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Columna Vertebralis Bezüge zwischen Anatomie, Musiktheorie und klassischer Geometrie Ulrich Michael Kraus

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Columna  Vertebralis    Bezüge  zwischen  Anatomie,  Musiktheorie  und  klassischer  Geometrie      

Ulrich  Michael  Kraus  

München-Schwabing und Schwabmünchen, 24. Juni 2016

II

Denn wo das Strenge mit dem Zarten, wo Starkes sich und Mildes paarten,

da gibt es einen guten Klang. *

aus Friedrich Schiller: ‚Das Lied von der Glocke’

III

Inhalt:

A. Einleitung

B. Hauptteil

1. Menschliche Wirbelsäule und Brustkorb Wirbel und Bandscheiben – Hals-, Brust- und Lendenwirbel – berippte und unberippte Wirbel – echte

und unechte Rippen – 7 obere und 5 untere - Zusammenfassung

2. Das Allgemeine in der Musik Geräusche – Schall – Frequenz – Töne – Harmonie – Melodie – Klänge – Intervalle – Prim und Oktave

– Quarte und Quinte – perfekte Konsonanz – Umkehrintervalle/Komplementärintervalle – imperfekte

Konsonanz – Dissonanz – Zusammenfassung

3. Der Weg der westlichen Musik Pentatonik – Heptatonik – Pythagoras – Monochord – Doppeloktave – Ganztöne – Tetraktys – Längen-

und Frequenzverhältnisse – Duodezime – Halbtöne – Limma – Zusammenfassung - Hexatonik –

Tritonus – Pythagoräisches Komma – Temperatur – chromatische Leitern – Quintenzirkel –

Tetrachorde – Modi – Dur- und Molltonleitern – Zusammenfassung – Pythagoräische Terz – Didymos

von Samos – Reine Stimmung – Großer und kleiner Ganzton – diatonische Leiter

4. Die Schemen von Wirbelsäule und Musik im Vergleich Chromatische Töne und Rippenpaare – Wirbelzahl und Tonarten – Quinte und Quarte im Brustkorb

5. Zwischenbetrachtung: Der Weg der Altchinesischen Musik 12 Lü – pentatonische Leitern – heptatonische Leitern – Fazit

6. Geometrische Grundkörper und musikalische Verhältnisse Das Grabmal des Archimedes – Kugel – Zylinder – Kegel – Pyramide – Dreieck – Parabelsegment

C. Schluss Pythagoras und die Kugel – Sieben und Zwölf als rein mythische Zahl? – Unzenteilungen – Metrisches System

D. Literaturverzeichnis

E. Anhang

- 1 -

A. Einleitung Ziel dieser Arbeit ist es, Vergleiche zwischen menschlicher Anatomie, Musiktheorie und klassischer

Geometrie aufzuzeigen und zu belegen.

Wir werden zunächst die menschliche Wirbelsäule und den Brustkorb im Schema betrachten. Daneben

werden wir die Grundlagen der Musiktheorie darlegen. Wir wollen dabei allgemein vorgehen und die

mathematisch-physikalischen Voraussetzungen der Musik hervorheben. Nach den allgemeinen

Grundlagen soll die Entwicklung der westlichen Musik zusammengefasst werden. Der Bogen soll von

den ersten Saitenteilungen bis zu den diatonischen Tonleitern gespannt werden. Darauf wird ein erster

Vergleich folgen. In einer Zwischenbetrachtung soll ein Blick auf die Musiktheorie des alten Chinas

geworfen werden. Zuletzt werden wir ein Beispiel aus der klassischen Geometrie aufgreifen und

Parallelen zu den vorgelegten Wissensgebieten hervorheben. Im Anhang befinden sich Tafeln, die eine

abschließende Übersicht bieten.

- 2 -

B. Hauptteil

1. Menschliche Wirbelsäule und Brustkorb Die menschliche Wirbelsäule besteht aus 24 Wirbeln. Sie beginnt oben am Schädel und folgt einer

Wellenbewegung nach unten. Dann geht sie in das Kreuzbein über und endet mit dem Steißbein. Auch

Kreuz- und Steißbein bestehen aus Wirbeln, nur sind deren Knochen fest miteinander verwachsen und

unbeweglich. Davon unterscheiden sich die oberen Wirbel, die durch Bandscheiben gelagert und somit

flexibel sind.

Von oben nach unten sortiert besteht die Wirbelsäule aus den folgenden Passagen:

1. Sieben Halswirbel (In der

Anatomie nummeriert als C1 bis C7).

2. Zwölf Brustwirbel (Th1 bis Th12).

3. Fünf Lendenwirbel (L1 bis L5).

4. Kreuz- und Steißbein (Sie

bestehen aus 5 bzw. 4 fusionierten

Wirbelknochen. Zählt man diese

neun ursprünglichen Wirbel hinzu,

ergibt sich eine Wirbelsumme von

33.)

Jede dieser vier Passagen ist

gekennzeichnet durch eine

Krümmung zur Bauch- bzw. zur

Rückenseite hin: Die Halswirbel

wölben sich bauchseitig (ventral), die

Brustwirbel wölben sich rückseitig

(dorsal), die Lendenwirbel wölben

sich wieder bauchseitig, Kreuz- und

Steißbein wölben sich wieder

rückseitig (vgl. Abb. 1). In der

Seitenansicht der Wirbelsäule ergibt

sich eine Wellenlinie.

Was unterscheidet nun die

genannten 24 Wirbel voneinander?

Wer allgemein vorgeht, kann

unterscheiden in Wirbel mit Rippen und Wirbel ohne Rippen:

12 Wirbel tragen eine Rippe – das sind die Brustwirbel.

12 Wirbel tragen keine Rippe – das sind die Halswirbel oder Lendenwirbel.

Abbildung 1 aus Frank H. Netter: Atlas der Anatomie des Menschen (Stuttgart 1997).

- 3 -

Oberhalb des Brustkorbs finden sich 7 rippenlose Wirbel, die Halswirbel - unterhalb des Brustkorbs

finden sind 5 rippenlose Wirbel, die Lendenwirbel. Sie sind nach dem Schema 7 obere und 5 untere

angeordnet. In Summe ergeben sie 12.

Was die 12 berippten Wirbel (Th 1-12) betrifft, so sind auch sie untereinander keineswegs gleich. Sie

alle tragen Rippen, doch sind diese in ihrem Bau unterschiedlich: In der Anatomie wird in echte und

unechte Rippen unterschieden (Costae verae und Costae spuriae). Die echten Rippen sind über

Rippenknorpel mit dem Brustbein (Sternum) verwachsen, die unechten Rippen stehen entweder frei in

den Brustkorb oder sind nur indirekt über Sehnen an das Brustbein angeschlossen. Die echten

Rippenpaare sind 7 an der Zahl, die unechten sind 5. Wie bei den rippenlosen Wirbeln zeigt sich das

Schema 7 obere und 5 untere.

12 = 7 obere + 5 untere

Abbildung 2: Knöcherner Teil der Rippen (aus Waschke/Böckers/Paulsen: Anatomie - Das Lehrbuch, S.136)

Da hier das "Schema" der menschlichen Wirbelsäule besprochen wird, wurde auch der anatomische

Normalfall beschrieben. Der Vollständigkeit halber soll noch erwähnt werden, dass die Natur – wie

eigentlich überall, auch hier Ausnahmen kennt: Etwa 5% der Menschheit leben mit einer variierten

Wirbelzahl – und nicht selten bleibt dies ein Leben lang unbemerkt. Tatsächlich sind Wirbelsäulen mit

23 bis 26 Wirbeln durchaus möglich – doch seien uns diese Varianten die berühmten Ausnahmen, die

die Regeln bestätigen.1 Und wie lauten diese Regeln? Wir fassen zusammen:

1 Moore, Persaud, Torchia: Embryologie, S.427

- 4 -

•   Eine menschliche Wirbelsäule besteht aus 24 Wirbeln, die durch Bandscheiben gelagert

sind. Darunter befinden sich Kreuz- und Steißbein, die aus 9 weiteren Wirbeln

zusammengewachsen sind und ohne Bandscheiben auskommen. Sie sind darum keine

eigentlichen Wirbel.2

•   12 Wirbel sind rippenlos. Sie unterscheiden sich in 7 (obere) Halswirbel und fünf (untere)

Lendenwirbel. (Vertebrae cervicales und V. lumbales)

•   12 Wirbel sind berippt. Sie formen gemeinsam den Brustkorb, wobei die Rippen der oberen

7 Wirbel "echt" sind, während die unteren 5 "unecht" sind. Unecht heißen sie, da sie nicht

an das Brustbein (Sternum) angewachsen sind. Sie stehen frei in den Brustkorb, oder sind

durch Sehnen an die echten Rippen angeschlossen.

•   Für berippte und unberippte Wirbel gilt das Schema: 12 = 7 obere + 5 untere.

•   Der Brustkorb besteht aus 12 Rippenpaaren, also 24 Rippen - wobei auch hier gilt: 12 = 7

obere ("echte") + 5 untere ("unechte").

•   Die 12 rippenlosen Wirbel neigen sich bauchseits (ventral) und stehen vor der Körperachse.

| Die 12 berippten Wirbel neigen sich rückseits (dorsal) und stehen hinter der Körperachse.

2 Zum Vergleich: Im Anhang befindet sich eine Tabelle mit den Wirbelzahlen diverser Nutztiere.

- 5 -

Nach dieser anatomischen Einteilung der menschlichen Wirbelsäule und des Brustkorbs, geht es im

nächsten Kapitel um die Grundlagen der Musiktheorie.

Abbildung 3: aus Frank H. Netter: Atlas der Anatomie des Menschen (Stuttgart 1997).

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2. Das Allgemeine in der Musik

Wir erleben den Alltag als eine Ansammlung von Geräuschen. Unser Ohr nimmt beinahe ständig ein

Klappern, Brausen, Knallen oder Murmeln der Umgebung auf. Die Voraussetzung für das Geräusch ist

der Schall. Schall entsteht durch Druckschwankungen eines Trägermediums. Üblicherweise handelt es

sich hierbei um Luft, natürlich können aber auch Wasser oder feste Körper schallen. Untersucht man

Geräusche im Labor, zeigt sich, dass ihre Schallwellen unstetig ausfallen. Sie steigen stark an und fallen

schnell ab und meist sind sie eine Überlagerung diverser Wellen ohne Gemeinsamkeiten. Da unser Ohr

wenig oder kein Regelmaß heraushören kann, empfinden wir Geräusche als mehr oder weniger

strapazierend. Von Musik kann noch keine Rede sein.

Beginnt ein Gegenstand jedoch gleichmäßige Schallwellen auszusenden, erkennt unser Ohr eine

Frequenz dahinter. Frequenz drückt aus, mit wie vielen Anschlägen pro Zeiteinheit ein Ton übermittelt

wird. Die übliche Einheit "Hertz" bedeutet Anschläge pro Sekunde (Einheit: 1/s). Langsame Frequenzen

kann das Ohr noch als einzelne Anschläge wahrnehmen, steigt aber die Frequenz, so werden die

Anschläge zu einem Summen, dessen "Höhe" mit der Frequenz steigt. Das kann man beim Starten von

Motoren deutlich hören. Ähnlich wie im Kino, wo einzelne Dias zum Film beschleunigt werden,

verschmelzen in der Musik einzelne Schallanschläge zu Tönen. So verläuft der Weg vom Geräusch zum

Ton. Er zeichnet sich durch folgende Eigenschaften aus:

Einteilung nach E. SCHRÖDER:

"1. Seine Schwingungen sind regelmäßig.

2. Die Frequenz ist feststehend.

3. In seiner reinen Form ist er frei von Oberschwingungen.

4. Lautstärke und Schwingungsweite stehen in mathematischer Beziehung."3

Erklingt nun ein zweiter solcher Ton, kann unser Ohr (oder das Gehirn dahinter) beurteilen, ob die Töne

gleich waren oder verschieden. Waren die Töne verschieden, so gibt es zwei Möglichkeiten: Entweder

sie erklingen gemeinsam, dann wird daraus eine Harmonie, oder sie erklingen nacheinander, dann wird

daraus eine Melodie. In beiden Fällen aber vergleicht das Gehirn die Töne. Und so wie unser Auge bei

Interesse scharf stellt und hinsieht, so stellt auch unser Ohr "scharf" und lauscht auf. Dieses Aufhorchen

des Menschen ist eigentlich schon der Beginn der Musik. Ihn können wir bei festlichen Anlässen

nachvollziehen: Wird in einer Menschenrunde mit Krügen, Flaschen, Bierdosen oder Pappbechern

angestoßen, so ergeben sich dumpfe Geräusche, die wenig Aufmerksamkeit verdienen. Stoßen wir

allerdings mit schönen, gläsernen Kelchen an, so erklingt ein Ton. Unsere Ohren nehmen kein dumpfes

Geräusch wahr, sondern einen Klang, der unsere Aufmerksamkeit kurz fesselt und ein Gefühl der

Gemeinsamkeit hinterlässt. Alle lauschen einen Augenblick auf und sehen sich möglichst in die Augen.

Es treffen Töne aufeinander und überlagern sich, es entstehen Klänge.

Je nach Füllstand der Gläser, können die Töne die ihnen entweichen, verglichen werden. Sind die Gläser

gleich gefüllt und gleich beschaffen, so sind auch deren Töne die selben; sind sie hingegen

unterschiedlich gefüllt oder unterschiedlich beschaffen, so sind auch deren Töne unterschiedlich. Von

nun an spielen Intervalle eine Rolle. Sie drücken nämlich aus, wie weit produzierte Töne

3 Schröder: Mathematik im Reich der Töne, S.11

- 7 -

auseinanderliegen. Das neutrale Intervall ist die Prim. Sie beschreibt gleiche Töne und entspricht dem

neutralen Faktor 1. (Da Frequenzen multipliziert werden, ist die Eins das neutrale Element – nicht die

Null). Nach der Prim kommt die Oktave. Sie entspricht der 2, denn Oktave bedeutet, dass ein Ton die

doppelte Frequenz seines Vorgängers erreicht hat. (Zum Beispiel liegt die Oktave eines Tones mit 400

Hz bei 800 Hz.) Die Schallwellen dieser Töne überlagern sich denkbar gut und werden vom Ohr als

wohlklingend und ausgeglichen wahrgenommen. Wir empfinden Oktaven als gleiche Töne

unterschiedlicher Höhe.

Bis zu diesem Punkt ist Musik naturgegeben. Sie drückt sich rein mathematisch-physikalisch aus und

kulturelle Prägungen spielen noch keine Rolle. Diese beginnen erst, wenn Tonintervalle, die zwischen

der Oktave liegen, sortiert und zu Leitern zusammensetzt werden.

Wichtige Intervalle nach der Oktave sind Quinte und Quarte. Die Quinte liegt beim Frequenzverhältnis

3:2, die Quarte bei 4:3. Sie sind die Intervalle Nummer 3 und 4. Da auch ihre Verhältnisse noch

mathematisch einfach sind, nehmen wir sie als konsonant wahr. Ihre Schallwellen überlagern sich

ordentlich und ergeben viele gemeinsame Vielfache. Oktaven, Quarten und Quinten gelten gemeinhin

als angenehme Intervalle und werden eigentlich von allen Menschen als wohlklingend empfunden. Sie

heißen deshalb perfekte Konsonanzen. Außerdem sind Quarte und Quinte das Umkehrintervall des

anderen. Das bedeutet: eine Oktave kann durch eine Quarte und eine Quinte in Folge überwunden

werden.

(Quinte + Quarte = Oktave)

Rechnerisch drückt sich das so aus:

32×43=21  

Beispielsweise ist es vom c1 zum g1 eine Quinte und vom g1 zum c2 eine Quarte. Zusammen ergibt dies

eine Oktave (c1 →  c2). Zudem bringt eine fallende Quinte (c2 → f1) den gleichen Ton wie eine steigende

Quarte (c2 → f2). Da sie sich ergänzen, werden Umkehrintervalle auch Komplementärintervalle genannt.

So gesehen sind auch Prim und Oktave Komplementärintervalle, da sie sich zur Oktave ergänzen.

Auf die konsonanten Intervalle folgen solche, die wir als nicht als ausgesprochen wohlklingend, aber

auch nicht als dissonant wahrnehmen. Das sind die Terzen und ihre Umkehrintervalle die Sexten. Sie

heißen imperfekte Konsonanzen. Die Frequenzverhältnisse sind 5:4 für die große Terz und 6:5 für die

kleine Terz. Verrechnet mit der Oktave 2:1 ergeben sich analog folgende Umkehrintervalle: 8:5 und für

die kleine Sexte und 5:3 für die große Sexte.

Als unausgewogen werden Sekunden und Septimen wahrgenommen. Sie heißen Dissonanzen. Je

komplizierter das mathematische Verhältnis zweier Töne, desto dissonanter ihr gemeinsamer Klang. Die

große Sekunde liegt bei 9:8. Völlig dissonant ist zuletzt das Verhältnis eines Tonpaares, das drei

Ganztöne auseinanderliegt. Sein Verhältnis beträgt 32:45. Im Lexikon der Harmonielehre finden wir eine

Gegenüberstellung von Intervall und Proportion:

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Intervall Proportion

Oktav 1:2

Quint 2:3

Quart 3:4

Große Sext 3:5

Große Terz 4:5

Kleine Terz 5:6

Kleine Sext 5:8

Kleine Septim 5:9

Große Sekund 8:9

Große Septim 8:15

Kleine Sekund 15:16

Tritonus4 32:45

Tabelle 1 nach R.Amon, Lexikon d. Harmonielehre (S.124): Je einfacher die Proportion, desto konsonanter das Intervall.

Diese Intervalle lassen sich paarweise zu Komplementärintervallen zusammenfassen, da sie gemeinsam

jeweils eine Oktave ergeben. Es handelt sich um vier Paare:

Prim - Oktave | Quinte - Quarte | Terz - Sexte | Sekunde - Septime

Sie können an zwei Händen zum Studium veranschaulicht werden: Man trage die 8 Intervalle der Reihe

nach auf die 8 äußeren Finger auf.

4 Tritonus bedeutet ein Intervall von 3 Ganztönen (wörtl. „Tritonus“). Er findet sich auf dem Klavier z.B. im Intervall C-FIS.

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Abbildung 4: Komplementärintervalle auf den Händen – Gleiche Finger bedeuten Komplementärintervalle.

Aus diesen Intervallen können Tonleitern innerhalb der Oktave gebaut werden. Dabei gibt es große

kulturelle Unterschiede, Varianten und Empfindsamkeiten. Auch Zwischentöne (Blue Notes) sind

bekannt. Dennoch ist der Gebrauch von Tonleitern allgemein.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

•   Die Anfänge der Musik sind naturgegeben, da sie von Mathematik und Physik bestimmt

sind. Kulturgegebenheiten treten erst später hinzu.

•   Geräusche zeichnen sich durch unstete Schallwellen – Töne durch periodische

Schwingungen aus.

•   Wichtigstes Intervall nach der Prim ist die Oktave. Sie beschreibt einen Ton, der als der Prim

gleich empfunden wird (halbierte oder verdoppelte Frequenz).

•   Quinten und Quarten werden durchaus als konsonant empfunden, da sich ihre Schallwellen

mathematisch einfach ausdrücken lassen 3:2 bzw. 4:3. Je komplizierter das mathematische

Verhältnis zweier Töne wird, desto dissonanter wird das Intervall empfunden.

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3. Der Weg der westlichen Musik Für einfache Melodien genügt es, fünf Töne innerhalb der Oktave zu wählen und zu nutzen. Tatsächlich

kommen zahlreiche Kinderlieder oder Werbemelodien mit nur fünf Tönen innerhalb der Oktave aus.

Man nennt diese Methode des Komponierens Pentatonik. Sie taucht in vielen Kulturkreisen und

Musiksystemen auf. Sie ist einfach aber wirkungsvoll. In der westlichen Musik wurde es allerdings bereits

in der Antike üblich, eine Tonleiter aus sieben Tönen zu bauen. Deshalb der Begriff Oktave, denn die

Oktave ist der achte Ton einer solchen Leiter. Er gleicht wieder dem ersten. Die Methode aus sieben

Tönen Leitern zu bauen nennt man Heptatonik. Sie kennt viele Möglichkeiten und Varianten.

Theoretisch gehen sie auf Pythagoras von Samos (ca. 570 – 510 v. Chr.) und seine Schüler zurück. Anhand

von unterteilten Saiten gelang es ihnen, Tonabstände in Verhältnissen, also rationalen Zahlen (Brüchen)

auszudrücken. Am Monochord – einem Instrument mit gespannter Saite auf einem Klangkörper, konnte

dies demonstriert werden: Die Halbierung der Saite bringt die Oktave (1:2). Eine weitere Halbierung

bringt die Doppeloktave (1 2  ×  1 2 =  1 4). Diese Teilung zeigt sich bis heute an der Gitarre: Der

zwölfte Bund jeder Saite markiert die Oktave. Er liegt exakt bei der Saitenhälfte.5

Des Weiteren fand Pythagoras bei 2/3 seiner Saite die Quinte, und bei 3/4 die Quarte. Der Sprung von

der Quarte zur Quinte galt ihm als Ganzton. Rechnerisch musste er sich so ausdrücken:

23=34×𝑎𝑏  

(Quinte = Quarte + Ganzton) Da die Lösung der Gleichung 𝑎 𝑏 = (8 9) beträgt, war hiermit der Ganzton definiert.

Da die vier Zahlen 1,2,3 und 4 genügten, die ersten Intervalle rational zu beschreiben, pries er diese als

heilige „Tetraktys“. Dabei handelt es sich nicht um Zahlenmystik, denn tatsächlich liefern bis heute nur

die Brüche der ersten vier Zahlen perfekte Konsonanzen (1:2, 1:3, 1:4, 2:3 und 3:4). Die höheren Zahlen

bieten nur noch imperfekte Konsonanzen (4:5, 5:6 etc.) oder Dissonanzen.

Wir haben anfangs die Frequenzverhältnisse von Schallwellen als Intervalle besprochen. Die Oktave

entspricht einer doppelten Wellenfrequenz, die Quinte einer eineinhalbfachen usw. Bei der

Saitenteilung zeigt sich, dass die Längenverhältnisse den Kehrbrüchen der Frequenzverhältnisse

entsprechen. Auch hier zeigen sich die Intervalle, allerdings im Kehrwert: 2:1 wird zu 1:2 und 3:2 wird zu

2:3. Dies zeigt sich deutlich am Monochord, auf dem Pythagoras 12 Bünde markierte:

Die Oktave lag bei 6/12 = 1/2.

Die Doppeloktave lag bei 3/12 = 1/4.

Die Quinte liegt bei 8/12 = 2/3.

Die Quarte liegt bei 9/12 = 3/4.

5 Es gibt auch E-Gitarren mit 24 Bünden. Hier kann man auch die Doppeloktave sehen: Sie teilt die Saite so, dass genau 1 4 ihrer Länge schwingt.

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Die Duodezime (die Quinte über der Oktave) liegt bei 1/3, denn 1 2  ×  2 3 =  1 3.6

Abbildung 5: Durch die Zwölftelung einer Saite, können alle konsonanten Intervalle angeboten werden:

Oktave Quinte Quarte Duodezime Doppeloktave

12=

𝟔𝟏𝟐

23=

𝟖𝟏𝟐

34=𝟗𝟏2

13=

𝟒𝟏𝟐

14=

𝟑𝟏𝟐

An diesem Teilungsschema hat sich bis heute nichts geändert. Es kann an jeder Gitarre studiert werden:

6 W. Keil: Musikgeschichte im Überblick, S.30 ff.

- 12 -

Abbildung 6: Bis heute zeigen sich die pythagoräischen Verhältnisse auf der Gitarre. Den Sprung von der Quarte (5. Bund) zur Quinte (7.Bund) definierte Pythagoras als Ganzton (GT).

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Abbildung 7: Die konsonanten Intervalle auf der Gitarre. Sie finden sich durch Teilung der Saite in 12 gleiche Teile.

Soweit die Einteilung der grundlegenden Intervalle. Wie nun soll daraus eine Tonleiter werden? Die

Pythagoräer wählten die Quinte zur treibenden Kraft. Nach der Oktave sahen sie in ihr das reinste

Intervall. Von einem gewählten Ton stiegen sie drei Quinten nach oben und drei nach unten.

Angenommen dieser Ton sei das D, so vollzieht sich das wie folgt:

D liefert in steigenden Quinten A-E-H, und in fallenden Quinten G-C-F. In Reihe lautet dies:

F - C - G - D - A - E - H

Nach aufsteigender Reihe sortiert, ergibt dies die Siebentonleiter: D - E - F - G - A - H - C

Darauf folgt wieder ein D als achter Ton, der dem ersten gleicht. Mit dem c vorangestellt entspricht eine

solche Leiter bereits unserer C-DUR-Skala. Sie besteht aus C - D - E - F - G - A - H – C. Das sind sieben Töne,

wobei der achte dem ersten gleicht.

Von da an wurde es kompliziert für Pythagoras und seine Nachfolger. Es wurde klar, dass zwischen dem

gefundenen E und dem F, weniger als ein Ganztonschritt liegt. Gleiches galt für den Abstand von H nach

- 14 -

C. Es musste also einen Tonschritt geben, der kleiner sei als ein Ganzton: gewissermaßen ein Halbton.

Doch wie fand man ihn? Rechnerisch konnte der mathematisch exakte Halbton noch nicht gefunden

werden. Die Gleichung

89= (

𝑎𝑏  )6  

(Ganzton = Halbton + Halbton)

ist nämlich mit keiner rationalen Zahl lösbar. Pythagoras – überzeugt "alles sei Harmonie und Zahl",

fand darauf keine Antwort. Der Überlieferung nach sollen Schüler, die diesen Mangel zur Sprache

brachten, verstoßen worden sein. Wir heute wissen, dass obige Gleichung nur mit der irrationalen Zahl

√2 lösbar ist:

89=

2 23

6

 

Da irrationale Zahlen aber unerwünscht waren, behalf man sich mit dem Limma, einer rationalen Zahl,

die die Siebentonleiter rechnerisch ins Gleichgewicht brachte. Die Quarte setzt sich zusammen aus zwei

Ganztonschritten und einem Limma-Schritt.

(Quarte = Ganztonschritt + Ganztonschritt + Limma)

Rechnerisch bedeutet das:

89×89  ×243256

=1555220736

=34  

Darauf folgte ein weiterer Ganztonschritt zur Quinte (Quinte = Quarte + Ganzton). Von dort war es

wieder eine Quarte zur vollendeten Oktave (Oktave = Quarte + Quinte). Mit dem Bruch 243/256 konnte

die Siebentonleiter in 5 Ganztonschritten und 2 Limma-Schritten ausbilanziert werden.

(Oktave = 5 Ganztonschritte + 2 Limma-Schritte)

89×89×89×89×89  ×243256

×243256

=1  934  917  6323  869  835  264

=12  

Mit dem Limma (griech. "Überbleibsel", "Reststück") konnte eine Tonleiter mit 5 Ganztonschritten und

2 Quasi-Halbtonschritten aufgestellt und arithmetisch rein formuliert werden.

Durch Pythagoras' Grundlagenarbeit war man sich im Alten Griechenland einig, dass eine Leiter in

sieben Stufen zu überwinden sei. Jede Tonleiter hatte darum Prim, Sekunde, Terz, Quarte, Quinte,

Sexte, Septime und Oktave. Darüber hinaus, war es aber diskutabel, wo Ganz- und Limmaschritten zu

setzen seien und bei welchem Ton man zu starten habe. Hier ergaben sich Varianten je nach Lage der

Limmaschritte und der Prim. Die Tonleitern, die daraus entstanden, wurden regional benannt und

hießen lydisch, ionisch, äolisch, phrygisch, dorisch etc.

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Sie waren allesamt Siebentonleitern und wurden später im Mittelalter von der (jetzt) abendländischen

Musik fortgeführt.7

Wir fassen also zusammen:

•   Die Grundlage unserer heutigen Tonleiteitern lieferten die Griechen, namentlich

Pythagoras, der an der Saite (dem Monochord) Teilungen vornahm und so Intervalle

markierte. Dies waren in erster Linie Oktave, Doppeloktave, Quinte, Quarte und

Duodezime. Da er dafür nur die ersten vier natürlichen Zahlen brauchte, galt ihm diese

"tetraktys" (Vierheit) als heilig.

•   Den Raum zwischen Quarte und Quinte wies er dem Ganzton zu. Mit sechs dieser Ganztöne

kann eine Oktave grob überwunden werden, doch lässt sich dies arithmetisch nicht in Bilanz

bringen. Erst durch fünf Ganztonschritte und zwei Limma, den Vorgängern der

Halbtonschritte, lässt sich die Tonleiter sauber "rechnen". Somit stützt die Menge der

rationalen Zahlen (nämlich der Brüche), die Siebentonleitern. Diese werden auch als

diatonisch ("durch den Ton hindurch") bezeichnet.

•   Die Frage, wo nun Ganztöne und Limma zu setzten seien und wo man eine Skala starte,

erklärt die zahlreichen Varianten griechischer Tonarten. Allgemein ist jedoch der Gebrauch

von sieben Tönen (Heptatonik).

Soviel zur Entstehung der Siebentonleitern. Aber warum gerade Siebentonleitern? Warum wird die

Oktave nicht mit 6 gleichen Ganztonschritten (also einer Hexatonik) überschritten? Rechnerisch

bedeutete dies, ein Verhältnis zu finden, dass in der Potenz 6 genau 1/2 ergibt.

(Ganzton + Ganzton + Ganzton + Ganzton + Ganzton + Ganzton = Oktave)

𝑎𝑏

<=12

Die Lösung der Gleichung beträgt:

𝑎𝑏=

12

==

12=

Dabei handelt es sich offenbar um keine rationale Zahl. Das bedeutet, es kann kein Bruch aus

natürlichen Zahlen gefunden werden, mit dem diese Tonleiter gerechnet werden kann. Gleiches zeigt

sich, wenn man das Verhältnis des gebräuchlichen Ganztones (8 9) mit sich selbst multipliziert:

89

<

= 0,493…

Wir erreichten 1/2 nur gerundet. Eine Oktave mit sechs gleichen rationalen Verhältnissen zu überwinden

ist also nicht möglich. Würde man eine Oktave exakt sechsteln ergäbe sich eine irrationale Zahl.

Gleiches gilt auch, würde man die Oktave exakt siebteln (Ergebnis 1 2@ ). Mit dem Rezept 5

Ganztonschritte + 2 Halbtonschritte kann jedoch eine rationale Lösung gefunden werden.

7 Da fast alle musiktheoretischen Quellen der Antike verschollen waren, konnte das Wissen der Griechen nur mit

Verwechslungen im Mittelalter reanimiert werden. Deshalb ist das griechische dorisch nicht dem mittelalterlichen dorisch

identisch.

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Trotzdem kann auf einer heutigen Klaviatur die Oktave durch sechs Ganztonschritte überwunden

werden. Die Leiter C-D-E-FIS-GIS-AIS-C besteht nur aus Ganztonschritten. Wer diese allerdings auf dem

Klavier testet, wird sie als wenig anregend empfinden. Auch das hat Gründe: Die Leiter der sechs

Ganztöne führt über den Tritonus, der die Oktave exakt halbiert. Er liegt bei 3 Ganztönen – im obigen

Bespiel von C nach FIS. Sein Frequenzverhältnis ist äußerst dissonant. Wer mit hexatonischen Leitern

musizieren möchte, muss dieses Intervall in seine Musik aufnehmen. Durch pentatonsiche und

heptatonische Leitern wird der Tritonus umschifft – ein zweiter Grund warum sich diese durchgesetzt

haben.

Da nun die Pythagoräer durch ihre Siebentonleitern eine Seitenteilung entwickelt hatten, die ohne

Wurzelzahlen auskam, erschien ein neues Problem, das ihnen zu schaffen machte: Wenn Tonleitern

durch Schichtungen von Quinten gewonnen werden, dann müssten sich Oktav- und Quintsprünge

irgendwann wieder treffen. Von C ausgehend müsste man sowohl durch Quintenreihen wie durch

Oktavreihen wieder ein C erhalten. Die erste Quinte führt von C nach G, die zweite von G nach D, die

dritte von D nach A und so fort. Nach einigen Wiederholungen müsste die Quinte wieder auf ein C fallen,

welches dann mehrere Oktaven über dem ursprünglichen C liegt.

Gehen wir die Quintenreihe durch: C-G-D-A-E-H-FIS-CIS-GIS-DIS-AIS-EIS-HIS

Dies waren 12 Quintensprünge, die zu einem Ton "HIS" führen, der dem C fast gleich ist – aber eben

nur fast. Dieses "fast-c" liegt 7 Oktaven über unserem Ausgangs-C. Es ist dem C zum verwechseln

ähnlich, aber nicht gleich. Dieser Zirkel aus Quinten schließt sich nicht zum Ring, sondern läuft wie eine

Spirale weiter, wobei stets die Töne nach 12 Quinten, denen vor 7 Oktaven zum Verwechseln ähnlich

sind.

Dass sich Quinten und Oktaven nicht genau treffen können, zeigt sich daran, dass die Potenzen von 3 2

(=Quintsprung) und 2 1(=Oktavsprung) keine gemeinsamen Ergebnis haben: Zwölf Quinten das

bedeutet:  (A6)B6 ≈ 129,7. Sieben Oktaven das bedeutet: (6

B)D   = 128

Diese Diskrepanz zwischen zwölf reinen Quinten und sieben reinen Oktaven heißt pythagoräisches

Komma. Für die Praxis bedeutet dies: Wenn ein Klavierstimmer von einem Grundton C in reinen Quinten

nach oben stimmt, bekommt er einen Ton HIS, der leicht anders klingt, als hätte er mit reinen Oktaven

nach oben gestimmt. Oder anders ausgedrückt: Er kann nicht makellose Oktaven und makellose

Quinten über die ganze Breite der Klaviatur anbieten. Eine Lösung kann darin bestehen, den

Unterschied des Kommas auf die Intervalle innerhalb der Oktave aufzuteilen. Der Fachbegriff hierfür

lautet „temperieren“ und das Ergebnis wird Temperatur genannt.8 Da der Musiker bei

Tasteninstrumenten keinen Einfluss auf die Abstimmung der Tonhöhen (Intonation) hat, müssen diese

immer minimal verstimmt sein. Der Tasten-Musiker bekommt ein vorgestimmtes Instrument und kann

durch sein Gehör nicht in die Intonation eingreifen. Streicher, Bläser und Sänger können dies zu jeder

Zeit – sie benötigen diese Maßnahmen also nicht.

Das pythagoräische Komma wurde vielfach als ein "Fehler der Natur" interpretiert. Fehlerhaft wäre die

Natur, wenn man erwartete, der Zirkel der Quinten müsse sich zu einem Ring schmieden lassen.

8 Johann Sebastian Bach verwendete die Temperaturen seines Zeitgenossen Andreas Werckmeister (1645-1706). Sie begünstigten den Wechsel der Tonarten (Modulation). Bach schrieb in der Folge einen Zyklus von Übungsstücken für Tasteninstrumente. Wegen der neuartigen Temperatur der Instrumente gab er dem Übungsband den Titel: „Das Wohltemperierte Clavier“.

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Vielmehr sieht die Natur eine Helix vor, in der wiederkehrende Töne wie Zwillinge verwechselbar, aber

nicht gesetzmäßig gleich sind. Im Lexikon der Harmonielehre von R. AMON lesen wir zu dem Thema:

"Die Aneinanderreihung von zwölf reinen Quinten ergibt keinen geschlossenen Kreis, sondern eine Spirale. Die Oktav 1:2 wird durch die Primzahl 2, die Quint durch die Primzahl 3 repräsentiert." 9

Die dahinterliegende Ordnung – ob nun in Spiralform oder Ring lautet: 12 Quinten legen sich auf 7

Oktaven. Kehren wir noch einmal zu der Skala zurück, die Pythagoras durch Quintensprünge fand. Sie

lautete: D - E - F - G - A - H – C.

Beginnend mit C haben wir eine heutige C-Dur Tonleiter: C - D - E - F - G - A - H – C. Wollen wir nun aber

auf dem G eine Tonleiter bauen, die wiederum bis G läuft und gleiche Intervalle wie die C-Leiter hat, so

genügen diese angeführten Töne nicht. Es braucht einen weiteren Ton, der zwischen F und G liegt. Er

wurde FIS getauft. Wollen wir nun auf dem D eine dritte Tonleiter bauen, so genügt auch das FIS nicht

aus. Es braucht einen Ton der zwischen C und D liegt, sonst geht die Leiter nicht auf. Dieser Ton wurde

CIS getauft. Dieses Spiel geht so lange bis fünf weitere dieser neuen Töne eingebaut sein werden. Nach

dem fünften Aushilfston kann das Spiel noch weiter getrieben werden, doch ergeben sich dann keine

neuen Hilfstöne mehr, sondern nur Töne, die schon bestanden. Diese Hilfstöne heißen CIS-DIS-FIS-GIS-

AIS oder DES-ES-GES-AS-B, je nachdem auf welchen Nachbarton sie sich beziehen. Dies bedeutet, dass

man unter Zuhilfenahme von 5 Zwischentönen (CIS-DIS-FIS-GIS-AIS) auf jedem einzelnen Ton der C-Dur-

Leiter, wieder eine Leiter bauen kann.

Somit sind folgende Töne im Spiel: C-CIS-D-DIS-E-F-FIS-G-GIS-A-AIS-H. Das gibt zwölf Töne, die als

chromatisch bezeichnet werden. Wählt man sieben aus diesen zwölf Tönen für eine Tonleiter aus, so

kann mit Hilfe der fünf verbleibenden Töne auf jedem der sieben gewählten Töne eine neue Tonleiter

gebaut werden. Das Ordnungsschema hinter dieser Methode ist der Quintenzirkel. Er erlaubt dem

Tonsetzer seine Melodien systematisch auf eine Tonart seiner Wahl zu legen. Für die natürliche Tonleiter

C-D-E-F-G-A-H bedeutet dies, dass auf jedem der Töne eine Leiter mit 5 Ganzton und 2 Halbtonschritten

errichtet werden kann. Wo nun diese Halbtonschritte zu liegen haben ist Geschmackssache, aber auch

hier bietet die Zwölftelung Vorteile:

Denken wir noch einmal an die Quarte. Sie ist nach Pythagoras einen Ganzton niedriger als die Quinte.

Demnach kann die Oktave als ein Paar von zwei Viertongespannen verstanden werden.

C-D-E-F | G-A-H-C

Diese Viertongespanne werden Tetrachorde genannt. Sie beschreiben eine Quarte von der Prim und

eine Quarte von der Quinte. Diese Quarten können unterschiedlich überwunden werden. Quarten

bestehen aus zwei Ganztönten und einem Limma (heute Halbton). Diese Schritte können auf drei

Weisen genommen werden:

Ganzton - Halbton - Ganzton

Halbton - Ganzton - Ganzton

9 Amon: Lexikon der Harmonielehre, Stichwort: Stimmungen - Mathematische Grundlagen, S.256

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Ganzton - Ganzton - Halbton

Bei Zwölferteilung der Oktave können alle drei Varianten der Halbtonlage eingesetzt werden. Daraus

entstanden die "Modi" der Kirchentonarten, die sich je nach Lage der Halbtonschritte und des

Ausgangstones unterschieden. Nach dem Mittelalter setzten sich zwei Modi durch, die ionisch und

äolisch hießen. Ihre Tetrachorde hießen so:

1.   Ganzton – Ganzton – Halbton | Ganzton – Ganzton – Halbton.

Schema (1-1-½-1-1-1-½) – das war ionisch und wurde zur Dur-Tonleiter

2.   Ganzton – Halbton – Ganzton | Halbton – Ganzton – Ganzton Schema (1-½-1-1-½-1-1) – das war äolisch und wurde die Moll-Tonleiter.

Wir fassen zusammen:

•   In der westlichen Musik wird der Oktavraum in 12 gleiche Halbtöne gebrochen. Mit 12

dieser Intervalle wird eine Oktave überwunden.

•   Aus diesen 12 Halbtönen (=Chromatik) wählt der Komponist 7 Töne für eine Tonleiter aus.

Aus C-CIS-D-DIS-E-F-FIS-G-GIS-A-AIS-H und C werden etwa D-E-FIS-G-A-H-CIS und D für D-Dur.

Durch die 12 chromatischen Töne können die Quarten der Tonleitern in drei

unterschiedlichen Dreischritten erreicht werden. Diese sind ganz-halb-ganz, halb-ganz-

ganz und ganz-ganz-halb (vlg. C-D-DIS-F, C-CIS-DIS-F, C-D-E-F). Durch diese Varianz der

Dreischritte im "Tetrachord" der beiden Quarten, erklären sich die zahlreichen

Kirchentonarten, die von der Varianz Gebrauch machen.

•   Auf dem Klavier kann leicht nachgezählt werden: Eine Quinte erreicht man durch sieben

Halbtonschritte (C nach G) eine Quarte durch deren fünf (C nach F). Gemeinsam ergeben

sich zwölf Halbtonschritte für die Oktave.

•   Das Dur/Moll-System hält für jeden der 12 Töne im Oktavraum eine Tonleiter parat.

Zusammen ergibt dies 24 Tonleitern.

Nach Pythagoras wurden Verfeinerungen an diesem Teilungsschema vorgenommen, dennoch blieb es

im Wesentlichen bestehen. Wie oben beschrieben, lag das damalige Augenmerk auf den konsonanten

Intervallen, die durch Verhältnisse der Zahlen 1,2,3 und 4 darstellbar waren und bis heute sind.

Proportionen, die darüber hinaus gingen (Terzen oder Sexten), wurden vernachlässigt. Das sieht man

an der sog. pythagoräischen Terz. Sie bestand aus zwei Ganztönen und errechnete sich folglich aus:

89×89=6481

Entsprechend einer solch schwierigen Proportion, klang auch die Terz sehr „imperfekt“.

Um die Zeitenwende (ca. 30 v.Chr.) gelang es dem Griechen Didymos von Samos, das pythagoräische

System zu verbessern, indem er die Terzen verbesserte: Die große Terz wurde auf 4:5, die kleine Terz

auf 5:6 gelegt. Daraus wurde die sogenannte Reine Stimmung (auch natürlich-harmonische Stimmung

genannt). Sie beruht darauf, dass der gewohnte Ganzton 8:9 differenziert wird: Es gibt einen großen

Ganzton (8:9) und einen kleinen Ganzton (9:10). Die große Terz 4:5, die sich aus zwei Ganztönen

zusammensetzt, errechnet sich aus: 8:9 x 9:10 = 72:90 = 4:5.

Zudem wurde das Limma durch den Halbton mit 16:15 ersetzt.

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Aus einer Intervallfolge von 5 Ganztönen und 2 Limma wurde: 3 große Ganztöne, 2 kleine Ganztöne und 2 Halbtöne. Es ergab sich eine Intervallfolge:

98  ×109×1615×98×109×98×1615

=186624009331200

=21

Die Tonleiter konnte also sauber mit rationalen Zahlen gerechnet werden, ergab wohlklingende

Terzen bzw. Sexten und konnte auf das komplizierte Limma verzichten. Das Ergebnis wird bis heute

auch als diatonische Leiter bezeichnet. 10

Die einzelnen Töne standen in der folgenden Proportion zueinander:

24  :  27  :  30  :  32  :  36  :  40  :  45  :  48    Mit den einzelnen Faktoren formuliert, heißt es:

𝟐𝟒  FG  𝟐𝟕  

BIF  𝟑𝟎  

B<BK  𝟑𝟐  

FG  𝟑𝟔  

BIF  𝟒𝟎  

FG  𝟒𝟓  

B<BK  𝟒𝟖

Um die ganzzahlig fortlaufende Proportion graphisch zu veranschaulichen, müssen wir aus den oben

beschrieben 12 gleichen Teilen einer Saite 48 machen. Jeder Teil muss also zusätzlich geviertelt

werden, denn 12×4 = 48. Das diatonische Stimmungsschema zeigt sich in Abbildung 8:

10 Zum Vergleich: In der Pythagoräischen Teilung lautete die ganzzahlig fortlaufende Proportion:

384  :  432  :  486  :  512  :  576  :  648  :  729  :  768  Sie war also wesentlich komplizierter. Die Zusammenhänge werden in E. SCHRÖDER, Mathematik im Reich der Töne (Frankfurt am Main 1985) sehr anschaulich beschrieben. Vgl. Kapitel 7: Monochord und Kapitel 8: Diatonisches Stimmungsprinzip.

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Abbildung 8: Diatonische Proportion an der 48-fach geteilten Seite. Oben die Frequenzverhältnisse – unten die Teilungsverhältnisse. (Entlang der Punktlinie zeigen sich die Komplementärintervalle.)

Durch die so vorgenommenen Anpassungen gaben sich mehrere Vorteile beim Musizieren: Erstens

war das Limma mit seinem komplizierten Verhältnis verschwunden und zweitens wurden die Terzen

günstiger (vgl. 64:81 mit 5:4 bzw. 6:5).

Wir sind nun den Weg von den ersten Saitenteilungen der Pythagoräer bis zu den diatonischen

Leitern gegangen. Mit diesen Leitern musizieren unsere Musiker bis heute. Es wurde klar, dass die

Zahlen 7 und 12 dabei eine Schlüsselrolle spielen. 7 das ist die Zahl der Töne in einer Leiter bis wieder

derselbe Ton an achter Stelle eintritt. 12 das ist die Zahl der chromatischen Teilungen einer Oktave.

Soweit nun die Entwicklung der Musiktheorie. Nun bietet es sich an, die Schemen der Musiktheorie

mit denen der Anatomie zu vergleichen.

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4. Die Schemen im Vergleich Bei Betrachtung der Schemen des menschlichen Brustkorbes und der Musik des Westens entstehen

deutliche Übereinstimmungen.

1.   Der Oktavraum gliedert sich in 12 Halbtöne, wobei derer 7 zu einer Tonleiter zusammengefasst

werden | Der menschliche Brustkorb gliedert sich in 12 Rippenpaare, wobei derer 7 fest an das

Sternum gewachsen sind.

Musik Anatomie

12 chromatische Töne innerhalb der

Oktave

12 Rippenpaare innerhalb des Brustkorbes

7 dieser chromatischen Töne bilden eine

diatonische Leiter.

7 dieser Rippenpaare sind fest mit dem

Brustbein verwachsen (Fachbegriff ‚echte’

Rippen).

12 Quinten ergeben gerundet 7 Oktaven

(Beachte: Spiralbewegung nicht

Kreisbewegung)

2.   Die 12 Halbtöne der Oktave gehorchen der Teilung in Quinte und Quarte: 7 Halbtöne gehen

auf die Quinte – 5 auf die Quarte. Im Schema gilt 12 = 7 + 5. | Die 12 rippenlosen Wirbel

gehorchen dem Schema 12 = 7 + 5, denn 7 von ihnen sind Halswirbel und 5 von ihnen sind

Lendenwirbel. | Die berippten Wirbel gehorchen ebenfalls diesem Schema, denn 7

Rippenpaare sind echt, fünf sind unecht.

Musik Anatomie

Oktave = Quinte + Quarte

12 Halbtöne = 7 Halbtöne + 5 Halbtöne

Brustkorb = echte Rippen + unechte Rippen

12 unberippte Wirbel = 7 Halswirbel + 5

Lendenwirbel

3.   Die westliche Musik kennt 24 Tonarten, die eigentlich 12 Tonartenpaare sind (C-Dur = A-Moll)

| Der menschliche Brustkorb besteht aus 24 Rippen, die eigentlich 12 Rippenpaare sind.

Die westliche Musik arbeitet mit 12 Dur-

Tonarten und 12 Moll-Tonarten. Die Summe

beträgt 24.

Die Wirbelsäule arbeitet mit 12 berippten

und 12 unberippten Wirbeln. Die Summe ist

24.

Der Brustkorb arbeitet mit 12 linken Rippen

und mit 12 rechten Rippen. Die Summe ist

24.

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Nun kann man sich fragen, ob es überhaupt sinnvoll ist, ein natürliches Phänomen – unsere Anatomie, mit einem kulturellen Phänomen – unserer Musiktheorie, zu vergleichen. Unsere Anatomie ist eine natürliche Gegebenheit, auf die wir Menschen keinen Einfluss haben und die Musik, das ist eine kulturelle Sache, die wir Menschen sehr wohl mitbestimmen. Kann man diese Dinge also wirklich sinnvoll vergleichen? Um diese Frage zu klären, lohnt es nach Musiktheorie zu fragen, die völlig außerhalb unseres europäischen Kulturkreises entstanden ist.

5. Zwischenbetrachtung: Der Weg der Altchinesischen Musik Werfen wir einen Blick auf die Musiktheorie des Alten Chinas. Wie in vielen anderen Kulturfragen haben

die Chinesen bereits vor vielen Jahrhunderten ihre eigenen Grundsteine gelegt und darauf gebaut. Hier

zeigt sich Verblüffendes: Bereits zur Shang-Dynastie (ca. 1500-1000 v.Chr.) – also lange vor der

griechischen Klassik, musizierten die Vorfahren der heutigen Chinesen auf dem Tonsystem der

sogenannten "12 Lü". Im dtv-Atlas Musik lesen wir zum Thema:

"Shang-Dynastie (ca. 1500-1000)

Dem Tonsystem liegen die 12 Lü (Halbtöne) zu Grunde, die sich aus der Folge reiner Quinten

herleiten. Ein Ausschnitt von 5 Quinten liefert jeweils das Material für eine pentatonische Leiter.

Jeder der 5 Töne kann Grundton der Leiter sein, sodass sich je Leiter 5 Tonarten ergeben. Da

die pentatonische Leiter auf jedem der 12 Lü aufgebaut werden kann, kommt man auf 60

Tonarten.

Chou Dynastie (ca. 1000-256)

(...) Das System der relativen 12 Lü blieb bestehen, wurde jedoch spätestens um 300 v. Chr.

durch heptatonische Leitern erweitert. (...) Die heptatonische Musik gilt als neu." 11

Es zeigt sich aber mit Klarheit, dass sich im Altchinesischen Reich ein 12-Halbtonsystem einspielte.

Außerdem fällt der Übergang von pentatonischen Leitern zu heptatonischen auf. Die 60 Tonarten des

pentatonischen Musizierens errechnen sich aus 12×5; die 84 Tonarten des heptatonischen Musizierens

errechnen sich aus 12×7.

Zitierenswert ist hier eine Anmerkung, die R. AMON im Kapitel zum Quintenzirkel schreibt:

„Als nachweislich erster hat Aristoxenos von Tarent (ca. 360-300 v.Chr.), Schüler von Aristoteles,

Philosoph und Musiktheoretiker, ein Quintverfahren angewandt. Von ihm stammen die

Bezeichnungen Ganzton und Halbton. Er definiert die Quint als summe von Quart plus Ganzton,

die Quart entsprechend als Summe von Ganzton plus Ganzton plus Halbton.

Fast zeitgleich hat in China Lü Pu We(i) (gest. 295 v.Chr.) im Buch „Frühling und Herbst“ den

Mythos um die Entstehung der „Zwölf Lü“ – einer Rechenregel, die mit unserem Quintenzirkels

faktisch identisch ist (jedoch nach einem anderem Prinzip gewonnen) – dargestellt. Ab der

Renaissance (...) erfolgt im Abendland eine intensive Auseinandersetzung mit dieser Materie.“12

Trotz aller Unterschiede der Kulturkreise, die bis heute bestehen, zeigen sich Gemeinsamkeiten

11 Michels: dtv-Atlas Musik, S.169 12 Amon: Lexikon der Harmonielehre, S.218

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zwischen europäischer und altchinesischer Musiktheorie: Die Schlüsselrolle der Zahl 12 findet sich in

beiden Erdteilen und auch der Übergang vom pentatonischen System zum heptatonischen zeigt die

Bedeutung der Ziffern 5 und 7. Wie kann dies sein, da beide Musiksysteme unabhängig voneinander

entstanden sind? Vielleicht liegt der Grund hierfür weniger im Zufall, denn in natürlichen

Rahmenbedingungen. Denken wir an die 7. Durch Verwendung von Siebentonleitern können Oktaven

durch 5 Ganztonschritte und 2 Halbtonschritte rechnerisch sauber überwunden werden. Durch 5 weitere

Halbtone in der Oktave, kann auf jedem Ton der Leiter eine eigene Leiter gebaut werden: Auf der Prim

ist eine Tonleiter möglich (C-Dur), auf der Sekunde ist eine Tonleiter möglich (D-Dur), auf der Terz ist

eine Tonleiter möglich (E-Dur) und so weiter bis wir bei der Septime angelangen (H-Dur). Hier brauchen

wir alle zusätzlichen Halbtöne, die nichts anderes sind, als die schwarzen Tasten – denn natürlich hat ein

Klavier bis heute 7 weiße und 5 schwarze Tasten innerhalb einer Oktave. Die Zwölftelung der Oktave

bietet zudem den Vorteil, dass die Halbtöne nicht nach dem Modus „Dur“ angeordnet werden müssen,

es kann auch im Modus „Moll“ erfolgen. Die Leiter kann als Ganzton-Ganzton-Halbton oder Halbton-

Ganzton-Ganzton etc. interpretiert werden. Zuletzt kann man noch daran erinnern, dass die Teilung

einer Saite in 12 Teile alle konsonanten Intervalle (Quinte, Quarte, Oktave, Duodezime und

Doppeloktave) darstellt.

Es zeigt sich also, dass die Besonderheit dieser Zahlen nicht aus Zahlenmystik oder der

Geheimniskrämerei des Pythagoras hervorgegangen ist. Hinter ihr stehen mitunter rechnerische

Gründe, deren Folgen sich bis heute im Phänotyp der Musiktheorie zeigen. Auch die Theorie des letzten

Jahrhunderts konnte sich nicht von ihr lösen. Als bestes Beispiel mag hier Arnold Schönbergs Vision

einer atonalen Musik dienen: Obwohl er die Arbeit mit diatonischen Leitern aufgab, blieb die

Bedeutung der Zahl 12 in seiner Zwölftonmusik eindeutig bestehen.

Kehren wir im letzten Kapitel zu Pythagoras und seiner Geheimniskrämerei zurück. Die Bedeutung, die

er den Zahlen 1 bis 4 beimaß, wurde oben bereits angesprochen. Nun kann man sich fragen, warum sie

ihm gar als heilig galten. Die wahrscheinlich banalste Erklärung liegt darin, dass die Summe der Zahlen

von 1 bis 4 gleich 10 ist und da jeder Mensch 10 Finger haben sollte, musste es etwas besonderes mit

diesen Zahlen auf sich haben.

1 + 2 + 3 + 4 = 10

Doch geht die Bedeutung dieser Zahlen, wie wir gelernt haben, weiter als es im ersten Augenblick

scheint. Vor allem die Verhältnisse, die sich aus ihnen ergeben, sind von tieferer Bedeutung.

Abbildung 9: Die 10 als sog. Dreieckszahl: Die Menge einer Dreieckszahl lässt sich als gleichseitiges Dreieck anordnen. Z.B. 3, 5 ,10 ,15 etc.

- 24 -

6. Geometrische Grundkörper und musikalische Verhältnisse Das Leben des wahrscheinlich begabtesten Mathematikers der Antike – Archimedes von Syrakus (ca.

287 - 212 v.Chr.) ist legendenumwoben. Als er aus dem Bade stieg soll er "Heureka, heureka" gerufen

haben und sei gar nackt nachhause geeilt. Vor seinem Tod durch das Schwert eines römischen Soldaten,

lauteten seine letzten Worte: "Störe meine Kreise nicht!" – so sagt es die Legende. Weniger berühmt,

aber genauso bemerkenswert ist das Grab, in dem er angeblich beigesetzt worden sei. Es hatte die

Form einer Kugel, die von einem Zylinder umschlossen ist. Was wollte uns Archimedes über die Sprache

dieser Architektur übermitteln?

Zu jeder Kugel existiert ein Zylinder, der sie genau einschließt. Der Grundkreis dieses Zylinders gleicht

dem Inkreis der Kugel, die Höhe des Zylinders gleicht dem Kugeldurchmesser, also dem doppelten

Radius.

Aus dem Schulunterricht wissen wir, dass sich der Inhalt einer Kugel nach der Formel 𝑉 = 4 3 𝑟A𝜋

errechnen lässt. Wie können wir uns dieses Produkt körperlich vorstellen? Die Faktoren 𝑟A𝜋 können wir

als 𝑟6𝜋  ×  𝑟 umformen und körperlich beschreibt 𝑟6𝜋  ×  𝑟 einen Zylinder: Seine Grundfläche ist 𝑟6𝜋, seine

Höhe ist 𝑟. Da sich das Volumen eines Zylinder aus der Grundkreisfläche multipliziert mit der Höhe

ergibt, erhalten wir die Formel 𝑟6𝜋  ×  𝑟.

Abbildung 10: Die Höhe des halben Zylinders entspricht dem Radius, die Höhe des ganzen Zylinder entsrpicht dem Durchmesser der Kugel.

Dieser Zylinder reicht genau bis zum Äquator unserer Einheitskugel, denn er ist halb so hoch wie oben

beschriebener Umfassungszylinder, dessen Höhe dem Durchmesser gleicht. Dieser errechnet sich aus

Grundkreisfläche (𝑟6𝜋) multipliziert mit der Höhe (2𝑟), also als 𝑟6𝜋  ×  2𝑟.

Nun besagt die Formel als 𝑉 = 4/3𝑟A𝜋  , dass der Inhalt der Einheitskugel um 4/3   größer ist, als ihr

Halbzylinder mit Inhalt 𝑟A𝜋. Die Einheitskugel ist also eine Quarte größer als ihr Halbzylinder.

Wie verhält sich nun der Vollzylinder zur Kugel? Das Vollzylindervolumen errechnet sich aus 2𝑟  ×  𝑟6𝜋 =2𝑟A𝜋  (Höhe mal Grundkreisfläche).

Nun können wir den Kugelinhalt 4/3𝑟A𝜋  ins Verhältnis zum Vollzylinderinhalt 2𝑟A𝜋 setzen:

2𝑟A𝜋43   𝑟

A𝜋

Nach dem Kürzen bleibt:

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243=32

Dies ergibt 3:2 – also den Quotient der Quinte. Folglich entspricht der Inhalt des Umfassungszylinders

dem eineinhalbfachen Kugelinhalt. Er ist um eine Quinte größer als die Einheitskugel.

Zusammenfassend lässt sich sagen:

•   Der Inhalt der Einheitskugel ist 4 3 größer, als der ihres Halbzylinders. Die Einheitskugel ist

also eine Quarte größer, als ihr Halbzylinder.

•   Der Inhalt des Umfassungszylinders ist um 3 2 größer, als der der Einheitskugel. Er ist also

eine Quinte über der Einheitskugel.

•   In den Verhältniszahlen 4 3 und 3 2 sind Quarte und Quinte geometrisch verewigt. Ihr

Produkt 4/3  × 3 2 ergibt 12 6 also 2 1. Und 2 1 entspricht wieder der Oktavzahl  2.

Eine Kugel und ihr Umfassungszylinder lehren uns also die Bedeutung von Quinte und Quarte: Der

Kugeläquator halbiert den Umfassungszylinder, jedoch ist die Kugel eine Quarte größer als der

Halbzylinder. Der Vollzylinder ist wiederum eine Quinte größer als die Einheitskugel.

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛   𝐻𝑎𝑙𝑏𝑧𝑦𝑙𝑖𝑛𝑑𝑒𝑟]^_`ab

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛   𝐸𝑖𝑛ℎ𝑒𝑖𝑡𝑠𝑘𝑢𝑔𝑒𝑙]^ijab

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛  (𝑉𝑜𝑙𝑙𝑧𝑦𝑙𝑖𝑛𝑑𝑒𝑟)

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛   𝐻𝑎𝑙𝑏𝑧𝑦𝑙𝑖𝑛𝑑𝑒𝑟kla_mb

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛  (𝑉𝑜𝑙𝑙𝑧𝑦𝑙𝑖𝑛𝑑𝑒𝑟)

Das Volumenverhältnis von Kugel und Umfassungszylinder war von Archimedes entdeckt worden und

dieses Wissen sollte offenbar für die Nachwelt in architektonischer Weise konserviert werden.13

Betrachten wir nun die Oberfläche einer Kugel. Sie errechnet sich nach der Formel 4𝑟6𝜋. Wir haben es

also mit dem Inkreis der Kugel 𝑟6𝜋 und dem Faktor 4 zu tun. Die Oberfläche einer Kugel ist viermal

größer als ihr Inkreis. Oder umgekehrt: Die Fläche des Inkreises einer Kugel beträgt 1 4 der

Kugeloberfläche. Im Faktor 1 4 erkennen wir klar die Doppeloktave.

𝐹𝑙ä𝑐ℎ𝑒   𝐼𝑛𝑘𝑟𝑒𝑖𝑠rsttbusla_mb

𝑂𝑏𝑒𝑟𝑓𝑙ä𝑐ℎ𝑒   𝐾𝑢𝑔𝑒𝑙

Abbildung 11

Diese Betrachtungen können bei anderen geometrischen Körpern weiterverfolgt werden: Betrachten

wir nun den Kegel. Sein Volumen berechnet sich nach der Formel 𝑉 = 1 3 ℎ𝑟6𝜋. Auch hier hat man es

mit einem Umfassungszylinder zu tun. Er wird durch Grundkreis und Höhe des Kegels beschrieben.

13 Zum Grab des Archimedes vlg. Dilke: Mathematik, Maße und Gewichte in der Antike, S.37

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Abbildung 12

Nach obiger Formel sind Kegel und Umfassungszylinder proportional. Sie stehen im Verhältnis 1 3. Der

Umfassungszylinder ist im Volumen dreimal größer als der Kegel. Da 1 3 das Verhältnis der Duodezime

ist, können wir folgern, dass jeder Umfassungszylinder eine Duodezime größer ist als der Kegel, den er

umfasst.

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛   𝐾𝑒𝑔𝑒𝑙r^sybzi{b

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛  (𝑈𝑚𝑓𝑎𝑠𝑠𝑢𝑛𝑔𝑠𝑧𝑦𝑙𝑖𝑛𝑑𝑒𝑟)

Gleiches gilt für die Pyramide. Jede Pyramide kann durch einen Quader (Grundfläche mal Höhe)

beschrieben werden. Das Pyramidenvolumen beträgt 1 3 ihres Umfassungsquaders.

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛   𝑃𝑦𝑟𝑎𝑚𝑖𝑑𝑒r^sybzi{b

𝑉𝑜𝑙𝑢𝑚𝑒𝑛  (𝑈𝑚𝑓𝑎𝑠𝑠𝑢𝑛𝑔𝑠𝑞𝑢𝑎𝑑𝑒𝑟)

Wir sehen also, dass sich die sog. „konsonanten“ Intervalle auch in den geometrischen Grundkörpern

finden. Sie zeigen sich aber auch in einfachen Figuren, wie dem Dreieck: Jedes geradlinige Dreieck

kann von einem Rechteck (𝑎×ℎ) umschrieben werden. Die Dreiecksfläche berechnet sich mit 1/2𝑎ℎ. Somit ist das Umfassungsrechteck eine Oktave größer als das Dreieck.

𝐹𝑙ä𝑐ℎ𝑒   𝐷𝑟𝑒𝑖𝑒𝑐𝑘kla_mb

𝐹𝑙ä𝑐ℎ𝑒  (𝑈𝑚𝑓𝑎𝑠𝑠𝑢𝑛𝑔𝑠𝑟𝑒𝑐ℎ𝑡𝑒𝑐𝑘)

Abbildung 13

Es zeigt sich also mit Klarheit, dass in den geometrischen Figuren und Körpern die pythagoräischen

Verhältnisse verewigt sind:

•   Die Oktave zeigt sich im Dreieck mit seinem Umfassungsrechteck.

•   Quarte und Quinte zeigen sich in der Kugel und ihrem Halb- bzw. Vollzylinder.

•   Die Duodezime zeigt sich im Kegel und seinem Umfassungszylinder. Gleiches gilt für die

Pyramide und ihren Umfassungsquader.

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•   Die Doppeloktave zeigt sich in der Kugeloberfläche, die der vierfachen Inkreisfläche entspricht.

Die Verhältnisse die zum Einsatz kommen sind:

𝟏 𝟐 𝟐 𝟑 𝟑 𝟒 𝟏 𝟑 𝟏 𝟒

oder

𝟐 𝟏 𝟑 𝟐 𝟒 𝟑 𝟑 𝟏 𝟒 𝟏

In der Musik liefern sie die perfekten Konsonanzen Oktave, Quarte, Quinte, Duodezime, Doppeloktave.

Die natürlichen Zahlen, die für diese Verhältnisse angewandt werden sind: 1, 2, 3, 4

Abschließend soll noch erwähnt werden, dass die Verhältnisse der Tetraktis auch in der Berechnung von

Parabelsegmenten erscheinen. Hier schließt sich der Kreis zu Archimedes: Zu jedem Parabelsegment

zwischen zwei Punkten B und C, gibt es ein kennzeichnendes Dreieck aus der Grundlinie BC und dem

Punkt A, der auf der parallelen Tangente zu BC liegt.

Abbildung 14

Archimedes behauptete der Flächeninhalt des Parabelsegmentes verhalte sich zur Dreiecksfläche wie

4:3. Was veranlasste ihn zu dieser Behauptung? Archimedes erkannte, dass zwischen Dreieck ABC und

dem Parabelsegment zwei Restflächen bestehen bleiben, die wiederum Parabelsegmente sind. Also

konnte er die angewandte Methode wiederholen und zwei neue Dreiecke in den Restflächen definieren.

Das sind die Dreiecke BGA und CHA. Er erkannte, dass die Flächen der beiden kleinen Dreiecke nur

ein Viertel des großen Dreiecks betragen. Die näherungsweise Fläche des großen Parabelsegments

beträgt also

1 + 1/4

der Dreiecksfläche ABC. Wiederholt Archimedes seine Methode, so werden die Dreiecke der dritten

Generation nur noch 1/16 des Urdreiecks betragen. Die Dreiecke der vierten Generation werden 1/64

betragen und so fort. Nichts außer seiner endlichen Lebenszeit vermag nun Archimedes daran hindern,

diese Methode unendlich zu wiederholen. Durch unendliche Generationen von Dreiecken entsteht eine

Summe von Brüchen, die sich dem Wert 4/3 annähert:

1 +14+164

+1256

+1

1024+ ⋯ =

43

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Obwohl Archimedes nicht von Unendlichkeit sprach, erkannte er dennoch, dass er mit dieser Methode

den Parabelinhalt erschöpfend beschreiben konnte. 14

Dies bedeutet, dass Parabelsegment und Dreieck in einem rationalen Verhältnis stehen: Das

Parabelsegment ist eine Quarte größer als das Dreieck aus den Segmentpunkten und dem Punkt der

Paralleltangente.

14 vgl. Taschner: Das Unendliche. Mathematiker ringen um einen Begriff, S. 37 ff.

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C. Schluss Ziel dieser Arbeit war es, die Schnittmengen zwischen Anatomie, Musik und Geometrie darzustellen.

Wir haben die menschliche Wirbelsäule und den Brustkorb im Schema betrachtet. Daneben haben wir

die Grundlagen der Musiktheorie gelegt. Im Vergleich der Schemen zeigten sich Übereinstimmungen.

Nach einem Blick auf die Musiktheorie des alten Chinas bestätigten sich diese Hinweise.

Zuletzt wurden die geometrischen Grundkörper beleuchtet und deren Verhältniszahlen hervorgehoben.

Auch hier zeigen sich deutliche Übereinstimmungen zur Musiktheorie der Pythagoräer. Wir wissen nicht,

inwieweit diese die Volumenverhältnisse von Kugeln, Zylindern und Kegeln errechnen konnten. Das

Volumenverhältnis von Kugel und Zylinder geht auf Archimedes zurück, der Jahrhunderte nach

Pythagoras lebte. Auch gilt es zu hinterfragen, wie weit Pythagoras’ Kenntnisse der Zahl 𝜋

fortgeschritten waren. Heute wissen wir, dass es sich unzweifelhaft um eine irrationale Zahl handelt, also

keine Zahl, die sich je durch einen Bruch ohne Rundung darstellen lassen wird. Wir wissen auch, dass

Pythagoras die Vorstellung irrationaler Zahlen (z.B. 2) vehement ablehnte. Also dürfte er die Zahl 𝜋

durch einen Rundungswert ersetzt haben – was wir bis heute tun. Wir betrachten 𝜋 als eine Unbekannte

in unseren Gleichungen die wir, je nach Erfordernis durch einen Rundungswert (z.B. 3,14) ersetzen.

Sicher ist, dass Pythagoras einer der ersten war, der lehrte, die Erde sei eine Kugel. Eine Einsicht, die

sich später bestätigen sollte und über Jahrhunderte nur wenigen Gelehrten vorbehalten war. Die

Proportionen, die er festlegte und als konsonant bezeichnete, leben darüber hinaus in den

geometrischen Grundkörpern auf ewig weiter. Neben der Wiederkehr seiner Verhältniszahlen, lag ein

Teil dieser Arbeit auf den Zahlen 7 und 12. Sie gelten seit jeher als „magisch“, doch wird deren Magie

zumeist mythisch oder religiös erläutert. Man liest von den 7 Planeten und den 12 Sternbildern der

Antike, oder es ist die Rede von den 7 Schöpfungstagen, den 7 Jahren in Josefs Traumdeutung, den 12

Stämmen Israels oder den 12 Aposteln.15 Diese Begründung ist kulturhistorisch korrekt, doch sollte

diese Arbeit zeigen, dass auch im naturwissenschaftlichen Bereich die 7 und die 12 eine besondere

Rolle einnehmen. 7 als die Zahl der Halswirbel oder der sternalen Rippenpaare. 12 als die Zahl der

Brustwirbel oder die Anzahl der rippenlosen Wirbel. Diese Besonderheit zeigt sich gleichermaßen in

der Musiktheorie, wo 7 die Zahl der diatonischen Leitern und die 12 die Zahl der chromatischen Leitern

darstellt. In 12 Segmente teile Pythagoras auch seine Monochordsaite und damit blieb er nicht allein:

Auch die alten Römer machten die Vorteile der 12 im praktischen Leben zu nutze. Das Zwölftel heißt

auf Latein nämlich uncia und mit solchen „Unzen“ wurden die Hebelwaagen der Geschäftsleute (lat.

libra) bedient. Dabei galt:

12 uncia = 1 libra

Auch im Münzwesen waren Unzen gebräuchlich. Hier ergaben 12 Unzen 1 As.16

Der praktische Grund hinter Zwölfteln liegt in der Teilbarkeit der Zahl. 12 kann ohne Rest durch 1,2, 3,

4 und 6 geteilt werden. Natürlich kann 12 auch durch 12 geteilt werden – doch gilt dies an und für sich

für jede Zahl. Wir können also die echten Teiler der 12 addieren und erhalten:

s(12) = 1 + 2 + 3 + 4 + 6 = 16

15 vgl. Haarmann: Weltgeschichte der Zahlen, S.24 f und S. 29 f 16 Dilke: Mathematik, Maße und Gewichte in der Antike, S.90 ff und S.103

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Damit ist die Summe der echten Teiler größer als die 12 selbst. In der Zahlentheorie heißt sie deshalb

„abundante Zahl“. Wäre die Teilersumme kleiner 12, hieße die Zahl „defizient“. Wäre sie gleich 12, so

hieße die Zahl „vollkommen“. Da 12 abundant (also teilerreich) ist, können Massen oder Beträge gut

dividiert werden. Ein Kaufmann kann jederzeit ein As teilen und ein Halbes, ein Drittel, ein Viertel oder

ein Sechstel an einen Geschäftspartner ausgeben – zum Beispiel als Vorschuss, als Kredit oder Rendite.

Dieser Gedanke zeigt sich bis heute in den USA, wo der quarter als Vierteldollar-Münze im Umlauf ist.

Auch Gewichte konnten so praktisch geteilt werden.

Bekanntermaßen hat die 12 als Ordnungszahl die Jahrhunderte nicht überdauert. Wir modernen

Kontinent-Europäer denken im metrischen System – einer Erfindung der Französischen Revolution. Mit

dem System kam auch die 10 als einzige Ordnungszahl. Seither sind 10 mal 10 mal 10 Meter ein

Kilometer. Und 10 Meter mal 10 Meter mal 10 Meter sind 1000 Kubikmeter. Und ein Kubikmeter fasst

1000 Liter Wasser und 1000 Liter Wasser wiegen 1000 Kilogramm. Folglich wiegen 1000 Kubikmeter

Wasser 1000 mal 1000 Kilogramm und so fort. Die Intellektuellen der Französischen Revolution (die

„Dekadisten“) gingen in ihrer Vernunft-Religion sogar soweit, das Jahr, den Monat, den Tag und die

Stunde nach der 10 zu ordnen. Doch so gut sich ihre Vorschläge bei der Vermessung des Raumes

durchsetzten, so schlecht wurden sie bei der Vermessung der Zeit angenommen.17 Ein rationaler Grund

hierfür liegt an der Natur der 10. Zwar ist sie die Summe der ersten vier Zahlen, doch ist sie auch eine

defiziente Zahl. Sie lässt sich nur durch 2 und 5 teilen. Die Summe der echten Teiler lautet nämlich:

s(10) = 1 + 2 + 5 = 8

Wäre zum Beispiel unser Jahr nach 10 Revolutionsmonaten aufgeteilt, wären uns nur das Halbjahr, das

Fünfteljahr und das Zehnteljahr vertraut. Das Vierteljahr (Quartal) und das Dritteljahr wären uns kein

Begriff. Gleiches gälte für die Stunde: Unbekannt wäre die Viertelstunde und natürlich auch die

Dreiviertelstunde etc.

Es zeigen sich also auch Nachteile des dekadischen Systems. Historisch gesehen setzte sich das

metrische System beinahe global durch – der Revolutionskalender hingegen wurde noch unter

Napoleon Bonaparte aufgegeben. Da die Briten diesen kontinentalen Umtrieb immer skeptisch sahen,

haben sie sich bis heute ihre ounzes als Gewichtsmaß erhalten. Unlogischerweise gilt:

16 ounces = 1 pound

Zum Abschluss des Textes noch eine kleine Rätselfrage:

Wie kann man allein mit einem Seil einen Rechten Winkel schlagen?

17 vgl. Beutelspacher: Zahlen: Geschichte, Gesetze, Geheimnisse, S.77

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Die Lösung erfolgt über ein pythagoräisches Dreieck. Für seine Seiten gilt immer:

𝑎6   + 𝑏6 = 𝑐6

Bei diesem Seitenverhältnis ist der Rechte Winkel an den Katheten garantiert. Das kleinste dieser

Dreiecke besteht aus dem Zahlentrio 3;4;5, denn

36 + 46 = 56.

Interessant ist nun, dass die Summe dieser Seitenlängen 12 ergibt, denn

3 + 4 + 5 = 12 .

Wird also ein Seil mit der Länge 1 in zwölf gleiche Segmente geteilt, so kann daraus ein Rechter Winkel

geschlagen werden. Man gebe 5 Segmente auf die Hypotenuse und 7 auf die Katheten. Es ergibt sich

ein Dreieck mit den Saitenlängen 3,4 und 5. Dieses schließt einen Rechten Winkel ein. Dazu muss man

das Seil aber in 12 gleiche Segmente teilen – wie es eben Pythagoras auch mit der Saite tat, um die

konsonanten Intervalle zu finden.

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D. Literaturverzeichnis Amon, Reinhard: Lexikon der Harmonielehre (Wien 2005).

Beutelspacher, Albrecht: Zahlen. Geschichte, Gesetze, Geheimnisse (München 2015).

Dilke, O.A.W.: Mathematik, Maße und Gewichte in der Antike; Reclam Sachbuch (Stuttgart 2012).

Haarmann, Harald: Weltgeschichte der Zahlen (München 2008).

Heuser, Harro: Die Magie der Zahlen. Von der seltsamen Lust, die Welt zu ordnen (Freiburg i.Br. 2003).

Holst, Immogen: Das ABC der Musik (Stuttgart 2009).

Johnen, Kurt: Allgemeine Musiklehre (Stuttgart 2008).

Kanitscheider, Bernulf: Natur und Zahl (Heidelberg 2013).

Keil, Werner: Musikgeschichte im Überblick (Paderborn 2012).

König/Liebich: Anatomie der Haussäuger (Stuttgart 2015).

Martini/Timmons/Tallitsch: Anatomie (München 2012).

Michels, Ulrich: dtv-Atlas Musik (München 2001).

Nestler, Gerhard: Geschichte der Musik (Gütersloh 1997).

Netter, Frank H.: Farbatlanten der Medizin. Band 7 - Bewegungsapparat I (Stuttgart 1992).

Riedweg, Christoph: Pythagoras. Leben, Lehre, Nachwirkung (München 2002).

Schneider, Ivo: Archimedes. Ingenieur, Naturwissenschaftler, Mathematiker (Berlin/Heidelberg 2016).

Schröder, Eberhard: Mathematik im Reich der Töne (Frankfurt am Main 1985).

Taschner, Rudolf: Das Unendliche. Mathematiker ringen um einen Begriff (Berlin/Heidelberg 2006).

Waschke/Böckers/Paulsen: Anatomie – das Lehrbuch (München 2015).

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