – alles hat wechselseitig Einfluss aufeinander.
Es gibt daher keine eindeutigen „Ursachen“ oder „Schuldigen“, sondern nur Beteiligungen
von unterschiedlicher Art und Ausmaß. 2
Vier Coaches sagten aus, dass zirkuläres Denken im Coaching unerlässlich ist und dass sie häufig zirkuläre Fragen
stellen.
„Ich verwende hauptsächlich Fragetechniken, vor allem zirkuläre Fragen.“
„Für mich bedeutet systemisches Coaching nicht nur, einen Blickwinkel zu haben und das Problem anzusehen, sondern
das Betrachten des Themas von verschiedenen Seiten und dementsprechend dann Fragen zu stellen.“
„Versuche immer, die eigenen Anteile aufzuzeigen.“
„Wenn ich merke, dass der Klient beim Reflektieren über sich selbst Probleme hat, dann gehe ich zirkulär vor.“
- „Problemlösungen können durch hilfreiche Verstörung von außen angeregt werden“ – wir
übernehmen als Coach stets die Verantwortung für die Intensität und Art der Verstörung. 3
Vier der Praktiker gaben bekannt, dass paradoxe Interventionen oft das Denken des Coachees maßgeblich verändern. Die
Verantwortung über den Coaching Prozess obliegt aber stets dem Coach.
„Meist ist das Wissen oder die Situation des Klienten so, dass er sich in irgendeiner Weise eingeschränkt sieht und
meint, nicht selbst das Thema lösen zu können.“
„Wenn ich merke, das Gespräch läuft nicht so, wie es sich der Klient vorstellt oder ich es gerne hätte, versuche ich ihm
neue Wege zu eröffnen. Das heißt, ich versuche, dem Klienten durch Fragen ganz neue Möglichkeiten aufzuzeigen.“
„Die Grenze selbst ist für mich der Klient. Will der Klient an einem bestimmten Thema noch weitergehen oder wird es ihm
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unangenehm. Danach orientiere ich mich.“
„ ... man versucht, Prozesse auszulösen, die sich dann im Verhalten des Klienten nachhaltig widerspiegeln.“
- „Systemische Arbeit bedeutet Prozessarbeit “ – der Kunde bleibt Experte für die Inhalte
(Problem- und Lösungswelt), während der Coach für die Gestaltung des Prozesses
verantwortlich ist. 1
Alle sechs Interviewpartner bestätigten, dass der Coachee der Experte und die oberste Instanz für die Lösung seines
Problems ist. Die Grenze bestimmt und setzt der Coachee selbst.
„Die Systemische Arbeit ist ja immer von Hypothesen und Werten geleitet. Als Coach sollte ich immer offenbleiben. Mir
die Möglichkeit einräumen, dass ich ganz falsch liege und die Lösung ganz anders aussieht, als ich vermute.“
„Der Teilnehmer selbst trägt die Lösung für sein Anliegen in sich.“
„Die Grenzen ergeben sich im laufenden Interaktionsakt, wenn einer der beiden, Klient oder Coach keine Lösungen sieht.“
„… unterstütze bei der Suche nach Lösungen.“
„Wenn der Coachee tiefer gehen möchte, frage ich seine Befindlichkeit ab und setze ein neues Coaching Ziel mit ihm
fest.“
„Der Coach kann dann kleine Impulse geben und Richtungen aufzeigen. „
„In erster Linie, bedeutet systemisch arbeiten für mich, dass jeder Mensch sein eigener Experte ist.“
Das Systemische Coaching geht davon aus, dass wir Menschen ein Teil eines, beziehungsweise mehrerer Systeme sind:
zum Beispiel der Familie, der Firma, in der wir arbeiten, dem Verein, in dem wir tätig sind, der Stadt, in der wir leben,
oder größer: der Welt, des Universums.
Wichtig also: die Einbeziehung von Mikro- (innere Situation des Klienten) und Makro-System (Interaktionen des Klien-
ten mit anderen).
Durch das System entstehen Prägungen durch gegenseitige Beeinflussungen.
Überzeugungen und Muster entstehen sehr früh während der Sozialisierung des Menschen. Systemisch bedeutet daher
auch für mich, respektvoll mit Menschen umzugehen (ich kenne ja ihr System nicht), neugierig zu sein auf die Vielfalt
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und Widersprüchlichkeit von Menschen und sozialen Systemen – von der Richtigkeit der jeweils eigenen Erfahrungen
überzeugt zu sein (jedes System handelt zum eigenen Vorteil). Systemisch heißt vor allem auch ganzheitlich.
So, wie der Coachee in seinem System lebt und damit betrachtet wird, so arbeitet auch der Coach aus seinem „System“
heraus. Er wird nach seinem System Hypothesen erstellen und Interventionen setzen.
1) 2) 3) 4) Radatz 2006, S. 78
Die Literatur
Radatz, Sonja (2006). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Pra-
xishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten.
Wien: ISCT.
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Lösungsorientierte Kurzzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de ShazerMag. Michael Quas
A brief summery
„Mensch sein heißt immer, immer auch anders werden zu können.“ (Viktor E. Frankl)
Die lösungsorientierte Kurzzeittherapie, englisch Solution-Focused Brief Therapy, kurz SFBT, wurde in über 30 Jahren
von Insoo Kim Berg und Steve de Shazer entwickelt, mit den Jahren immer wieder konsequent hinterfragt und verfeinert.
Wurzeln für diesen therapeutischen Ansatz finden sich sowohl in Arbeiten des Mental Research Institute in Palo Alto,
Kalifornien, in den systemtheoretischen Familientherapien der 1950er und 1960er Jahre, in der Philosophie von Ludwig
Wittgenstein, dem Werk von Milton H. Erickson, der Kommunikationsforschung wie auch in der buddhistischen Lehre.1
Ausgangspunkt waren die Arbeiten am Brief Family Therapy Center in Milwaukee, Wisconsin. Insoo Kim Berg und Steve
de Shazer arbeiteten an diesem Institut seit 1978 gemeinsam mit einer Vielzahl an Kollegen an einem Therapiekonzept,
das einzig und allein darauf abzielt, dass „der Klient seine eigene Lösung konstruiert, die auf seinen eigenen Ressourcen
und Erfolgen basiert“ (Steve de Shazer,). 2
Somit zielt diese spezielle Art der Gesprächstherapie darauf ab, dass es hilfreicher und zielführender ist, sich auf Wün-
sche, Ziele und Ressourcen zu konzentrieren, anstatt auf Probleme und deren Entstehung.
„Problem talk creates problems. Solution talk creates solutions“3, so einfach fasste de Shazer dieses Prinzip in seiner
kurzen und prägnanten Ausdrucksweise zusammen.
Der Focus liegt somit einzig und allein im Finden von Lösungen und in der Annahme, dass jeder Mensch Experte für
sein eigenes Leben ist. Nicht Defizite und Probleme stehen im Vordergrund, sondern die Belebung und Stärkung bereits
bestehender Ressourcen und Muster, die sich bereits in der Vergangenheit als hilfreich erwiesen haben.
Der Haltung des Therapeuten als „nicht Wissender“4 kommt damit eine besondere Bedeutung zu. Er verweigert es in der
Regel, Interpretationen anzustellen, gibt fast nie Urteile über den Klienten ab und sieht die Interviewsituation als demo-
kratisch geführten Prozess, in dem er den Klienten auf behutsame Weise darauf hinweist, über verschiedene Richtungen
nachzudenken. Somit kommt dem Therapeuten die Aufgabe zu, Optionen zu erweitern und nicht einzuschränken. Die
Einstellung des Therapeuten verlangt während des gesamten Prozesses eine positive, kollegiale und auf die Lösung
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konzentrierte Einstellung.
De Shazer vertrat konsequent die Meinung, dass so wenig Sitzungen wie möglich zur Lösung führen sollten. Bezüglich
der Anzahl legten er und sein Team sich nicht fest, sondern folgten dem Grundsatz: so wenig wie möglich.
“Ich kann nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird, aber so viel kann ich sagen: es muss anders werden,
wenn es besser werden soll.” (G.C. Lichtenberg)
Dieses Zitat beschreibt eindrucksvoll, dass Lösungen einzig und allein durch Veränderung erreicht werden können. In der
SFBT wird dieses Prinzip konsequent dahin gehend umgesetzt, dass der Therapeut jedem seiner Klienten die Fähigkeit,
die Stärke und den unabdingbaren Willen zubilligt, Veränderung aus eigener Kraft und Erfahrung zustande zu bringen.
Zentral am lösungsfokussierten Ansatz ist das Bekenntnis zur „Einfachheit“ („Simplicity“), aus dem de Shazer klare
Lehrsätze ableitete:
Was nicht kaputt ist, muss man auch nicht reparieren
„If it ain`t broke, don`t fix it!“5 ( Steve de Shazer)
Diese These ist die wohl elementarste Lehrmeinung innerhalb der SFBT. Wo kein Problem vorliegt, soll es unter keinen
Umständen eine Therapie geben. Was simpel klingt, wird in diversen anderen Therapierichtungen nicht immer akzeptiert.
Es geht niemals darum, den Focus auf Defizite des Klienten zu richten oder geschweige denn darum, weitere Defizite
aufzudecken. Sobald der Klient für sich entschieden hat, dass kein Problem vorliegt, akzeptiert der Therapeut dies bedin-
gungslos und klammert seine eigene Wahrnehmung, Hypothesen und Urteile aus.
Das was funktioniert, sollte man häufiger tun6
„Uns macht aus, was wir beständig tun. Vortrefflichkeit ist keine Handlung, sondern eine Angewohnheit.“ (Aristoteles)
Bei der Beurteilung der Lösung seitens des Therapeuten steht nur die Effizienz im Vordergrund, nicht aber die Qualität.
Der Klient soll motiviert werden, all das zu wiederholen, was schon funktioniert hat, selbst wenn es nur einziges Mal der
Fall war. Gewünschte Veränderungen erfahren damit eine Verfestigung im Leben des Klienten. Der Therapeut ermutigt,
Erfolge zu wiederholen und steuert so gemeinsam mit dem Klienten immer konkreter auf die Lösung zu.
Wenn etwas nicht funktioniert, sollte man etwas anderes probieren7
“Zwei Wege boten sich mir dar; ich nahm den, der weniger betreten war. Das veränderte mein Leben.“ (Henry D. Thoreau)
Lösungen, die noch so plausibel erscheinen mögen, aber nicht funktionieren, sind keine Lösungen! Diese können nur
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dadurch gefunden werden, indem neue Wege gegangen werden und der Mut aufgebracht wird, das Neue auszuprobieren.
Es liegt am Therapeuten, seinen Klienten stark genug zu machen, diese Reise anzutreten und auf seinem Weg mit immer
neuen Experimenten und Denkanstößen zu begleiten.
Kleine Schritte können zu großen Veränderungen führen8
„Visionen sind wie Fixsterne. Unerreichbar, doch erleichtern sie die Orientierung.“
(Unbekannte Quelle)
Für viele Menschen ist es oft kaum vorstellbar, Veränderung in ihrer Gesamtheit zu begreifen. Einfacher und hilfreicher in
diesem Prozess ist die minimalistische Vorgehensweise der SFBT, bei der an der Lösung in kleinen, nachvollziehbaren
Schritten gearbeitet wird. Jede noch so kleine Veränderung bewirkt die nächste und führt somit zwangsläufig zu einem
komplett neu aufgesetzten System, in dem sich der Klient langsam, aber dafür nachhaltig, zurechtfinden kann.
Die Lösung hängt nicht zwangsläufig mit dem Problem direkt zusammen9
„Verstehen kann man das Leben oft nur rückwärts, doch leben muss man es vorwärts.“ (Sören Kierkegaard)
Ein weiterer essentieller Unterschied zu anderen Therapieformen ist, dass der Ausgangspunkt in der SFBT immer der ist,
dass der Klient dem Therapeuten anfangs schildert, was anders wäre, wenn das bestehende Problem gelöst ist. Das Ziel
wird damit in Folge rückwärts aufgerollt, mit dem klaren Blick auf die Momente und Zeiten, in denen die erhoffte Lösung
oder Teile davon bereits manifest waren. Der Focus liegt somit auf der Gegenwart und der Zukunft und nicht im Ursprung
des Problems oder der damit verbundenen Vergangenheit.
Die Sprache der Lösungsentwicklung ist eine andere als die, die zur Problembeschreibung notwendig
ist10
„Die Welt des Glücklichen ist eine andere als die des Unglücklichen.“ (Ludwig Wittgenstein)
Die sprachliche Beschreibung von Problemen ist immer vergangenheitsorientiert, negativ gefärbt und prolongiert somit
zumeist das Problem. Ganz anders verhält es sich mit der lösungsorientierten Sprache, die sich voll Erwartung und Neu-
gierde auf die Zukunft bezieht, positiv gefärbt ist und somit auch die Relevanz von Problemen verkleinert.
Kein Problem besteht ohne Unterlass; es gibt immer Ausnahmen, die genutzt werden können11
„Ausnahmen sind nicht immer die Bestätigung der alten Regel. Sie können auch Vorboten einer neuen Regel sein.“
(Marie von Ebner-Eschenbach)
Die SFBT geht von dem Grundsatz aus, dass jeder Mensch in seinem Problem immer wieder Ausnahmen erlebt. Diese
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positiven Erfahrungen und die damit verbundenen Unterschiede werden genützt, um einen Wandel im Verhalten zu erzie-
len und der Lösung Schritt für Schritt
näherzukommen. Die Ausnahmen sind somit der Beweis, dass Veränderung bereits kraft des Klienten stattgefunden hat
und ein beschwerdefreier Zustand bereits existiert hat. Darüber hinaus untermauern sie die Vergänglichkeit von Proble-
men.
Die Zukunft ist sowohl etwas Geschaffenes als auch etwas Verhandelbares12
„Ich bin frei, denn ich bin einer Wirklichkeit nicht ausgeliefert, sondern kann sie gestalten.“ (Paul Watzlawick)
Der Wille für die Gestaltung des Heute und des Morgen steht im Vordergrund, und nicht die vermeintliche Sklaverei der
Vergangenheit. Was immer ein Klient auch erfahren und erlebt hat, ist er doch jederzeit in der Lage, bewusst und selbst-
verantwortlich seine Situation zu ändern.
Die gesamte Arbeit der lösungsorientierten Kurzzeittherapie beruht auf diesen Lehrsätzen. Die zentrale Intervention dabei
ist das Stellen von Fragen seitens des Therapeuten, die sich in der Hauptsache auf die Gegenwart und Modelle in der
Zukunft beziehen. Nicht der Ursprung von Problemen steht im Vordergrund, sondern die Vorstellung des Klienten von
seinem zukünftigen Leben. Die Grundhaltung des Therapeuten spiegelt dieses Prinzip dahingehend wider, dass er selbst
davon überzeugt ist, dass Menschen auch unter schwierigsten Bedingungen ihr Bestes tun, und durch ein Klima von
Anerkennung, Respekt und Neugierde werden diese Bemühungen nachhaltig gewürdigt.
In diesem Setting ermutigt der Therapeut den Klienten durch bewusste Komplimente und Lob immer wieder zur Verän-
derung. Das gemeinsame Entwickeln eines Lösungsbildes ist das Ziel, in dem sich der Klient selbst als Teil der Lösung
identifiziert.
Steve de Shazer entwickelte die „Wunderfrage“, um den Zugang zum Klienten zu verbessern und um zu erkunden, was er
wünscht und was seine Ziele sind. Es ist dies eine Methode, um aus dem Problemzustand herauszukommen und einen
gewünschten Zielzustand zu erreichen, auf dessen Basis Lösungen erarbeitet werden können.
Nach Steve de Shazer sollte die Wunderfrage nur einmal am Anfang der Therapie gestellt werden, um dem Klienten
danach die Möglichkeit zu geben, selbst an der Lösung zu arbeiten.
Die Wunderfrage sollte mit sanfter, langsamer Stimme gestellt werden:
„Ich möchte Ihnen jetzt eine ungewöhnliche Frage stellen. Stellen Sie sich vor, während Sie heute Nacht schlafen und das
ganze Haus ganz ruhig ist, geschieht ein Wunder. Das Wunder besteht darin, dass das Problem, das Sie hierher geführt
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hat, gelöst ist. Allerdings wissen Sie nicht, dass das Wunder geschehen ist, weil Sie ja schlafen. Wenn Sie also morgen
früh aufwachen, was wird dann anders sein, das Ihnen sagt, dass ein Wunder geschehen ist und das Problem, das Sie
hierher geführt hat, gelöst ist?“13
Die Antworten des Klienten auf die Wunderfrage können als Therapieziele angenommen werden, und schaffen einen
Rahmen, in dem das Problem bereits gelöst ist oder gelöst werden kann. Im nächsten Schritt wird der Klient angehalten,
seine Antworten in Handlungen auszudrücken, also all das zu spezifizieren, was er in Zukunft tun will. Danach wird
hinterfragt, was sich im Denken und Fühlen sowie an Verhaltensweisen verändert hat und woran erkennbar ist, dass die
gewünschten Veränderungen bereits stattgefunden haben. Jeder noch so kleine Vorbote des Wunders wird als elemen-
tarer Schritt in Richtung Lösungserreichung gewertet.
Unter der Zurhilfenahme von Skalen werden Gefühlszustände und Fortschritte gemessen und damit anschaulich ge-
macht. Auf einer Skala von 1 bis 10 wird der Anfangszustand festgemacht, danach die momentane Position markiert
und beschrieben und jede Veränderung genau bezeichnet. Somit wird ein kontinuierlicher, richtungsweisender Prozess
in Gang gesetzt, der sowohl für den Klienten als auch für den Therapeuten messbar macht, inwieweit sich die Situation
bessert, unverändert bleibt oder verschlechtert. Darauf baut der Therapeut sein Fragekonzept auf, unterlegt es mit Kom-
plimenten und implementiert und stärkt damit den Willen zur Veränderung beim Klienten.
Im Anschluss an jede Sitzung werden Hausaufgaben zugeteilt, um Handlungsweisen zur Zielerreichung in den Alltag
einzubauen. Die Lösung, erlangt durch kontinuierliche Veränderung, wird somit zum erlebten, gefühlten und hoffnungs-
voll erwarteten Ziel für den Klienten.
Die lösungsorientierte Kurzeittherapie nach Insoo Kim Berg und Steve de Shazer mit ihrer wertschätzenden Beobachtung
sowie der Betonung auf der Einzigartigkeit jedes Klienten hat sich als richtungsweisende Therapieform weltweit etabliert
und mannigfaltige Strömungen maßgeblich beeinflusst. Oder wie Mathias Varga von Kibed dies so trefflich formuliert
hat: „Erinnern wir uns daran, dass wir dem Wunder schon einmal begegnet sind. So lädt man Wunder ein – am besten
noch heute!“14
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Bibliographie:
Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute. Steve de Shazer, Yvonne Dolan, 2008. Carl-Auer
Lösungen (er-)finden. Das Werkstattbuch der lösungsorientierten Kurztherapie. Band 17 systemische Studien. Peter de
Jong, Insoo Kim Berg.2008. Verlag modernes lernen-Dortmund
Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Peter Szabó, Insoo Kim Berg. 2009. Borgmann Media
Der Dreh. Überraschende Wendungen und Lösungen in der Kurzzeittherapie. Steve de Shazer. 2010. Carl-Auer
Words were originally magic. Steve de Shazer . 1994 W. W. Norton & Company
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
TOOLS
„Funktion der Sprache im Coachingprozess“Univ. Doz. Dr. Nina-Maria Wanek
Samuel Johnson
„Language is the dress of thought“
Ludwig Wittgenstein
„Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“
Einleitung:
Es gibt mittlerweile eine fast unüberschaubare Fülle an Methoden/Interventionen/Tools für die verschiedenen Coaching-
Prozesse und -Phasen. Manche Coaching-Handbücher lesen sich mittlerweile fast wie Kochbücher, deren „Rezepte“ der
Coach scheinbar nur noch „nachzukochen“ braucht.
Entscheidend ist jedoch nicht nur die richtige Abfolge der Schritte und die „Dosierung“ der verschiedenen „Ingredien-
zien“, sondern 1) die Kenntnis, woher diese Methoden stammen und 2) ein profundes Praxiswissen, um die richtige
Auswahl zu treffen: Das Tool kann noch so gut sein, wenn es nicht zum Coachee passt oder zum falschen Zeitpunkt
eingesetzt wird, kann es seine Wirkung nicht entfalten.
Interessanterweise gibt es zum Thema „Sprache und Kommunikation“ nicht so viele Tools, wie man vielleicht vermuten
würde – ist doch eine gelungene Kommunikation der zentrale Ausgangspunkt und die Basis für jeden Coachingprozess.
Wenn die Verständigung zwischen Coach und Coachee nicht passt, wird das Coaching wohl nicht über die erste Ken-
nenlernstunde hin-auskommen.
Tools, die ausschließlich für diesen Themenkreis anzuwenden sind, wird man daher vergeblich suchen: Zwar gibt es
Interventionen, in deren Zentrum die Beschäftigung mit Sprache bzw. Kommunikation steht, allerdings lassen sich diese
Tools zumeist auch für andere Themen im Coaching anwenden. Die folgenden Tools wurden daher nach folgenden Ge-
sichtspunkten ausgewählt:
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Generelle Anwendbarkeit, um mit der Sprache/dem Kommunikationsverhalten des Coachees zu arbeiten
Der Coach arbeitet dabei selbst vorzugsweise mit Sprachtools (Fragen u.ä.)
- Die Sprache verändert vorzugsweise etwas im Inneren des Coachees (Bilder, Anteile usw.)
Fantasie und Kreativität werden durch sprachliche Mittel angeregt
- Die Tools sind methodisch fundiert, ihre Wurzeln finden sich in Gestalt-, Familien-, Hypno- und Systemischer
Therapie, Psychoanalyse sowie in lösungsorientiertem Kurzzeitcoaching
An den Anfang wird das „Kommunikationsquadrat“ gestellt, das zwar kein Tool per se darstellt, jedoch als Modell dieses
Praxisteils die Grundpfeiler der Kommunikation veranschaulicht. Alleine durch das Bewusstmachen der vier Ebenen/Sei-
ten der Kommunikation, kann dem Coachee vermittelt werden, worauf es bei einer gelungenen Kommunikation ankommt
bzw. woran es möglicherweise bisher gescheitert ist, eine solche aufzubauen.
Anschließend an dieses Modell werden drei Tools aus dem Bereich der lösungsorientierten Fragen (zirkuläre Fragen,
sowie die Wunder- und die Skalierungsfrage) vorgestellt. Diese Fragen vermitteln wohl in der reinsten Form die „Zau-
berkraft“ der Sprache im Coaching.
Bei den Interventionen „Reframing“ und „Metaphorik“ geht es anschließend darum, Sprache gezielt umzudeuten und
zu verändern. Alleine die Umbenennung von Situationen führt oftmals schon zu einer Neubewertung derselben, indem
tatsächlich ein neuer „Rahmen“ geschaffen wird: Der erste Schritt hin zur Lösung des Problems ist damit vollzogen.
Die Arbeit mit Metaphern (aus dem Griechischen metaphéro /, wörtlich: „anderswohin tragen, verlegen, übertragen“)
geht noch einen Schritt weiter: Hier wird das Problemsetting umgedeutet, herausgenommen und in einen anderen – für
den Coachee oftmals vorerst paradoxen – Zusammenhang gestellt. Mit Hilfe der Sprache werden hier festgefahrene
(Sprach-)Bilder verändert, um dem Coachee einen Weg aus seiner Problemtrance zu weisen.
Mit Bildern arbeiten auch die drei abschließenden Interventionen: Die Fantasiereise entführt anhand einer Geschichte
(also wieder mit gezielt gesetzten Wörtern) in eine andere Welt, in der der Coachee gefahrlos neue Verhaltensweisen,
Handlungen, Lösungen usw. ausprobieren kann.
Das „Innere Team“ wendet sich an die „innere Kommunikation“ des Coachees und macht dessen „innere Kommunikati-
on“ sichtbar. Denn um nach außen hin erfolgreich kommunizieren zu können, ist es nötig, die innere Kommunikation zu
koordinieren, sich der verschiedenen Anteile im Inneren bewusst zu werden. Ist die innere Kommunikation gestärkt und
einheitlich, wird es dem Coachee auch gelingen, sich klar und überzeugend in seinem Umfeld auszudrücken.
Das „Zielgehen“ wiederum bietet dem Coachee die Möglichkeit zu erfahren, wie es sich anfühlt, tatsächlich „in der Vi-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
sion zu stehen“. Hier kann er sich plastisch ein Bild seines Ziels/seiner Vision machen und sich bereits „auf den Weg“
dorthin begeben. Die Gefühle und Emotionen während des „Zielgehens“ bzw. „in der Vision“ werden verankert, damit sie
zu einem späteren Zeitpunkt – wenn sich der Coachee in der betreffenden Situation befindet – wieder abgerufen werden
können.
All die ausgewählten Tools sollen dem Coachee vor allem auch das „Spiel“ mit der Sprache näher bringen, seine Freude
und Kreativität anregen, sich dieses ureigensten menschlichen Verständigungsmittels mit neuen Möglichkeiten und
Facetten zu bedienen. Vielleicht kann dies zu einer der ursprünglichen Bedeutungen des „Sprechens“ zurückführen und
die Sprache sowohl des Coaches als auch des Coachees wird wieder – wie es im Indogermanischen heißt – „sprühen“
(„[s]per-“) und (Grenzen) „sprengen“ (idg. „spreg-“)!
Allgemeine Hinweise:
Die Toolbeschreibungen sind so aufgebaut, dass zu Beginn die Grundlagen genannt werden, d.h., hier finden sich
Hinweise (so weit diese zu eruieren waren), von wem die Technik erfunden bzw. erstmals in diesem Zusammenhang
angewendet wurde. Darauf folgt eine genaue Darstellung der Ziele jedes Tools sowie eine angewandte Beschreibung
des Aufbaus, der Abfolge und der Inhalte. Gibt es Besonderheiten zu beachten oder ist erhöhte Vorsicht von Seiten des
Coaches geboten, wird dies ebenfalls bei der Beschreibung unter „Achtung“ angeführt.
Die Rubrik „Anwendung“ gibt genaue Auskunft, in welchen Phasen des Coachingprozesses die jeweilige Intervention
eingesetzt werden kann bzw. für welche Problemfelder sich diese besonders eignet. Unter „Material“ wird aufgelistet, ob
hier spezielle Vorbereitungen und Mittel (Kärtchen, Stifte, Stühle etc.) benötigt werden.
Die „Anmerkungen“ schließlich bringen Informationen zu Abwandlungsmöglichkeiten, verwandten Methoden der Tools
sowie wissenswerte Aussagen von Experten. Die „Literatur“ zum Schluss jeder Intervention zählt wissenswerte Schriften
und weiterführende Informationsquellen zu jedem Tool auf, die zu einer weiteren Auseinandersetzung mit dem jeweiligen
Thema einladen.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Das Kommunikationsquadrat
Grundlage:Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden. Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation.Karl Bühler: Organon Modell
ZielDurch das Kommunikationsquadrat wird ersichtlich, weshalb Gesprächspartner oftmals aneinander vorbeireden und Missverständnisse entstehen können. Der Coachee erfährt, wie es beispielsweise dazu kommen kann, dass er etwas sagt, was jedoch sein Gesprächspartner völlig anders versteht, als er es eigentlich gemeint hat.- Bewusstmachen der verschiedenen Kommunikationsebenen- Zur Überwindung/Lösung von Kommunikationsproblemen und -störungen- Um Gespräche für beide Seiten erfolgreich/befriedigend verlaufen zu lassen
BeschreibungDie Äußerung eines jeden Menschen enthält vier Botschaften: - blau: die Sachinformation – das, worüber man informiert (Daten, Fakten etc.)- grün: die Selbstkundgabe – was man bewusst oder unbewusst von sich zu erkennen gibt (Werte, Emotionen, Motive u.ä.).- gelb: den Beziehungshinweis – was man von seinem Gegenüber hält und wie man zu diesem steht – sowie- rot: den Appell – was man bei seinem Gegenüber erreichen will (Wunsch, Aufforderung etc.)
Dies wird nach Schulz von Thun in Form eines Quadrates dargestellt:Laut diesem Modell gibt es einen „Sender“, von dem die Botschaften ausgehen und einen „Empfänger“, der diese aufnimmt. Die vier Seiten des Quadrats geben an, auf welchen Ebenen der Empfänger die Botschaften jeweils aufnehmen kann. Jeder, der an einem Gespräch teilnimmt, wird daher auf vierfache Weise wirksam (vier „Schnäbel“ und vier „Ohren“ – wie dies Schulz von Thun auch nennt).Wenn nun der Empfänger die Botschaft auf einer anderen Ebene aufnimmt als vom Sender beabsichtigt, kann es zu Missverständnissen und Konflikten kommen. Dem Coachee wird durch dieses Modell vermittelt, dass dem „Sender“ wie auch dem „Empfänger“ oftmals nur ein kleiner Prozentsatz der Information bewusst ist, die er tatsächlich sendet bzw. empfängt. Der Coachee lernt dadurch, dass die Qualität eines Gesprächs davon abhängt, wie gut „Schnäbel“ und „Ohren“ zusammenspielen.Anhand von Sätzen aus der Arbeits- bzw. Alltagswelt des Coachees kann geübt werden, welchen Aspekt oder welche Ebene der Coachee (zuerst) verstanden hat
Modell
Selb
stku
ndga
be
Beziehungsseite
Apellseite
Sachebene
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Anwendung im Coaching- In Konfliktsituationen- Als Vorbereitung auf (schwierige) Gespräche
Material- Darstellung des Kommunikationsquadrats- Evtl. Flipchart und Stifte
AnmerkungenDas Tool ist auch als „Vier-Seiten-Modell“ bzw. als „Vier-Ohren-Modell“ bekannt.
LiteraturSchulz von Thun, Fr. (1981), Miteinander reden 1 – Störungen und Klärungen. Psychologie der zwischenmenschlichen Kommunikation. Reinbek: rororo.
Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz, S. 59f.
Zirkuläre Fragen
Grundlagen:Virginia Satir: Systemische Familientherapie.„Mailänder Schule“ (um Mara Selvini Palazzoli)
ZielZirkuläre Fragen helfen, komplexe, zirkuläre Prozesse in Beziehungen zu erkennen, so dass der Coachee einen breiteren Blick sowohl auf sich selbst als auch auf das System, in dem er agiert, bekommt. Dies ermöglicht dem Coachee, aus starren Verhaltens- und Kommunikationsmustern auszubrechen. Dadurch wiederum erhält der Coachee das Vertrauen, dass er kompetent genug ist, um selbst sein Problem zu lösen.- Erkennen, dass die Handlungen von Menschen zirkulär miteinander verbunden sind- Eine systemisch-konstruktivistische Sichtweise wird installiert- Durch weitere Informationen werden neue Denkprozesse, Sichtweisen, Kommunikations- und Handlungsmöglichkeiten angeregt
BeschreibungFür zirkuläre Fragen gibt es keinen vorgegebenen Ablauf oder standardisierte Muster. Der Coach fragt den Coachee, welche Meinungen, Gefühle, Beschreibungen, Kritikpunkte u.ä. die anderen (z.B. Kollegen, Vorgesetzte, Familienmitglieder etc.) in Bezug auf sein Problem haben könnten. Dadurch wird es dem Coachee ermöglicht, von seiner eigenen Sichtweise abzugehen und eine Außenperspektive zu erlangen.Zirkuläre Fragen lassen den Coachee erkennen, wie das eigene Verhalten vom Verhalten anderer beeinflusst wird und anschließend wieder auf diese zurückwirkt. Dadurch begreift der Coachee, dass nicht Menschen das Problem sind, sondern die Interaktionen (jede Interaktion ist auch eine Botschaft von Mensch zu Mensch – wie Watzlawick es formuliert: „Man kann nicht nicht kommunizieren“).
Tool
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Durch diese zirkuläre Sichtweise wird dem Coachee klar, dass er sich bewusst für ein bestimmtes Verhalten entscheiden kann, um sein Problem zu lösen bzw. um weniger problematische Interaktionen einzugehen.Es gibt verschiedene Arten von zirkulären Fragen, je nachdem, ob sie sich durch Inhalt, Zielsetzung, Form usw. unterscheiden:- Fragen nach Wirklichkeiten und Möglichkeiten (Auswahl): „Als-ob“ Fragen (hier wird das Problem simuliert, um zu zeigen, dass ein und dasselbe Problem in verschiedenen Situationen unterschiedlich auftreten kann);- Fragen nach Ausnahmen von Problemen - Fragen nach Lösungen/Lösungsansätzen- Fragen nach der Realisierbarkeit- Fragen nach Unterschieden:- Fragen nach Qualität- Fragen nach Quantität
Anwendung im CoachingZirkuläre Fragen können in jeder Phase des Coaching-Prozesses angewandt werden.Besonders hilfreich haben sich zirkuläre Fragen bei der Bearbeitung von zwischen-menschlichen Problemen und Konflikten (Chef, Mitarbeiter, Kollegen usw.) erwiesen, aber auch, um Verhaltens- und Kommunikationsmuster („Ich bin immer so ...“) zu verändern.Das Bewusstmachen von Handlungsalternativen beim Coachee bewirkt somit auch eine Verände-rung seiner Sprechgewohnheiten, d.h. es verändert die Art, wie er über seine Situation redet.
MaterialKeines
AnmerkungenZirkuläre Fragen werden zumeist als Kernpunkt der systemischen Fragen oder als „die“ systemischen Fragen schlechthin bezeichnet. Im Unterschied zu linear-kausalen Fragen, die auf die Beziehungen zwischen Wirkung und Ursache abzielen, geht es bei den zirkulären Fragen um die Einbeziehung der Außenperspektive.
LiteraturPalmowski, W.–Thöne, E. (1995), Zirkuläres Fragen – Was war da noch?, in: Zeitschrift für systemische Therapie 13/2.
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Radatz, S. (2009),Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 203–207.
Reich, K. (ed.), Zirkuläres Fragen, in: Methodenpool http://methodenpool.uni-koeln.de 2008ff. (Access: 8.1.2011).
Schäper, C. (2004), Zirkuläres Interview, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 90–94.
Schlippe, A. v.–Schweitzer, J. (2007), Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Simon, F. B.–Rech–Simon, Ch. (2004), Zirkuläres Fragen – Systemische Therapie in Fallbeispielen: Ein Lernbuch. Heidelberg: Carl-Auer
http://www.efb-stupa.de/service/handouts/hdlg_2006-06-12_a.pdf (Access: 8.1.2011).
Wunderfrage
Grundlage:Steve de Shazer,Insoo Kim Berg: Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching
ZielDer Coachee setzt sich mit dem „Nicht-Problem-Zustand“ auseinander, um zu einem subjektiven Idealzustand zu gelangen, der für ihn schließlich real greifbar wird.- Der Coachee denkt sich in einen Zustand hinein, in dem seine Probleme gelöst sind- Durch die Schilderung des „Idealzustandes“ wird es dem Coachee ermöglicht, wieder mit vielen Ressourcen kompetent zu handeln- Durch die Einbettung in das reale (Arbeits-)Umfeld des Coachees entstehen auch reale Bilder in Bezug auf die positiven Aspekte der Zielerreichung
BeschreibungUm den Coachee aus dem Problemzustand heraus- und in den Zielzustand hineinzuführen, formuliert der Coach – vorzugsweise mit langsamer, sanfter Stimme – die Wunderfrage in folgender Abfolge:- Einleitung: „Ich möchte Ihnen jetzt eine ungewöhnliche (seltsame o.ä.) Frage stellen“- Bezug zum Alltag: „Stellen Sie sich vor, Sie kommen nach Hause ... gehen wie gewohnt zu Bett ...“ usw.- Wunder einführen: „Angenommen, es würde in dieser Nacht ein Wunder geschehen ... und all das, was Sie vorhin erzählt haben, wäre gelöst ... Sie wissen jedoch nicht, dass das Wunder passiert ist, da Sie ja geschlafen haben ...“ (evtl. kann das Wunder auch näher erklärt werden)- Aufwachen am nächsten Morgen/erste Schritte: „Woran merken Sie als Erstes, dass das Problem gelöst ist?“- Unterschiede herausarbeiten/positive Handlungen betonen: „Was machen Sie anders? Was ist anders/neu? Was noch?“- Das Umfeld einbeziehen: „Wie bemerkt Ihre Umgebung, dass das Problem nicht mehr existiert? Wodurch? Wie reagieren Ihre Kollegen/Familienmitglieder etc. darauf?“
Tool
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Anwendung im CoachingDie Frage eignet sich vor allem für die frühen Phasen des Coachingprozesses (laut de Shazer sollte die Wunderfrage nur einmal am Anfang gestellt werden, um dem Coachee anschließend die Möglichkeit zu geben, selbst an der Lösung zu arbeiten). Besonders bewährt hat sich die Wunderfrage, wenn es für den Coachee schwierig ist, sein Ziel/seine Vision zu beschreiben, da er noch zu sehr in der Problemschilderung verhaftet ist.
MaterialKeines
AnmerkungenDie Wunderfrage ist eines der wirksamsten Tools in der lösungsorientierten Beratung. Wie de Shazer berichtet, wurde die Wunderfrage dazu entwickelt, um dem Coachee die Möglichkeit zu geben zu beschreiben, was er vom Coaching will, ohne „sich dabei um das Problem und um die traditionelle Annahme kümmern zu müssen, dass die Lösung in irgend-einer Weise damit verbunden sein müsste, das Problem zu verstehen und zu eliminieren.“ Denn – wie Albert Einstein es formuliert hat – kann „kein Problem [...] durch dasselbe Bewusstsein gelöst werden, welches das Problem kreiert hat“.
LiteraturMeier, D.–Szábo, P. (2008), Coaching – erfrischend einfach. Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoaching. Norderstedt: Books on Demand.
Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim Beltz, S. 370.
Szábo, P. (2004), Lösungsorientierte Kurzzeitberatung, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, 43f.
de Shazer, S. (2010), Worte waren ursprünglich Zauber. Von der Problemsprache zur Lösungssprache. Heidelberg: Carl-Auer.
Ders. (1992), Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Ders. (1999), Der Dreh. Überraschende und erfolgreiche Wendungen in der Kurztherapie. Heidelberg: Carl-Auer.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Skalierungsfrage
Grundlage:Steve de Shazer,Insoo Kim Berg: Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching
ZielDie Skalenfrage hilft zur Standortbestimmung sowie zur Kontrolle von Maßnahmen und Zielerrei-chung. Weiters unterstützt sie den Coachee bei der Selbsteinschätzung, aber auch bei der Bewer-tung und Wahrnehmung seiner (Problem-)Situation. Dabei ist besonders die Visualisierung von Unterschieden wichtig.- Realistische Einschätzung von Zielen, Entwicklungen und Ressourcen durch den Coachee- Regt zu Klärungsprozessen an- Zur Erstellung von Etappenzielen und der Initiierung kleiner Schritte bei komplexen, langwierigen Prozessen, wenn das Ziel „unerreichbar“ erscheint
BeschreibungDem Coachee wird eine Frage gestellt, die er mit Hilfe einer Skala beantworten soll. Zumeist wird die Skala von 0 bis 10, evtl. auch von 1 bis 100 gebildet, wobei 10 bzw. 100 die Ziel-erreichung darstellt.Dabei sind die Unterschiede zwischen den einzelnen Werten/Schritten auf der Skala wichtiger als die absolute Höhe des Skalenwerts. D.h. der Coachee profitiert vor allem davon, wenn die Unterschiede zwischen den einzelnen Werten/Schritten untersucht werden: Was muss er etwa tun, um auf einem Wert zu bleiben, eine Stufe weiterzukommen bzw. was muss er vermeiden, um nicht hinunterzurutschen. Dies kann beispielsweise anhand folgender oder ähnlicher Fragen geschehen:- „Was müssen Sie tun, um einen Schritt weiterzukommen?“- „Wo stehen Sie heute im Vergleich zum Beginn Ihrer Arbeit/Beziehung?“- „Auf welchen Wert möchten Sie in absehbarer Zukunft kommen?“- „Die Erreichung welchen Werts ist genug für Sie?“- „Wie schätzen Sie die Auseinandersetzung mit ... gerade jetzt ein? Wie hoch war die Intensität beim letzten Mal?“ usw.
Anwendung im CoachingSteve de Shazer setzt die Skalenfrage im Folgecoaching ein. Allerdings kann sie auch schon zu Beginn des Coachings gestellt werden. Wie Radatz schreibt, eignet sie sich auch für Situationen, in denen eine Coachingeinheit ins Stocken geraten ist.
MaterialKeines.
AnmerkungenFür Steve de Shazer ist die Skalierungsfrage in erster Linie ein Tool zur Lösungsfokussierung, denn die Skalen sind so beschaffen, dass alle Zahlen auf der Lösungsseite liegen.
Tool
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
LiteraturBamberger, G. G. (2001), Lösungsorientierte Beratung. Weinheim: Beltz, S. 62 ff.
de Jong, P. – Berg, I. K. (2003), Lösungen (er-)finden. Dortmund: Modernes Lernen, S. 168 ff.
de Shazer, S .– Berg. I. K. (1993), Wie man Zahlen zum Sprechen bringt. Familiendynamik 17/2, S. 146-162.
Ders. (1992), Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Ders. (1999), Der Dreh. Überraschende und erfolgreiche Wendungen in der Kurztherapie. Heidelberg: Carl-Auer.
Radatz, S. (2009), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 185–189.
Szábo, P. (2004), Lösungsorientierte Kurzzeitberatung, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 45f.
Ders. (2004), Skaleboard®, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 264–271.
(Inhaltliches) Reframing
Grundlage:Milton H. Erickson: Hypnotherapie.Virginia Satir: Familientherapie
ZielReframing kann wörtlich mit „einen neuen Rahmen finden“ und etwas freier mit „umdeuten“ übersetzt werden. Die Methode unterstützt den Coachee dabei, den Rahmen seiner Wahrnehmung neu zu gestalten. So kann eine Situation, ein Verhalten u.ä., das bisher nur als negativ und/oder störend empfunden wurde, – aus einer anderen Perspektive heraus betrachtet – durchaus als nützlich oder sogar sinnvoll erscheinen. Ein scheinbarer Nachteil kann sich in einem anderen Zusammenhang als Vorteil erweisen. Reframing zeigt somit bisher nicht genutzte Ressourcen auf und verhilft dem Coachee zu neuen Lösungsansätzen.- Das Thema umbenennen und die Bewertung desselben neu formulieren- Perspektivenwechsel: Den Blickwinkel des Coachees erweitern und neue Möglichkeiten aufzeigen - Belastende Gefühle als Ausdruck nachvollziehbarer und positiver Bedürfnisse artikulieren- Trennung von Funktion und Verhalten (wie sich ein Mensch verhält, erklärt noch nicht, welche Funktion dieses Verhalten in seinem System hat)
Tool
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Beschreibung Schon der griechische Philosoph Epiktet („Handbüchlein der Moral“) stellte fest: „Nicht die Dinge selbst beunruhigen den Menschen, sondern die Meinungen [...] von den Dingen.“ Gunther Schmidt hebt daher besonders hervor, dass alleine das Umbenennen einer Situation, eines Erlebnisses usw. bereits eine wirkungsvolle Intervention darstellt.Für Reframing gibt es keinen standardisierten Ablauf. Themen, Probleme, Verhaltensweisen etc. werden aus ihrem gewohnten Rahmen herausgenommen und in einen neuen gestellt, so dass der Coachee diese in einem anderen Zusammenhang zu sehen beginnt. Besonders wichtig dabei ist, negative Sprachmuster des Coachees aufzudecken und durch positive Formulierungen zu ersetzen. Dies wiederum hilft dem Coachee, besser mit seinen Reaktionen auf bestimmte Ereignisse umzugehen, diese anders zu benennen und letztendlich anders mit ihnen umzugehen.Beim inhaltlichen Reframing unterscheidet man darüber hinaus zwischen Bedeutungs- und Kontextreframing: Bei Ersterem wird nicht die Situation selbst verändert, sondern erhält eine andere Bedeutung, wodurch wiederum mehr Wahlmöglichkeiten für den Coachee aufscheinen; bei Zweiterem wird gezeigt, dass durch die Veränder-ung des Kontextes sich etwa ein problema-tisches Verhalten in ein nützliches verwandeln kann.Achtung: Es steht jedoch nicht die Idee hinter Reframing, alles „einfach“ positiv umzudeuten. Wichtig ist es daher, den Coachee anzuleiten, seine Gefühle in angemessener Weise zuerst bewusst wahrzunehmen und dann anzunehmen. Erst nach diesem Prozess ist eine Veränderung möglich.
Anwendung im CoachingIn jeder Phase des Coachings. Besonders gut lässt sich Reframing mit systemischen Fragetechniken kombinieren.
MaterialKeines
AnmerkungenIm NLP wurde Reframing zum sog. „Six-Step-Reframing“ erweitert, das aus einer stark strukturierten Abfolge bestimmter Schritte gebildet wird. Dabei wird von der Annahme ausgegangen, dass es in jedem Menschen unbewusste Teile gibt, die ein unerwünschtes Verhalten auslösen können. Allerdings liegt auch diesem Verhalten eine positive Absicht zugrunde und hat dadurch seine Berechtigung.Aber auch jeder Witz funktioniert nach dem Reframing-Prinzip: Eine alltägliche Handlung, ein gewöhnliches Ereignis wird aus seinem „Rahmen“ herausgenommen und in einen untypischen Zusammenhang gestellt. Die unterhaltsame und lustige Wirkung eines Witzes ergibt sich dadurch, dass der Zuhörer zuerst vom typischen Rahmen des Geschehens ausgeht und nicht auf den neuen/untypischen Kontext gefasst ist.
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LiteraturBandler, R. – Grinder, J. (1982), Reframing: Neuro-Linguistic Programming and the Transformation of Meaning. Moab/Utah: Real People Press.
Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz, S. 115f., 157f.
Schmidt, G. (2010), Liebesaffären zwischen Problem und Lösung. Hypnosystemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg: Carl-Auer.
Woelm, E. (2006), Reframing – eine wichtige Strategie in therapeutischer Hypnose, Coaching und Psychotherapie: http://www.inhypnos.de/ (Access: 14.1.2011).
o.A.: http://methodenpool.uni-koeln.de/refraiming/frameset_refraiming.html (Access: 15.1.2011).
Metaphorik
Grundlage:Bernd Schmid: Systemisches Coaching
ZielDie Arbeit mit Metaphern hilft stark assoziierten Coachees, ihr Problem von außen/von einer anderen Warte aus zu betrachten und sich selbst aus der Problematik herauszunehmen. Der Coachee erhält eine plastische Darstellung seiner Situation, die dadurch anschaulicher wird. Der Blick erweitert sich und der Coachee kann neue Handlungs- und Lösungsstrategien entwickeln, die zuerst nicht erkennbar waren.Darüber hinaus werden dem Coachee durch Sprachbilder auch komplexe Situationen „versinnbildlicht“, so dass er Zusammenhänge besser begreifen kann.- Dissoziierung des Coachees- Der Coachee wird weg vom Problembild und hin zur Zielvision gebracht- Unbeschwerter Zugang zum Unterbewussten- Schwierige Situationen werden entschärft und anhand von Bildern zeigt sich, dass es auch leichter gehen kann - Der Coachee erlernt die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge metaphorisch zu beschreiben, um dies dann z.B. auch beruflich einzusetzen
BeschreibungEntweder entstehen bereits aus den bildhaften Vergleichen des Coachees eigene Geschichten oder aber der Coach (evtl. auch der Coachee selbst) wählt ein Leitmotiv bzw. Vergleiche/Gleichnisse für die konkrete Situation aus. Dazu eignen sich Themen beispielsweise aus der Natur, dem Sport, aus dem künstlerischen Bereich, können aber auch von einem Hobby des Coachees abgeleitet werden.Der Coach befragt anschließend ausführlich den Coachee (z.B. wenn dieser einen Garten als Metapher nimmt):- „Wo liegt dieser Garten? Wie ist er beschaffen?“- „Wie riecht es dort? Was wächst darin?“
Tool
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- „Wie fühlt sich ein Besucher des Gartens? Was sieht er als Erstes?“- „Warum lohnt es sich, dorthin zu gehen?“- „Was tun Sie, wenn dies oder jenes passiert?“ usw.Anhand einer metaphorischen Geschichte kann der Coachee darüber hinaus sein Problem mit einer seiner Stärken vergleichen (mit etwas, das er besonders gut kann, wofür er schon ein Erfolgsrezept hat) und dabei auf die Gemeinsamkeiten achten. Vergleiche dieser Art erleichtern besonders die Schwere der Problemsituation, die spielerischen Kräfte des Coachees werden animiert und er kann entdecken, welchen Spaß es bereitet, diese (Sinn-)Bilder phantasievoll auszuschmücken und zum Leben zu erwecken.
Anwendung im CoachingMetaphorik kann in jeder Phase des Coaching-Prozesses und für einen breitgefächerten Themenbereich (von der Persönlichkeits- bis zur Organisations- und Teamentwicklung, beispielsweise aber auch als Vorbereitung auf schwierige Gesprächssituationen) verwendet werden. Das Tool eignet sich besonders für Coachees, die bildhaft denken, d.h. bereits in ihrer eigenen Situationsschilderung Sprachbilder/Metaphern anwenden („Da ist alles den Bach hinunter-gegangen“, „Das Wasser steht mir bis zum Hals“ u.ä.).
MaterialKeines
AnmerkungenManfred Prior schreibt (S. 37): „Vergleiche sind wie Samenkörner, aus denen Lösungen erwachsen können.“
LiteraturMahlmann, R. (2010), Sprachbilder, Metaphern & Co. Einsatz von bildlicher Sprache in Coaching, Beratung und Training. Weinheim: Beltz.
Minor, M. (2004), Metaphorik, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interven-tionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 103-107.
Prior, M. (2009), MiniMax-Interventionen. 15 minimale Interventionen mit maximaler Wirkung. Heidelberg: Carl-Auer, S. 32–37.
Schmid, B. (2004), Systemisches Coaching: Konzepte und Vorgehensweisen in der Persönlichkeits-beratung. Bergisch-Gladbach: Edition Humanistische Psychologie.
Radatz, S., (2009), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 222f.
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Fantasiereise
Grundlagen:Psychoanalyse (z.B. Carl Gustav Jung)GestalttherapieHanscarl Leuner: Katathymes Bilderleben
ZielFantasiereisen sollen den „schöpferischen inneren Dialog“ (Hipp & Wengel, S. 233) ansprechen und die „metaphorische Arbeit“ (ebd. S. 233) mit dem Thema des Coachees fördern. Der Coachee kann dadurch seine Kreativität besser einsetzen, um Lösungsstrategien zu entwickeln. Wichtig dabei ist, dass mit Hilfe von Bildern, die sich an die Fantasie, das Imaginäre wenden, die sprachliche Ebene unterstützt wird. Weiters werden durch die Arbeit mit Fantasiereisen neue Verhaltens- und Entwicklungsmöglich-keiten freigelegt. Besonders Zielbilder, die durch Fantasiereisen entstehen, bleiben lange im Gedächtnis des Coachees.- Freisetzen von Kreativität und Zugang zum kreativen Denken und zum Gedächtnis schaffen- Stress abbauen, Fantasie fördern und neue (Zie-l)Bilder installieren- Verhaltensweisen verändern oder neue entstehen lassen- Erfahrungen machen, Kräfte entwickeln, um sie dann im Alltag anwenden zu können
BeschreibungBei diesem Tool handelt es sich um gelenkte Tagträume, in denen Vorstellungen und Ideen entwickelt, Probleme gelöst und Ziele erreicht werden können. Indem der Coachee in der Fantasie so tut „als ob“, kann er Grenzen aufheben und überwinden lernen.Das Tool kann unterschiedlich ausgeführt werden, beispielsweise indem der Coach eine Geschichte vorliest oder diese von einem Tonband kommt. Dabei richtet sich die Fantasiereise ungefähr nach folgendem Aufbau: 1) Entspannungsphase: Der Coachee soll die Augen schließen, tief atmen, sich entspannen und vom Alltag lösen, um in sein Inneres zu „reisen“. 2) Die Reise in eine Metaphernwelt: Der Coach liest eine Geschichte vor, die zum Thema des Coachees passt; sie kann erfunden sein oder aber eine bestehende Geschichte wird abgewandelt (ein Beispiel wäre etwa jene Geschichte aus Ghana, in der sich ein Adler, der mit Hühnern aufgewachsen ist, nicht fliegen traut). Oft wird aber auch ein Ort beschrieben, an dem sich der Coachee wohlfühlen soll. Wichtig ist, dass hier so viele Sinne des Coachees wie möglich angesprochen werden. An diesem Ort nun soll sich der Coachee Details in der Fantasie so genau vorstellen, dass er auch seine Gefühle, sein Verhalten u.ä. imaginieren kann. Hier ist der Platz, um Lösungen zu entwickeln, Ziele zu erreichen usw. Der Coach sollte sich dabei dem Rhythmus des Coachees anpassen (Pacing) und auch genügend Pausen machen, um dem Coachee Zeit zu geben, sich die Dinge im Einzelnen vorzustellen. 3) Rückholung: Die Bilder klingen nun langsam aus und der Coachee wird behutsam in den Alltag zurückgeführt. Dies kann durch Veränderung der Atmung, durch Strecken des Körpers u.ä. unterstützt werden.Achtung: Der Coach sollte nach der Fantasiereise eigene Deutungen und Bewertungen weitestgehend vermeiden. Im Mittelpunkt steht vielmehr, was der Coachee für sich von der Reise mitgenommen und welche Bedeutung sie für ihn gehabt hat. Dies kann der Coach durch Fragen beispielsweise nach den Gefühlen, Gedanken, Erlebnissen, Erinnerungen etc., die während der Reise auftraten, eruieren.
Tool
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Anwendung im CoachingDie Fantasiereise eignet sich vor allem für die Veränderungsphase im Coaching, wenn Visionen und Ziele installiert werden sollen. Eine Grundvoraus-setzung ist jedenfalls, dass sich bereits ein gutes Vertrauensverhältnis zwischen Coach und Coachee entwickeln konnte.
MaterialKeines
AnmerkungenBezug zum „Katathymen Bilderleben“: Hanscarl Leuner entwickelte das sog. „Katathyme oder gefühlsmäßige Bilderleben“ aus Elementen der Psychoanalyse von Freud und Jung. Beim Katathymen Bilderleben wird davon ausgegangen, dass die Bilder sowohl bei Tag- als auch bei Nachtträumen unbewusste Gefühle, Konflikte u.ä. widerspiegeln. Das Katathyme Bilderleben soll nun helfen, (Konflikt-)Themen des Unterbewussten aufzuspüren und durch Tagträume gezielt aufzuarbeiten. Bei dieser Bildreise, wie das Katathyme Bilderleben auch genannt wird, wird ein Bild durch den Coach/Therapeuten vorgegeben, das der Coachee gemäß seiner eigenen Vorstellungen ausfüllt. Wichtig ist, dass das katathyme Bild sich ohne Anstrengung, farbig und dreidimensional vor dem in einem Entspannungs-zustand befindlichen Coachee entfaltet.
LiteraturHipp, J .– Wengel, K. (2007), Geleitete Fantasien im (Karriere-)Coaching, in: Coaching-Tools II. Erfolgreiche Coaches präsentieren Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 233–237.
Leuner, H. (1970), Katathymes Bilderleben. Stuttgart: Georg Thieme.
Ders. (1985), Lehrbuch des Katathymen Bilderlebens. Bern: Hans Huber.
Schmid, B. (1998), Arbeit mit geleiteten Phantasien und Trance. Institutsschriften.
Schmidt, G. (2004), Liebesaffären zwischen Problem und Lösung – Hypno-systemisches Arbeiten in schwierigen Kontexten. Heidelberg: Carl Auer.
o.A.: http://methodenpool.uni-koeln.de/fantasie/frameset_fantasie.html (Access: 15.1.2011).
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Inneres Team
Grundlage:Friedemann Schulz von Thun: Miteinander reden – Das „innere Team“ und situationsgerechte Kommunikation
ZielDieses Tool hilft, die „inneren Stimmen“, also die „innere Kommunikation“, sichtbar zu machen. Jeder Mensch hat verschiedene Anteile/Stimmen in sich, die (beispielsweise in Entscheidungs-situationen) im Widerstreit miteinander liegen können.Mit Hilfe des Tools soll aus diesen divergenten Stimmen ein Team geschaffen werden, das es dem Coachee schließlich ermöglicht, nach außen hin authentisch und mit „einer Stimme“ in (Gesprächs-)Situationen aufzutreten. Es handelt sich beim „inneren Team“ somit um eine Art „inneres Konfliktmanagement“.- Zur Selbst- und Rollenklärung- Die einzelnen Stimmen identifizieren und ihnen Gehör verschaffen- Die Stimmen zu einem homogenen Team zusammenfassen und für eine klare, einheitliche Kommunikation nützen
BeschreibungZu Beginn werden die einzelnen Stimmen/Teammitglieder identifiziert. Im Anschluss daran erhält jede Stimme die Gelegenheit, sich zu Wort zu melden. Dafür werden Kärtchen entweder auf den Boden oder auf Stühle gelegt. Der Coachee stellt bzw. setzt sich auf die Kärtchen/Stühle und lässt jede innere Stimme zu Wort kommen, die ihre eigene Sicht der Dinge „erzählt“. Der Coach fragt den Coachee u.a., welche Stimme sich zuerst gemeldet hat, welche am lautesten/leisesten/aggressivsten etc. ist, welche Stimmen ihn unterstützen oder welcher Stimme er mehr Gehör verschaffen will.Durch die Identifikation mit den verschiedenen Stimmen werden die inneren Anteile gestärkt und der einheitliche „Teamgeist“ unterstützt.
Anwendung im CoachingDas Tool eignet sich vor allem für die Orientierungsphase des Coachings und hier speziell bei Entscheidungsprozessen oder Konfliktsituationen, in denen widerstreitende Anteile des Coachees eine Problemlösung verhindern.Darüber hinaus wird die innere Kommunikation gestärkt, so dass der Coachee in der Folge auch nach außen hin klar und eindeutig auftreten kann.
MaterialStifte, Kärtchen und evtl. Stühle.
AnmerkungenWie Schulz von Thun in „Miteinander reden“ anführt, ist für eine gelungene Kommunikation zuallererst eine „Selbstklärung“ nötig, denn „Wer sich selbst versteht, kann besser kommunizieren“. Dabei sollte man – wie Schulz von Thun weiter ausführt – aus der „Not eine Tugend machen“, indem man die eigenen pluralistischen Anteile anerkennt und ins Boot holt, denn „jedes Teammitglied hat seine eigene Weisheit, die der Betroffene nutzen kann.“
Tool
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
LiteraturHorn, K.-P. (2004), Systemisches Makro-Mikro-Coaching, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare, S. 114ff.
Migge, B. (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz, S. 44.
Radatz, S. (2009), Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT, S. 246f.
Schulz von Thun, Fr. (1998), Miteinander reden 3 – Das „innere“ Team und situationsgerechte Kommunikation. Reinbek: rororo.
Ders.–Stegemann, W. (edd.) (2004), Das Innere Team in Aktion. Praktische Arbeit mit dem Modell. Reinbek: rororo.
Vision installieren („Zielgehen“)
Grundlage:Linda Kaszubski
ZielDas „Zielgehen“ unterstützt den Coachee dabei, sich ein Bild von seiner Vision zu machen und anschließend auch tatsächlich in diese Vision „hineinzugehen“. Durch das physische Erleben, was es heißt, „in der Vision“ zu stehen, kann der Coachee diese in sich verankern und die dabei erlebten Gefühle, Gedanken etc. zu einem späteren Zeitpunkt (beispielsweise, wenn es um die tatsächliche Umsetzung seiner Vision geht) wieder abrufen.- Die Vision für den Coachee erlebbar machen- Dem Coachee das Gefühl geben, dass er bereits auf dem Weg hin zu seiner Vision ist- Der Coachee erhält einen „Anker“, den er für sich gezielt in bestimmten Situationen abrufen kann
BeschreibungZuerst soll der Coachee ein Symbol für seine Vision finden, indem er entweder ein eigenes Bild zeichnet, oder aber sich ein passendes Bild aussucht. Anschließend schreibt der Coachee auf ein Kärtchen (in passender Farbe) das Wort „HEUTE“.Im nächsten Schritt werden das Visionsbild und das „HEUTE“-Kärtchen vom Coachee auf einer Zeitlinie aufgelegt. Dabei kann der Coachee für sich feststellen, wie weit der Zielzustand noch entfernt ist.Der Coachee stellt sich nun mit der Vision vor Augen auf das „HEUTE“ und geht gemeinsam mit dem Coach (wenn er dies möchte) auf die Vision zu. Es liegt wiederum am Coachee, welches Tempo für ihn angenehm ist, um auf das Ziel zuzugehen (ist er zu schnell, sollte er Nachdenkpausen einlegen etc.) und welche Zwischenschritte zur Zielerreichung wann erforderlich sind.
Tool
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Wichtig ist, dass der Coachee anschließend tatsächlich auf dem Zielbild steht. Im Zielbild, das sozusagen ein „wissendes Feld“ darstellt, kann der Coach Fragen stellen – z.B. was sich für den Coachee verändert hat oder in Bezug auf die nächsten Schritte und Themen für das Folgecoaching.Es kann sein, dass der Coachee die Strecke zwischen „HEUTE“ und Zielbild mehrmals zurücklegen muss, bis er tatsächlich in der Vision „steht“. Der Coach sollte jedes Mal nachfragen, ob er den Coachee begleiten soll oder nicht bzw. ob dieser eine Wiederholung benötigt. Zum Abschluss weist der Coach den Coachee an, aus der Situation auszusteigen (sich zu „entrollen“).Für den Transfer können abschließend u.a. folgende Fragen gestellt werden: „Wenn Sie in Ihrer Zielenergie sind, was passiert dann?“„Wenn Sie sich Ihren Zielsatz anschauen und mit Ihrer Zielenergie verbinden, wie verändert sich der Zielsatz? Welche Gedanken kommen Ihnen?“ u.ä.Ein passender Zielsatz kann entweder im Anschluss daran oder aber in der nächsten Sitzung formuliert werden.
Anwendung im CoachingDas Tool eignet sich sowohl für die ersten Coachingsitzungen wie auch für die Veränderungsphase.
MaterialStifte, Kärtchen, Flipchart, Bilder
AnmerkungenDas Tool vereint Elemente sowohl (Symbol-)Bilder vom NLP als auch vom „Zielbalken“, der „Zeitschiene“ und der Systemaufstellung.
LiteraturKutschera, G. (2002), Tanz zwischen Bewusst-sein und Unbewusst-sein. NLP-Arbeits- und Übungsbuch. Paderborn: Junfermann.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Bibliographie zu Theorieteil und „Tool-Box“ der Abschlussarbeit„Funktion der Sprache im Coachingprozess“
Bamberger, Günter G. (2001), Lösungsorientierte Beratung. Weinheim: Beltz.
Bandler, Richard – Grinder, John (1982), Reframing: Neuro-Linguistic Programming and the Transformation of Meaning.
Moab/Utah: Real People Press.
de Jong, Peter – Berg, Insoo Kim (2003), Lösungen (er-)finden. Dortmund: Modernes Lernen.
de Shazer, Steve (2010), Worte waren ursprünglich Zauber. Von der Problemsprache zur Lösungssprache.
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Ders. (1992), Wege der erfolgreichen Kurztherapie. Stuttgart: Klett-Cotta.
Ders. (1999), Der Dreh. Überraschende und erfolgreiche Wendungen in der Kurztherapie. Heidelberg: Carl-Auer.
Ders.–Berg. Insoo Kim (1993), Wie man Zahlen zum Sprechen bringt. Familiendynamik 17/2, S. 146-162.
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Erickson, Milton H., (1995-1998), Gesammelte Schriften von Milton H. Erickson Bd. 1-6. Heidelberg: Carl-Auer.
Hipp, Joachim – Wengel, Katja (2007), Geleitete Fantasien im (Karriere-)Coaching, in: Coaching-Tools II. Erfolgreiche
Coaches präsentieren Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.
Horn, Klaus-Peter (2004), Systemisches Makro-Mikro-Coaching, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches
präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer Coaching-Praxis (ed. Chr. Rauen). Bonn: Managerseminare.
Hüther, Gerald (2007), Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Ders. (2010), Die Macht der inneren Bilder. Wie Visionen das Gehirn, den Menschen und die Welt verändern.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Kutschera, Gundl (2002), Tanz zwischen Bewusst-sein und Unbewusst-sein. NLP-Arbeits und Übungsbuch.
155
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Paderborn: Junfermann.
Langosch, Andreas (2010), Die Empowerment-Maschine: Praxismanual für lösungsfokussierte, motivierende
Gesprächsführung und outcome-orientiertes Empowerment in schwierigen sozialen Arbeitsbereichen. Kiel: Eigenverlag.
Leuner, Hanscarl (1970), Katathymes Bilderleben. Stuttgart: Georg Thieme.
Ders. (1985), Lehrbuch des Katathymen Bilderlebens. Bern: Hans Huber.
Mahlmann, Regina (2010), Sprachbilder, Metaphern & Co. Einsatz von bildlicher Sprache in Coaching, Beratung und
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Meier, Daniel – Szábo, Peter (2008), Coaching – erfrischend einfach. Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoa-
ching. Norderstedt: Books on Demand.
Migge, Björn (2005), Handbuch Coaching und Beratung. Weinheim: Beltz.
Minor, Marc (2004), Metaphorik, in: Coaching-Tools I. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus
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xishandbuch mit den Grundlagen systemisch-konstruktivistischen Denkens, Fragetechniken und Coachingkonzepten.
Wien: ISCT.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching für den SchulalltagMag. Michaela Flatzbauer
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Was ist Coaching?
1.1. Begriffsklärung
1.2. Konstruktivistische und systemische Theoriegrundlagen
2. Rahmenbedingungen für Coaching-Gespräche in der Schule
2.1. Äußere Rahmenbedingungen
2.2. Haltung des Coaches
2.3. Abgrenzung zu anderen schulischen Tätigkeitsbereichen
3. Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching
3.1. Allgemeines
3.2. Grundlegende Annahmen
3.3. Gesprächsphasen im Kurzzeitcoaching
3.4. Wingwave - eine Intervention im Kurzzeitcoaching
3.5. Praktische Umsetzung der Wingwave-Methode im Schulalltag
4. Conclusio
5. Literaturverzeichnis
Einleitung
Als Pädagogin war und ist es schon immer mein Bestreben, Schülern nicht nur Wissen zu vermitteln, sondern sie auch
in ihren Fähigkeiten zu bestärken und Maßnahmen für ihre Persönlichkeitsentwicklung und -förderung anzubieten.
Angesichts der Praxisbezogenheit widme ich meine Arbeit dem lösungsorientierten Kurzzeitcoaching, mit der Absicht,
dies bevorzugt im Schulalltag einzusetzen.
Vorerst werde ich den Begriff „Coaching“ erläutern und diesen im systemisch-konstruktivistischen Kontext näher be-
leuchten.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Da im Zentrum meiner Arbeit „Coaching im Schulalltag“ steht, werde ich auf erforderliche Rahmenbedingungen für
Coaching-Gespräche in der Schule eingehen und eine Abgrenzung zu den Tätigkeiten des Bildungsberaters und der
Klassenvorstände herstellen.
Im Besonderen werde ich auf den Ansatz des „Lösungsorientierten Kurzzeitcoaching“ nach Steve de Shazer näher ein-
gehen. Die „wingwave-Methode“ als neuen Ansatz des Kurzzeitcoachings werde ich auch anhand der praktischen Um-
setzung im Schulalltag beschreiben.
Ich bedanke mich bei all jenen Menschen, die mich während meiner Ausbildung begleitet haben, mir wichtige Kenntnis-
se vermittelt und wertvolle Werkzeuge gelehrt haben und bei allen, die mir den nötigen „Freiraum“ gegeben haben, dies
erfahren zu dürfen.
1. Was ist Coaching?
1.1. Begriffsklärung
Coaching-Begriffe werden in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Zwei gängige Coaching-Definitionen sol-
len den Begriff näher erläutern:
Der Begriff „Coach“ stammt aus der englischen Sprache und bedeutet dort „Kutsche“. An der Wende vom 19. zum 20.
Jahrhundert brachte eine von Pferden gezogene Kutsche Menschen von A zu ihrem Ziel B. Dasselbe will der Coach, er
begleitet den Coachee (auch Kunde genannt), um angenehm, sicher und schnell sein Ziel zu erreichen, das Ziel formu-
liert der Coachee.1
Auch das Handwerk des Rahmenmachens hilft, den Begriff „Coaching“ zu klären. Der Coach schafft den Denkrahmen
für den Coachee durch zielgerichtetes Fragen, aktives Zuhören und hilfreiche Zusammenfassungen. Dies ermöglicht
dem Coachee, seine Ziele, Ressourcen und nächsten Schritte, d.h. sein Bild, zum Leuchten zu bringen. Der Coach wird
nie aktiv „das Bild“ mitgestalten, er ist Unterstützer und Begleiter bei der eigenverantwortlichen Lösung von Problemen
durch den Coachee. In diesem Sinne ist Coaching immer Hilfe zur Selbsthilfe.2
1.2. Konstruktivistische und systemische Theoriegrundlagen
Der Systemische Ansatz als Grundlage des lösungsorientierten Coachings basiert auf systemischem und konstruktivis-
tischem Denken:
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Die objektive Wirklichkeit gibt es nicht – sie entsteht im Auge des Betrachters. „Es wird niemals zwei Menschen
geben, die zugleich auf die gleiche Art und Weise das Gleiche erleben.“3 Menschliche Beschreibungen können daher
niemals objektiv sein, sondern immer nur subjektiv. Daher gibt es aus konstruktivistischer Sicht kein „richtig“ oder
„falsch“.
- Man kann niemanden in eine bestimmte Richtung ändern. Menschen müssen von sich aus bereit sein, sich zu ändern,
somit ändert sich auch ihr Umfeld.
Systemisches Coaching ermöglicht Menschen, ihr Wahrnehmungsfeld zu erweitern, dadurch werden Dinge anders
bewertet und Lernen wird möglich.
- Menschen „sind“ nicht, sondern „verhalten“ sich. Somit können sich Menschen jeden Tag anders als bisher verhalten.
- „Probleme sind Konstrukte, die zeit- und situationsabhängig nur von den betroffenen Personen in ihrer Wirklichkeit
wahrgenommen werden.“4 Man kann also die Probleme anderer weder verstehen noch lösen. Sie bedürfen einer
angemessenen Akzeptanz, Anerkennung und Wertschätzung durch den Coach. Der Coachee ist und bleibt der Experte
zum Lösen des Problems.
- Systemisches Denken bedeutet zirkulär zu denken, d.h. alles hat wechselseitigen Einfluss aufeinander. Es impliziert,
dass sich ein Mensch in unterschiedlichen Systemen zur gleichen Zeit unterschiedlich verhält.
- Systemisches Denken ist ziel- und lösungsorientiert und nicht vergangenheitsorientiert. Fragen, die der Coach im
systemischen Denken stellt, sind nicht analysierend-statisch über die Vergangenheit, sondern zukunfts-, ziel- und
lösungsorientiert. Das Problem hat nichts mit der Lösung zu tun.
2. Rahmenbedingungen für Coaching-Gespräche in der Schule
Coaching im Schulalltag soll den Schülern Hilfe zur Selbsthilfe geben. Sie sollen ihre Stärken erkennen und entwickeln.
In weiterer Folge können sie ihre eigenen Ressourcen erkennen und zielgerichtet einsetzen.
Im Rahmen von Einzel- oder Team-Coaching-Gesprächen unterstützt der Coach die Schüler bei ihrer Zielfindung und
begleitet sie in der persönlichen und sozialen Entwicklung.
In den weiteren Ausführungen ist die Person des „Coachees“ der des Schülers gleichzusetzen.
161
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
2.1. Äußere Rahmenbedingungen
Um Coaching-Gespräche in entspannter Atmosphäre führen zu können, soll ein entsprechender Raum in der Schule
dafür vorgesehen werden. Der Raum soll hell und „freundlich“ sein, die Einrichtung soll sich erkennbar vom schultypi-
schen Mobiliar unterscheiden.
Der Raum soll so angelegt sein, dass Coaching-Gespräche völlig ungestört, ohne Unterbrechungen von außen, verlaufen
können.
2.2. Die Haltung des Coaches5
Die Haltung des Coaches gegenüber dem Coachee hat eine wichtige und entscheidende Bedeutung:
Für den Coachee, konkret den Schüler, ist es sicher eine Überwindung, ein Coaching in Anspruch zu nehmen. Deshalb
muss dem Coachee und seiner Situation Wertschätzung entgegengebracht werden.
Eine wichtige Coaching-Kompetenz ist es, frei von jeglichen Erwartungen an sich selbst, an den Coachee und an das
Coaching zu agieren. Dieses Loslassen zeigt sich auch darin, dass der Coach seine eigene Meinung zurückhält und
Ratschläge vermeidet.
Kreative Fragen ermöglichen dem Coachee alternative Denk- und Handlungsweisen und überlassen ihm die Verantwor-
tung dafür.
Für den Coach ist es von Vorteil, mit dem Einverständnis des Coachees, während des Coachings Aussagen zu notieren,
um komplexe Zusammenhänge leichter behalten und zusammenfassen zu können.
Absolute Verschwiegenheit des Coaches nach außen ist besonders wichtig, vor allem auch im Schulbereich. Der Schüler
muss sich darauf verlassen können, dass nichts, was im Coaching-Prozess besprochen wurde, an andere Lehrer, an die
Schulleitung, an Eltern oder Mitschüler weitergegeben wird. Diese Zusicherung muss gegenüber dem Coachee auch
immer wieder betont werden, um eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.
2.3. Abgrenzung zu anderen schulischen Tätigkeitsbereichen
Coaching ist sicher nicht generell einsetzbar. Deshalb ist es wichtig, die Tätigkeiten eines Coaches von anderen Tätigkei-
ten klar abzugrenzen. Da in der vorliegenden Arbeit „Coaching im Schulalltag“ im Vordergrund steht, soll eine Abgren-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
zung zu den Tätigkeiten des Bildungsberaters einer Schule und der Klassenvorstände hergestellt werden.
Coaching soll eine Unterstützung bei der eigenverantwortlichen Lösung von Problemen des Schülers im Privatleben, in
der Schule oder zwischen diesen Bereichen sein. Der Coach ist nur für den Prozess verantwortlich. Der „Ruhm“ für die
eigene Problemlösung bleibt beim Schüler (Coachee).6 Dies führt zur Stärkung seines Selbstbewusstseins.
Bildungsberater an einer Berufsbildenden Mittleren und Höheren Schule (BMHS) sind speziell ausgebildete Lehrerinnen
und Lehrer, die für Informationen und individuelle Beratung u.a. über Ausbildungsmöglichkeiten, Fachrichtungen und
Abschlüsse an einer BMHS zur Verfügung stehen. Sie halten auch Kontakt zur schulpsychologischen Beratungsstelle.7
Die Haltung eines Beraters, wie die des Bildungsberaters, impliziert ein Oben-Unten-Verhältnis. Der Berater weiß, was
richtig ist, er kennt die Lösung und trägt auch die Verantwortung dafür.8 Der Schüler weiß die Lösung nicht und bittet
um Unterstützung.
„Dem Klassenvorstand obliegt für seine Klasse in Zusammenarbeit mit den anderen Lehrern die Koordination der Erzie-
hungsarbeit, die Abstimmung der Unterrichtsarbeit auf die Leistungssituation der Klasse und die Belastbarkeit der Schü-
ler, die Beratung der Schüler in unterrichtlicher und erzieherischer Hinsicht, die Pflege der Verbindung zwischen Schule
und Erziehungsberechtigten, die Wahrnehmung der erforderlichen organisatorischen Aufgaben sowie die Führung der
Amtsschriften.“9 Somit übernimmt der Klassenvorstand neben Koordinationsaufgaben auch die Rolle eines Beraters mit
all ihren Vor- und Nachteilen.
Für den Coach ist die Zusammenarbeit mit den hier genannten Kollegen unabdingbar, da wichtige Schulbereiche aus-
schließlich ihren Funktionen zugehörig sind.
3. Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching
Vor allem auch im Schulbereich erweist sich der Ansatz des lösungsorientierten Kurzzeitcoachings als besonders wert-
voll und effizient einsetzbar.
3.1. Allgemeines
Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching basiert darauf, mit wenigen zielgerichteten Interventionen nützliche Veränderun-
gen in der Welt des Coachees zu erreichen.
Der lösungsorientierte Ansatz wurde in den Siebzigerjahren in den USA von einer Forschergruppe um Isoo Kim Berg
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und Steve de Shazer entwickelt. Das Modell entwickelte sich induktiv heraus, mit dem fokussierten Blickwinkel nach der
Wirksamkeit des Coachings und nicht aufgrund eines bestehenden Theoriemodells. D.h. die Forschergruppe beobach-
tete und erforschte ihre eigenen Coachinggespräche, um jene Fragen und Interventionen zu finden, die für den Coachee
nützlich sind.
Durch die Konzentration auf das Finden von Lösungen durch den Coachee, die Lösungsorientierung, konnte die Zeit
für Coachinggespräche um durchschnittlich 70 % gesenkt werden bei gleicher Erfolgsquote wie mit herkömmlichen
Therapieformen.10
3.2. Grundlegende Annahmen
Hilfreiche, für das Kurzzeitcoaching zentrale Annahmen ermöglichen, dass der Coachee schnell zu nachhaltigen Lösun-
gen kommt:11
- Statt Probleme zu lösen, werden Lösungen gefunden
Im Kurzzeitcoaching wird der Coachee durch gezielte Fragen und Interventionen unterstützt, ein möglichst genaues
und erwünschtes Bild seiner „Lösungszukunft“ zu erarbeiten. Die meiste Zeit eines Coachinggesprächs wird für das
Ziel, vorhandene Ressourcen, mögliche Lösungen, erste kleine Erfolgserlebnisse und konkrete Schritte aufgewendet,
die Problemanalyse wird dabei vollständig vernachlässigt. Fragen, die das Lösungsbewusstsein stärken, wirken für
den Coachee oft sehr klärend und neue Energien können sich entwickeln.
- Der Coachee hat bereits Erfahrungen mit der Lösung
Der Coach darf darauf vertrauen, dass der Coachee bereits kleine Erfahrungen mit der Lösung gemacht hat. Kein
Problem besteht immer oder immer in der gleichen Intensität. Diese „problemlosen Zeiten“ sind wichtig für die
Lösungserarbeitung. Steve de Shazer sagte: „Tue mehr von dem, was funktioniert!“
- Der Coachee ist der Experte in seiner Welt
Der Coach geht davon aus, dass der Coachee alle Kompetenzen und Ressourcen, die er für sein Lösungsbild braucht,
in seinem Erfahrungsspektrum gespeichert hat, auch wenn sie vom Coachee zu dieser Zeit nicht wahrgenommen
werden können. Der Coachee bestimmt, was es zu reparieren gilt und nicht der Coach. Steve de Shazer sagte: „Repa-
riere nicht, was nicht kaputt ist!“
- Nichtwissen ist nützlich
Nichtwissen hilft dem Coach, sich auf das Gestalten eines hilfreichen Coaching-Prozesses zu konzentrieren, nützliche
Fragen zu stellen und ressourcenorientierte Rückmeldungen zu geben. Im Coachinggespräch arbeitet der Coachee
und entwirft neue Lösungen.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Kleine Lösungen können zu großen Veränderungen führen12
Kurzzeitcoaching besteht sinnbildlich darin, einen kleinen Schneeball dazu zu bringen, den Hügel hinabzurollen und
ihm dann nicht im Weg zu stehen, wenn er größer und größer wird, um seine Eigenbewegung nicht zu stören. Manch-
mal braucht er vielleicht eine Weile oder kommt vom geraden Weg ab, aber er wird das Ziel erreichen.
- Wertschätzung gegenüber jedem Coachee13
Diese zeigt sich vor allem darin, dass der Coach die Worte des Coachees direkt
Im folgenden Kapitel werden die Gesprächsphasen eines lösungsorientierten Kurzzeitcoaching genauer beleuchtet, vor
allem steht „die Wunderfrage“ als das zentrale Element eines Kurzzeitcoaching nach Steve de Shazer im Mittelpunkt.
3.3. Gesprächsphasen im Kurzzeitcoaching
Wenn lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching, wie der Name schon sagt, in kurzer Zeit zum Abschluss gebracht werden
soll, sind einerseits die bereits genannten grundlegenden Annahmen hilfreich, andererseits unterstützt hierbei ein weit-
gehend strukturierter Gesprächsablauf.
Nach Steve de Shazer beginnt der Coaching-Prozess bereits dann, wenn der Coachee einen Termin für das Coachingge-
spräch vereinbart und sich somit entscheidet, sein Problem zu lösen.
Die Auftragserteilung steht nach Steve de Shazer am Beginn jedes ersten lösungsorientierten Coachinggesprächs mit
folgender Frage: „ Was müssen wir hier tun, damit die verbrachte Zeit für Sie nützlich war?“14
Wenn klar ist, was sich der Coachee vom Coachinggespräch erwartet, fragt Steve de Shazer nach dem Ziel und erarbeitet
anschließend genauere Details dieses Ziels mit dem Coachee.
Erst wenn der Coachee sein Ziel gedanklich „zum Greifen nahe“ erarbeitet hat und wenn der Zeitpunkt passt, stellt Ste-
ve de Shazer die Wunderfrage. Sie ist ein sehr nützliches und wirkungsvolles Werkzeug, welche Anfangsbilder von
Lösungen hervorruft. Wichtig ist hierbei, die Wunderfrage als Fragenkomplex wortwörtlich wiederzugeben und immer
wieder das Wunder durch Pausen (…) wirken zu lassen:15
„Nehmen wir an … nachdem wir hier fertig gearbeitet haben, gehen Sie nach Hause … und Sie tun, was Sie am Abend
sonst auch immer tun, und dann gehen Sie zu Bett und schlafen ein. ... Und während Sie schlafen, passiert ein Wunder.
… Und die Probleme, die Sie hierhergebracht haben, sind weg, einfach so! … Aber das passiert, während Sie schlafen,
und daher können Sie nicht wissen, dass das Wunder passiert ist. … Wenn Sie am Morgen aufwachen, wie werden Sie
entdecken, dass das Wunder passiert ist?“
165
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Im nächsten Schritt wird die Außenwirkung auf die Verhaltensänderung des Coachees nach dem Wunder herausgear-
beitet.
Um das Wunder vorstellbar und realisierbar zu machen, sucht der Coachee nach Begebenheiten, in denen er schon ein
wenig vom gewünschten Zielzustand erfahren hat. Je mehr Beispiele von „Vorboten“16 in der Erinnerung des Coachees
auftauchen, desto zuversichtlicher und vertrauensvoller kann der Coachee möglichen Handlungen entgegensehen.
Um das Wunder Realität werden zu lassen, ist es hilfreich, Skalierungsfragen einzusetzen: „Auf einer Skala zwischen
0 und 10, wenn 10 für den Tag nach dem Wunder steht und 0 für den Zeitpunkt, an dem Sie diesen Termin vereinbart
haben, wo zwischen 0 und 10 stehen Sie jetzt?“17 Das Besondere an der Skalierungsfrage ist ihre Allgemeingültigkeit und
Vielseitigkeit. Vor allem Kinder und Jugendliche besitzen nicht die sprachlichen Fähigkeiten, anderen zu erklären, was
sie zum Ausdruck bringen möchten. Skalierungsfragen ermöglichen Kindern und Jugendlichen, ihr eigenes Verhalten
sehen bzw. ihren Fortschritt leichter einschätzen zu können.18
Wenn der Coachee weiß, wo er derzeit auf der Skala steht und wo ihn die anderen Menschen seiner Systemumwelt
einstufen, sollte in der nächsten Gesprächsphase die Frage im Mittelpunkt stehen, was der Coachee braucht, um die
nächsthöhere Stufe auf der Skala zu erreichen.
Während des Coaching-Prozesses, aber spätestens beim Abschluss des Coachings sollte der Coach dem Coachee rück-
melden, was ihn besonders beeindruckt hat oder Handlungen des Coachees nennen, die besonders hilfreich erscheinen,
sein Ziel zu erreichen. Komplimente unterstützen den Coachee auf seinem Weg.
Zum Abschluss gibt Steve de Shazer dem Coachee häufig ein Experiment (eine Hausaufgabe) mit, um das Verhalten
des „Tages nach dem Wunder“ in der Praxis zu üben.19 Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Zahl der Coaching-
Sitzungen durch Experimente im Rahmen des lösungsorientierten Kurzzeitcoaching signifikant gesenkt werden können.
Allerdings sollte dem Coachee immer nur ein Experiment mitgegeben werden, mit dem Hinweis, dass er für die Umset-
zung allein verantwortlich ist.
Das Experiment bildet den Abschluss des ersten Coachinggesprächs. Folgetermine werden erst auf Wunsch des Co-
chees vereinbart.
3.4. Wingwave – eine Intervention im Kurzzeitcoaching
Die Wingwave-Methode als eine mögliche Intervention im Kurzzeitcoaching bietet Coachees die Möglichkeit, im Rahmen
des Coaching-Prozesses, ihre körperlichen und geistigen Ressourcen zu beleben und weiterzuentwickeln. Die Methode
geht davon aus, dass jeder Coachee die Möglichkeiten in sich trägt, die er für die Erreichung seiner Ziele und für seine
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Persönlichkeitsentwicklung benötigt.20
Mit Wingwave überwindet der Coachee starre Blockaden und festgefahrene Stress-Muster und bringt genau jene persön-
lichen Ressourcen zum Fließen, die er zum Erreichen seines jeweiligen Ziels braucht – emotionale Blockaden werden in
neue Leistungskraft verwandelt.
Die Methode basiert auf der Erkenntnis der emotionellen und geistigen Regeneration im Schlaf, da der wesentliche Teil
der Emotions-Verarbeitung beim Träumen geschieht. Erkenntnisse aus der Schlafforschung zeigen, dass der Mensch in
der Traumphase seine Augen schnell hin- und herbewegt, dieses Phänomen wird als REM-Phase (Rapid Eye Movement)
bezeichnet.
Ist nun die natürliche Informationsverarbeitung aufgrund eines Schockerlebnisses blockiert, können mit der Wingwave-
Methode neuronale Eigenkräfte in „wachen REM-Phasen“ herbeigewunken werden.21
Der Coach „winkt“ vor dem Gesichtsfeld des Coachees schnell hin und her, der Coachee folgt der Bewegung mit seinen
Augen. Dadurch werden die blockierten neuronalen Bahnen „durchgeputzt“ und ein Informationsaustausch der linken
und rechten Gehirnhälfte wird aktiviert.
Bestimmte Richtungen der Augenbewegungen sprechen unterschiedliche Sinneskanäle an. Daher sind beim Einsatz der
Wingwave-Intervention die verschiedenen Ebenen der Augenbewegungsmuster zu beachten:22
- Augenbewegungen im oberen Blickfeld beeinflussen die visuelle Qualität innerer Wahrnehmungen, das, was der
Coachee „vor Augen hat“.
- Augenbewegungen im mittleren Blickfeld (nach vorne) beeinflussen das innere auditive Erleben, wie z.B. Töne, Ge-
räusche oder gesprochene Sätze im „geistigen Ohr“.
- Augenbewegungen im unteren Blickfeld wirken auf körperliche Wahrnehmungen, welche einer inneren Repräsentati-
on gleichgesetzt sind.
Häufig werden auch diagonale Bewegungen von unten rechts nach oben links und von unten links nach oben rechts
eingesetzt.
Das Tempo beim „Winken“ soll so angepasst sein, dass der Coachee gerade noch folgen kann.
167
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Was bedeutet nun der Name „Wingwave“? „wing“ steht für den kleinen, unspektakulären Flügelschlag des Schmetter-
lings und „wave“ für die sich schnell ausbreitende positive Wirkung der Methode für die Befindlichkeit des Coachees.23
Viele positive Erfahrungen konnten mit der Wingwave-Methode vor allem auch im Bereich der Lernpädagogik gesammelt
werden. Die praktische Umsetzung in diesem Bereich wird im folgenden Kapitel näher beschrieben.
3.5. Praktische Umsetzung der Wingwave-Methode im Schulalltag
Im Rahmen eines Coaching-Workshops einer 4. Klasse Handelsakademie lernten die Schülerinnen und Schüler ver-
schiedene Übungen und Methoden zur Verbesserung ihres Lernverhaltens kennen.
Es war mir ein Anliegen, gemeinsam mit zwei qualifizierten Trainern, die Wingwave-Methode, auch „Scheibenwischer“
genannt, als hilfreiche Methode im Schulbereich vorzustellen und einzusetzen.
Der „Scheibenwischer“ wurde den Schülerinnen und Schülern verständlich und ausführlich erklärt:
Einige Schülerinnen und Schüler lernten anschließend die Wirksamkeit dieser Methode auch in der praktischen Umset-
zung kennen und schätzen.
Besonders die unmittelbare und schnelle Wirkung dieser Methode hat viele Schüler begeistert.
Im Schulbereich lässt sich die Wingwave-Methode vor allem bei Lernblockaden effizient einsetzen. Eine Lernblockade
versperrt dem Schüler aufgrund bestimmter individueller Auslöser, die fast ausschließlich emotionaler Art sind, den
168
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Zugriff zu seinen Ressourcen.24
Möglicherweise hat der Schüler eine negative Erfahrung in einem bestimmten Lerngebiet gemacht und es hat sich in der
Folge ein Vermeidungsverhalten etabliert, um nicht gleich Negatives noch mal zu erleben. Auch wenn keine Gefahr mehr
gegeben ist, ist die Denkfunktion durch emotionalen Stress außer Kraft gesetzt, da alle unsere Sinneswahrnehmungen
zuerst unsere Amygdala (Angstzentrum) passieren müssen, bevor sie an unseren Cortex, unseren denkenden Gehirnbe-
reich, weitergeleitet werden. Die Folgen sind dann beispielsweise, dass es dem Schüler bei mündlichen Prüfungen „die
Sprache verschlägt“ oder dass der Schüler ein „Black-out“ bei Schularbeiten hat.
Gerade in diesen Fällen kann mit der Wingwave-Methode sehr erfolgreich gearbeitet werden. Wingwave ist somit als
hilfreiche Intervention im lösungsorientierten Kurzzeitcoaching besonders im Schulalltag effektiv einsetzbar.
Allerdings ist Wingwave keine Methode, die für sich allein stehen kann. Coachinggespräche können durch die Wing-
wave-Methode nicht ersetzt, sondern nur ergänzt werden.
1) vgl. Szabó/Berg 2009, S. 92) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 10 ff3) vgl. Radatz 2000, S. 334) vgl. Radatz 2000, S. 475) vgl. Radatz 2000, S. 109 ff6) vgl. Radatz 2000, S. 937) vgl. Website des bmukk8) vgl. Radatz 2000, S. 899) § 54.(2) SchUG10) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 711) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 17ff12) vgl. Szabo/Berg 2009, S. 24f
4. Conclusio
Durch die vertiefende Auseinandersetzung mit dem Thema „Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching im Schulalltag“ sind
mir folgende Erkenntnisse ganz bewusst geworden:
Coaching ist mehr eine Kunst als eine Wissenschaft, die darin besteht, sensibel für die Sichtweisen anderer Menschen
zu sein und Menschen zu helfen, gute Entscheidungen zu treffen, um ihr Gefühl des Wohlbefindens zu steigern.
Der effektivste und respektvollste Weg, einen Schüler bei seinem Veränderungsprozess zu unterstützen, besteht darin,
ihn aus seinem eigenen freien Willen zum Besitz der Lösung statt des Problems zu bringen. Somit kann der Schüler
Selbstständigkeit und Eigenverantwortung übernehmen.
13) vgl. Radatz 2000, S. 26114) vgl. Radatz 2000, S. 26415) vgl. Radatz 2000, S. 267f16) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 5117) vgl. Radatz 2000, S. 27118) vgl. Berg/Shilts 2009, S. 45f19) vgl. Radatz 2000, S. 27520) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 16421) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 2622) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 55f23) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 1124) vgl. Besser-Siegmund/Siegmund 2003, S. 103f
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Lösungsorientiertes Kurzzeitcoaching mit effizient eingesetzten Interventionen wie u.a. die Wingwave-Methode sollte im
Schulalltag in jeder Schultype und Schulstufe als wichtiger Bestandteil integriert sein. Darin sehe ich auch künftig die
Aufgabe von Pädagogen, dafür eine Geisteshaltung zu entwickeln und die Möglichkeiten der Umsetzung im Schulbereich
zu schaffen.
Der faszinierendste und gleichzeitig erfüllendste Aspekt der Arbeit mit Schülern ist, sie mit Respekt auf ihren vielfältigen
und kreativen Wegen zu begleiten und sie bei ihren Lösungsentwicklungen zu unterstützen. Fertigkeiten dazu können
gelernt werden, aber die wichtigste „Zutat“ ist das Mitgefühl für andere.
5. Literaturverzeichnis
Bücher:
Berg, Insoo Kim; Shilts, Lee (2009). Einfach KLASSE. WOWW-Coaching in der Schule.Basel: Borgmann Media
Besser-Siegmund, Cora; Siegmund, Harry (2008). Erfolge bewegen. Coach Limbic. Emotions- und Leistungscoaching
mit der wingwave-Methode. Paderborn: Junfermann Verlag
Meier, Daniel; Szabo, Peter (2008). Coaching erfrischend einfach. Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoaching.
Luzern: Books on Demand GmbH
Radatz, Sonja (2000). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.
Wien: Verlag systemisches Management
Kodex Schulunterrichtsgesetz (2008). Wien: Verlag Lexis Nexis
Szabo, Peter; Berg, Insoo Kim (2006). Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Basel: Borgmann Media
Internetquelle:
Berufsbildende mittlere und höhere Schulen (BMHS): Bildungsberatung
http://www.bmukk.gv.at/schulen/service/bmhsbildungsberatung.xml. Abgerufen am 05.01.2012
170
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
TEAMCOACHINGKonstanze Hörburger
Inhaltsverzeichnis
1. Allgemeine Einleitung
1.1. Abgrenzung zum Einzelcoaching, Training, Moderiertem Workshop
1.2. Leitfragen zum Teamcoaching
1.3. Grundvoraussetzung – was muss vor einem Teamcoaching geklärt werden
2. Wann wird Teamcoaching eingesetzt – häufige Ziele von Teamcoaching
3. Phasen im Teamcoaching
3.1. Auftragsklärung
3.2. Klärung der einzelnen Rollen und Funktionen
3.3. Synergieeffekte finden und unterschiedliche Stärken sinnvoll nutzen
3.4. Ziele setzen und die Zielerreichung anhand von gemeinsam vereinbarten Kriterien klar messen
3.5. Team-Konflikte entschärfen
3.6. Finden und Definieren eines gemeinsamen Leitbilds / Erkennen und
Verstehen der Wahrnehmung und des Werteverständnisses des jeweils anderen
3.7. Begleitung bei der Teamentwicklung
3.8. Entwicklung von Lösungsansätzen
3.9. Festlegen von Überprüfungskriterien
4. Methoden im Teamcoaching
4.1. Rollenspiele
4.2. Solution Circle
4.3. Highlights
4.4. Zirkuläres Fragen
4.5. Zauberstab
5. Praxisbeispiele für Teamcoaching
6. Zusammenfassung
7. Anhang – Handout Coachinglehrgang C+Unternehmensberatung und
Freie Universität Berlin 2008: Phasen des Gruppenaufbaus Francis/Young)
8. Literaturliste
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1. Allgemeine Einleitung
Ein gut funktionierendes Team stellt eine wesentliche Basis für den Unternehmenserfolg dar. Ein Unternehmen ist dann
leistungsfähig, wenn die einzelnen Abteilungen und die einzelnen MitarbeiterInnen gut zusammenarbeiten.
Das Kapitel gibt einen Überblick über Teamcoaching, als eine Unterform des Coachings.
Ein Teamcoach bietet wirkungsvolle Unterstützung an, um ideal miteinander arbeiten zu können und gemeinsame Aufga-
ben und Ziele umzusetzen. Teamcoaching ist ein zeitlich begrenzter Prozess und ist auf ein definiertes Ziel ausgerichtet.
Meist wird das Teamcoaching durch Einzelcoaching für die Teammitglieder ergänzt.
1.1. Definition oder die Abgrenzung zum Einzelcoaching, Training, Moderiertem Workshop
Warum brauchen wir als Team einen Coach?
Ein Teamcoach schafft einen optimalen Rahmen, damit die Teammitglieder gut zusammenarbeiten können. Durch viele
zielbringende und lösungsorientierte Fragen und durch neutrales Beobachten schafft der Coach neue Sichtweisen und
regt zum Denken in neuen Mustern an. Und er kann geeignete Maßnahmen und Interventionen zur Zielerreichung aus-
wählen.1
Ein wesentliches Merkmal des Teamcoachings ist, dass wir mit „wirklichen“ Teams arbeiten. Das heißt, dass es sich um
eine aktive Gruppe von Menschen handelt, die sich auf gemeinsame Ziele verpflichtet haben, harmonisch zusammenar-
beiten, Freude an der Arbeit haben und hervorragende Leistungen bringen.2
In einem guten und effizienten Team bringen sich die Mitglieder Wertschätzung entgegen, haben eine gute Kommunika-
tionsbasis, können Konflikte konstruktiv lösen, fühlen sich gleichberechtigt und sind flexibel und offen für neue Ideen
innerhalb des Teams.
Teams entwickeln sich ständig weiter und ein Teamcoach begleitet das Team in diesem Prozess, für den er auch ver-
antwortlich zeichnet. Die Herausforderung im Teamcoaching ist, alle Ressourcen der Teammitglieder zu erkennen, zu
bündeln, sie zu kombinieren und zu nutzen, sodass am Ende ein schlagkräftiges Team entsteht.
Ein Teamcoach darf und muss teilweise aggressiver auftreten, d.h. dass man in dieser Rolle auch hin und wieder Druck
ausüben, eine Richtung vorgeben und seine Meinung einbringen darf – vorausgesetzt, der Auftrag wurde so auch von der
nächsthöheren Ebene im Vorfeld besprochen und vereinbart. Allerdings ist es wichtig, nie die Rolle des „Buhmannes“
zu übernehmen.
Idealerweise bringt der Teamcoach grundlegende Kenntnisse und Erfahrung als BeraterIn und ModeratorIn mit (mit
den dazugehörenden Methoden und Tools), da es öfter vorkommen kann, dass der Coach fachlichen Input geben bzw.
172
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
manchmal auch Lösungen anbieten muss.
In der Praxis vermischen sich oft die Rollen und der Teamcoach muss vom Coach zum/r Moderator/in, zum/r Supervi-
sor/in oder auch Teamleiter/in wechseln. Das geht meist aus dem jeweiligen Thema hervor und kann sich im Prozess
ändern. Es gilt also im Teamcoaching, die besondere Fähigkeit mitzubringen, in die unterschiedlichen Rollen schlüpfen
zu können und diese professionell und flexibel wahrzunehmen, wie z.B. als Vorbild in der Art und Weise des Umgangs,
als Hüter/in des Prozesses und des Arbeitsrahmens, als Initiator/in in Bezug auf neue Ideen, neue Vorgehensweisen, als
Übersetzer/in für die Kommunikation innerhalb des Teams, als Vermittler/in, als Provokateur/in, um Teams herauszufor-
dern und Wahrnehmungswechsel anzuregen oder als Therapeut/in, der/die Gefühle erlaubt.3
1.2. Die Leitfragen zum Teamcoaching sind:
- Was sind die Ziele?
Sprechen wir alle von denselben Zielen? Haben wir dasselbe Bild? Handelt es sich dabei auch wirklich um die Team-
ziele und nicht um die Ziele der Führungskraft oder einzelner Teammitglieder?
- Was ist der Beitrag jedes einzelnen Teammitgliedes?
Dabei empfiehlt es sich, in der ersten Sitzung jedes Teammitglied direkt zu befragen, was er/sie konkret zum Team und
in weiterer Folge zum Coachingprozess beitragen kann.
- Gibt es Feedbackprozesse?
Wie und in welcher Form und durch wen wurde bisher Feedback gegeben. Wie hat sich der/die einzelne dabei gefühlt,
gab es durch Feedback Veränderung?
- Wird Leistung kontrolliert?
Gibt es messbare Erfolgskriterien, Zielvereinbarungen? Wer überprüft diese? Wann und wie oft wird die Leistung
überprüft? Wie wird die Leistungserreichung belohnt?
- Wie funktioniert Kooperation und Unterstützung, Hilfestellung, Rückendeckung?
Tritt das Team einheitlich auf? Gibt es eine Vertreterregelung? Wie wird mit Fehlern innerhalb des Teams umgegangen?
- Was herrscht für ein Gruppenstil?
Wie wird die Gruppe wahrgenommen? Gibt es typische Verhaltensmerkmale?
- Wie sind die Kommunikationsprozesse?
Wie, wie oft, wer mit wem und in welcher Form wird innerhalb des Teams kommuniziert? Wer kommuniziert wann und
mit wem nach außen?
- Gibt es ein WIR-Gefühl?
Wie stark und deutlich ist das Zusammengehörigkeitsgefühl? Wie sehr fühlt sich jedes Teammitglied wohl und ver-
bunden mit dem Team? Identifiziert sich jeder/jede Einzelne mit dem Team? Wie stark ist der Zusammenhalt innerhalb
des Teams?
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- Welche Gruppen-Spielregeln gibt es?
Falls diese vorhanden sind, sind sie bei jedem Teammitglied bekannt? Wird wirklich danach gelebt?
- Wie ist das Gruppenverhalten?
1.3. Grundvoraussetzung – was muss vor einem Teamcoaching abgeklärt werden
Bevor der Teamcoach mit seiner Arbeit beginnen kann, muss klar sein, wer der/die Ansprechpartner/in bzw. der/die
Auftraggeber/in ist und wie der klare Auftrag lautet. Ist das Teamcoaching „verordnet“ worden, d.h. dass es von der
Führungskraft, möglicherweise auch von dem/der Teamleiter/in kommt, hat der Coach die schwierige Aufgabe, das Team
mit ins Boot zu holen und dieses zu motivieren, sich auf den Prozess einzulassen.
Da ein Teamcoaching meist sehr komplex ist, weil es hier nicht nur um die Interaktion der Teammitglieder, sondern auch
um das Zusammenspiel, -arbeit mit anderen Teams, MitarbeiterInnen und Vorgesetzten geht, ist es wichtig, folgende
Informationen zu Beginn zu haben: 4
- Wie ist die Unternehmenskultur?
- Gibt es Unternehmensleitlinien und werden diese auch gelebt?
- Wie sieht das Organigramm aus und wo ist das Team angesiedelt?
- Gibt es Konflikte, Blockaden, Barrieren im Team und was wurde bisher zur Lösung dieser unternommen? Woran ist die
Lösung gescheitert?
- Wie ist der/die Teamleiter/in? Wird er/sie von den Teammitgliedern als solche/er erkannt /akzeptiert?
- Haben die Teammitglieder bereits Vorerfahrungen mit anderen Coaches oder BeraterInnen?
- Gibt es Tabuthemen?
- Was sind die Erwartungen an den Coach?
- Wer sind die AnsprechpartnerInnen?
- Worum geht es – kurze Beschreibung der Problemlage?
- Was ist das Ziel, was soll anschließend besser sein? Und warum?5
Idealerweise werden diese Fragen von dem/der Auftraggeber/in vor der ersten Coachingeinheit beantwortet bzw. gemein-
sam erarbeitet. Eine „Überprüfung“ bzw. Hinterfragung dieser Antworten mit den Teammitgliedern ist hilfreich.
Zudem sollte der Teamcoach mit dem Team vereinbaren, was sich das Team von seinem Coach erwartet, was im Team
bleiben und wie nach außen kommuniziert werden soll.
174
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2. Wann wird Teamcoaching eingesetzt – häufige Ziele von Teamcoachings
Die häufigsten Einsätze von Teamcoachings ergeben sich wenn ?? Fußnote fehlt
- ein Team neu gebildet wird
(siehe Anhang auf S. 16 – „Phasen des Gruppenaufbaus (Francis/Young) – Handout des Coachinglehrganges C+
Unternehmensberatung und Freie Universität Berlin 2008)
- neue Teammitglieder oder Führungskräfte dazukommen (siehe auch Anhang, S. 16)
- Weiterentwicklung und Stärkung eines Teams bzw. die Entwicklung der Potenziale im Team gefragt sind
- die Einzelmotivation gesteigert werden soll
- ein WIR-Gefühl, eine Identifikation mit dem Unternehmen entwickelt werden soll
- der Umgang im Team verbessert werden soll
- es Konflikte und Irritationen im Team gibt
- sich Arbeitsaufgaben oder Arbeitsbedingungen ändern
- eine Veränderung im Unternehmen eintritt, die sich auf das Team auswirkt
- zwei Unternehmen fusionieren
- Unternehmensziele und –strategien festgelegt werden sollen
- ein gemeinsames Leitbild oder Vision gefunden und definiert werden soll
- eine Hilfestellung beim Erkennen und Verstehen der Wahrnehmung und des Werteverständnisses der jeweils anderen
gesucht wird
- Offenheit und Klarheit bezüglich der einzelnen Erwartungen, Sichtweisen, Möglichkeiten, Aufgabenaufteilung, Verant
wortung, etc. mit Hilfe eines/er neutralen Außenstehenden gefunden werden soll
- der Unternehmenserfolg als Ergebnis aller gemeinsamen Maßnahmen gesteigert werden soll
3. Phasen im Teamcoaching
3.1. Auftragsklärung
Wie in jedem Coachingfall ist auch beim Teamcoaching die Auftragsklärung ganz wesentlich. Wie lautet mein genauer
Auftrag?
Was soll hinterher anders sein als jetzt? Das Ziel muss dabei so konkret sein, dass der Coach damit arbeiten kann.
Eine wichtige Information speziell im Teamcoaching ist auch: wer ist der/die Auftraggeber/in? Handelt es sich dabei um
eine/n Vorgesetzte/n? Ist es der/die Teamleiter/in?
Und in weiterer Folge: wie wird das Team über das Coaching informiert, sodass alle Teammitglieder motiviert und sich
letztlich freiwillig auf das Coaching einlassen können.
175
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3.2. Klärung der einzelnen Rollen und Funktionen
In einem gut funktionierenden Team sollten die Rollen und Funktionen klar definiert und jedem Teammitglied bekannt
sein. Hilfreich dafür ist eine einheitliche Aufgabenbeschreibung, die folgende Punkte enthalten sollte:
1. Bezeichnung der Tätigkeit/Funktion,
2. Beschreibung der gesamten Arbeitsaufgabe (=Ziel der Aufgabe, in welchem Gesamtprozess ist die Tätigkeit einge-
bunden – Schnittstellen, Kontakte, Kooperationen)
3. Was ist das Hauptziel dieser Tätigkeit?
4. Welche fachliche Qualifikation, Kenntnisse und Fertigkeiten sind für die Arbeitsaufgabe erforderlich (z.B. Berufsaus-
bildung, Weiterbildung, Schulungen, andere Qualifikationen)
5. Welche sozialen Fähigkeiten sind für die Aufgabe erforderlich?
6. Welche fachspezifischen Zusatzqualifikationen sind notwendig?
7. Wem ist diese Position unterstellt? An wen wird berichtet?
8. Wem ist diese Position überstellt?
9. Wen vertritt der/die Inhaber/in dieser Position?
10. Von wem wird der/die Inhaber/in dieser Position vertreten?
3.3. Synergieeffekte finden und unterschiedliche Stärken sinnvoll nutzen
Welche besonderen Fähigkeiten gibt es in unserem Team?
Welche Kompetenzen sollen weiterentwickelt werden?
Hier gibt es eine wunderschöne Übung von Dr. Gunther Schmidt zum Thema Teamfeedback:
„Dafür sind Sie in der Gruppe“
„Sie können in besonderer (wertschätzender, kompetenter, wertvoller etc.) Weise ……..zu uns beitragen.“
Jedes Teammitglied erhält von jedem/jeder Einzelnen mindestens 4 Rückmeldungen.
Dadurch entsteht eine sehr angenehme, harmonische Situation. Das Team wächst zusammen, jede/r setzt sich mit
jedem/r auseinander und erkennt, wie wertvoll das jeweilige Teammitglied ist.
3.4. Ziele setzen und die Zielerreichung anhand von gemeinsam vereinbarten Kriterien klar messen
1. Anhand der Unternehmensziele werden die Teamziele definiert. Dabei werden diese nach dem SMART Prinzip
formuliert
Simpel – Messbar – Als ob jetzt – Realistisch – Terminiert
176
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2. Wer hilft bei der Erreichung des Ziels und wer ist verantwortlich?
3. Bis wann wird das Ziel erreicht, welche Meilensteine gibt es?
4. Wer überprüft bzw. legt fest, wann das Ziel erreicht ist
3.5. Team-Konflikte entschärfen
Das Thema Konflikte kommt in jedem Teamcoaching vor und ist meist auch der Auslöser für das Engagement eines
Coaches. Zunächst muss geklärt werden, wofür der Konflikt steht und was die Konfliktursache ist.
Geht es den Konfliktbeteiligten
1. um eine Veränderung des Systems?
2. um einen Positionskampf (Kompetenz, Macht)
3. die „gerechte“ Aufteilung knapper Ressourcen (Anerkennung, Material, Geld)
4. um einen klassischen Interessenskonflikt
5. um einen Zielkonflikt, wobei verschiedene, unvereinbare Ziele verfolgt werden
6. um einen Beurteilungskonflikt, das Ziel ist klar, aber der Weg dahin nicht
7. um einen Rollenkonflikt
8. um einen Beziehungskonflikt oder
9. um einen Wertekonflikt7
Zur Klärung des Konflikts sollte der Coach in die Rolle des/der Moderators/in und Mediators/in schlüpfen, wobei er
durch gezielte Fragen in den wahren Konflikt bzw. in den Konflikt hinter dem Konflikt führen sollte. Dabei sind seine
Fähigkeiten des Zuhörens, Vermittelns und Übersetzens gefragt.
Ein Konflikt kann z.B. durch
- die „Flip-Chart Methode“ mit Fragen wie
- wie sehe ich mich
- wie sehe ich den anderen
- was glaube ich, wie mich die anderen sehen
- was wünsche ich mir von den anderen
- das Rollenspiel
- sich in die Lage des/der jeweils anderen versetzen / Veränderung der Perspektive
gelöst werden. Die Hauptaufgabe des Coaches besteht darin, durch den Konflikt zu führen und den Prozess zu begleiten,
dass die Möglichkeit geschaffen wird, dass alles auf den Tisch kommt, denn nur so ist der Weg für eine erfolgreiche
Zusammenarbeit gegeben.
177
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Anschließend empfiehlt es sich, Spielregeln für künftige Missverständnisse und Unstimmigkeiten auszumachen, sodass
Konflikte gar nicht erst wieder entstehen können und das Team diese selbständig lösen kann.
3.6. Finden und Definieren eines gemeinsamen Leitbilds / Erkennen und Verstehen der
Wahrnehmung und des Werteverständnisses des jeweils anderen
Mittels Brainstorming und der Frage „Welche Werte sind für mich wichtig, um erfolgreich arbeiten zu können?“ (sowohl
in meinem eigenen Aufgabenbereich als auch im Team?) haben alle Teammitglieder die Möglichkeit, sich zu Wort zu
melden. Durch „Clustern“ wird im Anschluss ein Leitbild für das Team erarbeitet, das für alle lebbar ist und zur Verstär-
kung des WIR-Gefühls beitragen kann.
Empfehlenswert ist es auch, in diesem Schritt Team-Spielregeln aufzustellen, die für alle verständlich sind und auf die
man sich bei Unklarheiten berufen kann.
3.7. Begleitung bei der Teamentwicklung
Wie schon zu Beginn erwähnt, ist die Hauptaufgabe des Teamcoaches, den Prozess der Teamentwicklung zu begleiten
und diesen auch zu verantworten. Wenn es darum geht, ein Team neu zu bilden oder die Stabilisierung und Orientierung
eines bestehenden Teams zu bewirken, wird der notwendige Prozess nochmals zusammengefasst:
1. Identität: Wer sind wir als Team? Wo sehen wir uns?
2. Werte, Einstellungen: Was ist uns wichtig? Woran glauben wir?
3. Vision, Mission: Wo wollen wir gemeinsam hin? Warum sind wir überhaupt zusammen? Was ist unsere Aufgabe?
4. Fähigkeiten, Verhalten: Was können wir? Welche Fähigkeiten haben wir, brauchen wir? Was tun wir konkret? Woran
merken wir oder andere, dass wir unsere Ziele erreicht haben?
5. Future Steps, Commitments: Was bin ich konkret bereit, als Einzelner für das Team und die gemeinsame Aufgabe
zu leisten?8
3.8. Entwicklung von Lösungsansätzen
Am Ende des Coachingprozesses gilt es nun, das Team bei der Entwicklung von Lösungsansätzen zu begleiten und zu
unterstützen. Der Teamcoach geht über zur Lösungsebene und stellt gezielt Fragen zur Gestaltung der Zukunft. Nochmals
werden die vorhandenen Fähigkeiten und Stärken aufgenommen und zur Lösungsentwicklung eingesetzt. Die Lösung
selbst kommt vom Team.
Empfehlenswert ist es, Ziele in kurzfristig, mittelfristig und langfristig einzuteilen, da man so schnell Erfolge erzielen
kann und somit das positiv erlebte erste Erreichen eines gemeinsam definierten Zieles genügend Kraft und Energie gibt
178
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für die nächsten Erfolge.
Zur Stärkung des Teams könnte es auch ein gemeinsames Ritual geben, um den Erfolg zu feiern wie z.B. anstoßen mit
einem Glas Prosecco o.ä.
3.9. Festlegen von Überprüfungskriterien
Gemeinsam werden Evaluationskriterien festgelegt, die überprüfbar und messbar sind und auch tatsächlich im Gestal-
tungsraum des Teams liegen.9
Dafür muss es klare Unternehmensziele und daraus abgeleitet Teamziele geben.
Wichtige Fragen zur Festlegung von Evaluationskriterien sind:
1. Was genau soll sich durch das Teamcoaching verändern?
2. An welchen Verhaltensweisen/Handlungen lässt sich eine erfolgreiche Veränderung feststellen?
3. Gibt es überprüfbare Zwischenschritte?
4. Können die Teammitglieder ihr Ziel aus eigener Kraft erreichen?
5. Stehen ihnen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen zur Verfügung?
6. Wie kann ich als Führungskraft das Team unterstützen?
7. Mit welchen Widerständen ist zu rechnen? Wie wird damit umgegangen?10
So ist sichergestellt, dass der Coachingprozess für den/die Auftraggeber/in, das Team und für den Teamcoach zur Zufrie-
denheit abgeschlossen werden kann.
4. Methoden im Teamcoaching (eine kleine erfolgreich erprobte Auswahl)
Sämtliche Methoden, die im Teamcoaching erfolgreich zur Anwendung kommen, beinhalten Interventionen aus dem
Einzelcoaching und Interventionen aus der Teamentwicklung. Durch den optimalen Einsatz können individuelle Stärken
des Einzelnen und die Synergien im Team herausgearbeitet und eine Führung unterstützt werden.
Erkenntnisse über die eigene Persönlichkeit helfen dabei genauso wie ein Verständnis über das Zusammenspiel von
Individuum, Team und Organisationsumfeld.
Der lösungs- und entwicklungsorientierte Ansatz aus dem Coaching unterstützt das Team, sich auf motivierende Ziele
auszurichten und diese auch zu erreichen.
179
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4.1. Rollenspiel
Rollenspiele helfen, Problembereiche aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, schaffen Zugang zu neuen Themen-
gebieten und können auf erfahrungsorientierte Weise Wissen vermitteln. Herausgelöst aus der Alltagsumgebung werden
Kommunikationsprozesse analysiert, emotionale Vorgänge und Charaktermerkmale können quasi aus einer Metaebene
betrachtet und den Teammitgliedern bewusst gemacht werden.
Im Rollenspiel können neue Verhaltensweisen bzw. spezifisches Verhalten in unbekannten Situationen eingeübt und
trainiert werden.
Szenen können rekonstruiert werden, Einfühlung und Verständnis für Vergangenes wird möglich und blockierende Be-
ziehungsmuster werden transparent.
Die eingebrachten Themen werden dabei von den Teilnehmern im Rollenspiel bearbeitet – mit oftmals erstaunlichen
Ergebnissen und Erkenntnissen für die Beteiligten.
Dabei können bestimmte Situationen mehrmals durchgespielt werden, um klar darzustellen, welche Auswirkungen bzw.
Reaktionen bestimmte Worte und Verhaltensmuster auf mein Gegenüber haben. Es empfiehlt sich auch, wie in der Auf-
stellung, dass derjenige, der einen Fall einbringt, sich Protagonisten für die Situation aussucht.
Nach dem Rollenspiel kommt die sogenannte Reflexion. Hier sollten die Protagonisten und Beobachter ihre Erkenntnisse
und Beobachtungen beschreiben und interpretieren.
4.2. Solution Circle für Teams – von Daniel Meier11
Diese Methode eignet sich, um konflikthafte Situationen zu bearbeiten und dient als Chance zur nachhaltigen Weiterent-
wicklung.
Es wird eine Erfolg versprechende Zukunftsvision entwickelt. Teams erlangen wieder selbstverantwortliche Handlungsfä-
higkeit und dadurch die Möglichkeit, sich auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren.
Der SolutionCircle besteht aus acht Schritten, die alle nötigen Phasen eines Team-Coaching-Prozesses umspannen.
1. Rahmen klären
- Vorgeschichte klären – wie kam der Coach zum Team
- Vorgehensweise und Rollen klären – der Coach schafft Struktur und Rahmen, koordiniert den Verlauf und darf viele
180
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Fragen stellen, die Teilnehmer sind für den Inhalt verantwortlich und entwickeln Lösungen
- Spielregeln festhalten
2. Erwartungen und Ziele
- Was soll im Coaching passieren, damit es sich wirklich gelohnt hat?
- Was soll am Schluss anders sein als vorher?
- Woran werden Sie merken, dass Sie dieses Ziel erreicht haben?
- Wenn gemeinsam dieses Ziel erreicht wird, woran würden es Ihre Kunden merken?
3. Brennpunkte
In diesem Schritt werden die Themen fixiert, in denen eine Verbesserung eintreten soll.
Welches sind die brennendsten Themen, in denen unbedingt eine Verbesserung eintreten muss?
1. Sternstunden
Die Teammitglieder machen sich auf die Suche nach Situationen, in denen das Problem oder der Konflikt weniger oder
gar nicht aufgetreten ist. Sie finden heraus, mit welchen Fähigkeiten sie dies geschafft haben.
- Welche Begebenheiten gab es in den vergangenen Wochen, die bezüglich der Fragestellung wie eine kleine Stern-
stunde erschienen?
- Was war dabei genau anders?
- Was hat Ihnen geholfen, in dieser Art zu reagieren?
- Was haben Sie dazu beigetragen, dass Ihr Kollege so reagiert hat?
2. Futur Perfekt
Das Team entwirft eine möglichst präzise Vorstellung einer Zukunft, in der die Probleme gelöst sind.
- Wo würde das Team in zwei Jahren stehen, wenn sich das Team im Coaching genau nach den gemeinsamen Wün-
schen entwickelt hätte?
- Was genau würde das Team anders machen?
- Was würden andere dann über das Team sagen?
3. Scaling Dance
Die einzelnen Mitglieder des Teams schätzen die heutige Situation ein. Es geht darum, herauszufinden, was in der
Vergangenheit bereits gut funktioniert hat.
- Stellen Sie sich eine Skala von 1 bis 10 vor. Wo stehen Sie heute bezüglich des Themas X, wobei 10 den wirklichen
Idealzustand (kühnste Erwartung) und 1 das genaue Gegenteil davon darstellt?
- Wie haben Sie es geschafft, bereits heute auf diesen Punkt zu kommen? Was macht also den Unterschied zwischen
181
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- 1 und diesem Punkt aus?
- Wenn Sie an Ihre herausragende Sternstunde aus Schritt 5 denken, wo lag sie auf derselben Skala? Was macht hier
den Unterschied aus?
- Was haben Sie persönlich dazu beigetragen, dass Sie schon auf einer X stehen?
4. Maßnahmen
In diesem Schritt werden konkrete Maßnahmen formuliert, die das Team in nächster Zukunft – am besten schon am
nächsten Tag – umsetzen kann. Auf der Basis des vorangegangen Schrittes kann leicht zu den Maßnahmen übergelei-
tet werden. Es gilt festzuhalten, was getan werden muss, um einen kleinen Schritt Richtung 10 zu vollführen.
5. Persönlicher Auftrag
Durch einen Beobachtungs- oder Handlungsauftrag, den der Coach weitergibt, soll die Aufmerksamkeit auf bestimmte
Aspekte in der Umsetzung gerichtet und der Prozess im Alltag weiter unterstützt werden.
Der persönliche Auftrag stellt eine elegante Möglichkeit dar, den eingeleiteten Prozess im Alltag weiter zu unterstützen
und den Fokus der Teilnehmer auf die Erfolge zu richten. Durch die gezielte Aufmerksamkeit auf kleinere und größere
Erfolgssituationen wird der Prozess konstruktiv beschleunigt.12
4.3. Übung „Highlights“
(Als quasi verkürzte Form der vorangegangen Intervention – Solution Circle )
Diese Übung richtet den Blick auf das Positive: analysiere, was gut funktioniert hat und baue darauf auf. Die einleitende
Frage des Coaches bezieht sich auf Situationen, in denen das Team oder eine einzelne Person bereits Ressourcen genutzt
hat, um erfolgreiche Lösungen zu entwickeln. Es ist eine Frage nach Erfahrungen, denn was in der Vergangenheit gut
funktioniert hat, kann auch aktuell weiterhelfen. Der Coach fragt nach Highlights, nach Erfolgen, nach schönen Begeben-
heiten im Berufsalltag.
Folgende Fragen sind hilfreich:
- Welche Situation war für Sie ein solches Highlight?
- Was war daran besonders?
- Was hat Ihnen geholfen, in dieser Situation so zu reagieren?
- Was haben Sie dazu beigetragen, dass Ihr Kollege so reagieren konnte?
- Was war anders als sonst?13
182
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4.4. Zirkuläres Interview
Zirkulär zu fragen bedeutet, den Coachee nicht direkt bzw. linear nach seinen eigenen Wahrnehmung, Gefühlen, Denk-
oder Verhaltensweisen zu fragen, sondern ihn zu veranlassen, seine Vermutungen über das Erleben anderer offenzule-
gen. Der Coachee wird so eingeladen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich mit der – vermuteten – Realität
anderer ihm verbundener Personen zu beschäftigen. Damit wird er sich bewusst, wie sehr seine eigene Beschreibung
der Situation von Vermutungen über Tatsachen und nicht von den Tatsachen selbst bestimmt wird. Er lernt sich in die
Welt seines Gegenübers einzufühlen und zu erkennen, dass seine eigenen Verhaltensweisen mit den Verhaltensweisen
anderer verknüpft sind. Und dass er – wenn er dies möchte – aus unguten Interaktionsmustern aussteigen und bessere
erschaffen kann.
Besonders wirksam ist das zirkuläre Interview in Teamentwicklungen und -Coachings oder Konflikt-Coachings, bei
denen dem Coach nicht nur ein Coachee gegenübersitzt, sondern ein Team des relevanten Systems. Indem die anderen
mithören können, was ihr Kollege über sie denkt und welche Vermutungen er über ihre Absichten und Verhaltensweisen
hat, wächst das Verständnis untereinander. Damit wird es für alle Beteiligten leichter, aus eingefahrenen und als schäd-
lich erlebten Mustern auszusteigen.
Der Coach erhält durch diese Fragetechnik Informationen über das System, die ihm helfen, Hypothesen über Beziehun-
gen und Interaktionsmuster im Umfeld des Coachees zu bilden und zu überprüfen.
Das zirkuläre Interview ist typischerweise dann erfolgreich, wenn der Coachee z.B. sagt: „So habe ich das noch nicht
gesehen.“ oder „Es könnte wirklich sein, dass ich ihn/sie missverstanden habe.“ „Was braucht mein Kollege dann also
von mir?“
Ein zirkuläres Interview folgt keinem spezifischen Muster und ist nicht standardisierbar. Entscheidend ist die Haltung,
mit der es durchgeführt wird.
Auf der inhaltlichen Seite fragt der Coach seinen Coachee danach, welche Ziele, Wahrnehmung, Kritikpunkte, Lösungs-
ansätze, Situationsbeschreibungen etc. die anderen im Zusammenhang mit dem vorgelegten Problem haben könnten.
Diese Verlagerung des Fokus von der eigenen Sichtweise auf die mögliche Deutung durch andere relevante Personen
ist das wesentliche Charakteristikum des zirkulären Interviews. Die neuen Denkprozesse erleichtern es dem Coachee,
passendere Lösungen für die problematische Situation zu konstruieren.
Für den Coach sind folgende Fragen interessant:
- 1. Wie beschreibt der Coachee das Problem? Wie würden es seiner Meinung nach andere beschreiben?
- 2. Was geschieht? Was wird dabei gefühlt und/oder gedacht? Wie erleben die anderen Mitglieder des Systems das
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Geschehen?
3. Was wurde zur Lösung bereits versucht?
4. Wie sehen weitere Lösungsmöglichkeiten aus?
Besonders interessant sind dabei sogenannte „Öffnungen“: Öffnungen sind Worte, mit denen der Coachee Themen oder
Ideen anspricht, die für ihn und/oder seine Umgebung bedeutsam sind.
Beispiele für zirkuläre Fragen im Rahmen eines zirkulären Interviews:
- Auf die Ziele gerichtete Fragen
z.B. Woran würde xy merken, dass unser Coaching hier erfolgreich ist?
- Auf das Problem gerichtete Fragen
z.B. Wie würde xy genau diesen Disput beschreiben?
- Auf Lösungsansätze gerichtete Fragen
z.B. Auf welche Weise trägt xy zur Lösung dieses Problem bereits bei?
- Den Realitäts-Check unterstützende Fragen
z.B. Wenn Sie Ihr Vorhaben so in die Realität umsetzen: wer würde sich am meisten darüber freuen? Wer am we-
nigsten? Wer wird Sie dabei am ehesten unterstützen?
Für einen systemisch-konstruktivistischen Teamcoach sind nicht Individuen „das Problem“, sondern deren Interaktionen
sind problematisch. Er geht davon aus, dass Menschen in ihrem Verhalten zirkulär miteinander verbunden sind und ist
bestrebt, den „Beziehungstanz“ zu verdeutlichen. Der Coachee kann sich bewusst für andere Verhaltensweisen entschei-
den, wenn sich daraus eine für ihn weniger problematische Situation bzw. Interaktion ergibt.14
4.5. Zauberstab
Diese Übung eignet sich hervorragend, um Koordination und einheitliches Vorgehen zu üben.
Die Teammitglieder stellen sich paarweise gegenüber entlang eines Stabes auf, sodass sich die gegenüberstehenden
Partner anschauen können. Auf jeder Seite des Stabes stehen die Personen dicht nebeneinander und strecken ihre rech-
ten Arme mit ausgestrecktem Zeigefinger nach vorne aus.
Aufgabe der Gruppe ist es, den Stab, den der Coach nun auf die Fingerspitzen legt, gemeinsam sacht auf den Boden zu
legen, ohne dass jemand dabei den Kontakt zum Stab verliert. Verliert jemand den Kontakt, wird wieder die Ausgangspo-
sition eingenommen. Zum Erstaunen aller wandert der Stab immer höher - da jeder den Kontakt halten möchte, drücken
alle nach oben. Es erfordert einiges an Koordination, Absprache, Ruhe und geordnetem Vorgehen, um diese Aufgabe zu
lösen.
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- Im Anschluss an die Arbeit können folgende Fragen gestellt werden:
- Wie haben Sie sich während der Übung gefühlt?
- Wurden Verbesserungen und Ideen eingebracht? Von wem?
- Hat jemand die Bewegungsabläufe im Sinne einer Qualitätskontrolle koordiniert?
- Wie hat sich die Koordination bzw. die fehlende Koordination ausgewirkt?
- Was war notwendig, um die Übung erfolgreich abzuschließen?
Mögliche auftretende Themen nach dieser Übung könnten sein:
Respekt, Erfahrung, Wissen, Hierarchie und Umgang miteinander15
5. Zwei Beispiele aus der Praxis
5.1. Ein neues Teammitglied kommt dazu
Zwei ehemalige Geschäftspartnerinnen beschlossen, bedingt durch ihre ähnliche private Situation – beide waren in Ka-
renz und suchten eine flexible, herausfordernde Beschäftigung – gemeinsam eine Firma zu gründen, um die Stärken zu
bündeln und gemeinsam am Markt aufzutreten. Schnell stellten sich die ersten Kunden ein, die sie erfolgreich servicieren
konnten. Durch Mundpropaganda wurden die Aufträge mehr und ein gemeinsames Büro wurde gesucht. Da die Arbeit
Spaß machte und die beiden Damen voll in Anspruch nahm, blieb keine Zeit, um über den Arbeitsrahmen, die Arbeitsbe-
dingungen, Kommunikation etc. zu sprechen. Langsam schlichen sich kleine Missverständnisse ein, unausgesprochene
Konflikte standen im Raum, aber es war keine Zeit, diese zu lösen.
Als die Arbeit nicht mehr zu bewältigen war – bedingt durch mehr Kunden und keiner Struktur – beschlossen beide
Damen „zwischen Tür und Angel“, noch eine Partnerin aufzunehmen. Eine der beiden hatte sofort eine Freundin zur Hand
und so wurde das Team auf 3 Partnerinnen ausgedehnt. Nach kurzer Zeit wurden die Missverständnisse – besonders im
Hinblick auf Struktur, Aufgabenaufteilung, Kommunikation, Zieldefinition, Honoraraufteilung und Commitment – größer
und die Partnerinnen fanden keinen Weg mehr, dies alleine zu lösen. Also wurde ein Teamcoach engagiert.
Im ersten Schritt nahm der Teamcoach mit den 3 Partnerinnen Kontakt auf und holte sich deren Wünsche und Anliegen
ab. Es wurde vereinbart, einen ganztägigen Workshop abzuhalten, um möglichst schnell und effizient herauszufinden, ob
eine Zusammenarbeit in dieser Konstellation noch Erfolg versprechend wäre und auch wieder den Spaß und Wohlfühl-
faktor der Anfänge bringen könnte.
Aus den Wünschen entwickelten sich folgende Fragen, die die Partnerinnen als Vorarbeit für sich beantworten und zum
Coaching mitnehmen sollten:
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- Was läuft gut in unserer Zusammenarbeit? Was soll so bleiben wie es ist?
- Wo gibt es Verbesserungspotenzial?
- Wie viel Zeit kann ich für xy investieren? Gibt es fixe Zeiten? Wann sind diese?
- Welche Aufgaben kann und möchte ich bei xy übernehmen?
- Was brauche ich dafür?
- Wo sehe ich die größten Synergieeffekte durch die Zusammenarbeit?
- Welche Werte sind für mich wichtig, um erfolgreich arbeiten zu können? (Sowohl in meinem eigenen Aufgabenbe-
reich als auch im Team?)
- Wie möchte ich mit meinen Kolleginnen Entscheidungen treffen?
- Wie erfolgt für mich eine ideale Informationsweitergabe?
- Worüber sollte ich informiert werden? Und wie?
- Welche Informationen sind für meine Kolleginnen wichtig? Wie gebe ich diese weiter?
- Was haben wir bis Ende 20xx erreicht? (=Zielformulierung in aktiver Form: Gegenwart und als ob es schon einge-
treten wäre)
- Woran können die jeweiligen Ziele und damit der Erfolg gemessen werden?
- Wie viel Geld kann und will ich in xy investieren?
- Wie sieht die ideale Honorarverteilung für mich aus?
Zu Beginn des gemeinsamen Tages erklärte der Teamcoach seine Rolle als Prozess- Verantwortlicher. Es wurde festge-
halten, was passieren müsse, damit sich der Tag für alle Beteiligten auszahlen würde.
Schritt für Schritt wurden die Punkte mittels Flipchart/Clustering abgearbeitet, wobei dem Teamcoach schnell klar wurde,
wo die Konflikte lagen. Da die Partnerinnen sehr höflich und zurückhaltend miteinander umgingen, spürte der Team-
coach, dass er in den/die Konflikt/e führen müsse, da sonst keine effiziente und Zielführende Zusammenarbeit möglich
wäre.
Durch provokante Fragen und kleinere exemplarische Rollenspiele, die der Teamcoach bewusst überspitzt darstellte,
brachte er die Partnerinnen dazu, zu „explodieren“ und endlich alle Punkte auf den Tisch zu bringen. Dabei war die Fähig-
keit des Teamcoaches, in die Rolle des Mediators und Moderators zu schlüpfen, gefragt. Durch Zuhören, Vermitteln und
Übersetzen, konnten die Missverständnisse und Konflikte gelöst werden. Mit Hilfe der Teamentwicklungsuhr und durch
das bewusste Durchleben der Teamentwicklung nach Francis/Young (Testphase, Nahkampfphase, Organisierungspha-
se, Verschmelzungsphase) konnte der Teamcoach den Prozess führen, sodass das Team gemeinsam Arbeitsstrukturen
und -bedingungen, Kommunikationswege, Arbeitsaufteilung, Spielregeln und ein gemeinsames Commitment erarbeiten
konnte.
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Am Ende des erfolgreichen Tages, an dem alle 3 Partnerinnen glücklich und zufrieden der künftigen Zusammenarbeit
entgegenblickten, wurde vereinbart, eine vierteljährliche Überprüfung nach dem erlebten Muster abzuhalten.
Beim ersten Treffen wurde der Teamcoach eingeladen, den Prozess zu begleiten, mittlerweile organisiert sich das Team
selbst und ist sehr erfolgreich.
5.2. Zwei Abteilungen verschmelzen zu einer, um Synergien besser nutzen zu können
In einem großen Unternehmen waren bisher die Personalabteilung (mit Verwaltung und Lohnverrechnung) und die
Personalentwicklung (mit der Ausbildungsakademie) getrennt. Diese Abteilungen waren auch räumlich getrennt, was zu
einer großen Kluft zwischen den beiden Abteilungen führte, die zuletzt in einer Art Konkurrenz und Anfeindung endete.
Besonders in diesem Bereich führte es auch zu einer enormen Verunsicherung der MitarbeiterInnen des Unternehmens,
weil die Personalabteilung etwas anderes sagte und wollte als die Personalentwicklung.
Durch einen Führungswechsel in der ersten Managementebene wurde schnell erkannt, dass die Entwicklung und Poten-
zialförderung der MitarbeiterInnen unbedingt mit der Unternehmensstrategie konform gehen muss und somit wurde eine
Zusammenführung der beiden Abteilungen angestrebt.
Die ehemaligen Abteilungsleiter verließen das Unternehmen und ein neuer Abteilungsleiter wurde mit der Führung der
beiden Abteilungen als eine HR Abteilung betraut. Da es so gut wie keine Gesprächsbasis gab und die MitarbeiterInnen
auch verschüchtert waren, weil sie nicht wussten, welches Schicksal nun auf sie wartete, wurde ein Teamcoach engagiert.
Zu Beginn des Coachings waren alle MitarbeiterInnen sehr verschlossen und ruhig. Es wurde ganz offenkundig, dass es
viele vorgefertigte und gefestigte negative Meinungen gab und sich die beiden Teams – die sich aber über die Jahre gut
kannten – jetzt wie Feinde gegenübersaßen.
Um aufzuzeigen, dass beide Teams künftig an einem Strang ziehen müssen, um erfolgreich zu sein, die Unterneh-
mensziele zu schaffen und letztlich auch den eigenen Arbeitsplatz zu behalten, startete der Coach mit der Zauberstab
Übung (siehe S. 12, 4.5.).
Den Teammitgliedern wurde bewusst, dass die gemeinsame Aufgabe nur mit der richtigen Koordination, Kommunikati-
on, Arbeits- und Rollenaufteilung und dem Wissen aller möglich sein würde.
Da die Fronten nun offen waren, installierte der Teamcoach zur allgemeinen Wertschätzung die Übung von Dr. Gunther
Schmidt:
Dafür sind Sie in der Gruppe“
„Sie können in besonderer (wertschätzender, kompetenter, wertvoller etc.) Weise ……..zu uns beitragen.“
Jedes Teammitglied erhält von jedem/jeder Einzelnen mindestens 4 Rückmeldungen.
Dadurch entstand eine sehr angenehme, harmonische Situation. Jede/r setzte sich mit jeder/m auseinander und erkann-
187
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te, wie wertvoll das jeweilige Teammitglied ist. Durch Visualisieren der Stärken erkannten die Teams, dass sie miteinan-
der noch erfolgreicher würden und mehr im Unternehmen bewirken könnten.
Mittels Brainstorming und aufgeteilt in Kleingruppen konnte das Team das eigentliche Thema: „Wir sind eine professio-
nelle HR Abteilung und erfüllen folgende Aufgaben“ erarbeiten. Das Team war erstaunt und erfreut, wie viel Knowhow in
ihnen steckte und was für eine starke, richtungsweisende Abteilung sie künftig im Unternehmen sein könnten.
Am Ende des Coachings verließ ein Teammitglied (von 9) freiwillig das Unternehmen, die anderen arbeiteten erfolgreich
zusammen und wurden in kurzer Zeit eine sehr geschätzte Serviceabteilung im Unternehmen, die alle Ziele im ersten
Jahr erfüllte.
6. Zusammenfassung
Teamcoaching ist eine äußerst spannende und herausfordernde Form des Coachings, da es Elemente der Teamentwick-
lung und des klassischen Coachings beinhaltet. Der Coach muss die Fähigkeit mitbringen, zum richtigen Zeitpunkt als
Coach, Moderator, Mediator oder Therapeut zu agieren.
Ein Teamcoach begleitet ein Team in einem Entwicklungsprozess. Dieser fördert die effektive, nachhaltige Zusammen-
arbeit, damit Teams ihre Arbeitsziele schneller und besser erreichen. Die Teammitglieder sind in der Lage, ihre Kompe-
tenzen optimal einzusetzen, damit Synergie-Effekte entstehen. Nachhaltig arbeiten Teams, wenn sie fähig sind, Probleme
und Konflikte konstruktiv zu lösen und auch nach Erreichen des Ziels für weitere Herausforderungen gestärkt oder in der
Lage sind, sich aufzulösen und neue Teams zu bilden.
Als Teamcoach begleiten wir Teams auf diesem Weg durch ein strukturiertes methodisches Vorgehen, das Zusammen-
hänge eines Problems sichtbar macht und lösungsorientierte Handlungsoptionen eröffnet.16
7. Anhang - Handout Coachinglehrgang C+ Unternehmensberatung und Freie Universität Berlin 200817
Phasen des Gruppenaufbaus (Francis/Young)
Lernen ist ein individueller Vorgang. Das stimmt nicht ganz, denn wenn wir mit Gruppen arbeiten, können diese auch
gemeinsam lernen und ihre Fähigkeiten sind auch „gemeinsames Eigentum“. Den Prozess, bewusst und gezielt eine
Gruppe (ein Team) aufzubauen, wird von Francis/Young 2002 als Teamtraining bezeichnet. Dieser Begriff zeigt, dass et-
188
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
was eingeübt wird, verschiedene Aufbauphasen durchläuft und eine gewisse Zeit bis zur Vollendung benötigt. Wir haben
es hier auch mit dem Begriff des „kollektiven Lernens“ zu tun.
Immer wieder kommt es zu Gruppenbildungen und es wird mehr oder weniger strukturiert „herumgewurschtelt“, ohne
sich mit der Thematik der Gruppe an sich auseinanderzusetzen. Um eine strukturierte Vorgehensweise (abseits der ei-
gentlichen Thematik) bei der Gruppenbildung zu gewährleisten, soll sich eine Gruppe auf folgende sieben Fragen eine
Antwort geben können:
- Was ist unsere Aufgabe?
- Wie sollen wir uns organisieren?
- Wer hat die Verantwortung?
- Wer kümmert sich um unseren Erfolg?
- Wie lösen wir Probleme?
- Wie passen wir zu den anderen Gruppen (z.B. innerhalb des Unternehmens)?
- Welche Begünstigungen genießen die Mitglieder in der Gruppe?
Diese Fragen werden nicht nacheinander beantwortet, sondern immer dann erörtert, wenn sie die Weiterentwicklung der
Gruppe behindern. Gelingt es einer Gruppe, ein Problem erfolgreich zu bewältigen, wird sie gestärkt. Wird das Problem
nicht oder nur teilweise bereinigt, fällt die Gruppe auf eine frühere Entwicklungsstufe zurück.
Die erfolgreiche Gruppenentwicklung setzt sich immer wieder mit den auftretenden Widerständen auseinander, um ein
optimal einsetzbares Team hervorzubringen bzw. zu erhalten.
Kennt sich eine Gruppe noch nicht, durchläuft sie bis zum funktionsfähigen Team folgende Phasen:
(1) Testphase
Menschen reagieren unterschiedlich auf die Herausforderung der Begegnung mit neuen Menschen. Manche zum Bei-
spiel sind ängstlich, bekommen feuchte Hände oder fühlen sich einfach rundum unsicher und unwohl. Andere wiederum
freuen sich auf eine neue Gruppenerfahrung, auf die Chance, neue Menschen kennen zu lernen usw. Wir sehen, es gibt
eine Bandbreite an Reaktionsmöglichkeiten, die Zahl der möglichen Konstellationen sind unendlich. Also trifft die Grup-
pe in unterschiedlichen Zuständen aufeinander. Auf dieser Basis beginnt sich ein Team zu formieren. Anfangs versuchen
die Gruppenmitglieder, ihre Position innerhalb der Gruppe zu finden. Sie fahren ihre psychologischen Antennen aus und
richten sie auf die subtilen nonverbalen Signale, die untereinander ausgesendet werden. Jede(r) will für sich klären, in
welcher Beziehung sie/er zur Gruppe steht.
Jedes Mitglied hat eine individuelle Methode, um mit den anderen in Kontakt zu treten. Manche sind anfangs zurückhal-
tend und nehmen eine abwartende Position ein, beobachten ...
189
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Andere wiederum legen sofort los und positionieren sich durch Aktivität in der neuen Gruppe.
Wenn ein Team sich zu etablieren beginnt, werden der Kontakt und der Meinungsaustausch immer intensiver. Die Mit-
glieder wollen vieles übereinander erfahren: Einstellungen, Werthaltungen, Arbeitsstil, Kontaktbereitschaft der anderen
etc.
Die Testphase hält so lange an, bis jedes Mitglied eine Aussage darüber gemacht hat, wie es seine Rolle im Team sieht.
(2) Nahkampfphase
Zum Wachstumsprozess eines Teams gehört zwangsläufig, dass die Mitglieder Beziehungen miteinander aufbauen, um
sich Macht und Einfluss zu verschaffen. Sie gehen Bündnisse miteinander ein, bestimmte Mitglieder bilden sich als Kris-
tallisationspunkte heraus. Ein(e) Teamchef(in) genießt oft eine eigene Autorität, weil dem Unternehmen die Wichtigkeit
seiner/ihrer Funktion bekannt ist. Doch sie/er muss diese Position auch rechtfertigen. Die Mitglieder beobachten und
bewerten die Verhaltensweisen des Chefs, der Chefin. Und entweder erkennen sie die Führung an oder sie finden Mittel,
diese zu unterlaufen.
In dieser Phase muss sich die Gruppe entscheiden, wie sie zusammenarbeiten will. Leider passiert das oft in Form von
versteckten Andeutungen und kaum in einem offenen und klaren Gespräch. Im Grunde geht es um die Fragen:
- Wer übt Kontrollfunktion aus?
- Wie werden die Kontrollfunktionen ausgeübt?
- Was geschieht mit Mitgliedern, die gegen die Gruppenregeln verstoßen?
Wenn sich die Gruppe weiterentwickeln will, ist es ratsam, auf diese Fragen Antworten zu finden.
(3) Organisierungsphase
Wenn das Problem der Kontrolle erledigt ist (vorerst zumindest), kann sich die Gruppe mit neuer Kraft in die Arbeit
stürzen. Die Mitglieder wollen miteinander arbeiten und sind an einer funktionsfähigen Gruppe interessiert. Die Gruppe
braucht die Unterstützung und das Engagement aller Mitglieder. Fehlen die beiden und jede(r) kocht weiterhin ihr/sein
eigenes Süppchen, ist die Weiterentwicklung der Gruppe gebremst.
In dieser Phase messen die Mitglieder die Qualität der Gruppe an dem Output, der Exaktheit der Arbeit, die Leistungen
der Einzelnen werden bewertet und diskutiert. Es verbessert sich oft die Fähigkeit des Zuhörens und es wird angefangen,
die Leistungen der anderen zu respektieren. Auch kommt dem Thema der Planung und Ausführung der Arbeit ein großer
Stellenwert zu.
Wichtig ist speziell in dieser Phase, dass die Gruppe lernt, mit Problemen kreativ und effektiv umzugehen. Gelingt das
nicht, schleppt das die Gruppe ewig mit und wird mit Verlusten arbeiten und sich mit dem Mittelmaß begnügen.
Wichtig: Klare Lösungsstrategien und Spielregeln entwickeln und festlegen.
190
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
(4) Verschmelzungsphase
Die Mitglieder eines gereiften Teams zeigen Geschlossenheit und pflegen engen Kontakt miteinander (manchmal ent-
stehen sogar Freundschaften). Alle sind bereit, sich für die KollegInnen einzusetzen. Ein weiteres Kennzeichen ist auch
der Umgang untereinander: Zwanglosigkeit und gegenseitige Hochachtung voreinander. Jedes Mitglied hat eine klar
festgelegte Funktion und hat einen unverwechselbaren Beitrag zu leisten.
Von außen fällt die Geschlossenheit der Gruppe auf, es werden aber auch Kontakte zu anderen Gruppen geknüpft. Das
Team befasst sich auch damit, seine Aufgaben und Rollen innerhalb der Gesamtorganisation zu klären (vgl. Francis/
Young 2002, S. 20ff).
Kurzworkshop zur Ermittlung des Teamentwicklungsstandes
Die im letzten Kapitel angeführten Phasen sind natürlich nicht statisch, sondern ein Team durchläuft die unterschied-
lichen Phasen – manchmal auch nicht der Reihe nach bzw. in verschiedenen Aufgabengebieten in unterschiedlichen
“Reifegraden” etc. D.h. das Team befindet sich in permanenter Entwicklung. Will man als Führungskraft den Reifegrad
des Teams eruieren, so hat sich in der Praxis die subjektive Einschätzung der einzelnen Teammitglieder auf der „Tea-
mentwicklungsuhr“ bewährt:
12
6
3
1
5
11
Phase 4
Phase 3
Phase 1
Phase 2
Verschmelzungsphaseideenreich,
flexibel,offen,
leistungsfähig,solidarisch und hilfsbereit
Testphasehöflich,unpersönlich,gespannt,vorsichtig
OrganisierungsphaseEntwicklung neuerUmgangsformen,
Entwicklung neuerVerhaltensweisen,
Feedback,Konfrontation der
Standpunkte
Nahkampfphaseunterschwellige Konflikte,Konfrontation der Personen,Cliquenbildung,mühsames Vorwärtkommen,Gefühl der Ausweglosigkeit
7
10
8
2
4
9
191
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Kurzanleitung für den Workshop
(1) Vorstellen der vier Phasen („Teamentwicklungsuhr“ auf FLIP)
(2) Gruppenanleitung: Jedes Teammitglied bekommt eine Teamentwicklungsuhr auf A4:
10“ Zeit für Einschätzung „Wo befindet sich unser Team auf der Teamentwicklungsuhr?“ und WARUM
(Jede/r zeichnet sich die Antwort im eigenen Blatt ein und findet eine Begründung/Argumentation dafür.
(3) Auf großer Uhr (FLIP): Einzeichnen der einzelnen Ergebnisse und Diskussion der einzelnen Argumente
(4) Brainstorming mittels Zurufen auf FLIP: „Welche großen Steine liegen uns zur Zielerreichung im Weg?“
(5) Priorisierung der Themen („STEINE“) mittels Punkten (jede/r erhält 3/5 Punkte und klebt diese auf die ihm/ihr
wichtigsten Themen, BSP: Neues Teammitglied noch nicht integriert)
(6) Frage: Welche Maßnahmen braucht es, um die Stolpersteine zu überwinden (mittels Kartenabfrage/Moderation)
(7) Zeitgleich: Maßnahmenplan: Maßnahme/Wer?/Bis wann?
(8) Vertrag: Alle Teammitglieder unterschreiben den Maßnahmenplan (Einverständniserklärung aller – nachher kann
keiner mehr sagen: das Wichtigste haben wir nicht behandelt – liegt in der Verantwortung der Mitglieder des Teams)
1) vgl. Daniel Meier (2005) Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung, S. 1462) Dave Francis, Don Young (2009) Mehr Erfolg im Team, S. 203) vgl. Martina Schmidt-Tanger (2005) Veränderungscoaching, S. 124 ff4) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008) Teamcoaching, S. 36 ff5) Kaszubski (2008). Handout Coachinglehrgang_Phasen des Gruppenaufbaus nach Francis/Young6) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008) Teamcoaching, S. 36 ff.7) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 142 ff8) Martina Schmidt-Tanger (2005) Veränderungscoaching, S. 1729) Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle ( 2008), Teamcoaching, S. 10010) Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle ( 2008), Teamcoaching, S. 10111) vgl. Daniel Meier (2005) Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung12) vgl. Christohper Rauen (2007), Coaching Tools, S. 300 ff13) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 210 ff14) vgl. Christopher Rauen (2007) Coaching Tools, S. 90 ff15) vgl. Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 207 ff16) Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle (2008), Teamcoaching, S. 2217) Kaszubski (2008). Handout Coachinglehrgang_Phasen des Gruppenaufbaus nach Francis/Young
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
8. Literaturliste
Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle, Teamcoaching (2008), Manager Seminare Verlags GmbH
Martina Schmidt-Tanger, Veränderungs-Coaching (2005), Junfermann
Daniel Meier, Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung ( 2005), Solution Surfers
Linda Kaszubski, Booklet zum Coachinglehrgang von C Plus und der Freien Universität Berlin (2009).
Dave Francis, Don Young, Mehr Erfolg im Team ( 2009), Windmühle
Christopher Rauen, Coaching Tools (2007), Manager Seminare Verlags GmbH
193
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Mama-Coaching nach dem A M W E G ModellSylvie Reidlinger
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Kapitel 1 Was ist Mama-Coaching
1.1 Definition
1.2 Idee
1.3 Zielgruppe
1.4 Was ist unter Mama-Coaching zu verstehen?
1.5 Zahlen/Fakten/Leistung
1.6 Ziel/Ausblick/Entwicklung
Kapitel 2 Das AMWEG-Modell im Mama Coaching
Kapitel 3 Fragen – das wesentliche Tool im Mama-Coaching
3.1 Die Kunst des Fragens
3.2 Inhaltsfreies Fragen
3.2.1 Fragen ins Ziel/Thema/Problem
3.2.2 Assoziierende Fragen
3.2.3 Dissoziierende Fragen
3.2.4 Fragen nach Ressourcen/Future Pace
3.3 Fragen zur Auftragsklärung
3.4 Wunderfrage
3.5 Skalierungsfrage
3.6 Systemischer Zielrahmen
Fragebox
Nachwort
Literaturliste
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Vorwort:
Das Leben fragt uns. Wir geben die Antworten.
Thomas Koditek1
Anfang des Jahres 2011 fragte mich eine Freundin, ob ich auch so oft mit meinen Kindern schimpfe. Darauf antwortete
ich mit dem Hochziehen der Augenbrauen und einem erwartungsvollen, auffordernden Blick. Sodann legte sie los und
gab sich einem Redefluss hin. Ihre Bereitschaft, einfach laut zu reflektieren und dabei angehört zu werden, war so inten-
siv, dass wenige Zeichen des aufmerksamen Zuhörens genügten, um dem Gespräch einen produktiven Verlauf zu geben.
Wir analysierten das Freizeitprogramm der Kinder meiner Freundin und kamen zu dem Schluss, dass dieses mehr Sport
beinhalten sollte. Ihren Kindern mehr Möglichkeiten zum Austoben anzubieten und diese zu organisieren, nahm sich
meine Freundin nun vor.
Noch am selben Nachmittag rief mich meine Freundin an und bedankte sich bei mir – besonders für mein offenes Ohr
– und fragte mich kurzerhand:
„Willst Du nicht Mama-Coach werden?“
Genau dieser Begriff „Mama-Coach“ verankerte sich augenblicklich in mir und kann als mein persönlicher Auslöser
angesehen werden, und ich machte mich „auf den Weg“ (A M W E G-Modell). Ich bin Hausfrau und Mutter von zwei
Kindern und diese Abschlussarbeit des Coachinglehrgang 2011, Wien, stellt eine enorme Herausforderung für mich
dar. Vor der Geburt meines Sohnes und meiner Tochter war ich nach der Matura mit Leib und Seele über zwölf Jahre
Büroangestellte.
Nach achtjährigem überzeugtem Mutterdasein nehme ich am Coachinglehrgang 2011 teil und sehe nun neue Möglich-
keiten für meinen beruflichen Neubeginn, in den ich meine Erfahrungen einbringen kann
Kapitel 1 Was ist Mama-Coaching?
1.1 Definition
Mama2-Coaching leitet sich aus dem systemischen Coaching ab und meint die gleichberechtigte zukunftsorientierte
Zusammenarbeit zwischen zwei Menschen, mit dem Ziel, die Mutter-Kind-Beziehung zu reflektieren.
Diese Zusammenarbeit wird durch Konversation möglich: Der Mama-Coach unterstützt den Coachee3, auf Lösungen
195
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
und Ziele fokussiert zu bleiben. Die Konversation wird nicht nach einem vorherbestimmten zeitlichen Rahmen oder nach
einer konkreten Anzahl von Sitzungen beendet, auf die man sich geeinigt hat, sondern dann, wenn der Coachee sich
zuversichtlich genug fühlt, ohne Coach weiterzumachen.4
Wie im systemischen Coaching übernimmt der Mama-Coach die Verantwortung für die Gestaltung des Coachingprozes-
ses (Fragen) und der Coachee jene des Inhalts (Anliegen/Problem).
1.2 Idee
Mama-Coaching ist ein Spezialangebot auf dem Coachingmarkt, eine Spezialität aus dem Coachingmenü, das vor allem
Mütter ansprechen soll. Mama-Coaching ist ein Angebot für Frauen, deren Lebensgestaltung durch Familie, eigene
Kind(er) oder Kinder aus Patchwork-Beziehungen geprägt ist.
Die Neuropsychiaterin Louann Brizendine hat eindrucksvoll und mir persönlich gut nachvollziehbar festgehalten, wie
sehr die Geburt eines Kindes das Leben von Frauen verändert:
„’Wenn du Mutter wirst, bist du für immer ein anderer Mensch’, hatte meine Mutter mich gewarnt. Sie hatte recht. Meine
Schwangerschaft ist lange vorüber, aber noch immer lebe und atme ich für zwei; mit Körper und Seele hänge ich an
meinem Kind – es ist eine so starke Bindung, wie ich es nie für möglich gehalten hätte. Seit mein Kind geboren wurde,
bin ich zu einer anderen Frau geworden …. Durch die Mutterschaft verändert sich eine Frau, weil sich buchstäblich ihr
Gehirn wandelt – mit seiner Struktur und mit seinen Funktionen; und in vielerlei Hinsicht sind die Veränderungen nicht
mehr rückgängig zu machen.“ 5
Durch das Mamawerden dreht sich im Leben der Frau plötzlich vieles rund um das Kind. Im Mama-Coaching soll sich
alles um die Frau und Mutter drehen.
1.3 Zielgruppe
Die Zielgruppe im Mama-Coaching scheint allein durch den Namen selbsterklärend. Im ersten Moment scheint „Mama-
Coaching“ ausnahmslos Mütter mit Kleinkindern anzusprechen. Doch Mutterschaft hat viele verschiedene Implikationen,
abhängig von der jeweiligen konkreten Lebenssituation. Und Mütter leben in einem Beziehungsgeflecht zu anderen
Personen. Mama-Coaching adressiert sich daher an folgende Personen:
- Frauen mit Kinderwunsch
- Werdende Mütter
- Eltern
- Geschiedene Eltern
196
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- Mütter von Kleinkindern, die ihren neuen „Job“ noch nicht verinnerlicht haben
- Vollzeitmütter
- Berufstätige Mütter
- Tagesmütter
- Pflegemütter
- Leihmütter
- Mütter adoptierter Kinder
- Mütter, deren (zwei oder mehr) Kinder in unterschiedlichen Lebensphasen stecken
(Kindergarten, Schule, Pubertät etc.)
- Mütter, die in „Patchworkfamilien“ leben
- Alleinerziehende Mütter
- Väter, die in Karenz sind oder sich darauf vorbereiten wollen
- Mütter, deren Kinder „flügge“ geworden sind
- Verwitwete Mütter und Väter
- Mütter in den Wechseljahren
- Mütter in Pension
- Töchter/Söhne
- Großmütter und Großväter
1.4 Was ist unter Mama-Coaching zu verstehen?
Ein diplomierter Coach, der sich zum Mama-Coach spezialisiert hat, bietet eine Dienstleistung an, bei welcher während
des Mama-Coachings der Mama-Coach seinen Schwerpunkt auf lösungsorientiertes Fragenstellen, aufmerksames Zu-
hören und zusammenfassende Rückmeldungen legt. Dabei wird dem Coachee ermöglicht, seine Gedanken zu ordnen
und Ziele zu formulieren. Seine Ressourcen werden wahrgenommen und erste Schritte in Richtung einer Lösung werden
planbar.6
Mama-Coaching soll ein Auffangort, ein Ort der Aussprache und Ruhe, eine Oase der Neufindung, eine Quelle der Mög-
lichkeiten, ein Platz für Zeit sein.
Das Setting des Mama-Coachings, also der Raum, in dem das Coaching-Gespräch stattfindet, soll sich sehr nüchtern
und reizarm präsentieren. Tagtäglich prasseln unzählige Eindrücke auf uns nieder, die uns zu Gedankenkarussellen zwin-
gen, ob gewollt oder ungewollt. Deshalb sollte der Raum, in dem das Mama-Coaching abgehalten wird, möglichst pu-
ristisch eingerichtet sein (helle, hohe Räume, bequeme Sessel, einfacher Tisch, Fenster, wenig Ablenkung: keine Bücher,
keine Bilder, keine persönlichen Gegenstände des Mama-Coach). Das Coaching-Lokal soll einladend und aufmunternd
197
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
von außen wirken, Schild und Logo müssen grafisch ansprechend sein, das Schaufenster ungewöhnlich-auffallend.
1.5 Zahlen/Fakten/Leistung
- Wirtschaftliche Organisationsform
Einzelunternehmer, allein oder in Praxisgemeinschaften und in Kooperation mit diversen sozialen Einrichtungen
- Finanzielles
- Startkapital = Eigenkapital
- Erste Coachingstunde = EUR 40,--
- Jede weitere = EUR 80,-- (oder mehr)
- Naturalzahlung möglich: z.B. Coachee ist Friseur und „zahlt“ dem Coach einen Haarschnitt,
Coachee ist Fotograph und „zahlt“ dem Coach eine Fotosession, etc….
- Zeitplan
- 1.-3. Monat: Visitenkarten, Broschüre, Logo, Homepage entwickeln
- 4.-6. Monat: Coaching-Raum finden, Einrichtung entwickeln
- 9.-12. Monat: Klienten gewinnen
- Wie werden Klienten gewonnen? Über
- Schule, Kindergarten
- MAG 11 (Kinder, Jugend und Familie)
- Psychologen
- Laufkundschaft
- Mundpropaganda: zufriedene Klienten als beste Quelle für Neukunden
- Arbeitszeiteinteilung
20 Std/Wo z.B. 4 Vormittage je 2-3 Sitzungen (max. 2 Stunden pro Sitzung), je nach Nachfrage steigerbar
- Entwicklung
Am Beginn allein, eine spätere Erweiterung auf ein Team wird nicht ausgeschlossen.
Kooperation mit Zusatz- bzw. Anschlussangeboten wie z.B. mit Friseur/Kosmetik/Massage: „Nach dem Coaching eine
Massage“ (Mama-Wellness/Spa).
198
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1.6 Entwicklung/Ziel
- Individuelle Lösung von Anliegen/Problemen
- Nach Abschluss des Coachings: Nachfassung, 4 Wochen später Kontaktaufnahme über Zufriedenheit,
Standortbestimmung
- Stärkung der Anerkennung von Müttern in ihrem sozialen Umfeld
- Angebot von Team-Coachings für Mütter
- Laufende Überprüfung der angewandten Methoden und Weiterentwicklung des AMWEG-Modells
anhand von Feedbacks
- Anpassung, Mitgestaltung und Entwicklung zum Thema Kinderbetreuung
- Beobachtung und Feststellen von Trends
- Mütterstatus am Arbeitsplatz und in der Gesellschaft
- Papa-Coach
Kapitel 2 Mama Coaching nach dem M-Modell (A M W E G)
Das „M“ im AMWEG-Modell steht natürlich in erster Linie für M-AMA, aber auch für M-ANN und selbstverständlich für
M-ENSCH.
Das „M“ als Buchstabe beschreibt einen Weg von Strichen, die verschieden lang sind und in unterschiedliche Richtun-
gen verlaufen und gezogen werden. Grundsätzlich versteht sich der Weg, den ein M für das AMWEG-Modell im Mama-
Coaching beschreibt, als einer mit vier prägnanten Eck- bzw. Wendepunkten, dem A M W E G.
199
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
A USLÖSER
M UT
W UNSCH
E RKENNTNIS
G EWINN
Menschen stecken täglich in einer Krise. Und Krise bedeutet, aus dem Griechischen abgeleitet, nichts anderes als „Ent-
scheidung“, „Meinung“, „Zuspitzung“, …, auch „Auslöser“.
Ein plötzlicher emotionaler Impuls löst das Bedürfnis aus, „sich auf den Weg zu machen“ (Auslöser), daraufhin wird der
Mut, den es dazu braucht, zu diesem Aufbruch zu stehen, wahrgenommen und gewürdigt. Ein Wunsch entwickelt sich
und kristallisiert sich heraus. Eine Erkenntnis wird gewonnen und damit der Weg freigeschaufelt für den Gewinn des
Aufbruchs. Das Ziel wird gesichtet.
Wie die Hirnforschung nach Hüther erkannt hat, wird die erste Entscheidung (in Millisekunden) immer im ES (also in der
Intuition/Emotion) getroffen und erst dann im ICH (im Verstand/in der Ratio) bestätigt.7
Wie auch immer wir Menschen und insbesondere die Mutter im Mama-Coaching in Krisen intuitiv handeln mag, mit
dieser Handlung ist der erste Schritt des AMWEG-Modells gesetzt:
AUSLÖSER
In unserem Leben gibt es immer einen Auslöser, der uns zu einer Frage oder Antwort zwingt, der uns Entscheidungen
fällen lässt, der uns zum Handeln und Aktivwerden drängt. Wenn sich also eine Mutter entschließt, einen eigenen Weg
einzuschlagen, so gibt es dafür einen Auslöser. Und nach diesem Auslöser darf/soll im Mama-Coaching gefragt werden.
Stellen wir uns in der ersten Mama-Coachingstunde eine Mutter in Karenz vor, die nach zweijähriger Babypause ihren
beruflichen Wiedereinstieg überdenkt. Sie ist Ärztin und hat die Möglichkeit, in die „alten“ Strukturen des Krankenh-
ausdienstes zurückzukehren oder sich mit Kollegen selbständig zu machen. Die Frage nach dem AUSLÖSER, der sie
zur Auseinandersetzung mit der Berufsgestaltung zwinge, begründet die Frau mit dem kürzlich zwischen ihr und dem
Krankenhauschef geführten Telefonat. Während des Gesprächs sei ihr klar geworden, dass nurmehr ein anspruchsloser
Job auf sie warte, den sie keinesfalls ausfüllen wolle. Für sie wäre vielmehr ein langsameres Leben, ohne äußeren Druck,
erstrebenswert.
Im Mama-Coaching-Prozess sollte deshalb möglichst zu Beginn der AUSLÖSER durch Fragen eruiert werden:
- „Gab es einen Auslöser, der Sie zu mir/zu dieser Überlegung, Entscheidung … geführt hat?“
200
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
- „Was genau, welcher Auslöser, hat Sie zum Handeln veranlasst?“ oder
- „Wann genau ist dieses Gefühl aufgetreten?“
Dadurch wird die Ausgangslage des Coachees ganz deutlich umschrieben und definiert. Dem Coachee wird die Möglich-
keit gegeben, nochmals kurz zurückzublicken. Im Auslösermoment liegt die entscheidende Information, denn in dieser
rückblickenden Situation kann der Coachee oft schon sein Ziel formulieren. Dieser Moment ist auch für den Mama-
Coach sehr wichtig, denn er enthält die meisten lösungsorientierten Informationen
„Wir müssen uns des Auslösers einer Emotion nicht bewusst sein und sind es auch häufig nicht. Außerdem können
wir unsere Emotionen nicht willkürlich kontrollieren. Sie können in einem traurigen oder glücklichen Zustand sein und
trotzdem nicht wissen, warum Sie sich gerade jetzt in diesem Zustand befinden. Eine sorgfältige Prüfung kann vielleicht
mögliche Gründe zutage fördern, und der eine oder andere Grund mag plausibler sein als ein anderer, aber oft können
Sie sich einfach nicht sicher sein. Der tatsächliche Grund mag die Vorstellung eines Ereignisses gewesen sein, eine
Vorstellung, die durchaus das Potential hatte, bewusst zu werden, es aber nicht wurde, weil Sie Ihre Aufmerksamkeit auf
etwas anderes gerichtet hatten.“8
In einer Art fließendem Übergang wird durch den Mama-Coach der Coachee würdig verstanden. Der Mama-Coach
drückt seine Annerkennung (Ressource) nach MUT gegenüber dem Coachee aus:
M U T
Den Mut des Coachees zu erwähnen und zu unterstreichen ist ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil im Mama-
Coaching.
Nehmen wir das Beispiel der Ärztin in Karenz: Wenn nun der Mama-Coach anerkennt, dass der Coachee als Ärztin viele
Jahre lang wertvolle Arbeit im Krankenhaus geleistet hat und jetzt zwei Jahre gut für das Kind gesorgt hat, so fühlt sich
der Coachee bestätigt. Und wenn der Mama-Coach noch hinzusetzt, dass es sicher nicht leicht ist, eine Entscheidung zu
finden, so bestärkt das den Coachee, eine Entscheidung finden zu wollen.
Es ist wichtig, dass der Mama-Coach hier den Coachee erkennen lässt, was er schon geleistet hat, denn oft ist es so,
dass sich im Mutteralltag viele Fragen und Unsicherheiten ergeben, die unbeantwortet bzw. ungelöst bleiben. Dadurch
entstehen Konflikte und Situationen, in denen sich Mütter teilweise überfordert fühlen und ratlos zurückbleiben.
Die Anerkennung durch den Mama-Coach tut dem Coachee gut. Der Coachee soll hier sich selbst (wieder) finden bzw.
etwas annehmen. Den „Mut“ bei sich selbst annehmen und gutheißen bzw. genießen, ist ein wichtiger Prozess im Mama-
Coaching:
201
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
„Selbstliebe – sich selbst zu lieben – macht attraktiv.“
Thomas Koditek9
Durch die vom (Mama-)Coach vermittelte Wertschätzung und Sicherheit sowie andauernde Präsenz wird die Suchschlei-
fe nach Lösungen beim Coachee sehr stark angeregt.10
Peter Szabo und Insoo Kim Berg bestätigen in ihrem Buch über Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung Folgendes:
„Machen Sie Komplimente. Wertschätzung ist ein wesentlicher Bestandteil des lösungsorientierten Ansatzes. Zu bestä-
tigen, was KlientInnen bereits gut machen, und anzuerkennen, wie schwierig ihre Probleme sind, ermutigt KlientInnen,
sich zu verändern, während gleichzeitig Verständnis und Mitgefühl des Coaches vermittelt werden. Komplimente in der
Konversation können hervorheben, was der/die KlientIn richtig macht.“11
Durch diese MUT-Anerkennung seitens des Mama-Coaches wird eine Kraft beim Coachee freigesetzt, die ihn endlich
seine WÜNSCHE formulieren lässt.
W U N S C H
Im Mama-Coaching ist Wunsch gleichbedeutend mit Ziel.
Oft ist es nämlich so, dass Mütter mit den Veränderungen und Entwicklungen, die sich im Laufe des Familienlebens
ergeben, nicht wirklich Schritt halten können und Schwierigkeiten haben, damit umzugehen. Ihr Selbstwertgefühl in der
Rolle als Mutter verkümmert, die Bedürfnisse als Frau und Partnerin werden gänzlich verdrängt. Auch der Zeitfaktor darf
nicht außer Acht gelassen werden. Mütter nehmen sich sehr stark zurück und vergessen dabei auch die Zeit mit und für
sich selbst.
Genau in dieser W U N S C H Phase werden neue Ziele (auch Sehnsüchte) formuliert.
Zu diesem Zeitpunkt im Mama-Coaching-Prozess ist es ganz wichtig, sich als Mama-Coach voll und ganz zurückzuneh-
men. Empathie weicht der Abgrenzung. Der Coach als Begleiter soll im Idealfall nur mehr als Zuhörer und „Aufnahme-
leiter“ agieren, vergleichbar mit den Stadien im U-Modell nach Otto Scharmer „letting come“ und „crystallizing“12, jene
Schritte, die fast miteinander verschmelzen.
Auch wenn wir als Mama-Coach eine Veränderung beim Coachee spüren oder erahnen, sollte sich der Coach in völliger
Zurückhaltung üben. Gerald Hüther hat Folgendes erforscht: „Sie haben damit die höchste Stufe der Wahrnehmungsfä-
higkeit eines menschlichen Gehirns erreicht. Dorthin kann nur jemand gelangen, dem es im Lauf seines Lebens immer
wieder gelungen ist, ein Gleichgewicht zwischen Gefühl und Verstand, zwischen Abhängigkeit und Autonomie sowie
202
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
zwischen Offenheit und Abgrenzung zu finden. Um seine Sinne in dieser Weise zu schärfen, muss ein Mensch lernen,
sowohl festhalten als auch loslassen zu können. Er muss die Fähigkeit entwickeln, sich einer bestimmten Wahrnehmung
voll und ganz zu widmen, sie in sich aufzunehmen und zu spüren, was diese Wahrnehmung in ihm auslöst. Und er muss
das dabei entstandene innere Bild mit all den dort bereits entstandenen Bildern zu einem einheitlichen ganzen Bild, das
dann eher einer Empfindung gleicht, verschmelzen lassen. Dabei darf er nicht selbst vor Begeisterung über diese Emp-
findung „dahinschmelzen“, sondern er muss sich wieder davon lösen können und sie doch fortan in sich bewahren. Nur
so ist er später in der Lage, neue, andere Wahrnehmungen über andere Sinneseingänge aus seiner äußeren wie auch aus
seiner inneren Welt mit der gleichen Intensität aufzunehmen und zu spüren, was dabei in ihm und mit ihm geschieht, und
die dabei entstandenen „Empfindungsbilder“ mit allen anderen, bereits abgespeicherten zu einem inneren umfassende-
ren Bild seiner inneren und äußeren Wirklichkeit zusammenfügen. Jeder von uns hat das einmal zumindest in Ansätzen
gekonnt, als er noch ein Kind war.“13
In diesem Moment findet die Höchstdisziplin im Mama-Coaching statt.
E R K E N N T N I S
In der ERKENNTNIS formuliert der Coachee quasi wie von selbst bzw. automatisch seinen Zugang zur Lösung.
Der Mama-Coach wiederholt nur im Wording des Coachees, er wendet die Wortwahl des Coachees an, um kurz zusam-
menzufassen:
- „Habe ich Sie richtig verstanden, dass Sie den Dialog suchen?“
- „Es liegt also an der Babysitter-Auswahl, die Sie daran hindert, unbeschwert ihre gewonnene Zeit zu genießen“?
G E W I N N
In der GEWINN-Phase bestätigt der Coachee nur mehr seine ERKENNTNIS. Die ersten Schritte in Richtung Lösung bzw.
Veränderung werden gefestigt. Diese werden mehrmals wiederholt und gegebenenfalls im Rollenspiel/wechsel nochmals
zur Verankerung nachempfunden. Rückfragen, in denen „kleine“ Hausaufgaben verpackt sind, können vom Mama-Coach
beispielsweise wie folgt formuliert werden:
- „Wäre das eine Möglichkeit, dass Sie den Dialog suchen?“
- „Sehen Sie sich in der Lage, diese Aussprache zu führen?“
- „Gibt es jemanden, der Ihnen bei der Babysitter-Auswahl behilflich sein könnte“?
Mit dem Coachee wird vereinbart, ob ein weiteres Coaching folgen soll. In jedem Fall wird seitens des Mama-Coach
beim Coachee um Erlaubnis gefragt, in 2-4 Wochen nach der Zufriedenheit und dem Veränderungsprozess nachfragen
zu dürfen.
203
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Kapitel 3 Fragen – das wesentliche Tool im Mama-Coaching
3.1 Die Kunst des Fragens
Die wichtigste und wesentlichste Aufgabe des Mama-Coach ist, geschickte Fragen zu stellen, denn eine Frage lenkt stets
die Aufmerksamkeit, den Fokus auf einen bestimmten Wahrnehmungsaspekt in unserer Welt.
Nach Michael Marquardt14 werden in unserer Gesellschaft nicht nur Fragen gestellt, um nach Antworten zu suchen bzw.
um Informationen auszutauschen, sondern auch, um Verantwortung zu übernehmen.
Angesichts des Stellenwerts, den Fragen im systemischen Coaching haben, gilt es also, über geschicktes und gezieltes
Fragen Leerstellen ins Bewusstsein zu bringen und auszufüllen.
Wer die Kunst des Fragens beherrscht und es versteht, Themen gezielt einzukreisen, hat mehr Erfolg in Verhandlungen,
Gesprächen oder im täglichen Miteinander. Das gilt auch für das Mama-Coaching, denn der Aspekt, welche Fragen wie
und wann gestellt werden, beeinflusst den Erfolg des Coachingprozesses ganz wesentlich. Durch den ganz persönlichen
Fragenablauf und individuellen Fragestil des Coaches gelingt es, den Coachee selbstständig auf die Lösung zu bringen.
Insbesondere bei den ersten Coachinggesprächen können die 5 Phasen des Fragens nach Christopher Rauen als hilfrei-
cher Leitfaden für den Gesprächsablauf dienen. Es versteht sich von selbst, dass die Fragestellungen auf die Coaching-
situation individuell angepasst werden müssen.
- Phase 1: Come together. Kennenlern- und Kontaktphase
- Phase 2: Orientation. Inhaltliche Orientierung
- Phase 3: Analysis. Untersuchung des Klientenanliegens und des Klientenumfelds
- Phase 4: Change. Veränderungsphase
- Phase 5: Harbour. Zielerreichung und Abschluss.15
In jedem Gespräch ist es eine „Kunst“, die richtige Frage zum richtigen Zeitpunkt zu stellen. Gerade im systemischen
Coaching gilt diese Feststellung in mehrfacher Hinsicht, dreht sich doch alles nur darum, die richtige Frage zum richti-
gen Zeitpunkt zu stellen. Die folgenden Ausführungen beleuchten die unterschiedlichen Arten von Fragen, die im Zent-
rum des systemischen Coachings stehen, und illustrieren diese anhand zahlreicher praktischer Beispiele.
3.2 Inhaltsfreies „Fragen“
Insbesondere das inhaltsfreie Fragen, losgelöst vom Inhalt, d.h. vom Gesagten, lässt auf die Fähigkeit des Coaches
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schließen. Systemische Fragen sind niemals Suggestionsfragen. Wie Sonja Radatz in ihrer Einführung in das systemi-
sche Coaching16 erläutert, überwiegen im Alltag geschlossene Fragen, die nur mit Ja oder Nein zu beantworten sind,
systemische Fragen hingegen zeichnen sich durch die Verwendung der so genannten W-Wörter aus: wie, was, wann, wer,
womit? etc. Dabei wird das Ziel verfolgt, dass durch jede Frage künftige Handlungen anders ablaufen als bisher. Beson-
dere Bedeutung kommt dem Fragewort „warum“ zu.17 Die Frage nach dem „Warum“ sollte im systemischen Coaching
möglichst weggelassen werden. Dies vor allem deshalb, weil Fragen des Typs „Warum ist Ihnen dies nicht gelungen?“
den Coachee frustrieren können. Es ist deshalb – wie Sonja Radatz festhält – „sehr hilfreich, das ‚Warum?’ durch ein ‚Wie
kommt es dazu, dass …?’ oder ein ‚Wie sind Sie konkret darauf gekommen, dass …?’ zu ersetzen“18.
Frei übersetzt nach John Whitmore, heißt es ebenso, geschlossene Fragen zu stellen, bewahre die Menschen vor dem
Denken, jedoch offene Fragen zu stellen, veranlasse sie, über sich selbst nachzudenken.19
Fragen – vor allem inhaltsfreie Fragen – sind das Werkzeug im systemischen Coaching. Um dieses Werkzeug richtig
einzusetzen, werden drei Arten von Fragestellungen unterschieden:20
- Fragen ins Ziel/Thema/Problem
- Dissoziierende und Assoziierende Fragen
- Fragen nach Ressourcen/Future Pace
3.2.1 Fragen ins Ziel/Thema/Problem
„Mit Hilfe von Informationsfragen ergründet der Coach z.B. die Berufswelt oder das private Umfeld seines Coachees.
Dabei nimmt er Informationen über seine Funktion, seine Stellung im Unternehmen oder Einflüsse seiner Umwelt auf
ihn auf. Ebenso werden relevante Fakten aus seinem Privatleben erhoben, wie Ausbildungsgang, Familienstand, etc.“21
Linda Kaszubski22 empfiehlt, das Wort „Problem“ im Rahmen des Coaching durch das Wort „Thema“ zu ersetzen, um
die Coachingsituation durch den „Problem“-Begriff nicht von vornherein zu belasten. Führt man sich jedoch vor Augen,
dass der aus dem Griechischen abgeleitete Begriff „Problem“ im übertragenen Sinn u.a. für „Stein des Anstoßes“, für
ein „Hindernis“, steht, kann die Verwendung des Begriffs im Coaching durchaus angebracht sein, geht es häufig doch
darum, – sinnbildlich gesprochen – „Hindernisse“, „Stolpersteine“, im Rahmen des Coachingprozesses zu orten und
aus dem Weg zu räumen.
Beispiele:
- Bei welchem Thema/Anliegen/Problem, welcher Frage, kann ich Sie unterstützen?
- Wie beschreiben Sie Ihre momentane Situation?
- Welchen Schritt wollen Sie setzen/stellen Sie sich vor, um Ihr Ziel zu erreichen?
- Wo möchten Sie leben?
- Wer bzw. was möchten Sie sein?
- Wie hätten Sie es denn gerne?
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- Mit wem möchten Sie Ihre Zeit verbringen?
- Wie soll Ihr Haus bzw. Ihre Wohnung aussehen?
- Womit möchten Sie Ihr Geld verdienen?
- Was möchten Sie in Ihrer Freizeit tun?
- Wie soll Ihr Alltag aussehen?
- Welchen Zustand wünschen Sie sich am Ende des Coachings?
- Woran merken Sie die Beendigung unseres Coachings?
- Wir haben noch 20 min, sagen Sie mir, wie für Sie am Ende das Coaching gut war?
3.2.2 Assoziierende Fragen
Assoziierende Fragen lehnen sich stark an Ressourcefragen an. Es macht dann Sinn, assoziierende Fragen zu stellen,
wenn der Coachee sich während des Gesprächs im Thema verfangen hat, aber es offenkundig ist, dass positive Aspekte
im Vordergrund stehen. Die Frage nach „Wann bringen Sie denn diese positiv besetzten Fähigkeiten am besten zum
Ausdruck?“ verstärkt dann zwar die momentane Gefangenheit im Thema, kann aber bewirken, dass der erste Schritt in
Richtung dissoziiert sein besser gelingt.
Deshalb sollte der Coach möglichst bald den Coachee in eine dissoziierende Frage verwickeln, damit dem Coachee die
Möglichkeit gegeben wird, sich und seine Situation im großen Ganzen zu sehen.
3.2.3 Dissoziierende Fragen
Die Betrachtung des Themas aus einem anderen Blickwinkel wird beim dissoziierten Fragenstellen angewandt. Das
Thema wird wie ein Theaterstück „von außen“ angesehen. Der Coach kann dabei auch den Coachee bitten, sich kurz vom
Sessel zu erheben, um den Sessel zu gehen, um die Situation von einem anderen Blickwinkel zu betrachten.
Dissoziierende Fragen kommen im systemischen Coaching dann zum Einsatz, wenn vom Coachee während des Ge-
sprächs schon ganz konkrete Personen, Identifikationsfiguren oder Wunschvorstellungen genannt wurden. Die eigene
Sicht der Dinge kann auf die genannten Personen verlagert werden und somit eine neue Betrachtungsweise hervorrufen.
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Beispiele:
dissoziierend assoziierend
Wie würde ein Freund/Kollege Ihre Situation beschreiben?
Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Vogel, was sehen Sie?
Wenn Sie Ihr Problem aus einer bestimmten Distanz betrachten (Coachee soll dabei aufstehen), was sehen Sie, wie würden Sie das Problem dann beschreiben?
Wenn Sie auf einem Titelblatt abgebildet wären, welche Zeitschrift wäre das und worum ginge es in dem Artikel?
Woran würden Sie heute in einem Jahr erkennen, dass Sie das Problem zu Ihrer Zufriedenheit gelöst haben?
Worin besteht Ihrer Meinung nach Ihre größte Stärke?
Worin besteht Ihrer Meinung nach Ihr besonderes Talent? Was können Sie sehr gut, ohne dass Sie sich dafür groß anstrengen müssen?
Wann bringen Sie Ihr/dieses Talent oder diese Fähigkeit am besten zum Ausdruck?
Sie möchten eine gute Mutter sein, was gelingt Ihnen denn besonders gut in ihrer Rolle als Mutter?
3.2.4 Fragen nach Ressourcen/Future Pace
Future Pace kann als ‚Schritt in die Zukunft’ (pacing = Schritt, Pfad mitgehen) verstanden werden. Gleichbedeutend wie
„die Zukunft spiegeln“.
Future Pace ist das geistige Erleben zukünftiger Situationen mit den gewünschten Ressourcen. Ziel des Future Pacing ist
es, sicherzustellen, dass die angestrebten Verhaltensweisen und Reaktionen in den entsprechenden Umgebungen ganz
natürlich und automatisch, also angepasst, eintreten werden.23
Auch im Rollenspiel kann die zukünftige Situation konkret herbeigedacht werden.
Beispiele:
- Hast du ein (Verhaltens-)Ziel? Wie wärst du und die Welt um dich herum, wenn du dein Ziel erreicht hättest? Stelle dir
dein neues Verhalten in einer konkreten Situation vor, sieh genau das Umfeld, sieh, wie du handelst! Ist es anstrebens-
wert? Spürst du Motivation?
- Betrachte und merke dir eine Sache, die richtig gut gelaufen ist! Was hättest du tun können, damit diese guten Erfah-
rungen noch besser geworden wären?
- Betrachte nun noch eine Sache, die noch nicht so optimal war. An welchen Punkten hattest du Wahlmöglichkeiten?
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Und nun stelle dir vor, wie du in einer ähnlichen Situation das nächste Mal besser reagierst. (Wähle dabei das Umfeld
deiner Vorstellung so, dass darin die Anker, die späteren Erinnerungssignale, für dein neues Verhalten vorhanden
sind.) Was hättest du besser machen können, wie wird dein neues Verhalten sein?
- Was ist Ihnen bislang gelungen?
- Welcher Impuls hat den Teilerfolg eingeleitet?
- Hat es diese Fragestellung schon einmal in Ihrem Leben gegeben?
- Und wie haben Sie sie damals erlebt?
- Was haben Sie damals dazu beigetragen?
- Welche Kraft oder welches Element hat Ihnen genützt, um dorthin zu kommen/um die Situation zu meistern?
- Welchen Einfluss hat die Zielerreichung auf Ihr Leben?
- Woran erkennen Sie die Zielerreichung?
- Nehmen wir an, das Ziel ist erreicht, was sehen Sie? Was fühlen/spüren Sie? Wie reagiert Ihre Umgebung?
3.3 Fragen zur Auftragserklärung
Eine Aufgabe richtig zu formulieren, ist oft schwieriger als sie anschließend richtig zu lösen.24
Im systemischen Coaching ist es für den Coach wichtig, einen klar definierten Auftrag zum Coaching vom Coachee
erteilt zu bekommen. Dieser kann am Beispiel der nachstehenden Fragestellung vom Coach selbst formuliert werden:
„Und was können wir beide hier gemeinsam dazu tun, damit Sie das von Ihnen genannte Ziel erreichen?“
Der Coach holt sich selbst den Auftrag ab, den der Coachee ganz klar bestätigt.
Beispiele
- Sind Sie interessiert, an diesem Thema mit mir zu arbeiten?
- Darf ich Sie bei diesem Anliegen unterstützen?
- Wenn ich Sie richtig verstanden habe, geht es darum, Sie dabei zu begleiten/unterstützen/mitzuhelfen?
- Darf ich Sie hier coachen?
3.4 Wunderfrage
Die Wunderfrage wurde von Steve de Shazer entwickelt und forscht nach hypothetischen Lösungen. Hierbei wird der
Coachee in eine Art Trance versetzt, indem auf spielerisch-erzählerische Weise angenommen wird, das Problem hätte
sich über Nacht wie durch ein Wunder aufgelöst.
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„Ein Wunder geschieht, während Sie schlafen – und durch das Wunder verschwinden die Probleme, derentwegen Sie
hier sind.
Da aber das Wunder geschieht, während Sie schlafen, können Sie nicht wissen, dass es geschehen ist.
Woran merken Sie und die Menschen um Sie herum, dass das Wunder geschehen ist?
Coachee und Coach machen sich in der realen, alltäglichen Welt des Coachees gemeinsam auf die Suche nach den
Anzeichen, die darauf hinweisen, dass das Wunder geschehen ist und die Probleme verschwunden sind. Da Zeichen des
Wunders nur in der realen Welt des Coachees zu finden sind, kann die Wunderfrage auch als Realitätsfrage betrachtet
werden.“25
„Fragen zu hypothetischen Lösungen lassen sich im Coaching in allen Gesprächsphasen nutzen. Sie eignen sich her-
vorragend, um Zielzustände erfinden zu lassen und aus diesem kreativen Zustand heraus ganze Lösungswege zu entwi-
ckeln.“26
Die Frage „Was wäre, wenn … über Nacht die gute Fee alle Wünsche erfüllt oder Sie über Nacht Milliardär geworden
wären?“ wird im Konjunktiv gestellt. Das Wording ermöglicht eine Vision, denn im Wünschen ist alles möglich.
„Diese Frage löst eine Vielzahl von Veränderungsprozessen aus. Zum einen wird der Fokus vom Problem auf die Lösung
des Problems verlagert. So können völlig neue Denkprozesse in Gang kommen. Die Frage ist völlig offen, schließt keine
Möglichkeiten aus. Auch ziemlich unwahrscheinliche oder unrealistische Ideen können in Betracht gezogen werden.
Die Wunderfrage im Coaching öffnet eine größtmögliche Bandbreite an Möglichkeiten, über die Lösung des Problems
nachzudenken.“27
Beispiele:
- Stellen Sie sich vor, Sie gehen nach unserer Coachingsession nach Hause und verbringen den Abend wie gewöhnlich
mit Ihrer Familie/Freunden … etc. und gehen dann schlafen. In dieser Nacht schlafen Sie tief und fest und merken
nicht, dass plötzlich ein Wunder geschieht. Alle Ihre Sorgen sind plötzlich gelöst. Sie wachen am Morgen ausgeschla-
fen aus, wissen aber nicht, dass das Wunder passiert ist, weil Sie ja geschlafen haben.
- Woran würden Sie erkennen, dass etwas anders ist?
- Woran noch?
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3.5 Skalierungsfrage
„Skalierungsfragen eignen sich immer dann, wenn wir mit gewöhnlichen Fragen nicht weiterkommen. Oder wenn es
darum geht, beim Gesprächspartner eine rasche Einschätzung der Situation zu erreichen.“
Wird eine Skalierungsfrage als Coachingpartikel in einem ganz gewöhnlichen Gespräch gestellt, sollte dies allerdings
gut vorbereitet werden – etwa mit der Einleitung:
- „Ich hätte da eine Frage, die Ihnen vielleicht komisch vorkommt, aber mir hilft sie immer, eine rasche und hilfreiche
Einschätzung meiner derzeitigen Situation zu erarbeiten. Hätten Sie Lust, dass ich sie Ihnen stelle?“28
Es besteht auch die Möglichkeit, dem Coachee vorab die Wunderfrage zu stellen, um dann über die Skalierungsfrage
die Selbsteinschätzung seiner momentanen Situation präziser auszurichten. Wie Peter Szabo erklärt, sind „Skalie-
rungsfragen eine weitere hervorragende Möglichkeit, Wunderbilder in den realen Alltag einzubetten.“29
Beispiele:
- Ausgehend von einer Skalierung von 1 bis 10, wobei die Stufe 1 wirklich schlimm, schlecht, letztklassig, wenig erstre-
benswert, absolut inakzeptabel ist, hingegen Stufe 10 das große Glück, den erträumten Erfolg, die Verwirklichung aller
Wünsche bedeutet, wo würden Sie Ihren derzeitigen Zustand einreihen?
- Welche Zahl taucht als erste auf?
- Wo stehen Sie derzeit?
- Woran würden Sie merken, dass Sie einen Schritt/Stufe weiter sind?
- Woran noch?
- Was haben Sie gemacht, um auf diese Stufe zu kommen?
- Was genau sagt Ihnen, dass Sie auf dieser Zahl sind?
- Stellen Sie sich vor, ich würde Ihren besten Freund (Mutter, Sohn, Partner etc.) fragen, was würde diese Person sagen,
woran erkennbar wäre, dass Sie einen Schritt höher wären?
- Wir haben noch 20 min Zeit, wohin wollen Sie kommen?
- Wollen Sie auf Stufe 9 kommen oder ist 8 für Sie ideal?
3.6 Systemischer Zielrahmen
Nachdem ein positiver Auftrag durch den Coachee an den Coach erteilt wurde, eignet sich die Anwendung des „syste-
mischen Zielrahmens“ besonders als „Kennenlern- bzw. Sondierungsgespräch“. Der systemische Zielrahmen wird im
Coaching auch als ein „gesprochenes Tool“ verstanden (im Gegensatz zur hermeneutisch-strukturgenetischen Textinter-
pretation nach Prof. Dr. Thomas Koditek).
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Beispiele
- Zielformulierung (z.B. „Ich zeige wer ich bin“, „Wie lautet die Frage?“)
- Wofür wäre es gut, wenn Sie es hätten?
- Woran genau werden Sie erkennen, dass Ihr Ziel erreicht ist? Woran werden Sie es merken?
- Welche(n) Preis/Konsequenzen hat die Erreichung für Sie? Und für andere?
- Was bekommen/gewinnen Sie? Und die anderen?
- Welche Ressourcen brauchen Sie?
- Was davon haben Sie schon?
- Wer würde Sie dabei unterstützen?
- Wie sehen die ersten konkreten Schritte zur Umsetzung aus?
Fragebox – 10 zurechtgelegte Fragen
für die erste Mama-Coaching-Stunde:
1Wie sind Sie zu mir/uns gekommen? Was hat sich bis jetzt/seit unserem letzten Kontakt getan? Gab es einen AUSLÖSER? Was haben Sie bis jetzt unternommen? Schildern Sie mir doch kurz Ihre Situation? Wie verbringen Sie Ihre Zeit?
2Ich verstehe, es war sicher nicht leicht, das zu ertragen! Ich kann sehen, dass Sie schon vieles versucht und unternommen haben. Ich bin beeindruckt (MUT). Wie hätten Sie es denn lieber?
3Was vermuten Sie, was könnte im besten Falle hier im Coaching passieren/erreicht werden, damit Sie mit einem guten Gefühl nach Hause gehen? Wie hätte sich das Coaching für Sie gelohnt?/Was muss sich nach dem Coaching verändert haben?Wie lautet Ihre Frage? (WUNSCH)
4 Hierbei darf ich Sie coachen/unterstützen?
5 Wunderfrage – Gedankenreise – Stellen Sie sich vor … verbunden mit der Skalierungsfrage
6 Was können Sie selber zur Klärung der Situation/des Problems beitragen? Was ist wichtiger für Sie?
7 Woran würden Sie etwas merken? Wer in Ihrer Familie/Umgebung würde zuerst eine Veränderung bemerken? (ERKENNTNIS)
8 Wie fühlt sich das jetzt für Sie an?
9 Angenommen, Sie würden sich in dieser Situation so fühlen, was wäre anders? (GEWINN)
10Ich schlage Ihnen vor, dass Sie sich morgen so verhalten, als wäre das Wunder eingetreten, und Sie berichten mir dann in unserer nächsten Stunde, wie der Tag gelaufen ist. Einverstanden?
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Vision:
„Jeder Mensch hat seine Vision. Bewusst oder unbewusst streben wir nach Glück, Harmonie, Geborgenheit, Sicherheit
etc. Die wenigsten von uns haben schon darüber nachgedacht, was in unserer Bedürfnishierarchie ganz oben steht. Das
ist individuell verschieden. Auch wenn wir uns dessen nicht bewusst sind, lassen wir uns in vielem von unserer Vision
leiten. Die Vision ist immer etwas Abstraktes. Ziele sind konkret und können sich mit der Zeit verändern. Die Vision
bleibt.“ 30
Die Vision ist also ein Gefühl, eine Ahnung von etwas, das tief in uns verwurzelt ist. In der Vision steckt das ur-mensch-
liche eines jeden von uns. Unsere Vision ist zeitlos und gibt uns für einen Augenblick das Gefühl, unsterblich zu sein.
Meine Vision vom Mama-Coaching in 5 Jahren schlagwortartig formuliert:
Neben Supermarkt, Bank, Friseur, Bäcker, Parfümerie und Modegeschäft gibt es auch die Freiheit und Möglichkeit, ins
Mama-Coaching zu gehen. Spontan, teilweise ohne Voranmeldung, sollen in Form eines Impulses oder Speed Coa-
chings erste Anliegen zur Aussprache kommen können. Die Laufkundschaft als neue Zielgruppe. Nach dem Motto:
„Ich nehm’ mir noch schnell ein Mama-Coaching!“
Mama-Coaching als ein weit verbreiteter, bekannter Begriff, der als Schlagwort in Verbindung mit Anerkennung der Frau
als Mutter verbunden wird und gleichsteht für Respekt, Toleranz und Wertschätzung gegenüber Müttern im Familienall-
tag.
Mama-Coaching als erkannte Möglichkeit der Kurzzeit-Auszeit für Mütter, Frauen, Männer et al., in der Lösungsfindung
praktiziert wird (Kinderbetreuung inklusive).
Mama-Coaching als Corporate Identity für einen hellen, neutralen Raum, der Ruhe und Sicherheit gibt.
Mama-Coaching als Wellness und Spa für die Mensch-Seele.
Mama-Coaching im Tauschgeschäft.
Mama-Coaching jederzeit.
Beim Verfassen dieser Arbeit befand ich mich eindeutig im „Arbeitsflow“. Der Psychologe Mihaly Csikszentmihalyi31
meint, diese völlige Vertiefung in die eigene Tätigkeit erreiche man, wenn wir weder über- noch unterfordert sind und ei-
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
nen unmittelbaren Erfolg unserer Tätigkeit sehen. So soll es sich jedenfalls für mich in Zukunft während eines Coachings
anfühlen.
1) Zitat aus dem Modul IV des Coachinglehrgangs 2011 in Wien.2) Der „Kosebegriff“ „Mama“, der „Mutter“ meint, wird hier als Erstbezugsperson des Kindes verstanden und steht auch gleichbedeutend für „Papa“ oder jeden anderen „Kosebegriff“.3) In dieser Arbeit ist der Begriff „Coachee“ gleichbedeutend wie Klient oder Kunde.4) vgl. Szabo/Berg 2006, S. 15.5) Brizendine 2007, S. 153.6) vgl. Meier/Szabo 2008, S. 10.7) vgl Koditek, 2008, S.42.8) Damasio 2000, S. 63-64.9) Zitat aus dem Modul IV des Coachinglehrgangs 2011.10) Wie beim Modul IV des Coachinglehrgangs 2011 von Prof. Dr. Thomas Koditek gelehrt.11) Szabo/Berg 2006, S. 26.12) vgl. Koditek 2008, S. 88-93.13) Hüther 2001, S 106-107.14) vgl. Marquardt 2005.15) vgl. Rauen (Hg.) 2004, S 11-12.16) vgl. Radatz 2006, S. 35.17) vgl. Radatz 2006, S. 35.18) vgl. Radatz 2006, S. 35.1920) Die folgende Auflistung und die darauf aufbauenden Unterkapitel geben Inhalte aus dem Coachinglehrgang 2011, Wien, wieder.21) Niermeyer 2003, S. 93.22) Mag. Linda Kaszubski, Leiterin des Coachinglehrgangs 2011, Wien23) vgl. Koditek 2008, S. 25-26.24) Schweizer 2008, S. 77.25) vgl. de Shazer/Dolan 2008, S. 72.26) vgl. Fischer-Epe 2002, S. 68.27) Internet28) Radatz 2006, S. 101.29) Szabo/Berg 2006, S. 65.30) Schweizer 2008, S. 77.31) vgl. Cosmopolitan, 2011, S. 93.
Literaturverzeichnis
Bücher:
Brizendine Louann: Das weibliche Gehirn. Warum Frauen anders sind als Männer, Hoffmann und Campe Verlag,
Hamburg, 2007, 153.
Damasio Antonio R.: Ich fühle, also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins,
Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co.KG, München / Paul List Verlag, 2000.
Fischer-Epe, Maren: Coaching: Miteinander Ziele erreichen. Reinbek bei Hamburg, Rowohlt Verlag, 2011 (2002), 68.
Hüther, Gerald: Bedienungsanleitung für ein menschliches Gehirn, 2009 (2001), Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co
KG, Göttingen.
Koditek, Dr. Thomas: Systemisches Coaching im Prozess, ein Lern- und Arbeitsbuch; Herausgeber: Internationale Aka-
demie an der Freien Universität Berlin, Arbeitsbereich Organisation und Management, Dr. Thomas Koditek, Berlin 2008
213
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Marquardt, Michael: Leading with Questions, How Leaders find the Right Solutions by Knowing What to Ask,
Jossey-Bass, San Francisco, 2005
Meier Daniel, Szabo Peter: „Coaching erfrischend einfach“, Einführung ins lösungsorientierte Kurzzeitcoaching,
Solutionsurfers GmbH, Luzern, 2008.
Niermeyer, Rainer: Coaching. Sich und andere zum Erfolg führen. Haufe Verlag, 2003, 93ff.
Radatz, Sonja: Einführung in das systemische Coaching. Heidelberg, Carl-Auer-Systeme Verlag, 42010 (2006).
Rainer Niermeyer: Coaching. Sich und andere zum Erfolg führen. Haufe Verlag, 2003, 93ff.
Rauen, Christopher (Hg.): Coaching-Tools. Erfolgreiche Coaches präsentieren 60 Interventionstechniken aus ihrer
Coaching-Praxis. Bonn, managerSeminare Verlags GmbH, überarb. Auflage 62008 (2004).
Schweizer Peter: Systematisch Lösungen finden. Eine Denkschule für Praktiker. 3., überarbeitete Auflage 2008,
vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich.
Schweizer Peter: Systematisch Lösungen finden. Eine Denkschule für Praktiker. 3., überarbeitete Auflage 2008,
vdf Hochschulverlag AG an der ETH Zürich, 77.
Shazer, Steven de/Dolan Yvonne: Mehr als ein Wunder. Lösungsfokussierte Kurztherapie heute, Heidelberg,
Carl-Auer-Systeme Verlag 2011 (2008)
Szabo Peter/Berg Insoo Kim: Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung, Borgmann Media, Dortmund, 2006, 15.
Whitmore, John: Coaching for Performance; GROWing human potential and purpose; the principles and practice
of coaching and leadership; this fourth edition first published by Nicholas Brealey Publishing in 2009,
reprinted 2009 (twice), 2010 (twice), 2011, first edition published in 1992.
Zeitschriften:
„Mitgenommen von der Arbeit?“, aus Cosmopolitan, August 2011, S. 93.
Internetquellen:
„Die Wundefrage im Coaching“, in: http://www.tausend-themen.de/nlp/die-wunderfrage-im-coaching/
(abgerufen am 24.6.2011).
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching als Tool für FührungskräfteAus dem Alltag einer FührungskraftRenè Bartal
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist eine Führungskraft, Führung?
3. Was ist systemisches Coaching?
3.1. Die Rolle des Coach im Prozess
4. Tools aus dem Coaching für den Führungsalltag
4.1. Nützliche Sprachfertigkeiten des Coaching
4.1.1. Die Kraft von Pausen
4.1.2. Das elegante „Stattdessen“
4.1.3. Verbinden: „und“ statt „aber“
4.1.4. „Wie“ statt „warum“
4.1.5. „Angenommen ....“
4.1.6. „Gute Gründe“
4.1.7. „Was noch?“
4.2. Perspektivenwechsel
4.3. Skalierungsfragen
4.4. 5-Minuten-Coaching
4.5. Power Feedback im Team
4.6. 6-3-5 Methode
5. Beispiele von angewendeten Tools im Alltag einer Führungskraft
5.1. Verbesserungspotentiale aus einer Mitarbeiterumfrage entwickeln – 6-3-5 Methode
5.2. Vorbereitung auf die Leitung von Arbeitsgruppen
5.3. Mitarbeitergespräch - Sprache
5.4. Teammeeting – Power Feedback
6. Resümee
7. Literaturverzeichnis
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1. EinleitungWelcher Mensch hat keinen Kontakt mit dem Thema Führung?
Richtig!
Keiner!
Führung findet in jeder Kultur, in jeder Bevölkerungsschicht und in jedem Moment auf dieser Erde statt. Führung ist für
jeden Menschen zu einer alltäglichen Interaktion geworden. Entweder in der Rolle des Geführten oder in der Rolle des
Führenden. Über die Qualität, mit welcher man geführt wird bzw. mit welcher man selbst führt, könnte man viele Seiten
füllen. Diese Arbeit setzt sich mit dem Zusammenspiel zwischen Führung und Coaching auseinander.
Was ist Coaching?
Ist Coaching eine Fertigkeit einer Führungskraft oder handelt es sich hierbei auch oder ausschließlich um eine Grund-
haltung?
Ziel der Arbeit ist es, die Möglichkeiten von systemischem Coaching und den Mehrwert, welcher durch systemisches
Coaching für Führungskraft und Mitarbeiter generiert werden kann, zu zeigen. Hierfür wird einerseits eine Definition für
Führung, Führungskraft sowie systemisches Coaching geliefert und andererseits werden Beispiele aus der Praxis mit
direktem Bezug zu Tools des systemischen Coachings präsentiert.
Es wird in der Arbeit Bezug auf verschiedene Literaturquellen genommen, die von KundInnen, KlientInnen, MitarbeiterIn-
nen oder Coachees sprechen. Alle diese Bezeichnungen sind mit der Rolle der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters identisch.
2. Was ist eine Führungskraft, Führung?
Eine Führungskraft besetzt in einem Unternehmen oder einer Behörde eine leitende Funktion und hat über andere Mitar-
beiter Personalverantwortung. Sie wird durch andere Führungskräfte ernannt und macht damit Karriere.
Ihre Aufgabe ist es, die Mitarbeiter zu führen, zu motivieren und zu entwickeln, Ziele zu definieren, Aufgaben zu de-
legieren und als Multiplikator für die Kommunikation der Unternehmensaufgaben zu dienen. Insoweit werden einer
Führungskraft Vorbildfunktionen und Persönlichkeit zugeschrieben. Daneben ist eine Führungskraft für administrative
Aufgaben zuständig wie Mitarbeitergespräche, Zielvereinbarungen, Einstellungsgespräche, Arbeitszeug-
nisse, Kündigung. Diese Aufgaben erfordern Weiterbildung und zunehmend Coaching.1
- Als Führungskraft übernimmt man eine große Verantwortung. Nicht nur auf der fachlichen Ebene, sondern auch auf der
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
sozialen. Daher ist Führungskompetenz auch immer eine Frage der Persönlichkeit.2
- Neben allem Fachwissen, das ein Manager besitzen mag, sind seine Fähigkeiten im menschlichen Miteinander ganz
entscheidend für seinen Erfolg und damit auch für den Erfolg des Unternehmens. Vor allem im Umgang mit seinen
Mitarbeitern sollte daher keine Führungskraft außer Acht lassen, dass man als Vorgesetzter auch immer nach sozialen
Gesichtspunkten beurteilt wird. Nicht nur die Art der Arbeitsaufträge an die Beschäftigten ist wichtig, sondern auch die
Form, in der sie erteilt werden.2
- Dabei kann es zu Problemen kommen, wenn zwar fachliches Verständnis vorhanden ist, das soziale Verhalten aber
ungenügend ist. Auf die Loyalität seiner Mitarbeiter kann sich ein Vorgesetzter mit ungenügenden sozialen Kompeten-
zen nicht verlassen.2
- Es gilt also, das Vertrauen der Beschäftigten zu gewinnen. Das kann nur geschehen, wenn der Anspruch, der im Allge-
meinen an Menschen in Führungspositionen gestellt wird, und die Realität nicht allzu weit auseinanderklaffen. Denn
nach wie vor wird Führungskräften eine Vorbildfunktion zugesprochen, die erfüllt sein will. Um das zu erreichen, ist
die Balance zwischen fachlicher und persönlicher Ebene wichtig.2
- Kommen die sozialen Belange des täglichen Miteinanders zu kurz, nützen auch die profundesten Kenntnisse der Ma-
terie nichts. Auf der anderen Seite kann der netteste, menschenfreundlichste Vorgesetzte ohne Fachwissen auch nicht
weit kommen. Es zeigt sich also, dass soziale und fachliche Kompetenzen einander so ergänzen, dass sie nur gemein-
sam erfolgreich genutzt werden können.2
- Zu den sozialen Fähigkeiten, die eine Führungskraft zwingend braucht, gehören übrigens nicht nur Selbstverständlich-
keiten wie gutes Benehmen und respektvoller Umgang mit den Mitmenschen, sondern auch kommunikative Fähigkei-
ten. Wer mit seinen Mitarbeitern offen und vertrauensvoll kommuniziert, wird als Führungskraft akzeptiert, weil er eben
auch seine soziale Position ausfüllt.2
Wie man aus diesen Ausführungen erkennen kann, sind die Anforderungen an Führungskräfte sehr vielfältig. Um diesen
Anforderungen gerecht zu werden, bedarf es einerseits schulischer bzw. universitärer Ausbildungen, andererseits der
Ausbildung in sozialen Kompetenzen und nicht zuletzt der Erfahrung mit Führung.
Zu sozialen Kompetenzen zählen eine Vielzahl von Kenntnissen und Fähigkeiten. Im Bezug auf die Interaktion mit ande-
ren Menschen werden diese Kenntnisse unter dem Titel der Emotionalen Intelligenz zusammengefasst.
Daniel Goleman, ein Spezialist für Emotionale Intelligenz, hat sich mit diesen Anforderungen beschäftigt und sechs
Führungsstile definiert, welche laut seiner Definition eine gute Führungskraft ausmachen. In diesem Zusammenhang
ist nochmals klarzustellen, dass es sich hierbei um Führungsstile und nicht Führungstypen handelt. Das heißt, jede
Führungskraft kann jeden Stil und auch eine Mischung der Stile beherrschen.
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Die 6 Führungsstile nach Goleman3
Stil Pacesetting/Vorlebend
Commanding/Befehlend
Visionary/Visionär
Affiliative/Einfühlsam
Democratic/Demokratisch
Coaching/Entwickelnd
Leitsatz Mach es sowie ich.
Mach es soweil ich es
sage.
Erinnernwir uns an den
gesamtenKontext.
Zuerst derMensch,dann dieArbeit.
Lasst es unsgemeinsamerarbeiten.
Lass michDir helfen,
Dich zuentwickeln.
Normalerweise handeln die besten, effektivsten Führungskräfte nach einem oder mehreren der sechs verschiedenen
Ansätze zur Führung und können zwischen den verschiedenen Stilen je nach Situation wechseln.3
Vier der sechs Stile – „Visionary, Coaching, Affiliative und Democratic“ – schaffen die Art des Klimas, die Leistung stei-
gert. Zwei weitere - Pacesetting und Commanding sollten mit Vorsicht angewendet werden. Sie schaffen auf lange Frist
gesehen ein neutrales bzw. demotivierendes Klima.3
Die Hay Group hat hierzu im Jahr 2002 eine Umfrage und Analyse zum Zusammenspiel zwischen Führungsstil und
Geschäftserfolg erstellt. Die folgenden beiden Tabellen zeigen, dass erfolgreiche Führungskräfte ein Hochleistungs-/
energiegeladenes Klima generieren. Sie haben die vier oben genannten Führungsstile wesentlich ausgeprägt und er-
zielen höhere Renditen als Führungskräfte, welche ein neutrales-/demotivierendes Klima generieren und die vier oben
genannten Führungsstile nicht sehr ausgeprägt haben.
Führungskräfte (n=21)> 66% wird als ausgeprägter Führungsstil bewertet
Pacesetting Visionary Coaching Affiliative Participative Directive
Hochleistungs-/engergiegeladenes
Klima (n=11)48% 80% 71% 76% 71% 26%
Neutrales/ demotivierendes Klima (n=10)
75% 40% 40% 41% 46% 45%
Global Technology organisation, Hay McBer 2002 4
Führungskräfte (n=21)Durchschnittlicher Geschäftserfolg 2001
Bruttohandelsspanne Gewinnspanne
Hochleistungs-/engergiegeladenes
Klima (n=11)48% 29%
Neutrales/ demotivierendes Klima (n=10)
36% 17%
Global Technology organisation, Hay McBer 20025
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3. Was ist systemisches Coaching?
Wenn über Coaching gesprochen wird, kann man nicht von einem klar definierten, einheitlichen Verständnis des Be-
griffes ausgehen. Coaching ist zu einem schillernden Begriff geworden, mit dem die unterschiedlichsten Vorstellungen
verbunden werden.6
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert brachte die Kutsche – „coach“ – Menschen von Ausgangspunkt „A“ zum
Zielpunkt „B“. Ein Coach will dasselbe. In der heutigen Zeit stammt der Begriff „Coaching“ ursprünglich aus dem Sport-
bereich und bezeichnet die Tätigkeit von Menschen, die Spitzensportler betreuen.
Auch „normale“ Sportmannschaften haben häufig einen Coach. Dieses Verständnis von Leistungscoaching, das „on
the job“ passiert, kann nicht ohne weiteres auf die Beratung in Führung, Management oder im persönlichen Kontext
übertragen werden. Bei den Letztgenannten geht es in der Zielsetzung nicht in erster Linie um ein „Mehr“ (an Leistung),
sondern häufig um ein „Anders“.
In der Beratung ist „Coaching“ ein Sammelbegriff für personenzentrierte Beratung und Betreuung auf einer Prozessebe-
ne. Das Einzelcoaching wird verstanden als personenzentriertes Einzelgespräch. Der Coachee wird von dem Coach auf
den Weg in eine „Suchschleife“ geleitet, um seinen Blick und seine Handlungsmöglichkeiten zu erweitern.
Zielgruppe sind Personen mit Führungsverantwortung und/oder Management-Aufgaben. Verdeckte Ressourcen sollen
erkannt, benannt und damit nutzbar gemacht werden.
So wird die Kompetenz des Coachees (wieder)hergestellt bzw. vergrößert. Das Coaching erfüllt dabei die Funktion eines
„Transmissionsrahmens“, indem es Selbstreflexion, Bewusstsein und Verantwortungsübernahme fördert. Dabei erlaubt
Coaching keine manipulativen Techniken.6
An dieser Stelle ist es von Bedeutung, die Grenzen von Coaching aufzuzeigen. Drei bekannte Formate, die zeitweise mit
Coaching verwechselt werden, sind die Supervision, Mentoring und die Kollegiale Beratung. Eine kurze Beschreibung
der Formate verdeutlicht die Unterschiede:
Supervision
In Abgrenzung zum Coaching wird unter Supervision ein durch Kontrakt geregeltes Lehr- und Lernverfahren verstanden.
Hier wird durch Erfahrungslernen die Fachlichkeit und die Persönlichkeit der Supervisanden sowie die Koordinations-
fähigkeit von Arbeitsgruppen kontrolliert und entwickelt, mit dem Ziel, die Effektivität der Arbeit zu steigern. Sie ist eine
systematische Reflexion des beruflichen Handelns und zielt auf Veränderungen im Erleben und Handeln.7
Mentoring
Mentoring ist eine innerbetriebliche Form der Mitarbeiterbetreuung, häufig mit dem Ziel, neue Mitarbeiter rasch und
problemlos einzuführen. Diese Aufgabe übernehmen in der Regel erfahrene Organisationsmitglieder. Darüber hinaus
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kann Mentoring auch als langsfristige innerbetriebliche Karriereberatung fungieren.7
Kollegiale Beratung
Kollegiale Beratung, wie sie beispielweise in Führungskräftezirkeln praktiziert wird, ist die lösungsorientierte, gegenseiti-
ge Beratung bei berufsspezifischen Problemen. Das Setting ist gekennzeichnet durch gleiche Rollen und Qualifikationen
sowie das Fehlen eines ausgewiesenen Beraters. Die sonst dem Berater zugeschriebenen Rollen werden von einzelnen
Gruppenteilnehmern übernommen.8
3.1. Die Rolle des Coach im Prozess
Der Coach versucht während des Coaching Prozesses, keine Hypothesen zu bilden, da diese sein Handeln beeinflussen
würden. Er begäbe sich so unweigerlich auf die inhaltliche Ebene, anstatt nur den Coachee dort an der Problemlösung
arbeiten zu lassen. Wenn ein Coach systemisch interveniert, hat dies zum Ziel, eingespielte Erklärungsmuster zu irritie-
ren und so neue Perspektiven für den Coachee zu eröffnen. Die gewonnene differenzierte Problemsicht soll die Entwick-
lung von Alternativen im Umgang mit dem Problem anregen.9
4. Tools aus dem Coaching für den Führungsalltag
Für die Gestaltung des Coaching Prozesses stehen dem Coach eine Vielzahl von Hilfsmitteln (Tools) zur Verfügung.
Die meisten dieser Tools sind nicht singuläre Coaching Tools, sondern können jederzeit im Alltag und im Speziellen im
Führungsalltag angewendet werden.
Hier gilt wie im Coaching Prozess eine goldene Grundregel:
„Es gibt kein falsches Tool, maximal den falschen Zeitpunkt für ein Tool!“
Die von mir hier vorgestellten Tools werden auch von mir eingesetzt und sind einfach
anzuwenden. Hierbei ist zu erwähnen, dass sich die Anwendung nicht auf den „Coaching
Führungsstil“ beschränkt. Jedes dieser Tools generiert Mehrwert für Führungskraft sowie
Mitarbeiter und lässt sich in jedem Führungsstil anwenden. Es ermöglicht der
Führungskraft, ihre Gesamtleistung (=alle Führungsstile) und dadurch den
Geschäftserfolg zu steigern.
Die nun folgenden Tools sind ein Auszug aus den Möglichkeiten des Coaching, welche von
mir häufig im Führungsalltag anwendet werden bzw. nicht mehr wegzudenken sind:
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- Nützliche Sprachfertigkeiten des Coaching
- Skalierungsfragen
- Perspektivenwechsel
- 6-3-5 Methode
- Fünf Minuten Coaching
4.1. Nützliche Sprachfertigkeiten des Coaching
Da Konversation mehr Kunst als Wissenschaft ist, können wir in der Verwendung von Sprache als unserem wichtigsten
Werkzeug nur besser werden, wenn wir dieses Werkzeug auf unterschiedliche Weise in möglichst vielen Bereichen flüs-
sig einzusetzen wissen.
Wir möchten ein paar hilfreiche Fragen und Haltungen beschreiben, die darauf hinweisen, wie man elegant und einfache
Sprache nutzen kann und gleichzeitig eine tragfähige Gesprächsbasis mit dem/der KlientIn aufbaut.10
4.1.1. Die Kraft von Pausen
Die meisten Menschen missverstehen die Kraft von Pausen in der Konversation. Viele meinen, wenn KlientInnen still
sind, bedeutet dies, dass sich nichts in ihrem Kopf abspielt und sie entweder gleichgültig und unwillig zu kooperieren
sind oder nichts in ihnen vorgeht, was zur Konversation beitragen könnte. Wir sind da anderer Meinung. Tatsächlich wis-
sen wir die Kraft von Pausen sehr zu schätzen. Die Länge des Schweigens, die erträglich ist, scheint sehr kulturabhängig
zu sein. KlientInnen, die zu den nordamerikanischen Ureinwohnern zählen, tolerieren im Allgemeinen langes Schweigen,
was sie als Denkzeit bezeichnen und was 10 bis 15 Sekunden dauern kann. Der Durchschnittsamerikaner hingegen findet
schon 5 Sekunden Schweigen schwer erträglich. Wenn ein Coach 5 Sekunden Schweigen aushalten kann, dann fühlt er
sich wohl bei etwas, was den meisten KlientInnen eine ewige Stille zu sein scheint. Es ist eine Frage der Übung, ob man
sich dabei wohl fühlt und den KlientInnen ihre „heilige Zeit der Reflexion“ zugestehen kann, die ungewohnten Fragen
des Kurz-Coaching zu überdenken.11
Wenn KlientInnen sich zum Beispiel Skalierungsfragen oder einer Wunderfrage (wird in dieser Arbeit nicht behandelt,
siehe Berg, Insoo Kim & Szabo, Peter (2009) Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung, Seite 57) gegenübersehen, brau-
chen sie viel Zeit für ihre Antwort. Am Anfang ist man als Coach versucht, die Frage zu wiederholen oder nochmals
anders zu formulieren oder gar eine neue Frage zu stellen. Aus unserer langjährigen Erfahrung lohnt es sich, einfach zu
warten. Oft sagen die KundInnen sogar zunächst noch „Ich weiß es nicht“. Wir haben gelernt, diese Antwort für uns zu
übersetzen mit „Das habe ich mir noch nie überlegt, ich benötige noch etwas mehr Zeit, um eine Antwort zu finden“ und
uns erst recht zurückzulehnen und so ganz deutlich zu machen, dass wir den Gedankenfluss nicht unterbrechen werden.11
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4.1.2. Das elegante „Stattdessen“ 12
KlientInnen stellen das Resultat des Coaching oft als Abwesenheit der Probleme dar und nicht so sehr als Anwesenheit
von Lösungen. Wir hören zum Beispiel häufig Aussagen wie diese:
- Ich möchte aufhören, meine Angestellten herumzuscheuchen.
- Ich werde morgens meinen Angestellten gegenüber nicht so missmutig sein, auch wenn ich kein Morgen-Mensch bin.
- Ich werde nicht alles hinauszögern. Es kostet mich viel Energie, einfach zu entscheiden, wann ich die Schreibarbeit
erledige, und darum schiebe ich das immer wieder auf.
- Es ist ermüdend zu entscheiden, ob ich bei einem Meeting was sagen will oder nicht. Und am nächsten Tag könnte ich
mich vor Wut in den Hintern beißen.
Dies sind einige Beispiele dafür, wie KlientInnen oft die Sitzung beginnen, indem sie nämlich das sagen, was sie aus
ihrem täglichen Leben herausnehmen möchten. Es ist aber schwer, das Fehlen einer Sache zu messen oder zu bemerken.
Und hier kommt das einfache Wort stattdessen ins Spiel und hilft dem Coach wie den KlientInnen, sich darüber klar zu
werden, wonach sie suchen. Es wird dann für KlientInnen leichter, eigene Fortschritte zu bemerken, sich dadurch ermu-
tigen zu lassen und motiviert, den Erfolg zu wiederholen:
- Was würden Sie also stattdessen machen, wenn Sie die Leute nicht herumscheuchen wollen?
- Es ist eine gute Idee, am Morgen nicht so missmutig sein zu wollen. Wie wollen Sie stattdessen sein?
- Ja natürlich, damit verschwenden Sie viel von Ihrer zeit. Was würden Sie stattdessen machen?
- Nehmen wir also einmal an, Sie zögern nicht bei den Meetings. Was würden Sie stattdessen machen?
Es ist einfach, aber es erfordert viel Disziplin, sich daran zu gewöhnen, auf die negierenden Worte der KlientInnen zu
achten und dann zu erkennen, dass sie bei der Bestimmung eines wünschenswerten Verhaltens ein wenig Hilfe brauchen,
damit sie die Belohnung der Veränderungen unmittelbar erfahren können.
4.1.3. Verbinden: „und“ statt „aber“13
Wann immer Sie versucht sind, aber auf das zu antworten, was der/die KlientIn gesagt hat, impliziert dies, dass Sie mit
dem, was der/die KlientIn gesagt hat, nicht übereinstimmen. Das Wort aber stellt das, was der/die KlientIn gesagt hat,
in Frage oder lässt Zweifel durchblicken, wodurch diese(r) sich abgewiesen, beiseite geschoben und missachtet fühlt.
Wenn es Ihre Aufgabe ist, jemanden zu ermutigen, über Alternativen zu dem, was nicht funktioniert, nachzudenken, dann
ist „aber“ nicht hilfreich, da es Widerspruch provoziert.
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Auf der anderen Seite impliziert das Wort und, dass Sie das, was der/die KlientIn gemacht oder gesagt hat, akzeptieren
und Sie auf dem aufbauen, was bereits vorhanden ist. Die Botschaft lautet: da Sie zu dem, was bereits vorgeschlagen
oder erreicht wurde, noch etwas hinzufügen, können Sie beide gemeinsam weiter vorangehen: Dies ist eine wunderbare
Art, mit KlientInnen zusammenzuarbeiten. Hier sind einige Beispiele für Fragen mit und:
- Das muss schrecklich gewesen sein, als es passierte – das kann ich mir vorstellen.
Und was soll stattdessen geschehen?
- Ich sehe, dass Sie wirklich schon viele Dinge versucht haben, und welches würden Sie sagen, hat bisher am besten
funktioniert?
- Natürlich haben Sie allen Grund sich aufzuregen, und was muss hier heute geschehen, was vielleicht auch nur ein
kleines bisschen helfen würde?
- Ich verstehe, warum Sie denken, Ihr Chef ist darauf aus, Sie zu erledigen, und was würde er Ihrer Meinung nach sagen,
was Sie stattdessen tun sollen?
4.1.4. „wie“ statt „warum“14
Die meisten Menschen möchten den Grund für die „Dummheiten“ wissen und sie möchten natürlich auch begreifen, was
die Klientln so „inkorrekt“ denken ließ. Hinter dieser Suche nach dem Grund steckt der Gedanke, sichergehen zu wollen,
dass solche Fehler oder festgefahrene Denkweisen ausgemerzt werden können, sodass das Problem nie wieder auftreten
wird. Ein wahrhaft edler Grund. Wenn wir jedoch versuchen, Probleme zu lösen, implizieren Fragen mit warum, dass
jemand einen Fehler machte und es wird mit dem Finger auf die Person gezeigt, der diese Frage gestellt wird. Statt uns
dabei zu helfen, die erwünschte Veränderung zu erreichen, trägt dies dazu bei, die Person in die Defensive zu drängen,
und sie wird nur widerwillig Fehler eingestehen. Dies kann leicht zu einer Auseinandersetzung führen, zu Trotz oder
defensiven Schachzügen, zum Beispiel Angriffen auf denjenigen, der kritisiert. Man kann sich leicht vorstellen, wie es
jeden Augenblick zum Streit kommen kann.
Was sollten wir stattdessen tun? Eine Frage mit wie ist ein wunderbarer Ersatz, und wie kommt es? Ist sogar noch besser,
weil es den/die KlientIn ermutigt zu erklären, was er/sie dachte, als er/sie etwas Unproduktives oder Negatives machte.
Werden Ton und Nuancierung richtig getroffen, mildern Fragen mit „Wie kommt es?“ den vorwurfsvollen, anklagenden
Beigeschmack ab, den warum-Fragen oft vermitteln. Hören und vergleichen Sie die folgenden Fragen:
Warum kommen Sie heute morgen zu spät? Wie kommt es, dass Sie zu spät kommen?
Warum machen Sie das immer auf diese Weise? Wie kommt es, dass Sie das auf diese
Weise machen?
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Warum ist es so schwer für Sie, es richtig zu machen? Wie kommt es, dass es schwer ist?
Erklären Sie es mit bitte, damit ich es
besser verstehen kann.
Natürlich macht der angemessene Einsatz von Intonation, Gesichtsausdruck und Gesten einen ungeheuren Unterschied.
4.1.5. „Angenommen ...“15
Das ganze Buch hindurch werden Sie viele Beispiele dafür finden, wie man das Angenommen verwendet – ein wunder-
bar kurzes Wort, das ungemein viel bewirkt, indem es dem/der KlientIn hilft, seine/ihre eigene Phantasie zu nutzen, um
Lösungen zu finden – als ob man ein Kaninchen aus dem Hut zaubert. Dieses einfache und wirkungsvolle Wort macht es
KlientIn und Coach möglich, das Problem zu überspringen und zu den Einzelheiten der Lösungen und der für die Zukunft
erwünschten Veränderungen zu gelangen. Wann immer Sie das Gefühl haben, Sie müssten eine Antwort aus dem Zylin-
der zaubern, denken Sie daran, dieses kleine Wort zu verwenden, um einen guten Start in Richtung Lösungen hinzulegen.
Man kann sich leicht viele kreative Lösungen vorstellen, nicht nur aus Sicht des/der KlientIn, sondern auch aus Sicht
anderer, wie der Kinder, Chefs, Kollegen, besten Freunde und sogar der Haustiere. Ein junger Mann zum Beispiel, der
drei Hunde hatte, sprach über die Hunde, als seien sie seine Kinder; er beschrieb die einzigartige Persönlichkeit jedes
Hundes und wie sie zu ihm gekommen waren. Als es Zeit geworden war, über Wunder zu sprechen, sagte der Coach:
„Angenommen, ich würde Ihre Hunde fragen, woran sie merken würden, dass ein Wunder mit Ihnen passiert ist, obwohl
Sie es ihnen nicht gesagt haben. Angenommen, sie könnten sprechen, haben Sie eine Vorstellung, was Ihre Hunde sagen
würden? Woran würden sie erkennen, dass dies ein Wunder für Sie war und heute ein nagelneuer besonderer Tag für
Sie ist?“ Der junge Mann hatte keine Schwierigkeiten mit dieser Frage? Als sei es die natürlichste Sache von der Welt,
antwortete er sofort: „Meine Hunde würden das merken, weil ihnen auffallen würde, dass ich ihnen mehr Aufmerksamkeit
schenke und an dem Morgen mehr mit ihnen spiele. Das lieben sie nämlich. Ich denke, ich habe sie in der letzten Zeit
etwas vernachlässigt. Ich bin sicher, sie vermissen mein früheres Ich. Ich habe mehr Spaß mit ihnen gemacht und wir
haben auf dem Fußboden gerangelt.“
4.1.6. „Gute Gründe“16
Die beiden Wörter gute Gründe, mit neugieriger, fragender Stimme gesprochen, können Wunder bewirken, wenn Sie
Lösungen für drängende, lästige Probleme finden wollen. Gary zum Beispiel war von seinem Arbeitgeber, der sich wegen
Garys Gesundheit, seiner mangelnden Bewegung und seiner Neigung, zu viele Stunden ununterbrochen zu arbeiten,
sorgte, zum Coach geschickt worden. Als der Coach anfing, das Ergebnis der Sitzung zu erfragen, berichtete Gary, sein
Chef bestünde darauf, das er, Gary, „weniger zuverlässig würde und ich mir weniger Gedanken um meine Arbeit mach-
te“ und „durch das Coaching weniger auf meine Arbeit fixiert werde und weniger verantwortungsbewusst“. Der Coach
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war ein bisschen schockiert über diese Forderung des Chefs, der ihn dafür bezahlte, Gary zu helfen, fauler zu werden.
Er lehnte sich vor und sagte zu Gary: „Ich bin sicher, Ihr Chef hat einen guten Grund, wenn er darauf besteht, dass Sie
weniger zuverlässig und verantwortungsvoll werden.“ „Oh ja, den hat er“, antwortete Gary und erklärte, er habe so hart
gearbeitet, ohne Urlaub und Sport, sich von Fastfood am Schreibtisch ernährt und Überstunden gemacht, bis schließlich
seine Frau mit der Scheidung gedroht habe und sein Arzt ihn vor einem möglichen Herzinfarkt oder Schlaganfall gewarnt
habe. Natürlich, der Chef hatte wirklichen einen guten Grund, sich um Gary Sorgen zu machen.
4.1.7. „Was noch?“17
Manchmal stellen Sie dem/der KlientIn vielleicht die einfache Frage: „Was vermuten Sie, würden Ihre KollegInnen sagen,
was Sie zum Team beisteuern?“ Der/die KlientIn antwortet vielleicht sofort. Probieren Sie einmal, nach dieser ersten
Antwort ein paar Sekunden zu warten und dann zu fragen: „Was würden die KollegInnen noch sagen, was Sie zum Team
beisteuern?“ Der/die KlientIn erzählt dann meist weitere Einzelheiten. Der Coach sollte dies anerkennend würdigen und
dann noch einmal fragen: „Was noch?“ Warten Sie ein paar Sekunden, damit der/die KlientIn weitererzählt. Man kann bis
zu fünfmal zu demselben Thema die Frage stellen „Was noch?“.
Das Schöne an dieser Frage ist, dass der/die KlientIn detailliert über Komplimente anderer Personen berichtet oder dar-
über, wie er/sie erfolgreich schwierige Situationen gemeistert hat. Je länger die Liste des Erreichten ist, umso mehr wird
dem/der KlientIn bewusst, dass er/sie schon viel weitergekommen ist, als er/sie gedacht hatte. Mit anderen Worten: die
einfache Frage „Was noch?“ erlaubt dem/der KlientIn, sich selbst Komplimente zu machen. Welche bessere Möglichkeit
gibt es für den Coach, sich auf die faule Haut zu legen?
4.2. Perspektivenwechsel
Es ist in der Natur eines Menschen, Situationen und Individuen als Erstes aus einer ethnozentrischen Sichtweise zu
beurteilen und zu bewerten. Dass dies jedoch nur eine mögliche Perspektive, eine Facette der Realität und Wahrheit
ist, scheint offensichtlich zu sein. Und doch handeln und argumentieren Individuen oft aus dieser Position und sind
erstaunt, wieso sie auf Widerstand stoßen und Missverständnisse entstehen. Es lohnt sich zu fragen: „Wie sieht die Welt
aus der Sicht des Gegenüber aus und mit welcher persönlichen, kulturellen Brille nimmt er diese wahr? Sind Eigen- und
Fremdwahrnehmung kongruent? Welche Differenzen und Gemeinsamkeiten sind vorhanden? Der Perspektivenwechsel
hilft dem Individuum, seine eigene Wahrnehmung zu überprüfen.18
Beim Perspektivenwechsel versetzt man sich in die Rolle und Position eines anderen hinein und versucht, einen Sach-
verhalt aus dessen Sicht und Standpunkt zu sehen. Diese Technik und Fähigkeit stammt aus der Sozialpsychologie.
Kognitive Voraussetzung dafür ist die Dezentrierung. Jean Piaget meint damit das Verlassen des eigenen Zentrums
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und das sich Hineinversetzen in jenes des Gegenübers. Indem man „in die Haut des anderen schlüpft“, spürt man den
Gefühlszustand des Gegenübers als eigene affektive Verfassung und kann dadurch dessen Emotionen und anderen Re-
aktionen besser begreifen. Eine indianische Redensart trifft dies auf den Punkt:
„Urteile nie über einen anderen, bevor Du nicht einen Mond lang in seinen Mokassins gegangen bist“.18
Coaching arbeitet sehr stark mit diesem Tool. Dabei wird eine Frage- oder Problemstellung aus einer ganz anderen, bis
dato nicht da gewesenen Perspektive gesehen und erlebt.19
Wie stark solche Perspektivwechsel sein können, zeigt folgende Metapher:
Ein ungeborenes Zwillingspärchen unterhält sich im Bauch seiner Mutter:
“Sag mal, glaubst du eigentlich an ein Leben nach der Geburt?” fragt der eine Zwilling.
“Ja, auf jeden Fall! Hier drinnen wachsen wir und werden stark für das, was draußen kommen wird,” antwortet der andere
Zwilling.
“Ich glaube, das ist Blödsinn!” sagt der erste. “Es kann kein Leben nach der Geburt geben – wie sollte das denn bitte-
schön aussehen?”
“So ganz genau weiß ich das auch nicht. Aber es wird sicher viel heller als hier sein. Und vielleicht werden wir herum-
laufen und mit dem Mund essen?”
“So einen Unsinn habe ich ja noch nie gehört! Mit dem Mund essen, was für eine verrückte Idee. Es gibt doch die Nabel-
schnur, die uns ernährt. Und wie willst du herumlaufen? Dafür ist die Nabelschnur viel zu kurz.”
“Doch, es geht ganz bestimmt. Es wird eben alles nur ein bisschen anders.”
“Du spinnst! Es ist noch nie einer zurückgekommen von ‘nach der Geburt’. Mit der Geburt ist das Leben zu Ende. Punk-
tum.”
“Ich gebe ja zu, dass keiner weiß, wie das Leben nach der Geburt aussehen wird. Aber ich weiß, dass wir dann unsere
Mutter sehen werden und sie wird für uns sorgen.”
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“Mutter??? Du glaubst doch wohl nicht an eine Mutter? Wo ist sie denn bitte?”
“Na hier – überall um uns herum. Wir sind und leben in ihr und durch sie. Ohne sie könnten wir gar nicht sein!”
“Quatsch! Von einer Mutter habe ich noch nie etwas bemerkt, also gibt es sie auch nicht.”
“Doch, manchmal, wenn wir ganz still sind, kannst du sie singen hören. Oder spüren, wenn sie unsere Welt streichelt ...”
So einfach kann das Umdenken sein ...
Diese Metapher mag etwas abstrakt wirken, trifft jedoch den sprichwörtlichen Nagel auf den Kopf. Gerade beim Thema
Führung und Zusammenarbeit treffen verschiedene Sichtweisen aufeinander und nur wer damit umzugehen und diese
für sich zu nutzen weiß, kann erfolgreich sein.
4.3. Skalierungsfragen20
Mit Hilfe unterschiedlicher Skalen (meist mit Werten von 1-10) beschreibt der Coachee sein Problem, Gefühl, Sicht-
weise etc. und trägt dies auf der Übersicht ein. Somit kann er seine Empfindungen visualisieren, sie zu einem späteren
Zeitpunkt auf Veränderungen überprüfen, sowie mit einer oder mehreren Fremdeinschätzungen vergleichen. Hierbei
können unterschiedliche Skalen erfunden und gebraucht werden, wobei der Coach die Wirkung der Fragen vorher genau
bedenken sollte.
„Auf einer Skala von 1 bis 10, wobei 10=bester Wert: Wo würden Sie Ihre Arbeitszufriedenheit einordnen?“
Skalenarten:
- Zufriedenheits-/Feedbackskala
- Verfassungsskala oder Fortschrittsskala
- Kompetenzskala oder Qualitätsskala
- Motivationsskala oder Zuversichtsskala
- Multiskala (Kombination verschiedener Skalenarten)
Beispiele für Skalierungsfragen:
- „Wo, bezogen auf ..., befinden Sie sich jetzt?“
- „Woran würden Sie merken, dass Sie bei 10 sind?“
- „Was müssen Sie machen, um einen Punkt höher / tiefer zu kommen als Sie aktuell sind?“
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- „Woran würden die anderen erkennen, dass Sie eine Stufe höher/tiefer sind?“
4.4. 5-Minuten-Coaching21
Damit Coaching in der Führung alltagstauglich ist, müssen Coaching-Gespräche kurz und wirksam sein. Und sie müs-
sen für Mitarbeitende und Führungsperson einen Gewinn bringen. Dazu nachfolgend ein Praxis-Beispiel.
Der Inhaber eines Produktionsbetriebs betritt am Morgen das Verwaltungsgebäude. Am Empfang wird er bereits vom
Produktionsleiter erwartet, der ihm aufgeregt erzählt, dass es in der Nachtschicht einen gravierenden technischen Störfall
gegeben hat. Alle Maschinen mussten gestoppt werden. „Ich bin froh, dass Sie jetzt da sind, denn wir haben noch nicht
alle Probleme beheben können!“ Der Inhaber hört sorgfältig zu und stellt dann folgende Coaching-Frage: „Nehmen wir
an, ich wäre heute aus irgendeinem Grund hier nicht erschienen, wie würden Sie die Sache jetzt anpacken?“
Ein solches „Fünf-Minuten-Coaching“ hat zwei sehr wertvolle Auswirkungen auf den
Produktionsleiter:
- Sein Bewusstsein für die Lösungsfindung wird erhöht.
- Seine Eigenverantwortlichkeit wird gesteigert.
Der Produktionsleiter wird sich beim Beantworten der Coaching-Frage klar, was er bereits alles zur Lösung weiß, und
er beginnt sogleich, die nächsten Schritte in Form von eigenen Aktivitäten zu planen. Der Firmeninhaber gewinnt im
gleichen Zug Zeit für andere Aufgaben – eine klassische Win-Win-Situation.
4.5. Power Feedback im Team
Power Feedback hält sich prinzipiell an die gleichen Regeln wie Feedback. D.h., es muss genauso direkt, wertschätzend
und sachlich erfolgen. Dieses Tool eignet sich speziell für den Start von Teammeetings oder Meetings, bei denen man zu
Beginn eine positive Grundstimmung erzeugen möchte.
Der Ablauf ist wie folgt:
a) Es werden ausreichend Sessel einander zugewandt aufgestellt mit einem maximalen Abstand von 1m. Es ist wichtig,
dass sich die später gegenüber Sitzenden sprachlich gut verstehen können. D.h., hat eine Gruppe von 8 Personen posi-
tioniert, auf der einen Seite 4 Sessel und auf der anderen Seite ebenfalls 4 Sessel, den anderen zugewandt. Hat man eine
ungerade Anzahl von Teilnehmern, wird auf die nächstgrößere ganze Zahl aufgerundet und ein Sessel
bleibt jeweils leer.
b) Auf der einen Sesselseite nehmen die Personen Platz, die Feedback bekommen, und auf der anderen Seite jene, die
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Feedback geben. Bei ungerader Anzahl bleibt ein Sessel leer.
c) Der Leiter des Meetings gibt das Startsignal und jeder Feedbackgeber gibt dem Gegenüber wertschätzendes Feedback
(für ca. 30 Sekunden bis 1 Minute; wird vom Leiter festgelegt und vorher bekanntgegeben).
d) Nach Ablauf der Zeit gibt der Leiter ein vereinbartes Signal, die Feedbackgeber rücken im Uhrzeigersinn auf den
nächsten Sessel und geben dem nächsten Gegenüber Feedback.
e) Dies wird so oft wiederholt, bis die Ausgangsposition wieder erreicht wurde.
f) Als nächster Schritt wechseln die Personen die Seiten und der Prozess beginnt wieder bei c bis e.
Nach Abschluss des Tools muss jede Person sowohl positives Feedback bekommen als auch gegeben haben. Im Nor-
malfall läuft die Übung sehr wertschätzend ab, denn jedem Teilnehmer ist gleichermaßen daran gelegen, fair behandelt
zu werden.
Als Auffrischung und Abrundung führe ich hier nochmals die „Goldenen Feedbackregeln“ an:22
Als Feedbackgeber:
Beschreibend, im Gegensatz zu bewertend: Beschreiben Sie Ihre eigene Wahrnehmung und Reaktion. Überlassen Sie
dem anderen, diese Informationen zu verwerten oder auch nicht.
Klar und genau formuliert: Das Feedback soll nachvollziehbar sein.
Sachlich richtig. Grundregel: Die Beobachtung muss auch von anderen nachvollzogen werden können.
Ohne moralische Verurteilung: Dadurch mindern Sie den Drang beim Gegenüber, sich zu verteidigen und das
Feedback abzulehnen.
Konkret im Gegensatz zu allgemein: Wenn Sie jemandem sagen, er sei unhöflich, kann er oder sie damit in Bezug auf
Verhaltensänderung relativ wenig anfangen. Sagen Sie lieber, was er konkret gemacht hat und inwiefern Sie oder die
Gruppe daran gehindert hat, sich zu entfalten.
Beziehen Sie sich auf Beobachtungen im Gegensatz zu Vermutungen, Phantasien oder Interpretationen.
Sprechen Sie veränderbare Verhaltensweisen an und nicht Unzulänglichkeiten, auf die der Betreffende relativ wenig
oder gar keinen Einfluss nehmen kann.
Erbeten im Gegensatz zu aufgezwungen: Feedback ist dann am wirksamsten, wenn der Empfänger darum gebeten hat.
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Wenn Sie jemanden mit Feedback überfallen, brauchen Sie auf keine vertrauensvolle Gesprächsbeziehung zu hoffen.
Berücksichtigen Sie die Bedürfnisse des Empfängers angemessen. Wenn es Ihnen egal ist, ob es dem Empfänger
nützt oder ihm sogar schadet, zerstören Sie Ihre Vertrauensstellung.
Zur rechten Zeit oder möglichst bald: Kein Gang durchs “Museum”! Feedback ist am wirksamsten, je kürzer die Zeit-
spanne ist zwischen dem betreffenden Verhalten und der Information über die Wirkung des Verhaltens. Berücksichtigen
Sie jedoch auch andere Gegebenheiten, z.B. den Grad der momentanen Erregung oder Betroffenheit. In solchen Situati-
onen wird die Bereitschaft, Feedback anzunehmen, gering sein.
Als Feedbacknehmer:
Zuhören und aufnehmen. Akzeptieren Sie die Beobachtungen des Anderen. Keine Rechtfertigung, Verteidigung oder
Erklärung. Bleiben Sie gelassen, denken Sie in Ruhe über das Gehörte nach.
4.6. 6-3-5 Methode23
6 Teilnehmer
3 Ideen
5 Minuten
Diese Methode gehört zu der Kategorie der Ideensammlungen. Das Ziel ist eine Ideenproduktion, die Entwicklung von
Vorschlägen oder Problemlösungen. Die Gruppengröße ist 6 Personen. Für die Durchführung der Methode sollte man
30-40 Minuten veranschlagen. Vorbereitet werden dafür Stifte und DIN-A4 Blätter, die in drei Spalten und sechs Reihen
gegliedert sind (jeweils 1 pro Person).
Die Durchführung ist wie folgt:
Auf Kommando schreibt jede(r) der 6 Teilnehmer/innen jeweils 5 Minuten lang 3 Ideen zur jeweiligen Impulsfrage auf.
Danach werden die Zettel im Uhrzeigersinn weitergegeben und alle Teilnehmer/innen schreiben in die zweite Reihe wie-
derum 3 Ideen in 5 Minuten auf. Jede Idee ist erlaubt. Die Ideen der anderen dürfen/sollen aufgegriffen und weiterent-
wickelt werden. Nach sechs Runden kommen so in 30 Minuten 108 Ideen in jeder Gruppe zusammen. Die Papierbögen
anschließend an einer Pinnwand aufhängen lassen und gemeinsam sichten.
Mit Klebepunkten die interessantesten Ideen auswählen und weiterentwickeln lassen.
Die Methode kann selbstverständlich auch als 3-3-6 oder 5-3-4-Methode durchgespielt werden.
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5. Beispiele von angewendeten Tools im Alltag einer Führungskraft
Die hier vorgestellten praktischen Beispiele wurden und werden von mir häufig im Führungsalltag eingesetzt. Dabei
kommt es natürlich zur situationsbezogenen Anpassung, aber das Grundkonzept ist immer das gleiche. Das jeweilige
theoretische Konzept zu den praktischen Beispielen findet man unter Punkt 4 dieser Arbeit.
5.1. Verbesserungspotentiale aus einer Mitarbeiterumfrage entwickeln – 6-3-5 Methode
In vielen Unternehmen werden Mitarbeiterumfragen eingesetzt, um die Meinung der Mitarbeiter standardisiert zu er-
fassen, Entwicklungsmöglichkeiten/Verbesserungspotentiale zu identifizieren, die Zufriedenheit zu ermitteln und nicht
zuletzt den Standort zu sichern. In vielen Fällen stellt die Verwertung dieser Umfragen Führungskräfte vor ein Problem. Es
gibt unzählige Beispiele, in denen Maßnahmen im Sinne der Mitarbeiter und des Unternehmens aufgrund einer Mitarbei-
terumfrage umgesetzt wurden, diese jedoch nicht als Folgeerscheinung oder als Mehrwert der Umfrage erkannt werden.
In vielen Fällen ist nicht bewusst, wie eine Verbesserung der bemängelten Situation aussieht, da man nur den „Mangel“
aufzeigt. Daher ist es wichtig, den Blick auf die Lösung und auf die Situation nach der Verbesserung zu werfen. Um dies
gemeinsam mit den Mitarbeitern zu tun, kann man folgendes Coaching Tool einsetzen:
6-3-5 Methode
(Theorie siehe 4.5. dieser Arbeit)
Im Folgenden werden die einzelnen Schritte nach der Mitarbeiterumfrage bis zur Umsetzung von Maßnahmen beschrieben:
1) Analyse der Mitarbeiterumfrage und Identifizierung, an welchen Themenkreisen/Kategorien Veränderungen wün-
schenswert sind.
2) Selektion der 3 wichtigsten Themenkreise/Kategorien
3) Die Fragen aus diesen Themenkreisen/Kategorien werden entsprechend modifiziert oder ergänzt, um eine positive
Formulierung zu erhalten.
Einige Beispiele dafür:
„Was müsste anders sein, damit Sie die Aussage „...“ positiv beantworten könnten?“
„Woran würden Sie erkennen, dass sich die Situation für Sie verbessert hat?“
„Was soll nach dem Workshop zur Mitarbeiterumfrage geschehen, damit sich die
Mitarbeiterumfrage und der Workshop für Sie gelohnt haben?“
4) Diese drei Fragen werden nun in 3 Spalten auf A4 Blättern eingetragen und mit 6 darunterliegenden Zeilen versehen.
5) Jeweils 6 MitarbeiterInnen bekommen im Rahmen eines Workshops die Vorlagen ausgehändigt und haben 5 Minuten
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Zeit, eine Zeile mit eigenen Ideen bzw. Erwartungen auszufüllen. Danach werden die Blätter im Uhrzeigersinn weiter-
gegeben, bis jede Person sechsmal die Möglichkeit hatte, ihren Input zu geben. Selbstverständlich kann die Gruppen-
größe den Gegebenheiten angepasst werden, (Vorsicht: Gruppengröße = Zeilen) bzw. kann man bei größeren Gruppen
(> 6 Personen) entsprechend mehrere Workshops durchführen.
6) Die Ideen werden danach mit den MitarbeiterInnen gemeinsam sortiert und entsprechende Maßnahmen abgeleitet.
7) Bei der Umsetzung der Maßnahmen hat es sich von Vorteil erwiesen, auf die „Herkunft“ der Maßnahmen hinzuweisen,
um den Mehrwert des Workshops und der Mitarbeit transparent zu machen.
5.2. Vorbereitung auf die Leitung von Arbeitsgruppen
Führung ist nicht immer eine Angelegenheit von Chef zu MitarbeiterIn. In vielen Fällen übernehmen „gleichrangige“ Mit-
arbeiterInnen die Führung in Arbeitsgruppen ohne ein disziplinarisches Mandat. Diese LeiterInnen von Arbeitsgruppen
sind für das Ergebnis verantwortlich, ohne jedoch alleine entscheiden zu können. Es ist deren Aufgabe, die Arbeitsgruppe
in Bezug auf z.B. Thema, Zeitschiene und Kosten zum Ziel zu führen. Eine adäquate fachliche und soziale Vorbereitung ist
hier unerlässlich. In vielen Fällen wird jedoch vergessen, die Soft Skills oder auch Sozialen Kompetenzen ausreichend
vorzubereiten. Speziell jene MitarbeiterInnen, welche das erste mal eine derartige Aufgabe übernehmen, müssen intensiv
darauf vorbereitet werden.
Ob der/die Mitarbeiter/in eine Arbeitsgruppe erfolgreich führt, hängt in den meisten Fällen von zwei Fragen ab:
- Wurde das Ziel der Arbeitsgruppe richtig und verständlich definiert bzw. fachlich korrekt aufbereitet?
- Wurde im Vorfeld die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe analysiert und richtig adressiert?
Coaching bietet für die erfolgreiche Beantwortung dieser beiden Fragen Tools bzw. Fragetechniken, welche im Folgenden
näher erläutert werden.
a) Wurde das Ziel der Arbeitsgruppe richtig und verständlich definiert bzw. fachlich korrekt aufbereitet?
Angenommen, Sie müssten Ihrem besten Freund, der das Thema nicht kennt, erklären, wie würden Sie die Aufgabenstel-
lung/Zielstellung der Arbeitsgruppe formulieren?
Folgende beispielhafte Fragen können für die Sicherstellung der oben angeführten Frage eingesetzt werden:
Wie wird es für Sie sein, wenn die Arbeitsgruppe erfolgreich abgeschlossen wurde? Gibt es noch weitere positive Aspek-
te, wenn die Arbeitsgruppe ihr Ziel erreicht hat?
232
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Wie würde Person X aus der Abteilung Y die Arbeitsgruppe als erfolgreich abgeschlossen einstufen?
Woran werden die Kollegen merken, dass die Arbeitsgruppe erfolgreich war? – Woran noch?
b) Wurde im Vorfeld die personelle Zusammensetzung der Arbeitsgruppe analysiert und richtig adressiert?
Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Teilnehmer das gleiche Interesse haben, das die Arbeitsgruppe ihr Ziel erreicht.
Gründe dafür gibt es viele! In einigen Fällen sind es andere Unternehmens- oder Abteilungsziele, aber auch persönliche
Interessen können im Konflikt stehen.
Mit Hilfe des Perspektivenwechsels kann man hier für Transparenz sorgen und Fakten erfahren, die man sonst überse-
hen hätte. Den Perspektivenwechsel kann man entweder geistig durchführen oder in komplexeren Fällen durchaus als
Rollenspiel. Hier gilt es dann zu entscheiden, ob man mehrere Repräsentanten hinzuzieht. Generell warne ich davor, das
Rollenspiel mit vielen Repräsentanten auszustatten, denn je mehr Personen teilnehmen, desto schwieriger wird es, jede
Person in der Rolle zu halten. Frei nach dem Motto soviel wie notwendig, aber so wenig wie möglich.
Im Laufe des Rollenspieles ist es ratsam, immer wieder zu prüfen, ob man am richtigen Weg ist. Von Zeit zu Zeit kommt
es zu einer Eigendynamik, wodurch es dann am Ziel „die Rollen und Interessen der Arbeitsgruppen-Teilnehmer sichtbar
zu machen“ vorbeigeht.
Zusätzlich noch einige hilfreiche Fragen in diesem Zusammenhang:
Wer kann Sie dabei unterstützen, dass die Arbeitsgruppe ihr Ziel erreicht?
Welcher Teilnehmer kann Sie in kritischen Situationen unterstützen?
Ist es aus taktischen Gründen notwendig, gewisse Themen zu vermeiden? Wenn ja, welche, und was kann getan werden,
wenn man sie nicht vermeiden konnte.
Mit welchen Argumenten können Sie die Zielerreichung für Ihre Arbeitsgruppen-Teilnehmer attraktiv machen?
5.3. Mitarbeitergespräch - Sprache
In vielen Fällen ist das Mitarbeiter-/Jahres-/Leistungs-/Standort-Gespräch die einzige Möglichkeit für den Vorgesetzten,
sich mit seiner/m Mitarbeiter/in über die erbrachten Leistungen bzw. Erwartungshaltungen auszutauschen. Speziell,
wenn Mitarbeiter/innen an anderen Standorten oder im Außendienst tätig sind, ist dies der Fall. D.h., dieses halbjährliche
233
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
oder jährliche Gespräch ist von sehr großer Bedeutung für alle Beteiligten. Die Kunst ist es daher, diese Chance im Sinne
steigender Motivation und Kommitment für beide Parteien zu nutzen.
In Bezug auf die im theoretischen Teil angeführten Fertigkeiten möchte ich speziell die Sprachfertigkeiten für positive und
negative Ergebnisse hervorheben:
- Positive Ergebnisse: hier gilt es, die Leistung transparent zu machen und am besten zu verstärken, hierdurch kann man
mit einfachen Mitteln die Motivation und die Anerkennung steigern, sehr gut lässt sich dies mit der folgenden Rede-
wendung bewerkstelligen:
„Was noch?“ oder „Das hört sich interessant/schwierig an!“ „Wie haben Sie das geschafft?“
In diesem Zusammenhang möchte ich auch auf die Kraft von Pausen hinweisen. Wenn nach einem „Was noch?“
nicht gleich eine Antwort kommt, sollte man nicht in Panik verfallen und nachsetzen, sondern gelassen schweigen. Oft
sind es Mitarbeiter nicht gewohnt, sich Gedanken über ihre Erfolge zu machen, und dann dauert es ein wenig Zeit, bis
sie sich deren bewusst werden und antworten können.
- Negative Ergebnisse: Natürlich wird es auch nicht so tolle Ergebnisse geben. Doch auch hier kann man mit positiver
Formulierung Mehrwert generieren, indem man sich nicht auf das Thema oder den „Schuldigen“ fokussiert, sondern
auf die Lösung/Verbesserung. Passende Redewendungen hierfür sind folgende:
„Wie können Sie anders vorgehen, damit beim nächsten Mal der gewünschte Erfolg eintritt?“
oder „Wie kommt es, dass Sie das Thema auf diese Weise bearbeitet haben?“
Mit dieser Frage entsteht auch die Überleitung zu einem wichtigen Aspekt, wenn Dinge nicht so toll gelaufen sind. In
den meisten Fällen ist es nicht die Absicht der Mitarbeiterin/des Mitarbeiters, eine schlechte Leistung abzuliefern, d.h.,
er hat gute Gründe, warum er das Thema auf diese Art und Weise bearbeitet hat! Ist man in der Lage, diese „guten
Gründe“ zu erfahren, so helfen sie der Führungskraft, gezielte Abhilfemaßnahmen zu implementieren.
Diese Abhilfemaßnahmen sollte man am besten mit dem Wort „stattdessen“ formulieren. Damit wird klar, dass an
den Platz der nicht erfolgreichen Handlung/Vorgehensweise eine andere/erfolgreiche platziert wird. Beispielhaft sei
hier folgende Frage genannt: „Nehmen wir also an, Sie machen nicht x (x steht für die nicht erfolgreiche Handlung).
Was würden Sie stattdessen machen?“
234
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching-Fragen im Gesamtkontext mit Struktur haben die beiden Autoren Daniel Meier und Peter Szabo wie folgt
zusammengefasst: 24
1) Einstieg
Was soll in unserem Standortgespräch geschehen, damit es sich für Sie gelohnt hat? (Antwort: ... ) Was noch?
(Antwort: ... )
2) Standortbestimmung
Was ist Ihr Ziel? (Antwort: ... )
Auf einer Skala von 1 bis 10, wenn 10 für die Erreichung Ihres Zieles steht und 1 für das pure Gegenteil, wo stehen
Sie momentan auf der Skala? (Antwort: ... )
3) Kompetenzen beleuchten
Was macht den Unterschied, dass Sie auf der Skala schon bei 4 stehen und nicht mehr bei 1? (Antwort: ... ) Und
was noch? (Antwort: ... )
4) Konkrete Schritte planen
Stellen Sie sich vor, Sie wären schon einen nächsten Schritt weiter. Was werden Sie dann anders tun oder vermehrt
tun? (Antwort: ... ) Woran werden es andere merken, dass Sie einen Schritt weiter sind? (Antwort: ...) Und woran
noch? (Antwort: ... )
5) Abschluss
Ich bin beeindruck, wie Sie ... (Antwort: ... ) Wie können wir diese Besprechung jetzt nützlich abrunden für Sie?
(Antwort: ... )
5.4. Teammeeting – Power Feedback
Teammeetings sind weit verbreitete Veranstaltungen, die für verschiedenste Ziele eingesetzt werden. Es handelt sich
hierbei um reine Informationsveranstaltungen, Fortschritts Monitoring, Erarbeitung von neuen Ideen oder zum Beispiel
Weiterbildungsmaßnahmen. Für den Erfolg der jeweiligen Veranstaltung ist nicht nur die fachliche bzw. theoretische
Vorbereitung und Umsetzung verantwortlich, sondern ganz wesentlich auch die Stimmung der teilnehmenden Personen.
In vielen Fällen arbeiten die Teammitglieder in der gleichen Abteilung jedoch untereinander nicht als Team zusammen
oder sitzen z.B. an verschiedenen Standorten. Das führt dazu, dass gerade am Anfang einer Veranstaltung für positive
Stimmung gesorgt werden muss. Ist dies erfolgreich umgesetzt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Meeting ein
Erfolg wird, wesentlich höher.
Ein Tool, welches sich hier anbietet, ist das „Power Feedback“. Die Gründe, warum „Power Feedback“ sich gut dafür eig-
net, sind, dass das Feedback aufrichtig sowie wertschätzend geäußert wird und dass durch die begrenzte Zeit (30 Sekun-
den bis 1 Minute pro Station) die Teilnehmer nicht die Chance haben, sich zu rechtfertigen. Betreffend der Gruppengröße
gibt es keine Einschränkungen, mindestens sind jedoch 2 Personen notwendig, wenn es sich um eine ungerade Zahl
235
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
handelt, ist das auch kein Problem (siehe Theorieteil).
Als hilfreich hat es sich erwiesen, die Grundregeln des wertschätzenden Feedback Gebens vor dem Start zu erläutern,
da in unserer Kultur dies oft in Vergessenheit gerät. Möglicherweise ist es der einen oder anderen Person in der Rolle,
Feedback zu bekommen, unwohl, dadurch sollte man sich jedoch nicht abschrecken lassen! In allen von mir erlebten
Fällen waren die Teilnehmer (auch die skeptischen) danach in bester Stimmung und gut motiviert für die nächsten ge-
planten Aktivitäten.
6. Resümee
Mein Resümee möchte ich mit folgendem Leitsatz starten:
Führung heißt, andere erfolgreich zu machen!
Als Führungskraft in kritischen Situationen an der vordersten Front zu stehen und Entscheidungen zu treffen, ist keine
Besonderheit. Diese Aufgabe zu erfüllen, ist wohl sehr wichtig, doch dies alleine macht keine Führungskraft. Als Füh-
rungskraft ist es die Kunst – so vielfältig wie die Fragen sind, welchen man sich gegenüber sieht – auch die entspre-
chend vielfältigen Antworten geben zu können. Jedes andere Vorgehen wird langfristig nicht zum Erfolg führen. D.h., für
mich besteht das Thema Führung aus vielen verschiedenen Kompetenzen und Tätigkeitfeldern. Mit dem einen Extrem,
Aufgaben aufgrund der Dringlichkeit oder Wichtigkeit selbst zu erledigen, und dem anderen, Mitarbeiter bzw. Teams zu
unterstützen, damit diese die Aufgaben erfolgreich meistern können.
In meinem Führungsalltag ist es das Haupt-Ziel, „andere erfolgreich zu machen“. Selbst involviert zu sein, spielt eine un-
tergeordnete Rolle. Nur dadurch habe ich die Möglichkeit, mich den wichtigen Themen ausreichend widmen zu können.
Um dies umsetzen zu können, helfen die Aspekte des systemischen Coachings ungemein. Mit Hilfe des systemischen
Coachings wird die Nachhaltigkeit in der Führungsarbeit extrem gesteigert. Jeder Führungsstil kann davon profitieren,
ohne seine eigene Authentizität zu beeinträchtigen. Die Gefahr, sich auf einen Führungsstil, z.B. Coachingstil (siehe Pkt.
2 dieser Arbeit, nach Goleman) zu reduzieren, sehe ich als nicht gegeben. Eine treffende Bezeichnung für diese moderne
Art der Führung wäre „Supportive Leadership“.
Als letzten Aspekt möchte ich noch den der Motivation und Energie von Führungskräften ins Rennen führen. „Supportive
Leadership“ ist keine Einbahnstraße! Nicht nur die Organisation und die MitarbeiterInnen profitieren von dieser Art der
Führung, sondern in großem Ausmaß die Führungskraft selbst. Sie bekommen einen guten Anteil der Energie und Mo-
tivation, die Sie weitergeben, infolge eines verbessertes Klimas in der Organisation zurück.
236
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1) ArbeitsRatgeber 2012, o.S.2) RuFuS Infomail 2006, o.S.3) Hay Group/Daniel Golemen. Leadership Styles. Aus dem englischen übersetzt. 2012, o.S.4) HayGroup (2008), S. 355) HayGroup (2008), S. 186) Koditek 2008, S. 127) Koditek 2008, S. 138) Koditek 2008, S. 149) Koditek 2008, S. 1710) Szabo/Berg 2009, S. 7111) Szabo/Berg 2009, S. 7112) Szabo/Berg 2009, S. 7213) Szabo/Berg 2009, S. 7314) Szabo/Berg 2009, S. 7315) Szabo/Berg 2009, S. 7416) Szabo/Berg 2009, S. 7517) Szabo/Berg 2009, S. 7718) vgl. Transkulturelles-Portal 2012, o.S.19) R.M. Siegler 2009, o.S.20) Koditek 2008, S. 3621) Meier & Szabo 2007, S. 4322) House of Competence 2012, o.S.23) Der Methodenkoffer, S. 2424) Meier & Szabo (2007), S. 44
7. Literaturverzeichnis
Bücher:
Berg, Insoo Kim & Szabo, Peter (2009) Kurz(zeit)coaching mit Langzeitwirkung. Borgmann Media
HayGroup (2008). Making Great Leaders – Europe. Module 1 – Programme Materials.
Dr. Koditek, Thomas (2008). Systemisches Coaching im Prozess ©. Ein Lern- und Arbeitsbuch. Internationale Akademie
an der Freien Universität Berlin, Arbeitsbereich Organisation und Management, Dr. Thomas Koditek
Radatz, Sonja (2009). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Pra-
xishandbuch mit den Grundlagen systemischkonstruktivistischen Denkens, Fragetechnik und Coachingkonzepten. Ver-
lag systemisches Management
Fachzeitschrift:
Meier, Daniel & Szabo, Peter (2007). Wirksam: Fünf-Minuten-Coaching.
In: ORGANISATOR Das Magazin für KMU 4/2007: 43-44
Unterrichtsmaterial Coachinglehrgang:
Der Methodenkoffer, Coachinglehrgang 2011, Freie Universität Berlin und cPlus
237
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Internet:
ArbeitsRatgeber. Führungskraft: Mitarbeiter mit Personalverantwortung
http://www.arbeitsratgeber.com/fuehrungskraft_0090.html. Abgerufen am 12.2.2012
Hay Group/Daniel Golemen. Leadership Styles. Aus dem Englischen übersetzt.
http://www.strengthsconsultancy.com/images/207.doc?id=1154607745 Abgerufen am 12.2.2012
House of Competence. Richtig Feedback geben.
http://www.organisationsberatung.net/feedback-regeln-methoden/#.T1tJFpghf_U Abgerufen am 10.3.2012
Rouven M. Siegler. 08.10.2009
http://siegler.blog.de/2009/10/08/perspektivenwechsel-coaching-gibt-leben-geburt-7123787/ Abgerufen 21.2.2012
RuFuS Infomail, 08.02.2006
http://www.arbeitsratgeber.com/fuehrungskraft_0090.html. Abgerufen am 12.2.2012
Transkulturelles Portal, Perspektivenwechsel http://www.transkulturelles-portal.com/index.php/9/94 Abgerufen 4.3.2012
Wikipedia, Empathie http://de.wikipedia.org/wiki/Empathie Abgerufen am 4.3.2012
238
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching in der Führungskräfteentwicklung der öffentlichen Verwaltung in ÖsterreichProf. Mag. Emmerich Bachmayer
Öffentliche Verwaltung(en) im Transformationsprozess
Seit mehr als 25 Jahren sind die öffentlichen Verwaltungen Gegenstand einer Effizienz- und Effektivitätsdiskussion.
Effizienzprobleme werden unter dem „Diktat leerer Kassen“ nach dem Ausbau des Wohlfahrtsstaates und zunehmender
Steuer- und Abgabenresistenz seiner Bürger gesehen, Effektivitätsprobleme angesichts neuer Aufgabenstellungen, die
an Politik und Staat herangetragen werden. Aus dem angloamerikanischen Raum empfahl die New Public Management-
Bewegung1 die Einführung marktwirtschaftlicher Elemente und die (Re-)Privatisierung öffentlicher Aufgaben, in Europa
wurde diese Bewegung in der gemäßigten Variante von „Neuen Steuerungsmodellen“, Ausgliederungen von Einrichtun-
gen mit betriebsähnlichem Charakter, wie etwa Museen und Universitäten, sowie der Erfindung eines neuen Typs von
Verwaltung außerhalb der politisch geführten Ministerialverwaltung, den sogenannten Regulatoren, rezipiert. Verschie-
dentlich wurden neue Problematiken nach dem Muster „more of the same“ zu entschärfen versucht, wie etwa die Asyl-
problematik durch neue Behörden- und Gerichtsstrukturen oder die Integrationsproblematik bildungsferner Schichten
durch den Einsatz von mehr Lehrern.
Beziffert man in Österreich den im staatlichen Zugriffsbereich des politisch-administrativen Systems verbleibenden
Anteil der öffentlichen Bediensteten mit etwa 350 000 Personen – gegenüber den im staatsnahen, ausgegliederten
Bereich Beschäftigten von etwa weiteren 150 000 – so zeigt sich eine durchaus respektable Anzahl von PolizistInnen,
LehrerInnen, RichterInnen, Verwaltungsangestellten etc., die in Organisationen arbeiten, die dem Grunde nach auf Ba-
sis des von Max Weber beschriebenen Bürokratiemodells2 funktionieren, nämlich nach festen Aufgabenverteilungen,
strikter Regelgebundenheit des Handels, aktenmäßiger schriftlicher Kommunikation, funktionsorientierter Entlohnung
ohne Leistungskomponente etc. Viele Elemente des Bürokratiemodells sind auch den eher dem Dienstleistungssektor
zuzurechnenden Einrichtungen des Gesundheits-und Bildungswesens anzutreffen, die von einer zunehmenden Verrecht-
lichung erfasst werden.
Vom Bürokratiemodell zur „wirkungsorientierten“ Steuerung
Politik und Bürger stellen nun – zwar in unterschiedlicher Art – die Funktionsweise dieser bürokratischen Organisations-
modelle in Frage und die in ihnen arbeitenden Menschen vor Zerreißproben. Die Politik erfindet auf allen Ebenen neue
Regeln, supranational, national und regional – erwartet sich aber von den Akteuren in den Verwaltungsapparaten rasche
239
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Lösungen – manchmal auch explizit die Preisgabe rechtsstaatlicher Prinzipien. Die Bürger/Adressaten des Verwaltungs-
handelns erwarten rasche, möglichst interessenskonforme Lösungen sogenannter kundenorientierter Natur. Manage-
mentwerkzeuge wie Kostenrechnung, periodengerechtes Rechnungswesen, Globalbudgetierung und Leistungsorientie-
rung sollen die Verwaltungseinheiten zu mehr oder besserem Output anstacheln, Kosteneffizienz und Bürgerorientierung
sollen pekuniär prämiert werden. Das österreichische Bundeshaushaltsgesetz fordert ab 2013 Wirkungsziele auf der
Politischen Verantwortungsebene und Globalziele auf der administrativen Ebene ein. Dezentralisierte Globalbudgets mit
Rückstellungsmöglichkeit nicht verbrauchter Budgetteile sowie Prämienfähigkeit eines Teiles der Einsparungen sollen zu
effizienter Verwaltungsführung anhalten. Das auf rechtzeitigen Budgetverbrauch im Haushaltsjahr getrimmte Denken soll
durch eine Kultur der Output- wenn nicht sogar Outcome-Steuerung abgelöst werden. “Bei der Transformation von bü-
rokratischen zu unternehmerischen Kulturen taucht regelmäßig ein enormes Konfliktpotential auf: die Mitarbeiter haben
nicht gelernt, selbständig zu entscheiden, sie warten auf Anweisungen aus der Linie, sie beschweren sich über zu wenig
Führung, sie sind nicht gewohnt, in Teams zu arbeiten, sie wollen vielfach eher vereinzelte Befehlsempfänger bleiben“.3
Die Funktion der Personalentwicklung im Transformationsprozess
Am Weg „von der Bürokratie zum Management“ heißt das „Königsinstrument“ Personalentwicklung, das Innovations-
und Sparziele gleichermaßen durch Hebung des Leistungs- und Motivationsstandes realisieren helfen soll. Bis in die
70er Jahre des vorigen Jahrhunderts beschränkte sich die Ausbildung des Verwaltungspersonals – auch der Lehrer-
Innen – auf die bloße Einstiegsausbildung, die mit der Ablegung der Dienstprüfung oder der Lehramtsprüfung als
beendet angesehen wurde. Die berufsbegleitende Fortbildung wurde lange Zeit von der Notwendigkeit des Erlernens
neuer Fertigkeiten auf dem Sektor der Informationstechnologie oder des Erlernens von Fremdsprachen beherrscht. Mit
der Gründung der Verwaltungsakademie des Bundes 1975 wurde die Führungskräfteausbildung eingerichtet, die neben
der Vermittlung von Führungs- und Entscheidungstechniken auch gruppendynamische Teamübungen beinhaltete. Zum
Unterschied zur obligatorischen und flächendeckenden Einstiegsausbildung blieben sowohl Fortbildung als auch Füh-
rungskräfteausbildung mit dem Manko der Freiwilligkeit der Teilnahme und der Praxisferne behaftet. Im Beiratsbericht
„Perspektiven des Öffentlichen Dienstes“ der Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst aus 2011 liest sich
das so: „Berufsvorbereitendes (Aus-)Lernen wird den Anforderungen in der Zukunft nicht gerecht. Lebenslanges Lernen
erfordert ein integrales Verständnis der im Lebenslauf sich kontinuierlich entwickelnden Kompetenzen. In der Praxis
ist eher eine Trennung von Aus- und Weiterbildung einerseits und strukturellen Fragen andererseits zu bemerken. Die
MitarbeiterInnen benötigen Gestaltungskompetenzen, um mit den inhaltlichen, sozialen, methodischen und emotionalen
Anforderungen an den Arbeitsplätzen selbständig
zurechtzukommen und gleichzeitig die Organisation zu entwickeln.“ 4
240
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching als Format der Führungskräfteentwicklung
Wenn nun die Integration des Lernens in die alltägliche Arbeits- und Führungsumwelt als sogenanntes „vikarisches Ler-
nen“ 5 in den Vordergrund tritt, dann bietet Coaching einen geeigneten Ansatzpunkt zur Dynamisierung der bürokratie-
geprägten Führungskultur. Die Erkennung, Benennung und Nutzbarmachung verdeckter Ressourcen des Coachees soll
dessen Kompetenz (wieder)herstellen beziehungsweise erweitern.6 Gerade der systemisch- konstruktivistische Ansatz
mit seiner Abkehr vom linear-kausalen Wirklichkeitsverständnis und der Herausarbeitung der jeweiligen systemischen
Handlungskontexte ermöglicht die Entwicklung neuer Lösungspotentiale durch den Coachee selbst im Rahmen verän-
derter Problemsichten. Mit Hilfe der speziellen Frage- und Interventionstechniken des Coaches können sich Führungs-
kräfte ihre Positionierung im veränderten Umfeld ihrer Organisationen selbst erarbeiten. Sowohl in der beruflichen Ein-
führungsphase als auch in den von der Führungskraft zu initiierenden oder zu tragenden Veränderungsprozessen kann
Coaching einen Beitrag leisten, wie mit tatsächlichen oder erwartbaren Widerständen umzugehen ist, wie behördliche
Arbeit mit neuen Managementerfordernissen der Zielsetzung, Ergebniskontrolle und Kundenorientierung vereinbar ist.
Führungskräfte sollen vorbereitet werden, dass Innovationen, die Routinisierungen reduzieren, unterschiedliche Formen
des Widerstandes mobilisieren und wie sie im Einzelnen diesen Widerständen begegnen. Sie sollten zu mehr „Konflikt-
mut“ animiert werden und auch dazu, ihre Mitarbeiter zu mehr Individualität und Mut zu Ungewöhnlichem zu ermuntern.7
Die im Bürokratiemodell vorherrschende Positionsautorität muss in Organisationen im Change-Prozess, in dem das
gesicherte Terrain regelgebundenen Handelns verlassen wird durch eine „Interaktionsautorität“ der Führung, zumindest
ergänzt werden. Um die Konfliktpotentiale aus einer neuen Interaktionskultur nicht zu umgehen, sondern zu nutzen,
bedarf es sicherlich des Ausschöpfens vorhandener Ressourcen der Führungskräfte.
Der Einsatz von Coaching in Österreichischen Verwaltungsorganisationen
Im Folgenden werden – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – die zusammengefassten Ergebnisse einer Umfrage unter
PE-Zuständigen von großen Verwaltungseinheiten wie Bundesministerien und Landesverwaltungen zum Thema der In-
tegration von Coaching in die Führungskräfteentwicklung wiedergegeben. Vorweg ist festzuhalten, dass durchgehend
Coaching nur als Angebot und nicht als gezielte Verpflichtung Einzelner verstanden wird. Die Auswahl der Coaches
erfolgt durch die künftigen Coachees zumeist aus Listen, die bei den Personalentwicklungsverantwortlichen aufliegen
und bezüglich fachlicher Eignung vorselektiert wurden. Auf diesen Listen scheinen zumeist Personen auf, die im Aus-
bildungswesen der Verwaltungsorganisation bereits als frei- bzw. nebenberufliche TrainerInnen tätig sind. Die konkrete
Vertragsgestaltung übernimmt die PE-Einheit, die auch auf die Einhaltung der finanziellen Limits achtet. Überwiegend
werden Stundensätze um 90€ genannt, zwei Organisationen haben 170€ bzw. 220€ als Höchstlimit genannt.
241
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching zur Einführung neuer Führungskräfte
Während Coaching-Einheiten bei allen Befragten auf Verlangen auch anlässlich der Übernahme einer Leitungsfunktion
zur Verfügung gestellt werden, beschreitet hier das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz
(BMASK) einen neuen Weg. Schon während der obligaten (Nachwuchs-)Führungskräfteausbildung besteht die Mög-
lichkeit, 2 Coaching-Einheiten sozusagen als Bekanntmachung mit dem Instrument in Anspruch zu nehmen. Gezielt wird
Einzelcoaching anlässlich der Übernahme der neuen Leitungsfunktion etwa von der Salzburger Verwaltungsakademie
angeboten. Die Personalentwicklung der Gemeinde Wien verfolgt für neu installierte Führungskräfte den Weg des Men-
toring durch bereits bewährte Führungskräfte, was hinsichtlich Erfahrungsaustausch und Zusammenarbeitskultur zu sehr
positiven Ergebnissen führt. Bei entsprechender Vertrautheit der MentorInnen mit Coaching-Techniken könnte man von
einem In-House-Coaching sprechen.
Coaching von etablierten Führungskräften
Wohl am treffendsten beschreibt die Verwaltungsakademie der Gemeinde Wien den Nutzen von Coaching folgender-
maßen: „Bei diesem Angebot geht es um die Möglichkeit, sich auf professioneller Basis mit einer fachlich kompetenten
Person auszutauschen, mit dem Ziel, Reflexionsprozesse im Hinblick auf die Führungssituation im Change-Prozess zu
ermöglichen. Insbesondere die Erweiterung der Führungskompetenz, soziale Konflikte am Arbeitsplatz, Kommunikation,
aber auch der Umgang mit und die Auswirkungen von Veränderungen in der Organisation können im Zentrum dieses
Dialogs stehen. Der Nutzen liegt ferner in der direkten Umsetzbarkeit und im spezifischen Eingehen auf das berufliche
Umfeld der Person. Dadurch wird ein hoher Lerntransfer gewährleistet.“
Die Inanspruchnahme der Coaching-Angebote erfolgt meist zwecks Wahrung der Diskretion unter direkter Kontaktnahme
des Coachees mit dem/der PE-Verantwortlichen. Lediglich in einem Führungshandbuch findet sich die Notwendigkeit
der Unterstützung der Coaching-Prozesse durch die Schlüsselpersonen des Managements.
Coaching und Supervision
In allen befragten Verwaltungsorganisationen wird auch Supervision angeboten. Im Führungshandbuch des BMASK
wird dazu erklärt: „Supervision ist eine psychologisch fundierte Praxisberatung für Einzelpersonen, Gruppen oder Teams
durch eine Supervisorin oder einen Supervisor, die hilft, berufliches Handeln im Schnittpunkt psychischer, sozialer und
institutioneller Bestrebungen und Konflikte zu verstehen und zu verbessern. In der Einzelsupervision wird … die kon-
krete Arbeitssituation reflektiert mit dem Ziel, Belastungen zu verringern sowie den persönlichen Handlungsspielraum zu
erweitern oder den Wiedereinstieg zu erleichtern. Sie kann damit auch einen wichtigen Beitrag zur Burnout-Prävention
leisten.“ Vom Kostenaspekt und dem Genehmigungsprozess her wird Supervision ähnlich behandelt wie Coaching,
242
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
allerdings wird Supervision als direktive Beratungstechnik eher im operativen Bereich für MitarbeiterInnen im behörd-
lichen Kundenkontakt bei Finanzämtern, Sozialämtern oder Frauenberatungsstellen empfohlen und eingesetzt. In der
Finanzverwaltung gibt es für die Inanspruchnahme von Supervisionsleistungen – wobei allerdings auch Coaching-Leis-
tungen beansprucht werden können – sogenannte Beratungsschecks, die bei Supervisoren/Coaches eingelöst werden
können, die über entsprechende Rahmenverträge verpflichtet werden.
Psychotherapeutische Beratung
Lediglich in einer Verwaltungsorganisation werden auch in raren Einzelfällen psychotherapeutische Leistungen im Rah-
men der Personalentwicklung finanziert, wobei man sich aber der heiklen Situation an der Schnittstelle zur Privatsphäre
bewusst ist. Bei der Aufnahme in die Empfehlungsliste von ausgebildeten Coaches wird aber in 2 Einrichtungen explizit
auf eine psychotherapeutische Ausbildung Wert gelegt. Dies soll bei Grenzfällen die Verwendung ungeeigneter Kommu-
nikations- und Interventionstechniken vermeiden helfen.
Evaluation von durchgeführten Coachings
Die Evaluation von Coachings nach der Inanspruchnahme der budgetfinanzierten Einheiten beschränkt sich durchgängig
auf eine Evaluation des Coaching-Prozesses mit dem Ziel, die Zweckmäßigkeit der Weiterbeschäftigung des jeweiligen
Coaches zu überprüfen. Inhaltliche Überprüfungen, etwa der Verbesserung der Problemlösungsfähigkeit vor Ort finden
nicht statt. Dies wird vor allem mit der für das Interaktionsmuster „Coaching“ notwendigen Intimität und Diskretion der
Lösungsarbeit begründet.
Zusammenfassung und Ergebnisse
Coaching ist als Format der Personalentwicklung von Führungskräften in der öffentlichen Verwaltung in weiten Bereichen
anerkannt und in Anwendung stehend. Es wird allerdings überwiegend noch als zentral beigestellte Leistung verstan-
den, die im individuellen Bedarfsfall abgerufen werden kann und der somit eher der Charakter von „Feuerwehreinsatz“,
„Reparaturhilfe“ oder „Sozialleistung“ anhaftet. Die so praktizierte Form der organisationsinternen Unterstützung der
Führungskräfte der Verwaltung bei Problemsituationen an der Schnittstelle von Persönlichkeit und Organisation erfreut
sich guter Akzeptanz – etwa 5 -10 % der Führungskräfte nutzen sie (eigene Schätzungen). Vom Dienstgeber beigestelltes
Coaching gehört sicherlich zu den immateriellen Leistungsanreizen, die gemäß einer jüngst veröffentlichten Blitzumfrage
des Wirtschaftsforums der Führungskräfte von 40% der Führungskräfte als leistungsmotivierend empfunden werden,
wohingegen nur 10% der Befragten in einem höheren Gehalt einen Leistungsanreiz sehen.
Eine Integration des Coaching in den Transformationsprozess, dem die öffentlichen Verwaltungen von der hoheitsbe-
zogenen zur leistungsorientierten Verwaltung unterliegen, ist allerdings nur in Ansätzen zu bemerken. Nur in einem
243
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
einzigen Fall wird vom gezielten Einsatz des Coaching im Wege von Teamcoaching durch den Fachvorgesetzten selbst
zur Weiterentwicklung der Organisation – in diesem Fall einer bedeutenden Sektion eines Bundesministeriums – be-
richtet. Im Sinne des notwendigen „transformationalen“ Lernens wäre eine Integration von Coaching-Prozessen in den
Führungsalltag des Verwaltungsgeschehens in vermehrtem Maße wünschenswert. Einen beachtenswerten Ansatz hierfür
bietet die bereits vom BMASK geübte Praxis der Verankerung des Coaching in der Ausbildung der Führungskräfte selbst.
Wissen über Funktions- und Wirkungsweise des Coaching wird so vom Arkanwissen der Spezialisten der Personalent-
wicklungsabteilungen zum integrierten Bestandteil des Führungswissens der Organisation selbst und kann damit seinen
Beitrag zu Innovation und Veränderung der Organisationskultur leisten.
1) Schedler, Kuno; Proeller, Isabella, New PublicManagement, S 22 ff2) Weber, Max, Wirtschaft und Gesellschaft, S 1283) Schreyögg, Astrid, Konfliktcoaching, S 1494) Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst, Perspektiven des Öffentlichen Dienstes, S 225) Klimecki, Rüdiger, Verwaltungsreform durch organisationales Lernen, S 22 f6) Koditek, Thomas, Systemisches Coaching im Prozess, S 15 ff7) Schreyögg, Astrid, Konfliktcoaching, S 164 f
Literaturverzeichnis
Klimecki, Rüdiger (1998): Verwaltungsreform durch organisationales Lernen – auf dem Wege zu einer
lernenden Verwaltung, Management Forschung und Praxis Nr. 24, Universität Konstanz
Koditek, Thomas (2008): Systemisches Coaching im Prozess, Ein Lern- und Arbeitsbuch,
Berlin: Internationale Akademie an der Freien Universität Berlin
Schedler, Kuno; Proeller, Isabella (2009): New Public Management, Bern/Stuttgart/Wien: Haupt
Schreyögg, Astrid (2011): Konfliktcoaching, Frankfurt 2011: Campus
Weber, Max /1985): Wirtschaft und Gesellschaft, Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen: J.C.B. Mohr
Bundesministerin für Frauen und Öffentlichen Dienst (2011): Perspektiven des Öffentlichen Dienstes,
Wien: Bundeskanzleramt
244
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching in der FührungskräfteentwicklungMag. Heidemarie Truppe
Einleitung
Im Top-Management sind andere Qualitäten gefragt als Fachkompetenz und Leistung, die im Regelfall zu einer Füh-
rungsposition führen. In diesem Kapitel sollen Möglichkeiten von Coaching als Instrument der Führungskräfteentwick-
lung aufgezeigt werden. Es geht darum, wie Coaching dazu beitragen kann, Führungskräften zu helfen, mit den Heraus-
forderungen der Führungsrolle umzugehen und sich mit den neuen Rollenanforderungen anzufreunden. Darüber hinaus
wird die Frage beantwortet, wann soll Coaching in der Führungskräfteentwicklung eingesetzt werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Begriffsdefinitionen
1.1 Personalentwicklung
1.2 Organisationsentwicklung
1.3 Führungskräfteentwicklung
1.4 Coaching
2. Die Rolle(n) der Führungskraft
3. Coachingthemen mit betrieblichem Hintergrund
3.1 Organisationsinterne Faktoren
3.2 Organisationsexterne Faktoren
4. Anforderungen der Führungskraft (Coachee) an den Coach
4.1 Nutzen für die Führungskraft (Coachee)
5. Die Rolle(n) des Coaches
6. Welche Personen werden gecoacht?
7. Anlässe für Coaching in der Führungskräfteentwicklung
7.1 Umfeldveränderungen als Anlässe für Coaching
8. Abgrenzung zu anderen Disziplinen
9. Resümee
10. Literaturliste
245
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1. Begriffsdefinitionen
In diesem Abschnitt werden die Begriffe Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Führungskräfteentwick-
lung erklärt.
1.1 Personalentwicklung
Der Begriff Personalentwicklung umfasst alle Maßnahmen der Bildung, der Förderung und der Organisationsentwick-
lung, die von einer Organisation oder Person zielorientiert geplant, realisiert und evaluiert werden. Auf Aus- und Wei-
terbildung inhaltlich begrenzt wird Personalentwicklung im engeren Sinne verstanden, im weiteren Sinne versteht man
die Bedeutung der Personalentwicklung als Mittlerfunktion zwischen den Zielen des Unternehmens und den Zielen des/
der Mitarbeiter/in.1
1.2 Organisationsentwicklung
Sowohl in der Literatur als auch in der Praxis existiert ein breites Spektrum verschiedener Organisationsentwicklungs-
begriffe. Hier zwei Definitionen, die meiner Meinung nach für den in diesem Kapitel beschriebenen Prozess am besten
passen:
Organisationsentwicklung ist ein längerfristig angelegter, organisationsumfassender Entwicklungs- und Veränderungs-
prozess von Organisationen und der in ihr tätigen Menschen. Der Prozess beruht auf Lernen aller Betroffenen durch
direkte Mitwirkung und praktische Erfahrung.2
Die Organisationsentwicklung beinhaltet einen langfristig angelegten, umfangreichen Entwicklungs- und Veränderungs-
prozess von Organisationen. Im Gegensatz zur Personalentwicklung wird der Fokus nicht auf den Einzelnen, sondern auf
die Organisation als Ganzes gelegt.3
1.3 Führungskräfteentwicklung
„Unter Führungskräfteentwicklung wird die gezielte und systematische Förderung von Führungskräften durch die Ent-
wicklung von Kenntnissen, Fähigkeiten und Grundhaltungen verstanden und zwar zum Zwecke der besseren Erfüllung
von aktuellen und zukünftigen Leitungsaufgaben.“ 4 Führungskräfteentwicklung kann man als Personalentwicklung für
das Management bezeichnen.
Die drei Themen Personalentwicklung, Organisationsentwicklung und Führungskräfteentwicklung sind meiner Meinung
nach untrennbar miteinander verbunden.
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1.4 Coaching
Der Begriff Coaching wird in der Literatur sehr oft und vielfältig beschrieben. In Zusammenhang mit der Führungskräfte-
entwicklung sind sich aber alle namhaften Autoren grundsätzlich darüber einig, dass Coaching ein
- Personalentwicklungsinstrument ist,
- welches sich an Führungskräfte wendet mit
- dem Ziel der Verbesserung der Arbeitsqualität und welches
- potenzialorientiert individuell arbeitet.5
Als Instrument der Personalentwicklung steht beim Coaching die Person im Zentrum der Bemühung. Es geht um indi-
viduelle Entwicklungsförderung der beruflichen Situation. Es können dabei aber auch die persönlichen Themen, die aus
dem privaten Umfeld kommen, mit eine Rolle spielen.
2. Die Rolle(n) der Führungskraft
Führungskräfte bewegen sich in unterschiedlichen Rollen. An jede dieser Rollen sind spezifische Erwartungen geknüpft.
Für erfolgreiches Handeln wie auch für ein erfolgreiches Coaching ist es wichtig zu erkennen, in welcher Rolle sich die
Führungskraft befindet, welche Rolle im Moment gefragt ist und welches Verhalten wann sinnvoll ist.
Die in der Literatur am öftesten zitierten Rollen der Führungskraft sind nachfolgende:
- Vorgesetzte/r: vereinbart Ziele und Aufgaben, trägt Entscheidungsverantwortung, plant, organisiert und kontrolliert,
sichert die Kommunikation und ergreift disziplinarische Maßnahmen.
- Fachmann/Fachfrau: verfügt über Fachkenntnisse, gibt sie und seine Erfahrung weiter, vermittelt Sicherheit und Rou-
tine, sorgt für Effizienz und Effektivität.
- Moderator/in: fördert Teamerleben und Identifikation, vermittelt, managt Konflikte, bleibt unparteiisch.
- Coach: begleitet die individuelle Entwicklung des Mitarbeiters/der Mitarbeiterin, hilft bei der Entfaltung persönlicher
Ressourcen, fördert, fordert, berät, reflektiert und gibt Feedback.
- Unternehmer/Geschäftsführer/Amtsleiter/in: überblickt die gesamte Organisation, gibt Vision und Mission vor, beob-
achtet den Markt, Vertretung nach außen.
- Mitarbeiter/in: vereinbarte Ziele in Rücksprache mit der Führungskraft erfüllen.
Diese Rollen in ihrer Gesamtheit ergeben als Führungsaufgabe, Visionen zu entwickeln und die Umsetzung zu fokussie-
ren, Mitarbeiter/innen zu motivieren und Kontakte zu pflegen.
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3. Coachingthemen mit betrieblichem Hintergrund
In einer Organisation gibt es viele Faktoren, welche Inhalt eines Coaching sein können. In der Untersuchung von Jüster,
Hildebrand u. Petzold6 wird auf die 2 wichtigsten Faktoren eingegangen: die organisationsinternen und die organisati-
onsexternen Faktoren.
3.1 Organisationsinterne Faktoren
- Veränderung des Arbeitsauftrags: Arbeitsabläufe können sich verändern, die Aufgabenstellung wird erweitert
- Veränderung des Arbeitsfelds: kann neue Aufgaben bringen
- Krise im Arbeitsumfeld: Störungen im Wohlbefinden oder im routinierten Handlungsablauf
- Veränderung der Firmenstrategie: wird oft zu wenig kommuniziert
- Veränderung der Firmenphilosophie: nimmt oft Einfluss auf die Kultur, wie miteinander umgegangen wird, und wirkt
- sich so auch unmittelbar auf Führungskräfte aus
- Innovationsbedarf: Weiterentwicklung eines Betriebs zwischen Möglichkeitshorizont und derzeitigem Prozessablauf
3.2 Organisationsexterne Faktoren
- Veränderungen im Firmenumfeld
- Neue Technologien: neue Möglichkeiten zur Produktentwicklung, Arbeitsorganisation, Vermarktung etc. sind adap-
tiert, jedoch noch nicht in die Organisation integriert
- Marktveränderungen: können auch die Gewinnerwartung betreffen
4. Anforderungen der Führungskraft (Coachee) an den Coach
In bestimmten Situationen einen Coach zu engagieren, ist kein Zeichen von Führungsschwäche, es ist die Wahl einer
effizienten Problemlösungsform. Da Coaching auch im beruflichen Umfeld als sehr intimer Prozess der persönlichen
Beratung gilt, braucht jeder Coachee einen gewissen Typ von Coach, und je nach „Gefordertheit der Lage“ sind verschie-
dene Kompetenzen eines Coaches gefragt.
Abbildung 1 gibt einen Überblick über wesentliche Kompetenzfelder eines Coaches.
248
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Abbildung1: Kompetenzfelder7
4.1 Nutzen für die Führungskraft (Coachee)
Für die Führungskraft ist das Coaching ein Interaktions- und Reflexionsprozess. Es werden interaktionale Fähigkeiten
weiterentwickelt und Fertigkeiten zur beruflichen Verbesserung erarbeitet. Den Mehrwert daraus tragen die Organisation
und die Person.
Wichtig für den Einsatz von Coaching bei Führungskräften ist die im Alltag fehlende Reflexion der eigenen Verhaltens-
weisen aufgrund der hierarchischen Stellung. Mitarbeiter/innen sind meistens von dem/der Vorgesetzten abhängig und
lassen Äußerungen, die ihnen schaden können, lieber bleiben. Konkurrierende hierarchisch gleich gestellte Kolleg/inn/
en sind meistens auch nicht daran interessiert, ehrliches Feedback zu geben, da eine potentielle Verbesserung des an-
deren die eigene Position schwächen könnte. Weiters ist die mangelnde Kritikfähigkeit von Führungskräften ein weiterer
Aspekt, der Feedback nicht fördert. Die Reflexion des eigenen Verhaltens ist jedoch für die Entwicklung jeder Person
notwendig, speziell die Ebene der Führungskräfte muss im betrieblichen Umfeld wandlungsfähig sein, damit das Unter-
nehmen flexibel auf die Umfeldbedingungen reagieren kann. Fehlende externe Verhaltensreflexion kann demnach unter
Umständen existenzbedrohend sein.8
Ein weiterer wichtiger Grund liegt darin, dass Führung heute mehr denn je bedeutet, mit Widersprüchen zu leben. Füh
Feld- undFachkompetenz
Prozess- und Ablauforganisations-
kompetenz
Rollenkompetenz
Selbstreflexions-kompetenz
Vernetzungskompetenz Ethik- und Humankompetenz
Soziale Interaktionskompetenz
Management/ Leitungskompetenz
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rungskräfte sollen laufend in unterschiedliche Rollen schlüpfen, hierfür ist unterschiedliches Kommunikationsverhalten
gefordert.
5. Rolle(n) des Coaches
Die meisten Coachees sehen den Coach in der Rolle des wohlwollenden und nicht direktiv strukturierenden Partners.
Der Coach gibt Unterstützung und erkennt bzw. erweitert das Handlungsrepertoire. Er ist mittels geeigneter Tools in der
Lage, die Fähigkeiten
- Kommunizieren
- Interagieren
- Reflektieren/Metareflektieren
- Führen und Leiten
zu vermitteln.
Abbildung 2: Rolle des Coaches9 (die Skalierung basiert auf den Punktewerten voll 3, weniger 2, kaum 1 und nicht
zutreffend 0)
Die wichtigste Fähigkeit eines Coaches ist die eines Beobachters und die Einfühlungsgabe, den Coachee anzuregen,
diese Position vorübergehend einzunehmen. Der Coach gibt aus seiner unabhängigen Position heraus der Führungskraft
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Feedback über seine Wirkung anderen gegenüber. Dadurch werden eingefahrene Verhaltensmuster erkannt und gege-
benenfalls geändert. Der Coach soll das Coaching so gestalten, dass Führungskräfte den Kontakt, die Arbeitsbeziehung
und die persönliche Kommunikation zu ihren Mitarbeiter/inne/n in einer für sie hilfreichen Weise verändern und verbes-
sern. Wenn Mitarbeiter/innen ihre Führungskraft wirklich verstehen, entwickeln sie Commitment, Motivation und Freude
am Engagement.10
Die Einsatzfähigkeit des Personalentwicklungsinstruments Coaching wird maßgeblich durch die Persönlichkeit des Coa-
ches limitiert.
6. Welche Personen werden gecoacht?
Grundsätzlich können in der Führungskräfteentwicklung gegenwärtige Führungskräfte wie auch Nachwuchsführungs-
kräfte gecoacht werden. Nachfolgende Grafik (Abbildung 3) zeigt, wie hoch die Anteile der jeweiligen Zielgruppen sind.
Abbildung 3: Zielgruppe des Coachings11
7. Anlässe für Coaching in der Führungskräfteentwicklung
Lt. einer Umfrage von Jüster, Hildenbrand und Petzold12 werden potenzialorientierte Themen als Anlässe für Coaching
bevorzugt, Themen der Problemlösung, persönlichen Überforderung, Performance-Optimierung und Konfliktlösung fol-
gen (siehe Abbildung 4).
Alle Ebenen 12%
Nachwuchs-führungskräfte 10%
Führungskräfte 36%
Schlüsselpersonen 19%
Top-Managementund 1. Ebene 22%
Teams 1%
251
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Abbildung 4: Anlässe für Coaching13
(Die Skalierung basiert auf den Punktewerten voll 3, weniger 2, kaum 1 und nicht zutreffend 0).
7.1 Umfeldveränderungen als Anlässe für Coaching
Veränderungen im Umfeld einer Führungskraft sind eine enorme Herausforderung.
In der in Pkt. 7 genannten Umfrage werden die in Abbildung 5 genannten Umfeldveränderungen als Anlässe für Coaching
genannt.
Abbildung 5: Umfeldveränderungen, die zum Coaching führen14
(Die Skalierung basiert auf den Punktewerten voll 3, weniger 2, kaum 1 und nicht zutreffend 0).
252
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8. Abgrenzung zu anderen Disziplinen
Die Abgrenzung von Psychotherapie und Coaching ist wohl eine der wichtigsten. Coachingtechniken haben häufig einen
psychotherapeutischen Hintergrund, jedoch ist Coaching keine Psychotherapie und muss hiervon eindeutig abgegrenzt
werden. Zielperson des Coachings ist immer der gesunde Mensch, der Themen im Bereich der Arbeit oder im Privaten
hat. Wenn der Coach im Verlauf des Coachings eine ernsthafte psychische Erkrankung feststellt, muss der Coachee
darauf aufmerksam gemacht und das Coaching unterbrochen werden.
Auch zwischen Coaching und Beratung muss eine Grenze gezogen werden. Im Coaching wird der Coachee zur selb-
ständigen Problemlösungsfähigkeit hingeführt. Der Coach muss schon am Beginn des Coachings darauf hinweisen,
dass er kein Ansprechpartner für fachliche Themen ist. Beratung hingegen passiert aus einem fachwissenschaftlichen
Blickwinkel heraus.
Unter Training wird im Rahmen der Personalentwicklung der Aufbau bestimmter situationsabhängiger Verhaltensweisen
verstanden, Führungskräfte gehen im Training unter Umständen auf persönliche Anliegen ein. Coaching zielt auf die
Problemlösungsfähigkeit des Coachees und arbeitet in einem größeren Kontext und können als Ergänzung zu Trainings
genutzt werden, um individuelle Themen zu bearbeiten, evtl. erlernte Theorien noch besser in den eigenen Führungs-
alltag zu integrieren. Coachingzeiten können individuell und kurzfristig vereinbart werden.
9. Resümee
Ziel von Führungskräftecoaching ist es, die Wirksamkeit einer Führungskraft in einer gegenwärtigen oder zukünftigen
Position zu erhöhen oder Führungskräften zu helfen, sich so zu sehen, wie sie von anderen gesehen werden, im Hin-
blick auf deren Erwartungen, Reaktionen, Wahrnehmungen und Beobachtungskriterien. Eine wesentliche Eigenschaft
von Führungskräften ist/sollte die Fähigkeit der Selbstreflexion sein: im Coaching kann gezeigt werden, wie dies gut
funktioniert. Der Coach erweist seinem Coachee verständnisvolle Wertschätzung, was im Management nicht alltäglich
ist. Anerkennung von externen unabhängigen Personen stärkt die Führungskräfte.
Jeder Veränderungsprozess von Personen und/oder Organisationen ist ein langfristiger Prozess mit unsicherem Aus-
gang. Die Einführung von Coaching als Instrument der Personalentwicklung erhöht die Chance, diesen Prozess erfolg-
reich abzuschließen.
Coaching ist in der Verbreitung stark gewachsen und wird in Betrieben zunehmend genutzt. Die Chancen, dass Coaching
in absehbarer Zeit zur Selbstverständlichkeit wird, stehen meiner Meinung nach sehr gut!
253
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1) http://de.wikipedia.org/wiki/Personalentwicklung#cite_ref-0, 26.01. 2010, 15:34 Uhr2) Vgl. Becker 1999, S. 4433) http://de.wikipedia.org/wiki/Organisationsentwicklung, 26.01.2010, 15:34 Uhr4) Jentjens 1997, S. 545) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Hilarion in Rauen 2005, S. 956) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Hilarion in Rauen 2005, S. 957) Vogelauer 2005, S. 278) Vgl. Hauser 1991, S. 214ff9) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 8610) Vgl. Lederin Rauen 2005, S 483f11) Bachhausen 2006, S 11212) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 84 13) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 8514) Vgl. Jüster, Hildenbrand, Petzold in Rauen 2005, S. 85ff
10. Literaturliste
Backhausen, Wilhelm (2006), Coaching: Durch systemisches Denken zu innovativer
Personalentwicklung, Wiesbaden: Gabler
Becker, Manfred (1999), Personalentwicklung, Stuttgart: Schäffer-Poeschel
Hauser, Emil (1991), Coaching: Führung für Geist und Seele, in: Feix, W. Hsg.),
Personal 2000: Visionen und Strategien erfolgreicher Personalarbeit, Wiesbaden 1991
Jentjens, Sabine (1977), Führungskräfteentwicklung in Großbanken. München: Hampp
Rauen, Christopher (2005), Handbuch Coaching, Göttingen: Hogrefe
Vogelauer, Werner (2005), Methoden-ABC im Coaching, München: Luchterhand
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Coaching. Ein Tool zur Verbesserung von Mystery Shopping ErgebnissenClaudia Hammerler
Zitat: „Ob du glaubst, dass du es kannst oder es nicht kannst ... Du wirst immer Recht behalten.“
Henry Ford
INHALTSVERZEICHNIS
1. Einleitung
2. Hintergrund und Theorie
2.1. Was ist Mystery Shopping?
2.2. Zielsetzung von Mystery Shopping
2.3. Ablauf eines Mystery Shopping Projektes
2.4. Wie setzt sich der Kriterienkatalog bei Palmers zusammen?
2.5. Was bedeutet Coaching?
3. Persönliche Zielsetzung
4. Voraussetzung, um ein Teamcoaching zu leiten
5. Freiwilligkeit und Coaching
6. Phasen im Teamcoaching
6.1. Orientierungsphase/Einstiegsphase
6.2. Situationsschilderung
6.3. Auftragserarbeitung = Zieldefinition
6.4. Lösungsgespräch
6.5. Maßnahmenplanung
6.6. Abschlussphase
7. Zwei Methoden für Teamcoachings
7.1. Skalierung
7.2. Ins Ziel gehen, die Vision sichtbar machen
8. Der Prozess
9. Conclusio
10. Literaturverzeichnis
255
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1. Einleitung
Palmers und Ausbildung – eine jahrzehntelange Erfolgsgeschichte.
Nach vielen Jahren meiner Tätigkeit bei Palmers, begonnen als Lehrling im Verkauf, Trainer in der Ausbildung, Filialleiter
und zuletzt zuständig für den Bereich Retail bin ich immer auf der Suche nach persönlicher Weiterentwicklung. Ein be-
sonderes Anliegen ist die Ausbildung meiner Mitarbeiter. Diese zu fördern und fordern, ist Teil meiner täglichen Arbeit.
Die Coaching Ausbildung hat mir diesbezüglich viele neue Ansätze geliefert, zum Beispiel, dass ich als Führungskraft
nicht alleine für die Lösung verantwortlich bin, sondern dass Mitarbeiter die für sie maßgeschneiderten Lösungen bereits
in sich tragen. Meine Aufgabe liegt darin, sie zu unterstützen, diese zu erkennen, sichtbar zu machen und für ihre Aufgabe
individuell zu adaptieren. Das unterstützt mich sehr in meiner täglichen Rolle als Führungskraft und befreit mich von
meinem inneren Antrieb, stets Lösungen parat zu haben, die mitunter nicht zielführend und richtig sind.
So möchte ich diverse Übungen, die ich im Zuge meiner Coachingausbildung erfolgreich erlebt und in Einzelcoachings
bereits umgesetzt habe, soweit adaptieren, um sie bei meinen Filialteams umzusetzen.
Als Beispiel beschreibe ich in meiner Arbeit die Umsetzung / Adaptierung mit dem Thema „Verbesserung von Mystery
Shopping Ergebnissen“, individuell auf jedes Team und dessen Bedürfnisse abgestimmt.
2. Hintergrund und Theorie
2.1. Was ist Mystery Shopping?
Unter Mystery Shopping bzw. Testkauf werden im Allgemeinen Verfahren zur Erhebung von Dienstleistungsqualität sub-
sumiert, bei denen geschulte Beobachter, sogenannte Testkäufer, als normale Kunden auftreten und reale Kundensituati-
onen wahrnehmen. Das Dienstleistungsgeschehen wird dabei nach einem zuvor festgelegten Kriterienkatalog
bewertet. Nicht die subjektive Wahrnehmung, sondern eine möglichst objektive Beurteilung von Qualitätsaspekten ist
zentraler Gegenstand des Verfahrens.1
2.2. Zielsetzung von Mystery Shopping
„In der praktischen und wissenschaftlichen Literatur herrscht Übereinstimmung darüber, dass Schwachstellen und somit
Verbesserungspotentiale im Prozess der Erstellung von Dienstleistungen mit Hilfe des Verfahrens Testeinkauf aufgedeckt
256
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und so handlungsrelevante Informationen gewonnen werden können.“2 Dieses Instrument ist insbesondere geeignet,
um die Einhaltung von Vorgaben zu überprüfen (z.B. Servicestandards, Erscheinungsbild der Mitarbeiter, Platzierung
von Produkten und Werbemitteln im Einzelhandel, Verhalten bei Kassiervorgängen). Die Daten werden an der Kunden-
schnittstelle erhoben (z.B. Point of Sale, Call Center, Außendienst) und können die Basis für inner- und außerbetrieb-
liche Leistungsvergleiche bilden, mit Anreizsystemen gekoppelt werden, als Basis für Schulungsmaßnahmen dienen,
zur Messung von Serviceoder Beratungsqualität eingesetzt werden oder als Ausgangspunkt zur Qualitätsentwicklung
verwendet werden.3
2.3. Ablauf eines Mystery Shopping Projektes
Ein Mystery Shopping Projekt verläuft üblicherweise in unterschiedlichen Schritten. Im ersten Schritt sind die Anfor-
derungen und Ziele festzulegen. Sollen beispielsweise Servicestandards überprüft und ggf. verbessert werden, so sind
diese zunächst zu definieren. In der operativen Vorbereitung ist eine Vielzahl an Aufgaben abzuarbeiten: Ein Beobach-
tungskatalog ist zu formulieren und die Art der Durchführung vs. Beauftragung eines Fremdunternehmens.
Weiters der Einsatz von Profitestern, die Verpflichtung der Testkäufer zu Neutralität und Fairness, die Anzahl und die
(mögliche) Art der Schulung der Tester. Der zeitliche Ablauf ist zu planen, und die Rückspielung der Ergebnisse ist fest-
zulegen. Im dritten Schritt wird die Erhebung durchgeführt. Anschließend werden die Daten ausgewertet und Handlungen
abgeleitet. Diese werden umgesetzt, und schließlich wird die Zielerreichung überprüft.
2.4. Wie setzt sich der Kriterienkatalog bei Palmers zusammen?
Der Kriterienkatalog bei Palmers setzt sich wie folgt zusammen4:
1. Die Gestaltung der Schaufenster, der Gesamteindruck des Geschäftes und die Sauberkeit am POS
Die Präsentation der Ware, Orientierung am POS. Hat sich der Kunde gut und rasch im Geschäft zurecht gefunden.
Viele unserer Kunden sind Impulskunden. Ansprechend präsentierte Waren verführen und inspirieren sie zum Kauf.
2. Erscheinungsbild der Mitarbeiter ( Firmenkleidung, Optik allgemein )
Die Mitarbeiter sind die Visitenkarte unseres Unternehmens. So ist eine Businesskleidungs-Fibel das um und auf in
jedem Unternehmen. Dies gilt es zu überprüfen.
3. Umgangsformen: Begrüßung, Kontaktaufnahme, Gespräche, Verabschiedung
Wir legen großen Wert darauf, dass sich unsere Mitarbeiter über die Wichtigkeit der Begrüßung und Verabschiedung
bewusst sind. Ähnlich dem Coachingprozess gilt es einen Energieteppich zwischen dem Kunden und der Verkäuferin
257
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zu legen. Dass sich die Kunden willkommen und wohl fühlen, trägt zum Verkaufserfolg ebenso wie die persönliche
Verabschiedung bei.
4. Optimale Bedarfsermittlung
Offene Fragen sind die Basis jedes Verkaufsgesprächs, um das optimale Produkt zu finden. Sie geben dem Kunden
auch das Gefühl von Wertschätzung und Interesse.
5. Kompetenz Mitarbeiter: Produktauswahl, Modellanzahl
Eins ist keins, zwei ein Dilemma, mit drei beginnt erst die Auswahl. Zum Finden der mindestens 3 Produkte ist eine
ausgezeichnete Bedarfsermittlung ein „Must“. Wofür verwendet die Kundin das Produkt, wozu möchte sie es kombi-
nieren?
6. Produktinformation (Pflege, Trends, Aktionen, Innovationen)
Palmers Kunden erhalten ein „Rundum-Service“. Pflegetipps, die die Wäsche länger schön bleiben lassen. Preisvor-
teile sowie Innovationen.
7. Einwandbehandlung
Wir freuen uns, wenn Kunden Einwände kommunizieren, wie z.B. der Preis ist zu hoch – eine Herausforderung für jede
Palmers Verkäuferin, diesen Einwand gut zu entkräften.
8. Zusatzverkauf
Einer der größten Erfolge ist es, einem Kunden etwas zu verkaufen, das er ursprünglich gar nicht gebraucht hatte.
Grundvoraussetzung für guten Zusatzverkauf ist eine optimale Bedarfsermittlung, aktives Zuhören und die Fähigkeit,
Schlussfolgerungen aus dem Gehörten zu ziehen.
9. Wertvoller Umgang mit Waren
Eine Verkäuferin kann in elegantester Rhetorik Produkte präsentieren, Hochpreisiges logisch nachvollziehbar, aber
alles zunichte machen, indem sie die Ware nicht einer hochwertigen Marke entsprechend behandelt. Hände sind
neben dem Gesprochenen die wichtigsten „Verkäufer“ des Verkäufers.
2.5. Was bedeutet Coaching?
„Coaching ist aus meiner Sicht Beratung ohne Ratschlag – eine Beziehung zwischen Coach und Coachee, in der der
Coach die Verantwortung für die Gestaltung und der Coachee die inhaltliche Verantwortung an seinem Problem zu ar-
beiten übernimmt.“5
258
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Es geht um eine maßgeschneiderte Möglichkeit, ein Problem lösen zu können, indem man sich seiner eigenen Lö-
sungsfähigkeit bedient. Dazu wird ein Lehrumfeld geschaffen, wobei der Coachee seine Angst vor dem Neuen ablegen
kann und dadurch die Freude am Entdecken des Neuen wieder geweckt wird. Der Coach führt seinen Klienten zu dessen
verborgenen Potentialen.6
Unser Ziel ist es nicht, Ursachen für Probleme zu finden,
sondern Ziele und Lösungen in der Zukunft zu erreichen.7
Im Sport wird der Ausdruck Coaching im Sinne von Training verwendet. Der Coach ist dafür da, Spitzensportler persön-
lich zu betreuen und mit ihnen gemeinsam an einer kontinuierlichen Leistungssteigerung zu arbeiten.8
Coaching als Motivation wird sehr häufig in Unternehmen eingesetzt. Führungskräfte coachen ihre Mitarbeiter, indem sie
ihnen Rückmeldung über bisherige Leistungen geben, Mitarbeiter- sowie Zielgespräche führen und mit ihnen neue Ziele
erarbeiten. Das primäre Ziel dieses Coachings ist, Mitarbeiter im Sinne der Unternehmensziele in die richtige Richtung
zu führen. Veränderungen in der Qualität des Managements oder der Führung werden häufig dadurch erreicht, dass die
Dinge nicht schneller oder intensiver, sondern anders gemacht werden.9
Weiters geht systemisches Coaching davon aus, dass jeder Mensch die Ressourcen zur Lösung des Anliegens bereits
in sich trägt, diese ihm aber möglicherweise gerade nicht zugänglich oder bekannt sind. Der Coach unterstützt den Coa-
chee durch unterschiedliche Methoden und Techniken bei seiner besten Lösungsfindung.10
Die Erfahrungen aus dem Einzelcoaching lassen sich auch in Teamprozessen anwenden. Hierbei gilt es ebenso, ein gutes
Lernumfeld für die gesamte Gruppe ( Filialteam ) zu schaffen, verborgene Potentiale sichtbar zu machen und als Gruppe
einen Konsens bezüglich Ziel und der daraus resultierenden individuellen Lösungen der einzelnen Teammitglieder zu
finden.11
3. Persönliche Zielsetzung
Meine persönliche Zielsetzung setzt sich aus folgenden Merkmalen zusammen:
- sichtbar machen von bereits vorhandenen Stärken im Team
- ausarbeiten von neuen Entwicklungsmöglichkeiten im Team
- gemeinsame Erstellung der nächsten Entwicklungsschritte
- Begleitung der nächsten Entwicklungsschritte
- Veränderung von Leistung und Verhalten, mit dem Ziel, Arbeitsergebnisse zu optimieren
259
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Daraus resultieren:
- Erweiterung von Sichtweisen und damit Gewinnung neuer Wahlmöglichkeiten
- Veränderung der Einstellung und des Verhaltens
- Veränderung der Beziehung zwischen Führungskraft und Mitarbeiter
- Veränderungen der Beziehung im Team
- das Ziel, eine gemeinsame Vision zu installieren
4. Voraussetzungen, um ein Teamcoaching zu leiten
Nachfolgend sind jene Voraussetzungen angeführt, die notwendig sind, um erfolgreich ein
Teamcoaching leiten zu können:
- die Fähigkeit, durch Fragen zu führen
- lösungsorientierte Fragen, weg vom Problem
- Fragen simpel und klar formulieren
- Zeit für die Antwort einer gestellten Frage geben
- Ziele und Teilziele zu formulieren und überprüfen
- das eigene Lösungshirn abzuschalten und die eigenen Lösungen nicht als die einzig wahren zu sehen.
- jedem Mitarbeiter mit der gleichen Wertschätzung begegnen
- sich an die jeweilige Geschwindigkeit anpassen
- jeden Gesprächspartner und jedes Thema ernst nehmen
5. Freiwilligkeit und Coaching
Freiwillig teilnehmende Mitarbeiter sind nicht immer diejenigen mit dem größten Entwicklungsbedarf. Denn: “Nicht die
Freiwilligkeit, sondern die Veränderungsmotivation des Coachees ist die entscheidende Voraussetzung für ein effektives
Coaching. In empirischen Studien konnte kein Zusammenhang zwischen Freiwilligkeit und Zielerreichung festgestellt
werden.“12
Die Motivation hängt bei verordneten Coachings aus meiner Sicht davon ab, ob das Feedback von der Führungskraft als
angemessen und förderlich erlebt wurde. Hier genau beginnt die Herausforderung an den Coach, gemeinsam mit dem
Coachee Vertrauen zu gewinnen und motivierende Ziele definieren zu können. „Eine Vertrauensbeziehung auch in einem
verordneten Coaching herzustellen, ist eine Herausforderung, der sich jeder Coach stellen sollte.“13
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„Letztendlich müssen Menschen von sich aus den Sinn darin finden und bereit sein, sich zu ändern oder eine bestimmte
Handlung zu setzen, damit sie diese neuen Handlungen tatsächlich setzen.“14
Wie lange wirken Drohungen wie beispielsweise „Beim nächsten Mystery Shopping muss das Ergebnis aber deutlich
besser werden!“? Auch Aussagen wie: „Sie wollen doch zu den Besten gehören“ oder „Wecken Sie den Sieger in Ihnen“
verlieren nach einiger Zeit an Spannung. Die Mitarbeiter spüren wohl Druck, wissen jedoch nicht, was und wie sie etwas
besser machen können.
„Es sind nicht die Dinge, die uns beunruhigen,
sondern die Meinung, die wir von den Dingen haben.“ 15
Wir können Menschen nicht dazu bringen, sich nachhaltig in eine bestimmte Richtung zu verändern, ohne dass sie für
sich einen Sinn darin finden. Der Preis, der für die Veränderung gezahlt wird, muss niedriger sein als der Gewinn, den
ein Mensch aus der Veränderung zieht. Dies bedeutet, dass die Aufgabe des Teamcoaching ist, eine maßgeschneiderte
Problemlösung zu finden und den Anreiz zu geben, diese Veränderung anzugehen.
6. Phasen im Teamcoaching?
Nachfolgend wird ein mögliches Modell für ein Teamcoaching in sechs Phasen beschrieben.
6.1. Orientierungsphase/Einstiegsphase
Die Mitarbeiter werden intensiv wahrgenommen und eventuell notwendige Erklärungen, den Ablauf betreffend, gegeben
– mit dem Ziel, Vertrauen aufzubauen. Der Einstieg sollte nicht mit „Smalltalk“ verwechselt werden.
6.2. Situationsschilderung
Die Mitarbeiter beschreiben die jeweilige Situation und im Idealfall erzählen sie, was sie verändern möchten. Wichtig ist,
dem Mitarbeiter die Gelegenheit zu geben, sein Problem zu erläutern. Daher gilt für diese Phase: so kurz wie möglich,
so lange wie nötig!
261
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
6.3. Auftragserarbeitung = Zieldefinition
Es ist wichtig, ein klares Ziel zu erarbeiten, d.h., ohne Zieldefinition ist kein erfolgreiches Teamcoaching möglich.
Ein Ziel ist erst dann klar definiert, wenn es sowohl dem Mitarbeiter als auch der Führungskraft klar ist. Die Überprüfung
wird mit einer kurzen Zusammenfassung durchgeführt. Dabei ist es wichtig, auf die Zustimmung jedes Mitarbeiters zu
achten, sei es durch Worte, Mimik, Gestik und Körperhaltung. Ein verbales Commitment aller ist einzuholen.
6.4. Lösungsgespräch
Im Lösungsgespräch muss das Idealbild möglichst klar und konkret beschrieben sein und alle dazugehörigen Elemente
(Beziehungen, Strukturen, usw.) berücksichtigt werden. Die Teilnehmer beleuchten alle Auswirkungen, die eine Lösung
auf ihr Umfeld haben könnte. Sie nehmen Abschied vom Problem und fokussieren sich auf neue Wahlmöglichkeiten
und andere Sichtweisen. Die Mitarbeiter werden mit geeigneten Fragen und Interventionsmöglichkeiten zu individuellen
Lösungen geführt.
6.5. Maßnahmenplanung
In dieser Phase ist Struktur besonders wichtig. Was ist bis wann zu tun? Was bedeutet dies ganz konkret? Was soll damit
erreicht werden? Was ist danach zu tun? Wie kann die Umsetzung kontrolliert werden?
6.6. Abschlussphase
Die Führungskraft und das Team haben die Möglichkeit, Rückmeldung über die Qualität und den Ablauf des Coachings
zu geben. So können Änderungen für Folgecoachings festgehalten und weitere Termine fixiert werden.
7. Zwei Methoden für Teamcoachings
Es gibt eine Vielzahl an Methoden, die wir anwenden können. Zwei davon werden nachfolgend kurz erklärt.
7.1. Skalierung
Skalierungsfragen sind ein wirksames Instrument, um im Coaching-Prozess schnelle Veränderungen einzuleiten. Die
Verwendung von Skalierungen kommt von Steve de Shazer, der sie in seiner lösungsorientierten Kurzzeitberatung wäh-
262
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
rend des gesamten Prozesses immer wieder einsetzt.16
Beispiel: Wo stehen Sie denn gerade jetzt auf der Skala zwischen 0 und 10, wobei 0 bedeutet, wir sind völlig vom Weg
abgekommen, und 10 bedeutet, wir sind schon am Ziel. Welche Frage müsste ich Ihnen jetzt stellen, damit Sie um einen
Punkt höher kommen?
Unterschiedsbildende Fragen sind in der Arbeit besonders wichtig, um Denkanstöße beim Coachee anzuregen. Er soll
entdecken, dass er stets die Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Verhaltensweisen hat. Oft sind diese Unter-
schiede nur sehr schwierig in Worte zu fassen. Die Skalierung bietet sich an, diese leichter erlebbar und nachvollzieh-
barer zu machen.
7.2. Ins Ziel gehen, die Vision sichtbar machen
Ziel dieser Übung ist die Dissoziierung des Coachees von seiner Situation hin zu einem Bild, dass er gestalten kann.
Bilder nehmen einer Situation oft viel von ihrer Schwere. Es gelingt leichter, anhand des Bildes Veränderungen herbeizu-
führen. Hilfreiche Fragen wären beispielsweise:
„Worum geht es in Ihrem Bild?“
„Was sehen Sie an dem Bild, das Sie stört, Ihnen gut gefällt?“
„Welche Gefühle kommen, wenn Sie das Bild ansehen?“
„Was fehlt in Ihrem Bild?“
„Was sehen Sie an dem Bild, dass Sie nachdenklich macht?“
„Was ist Ihr Zielbild?“ „Welches Bild sollte entstehen?
„Was sollte sich am Bild rasch verändern, was kann noch warten?“
„Angenommen, Sie würden ab morgen früh ganz einfach so tun,
als gäbe es das neue Bild schon, wie würden die anderen reagieren?“
„Was tun Sie gleich morgen, um Ihrem Bild ein kleines Stück näherzukommen?“
„Der Langsamste, der sein Ziel nicht aus den Augen verliert, geht noch immer
geschwinder als jener, der ohne Ziel umherirrt.“ Gotthold E. Lessing
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8. Der Prozess
Nachfolgend wird der Ablauf zu einem Teamcoaching grafisch dargestellt.
Abbildung 1. eigene Darstellung
Die einzelnen Schritte werden nun im Hinblick auf die Anwendung zur Optimierung von Mystery Shopping Ergebnis-
sen detailliert erklärt.
Schritt 1: Gespräch Coach mit Führungskraft
Der Coach führt vor dem Teamcoaching ein Gespräch mit seiner Führungskraft. Ziel des Gesprächs ist, die Führungskraft
auf das bevorstehende Teamcoaching optimal vorzubereiten und sie in ihre positiven Ressourcen zu bringen. Folgende
Punkte sind zu klären: Ablauf des Coachings, grundsätzliche Einstellung des Teams zum Coaching, mögliche Ängste
und Bedenken der Führungskraft minimieren.
Schritt 2: Gespräch Führungskraft mit Team
Die Führungskraft bereitet ihr Team auf das bevorstehende Coaching vor. In diesem Vorgespräch sollen ebenso mögliche
Ängste oder Bedenken minimiert werden. Jedes Teammitglied hat die Aufgabe, sich vor dem Coaching mit der Zieldefi-
nition bereits auseinanderzusetzen.
HausübungGespräch Coach
mit Führungskraft
Gespräch Führungs-kraft mit Team
Optimales Setting
ZieldefinitionRessource
In die Vision gehen
Maßnahmen-planung
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Dazu stellt die Führungskraft Fragen, die die Mitarbeiter vorab bearbeiten und zum Coaching mitnehmen. 2 Fragen als
Beispiel:
1. „Welches Prozent-Ergebnis möchte jeder von Euch bei der nächsten Mystery Shopping Testung erreichen?“ Die Mit-
arbeiter bringen zum Coaching diese Zahl (Ziel) mit.
2. „Welche Stärken sind in unserem Team bereits vorhanden?“ Jeder Mitarbeiter schreibt pro Stärke eine Karte und
nimmt diese zum Training mit.
Schritt 3: Optimales Setting
Ein Seminarhotel oder eine externe Location sorgen für den nötigen Abstand, das Gefühl der Freiheit und Kreativität
setzt ein. Die Stühle, Tische, Getränke werden zur Verfügung gestellt und das Setting von den Mitarbeitern in Eigenregie
erstellt. Nicht zu empfehlen ist das Coaching in der Filiale.
Schritt 4: Die Zieldefinition / Übung
Das Ziel muss eindeutig definiert, messbar, erreichbar, bedeutsam und mit einer Timeline hinterlegt werden. Die Übung
der Skalierung bietet sich für diese Sequenz an. Wo befindet sich der Ist-Zustand im Team und wo sollte dieser im
nächsten Schritt sein? Die Mitarbeiter platzieren sich nun auf der Skala mit ihrer definierten Zielzahl. Bei Unterschieden
ist eine gemeinsame Zahl zu definieren (ein großes Blatt Papier vorbereiten).
Schritt 5: Welche Ressourcen haben wir schon / Übung
Hierzu werden die mitgebrachten Kärtchen genommen. Diese werden auf ein großes Bild geklebt und auf den Boden
gelegt.
Schritt 6: Ins Ziel gehen, Lösungsfindung / Übung
Die Mitarbeiter gehen nun gemeinsam in ihr Bild, halten inne und spüren die Veränderung. Sie sagen, was sie sehen
oder fühlen, und ergänzen gemeinsam, was fehlt.
Schritt 7: Maßnahmenplanung
Die Mitarbeiter beschäftigen sich mit der Frage “Was fehlt uns, um diese Ressourcen anzuwenden, bzw. welche Verhal-
tensweisen oder Abläufe müssen in der Filiale verändert werden?“ Beispiel: Sie haben herausgefunden, dass ausschließ-
lich geschlossene Fragen gestellt werden und möchten in Zukunft offene Fragen stellen.
Schritt 8: Hausübung
Beispiele: Ein Manko wurde bei der Kabinenberatung festgestellt. Dieses konnte im Coaching nicht bearbeitet werden.
Zwei Teammitglieder erklären sich bereit, dieses zu bearbeiten und kommen mit konkreten Vorschlägen ins nächste
Teamcoaching. Zwei weitere Teammitglieder bringen zum nächsten Treffen einen Input zum Thema „offene Fragen“ mit.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Die Führungskraft unterstützt das Team bei Fragen und begleitet den Prozess in der Filiale. Ein weiteres Teammitglied
erklärt sich bereit, die Kolleginnen aufmerksam zu machen, wann immer sie eine offene Frage im Verkaufsgespräch hört
und hält diese schriftlich fest.
Schritt 9: Abschluss
Die Führungskraft und das Team haben die Möglichkeit, Rückmeldung über die Qualität und den Ablauf des Coachings
zu geben. So können Änderungen für Folgecoachings festgehalten werden und weitere Termine fixiert werden
9. Conclusio
„Kann dieses Teamcoaching dazu beitragen das Mystery Shopping Ergebnis zu verbessern.“
Aus heutiger Sicht kann ich dies noch nicht beurteilen, da die Ergebnisse der nächsten Testrunde noch nicht feststehen.
Festgemacht werden kann, dass das Training zur Teamhygiene beigetragen hat, das Miteinander verbessert und das Team
an der Ausarbeitung enormen Spaß hatte.
Woran wird das gemessen?
Das Training liegt nun drei Wochen zurück und bei den zwei letzten Filialbesuchen wurde ein völlig verändertes Team
vorgefunden. Die Abläufe, das Miteinander, der Spirit im Team haben sich wesentlich verbessert. Auch an den Kunden
konnte beobachtet werden, dass diese sich sehr wohl in der Filiale fühlten.
Die Führungskraft hat sich in diesen Prozess optimal integriert. Sie war Teil des Teams, hat dabei aber nie die Rolle als
Führungskraft verloren.
Welche Schlussfolgerung kann daraus gezogen werden?
Es bestätigt vollkommen den in der Einleitung erwähnten Ansatz. Eine Führungskraft ist nicht alleine für die Lösung ver-
antwortlich. Die Mitarbeiter tragen die für sich maßgeschneiderten Lösungen in sich. Die Aufgabe bestand darin, diese
sichtbar zumachen.
Eine weiterführende Überlegung ist nun: “Kann bei allen Teams ähnlich vorgegangen werden? Ist der Erfolg davon abhän-
gig, ob ein hoch motiviertes und zielorientiertes Team gecoacht wird?“ Was passiert bei Teams, die anders funktionieren?
Hier wird möglicherweise ein anderer Weg zu suchen sein. Das könnte zeigen, dass der angeführte Prozess ein Rahmen
und kein Regelwerk ist. Dies bestätigt die Individualität jedes Coachings und zeigt, dass es sich um einen Leitfaden
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
handelt, der anzupassen ist.
„Misserfolg ist lediglich eine Gelegenheit, mit neuen Ansichten noch einmal anzufangen.“
Henry Ford
1) Mystery Shopping Agentur, online2) Grieger 2008, S. 51 3) Mystery Shopping Agentur, online4) vgl. interne Unterlage 2011, S. 4 – 95) Sonja Radatz 2009, S. 166) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.7) Sonja Radatz 2009, S. 183 8) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.9) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.10) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.11) vgl. interne Unterlage 2005, o.S.12) Karin von Schumann, Interview Manager Seminare Know How, Heft 147 13) Karin von Schumann Interview Manager Seminare Know How, Heft 14714) Sonja Radatz 2009, S. 4215) Sonja Radatz 2009, S. 4216) vgl. Frank Natho, online
10. Literaturverzeichnis
Grieger, G (2008). Die Ergebnisqualität von Testkunden aus unterschiedlichen Gruppen
beim Mystery Shopping. Dissertation: Flensburg
Mystery Shopping Spezialagentur (2012),http://www.scmystery.
at/index_main.php?cont=1020&type=1, aufgerufen am4.1.2012
Frank Natho. Einführung in das Arbeitsverfahren Skalierungsscheibe
http://skalierungsscheibe.de/pdf/einf.pdf, abgerufen am 20.12.2011
Palmers Textil AG (2011). Kriterienkatalog Mystery Shopping
Palmers Textil AG ( 2005 ) Führungskräfteentwicklung
Sonja Radatz (2003). Kindle Buch, Einführung in das systemische Coaching.
Verlag:Systemisches Management, 1050 Wien
Sonja Radatz (2009). Beratung ohne Ratschlag. Verlag systemisches Management: 1050 Wien
Karin von Schumann, Diplompsychologin (2010). Interview Manager Seminare Know How, Heft 147/Juni 2010
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Coaching – ein neuer Bestandteil des LehrlingsausbildungsprogrammsManuela Muckenauer
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Was ist Coaching und welches Ziel verfolgt Coaching?
3. Zielgruppe Lehrlinge/Jugendliche
4. Themenkomplexe dieser Zielgruppe
5. Einsatz von Coaching in der Lehrlingsausbildung
5.1 Einzelcoaching
5.1.1 Definition Einzelcoaching
5.1.2 Geeignete Themenbereiche für Einzelcoachings
5.1.3 Übungen im Einzelcoaching
5.1.4 Exkurs: Telefonisches Einzelcoaching
5.2 Teamcoaching
5.2.1 Definition Teamcoaching
5.2.2 Vorteile Gruppencoaching
5.2.3 Übung im Gruppencoaching
6. Integration in den Lehrlingsausbildungsplan
7. Conclusio
8. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Palmers setzt seit Jahrzehnten auf die Entwicklung seiner Mitarbeiter. Karrieremöglichkeiten standen und stehen jedem
Mitarbeiter offen, sei es nun auf hierarchischer Ebene oder in Richtung Spezialistentum. Viele unserer heutigen Füh-
rungskräfte haben bei Palmers als Lehrling begonnen und sind heute in führenden Positionen tätig.
Dieses liegt dem umfassenden dualen Ausbildungswesen (Schule und Beruf) zugrunde, das bei Palmers um ein weite-
res Tool erweitert wurde – der Ausbildung durch Seminare. Palmers ist in Österreich führender Lehrlingsausbildner in
fachlicher wie auch persönlicher Entwicklung. Lehrlingsausbildung ist uns eine Herzensangelegenheit und wir sind uns
der Verantwortung, einen Jugendlichen in unsere „Obhut“ zu bekommen, sehr bewusst.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
„Lehrlinge befinden sich im Jugendalter in einer Übergangsphase von der Kindheit zum Erwachsenenalter. Es bedeutet
für den Heranwachsenden, vor allem „noch nicht erwachsen sein“. Vom psychologischen Standpunkt aus gesehen, ist
die Jugend eine Zeit der Identitätskrise. Denn einerseits endet nach biologischen Gesichtspunkten die Kindheit mit dem
Eintritt der Geschlechtsreife. Andererseits beginnt das Erwachsenenalter mit der wirtschaftlichen Selbständigkeit.“1
Aufgrund der heutigen gesellschaftlichen Gegebenheiten stellt dieses eine weitaus größere Herausforderung an den
Jugendlichen/Lehrling als noch vor 10 Jahren dar. Damit hat sich aber auch der Umgang mit Lehrlingen und damit auch
der Anspruch an drei Schlüsselpersonen – Eltern, Lehrer und Lehrlingsausbildner – verstärkt.
Alle drei Schlüsselpersonen „arbeiten“ mit dem Jugendlichen/Lehrling mit besten Absichten, allerdings unabhängig
voneinander.
Mein Ziel ist es, den Lehrling soweit zu unterstützen, mögliche Veränderungen und Konflikte im Zusammenspiel mit den
3 Akteuren selbständig bewältigen zu können und ihm damit die bestmögliche Ausbildung und Begleitung zu garan-
tieren. Als Lehrlingsverantwortliche und Beisitzende der Lehrabschlusskommission begleite ich Lehrlinge bereits seit
vielen Jahren und bin mir der Wichtigkeit einer zeitgemäßen Lehrlingsausbildung bewusst. Mit meiner Arbeit möchte ich
eine mögliche Form der Coaching-Implementierung in die Lehrlingsausbildung zeigen.
2. Was ist Coaching und welches Ziel verfolgt Coaching?
Coaching ist eine lösungsorientierte Beratungsform, die Personen, abgestimmt auf deren persönliche Bedürfnisse, in
herausfordernden Situationen Unterstützung bietet. 2
Inhaltlich ist der Coach angehalten, keine direkten Lösungsvorschläge zu unterbreiten, sondern unterstützt den Coa-
chee (den zu Coachenden) in seiner individuellen Lösungsfindung. Der Coach setzt sich nicht mit der Problembear-
beitung an sich auseinander, sondern ist angehalten, den Coachee dabei zu unterstützen, Lösungsvisionen bewusst zu
machen, diese zu installieren, Hindernisse, die die Lösungsvision beeinträchtigen, abzubauen und neue Muster, Verhal-
tensweisen zu implementieren. Der Coach fungiert dabei als Prozessbegleiter, der Coachee als Experte, der Ressourcen
und Lösungen bereits in sich trägt.3
Die Schlüsselaufgabe des Coaches ist es, gute Fragen zu stellen. In Bezug auf Jugendliche/Lehrlinge ist dabei zu ach-
ten, dass die Fragen so simpel und einfach wie möglich zu stellen sind. Als Erfolgsanker dient „Fragen müssen für den
Kunden stimmig sein und nicht für den Coach“.
So kann eine zirkuläre Frage wie „Würde Deine beste Freundin hier sitzen, wie würde sie die Situation beschreiben?“ den
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Lehrling anregen, nicht im Thema emotional verhaftet zu bleiben, sondern das Thema aus einer anderen Perspektive zu
betrachten und ihm damit die Möglichkeit geben, eine neue Sichtweise zu gewinnen.
Der Lehrling kann durch ähnliche, für den Alltag doch manchmal ungewöhnliche Fragen mit Überraschung, oder gar
kurzzeitiger Überforderung reagieren und benötigt zur Beantwortung länger Zeit.
Für den Coach ist die eingetretene Stille als Kompliment für eine ausgezeichnet gestellte Frage zu betrachten. Ausschlag-
gebend ist, diese Stille auszuhalten und dem Lehrling die benötigte Zeit zu geben. Falsch wäre, diese zu missinterpre-
tieren, sondern vielmehr als Ergebnis der Stimulans zu deuten, die den Coachee anregt, sein System zu verlassen und
damit neue Sichtweisen und Gedankenmuster zu ermöglichen. Eine Umformulierung bzw. Erweiterung der Ursprungsfra-
ge würde hier kontraproduktiv wirken. Fast einer Episode aus der Krimiserie „Columbo“ gleich, versucht der Coach nun
durch Fragestellungen dem Coachee „Verborgenstes“ zu entlocken – beinahe ein detektivisches Karussell.
Aktives Zuhören – sich als Coach gedanklich wie auch körperlich auf den Lehrling zu fokussieren, rundet das Kon-
strukt rund um das Thema der Fragestellung ab. Wenn mit dem Coachee vorab vereinbart, unterstützen Notizen diesen
Prozess enorm – jede Kleinigkeit ist von großer Wichtigkeit. Doch nicht nur auditive Beobachtungen unterstützen den
Prozess, große Bedeutung wird den „somatischen Markern“ beigemessen.
Der Begriff „Somatische Marker“ beschreibt eine Form der Abspeicherung von Erlebnis – Empfindungen in unserem
Gehirn, bewusst und unbewusst. Kommt es zu ähnlichen Erlebnissen, ausgelöst z.B. durch Erwähnung eines Wortes
oder Bildes, unabhängig, ob der Impuls vom Coach oder Coachee gesetzt wird, wird diese in Form von non-verbaler
Kommunikation, sprich von Mimik und Gestik, sichtbar.
Für den Coach ist dies ein wichtiger Parameter, den Fokus nicht nur auf das gesprochene Wort zu richten, sondern Wort,
Mimik und Gestik als Symbiose zu betrachten. Welches Thema lässt die Haltung des Coachees selbstbewusst wirken,
welches Wort oder welches Bild lässt seine Augen strahlen, welche Schilderung die Stimme kräftig erscheinen?
Hier werden positive Ressourcen plötzlich, im ersten Schritt vielleicht ausschließlich für den Coach, sichtbar. Die Auf-
gabe des Coaches besteht nun darin, den Coachee vermehrt in diese offensichtlich positive Ressource zu versetzen,
indem genau diese Sequenzen im gemeinsamen Gespräch thematisiert und schlussendlich als Basis zur Lösungsvision
manifestiert werden.
„Zielgruppen sind Personen mit Führungsverantwortung und/oder Management-Aufgaben.“4 Sehr wohl schließt dies
Personen ohne Führungsverantwortung nicht aus, geht es doch um eine vielfältige Beratung, im beruflichen wie auch
persönlichen Kontext. So kann Coaching auf jeden abzielen, auch auf Jugendliche. Allerdings stellt sich die Frage, in-
wieweit der Coachingprozess nicht für die Zielgruppe der Lehrlinge adaptiert werden sollte.
Coaching ist Beratung. Ein Coach ist nicht angehalten, Ratschläge zu erteilen, sondern angehalten, den Jugendlichen zu
unterstützen, eigene Entscheidungen treffen zu können.5
„Coaching setzt damit „Autonomie“ des Coachees voraus. Das ist insbesondere in Bezug auf Jugendliche nicht unbe-
270
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
dingt verständlich: Coaching unterstellt, dass der oder die Jugendliche in der Lage ist, selbst autonome Entscheidungen
zu treffen, und dass er auch das Recht dazu hat. Coaching kann dann den Jugendlichen unterstützen, z. B. seine Ziele
oder seine Stärken und Schwächen zu klären, Probleme bei der Ausbildung genauer zu identifizieren, kann aber auch
Argumente bieten und von außen Möglichkeiten aufzeigen. Aber Coaching darf Jugendlichen die Entscheidung nicht
abnehmen.“6
Eckard König geht in seiner Ausführung so weit, dass er Coaching sowohl als Prozess- als auch Expertenberatung
bezeichnet. Während er mit Prozessberatung die klassische Form des Coachings beschreibt, versteht er die Expertenbe-
ratung als Mittel, dem Jugendlichen Anregungen auf Basis eigener Erfahrungen oder Lösungsmöglichkeiten zu geben.
Ausschlaggebend ist die Formulierung dieser Hinweise, die dem Jugendlichen die Entscheidungsfreiheit lässt. „Mir
würde diese Möglichkeit einfallen, um … zu lösen“ – als eine mögliche Variante.7
Mich erinnert die Beschreibung der Expertenberatung an die Methode des Mentoring. „Mentoring ist eine innerbetriebli-
che Form der Mitarbeiterbetreuung, häufig mit dem Ziel, neue Mitarbeiter rasch und problemlos einzuführen. Diese Auf-
gabe übernehmen in der Regel erfahrene Organisationsmitglieder. Darüber hinaus kann Mentoring auch als langfristige
innerbetrieblicher Karriereberatung fungieren.“8 Mentoring stützt sich in seiner Aufgabe auf folgende Pfeiler:
- Zuhören und Fragen stellen: Das Anliegen oder die Situation des Mentees
in seiner Gesamtheit geschildert zu bekommen.
- Bestätigen und Ermutigen: Den Mentee dabei unterstützen, seine eigenen
Fähigkeiten realistisch einzusetzen und wertzuschätzen.
- Beraten: Durch gezielte Fragen den Mentee die eigene Lösung finden lassen.
Eventuell eigene Ansichten und Erfahrungen beisteuern.
- Vorrausschauen und Schützen: Den Mentee auf mögliche Hindernisse
und Schwierigkeiten aufmerksam machen – ihm ein Netz bieten.
- Üben: Neues Verhalten durch Rollenspiele und Gespräche trainieren.
Die Schlussfolgerung, die ich auch aus dieser Erkenntnis ziehe, ist, dass für das Gelingen meines Vorhabens, Lehrlinge
in ihrer beruflichen wie auch persönlichen Entwicklung optimal begleiten zu können, ein switchen zwischen Coaching
und Mentoring sehr nützlich sein kann. Entscheidend wird allerdings sein zu erkennen, welche Art der Beratung das
System des Lehrlings im Moment benötigt.
Dies zeigt mir, dass eine abgewandelte Form des Coachings für Jugendliche durchaus berechtigt, wenn nicht gar erfor-
derlich ist. Nicht außer Acht lassen möchte ich, dass sich Lehrlinge aufgrund ihres Alters mitten in der Pubertät befinden
und die im Folgenden beschriebenen Entwicklungsthemen zusätzliche Herausforderungen im Umgang mit Lehrlingen
mit sich bringen.
271
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
3. Zielgruppe Lehrlinge/Jugendliche
Im Zuge der Pubertät stehen nicht nur die körperliche und psychische Entwicklung im Vordergrund, auch die geistige
Entwicklung schreitet mit riesigen Schritten fort. Wachstum, Geschlechtsreife, Sexualität, Generationenkonflikt, Aufleh-
nung, sind nur einige wenige Schlagworte, die den Jugendlichen tagtäglich begegnen.
Lehrausbildung:
War der Lehrling/Jugendliche bis zum Beginn der Lehre ausschließlich mit Lernen in der Schule beschäftigt, tritt er
nun in das Berufsleben, die wirtschaftliche Selbständigkeit, ein. Insbesondere Palmers, bekannt für eine ausgezeichnete
Ausbildung, setzt die Leistungsparameter sehr hoch an.
Die Anforderungen an einen Palmers Lehrling sind nicht nur kognitiven Ursprungs, wie z.B. Grundwissen um Materiali-
en, Kenntnis aller Produkte, deren Eigenschaften und Verkaufsargumente sowie die Abläufe des Verkaufs. Darüber hinaus
stellen psychomotorische Fähigkeiten, wie Auslagendekoration, Präsentation, Lagerbewirtschaftung und tagtägliches
Stehen oft eine Herausforderung für unsere Jugendlichen dar. Die affektiven Fähigkeiten, wie neue Umgangsformen und
Einstellungen, bringen die Jugendlichen oft an ihre Grenzen.
„Gefühlslage:
Die Gemütslage ist intensiv und zugleich unausgeglichen. Schon geringfügige Anlässe verursachen Angst, Unsicherheit,
Niedergeschlagenheit und schlechte Laune. Ebenso überschwänglich sind aber auch Freude und Begeisterung. Der
Wechsel der Gefühle kann sehr rasch erfolgen. Die Gefühlsschwankungen lassen das Selbstwertgefühl des Jugendlichen
mitunter übertrieben gesteigert, mitunter aber auch bis zum Lebensüberdruss herabgesetzt erscheinen.“9
„Generationenkonflikt:
Die zwischen Jugendlichen und Erwachsenen entstehenden Schwierigkeiten werden oft auf den sogenannten Generati-
onenkonflikt zurückgeführt. Der Generationenkonflikt ist jedoch keine unvermeidbare Notwendigkeit der menschlichen
Entwicklung, sondern stark vom Verhalten der Erwachsenen gegenüber dem Heranwachsenden abhängig.“10
Gespräche mit einer Auswahl an Filialleiterinnen ergaben, dass sich im Zusammenhang mit vorgenannten Herausforde-
rungen folgende Themenkomplexe/Probleme herauskristallisierten, die folgende Graphik veranschaulicht:
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
4. Themenkomplexe dieser Zielgruppe
Auswirkungen / Themen
Unpünktlichkeit
Mangelhafte schulische Leistungen
Passives, re-aktives Verhalten
Respektlosigkeit gegenüber Kolleginnen und Kunden
Streit mit Freund/Freundeskreis
„Nicht bei der Sache sein“
Überforderung durch neue Aufgaben
„Sie merkt sich nichts“
Mangelndes Fachwissen
Wirkt bei Kunden sehr nervös
Oftmals kommt es trotz verschiedenster Gespräche und Tipps durch Lehrlingsausbilder zu keinen Verhaltensveränderun-
gen bei Lehrlingen. Grund dafür kann sein, dass lediglich Effekte, wie „nicht bei der Arbeit sein“, und nicht Auslöser, wie
z.B. „Streit im Freundeskreis“, bearbeitet werden.
Genau hier können verschiedenste Coaching Methoden unterstützen. Nachfolgend sind zwei Methoden näher erläutert.
ErwachsenerEltern
FreundSchule
BerufFreunde
SchuleKind
???
273
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
5. Einsatz von Coaching in der Lehrlingsausbildung
5.1 Einzelcoaching
5.1.1 Definition Einzelcoaching/Systemisches Coaching
Sonja Radatz beschreibt, dass Coaching als Einzeltraining sehr oft missbräuchlich für „Ratschlagberatung“ verwendet
wird. Coachees wird dabei vermittelt, wie sie zu Höchstleistungen kommen, bzw. sie werden gedrängt, sich in eine be-
stimmte Richtung zu verändern. Radatz sieht darin eine Push-Vorgehensweise, die grundsätzlich nicht abzulehnen ist,
allerdings mit Systemischem Coaching nicht in Verbindung gebracht werden soll.11
„In der systemischen Arbeit verstehen wir unter Coaching die maßgeschneiderte Problemlösung im Spannungsdreieck
zwischen Beruf, Organisation und Privatleben oder in einem dieser drei Bereiche – eine Problemlösungsmethode, in wel-
cher der Coach für die passenden Fragen, hilfreiche Zusammenfassungen und die Einhaltung des Ablaufs verantwortlich
ist, und der Coachee eigenständige Lösungen für seine Situation – für seine anstehenden Fragestellungen – findet.“12
5.1.2 Geeignete Themenbereiche für Einzelcoachings
Nachfolgend greife ich folgendes Beispiel auf:
Laura, Lehrling im ersten Lehrjahr, ist stolz, Palmers Verkäuferin zu sein. Ihre Kolleginnen beschreiben sie als „braves“
Lehrmädchen aus gutem Haus, mit ausgezeichneten Umgangsformen. Laura lernt leicht, hat ihr eigenes Lager (Waren-
gruppe) gut im Griff und liebt es, Nebenarbeiten wie Warennachsortierung, Lager- und Putzarbeiten zu erledigen. Laura
zieht Nebenarbeiten eindeutig dem Verkaufen vor, im Kundenkontakt wirkt sie eingeschüchtert und bringt fast kein Wort
heraus. Lauras Ziel ist, ihren Kunden sicher und wissend gegenüberzutreten.
5.1.3 Übungen im Einzelcoaching
„Mein virtuelles Team“ eignet sich durch das Einbeziehen von virtuellen Beratern, die Laura in der Situation unmittelbar
unterstützen können. Nachdem Laura ihr Thema geschildert und ein Ziel definiert hat, wird der Auftrag erarbeitet.
In der Lösungsfokussierung führt der Coach Laura durch Fragen in die Vision, dass Laura diese oder eine ähnliche
Situation bravourös gemeistert hat. Laura wird nun angehalten, sich Personen vorzustellen, die sie dabei unterstützt
haben. Durch Namenskärtchen personifiziert, nehmen diese virtuellen Berater auf Stühlen im Kreis rund um Laura Platz.
In der Lösungsarbeit wird jeder Berater „befragt“, welche Anregungen und Tipps Laura von ihm erhält. Welche Berater
wird Laura in die nächste Kundenberatung mitnehmen, wo werden sie neben ihr platziert sein, woran wird sie erkennen,
dass sie da sind, wenn sie gebraucht werden – und was wird sie erinnern, dass sie da sind, falls sie sie braucht?
In der Maßnahmenerarbeitung beschäftigt sich Laura mit dem Installieren der neuen Verhaltensweise – was wird sie
274
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
im nächsten Kundenkontakt tun?13
5.1.4 Exkurs: Telefonisches Einzelcoaching
Welche Möglichkeit der Beratung besteht, wenn ein Lehrling aufgrund eines akuten Themas/Vorfalls außerhalb der fest
definierten Coachingtage zeitnah Unterstützung braucht? Hier kann kein festgelegter Ablaufrahmen definiert werden, die
Vorgehensweise sollte auf den jeweiligen Fall individuell abgestimmt sein. Dringlichkeit wie auch Wichtigkeit müssen
abgeschätzt werden. Auch die Distanz wird für die weitere Vorgehensweise bestimmend sein.
In jedem Fall ist es wichtig zu reagieren. Dass der Lehrling von sich aus Kontakt sucht, zeigt, dass er Vertrauen in die
Form der Beratung und in seinen Coach hat. So sollte er die Unterstützung erhalten, selbst wenn kein Coaching im
klassischen Sinn möglich ist. Fragen wie „Was möchtest Du jetzt gerne tun?“, „Wie kann ich Dich gerade jetzt am besten
unterstützen?“ können dem Lehrling helfen, die Zeit bis zum nächsten Treffen zu überbrücken.
5.2 Teamcoaching
5.2.1 Definition Teamcoaching
Coaching kann im Bereich des Teams genutzt werden, um die Zusammenarbeit, Abläufe, oder Kommunikation in einer
Gruppe zu verbessern. Kann ein Teamcoaching auch für die Gruppe der Lehrlinge angewandt werden? Handelt es sich
doch um kein Team per se, sondern um eine Gruppe von Jugendlichen, deren Tätigkeiten und Aufgaben sich wohl äh-
neln, sie aber nicht gemeinsam in einem Team arbeiten. Somit ist es nicht erforderlich, Zusammenarbeit, Abläufe oder
Kommunikation verbessern zu müssen. Allerdings kann die Vergleichbarkeit der Aufgaben sowie der Herausforderungen
im Alltag genutzt werden, um die Gruppe zu befruchten. Ich bezeichne somit die Treffen mit Lehrlingen lieber als Grup-
pencoaching, bereichert um Übungen und Methoden aus dem Teamcoaching.
5.2.2 Vorteile Gruppencoaching
Durch die vorgegebene maximal mögliche Homogenität der Gruppe, wie dasselbe Lehrjahr, die daraus resultierenden
ähnlichen Interessen, Sprachmodalität sowie ähnliche soziale Erfahrungen, wird das Gefühl, von den anderen verstanden
zu werden oder aber auch das Erkennen der eigenen Probleme bei den Kollegen und die damit verbundene Erleichterung,
erreicht. Ebenso werden Erfahrungen und Tipps von Gleichaltrigen und sich in derselben Situation Befindlichen leichter
akzeptiert. Dies führt zu mehr Akzeptanz und „schmerzfreierer“ Selbstreflexion.
275
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
5.2.3 Übung im Gruppencoaching
Die Methode „6-3-5“ eignet sich für diverse Problemlösungen und der damit verbundenen Ideensammlung und Ent-
wicklung von Vorschlägen. In Kleingruppen können 6 Lehrlinge an einem Thema arbeiten. (Selbstverständlich kann die
Gruppe erweitert werden und wird z.B. bei 10 Lehrlingen „10-3-5“ genannt.)
Auf einem DIN A4-Blatt wird eine Impulsfrage notiert, zu der sich jeder Lehrling 3 Ideen innerhalb von 5 Minuten über-
legt. Im Uhrzeigersinn wird das Blatt an die nächste Kollegin weitergereicht und diese kann weitere Ideen einbringen oder
die Ideen der Kollegin davor weiterentwickeln. Nach sechs Runden können im Idealfall 108 Ideen in 30 Minuten gefunden
werden. Im Anschluss werden die Ideen an einer Pinwand gesichtet und die interessantesten mit Klebepunkten bewertet.
6. Integration in den Lehrlingsausbildungsplan
Bevor es an die Umsetzung geht, gilt es zu überlegen, welche Rahmenbedingungen unterstützen können, um gezielt auf
die Bedürfnisse der Lehrlinge eingehen zu können:
- Wieviele Lehrlinge sind in welchem Lehrjahr zu begleiten?
- Wie ist die örtliche Aufteilung?
- In welches Schulsystem sind die Lehrlinge integriert?
- Block- vs. wöchentlicher Schulunterricht
- Welche Tagesressourcen innerhalb eines Jahres stehen je Lehrling zur Verfügung?
- Müssen alle Themen im Einzelcoaching besprochen werden oder gibt es auch
Themen, die die Gruppe betreffen?
276
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Daraus ergibt sich folgender Einsatzplan:
Lehrlingsausbildung 2012/13
August September Oktober November Dezember
Mi 1 Sa 1 Mo 1 Do 1 Sa 1
Do 2 So 2 Di 2 Fr 2 So 2
Fr 3 Mo 3 Mi 3 Sa 3 Mo 3
Sa 4 Di 4 Do 4 So 4 Di 4
So 5 Mi 5 Fr 5 Mo 5 Alle Bundesländer Mi 5
Mo 6
Alle Bundesländer
Do 6 Sa 6 Di 6 Do 6
Di 7 Fr 7 So 7 Mi 7 Mitte Fr 7
Mi 8 Sa 8 Mo 8 Do 8 West Sa 8
Do 9 So 9 Di 9 Fr 9 So 9
Fr 10 Mo 10 Alle Bundesländer Mi 10 alle Bundesländer Sa 10 Mo 10 Wien
Sa 11 Di 11 Do 11 So 11 Di 11
So 12 Mi 12 Fr 12 Mo 12 Alle Bundesländer Mi 12
Mo 13 Do 13 Sa 13 Di 13 Do 13
Di 14 Fr 14 So 14 Mi 14 Fr 14
Mi 15 Sa 15 Mo 15 Wien Do 15 Sa 15
Do 16 So 16 Di 16 Fr 16 So 16
Fr 17 Mo 17 Mi 17 Mitte Sa 17 Mo 17
Sa 18 Di 18 Do 18 West So 18 Di 18
So 19 Mi 19 Fr 19 Mo 19 Alle Bundesländer Mi 19
Mo 20 Do 20 Sa 20 Di 20 Do 20
Di 21 Fr 21 So 21 Mi 21 Fr 21
Mi 22 Sa 22 Mo 22 Wien Do 22 Sa 22
Do 23 So 23 Di 23 Fr 23 So 23
Fr 24 Mo 24 Follow-up Wien
Mi 24 Mitte Sa 24 Mo 24
Sa 25 Di 25 Do 25 West So 25 Di 25
So 26 Mi 26 Fr 26 Mo 26 Mi 26
Mo 27 Do 27 Sa 27 Di 27 Do 27
Di 28 Fr 28 So 28 Mi 28 Fr 28
Mi 29 Sa 29 Mo 29 Wien Do 29 Sa 29
Do 30 So 30 Di 30 Fr 30 So 30
Fr 31 Mi 31 Mo 31
Legende:1. Lehrjahr
A StarterseminarB Gruppencoaching
C Einzelcoaching
2. LehrjahrD Seminar
B GruppencoachingC Einzelcoaching
3. LehrjahrD Seminar
B GruppencoachingC Einzelcoaching
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
7. Conclusio
Meine Arbeit mit Lehrlingen zeigt mir immer wieder, wie groß die Unterschiede zwischen Erwachsenen und Jugendlichen
sind, sowie die Komplexität der Ansprüche an uns Ausbildende und den Jugendlichen begleitende, mich als Trainer, die
Filialleitung und die Eltern ist.
Jugendliche switchen sehr oft und rasend schnell in ihren Rollen, mal präsentieren sie sich als Erwachsene und im
nächsten Moment zeigen sie ihre kindliche Seite. An uns stellt sich die Aufgabe, mit dem Wissen um die Herausforde-
rung, die die Pubertät an sich stellt, dass dieses einen ganz normalen Prozess darstellt und unsere Aufgabe darin besteht,
sie in dieser Entwicklung bestmöglich zu unterstützen.
Erste Coachinggespräche mit unseren Lehrlingen haben mir gezeigt, dass rasch Entwicklungsschritte durch Coaching
sichtbar wurden. Unsere Lehrlinge sind offener geworden, über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen, fällt ihnen
zunehmend leichter. Auch Filialleiterinnen bestätigen diese Entwicklungsschritte und registrieren einen von Mal zu Mal
leichteren Zugang zu ihren Lehrlingen.
Nach Abschluss dieser Arbeit stellt sich mir die Frage, wie nächste Schritte in dieser umfassenden Thematik aussehen
könnten, habe ich doch das Ziel definiert, unsere Lehrlinge auch soweit zu unterstützen, mögliche Veränderungen und
Konflikte im Zusammenspiel mit den 3 Akteuren, Eltern, Lehrer und Ausbilder, selbständig bewältigen zu können.
Mein erster Schritt ist, meine Erkenntnis, die ich in der Coachingsausbildung errungen habe, in komprimierter Version
an unsere Filialleiter weiterzugeben. Dies werde ich im Rahmen eines Ausbildertrainings unter Verweis auf meine Arbeit
mit ihnen besprechen und gemeinsam weitere Schritte erarbeiten.
Einer der darauf folgenden Schritte, wie man Eltern in die Ausbildung und das berufliche Erwachsenwerden der Lehrlinge
mit einbinden könnte, sollte hierbei erarbeitet werden. Da dies sicherlich nicht ganz einfach ist, sich die Eltern in ihrem
Erziehungsauftrag gestört bzw. auch bevormundet vorkommen könnten, muss ich die sinnvolle Bereicherung und die
Gefahren einer Störung zwischen Ausbildungsstätte und Eltern sorgsam abwägen.
Diese Arbeit hat aber auch dazu beigetragen, meine Aufgabe als Trainerin für Lehrlinge von einer neuen Seite zu betrach-
ten und weitere Möglichkeiten im Erfüllen dieser umfangreichen Aufgabe zu erkennen. Ausbildung ist und bleibt für mich
eine Herzensangelegenheit.
278
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
1) Palmers Textil AG 2007, S. 42) vgl. www.ig-coaching.de3) vgl. www.ig-coaching.de4) Koditek 2008, S. 125) vgl. König, 20026) König 2002, S. 147) vgl. König, 20028) Koditek 2008, S.139) Palmers Textil AG 2006, S. 310) Palmers Textil AG 2006, S. 311) vgl. Radatz 2000, S. 8312) Radatz 2000, S. 8513) vgl. Radatz 2000, S. 250
8. Literaturverzeichnis
Buch:
Palmers Textil AG (2006). Lehrlingsausbildungsplan. Wien.
Dr. Koditek, Thomas (2008). Systemisches Coaching im Prozess. Ein Lern- und Arbeitsbuch. Berlin
Radatz, Sonja (2002). Beratung ohne Ratschlag. Systemisches Coaching für
Führungskräfte und BeraterInnen. Ein Praxishandbuch mit den Grundlagen systemischkonstruktivistischen Denkens,
Fragetechniken und Coachingkonzepten. Wien: ISCT.
Internetquelle:
Rauen, Christopher. Coaching-Report
www.ig-coaching.de. Abgerufen am 04.03.2012
König, Eckard (2002). Qualipass. Fachgespräch „Coaching mit Jugendlichen durch Freiwillige“
http://www.qualipass.info/dokumente/coaching_mit_jugendlichen0210.pdf. Abgerufen am 06.03.2012
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Systemische Organisations- und UnternehmensberatungZielsetzungen und Perspektiven dieses AnsatzesBarbara Moser
Inhaltsverzeichnis
Abstract
Einleitung
1. Was ist systemisch
2. Systemische Organisations- und Unternehmensberatung
3. Wann findet der systemische Ansatz Verwendung
4. Die sieben Grundelemente systemischer Beratung
4.1 Kontextanalyse
4.2. Anerkennung bereits gefundener Problemlösungen
4.3. Veränderungsprozess als Dialog
4.4. Selbstreferenz
4.5. Wandlung und Entwicklung
4.6. Selbstwert und Kongruenz
4.7. Selbstorganisation
5. Werkzeuge systemischer Organisations- und Unternehmensberatung
5.1. Koppeln
5.2. Fragen zur Kontextanalyse
5.3. Fragen zur Konkretisierung
5.3.1. Fragen zu Verhalten und Transaktion
5.3.2. Unterschiedsfragen
5.3.3. Fragen nach Daten
5.4. Fragen zum Wechsel der Beobachtungsstandpunkte
5.4.1. Hypothetische Fragen
5.4.2. Zukunftsfragen
5.4.3. Zirkuläre Fragen
5.4.4. Fragen nach Klatsch und Tratsch
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
5.4.5. Fragen nach der inneren Landkarte
5.5. Reframing
5.6. Splitting
5.7. Positive Konnotation
5.8. Das Gute im Schlechten, das Schlechte im Guten
5.9. Skulpturarbeit
5.10. Metaphern, Beispiele, Szenarios
5.11. Fokussieren
5.12. Widerspiegeln
5.13. Das Reflecting Team
5.14. Feedback
6. Zukunft der systemischen Organisations- und Unternehmensberatung
7. Conclusio
8. Literaturverzeichnis
Abstract
„Neue Wege entstehen beim Gehen“
(Roswita Königswieser, Martin Hillebrand, 2011, S 122)
Beim Durcharbeiten der Literatur für diese Arbeit hat mich dieser Spruch fasziniert und auch gleichzeitig motiviert, mich
auf dieses, für mich neues Thema einzulassen und nicht mehr länger zu warten, bis „ES“ kommt. Denn mit dem Schrei-
ben dieser Arbeit hat für mich tatsächlich ein neuer Weg begonnen.
„Das Systemische“ hat mich schon in den letzten Monaten fasziniert und deshalb konnte ich fast nicht anders, als mich
diesem Thema zu widmen, das eine Kombination aus schon „Gelerntem“ und „Neuem“ für mich ist. Diese Arbeit soll
einen Einblick in das System, seine Möglichkeiten in der systemischen Organisationsberatung und einen Ausblick für
die Zukunft geben.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Einleitung
Der Begriff der systemischen Organisationsberatung entsteht in der zweiten Hälfte der 80er-Jahre im deutschsprachigen
Europa und bezeichnet eine ganz bestimmte Herangehensweise in der Behandlung komplexer Problemstellungen von
Organisationen jedweden Typs. Bis vor wenigen Jahren wäre es schwer denkbar gewesen, eine breite Masse für dieses
Thema zu begeistern. Mittlerweile hat sich der systemische Ansatz aus seiner Nischenexistenz zu einer salonfähigen
Beratungsmethode in Wirtschaft und Non-Profit-Organisationen entwickelt.
Wann und warum Unternehmen systemische Organisationsberatung in Anspruch nehmen sollen, was damit erreicht wird
und welche Kriterien eine systemische Beratung vom inhaltsorientierten Beratungsansatz unterscheiden, das versuche
ich in dieser Arbeit aufzuzeigen.
Nach einer Einführung in die Welt des Systems und der Klärung einiger wichtiger Begriffe erfolgt im nächsten Teil die
Auseinandersetzung mit dem Ansatz der systemischen Organisationsberatung. Es werden Vorteile aufgezeigt, Anwen-
dungsmöglichkeiten dieses Ansatzes näher dargelegt sowie die sieben Grundelemente systemischer Beratung vorge-
stellt. Den Kern der Arbeit bildet eine Beschreibung der Werkzeuge systemischer Beratung, der keinen Anspruch auf
Vollständigkeit erhebt.
Im letzten Teil dieser Arbeit beschreibe ich Herausforderungen von Unternehmen in der Zukunft und gleichzeitig Mög-
lichkeiten, die sich daraus ergeben.
An dieser Stelle möchte ich darauf hinweisen, dass aufgrund der 10-seitigen Vorgabe das Thema nur gestreift werden
konnte und sicher noch Potenzial für weitere Exkurse bieten würde.
1. Was ist systemisch
Der systemische Ansatz legt die Aufmerksamkeit auf das Zusammenwirken verschiedener Elemente in einem System und
versucht, ihrer Komplexität gerecht zu werden. Jedes Element bestimmt die Bedingungen aller anderen mit. Das Interesse
gilt den Strukturen, den Funktionen und dem Verhältnis der Funktionen und dem Verhältnis der Bestandteile innerhalb
des Gesamtgefüges, den Mustern und Regeln der Transaktionen und den Veränderungen von Systemzuständen. Systeme
sind zum Beispiel Paare, Familien, Gemeinden, aber auch Mitarbeiter, Teams und Unternehmen (Ellebracht Heiner, Lenz
Gerhard, Gisela Osterhold 2011, S 13).
Die Elemente innerhalb eines Systems werden als komplex (und nicht linear) miteinander verwoben verstanden. Es wer-
den Beziehungen erfasst und Verhalten beschrieben, statt feste Eigenschaften zuzuschreiben. Eigenschaften lassen sich
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
nicht verändern und kleben oft wie unsichtbare Etiketten an Köpfen von Menschen. Hingegen, wenn jemand ein Verhalten
zeigt, könnte er auch ein anderes zeigen und schon gibt es eine Chance auf Veränderung.
Systeme funktionieren nach bestimmten Regeln. Es gibt Regeln des Zusammenlebens, der Zusammenarbeit, offizielle
und geheime Regeln. Jedes System ist aber dadurch charakterisiert, dass es bestimmte Handlungszusammenhänge
auswählt und reproduziert, nicht zuletzt, um Komplexität zu reduzieren.
Systemelemente stehen in Beziehung zueinander, sie führen Transaktionen aus, d.h. der Austausch zwischen den Ele-
menten beeinflusst andere Bestandteile, sie sind untereinander interdependent verknüpft. Zwischen den Elementen be-
steht also eine wechselseitige Abhängigkeit dergestalt, dass sich eine Veränderung innerhalb des Systems durch ein
Element auf alle Systemelemente auswirkt (Ellebracht Heiner, Lenz Gerhard, Gisela Osterhold 2011, S 17).
Außerdem bilden die Systemelemente eine Grenze, die sie von der Umgebung, der Umwelt unterscheidet, mit der sie
gleichzeitig in Austausch treten. Somit sind Systeme voneinander zu unterscheiden.
Teil der systemischen Sichtweise ist es, die Rolle des Beobachters in die Untersuchung miteinzubeziehen. Beobachter
beschreiben in der Regel ihre persönlichen Wahrnehmungen. In diesem Zusammenhang wird zwar oft von ganzheitli-
chem Denken und Vernetzung von Systemen und Systemebenen gesprochen, dabei aber übersehen, dass der Beobach-
ter „das Ganze“ analytisch in Systeme und deren Umwelten zerteilt, um es für eine mögliche Erklärung zu vereinfachen.
Der Beobachter entscheidet so, was er als System betrachten will und wo er die Grenzen des Ganzen setzt.
Außerdem ist die Beobachtung abhängig vom Standpunkt des Beobachters und somit eine subjektive Wahrheit. Es kann
also nicht darum gehen, „objektiv“ ein Ganzes zu erklären, was sicher nicht möglich ist, sondern Wechselbeziehungen
zwischen den Elementen und ihrer Umwelt zu beschreiben. Bei der Beschreibung dieser Beziehungen denken wir häufig
in Polarisierungen wie: entweder – oder, richtig – falsch, gut – böse, … Gefühlsmäßig erfassen wir aber bereits, dass
es keine absoluten Wahrheiten gibt. „Wahrheiten“ sind abhängig von Menschen und ihren Wahrnehmungen, von ihren
Erfahrungen, ihren Konstruktionen über das, was sie sagen, von den Beziehungen und dem Kontext, in denen sie gesagt
werden und in dem sie ihre Bedeutung erhalten.
Systeme haben ihre eigene Operationslogik. Auf dieser Grundlage interpretieren und handeln sie. Komplexe selbstrefe-
rentielle Systeme reagieren auf die Umwelt und auf sich selbst. Bei jeder Aktivität beziehen sie sich in ihren Operationen
auf sich selbst, bevor sie auf dieser Grundlage mit ihrer Umwelt in Kontakt treten. Die Ausrichtung in der Beratungsarbeit
heißt daher „ mit dem Kunden gehen“.
Soziale Systeme sind mit der selbständigen Identifikation des Problems aus der Innenperspektive in gewisser Hinsicht
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überfordert. Ihr Wissens- und Entscheidungsspielraum ist eingeschränkt und somit auch die Problemlösungskompe-
tenz. Daher besteht Beratungsbedarf.
2. Systemische Organisations- und Unternehmensberatung
Nach der systemischen Organisations- und Unternehmensberatung lassen sich komplexe Probleme nicht lösen, wenn
man die Aufmerksamkeit lediglich auf ein Element richtet (Wikipedia 2011, o.S.).
Es muss davon ausgegangen werden, dass Personen und Prozesse innerhalb eines Systems miteinander vernetzt sind.
Jedes Element bestimmt die Bedingungen aller anderen mit, jede Veränderung wirkt nicht nur am Ort und zum Zeitpunkt
der Intervention. Man muss das gesamte System berücksichtigen. Es geht um die Betrachtung derjenigen Handlungszu-
sammenhänge, die für das Verständnis des Systemgeschehens relevant sind.
Bei systemischer Beratung geht es primär um das Stärken der Ressourcen und Kompetenzen des jeweiligen, zu bera-
tenden sozialen Systems. Zur Betonung dieser Vorgehensweise wird systemische Beratung häufig auch als ressourcen-
orientierte Beratung bzw. lösungsorientierte Beratung bezeichnet. Im Unterschied zum inhaltsorientierten klassischen
Beratungsansatz, der Expertenberatung, ist die systemische Beratung überwiegend prozessorientiert.
Prozessberatung ist organisierte Hilfe für Entscheidungsprozesse und zielt ab auf die Erweiterung der Wissens- und
Handlungskompetenz des Kunden und die Generierung neuer Informationen, Perspektiven, Beobachtungen und Erkennt-
nisse über die Zusammenhänge im System. Statt instruktive Information im Sinne von „Mach es so oder so“ zu geben,
zielt systemische Beratung auf einen Erkenntnisprozess beim Kunden ab, der mit den konkreten personalen, kontext- und
kulturspezifischen Bedingungen kompatibel ist. Das heißt, der Kunde wird in die Lage versetzt, eine Lösung zu produ-
zieren, die zu ihm passt. Systemische Beratung ist zielgerichtete Kommunikation und zielt ab auf Selbstreflexion und
Selbstaufklärung sozialer Systeme, Veränderung subjektiver Deutungen und Veränderung gewohnter Handlungsmuster.
Der Grundgedanke systemischer Beratung ist demnach, dem Kunden Hilfe zur Selbsthilfe zu bieten. Wichtig für den
Kunden ist, die Klärung der Zusammenhänge transparent zu machen und diese nicht nur für sich selbst zu erschließen
(Ellebracht Heiner, Lenz Gerhard, Gisela Osterhold 2011, S 23).
Des Weiteren werden bei der systemischen Organisationsberatung Beziehungen in den Mittelpunkt der Betrachtung
gestellt: Nicht Objekte, sondern die Beziehungen zwischen den Objekten werden fokussiert, wodurch schnell bewusst
wird, dass das allseits geliebte Ursache-Wirkung Denken nicht mehr ausreicht, um das Verhalten von Organisationen zu
beschreiben. Außerdem – systemische Beratung beruht nicht auf Antworten, sondern auf Fragen. Durch gezielte Irritati-
onen werden Systeme in ihren tief eingespurten Verhaltensmustern hinterfragt, um neue Informationen herzustellen und
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
so der Veränderung eine Chance zu geben.
Probleme, die in einem System auftauchen, werden nicht nur bearbeitet, sondern zusätzlich auch als Anlass für weitere
Entwicklung und Veränderung genützt. Es bedeutet auch, Probleme in ihrem größeren Zusammenhang zu sehen und
nicht an einzelnen Symptomen zu arbeiten.
Systemisches Denken und Handeln entspricht einer Haltung: Der Kunde ist kundig. Das System des Kunden ist das
Expertensystem, das über Wissen, Erfahrungen und Bilder der eigenen Realität in hohem Maße verfügt. Die Aufgabe des
Beraters ist es, das System zu spiegeln, mit unterschiedlichen Brillen zu betrachten und die Unterschiede transparent zu
machen. Dadurch entsteht bewusste Irritation, die neues Denken und Handeln ermöglicht.
Systeme brauchen, nach der Theorie der systemischen Organisationsberatung, nur Unterstützung bei der Lösung ihrer
Probleme. Die Lösung muss von innen kommen. Die Experten des Problems sind die Mitarbeiter, die das Problem
haben. Systemische Beratung fokussiert mit ihren Interventionen wie z.B. Coaching auf die Wechselwirkung in sozialen
Systemen (wie Unternehmen oder Abteilungen), um ihre Regeln, die das Verhalten der Personen in diesen Systemen
leitet, zu verstehen.
Um jedoch Veränderungen herbeiführen zu können, geht es nicht darum, die Regeln zu verstehen, denen ein System
folgt. Das ist aus systemischer Sicht einem Außenstehenden auch gar nicht möglich. Es ist vielmehr wichtig, dem Kun-
den zu helfen, andere Perspektiven einzunehmen, um die eigenen Muster zu erkennen. Dabei werden drei Dimensionen
benutzt: die Zeit, die Wahrnehmungsebene und die Interventionsebene.
Für den Beratungsprozess gilt, sich die „Konstruktion der Wirklichkeit“ zu vergegenwärtigen, um nicht den „eigenen
Wahrheiten“ zu erliegen und diese für wertfrei zu halten. Berater sind darauf angewiesen, sich selbst in die Beobachtung
mit einzubeziehen. Damit kennen sie die Bedeutung des Beobachtungsstandpunktes und schaffen Möglichkeiten, wie sie
bei sich selbst und ihren Kunden den Beobachtungsstandpunkt verändern und wechseln können. Aus dieser Perspektive
spielen nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede in der persönlichen Wahrnehmung eine wich-
tige Rolle. Unterschiede werden als neue Informationen, die zur Erweiterung des eigenen Blickwinkels führen, bewertet.
Hierdurch eröffnet sich eine Welt der Vielfalt. Wenn es nicht eine Wahrheit gibt, dann stehen mehrere Betrachtungen als
Optionen zur Verfügung, die Entscheidungsspielräume schaffen und damit Freiräume ermöglichen.
So finden sich Wege aus Engpässen und verbohrtem Denken. Im Beratungsprozess gibt es immer wieder duale Erklä-
rungen, die wenig hilfreich sind. Wenn Menschen etwa bei neuen Entwicklungen in „richtig-falsch“- Kategorien denken,
werden sie keine Experimente zulassen. Experimente sind aber Optionen auf dem Wege zu besseren Lösungen und für
Neuentwicklungen unbedingt nötig.
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Bei der Prozessberatung liefert der Berater jedoch nach der Analyse keinen fertigen Lösungsvorschlag. Die Lösung wird
innerhalb des Kundensystems erarbeitet. Die Beteiligten sollen in die Lage versetzt werden, selbständig die passende
Lösung zu entwickeln. Der Berater unterstützt und begleitet den Prozess.
3. Wann findet der systemische Ansatz Verwendung
„Im Allgemeinen wird systemische Beratung dann in Anspruch genommen, wenn die traditionellen (auf Symptome oder
einzelne Phänomene reduzierten) Beratungen nichts nützen und die Probleme immer wieder kommen. Oft ist systemi-
sche Beratung also der zweite Versuch. Manchmal gibt es allerdings auch Organisationen, die um die Kraft der systemi-
schen Beratung wissen und erkannt haben, dass hinter den auftauchenden Problemen unproduktive Muster in der Kultur
und der Kommunikation stecken. Diese sind hartnäckig und schwer zu verändern. Denn das ist die Stärke systemischer
Beratung – mit diesen komplexen Themen umgehen zu können: meint Ruth Seliger, Train Consulting“ (Magazin Training
2011, o.S.).
Ruth Seliger zählt auf: „ Bei immer wiederkehrenden Prozessen, die unproduktiv sind. Bei der Annahme, dass die Orga-
nisation selbst das Potenzial hat, diese Probleme zu lösen, allerdings nicht weiß, wie – dann ist systemische Beratung
angesagt“ (Magazin Training 2011, o.S.).
Folgende Themen sind ebenfalls für systemische Beratung geeignet: „Im Falle von Veränderungsprozessen bei Restruk-
turierungen, neuen Führungspersonen, bei Konflikten im Team, Kulturschwerpunkten wie z.B. bei Nachhaltigkeitspro-
jekten oder sobald mehr Frauen in Führungspositionen kommen. Fachberatung und systemische Organisationsberatung
ergänzen sich in der Praxis oft bzw. werden parallel geführt.“
„In den meisten Fällen handelt es sich um Veränderungsprojekte“, bemerkt Mag. Birgit Fischer-Sitzwohl (Geschäfts-
führerin Coverdale Österreich). Und sie führt weiter aus: “ Wenn etwas nicht mehr klappt – in der Zusammenarbeit, in
den Abläufen, in der Führung usw., hat ein Unternehmen, das Beratung in Anspruch nehmen will, zwei Möglichkeiten:
Entweder es holt sich einen Berater, der als Fachberater tätig ist (Magazin Training 2011, o.S.).
Er kennt entweder das Unternehmen oder andere Unternehmen, die diesem ähnlich sind und empfiehlt Lösungen, die
dort schon funktioniert haben, oder von denen er glaubt, dass sie funktionieren werden. Oder es holt sich einen syste-
mischen Organisations-Berater, der gemeinsam mit Vertretern der Organisation die Lösung entwickelt, die spezifisch auf
die jeweilige Organisation passt. Die inhaltliche Kompetenz kommt dabei aus dem Unternehmen oder wird zugekauft. Die
Prozesskompetenz kommt vom Berater (Magazin Training 2011, o.S.).
286
Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Systemische Beratung ist auch dann von großem Vorteil, wenn es um Entscheidungen geht, die sich auf die Zukunft
auswirken. Ein systemischer Zugang ist außerdem dann zu empfehlen, wenn mehrere Personen, Teams oder zukünftige
Entwicklungen davon betroffen sind (Magazin Training 2011, o.S.).
4. Die sieben Grundelemente systemischer Beratung
4.1. Kontextanalyse
Als erster Schritt im Veränderungsprozess gilt es, das Feld aller Transaktionen im System zu beschreiben. Man kann
sich dieses Transaktionsfeld als „Landschaft“ vorstellen, der man sich nähert, um sie zu entdecken und zu differenzieren.
Folgende Fragen können helfen, das Transaktionsfeld zu sondieren:
- Welche Bedingungen, Strukturen und Personen organisieren und beeinflussen das System?
- Welche harten und weichen Daten sind nötig, um das Umfeld angemessen beschreiben zu können?
- Welche subjektiven Deutungen, Strategien, Regeln und Verhaltensweisen dienen der Entwicklung,
Erhaltung und Auflösung von Strukturen?
4.2. Anerkennung bereits gefundener Problemlösungen
Bereits gefundene Problemlösungen sind zu respektieren und als zu diesem Zeitpunkt mögliche und sinnvolle Strategien
anzuerkennen. Es dient der Weiterentwicklung von kreativen Lösungen, alte Strategien auf ihre damalige Nützlichkeit und
im Hinblick auf ihre Wirkung für heute und morgen zu prüfen. Das heißt zu lernen. Motivation für alle handelnden Per-
sonen ist die Folge und dies hat positive Konsequenzen für die Entscheidungsfreudigkeit. Es ist hilfreich, wenn sich der
Berater in jedem Gespräch darum kümmert, was bereits in Richtung Lösung unternommen wurde und welche Ergebnisse
dabei erzielt wurden.
4.3. Veränderungsprozess als Dialog
In den Fragen und Antworten liegen die befruchtenden Elemente, hingegen sind Interpretationen, Bewertungen und
Behauptungen weniger hilfreich. Das Tun des einen stimuliert das Tun des anderen. Alle verschaffen sich Freiraum und
bringen sich in eine Haltung, in der Kreativität und Flexibilität möglich sind.
In Lernprozessen lernt nicht nur ein Beteiligter: Lehrer und Lernender schaffen gemeinsam eine Lernbasis. Wo Mitar-
beiter unselbständig arbeiten, nur Anweisungen befolgen, keine Entscheidungsfreiheit und keine Verantwortung für den
Prozessverlauf haben und Vorgesetzte kontrollieren, gibt es Abhängigkeiten und keinen Dialog. Um den Mitarbeiter, den
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
Kunden oder wen auch immer in seiner Meinung, seiner Aktivität und seiner Kreativität einzubeziehen, muss man immer
wieder nachfragen.
4.4. Selbstreferenz
Gerne schreiben wir Eigenschaften und Etiketten Personen, Teams oder Unternehmen zu, ohne zu analysieren, worauf
diese in der Beobachtung begründet sind. Sie sind mehr Projektionen als Tatsachen. Wenn diese Erkenntnis nicht beach-
tet wird, werden subjektive Einschätzungen wie Wahrheiten gehandelt und verfestigen sich mehr und mehr, bis vergessen
ist, wo und wie sie entstanden sind. Es ist wichtig, dass man sich selbst in Beziehungsgestaltung sieht und zu sich selbst
in Distanz tritt, auch Selbstreferenz genannt. Berater sind nicht unfehlbar und deshalb ist es wichtig, sich rückbezüglich
im Geschehen einzubeziehen.
4.5. Wandlung und Entwicklung
Wandlung und Entwicklung brauchen Ziele und Visionen. Bei einem lösungs- und zielorientierten Vorgehen ist es im
Beratungsprozess unerlässlich, den Kunden nach seinen eigenen Zielen zu fragen.
Dabei geht es um übergeordnete Ziele ebenso wie um die Ziele einer Beratungssitzung oder einer Maßnahme. Deswegen
müssen zu ergreifende Handlungen und Maßnahmen auf Ziele, die dem Unternehmen von Nutzen sind, abgestimmt
sein! Oftmals sind Ziele unklar oder passen nicht auf die derzeitige Realität im Unternehmen. Manchmal gehen im Ge-
spräch die Ziele verloren. Dies ist leicht zu verhindern, indem der Berater in jedem Gespräch die Ziele nochmals explizit
formulieren lässt. Es ist oft auch hilfreich,Langzeitziele und Visionen anzusprechen. Wenn diese übereinstimmen bzw.
kompatibel sind, ergibt sich die höchste Leistungsfähigkeit.
4.6. Selbstwert und Kongruenz
Ein positives Selbstwertgefühl stärkt die Handlungs- und Begegnungsbereitschaft, den Mut zum Risiko, zum Gehen neu-
er Wege und führt so zu einer erhöhten Problemlösungskompetenz. Deshalb ist es im Prozess der Beratung unerlässlich,
herauszustellen, was gut gelaufen und gelungen ist und welche positiven Teile aus einem Problem zu gewinnen sind.
Jeder Berater sollte es sich zur Pflicht machen, seine Kunden für deren Leistungen zu loben und sie anzuspornen, sich
auch gegenseitig stärker wertzuschätzen.
4.7. Selbstorganisation
Statt die zu beratende Organisation oder Person von außen zu instruieren und in direkter Linearität eine Umsetzung der
eingegebenen Impulse zu erwarten, was bei Nichterfüllung nur zu Frustrationen bei Beratern und Kunden führt, werden
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
die eingegebenen Impulse in ihrer Wirkung überprüft, berücksichtigt und verarbeitet. Dies wird als Teil der Selbstor-
ganisation gesehen und verstanden. Alle Beratung nützt nichts, wenn der Berater alles besser weiß. Wenn die Idee der
Selbstorganisation ernst genommen wird, steht der Berater vor der schweren Aufgabe, seine Kunden eigene Erfahrungen
machen zu lassen.
5. Werkzeuge systemischer Organisations- und Unternehmensberatung
5.1. Koppeln
Jeder Mensch hat eine eigene Operationslogik. Das heißt, jeder Mensch hat eine gewisse Grundprogrammierung, die
sich aus der Genetik, der sozialen Prägung und der Erfahrung ergibt. Menschen reagieren auf Umgebungsbeeinflussung
so, dass sie sich zunächst auf ihre eigene Grundprogrammierung stützen und dort überprüfen, ob und wie sie auf die
Einflussnahme reagieren können und wollen. Sich mit der Operationslogik seines Gegenübers zu koppeln ist der Zugang
zum Verändern.
Koppeln ist somit die Berücksichtigung, Einbeziehung und Anpassung unterschiedlicher Denk- und Handlungsebenen
im Beratungsgeschehen, sowohl beim Berater als auch beim Kunden. Koppeln bedeutet, sich mit dem Gesprächspartner
zu verbinden, Kenntnisse von seiner „Programmierung“ zu erwerben, die innere Landschaft und die Landkarte der be-
treffenden Person kennen zu lernen, gewissermaßen in der anderen Welt Teilnehmer zu werden. Dies geschieht, indem
man durch gezieltes Fragen die Welt des Gegenübers für sich erfahrbar macht. Koppeln bedeutet nicht, auf den anderen
einzureden oder schon zu wissen, was in ihm vorgeht.
5.2. Fragen zur Kontextanalyse
Bei der Kontextanalyse wird versucht, die Zusammenhänge im Transaktionsfeld des Systems kennen zu lernen und zu
verstehen. Es wird versucht, die Elemente, ihre Beziehungen und die Bedingungen im Kundensystem für den Berater und
die Kunden zu benennen und verständlich zu machen. Zum Beispiel durch folgende Fragen:
Welche Personen sind beteiligt, betroffen?
Wie stehen die Personen zueinander? (Nähe – Distanz)
Was sind die Ziele der Organisation?
5.3. Fragen zur Konkretisierung
Fragen nach Verhalten und Transaktionen, Unterscheidungsfragen und Fragen nach Daten führen beim Gesprächspartner
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
zu einer Konkretisierung seiner Überlegungen und Aussagen. Dies ist natürlich wichtig, um sich eine erste Vorstellung
machen zu können, um in einen Fall „reinzukommen“. Diese Fragen dienen aber auch dazu, allgemeine und verallgemei-
nernde Aussagen bei Bedarf auf den Punkt zu bringen.
5.3.1. Fragen zu Verhalten und Transaktionen
Es geht darum, ganz konkretes Verhalten, Verhaltensabläufe und Transaktionen abzufragen und Verallgemeinerungen
zu spezifizieren.
5.3.2. Unterscheidungsfragen
Manche Systeme erscheinen so, als ob alle Mitglieder gleich wären und als ob es keine Unterschiede in der Betrach-
tung der Welt gäbe.
So ist es hilfreich, nach Unterschieden zu fragen und sich die Antworten gegebenenfalls als Ranglisten, Prozentanga-
ben oder Ahnliches klassifizieren zu lassen.
5.3.3. Fragen nach Daten
Man fragt hierbei nach Zahlen, Personen und weiteren Fakten.
5.4. Fragen zum Wechsel der Beobachtungsstandpunkte
Fragen zum Wechsel des Beobachtungsstandpunkts zielen darauf ab, neue Gedanken zu ermöglichen. Über das Ingang-
setzen eines kreativen Prozesses werden neue Optionen entdeckt. Man unterscheidet:
5.4.1. Hypothetische Fragen
Systeme im Engpass erlauben sich kaum, neue Ideen zu kreieren oder nach bisher ungelebten Möglichkeiten Aus-
schau zu halten. Je höher der Druck, desto enger wird der Tunnelblick. Hier gilt es neue Gedanken und Sichtweisen
ins Spiel zu bringen.
Was wäre, wenn …?
Angenommen …?
Stellen Sie sich vor …?
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5.4.2. Zukunftsfragen
Systeme, die Beratung suchen, glauben sich im Engpass, fühlen sich hilflos und ohnmächtig, wie in einem schwar-
zen Loch, aus dem es keinen Ausweg gibt. Die Gedanken richten sich in die Vergangenheit und auf fehlgeschlagene
Lösungen. Mit Zukunftsfragen öffnen wir ein Tor zu den bisher ungedachten Möglichkeiten der betroffenen Men-
schen und ihren Vorstellungen und Ideen. Hier wird möglicherweise zum ersten Mal darüber nachgedacht und
visioniert, wie denn die Zukunft anders sein könnte und welche verschiedenen Möglichkeiten es dazu gibt und dass
überhaupt eine Zukunft existiert.
Welche Ideen haben Sie, wie sich Ihre zukünftige Zusammenarbeit entwickeln könnte?
Welche Aufgaben sehen Sie in der Zukunft?
Wer könnten denn in 4 Jahren Ihre Kunden sein?
5.4.3. Zirkuläre Fragen
Zirkuläre Fragen können in Verbindung mit jedem anderen Fragetyp verwendet werden und schaffen eine Metaebe-
ne, die es möglich macht, andere Beobachtungsstandpunkte einzunehmen und andere Sichtweisen im Unterschied
zu der eigenen zur Kenntnis zu nehmen.
Was würde Ihr Kollege dazu sagen, wenn Sie mit Ihrem Chef essen gingen?
Wie reagiert der Kollege, wenn der Chef sich so benimmt?
Wie beurteilt Ihre Vorgesetzte denn den Konflikt zwischen …?
5.4.4. Fragen nach Klatsch und Tratsch
Jeder denkt über jeden irgendetwas, nur wird dies oft nicht persönlich mitgeteilt oder in formalen Zirkeln diskutiert.
Dadurch werden Unterscheidungen und individuelle Besonderheiten und Standpunkte vermieden. Hier besteht die
Möglichkeit, Gedanken positiv sanktioniert aussprechen zu lassen.
Was sagt man über Sie konkret?
Was sagt man woanders?
Wie denken Sie über Ihr Handeln oder Ihr Auftreten?
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
5.4.5. Fragen nach der inneren Landkarte
Wir bewerten tagtäglich etliche Male nicht nur in gut oder schlecht, sondern differenzieren in verschiedene Rich-
tungen und auf verschiedenen Ebenen. Auf diese Art geben wir laufend innere Zuschreibungen und geben dem
Geschehen Sinn. Wenn wir deshalb fragen „Wie erklären Sie sich das?“, fragen wir nach dem sinnstiftenden
Hintergrund. Dies kann nicht nur eine wichtige Information für den Berater, sondern auch für die betroffenen Kun-
den fokuserweiternd sein.
Welche Bedeutung hat das für Sie?
Welchen Stellenwert geben Sie dieser Sache?
Welche Rolle spielt für Sie die Zusammenarbeit?
5.5. Reframing
Reframing bedeutet, einen Sachverhalt in einen anderen Zusammenhang zu stellen, durch eine andere Brille anzu-
schauen und von einer anderen Warte zu betrachten. Allein die Sprache reicht häufig nicht aus, eine Mitteilung korrekt
zu verstehen. Hinzu kommen Tonfall, Mimik und Gesten, die der Mitteilung erst ihre Bedeutung geben. Ändern wir den
Rahmen, dann kann sich auch die Bedeutung verändern. Reframing kann auf Personen, aber auch auf einen größeren
Zusammenhang bezogen sein. Die Prämisse lautet: Es gibt noch andere Möglichkeiten, die Sache zu sehen.
Durch Umdeutungen kann mehr Flexibilität und Selbstbewusstsein erreicht werden, und dadurch wird die Eigenkomple-
xität erhöht. Die völlig konträre, oft paradox wirkende Sichtweise löst Überraschung, Irritation, positive Verstörung aus
(Königswieser Roswita, Hillebrand Martin 2004, 2011, S 90).
5.6. Splitting
Diese Methode kommt zur Anwendung, wenn es Streit zwischen zwei Parteien oder zur Verfestigung von zwei Strömun-
gen in der Gruppe kommt. Zwei Berater vertreten verschiedene Anteile, die im System sind. Durch die Rollenteilung
fühlen sich die beiden Seiten spiegelbildlich verstanden und überrascht. Der Widerspruch wird im Beratersystem ohne
Konsensbemühen reproduziert und so leichter bearbeitbar. Dieses Splitten bewirkt bei den Streitparteien eher eine Kom-
promisshaltung, weil man sieht, wie absurd der Konflikt ist (Königswieser Roswita, Hillebrand Martin 2004, 2011, S 91).
5.7. Positive Konnotation
Wertschätzendes Feedback, die Vermittlung von echtem „beeindruckt Sein“ gibt Energie, verbreitet Zuversicht, fördert
Vertrauen, überrascht. Positive Konnotation wird nicht isoliert, sondern je nach Kontext vorweg als Würdigung ausge-
sprochen oder z.B. am Ende des Erstgesprächs, bei Rückspiegelungen etc. oder in Kombination mit anderen Interventi-
onen angewendet.
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5.8. Das Gute im Schlechten, das Schlechte im Guten
Diese Intervention wird immer dann angewendet, wenn man das Gefühl hat, eine Seite des Widerspruchs ist unterbelich-
tet, z.B. Situationen sehr schwarz und als aussichtslos gesehen werden. Seltener muss die dunkle Seite bewusst gemacht
werden. Diese Technik bewirkt meist große Überraschung, Aha-Erlebnisse, eine differenzierte Sicht. Wirkt besonders in
Kombination mit dem Reflecting Team.
5.9. Skulpturarbeit
Bei der Skulpturarbeit werden innere Bilder mit Hilfe von Personen, die im Raum aufgestellt werden, nach außen ge-
bracht. Der Kunde wird gebeten, mit Hilfe von Personen das System und die beteiligten Personen und Elemente in ihrer
Haltung und Position zueinander aufzustellen. Die Entscheidung, wie weit oder eng das System zu fassen ist, liegt beim
Berater und Kunden in einem gemeinsamen co-kreativen Prozess. In das dargestellte System gehören alle Elemente
und Personen, die für das Problem bzw. die Lösung relevant sind, miteinander agieren und als bedeutsame Elemente
erachtet werden. Die Position der Elemente und Personen wird nach Distanz, Haltung und eventuell Höhe festgelegt.
Durch wiederholtes Fragen nach „was neu für ihn ist, was er deutlicher sieht als vorher, was noch fehlt“ bekommt der
Kunde eine andere Sichtweise und daher ein immer klareres Bild von der Situation. In einem Beratungsgespräch sind die
beteiligten und betroffenen Personen nicht jederzeit anwesend. Um die Beziehungen und Strukturen trotzdem deutlicher
hervortreten zu lassen, kann auch die Technik der Skulptur verwendet werden – Personen und andere Elemente werden
durch konkrete Gegenstände dargestellt.
5.10. Metaphern, Beispiele und Szenarios
Zu den verbalen Möglichkeiten der Veranschaulichung zählen vor allem Vergleiche anhand von Metaphern, Beispielen
und Szenarios. Diese Techniken sorgen dafür, dass die Beschreibung von Beobachtungen und Sachverhalten klarer wird
und man sie sich wie ein Bild vor dem geistigen Auge vorstellen kann.
5.11. Fokussieren
Im Beratungsgespräch geht es darum, möglichst genaue Informationen über Art und Qualität der Transaktionen innerhalb
des Systems zu erzeugen. Der Berater muss, um erfolgreich wirken zu können, konkrete Informationen erhalten, sodass
die Kunden im Gespräch ihren Blick für die eigene Situation erweitern und schärfen. Oftmals geben Menschen unklare,
widersprüchliche oder verallgemeinerte Stellungnahmen ab. Aufgabe des Beraters ist, diese zu fokussieren, gewisser-
maßen „verschwommene“ Bilder scharf zu stellen. Dies geschieht einerseits durch Nachfragen, aber auch durch die Bitte
um Beispiele. Wenn konkret Beispiele genannt werden, bleibt weniger Raum für Interpretationen, Übertreibungen und
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Verallgemeinerungen.
5.12. Widerspiegeln
Die Technik des Widerspiegelns dient dazu, sich zu vergewissern, dass man sein Gegenüber und die geschilderte Situa-
tion richtig versteht. Der Berater stellt durch Formulierungen wie „habe ich Sie richtig verstanden, dass …“ oder „heißt
das, dass …“ klar, worum es sich handelt. Dem Berater bietet sich hier außerdem die Möglichkeit, eigene Hypothesen
zu überprüfen, indem er nicht genau das Gesagte wiederholt, sondern das von ihm Gehörte in einem erweiterten Rahmen
widerspiegelt („Wenn Sie das so sehen, bedeutet das für Sie, dass man generell …“). Das Gegenüber wird dann bestä-
tigen oder seine eigene Aussage nochmals konkretisieren.
5.13. Das Reflecting Team
Falls mehrere Berater im Gespräch anwesend sind, setzen sie sich für diese Technik zusammen und tauschen ihre Ideen
zum Beratungsanlass und -prozess aus. Die Kunden sind im Raum mit anwesend und hören zu. Auf diese Weise erhalten
sie unterschiedliche Ideen zum Geschehen, und anstelle von klaren Anweisungen oder instruktiven Informationen wer-
den sie in ihren eigenen Gedanken entsprechend aufgeweicht. Anschließend entwickelt sich dann in ihnen eine eigene
Idee für das weitere Vorgehen. Es entsteht ein „kreatives Feld“.
5.14. Feedback
Feedback ist ein wirkungsvolles Instrument zur Entwicklung und zum Schaffen von neuen Informationen. In vielen Or-
ganisationen ist es generell noch immer wenig verbreitet, sich gegenseitig Rückmeldung über Aspekte der Zusammen-
arbeit zu geben. Um zu ermöglichen, dass ein tatsächlicher Informationsaustausch stattfindet, denn darum geht es ja
im Grunde, dass der andere wahrnimmt, was ich wahrnehme, müssen bestimmte Spielregeln zum Feedback erlernt und
eingehalten werden.
Der Berater kann selbst Feedback geben, gegenseitiges Feedback anregen oder sogar eine Kultur von regelmäßigem
Feedback in der Organisation initiieren. Dabei ist zum Einstieg am einfachsten, wenn jedes Feedback nach einem vor-
geschriebenen, wenn auch zunächst als unnatürlich empfundenen Muster gegeben wird. Dabei sollte zunächst etwas
Positives über die Person gesagt werden und dann etwas Entwicklungsförderndes.
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6. Zukunft der systemischen Organisations- und Unternehmensberatung
Mit welchen Problemen und Herausforderungen Beratung konfrontiert ist und wie sie sich selbst verändern und wei-
terentwickeln wird, hängt eng mit den gesellschaftlichen Entwicklungen zusammen, von denen Wirtschaft ein wichtiges
Element ist. Organisationsberatung ist in diesem Sinne auch der Spiegel sozioökonomischen Wandels.
Alle Organisationen haben sich der Herausforderung zu stellen, dass ihre Leistungsfähigkeit und damit letztlich ihre
gesamte Existenzberechtigung auf eine ganz neue Weise immer wieder auf dem Prüfstand steht.
Berater haben es nicht nur mit großen Beratungsprojekten, sondern immer häufiger auch mit kleineren und mittleren
Projekten bei global agierenden Unternehmen zu tun. Interne kulturelle Diversität kann zwar eine Bereicherung dar-
stellen, kann aber auch, wie aus Beispielen von Fusionen und Übernahmen bekannt ist, zu Problemen führen. Dieser
Entwicklung muss auch der Berateransatz Rechnung tragen, indem das Beratersystem selbst internationaler wird. Die
Herausforderung und Chance für die Zukunft von Beratung besteht dabei darin, über das gesamte Netzwerk hinweg für
eine professionelle, möglichst einheitliche Ausbildung zu sorgen, ohne dass dies nivellierend wirkt.
Entgegen dem bewährten Grundsatz systemischer Beratungsansätze geht „Königswieser davon aus, dass sich in an-
spruchsvollen Entwicklungsprojekten zwischen Beratersystem und Klientensystem eine enge Entwicklungsgemeinschaft
als notwendig und sinnvoll herausstellt“ (Königswieser Roswita, Hillebrand Martin 2004, 2011, S 117). Auch für das
Beratersystem bedeutet die Entwicklungsgemeinschaft gemeinsames Lernen. Weil systemische Interventionen nur eine
Berechtigung haben und Sinn ergeben, wenn dadurch Lern- und Veränderungsprozesse ausgelöst werden, muss das
Beratersystem auch Verantwortung und indirekt Führungsfunktion übernehmen. Dabei muss es lernen, auch die Logik
der „hard facts“ zu verstehen und sie in die systemische Arbeit zu integrieren.
Ein weiterer eng mit dieser Problematik zusammenhängender Aspekt ist die Notwendigkeit der Arbeitsteilung zwischen
internen und externen Beratungsfunktionen. Viele dieser Funktionen können von immer mehr und immer besser ausge-
bildeten Organisationsmitgliedern selbst wahrgenommen werden. Externe Berater werden daher bewusster und gezielter
eingesetzt werden. Die interne Verankerung der Verantwortlichkeit für Prozesssteuerung wirkt sich auch in einer höheren
Nachhaltigkeit von Veränderungen aus: Die Betroffenen verantworten die Umsetzung selbst. Die Qualifikationsanforde-
rungen an systemische Organisationsberater werden weiter steigen, denn es genügt nicht mehr, sich das Etikett „syste-
misch“ umzuhängen oder bloß Kommunikationsprozesse zu moderieren.
„Königswieser vertritt die Ansicht, dass sich systemische Prozessberatung daher verstärkt um das Fachwissen relevanter
Geschäftsprozesse wird kümmern müssen.“ Ebenso wird es umgekehrt nötig sein, dass sich die Fachberater Prozess-
Know-how aneignen, um Konzepte rascher und nachhaltiger umsetzen zu können. In der Integration beider Know-how-
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Bereiche liegt unserer Meinung nach die Zukunft von professioneller Beratung. Das Nacheinander oder Nebeneinander
von Beratungsansätzen ist aus Kundensicht nicht mehr zielführend und nutzbringend. Neue Beratungsmodelle, z.B. die
Komplementärberatung, stellen den Nutzen des Kunden in den Mittelpunkt (Königswieser Roswita, Hillebrand Martin
2004, 2011, S 119).
Das Komplementär-Modell greift den scheinbaren Widerspruch zwischen harten und weichen Faktoren in spezieller
Weise auf. Die Entwicklung von Unternehmen spielt sich vereinfacht immer in einer oder mehreren Dimensionen (Stra-
tegie, Struktur, Kultur) ab. Der komplementäre Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die drei Themenfelder
wechselseitig beeinflussen und voneinander abhängig sind. Deshalb sind diese auch integrativ zu handhaben. Losge-
löste Einzelmaßnahmen, z.B. eine Optimierung der Abläufe, sind ohne Musterveränderung der Zusammenarbeit nicht
ausreichend. Statt Idealprozesse zu kreieren und parallel dazu „ideale“ Teamentwicklungsmaßnahmen zu setzen, geht es
beim Thema Prozessoptimierung vielmehr darum, selbst die zu verändernden Verhaltensmuster und deren Einfluss auf
die Abläufe zu verstehen und zu bearbeiten.
7. Conclusio
Beobachtet man das Weltgeschehen, damit natürlich auch die Menschen und die Unternehmen, in denen sie ihre Arbeit
verrichten, um Geld zu verdienen, dann wird es noch lange genügend Möglichkeiten geben, den systemischen Ansatz in
Unternehmen, für Menschen zu praktizieren. Durch den stetigen ökonomischen Wandel wird es natürlich auch eine Ver-
änderung bzw. Anpassung im systemischen Berateransatz geben. Werte wie persönliche Freiheit, Sinn und Eigenverant-
wortung werden an Bedeutung immer mehr zunehmen und so automatisch einen Wandel in, um und mit uns vollziehen.
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8. Literaturverzeichnis
Bentner Ariane (2007). Systemisch-lösungsorientierte Organisationsberatung in der Praxis.
Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
Ellebracht Heiner, Lenz Gerhard, Gisela Osterhold (2011). Systemische Organisations- und Unternehmensberatung,
Praxishandbuch für Berater und Führungskräfte. Wiesbaden: Gabler
Königswieser Roswita, Hillebrand Martin ( 2004, 2011).
Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg: Carl-Auer-Verlag
Krizanits Joana (2009). Die systemische Organisationsberatung, wie sie wurde was sie wird, eine
Einführung in das Professionsfeld. Wien: Facultas
Pühl Harald (2009) Handbuch Supervision und Organisationsentwicklung.
Wiesbaden: Fachverlagsgruppe Springer Science + Business Media
Radatz Sonja (2000). Beratung ohne Ratschlag, Systemisches Coaching für Führungskräfte und BeraterInnen.
Wien: Verlag systemisches Management
Tomaschek Nino (2007). Perspektiven systemischer Entwicklung und Beratung von Organisationen.
Heidelberg: Carl-Auer-Verlag
Magazin Training (2011). Systemische Organisationsentwicklung http://www.magazintraining.com.
Abgerufen am 25.01.2012
Wikipedia (2011). Systemische Organisationsberatung
http://de.wikipedia.org/wiki/Systemische_Organisationsberatung.
Abgerufen am 17.12.2011
Wikipedia (2012). System http://de.wikipedia.org/wiki/System.
Abgerufen am 02.02.2012
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ToolsErgänzung zur Arbeit Teamcoaching
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Coaching Contemporary Sammlung von Abschlussarbeiten aus den Coachinglehrgängen Wien
ToolsErgänzung zur Arbeit Teamcoaching
Tools als Ergänzung zur Arbeit Teamcoaching
Rollenspiel
Quelle/Grundlage:Der Ursprung des Rollenspiels liegt in der Theaterpraxis und wurde besonders durch das Psychodrama in die Pädagogik eingeführt.
ZielRollenspiele helfen Problembereiche aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, schaffen Zugang zu neuen Themengebieten und können auf erfahrungsorientierte Weise Wissen vermitteln. Im Rollenspiel können neue Verhaltensweisen bzw. spezifisches Verhalten, in unbekannten Situationen, eingeübt und trainiert werden.- Kommunikationsprozesse werden analysiert- Emotionale Vorgänge und Charaktermerkmale werden aus der Metaebene betrachtet- Blockierende Beziehungsmuster werden transparent gemacht
BeschreibungEin eingebrachtes Thema wird von einem oder mehreren Teammitgliedern im Rollenspiel bearbeitet. Für die erforderlichen Rollen wählt das Teammitglied Protagonisten aus.
Durch das Zuschauen und selber spielen ergeben sich oftmals erstaunliche Ergebnisse und Erkenntnisse für die Beteiligten.
Um dabei klar darzustellen, welche Auswirkungen bzw. Reaktionen bestimmte Worte und Verhaltensmuster auf mein Gegenüber haben, können bestimmte Situationen mehrmals durchgespielt werden.
Nach dem Rollenspiel kommt die sogenannte Reflexion. Hier sollten die Protagonisten und Beobachter ihre Erkenntnisse und Beobachtungen beschreiben und interpretieren.
Anwendung im CoachingDas Rollenspiel kann bei jedem Problem, wo es um die Interaktion von Menschen geht, angewendet werden.
Materialevtl. Stühle und Tische – kommt auf das Rollenspiel an
AnmerkungenÄhnlich wie bei der Aufstellung können auch abstrakte Gegenstände eine Rolle spielen, z.B. könnte ein leerer Stuhl eine Person vertreten.
Tool
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Solution Circle
Quelle/Grundlage:Daniel Meier – Wege zur erfolgreichen Teamentwicklung. Bremgarten und Basel: Solution Surfers
ZielDiese Methode eignet sich um konflikthafte Situationen zu bearbeiten und dient als Chance zur nachhaltigen Weiterentwicklung.
Es wird eine Erfolg versprechende Zukunftsvision entwickelt. Teams erlangen wieder selbstverantwortliche Handlungsfähigkeit und dadurch die Möglichkeit, sich auf ein gemeinsames Ziel zu konzentrieren.
Der Solution Circle besteht aus acht Schritten, die alle nötigen Phasen eines Team-Coaching-Prozesses umspannen.- Vorhandene Zeit und Energie wird für die Lösungsentwicklung und deren Umsetzung verwendet- Entwicklungsprozesse werden auf den Stärken im Team aufgebaut- Neue Handlungsvarianten werden ausprobiert
Der Solution Circle besteht aus acht Schritten, die alle nötigen Phasen eines Team-Coaching-Prozesses umspannen.1. Rahmen klären - Vorgeschichte klären – wie kam der Coach zum Team - Vorgehensweise und Rollen klären – der Coach schafft Struktur und Rahmen, koordiniert den Verlauf und darf viele Fragen stellen, die Teilnehmer sind für den Inhalt verantwortlich und entwickeln Lösungen - Spielregeln festhalten2. Erwartungen und Ziele - Was soll im Coaching passieren, damit es sich wirklich gelohnt hat? - Was soll am Schluss anders sein als vorher? - Woran werden Sie merken, dass Sie dieses Ziel erreicht haben? - Wenn dieses Ziel gemeinsam erreicht wird, woran würden es Ihre Kunden merken?3. BrennpunkteIn diesem Schritt werden die Themen fixiert, in denen eine Verbesserung eintreten soll. - Welches sind die brennendsten Themen, in denen unbedingt eine Verbesserung eintreten muss? 4. SternstundenDie Teammitglieder machen sich auf die Suche nach Situationen, in denen das Problem oder der Konflikt, weniger oder gar nicht aufgetreten ist. Sie finden heraus, mit welchen Fähigkeiten sie dies geschafft haben. - Welche Begebenheiten gab es in den vergangenen Wochen, die bezüglich der Fragestellung, wie eine kleine Sternstunde erschienen? - Was war dabei genau anders? - Was hat Ihnen geholfen, in dieser Art zu reagieren? - Was haben Sie dazu beigetragen, dass Ihr Kollege so reagiert hat?
Tool
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5. Futur PerfektDas Team entwirft eine möglichst präzise Vorstellung einer Zukunft, in der die Probleme gelöst sind. - Wo würde das Team in zwei Jahren stehen, wenn sich das Team im Coaching genau nach den gemeinsamen Wünschen entwickelt hätte? - Was genau würde das Team anders machen? - Was würden andere dann über das Team sagen?6. Scaling DanceDie einzelnen Mitglieder des Teams schätzen die heutige Situation ein. Es geht darum, herauszufinden, was in der Vergangenheit bereits gut funktioniert hat. - Stellen Sie sich eine Skala von 1 bis 10 vor. Wo stehen Sie heute bezüglich des Themas X, wobei 10 den wirklichen Idealzustand (kühnste Erwartung) und 1 das genaue Gegenteil davon darstellt? - Wie haben Sie es geschafft, bereits heute auf diesen Punkt zu kommen? Was macht also den Unterschied zwischen 1 und diesem Punkt aus? - Wenn Sie an Ihre herausragende Sternstunde aus Schritt 5 denken, wo lag sie auf derselben Skala? Was macht hier den Unterschied aus? - Was haben Sie persönlich dazu beigetragen, dass Sie schon auf einer X stehen?7. Maßnahmen - In diesem Schritt werden konkrete Maßnahmen formuliert, die das Team in nächster Zukunft, am besten schon am nächsten Tag, umsetzen kann. Auf der Basis des vorangegangen Schrittes kann leicht zu den Maßnahmen übergeleitet werden. Es gilt festzuhalten, was getan werden muss, um einen kleinen Schritt in Richtung 10 zu vollführen. 8. Persönlicher AuftragDurch einen Beobachtungs- oder Handlungsauftrag, den der Coach weitergibt, soll die Aufmerksamkeit auf bestimmt Aspekte in der Umsetzung gerichtet und der Prozess im Alltag weiter unterstützt werden.
Anwendung im CoachingDer Solution Circle eignet sich besonders in Teamsituationen, in denen rasch und trotzdem nachhaltig eine Veränderung gewünscht wird.
Materialkeines
AnmerkungenEs ist für den Coach hilfreich, wenn er eine Art „fruchtbare Unkenntnis“ zeigt. Das Heraushalten und dem vertieften „Verstehenwollen“ gibt dem Coach die Chance, sich auf den Prozess zu konzentrieren. Der Coach muss nichts verstehen, um die Elemente des Solution Circle ausgezeichnet einzusetzen.
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Zauberstab
Quelle/Grundlage:Rainer Alf-Jährig, Thomas Hanke, Birgit Preuß-Scheuerle – Team-coaching, Manager Seminar Verlags GmbH
ZielDiese Übung zeigt auf, wie wichtig es ist, dass alle Teammitglieder an einem Strang ziehen, um erfolgreich zu sein und die Unternehmensziele zu schaffen.
Sie dient auch dazu, den Teammitgliedern bewusst zu machen, dass die Bewältigung der gemeinsamen Aufgabe, nur mit der richtigen Koordination, Kommunikation, Arbeits- und Rollenaufteilung und dem Wissen aller, möglich ist.
BeschreibungDie Teammitglieder stellen sich entlang eines Stabes, paarweise gegenüber auf, sodass sich die gegenüberstehenden Partner anschauen können. Auf jeder Seite des Stabes stehen die Personen dicht nebeneinander und strecken ihre rechten Arme, mit ausgestrecktem Zeigefinger, nach vorne aus.
Aufgabe der Gruppe ist es, den Stab, den der Coach nun auf die Fingerspitzen legt, gemeinsam sacht auf den Boden zu legen, ohne dass jemand dabei den Kontakt zum Stab verliert. Verliert jemand den Kontakt, wird wieder die Ausgangsposition eingenommen. Zum Erstaunen aller wandert der Stab immer höher - da jeder den Kontakt halten möchte, drücken alle nach oben. Es erfordert einiges an Koordination, Absprache, Ruhe und geordnetem Vorgehen, um diese Aufgabe zu lösen.
- Im Anschluss an die Arbeit können folgende Fragen gestellt werden:- Wie haben Sie sich während der Übung gefühlt?- Wurden Verbesserungen und Ideen eingebracht? Von wem?- Hat jemand die Bewegungsabläufe im Sinne einer Qualitätskontrolle koordiniert?- Wie hat sich die Koordination bzw. die fehlende Koordination ausgewirkt?- Was war notwendig, um die Übung erfolgreich abzuschließen?
Anwendung im CoachingDiese Übung eignet sich hervorragend, um Koordination und einheitliches Vorgehen zu üben.
MaterialLanger Stab oder Zollstock oder Besenstiel
AnmerkungenMögliche auftretende Themen nach dieser Übung könnten sein: Respekt, Erfahrung, Wissen, Hierarchie und Umgang miteinander
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Zirkuläres Interview
Quelle/Grundlage:Von Dr. Carsten Schäper, Simon, F.B. & Rech Simon, Ch. Zirkuläres Fragen – Systemische Therapie in Fallbeispielen: ein Lernbuch, Heidelberg: Carl-Auer-System
ZielZirkulär zu fragen bedeutet, den Coachee nicht direkt bzw. linear nach seiner eigenen Wahrnehmung, Gefühlen, Denk- oder Verhaltensweisen zu fragen, sondern ihn zu veranlassen, seine Vermutungen über das Erleben anderer offenzulegen. Der Coachee wird so eingeladen, einen Perspektivenwechsel vorzunehmen und sich mit der – vermuteten – Realität anderer, ihm verbundener Personen zu beschäftigen. Damit wird er sich bewusst, wie sehr seine eigene Beschreibung der Situation von Vermutungen über Tatsachen und nicht von den Tatsachen selbst bestimmt wird. Er lernt, sich in die Welt seines Gegenübers einzufühlen und zu erkennen, dass seine eigenen Verhaltensweisen mit den Verhaltensweisen anderer verknüpft sind. Und dass er – wenn er dies möchte – aus unguten Interaktionsmustern aussteigen und bessere erschaffen kann.
BeschreibungAuf der inhaltlichen Seite fragt der Coach seinen Coachee danach, welche Ziele, Wahr-nehmung, Kritikpunkte, Lösungsansätze, Situationsbeschreibungen etc. die anderen im Zusammenhaben mit dem vorgelegten Problem haben könnten. Diese Verlagerung des Fokus von der eigenen Sichtweise auf die mögliche Deutung durch andere relevante Personen ist das wesentliche Charakteristikum des zirkulären Interviews. Die neuen Denkprozesse erleichtern es dem Coachee, passendere Lösungen für die problematische Situation zu konstruieren.
Für den Coach sind folgende Fragen interessant: 1. Wie beschreibt der Coachee das Problem? Wie würden es seiner Meinung nach andere beschreiben? 2. Was geschieht? Was wird dabei gefühlt und/oder gedacht? Wie erleben die anderen Mitglieder des Systems das Geschehen? 3. Was wurde zur Lösung bereits versucht? 4. Wie sehen weitere Lösungsmöglichkeiten aus?Besonders interessant sind dabei so genannte „Öffnungen“: Öffnungen sind Worte, mit denen der Coachee Themen oder Ideen anspricht, die für ihn und/oder seine Umgebung bedeutsam sind.
Beispiele für zirkuläre Fragen im Rahmen eines zirkulären Interviews:- Auf die Ziele gerichtete Fragen z.B.: Woran würde xy merken, dass unser Coaching hier erfolgreich ist?- Auf das Problem gerichtete Fragen z.B.: Wie würde xy genau diesen Disput beschreiben?- Auf Lösungsansätze gerichtete Fragen z.B.: Auf welche Weise trägt xy zur Lösung dieses Problem bereits bei?- Den Realitäts-Check unterstützende Fragen z.B.: Wenn Sie Ihr Vorhaben so in die Realität umsetzen: wer würde sich am meisten darüber freuen? Wer am wenigsten? Wer wird Sie dabei am ehesten unterstützen?
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Anwendung im CoachingBesonders wirksam ist das zirkuläre Interview in Teamentwicklungen und Coachings oder Konflikt-Coachings, bei denen dem Coach nicht nur ein Coachee gegenübersitzt, sondern ein Team des relevanten Systems. Indem die anderen mithören können, was ihr Kollege über sie denkt und welche Vermutungen er über ihre Absichten und Verhaltensweisen hat, wächst das Verständnis untereinander. Damit wird es für alle Beteiligten leichter, aus eingefahrenen und als schädlich erlebten Mustern auszusteigen.
Materialkeines
AnmerkungenDer Coach erhält durch diese Fragetechnik Informationen über das System, die ihm helfen, Hypothesen über Beziehungen und Interaktionsmuster im Umfeld des Coachees zu bilden und zu überprüfen.
Das zirkuläre Interview ist typischerweise dann erfolgreich, wenn der Coachee z.B. sagt: „So habe ich das noch nicht gesehen.“ oder „Es könnte wirklich sein, dass ich ihn/sie missverstanden habe.“ „Was braucht mein Kollege dann also von mir?“
Ein zirkuläres Interview folgt keinem spezifischen Muster und ist nicht standardisierbar. Entscheidend ist die Haltung, mit der es durchgeführt wird.
Für einen systemisch-konstruktivistischen Teamcoach sind nicht Individuen „das Problem“, sondern deren Interaktionen sind problematisch. Er geht davon aus, dass Menschen in ihrem Verhalten zirkulär miteinander verbunden sind und ist bestrebt, den „Beziehungstanz“ zu verdeutlichen. Der Coachee kann sich bewusst für andere Verhaltensweisen entscheiden, wenn sich daraus eine für ihn weniger problematische Situation bzw. Interaktion ergibt
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Das Thema Coaching ist mittlerweile ein wichtiger Wegbegleiter von vielen Menschen in ihrem Unternehmens- sowie in ihrem persönlichen Lebenskontext.
Die Sammlung der Texte dieses Buches sind von TeilnehmerInnen der Wiener Lehrgänge, des Instituts Organisation und Management der Internationalen Akademie – INA gGmbH – gegründet an der Freien Universität Berlin und der C PLUS Unternehmensberatung, entstanden.Die Perspektive der LehrgangsteilnehmerInnen, also der Coachenden, steht bei den einzelnen Beiträgen im Vordergrund.
Coaching sehen wir als eine personenbezogene Dienstleistung, die sich in der Regel in einem organisatorischen Kontext an Einzelpersonen, Teams und Gruppen wendet, mit dem Ziel, kommunikative Wirkungszusammenhänge analysierbar zu machen.Führungskräfte, aber auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden befähigt, sich in komplexen Systemen kommunikativ, intelligent und durchsetzungs-fähig zu positionieren. Die Texte greifen diese Thematik auf und basieren auf dem Blickwinkel „Coaching als ständiger Veränderungsprozess“. Sie binden aktuelle Entwicklungen und Tendenzen in diesem Feld mit ein.