Computational Chemistry V11

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20 1 1 V09 Reaktionen / Bindungsaffinität Ligand-Rezeptor Welche Arten chemischer Reaktionen gibt es? Wie unterscheiden sich Reaktionen in der Gasphase von denen in Lösung oder denen in Enzymen? Vorhersage der Bindungsaffinitäten von Inhibitoren bzw. Liganden: Das zentrale Thema des rational drug design Welche Energiebeiträge spielen eine Rolle? Welche Konsequenzen lassen sich daraus für das Konzeption von neuen Inhibitoren ziehen?

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V09 Reaktionen / Bindungsaffinität Ligand-Rezeptor

Welche Arten chemischer Reaktionen gibt es?

Wie unterscheiden sich Reaktionen in der Gasphase von denen

in Lösung oder denen in Enzymen?

Vorhersage der Bindungsaffinitäten von Inhibitoren bzw. Liganden:

Das zentrale Thema des rational drug design

Welche Energiebeiträge spielen eine Rolle?

Welche Konsequenzen lassen sich daraus für das Konzeption

von neuen Inhibitoren ziehen?

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Chemische Reaktionen (1)

Bei einer chemischen Reaktion werden kovalente Bindungen gebrochen und/oder neu verknüpft. → Bindungstopologie ändert sich

Reaktionskoordinate

Energie

Edukte

Übergangszustand

Produkte

Aktivierungsbarriere

Reaktionswärme

Reorganisierung der Elektronen erforderlich, deshalb nur quantenmechanische Methoden praktikabel

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Chemische Reaktionen (2)Beispiele:

homolytische Bindungsspaltung

C2H5

C Cl

CH3

H

C2H5

CCl

CH3

HCl- +

- ++ Cl-

O

O

O

O

O

OH

H

+

h

katalytisch

Cl2 2 Cl oder

h

Cl + CH4 CH3 + HCl

CH3 + Cl2 CH3Cl + Cl

heterolytische Bindungsspaltung

Elektrozyklische Reaktion

Photochemische Reaktion

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Chemische Reaktionen (3)

Klassifizierung von chemischen Reaktionen:

• Radikalische

• Zwischen Atomen unterschiedlicher Elektronendichte

• Elektrozyklische

• Photochemische

Weiterführende Literatur:

Ian FlemingGrenzorbitale und Reaktionen organischer Verbindungen

Streitwieser/HeathcockOrganische Chemie

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Chemische Reaktionen (4)

Reaktionskoordinate

Energie

Edukte

Übergangszustand

Produkte

Aktivierungsbarriere

Reaktionswärme

C2H5

C Cl

CH3

H

C2H5

CCl

CH3

H

C2H5

CCl

CH3H

ClCl- +

- ++ Cl-

- -+

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Chemische Reaktionen (5)

Einfachster Fall:

Edukt und Produkt können durch eine eindeutige Reaktionskoordinate verbunden werden, z.B. entlang den zwei Atomen, die eine neue Bindung ausbilden. Der Abstand wird dann kontinuierlich verringert (constraint) während alle anderen Freiheitsgrade optimiert werden.

C2H5

C Cl

CH3

H

C2H5

CCl

CH3

H

C2H5

CCl

CH3H

ClCl- +

- ++ Cl-

- -+

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Chemische Reaktionen (6)

Trägt man die erhaltenen Energien aus jedem Schritt gegen den Abstand auf so erhält man ein Reaktionsprofil

Reaktionskoordinate

Energie

x

x

x

x

xx

x

x

x

xx x

Die stationären Punkte (Minima, Übergangszustand) auf dem Reaktionsprofil müssen überprüft werden! → 2. Ableitung

Edukte

Übergangszustand

Produkte

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Reaktionen in der Gasphase (1)

Was unterscheidet diese von den analogen Reaktionen in Lösung ?

In der Gasphase:

• Konzentration der Reaktanden sehr viel geringer als in Lösung

• Kleinere Dielektrizitätskonstante = 1

In (verdünnter) Lösung:

• Dielektrizitätskonstante und Polarität abhängig vom Lösungsmittel

Wasser 78 bis 80

Dimethylsulfoxid (DMSO) 45

Diethylether 4.34

Kohlenwasserstoffe 1.6 bis 3

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99

Reaktionen in Enzymen (1)

Was unterscheidet diese von üblichen Reaktion in Lösung ?

In Lösung:

• Die Reaktanden müssen sich finden (bimolekulare Reaktionen) diffusionsabhängig, Geschwindigkeitsverteilung

• Fluktuierende Wechselwirkungen mit Lösungsmittelmolekülen (H-Brücken)

In der Bindungstasche eines Enzyms:

• Einmal gebundene Reaktanden stehen sich länger gegenüber

• Starre elektrostatische Umgebung, unter Umständen starke Polarisierung der Reaktanden

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1010

Reaktionen in Enzymen (2)Verbreiterer Irrtum:

„Als Biokatalysatoren reduzieren Enzyme die Aktivierungsenergie“

Tatsache:

Jeder Katalysator induziert einen Übergangszustand der von dem der nicht katalysierten Reaktion verschieden ist.

Bindungs-energie

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1111

Reaktionen in Enzymen (3)

ATP + SerOH ADP + pSer

O P

O

O

O P

O

O

O

P

O

O

O

N

N

NH H

NO

OH OH

CH2

HO

CH2

CH3

O

N HH

OCH3

O P

O

O

O P

O

O

ON

N

NH H

NO

OH OHP

O

O

O

HO

O

N HH

O

Beispiel: Phosphoryl Transfer in cAMP-abhängiger Proteinkinase

d[O-P]

d[H-OP]

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1212

Reaktionen in Enzymen (4)Aktives Zentrum der Proteinkinase von S. cerevisae

Mg2+

Mg2+

O P

O

O

O P

O

O

O

P

O

O

O

N

N

NH H

NO

OH OH

CH2

OH

H

CH3

O

NH2

N+

CH3

HH

H

O

H

H

OH

H

N+

CH3

H H

H

HO

CH2

CH3

O

N HH

OCH3

O O

CH3

O O

CH3

N

CH3

HH

Asn171

Lys 72

Lys 168

Ace-Ser-Nme

-

-

Asp166

Asp184

477

447

635

Gly 55

d[O-P]

d[H-OP]

Hutter & Helms Protein Sci. 8 (1999) 2728

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1313

TS

Reactant

Product

Reaktionen in Enzymen (5)

O P

O

O

OP

O

O

OAMPH

OCH2

CH3

O

N HH

OCH3

dO-P

dH-OP

O P

O

O

OAMP

PO

O

O

H

OCH2

CH3

O

N HH

OCH3

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1414

Lumineszenz (1)Abgabe der Energie eines angeregten Zustandes als Licht beim Übergang in den Grundzustand. „kaltes Leuchten“

Biolumineszenz:chemische Reaktionen in lebenden Organismen bei denen Licht erzeugt wird, z.B. bei Glühwürmchen (Luciferase)In Tiefseeorganismen und Quallen durch GFP, PYP (Fluoreszenz)

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1515

GFP (Green Fluorescent Protein) wird häufig als tag an DNA-Sequenzen angehängt. Mutanten oder modifizierte Aminosäuren ermöglichen eine ganze Palette an Farben.

GFP und ähnliche Proteine

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1616

Lumineszenz (2)Chemielumineszenz:Eine vorgelagerte chemische Reaktion erzeugt ein Molekül im angeregten Zustandz.B. Oxidation von Luminol, Übertragung von Energie auf Farbstoffmoleküle (ermöglicht verschiedene Farben)

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1717

Lumineszenz (3)Elektrolumineszenz:Lichtemisson beim Anlegen einer Spannung an eine (organische)Schicht. Elektronen werden durch die elektrische Energie in angeregte Zustände gehoben aus den Fluoreszenz erfolgt.

Organische Leuchtdioden (OLED)

Hertel et al. Chemie i.u. Zeit 39 (2005) 336.

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1818

Elektrozyklische Reaktionen (1)

Beispiel: Cycloaddition von 1,3-Butadien mit Maleinsäureanhydid

O

O

O

O

O

OH

H

+[4+2]

Konzertierte Bindungsumformation

Gehorchen den sog. Woodward-Hoffmann Regeln und werden durch Wechselwirkung ihrer Grenzorbitale gesteuert

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1919

Elektrozyklische Reaktionen (2)

HOMO: Highest Occupied MO

LUMO: Lowest Unoccupied MO

Grenzorbitale von Ethen H2C=CH2

E

pz pz

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2020

Elektrozyklische Reaktionen (3)Wechselwirkung der GrenzorbitaleBeispiel: Cycloaddition von 1,3-Butadien mit Maleinsäureanhydid

O

O

O

O

O

OH

H

+[4+2]

E

HOMO

LUMO

HOMO

LUMO

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2121

Zusammenfassung ReaktionenAlle chemischen (und auch biochemischen) Reaktionen lassen sichin 4 Klassen einteilen:

• Radikalische (führen meist zu unspezifischen Produkten)

• Zwischen Atomen unterschiedlicher Elektronendichte (überwiegende Mehrheit aller Reaktionen, zahllose Namensreaktionen)

• Elektrozyklische (stereospezifisch, aber nur für Synthese im Labor relevant)

• Photochemische (angeregte Zustände, ungepaarte Elektronen)

Berechnung von Reaktionen:

• Anfangs- und Endzustand, Übergangszustand (Minima und Maximum)

• Reaktionspfad auf der Energiehyperfläche

• Unterschiede zwischen Gasphase, Lösung und enzymatischer Umgebung (Medien stark unterschiedlicher Dielektrizitätskonstante)

• Behandlung angeregter Zustände (CI, CASSCF)

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2222

Bindungsaffinität Ligand-Rezeptor

Ein zentrales Thema des rational drug design:

Vorhersage der Bindungsaffinitäten von Inhibitoren bzw. Liganden

Exzellenter Übersichtsartikel:

Gohlke, Klebe, Angew. Chemie 114 (2002) 2764-2798.

E. Fischer : Enzym und Glycosid müssen wie Schloß und Schlüssel zueinander

passen um eine chemische Wirkung aufeinander ausüben zu können

Paul Ehrlich : Corpora non agunt nisi fixata - Die Körper wirken nicht, wenn sie

nicht gebunden sind.

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2323

Die Form von BindungstaschenEin Vergleich von Antikörper-Bindungstaschen mit geomorphen Formen:

M.Lee, et al. J. Organic Chem. 71 (2006) 5082-5092.

cave

crater

canyon

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2424

Die Form von Bindungstaschen (II)

valley

plain

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2525

beta-Trypsin:Benzamidin (3PTB.pdb)

www.scripps.edu/pub/olson-web/doc/autodock

Enge, sehr polare Bindungstasche auf Proteinoberfläche.

pubchem.ncbi.nlm.nih.gov

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2626

Cytochrome P450cam: Campher (2CPP.pdb)

www.scripps.edu/pub/olson-web/doc/autodock

Weites, recht unpolares aktives Zentrum im Proteininneren.

Hämgruppe katalysiert Reaktion. Partielle Desolvatation.

Wie gelangt das Substrat hinein?

pubchem.ncbi.nlm.nih.gov

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2727

Maus-Antikörper McPC-603:Phosphocholine (2MCP.pdb)

www.scripps.edu/pub/olson-web/doc/autodock

Bindungstasche auf Proteinoberfläche wird durch drei

hypervariable Loops geformt.

pubchem.ncbi.nlm.nih.gov

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2828

Streptavidin:Biotin (1STP.pdb)

www.scripps.edu/pub/olson-web/doc/autodock

Sehr polare, tiefe Bindungstasche.

Außerordentlich hohe Affinität (Ka = 10-14 M, vgl. S.17)

Biotin bildet 7 optimal orientierte Wasserstoffbrücken aus

pubchem.ncbi.nlm.nih.gov

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2929

HIV-1 Protease:XK-263 Inhibitor (1HVR.pdb)

www.scripps.edu/pub/olson-web/doc/autodock

Inhibitor XK-263 stammt von Merck-Dupont. Er enthält eine 7-Ring

zyklische Urea-Einheit mit Phenyl- und Naphtyl-Ringen.

Die CO-Gruppe ahmt das ansonsten konservierte Wassermolekül 301 nach

und verdrängt es. Der tiefere Teil des zyklischen Urea-Rings enthält zwei

benachbarte Hydroxylgruppen, die H-Bindungen mit den katalytischen

Aspartat-Residuen bilden.

pubchem.ncbi.nlm.nih.gov

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3030

Teilnehmer des 5. Solvay Congress (1927)

W. Pauli (1929): The underlying physical laws

for the mathematical theory of a large part of

physics and the whole of chemistry are thus

completely known, and the difficulty is only that

the exact application of these laws leads to

equations much too complicated to be soluble.

Ist Computational Chemistry für Drug Design nützlich?

Gohlke, Klebe, Angew. Chemie 114 (2002) 2764-2798

Man entwickelte mittlerweile sogar

praktische Näherungen, die Anwen-

dungen für Hoch-Durchsatz-

Screening möglich machen!

Computational Chemistry ist essentiell.

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3131

Schätze Protein-Liganden Bindungsaffinität mit Consensus Scoring-Funktionen ab

wie z.B. LUDI/FlexX score, DOCK score, GOLD score, ChemScore, PMF score ...

LUDI Scoring Funktion

H.J. Böhm, J. Comp. Aid. Mol. Des. 8 (1994) 243

Log 1/Ki = 1.4 (0.4) ionische Wasserstoffbrückenbindungen

+ 0.83 (0.3) neutrale Wasserstoffbrückenbindungen

+ 0.03 (0.01) lipophile Kontaktoberfläche

- 0.25 (0.1) Zahl der drehbaren Bindungen

- 0.91 (1.4)

Warum funktioniert diese Funktion?

Welche Rolle spielen die einzelnen Beiträge bei der Bindung? Vgl. G = H - TS

Positives Vorzeichen: konstruktiv; negatives Vorzeichen: abträglich

Essentiell: Scoring Funktionen

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3232

i ist das chemische Potential von Spezies i = R, L, oder RL in der Lösung.

Hält man Druck und Temperatur konstant, formuliert man die Auswirkung der

Zugabe eines Stoffes i auf die Freie Enthalpie des Gesamtsystems:

i nennt man das chemische Potential des Stoffes i in der Mischung. Dies ist nichts

anderes als die partielle, molare Freie Enthalpie von i in der Mischphase bei p und

T, sowie einer gegebenen Stoffzusammensetzung. Das chemische Potential gibt

uns also darüber Aufschluss, wie sich die Freie Enthalpie des Gesamtsystems

ändert, wenn man 1 Mol der Substanz i hinzufügt.

Bindungskonstante (1)Betrachte die nichtkovalente Assoziation von Rezeptor R und Ligand L zum

Komplex RL: R + L RL

Diese Reaktion findet gewöhnlich in einem Lösungsmittel statt, z.B. einem

wässrigen Elektrolyt. Die Bedingung für Gleichgewicht ist:

μsol ,R+μsol ,L=μsol ,RL

μsol ,i=(∂G∂ ni)T ,P

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3333

Bindungskonstante (2)Das (makroskopische) chemische Potential von Spezies i in Lösung ist

ΔG0=μsol ,RL0 −(μsol ,R0 −μsol , L

0 )

¿=−RT ln(γRLγR γ L

C0C RL

C RC L)eq≡−RT ln K RL

μsol ,i=μsol , i0 +RT ln

γiC i

C0

dabei ist sol,i0 das chemische Potential bei Standardbedingungen,

Ci die Konzentration von Spezies i,

i der Aktivitätskoeffizient von i (ist gewöhnlich = 1 bei geringen Konzentrationen) und C0 ist die

Standardkonzentration.

Eine 1-molare (pro Liter) Standardkonzentration C0 entspricht 1 Molekül/1660 Å3.

Für die freie Bindungsenthalpie bei Standardbedingungen ergibt sich:

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3434

ist die Änderung des Gleichgewichtsvolumens, wenn man ein Molekül i zu den N

Solvensmolekülen hinzufügt. Daher ist für große N dies das partielle molare

Volumen des Solute i bei unendlicher Verdünnung.

Der Term ist üblicherweise sehr klein.

Bindungskonstante (3)Das chemische Potential eines Moleküls i in Lösung ist:

μsol ,i0 =(∂G

∂ ni)T ,P=−RT ln( 1

V N , iC0

ZN , i(V N , i)ZN ,0(V N ,0))+P0 V̄ i

Hier ist ZN,i(VN,i) die kanonische Zustandssumme für ein System mit einer großen

Anzahl N an Solvensmolekülen und einem Molekül i in einem Volumen VN,i .

Dieses Volumen ist das Volumen dieses System, bei dem es im Standarddruck P0

(meist 1 atm = 105 Pa) im Gleichgewicht ist.

Entsprechend ist ZN,0 die Zustandssumme für die N Solvensmoleküle ohne gelöstes

Molekül i und VN,0 das entsprechende Gleichgewichtsvolumen.V̄ i≡V N , i−V N ,0

P0 V̄ i

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3535

Für eine genaue Herleitung siehe Gilson et al. Biophys. J. 72, 1047 (1997).

Die Berechnung dieser Zustandssummen z.B. durch molekulare Simulationen

ist nun in der Praxis problematisch (da molekulare Simulationen nur einen

kleinen Bereich des Konfigurationsraums durchsuchen = samplen können).

Diese Herleitung dient vor allem dazu aufzuzeigen, dass die Berechnung von

Bindungskonstanten kein fundamentales Problem ist.

Sondern (nur) ein praktisches, wie im folgenden gezeigt wird.

Bindungskonstante (4)Mit einem typischen Molekülmechanik-Kraftfeld

H ( p i , pS , ri , r S)= ∑j=1

Mi+M

S p j2

2m j

+U (r i , r S)

läßt sich die Zustandssumme in getrennte Integrale über Impulse p und

Koordinaten r aufspalten. Dann folgt ...

ΔGRL0 =−RT ln( C08 π2 σ Rσ L

σ RL

Z N ,RL Z N ,0

ZN ,RZ N , L)+P0ΔV̄ RL

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3636

Bindungskonstante (5)

K A=K D−1=K i

−1=[RL ][R ] [ L ]

ΔG=−RT ln K A=ΔH−TΔS

Raq+ Laq k⃗→

k⃗←

RLaq

Assoziationskonstante KA

Dissoziationskonstante KD

Inhibitionskonstante Ki

+

Die thermodynamische Größe Gbind besagt, wo das Gleichgewicht zwischen

ungebundenem Paar R, L und gebundenem Komplex R:L liegt.

Sie sagt nichts darüber aus, wie schnell die Bindung geschieht.

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

3737

Bindungskonstante (6)

Experimentell bestimmte Dissoziationskonstanten liegen

in einem Bereich von 10-2 bis etwa 10-12 M („pikomolarer Inhibitor“)

Dies entspricht einer Freien Standardbindungsenthalpie von

-10 bis -70 kJ mol-1 bei T=298K.

Wichtige Energiebeiträge (G = H ‒ TS):

- Elektrostatische Wechselwirkungen – Salzbrücken, Wasserstoffbrückenbindungen,

- Dipol/Dipol-Wechselwirkungen, Wechselwirkung von -Elektronensystemen,

- Solvatationsbeiträge und Desolvatationsbeiträge (die meisten Enzyminhibitoren

haben eine vorwiegend hydrophobe Oberfläche)

- Komplementarität der Raumstruktur = van-der-Waals-Wechselwirkung

- Entropische Beiträge (Verlust von Freiheitsgraden der Rotation, Verdrängung

von Wassermolekülen aus der Bindungstasche)

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3838

Bindungsaffinität

Metallionen oder Metalloenzyme

kleine Anionen

natürliche Liganden Enzyminhibitoren

linearer Anstieg der freien

Bindungsenthalpie zu Beginn

bis ca. 15 Nicht-H-Atome

GBindung = - 60 kJ mol-1 maximal.

Dann wird Sättigung beobachtet:

Kuntz, Chen, Sharp, Kollman, PNAS 96, 9997 (1999)

Bindungstaschen sind vorwiegendhydrophob, deshalb ist die Anzahlelektrostatischer WW begrenzt. Ziel: nano- und pico-molare Inhibitoren.Allerdings hätten femtomolare Liganden kinetische Konstanten, die in Jahren gemessen werden müssten. Solche Inhibitoren könnten prinzipiell bisher unerkannt existieren, sind aber nicht erwünscht. → wieso?

Page 39: Computational Chemistry V11

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3939

Salzbrücken (1)

Salzbrücken zwischen entgegengesetzt geladenen Gruppen sind die am

stärksten elektrostatisch dominierten Wechselwirkungen.

Ihre Stärke berechnet sich im Prinzip aus der Coulomb-Wechselwirkung.

Variablen: - atomare Partialladungen qi, qj (von Ligandenatomen abhängig)

- effektive Dielektrizitätskonstante r der Umgebung

- Abstand der beiden Gruppen rij

Salzbrücken gibt es meist auf der Proteinoberfläche (Komplexierung von Ionen),

seltener im Proteininneren (z.B. zwischen Asp und Lys). Für einzelne geladene

Gruppen für sich ist die Ion-Dipol WW mit Solvensmolekülen energetisch

günstiger als hydrophobe van der Waals-WW im Proteininneren.

Fcoul=1

4 πε0 εr

q iq jrij2

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4040

Salzbrücken (2)

Datenbank für statistische Präferenz für die

Orientierung von Aminosäure-Seitenketten in

der PDB-Datenbank:

http://www.biochem.ucl.ac.uk/bsm/

sidechains/index.html#

Häufigkeit von 1845 Asp-Lys-Kontakte

in PDB-Datenbank

84

66

60

34

31

bifurcated H-bond

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4141

Wasserstoffbrückenbindungen

Wasserstoffbrückenbindungen beruhen auf der elektrostatischen Anziehung

zwischen einem an ein elektronegatives Atom X (meist N oder O) gebundenen

Wasserstoffatom und einem weiteren elektronegativen Atom Y.

Charakteristische Abstände X-Y: 2.5 bis 3.2 A

hier: X-H … Y-Winkel 130° bis 180° (ideal)

Die Stärke = energetische Stabilisierung einer Wasserstoffbrücke hängt von

ihrer jeweiligen Umgebung ab, da die Coulomb-Wechselwirkung von der

Dielektrizitätskonstante r des umgebenden Mediums abhängt.

H-Bindungen innerhalb einer Membranumgebung (aber auch im

Proteininneren) sind (abstandsbezogen) energetisch wesentlich stärker als in

Wasser (da r im Nenner steht).

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4242

-stacking von aromatischen Ringen

Aromatische Ringe (z.B. Phenol, Benzol, Seitenketten von Tyrosin, Phenylalanin,

Tryptophan, Histidin …) besitzen delokalisiertes Elektronensystem ausserhalb

der Ringebene.

Mehrere dieser Ringe “packen” gerne aufeinander bzw. senkrecht zueinander.

Cluster Phe-Tyr 1 4

Solche Effekte sind durch die üblichen Molekülmechanik-Kraftfelder schlecht

zu modellieren! Warum? →Ladungen nur den Atomen, keine gegenseitige

Polarisation (=dynamische Effekt, Elektrostatik hier nur statisch)

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4343

-stacking: Modellsystem Benzol-Dimer

Tsuzuki et al. J.Am.Chem.Soc. 124, 104 (2001)

-1.48 kcal/mol

Aromatische Ringe wechselwirken

mittels einer Kombination von

Elektrostatik und Dispersionswechsel-

wirkungen, also van der Waals WW.

Beide Wechselwirkungen sind stark

orientierungsabhängig.

Sowohl parallele wie senkrechte

Anordnungen (T-shaped) sind begünstigt.

Genaue Berechnungen sind sehr

aufwändig:

Erfordern die Berücksichtigung von Korrelationseffekten zwischen den Elektronen (vdW-WW), sowie große Basissätze mit Polarisationsfunktionen:Ohne Korrelationseffekte (nur Hartree-Fock) resultiert keine Anziehung.Möller-Plesset (MP2) Störungstheorie überschätzt die Anziehung (etwas).Deshalb coupled cluster Theorie für genaue Ergebnisse erforderlich.

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4444

Modellsystem Benzol-Dimer

T-shaped dimer parallel displaced dimer

Tsuzuki et al. JACS 124, 104 (2001)

-2.48 kcal/mol

-2.46 kcal/mol

Beide Minima nahezu isoenergetisch.

Änderung der Nullpunktsenergie = + 0.37 kcal/mol

Bindungsenthalpie 2.2 kcal/mol (expt. 1.6 0.2)

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4545

-stacking von aromatischen Ringen

Ein ideales Beispiel für die günstige parallele Orientierung von aromatischen

Ringsystemen sind DNA/RNA. Die Wechselwirkung für das “Ring-Stacking” beträgt

etwa -8 bis -25 kJ mol -1 pro Base (inkl. des energetischen Beitrags der

Wasserstoffbrückenbindungen).

B Form:Fast perfekte parallele Stapelung.

A Form:Die Basen sind leicht gekippt, wenigerparallel und nicht perfekt senkrechtzu Duplexachse.

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4646

Kationen--Wechselwirkung (1)

Aromatische Ringe (Phenylalanin,

Tyrosin) wechselwirken gerne senkrecht

zur Ringebene mit positiv geladenen

Gruppen. (Ion-Quadrupol WW)

Beispiele: Acetylcholin in der

Bindungstasche von

Acetylcholinesterase

Tyr-LysCluster 6

Bevorzugte Geometrien für die Wechselwirkung von Trimethyl-Ammoniumgruppen mit Phenyl-Ringen Gohlke & Klebe, JMB 2000

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4747

Kationen--Wechselwirkung (2)

Wechselwirkung der positiv geladenen Guanidinium-Gruppe von Arg mit dem

-Elektronensystem von His.

Fast immer planare Packung. Nur in Cluster 3 Ausbildung einer Wasserstoffbrücke

N-H … N

1 2 3 4

Arginin kann H-Brücken in der Ringebene ausbilden (hydrophil), als auch hydrophobe

Kontakte oberhalb und unterhalb der Ringebene.

Page 48: Computational Chemistry V11

9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

4848

elektronische Polarisation

Molekül-Mechanik-Kraftfelder modellieren die elektronische Ladungs-

verteilung der isolierten Bindungspartner (Ligand und Rezeptor) in Vakuum

oder in Lösung (je nach verwendetem r).

Bei der Bindung kann es jedoch zu Ladungsverschiebungen (“Polarisation”)

kommen, die stets eine Erhöhung der Affinität bewirken.

Der Effekt dieser elektronischen induzierbaren Verschiebungs-Polarisation

im Vergleich zur statischen Polarisation beträgt etwa 10 - 20%.

Das kann also z.B. für die Bindung zweier entgegengesetzt geladener Ionen

in Wasser sehr wichtig sein.

Allerdings werden die (meisten) Kraftfelder (GROMOS,…) implizit so

parametrisiert, daß sie solche typisch auftretenden Situationen angemessen

wiedergeben können (mit Ausnahme von Stacking Effekten zwischen

aromatischen Ringen).

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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explizite elektronische Polarisierbarkeit

Realisierung in Kraftfeldern (z.B. neuere AMBER-Kraftfelder) durch zwei

zusätzliche Terme für die Wechselwirkung induzierbarer Dipole.

WW aller el. Ladungen

WW einer el. Ladung im Feld der

induzierten Dipole

WW aller induzierten Dipole

induzierte Dipole müssen iterativ berechnet werden Rechen-Aufwand wird

2-4 mal höher.

Alternative: quantenchemische Behandlung von Protein(-teilen) und Ligand

Eqq=12∑i

N

∑j≠i

N q iq j4 πε0 ε r r ij

Eqd=−∑i

N

∑j≠i

N qi μind

j⋅r ij4 πε0 εr rij3

Edd=−12∑i

N

μind

i⋅∑j≠i

N 3 r ijr ij+~1 rij

2

4 πε 0 εr r ij5μind

j

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Titrationszustände

Bei physiologischem pH-Wert von 7.4 sind in Proteinen die Seitenketten der sauren und

basischen Residuen gewöhnlich geladen.

pKa -Wert

Arginin 12.5 positiv

Lysin 10.8 positiv

Asparaginsäure 3.9 negativ

Glutaminsäure 4.1 negativ

Der genaue Protonierungszustand hängt von den lokalen elektrostatischen Verhältnissen

in der Umgebung der jeweiligen funktionellen Gruppe ab und kann sich sogar während

der Ligandenbindung ändern. Ebenso kann sich der Protonierungszustand

entsprechender Gruppen im Ligand bei der Bindung ändern.

Bei der Berechnung von Bindungsaffinitäten müssen die Titrationszustände aller

wichtigen Gruppen bekannt sein. Ebenso kommen verschiedene Tautomere des

Liganden in Frage (Keto-Enol, Imin-Enamin, ...)

→ Problem beim Docking; welches Tautomer ist das Richtige?

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Hydrophober Effekt (1)Beobachtung, dass die Überführung einer unpolaren

Substanz/Oberflächenbereichs aus einem organischen bzw. unpolaren

Lösungsmittel ( = 1-2) in Wasser ( = 80)

(a) energetisch stark ungünstig ist

(b) bei Raumtemperatur zu einer Abnahme der Entropie führt

(c) zu einer Zunahme der Wärmekapazität führt (quasi ein Phasenübergang).

Eisberg-Modell

Kauzman 1959

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Hydrophober Effekt (2)

Der Beitrag hydrophober WW zur Freien Enthalpie bei der Proteinfaltung und

der Protein-Liganden-Wechselwirkung kann als proportional zur Größe der

während dieser Prozesse vergrabenen hydrophoben Oberfläche angesehen

werden.

Löslichkeit von Kohlenwasserstoffen in Wasser: -0.10 bis -0.14 kJ mol-1 Å-2 .

Typische Oberflächen : Methan CH4

Benzol CH6

Das Vergraben einer zusätzlichen Methylgruppe (ca. 25 Å2) liefert

-2.75 bis -6 kJ mol-1 , was eine Erhöhung der Assoziationskonstante um einen

Faktor 3-11 bewirkt. Deshalb sind pharmazeutische Wirkstoffe (meistens)

hydrophob. (Bindungstaschen sind ebenfalls meistens hydrophob).

Deshalb: affinere Liganden sind typischerweise hydrophober

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Rezeptor

Ligand

Affinität: G = H -TS

Displaced H2O

Gebundene und assoziierte H2O

Bei Komplexbildung:

• werden Wassermoleküle verdrängt (dies ist entropisch günstig)

• verlieren Rezeptor und Ligand entropische Freiheitsgrade (Rotationen)

• werden günstige Wechselwirkungen R:L gebildet

Komplikation: gegenseitige Kompensation von Enthalpie und Entropie

Verdrängte H2O

Solvation der Bindungsstelle

cassandra.bio.uniroma1.it/ESFcourse/Koch.ppt

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Solvatation und Desolvatation

Polare und geladene Gruppen von Rezeptor und Ligand befinden sich meist an

der Oberfläche. Sie sind also solvenszugänglich.

Umgebende Wassermoleküle richten sich bevorzugt aus und bilden

H-Brücken mit diesen aus.

Bei Bildung des Komplexes bilden Rezeptor und Ligand miteinander H-Brücken.

Wassermoleküle in der Bindungstasche werden zum Teil verdrängt,

oder sie müssen sich re-orientieren und untereinander H-Brücken bilden.

Was ist die Nettobilanz? Sehr wenig Auswirkung auf Affinität!

Aber sehr wichtig für die Spezifität des Liganden.

Ligandenmoleküle, denen eine oder mehrere polare Gruppen fehlen um

H-Brücken mit dem Rezeptor zu bilden, haben eine geringe Affinität!

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Desolvatation

Geladene Gruppen werden in Wasser perfekt solvatisiert (Ion-Dipol WW

mit Wassermolekülen), auch die von Aminosäureseitenketten.

Sie ins Proteininnere zu bringen, ist energetisch meist unvorteilhaft, und

wird bei der Proteinfaltung grundsätzlich vermieden,

außer diese können paarweise Salzbrücken ausbilden (elekrostatische

Anziehung, z.B. Asp--Lys+) und auf diese Weise die Faltung stabilisieren.

Ansonsten findet man geladene Aminosäurereste lediglich in aktiven

Zentren, wo chemische Reaktionen katalysiert werden sollen.

Dort werden zudem Metallionen (v.a. Zn, Fe) koordinativ (über freie

Elektronenpaare) oder elektrostatisch wie bei Salzbrücken gebunden.

(z.B. durch die Seitenketten von Cys, His, Asp, Glu)

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Entropische Effekte

Bei Komplexbildung P:L wird die Anzahl der Freiheitsgrade des Systems

reduziert: vorher 2 frei bewegliche Teilchen, im Komplex nur 1 Teilchen

Daher Verlust von 3 translatorischen und 3 rotationellen Freiheitsgraden.

6 * ½ kT 7.5 kJ/mol

Reduktion der Beweglichkeit = “Einfrieren” von drehbaren Bindungen des

Liganden? Wenn möglich Doppelbindungen anstelle von

Einfachbindungen und rigide Ringsysteme einbauen.

Reduktion der Beweglichkeit von Seitenketten des Proteins?

Gebundene Wassermoleküle an Protein- und Ligandenoberfläche gehen in

Lösung – ist entropisch günstig – wird jedoch bereits durch hydrophoben

Effekt beschrieben.

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Konformationssampling

Man muss bei der Berechnung der Bindungsaffinität die möglichen

Konfigurationen des Liganden im gebundenen und im ungebundenen Zustand

kennen!

Verwende Techniken des Konformationsamplings (siehe Vorlesung 6)

Anwendung: Multiple Minima Mining

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Freie Energie Rechnung – Thermodynamische Zyklen (1)Im praktischen Fall ist man oft an dem relativen Unterschied G21 der freien

Bindungsenthalpien zweier Liganden 1 und 2 interessiert. Dieser kann durch

einen thermodynamischen Zyklus mit zwei alchemistischen Mutationen im

Komplex und in Lösung bestimmt werden.

+

+

G1

G2

Galchem1_2_aq Galchem1_2_complex

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

5959

Thermodynamische

Perturbation

Freie Energie Rechnung – Thermodynamische Zyklen (2)

Der relative Unterschied der freien Bindungsenthalpie zweier Liganden 1 und

2 kann durch einen thermodynamischen Zyklus aus 2 MD-Simulationen für

eine alchemistische Mutation im Komplex und in Lösung bestimmt werden.

Berechne die Differenz der freien Enthalpie zwischen zwei Systemen mit den

Hamiltonians H0 und H1, wobei die „0“ und „1“ die Systeme mit Ligand 1 oder

2 sind.

ΔF=F1−F0=−kBT ln ⟨exp(−H1 ( x )−H 0 (x )kBT )⟩0

G21 = G2 - G1

= G2 - (G2 + Galchem1_2_aq - Galchem1_2_complex)

= Galchem1_2_complex) - Galchem1_2_aq

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Alternativ zur thermodynamischen Perturbation

thermodynamische Perturbation

thermodynamische Integration

kann man den Unterschied der freien Enthalpie auch per thermodynamischer

Integration berechnen.

Sofern das Sampling ausreichend ist, geben beide Methode (fast) identische

Ergebnisse.

Thermodynamische Integration

ΔF=F1−F0=−kBT ln ⟨exp(−H 1( x )−H0 ( x )kBT )⟩0

ΔF=F1−F0= ∫λ=0

λ=1

⟨∂ H λ ( x )∂ λ

⟩λdλ

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Worauf beruht nun der Erfolg von Scoring-Funktionen?

- bei der Berechnung von Wechselwirkungsenergien müssen sehr große

Terme berechnet werden, die alle mit einem Fehler behaftet sind.

- Allerdings profitiert man bei der Berechnung von relativen Unterschieden der

Bindungsenergie mehrerer Liganden von der gegenseitigen Aufhebung von

Fehlern

- Scoring-Funktionen enthalten optimierte Gewichtungsparameter für

verschiedene Energieterme bzw. Eigenschaften der Liganden wie Oberfläche,

Dipolmoment etc.

- daher sind sie für bestimmte Molekülklassen erfolgreicher als empirische

Kraftfelder, die allgemein gelten sollen.

- Scoring-Funktionen sind üblicherweise nicht für die Berechnung von

Energiegradienten ( Konformationssampling à la MD-Simulation) gedacht

sondern nur für die Bewertung (Scoring) von gefundenen Konformationen.

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

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Wissensbasierte Scoring-Funktionen

Ziel: Wandle experimentell beobachtete Verteilungen Nij zwischen Atomen in Paar-

Potentialfunktionen Wij um. Berechne normalisierte abstandsabhängige

Verteilungsfunktionen gij für Paare von Atomtypen i and j und daraus ein Paarpotential

1 2 3 4 5 6R [Å]

g(R)

Referenz (zwischen 2 beliebigen Atomen)C(ar)…C(ar)C(sp3)…C(sp3)

1 2 3 4 5 6R [Å]

-Ln (g(

R)/g r

ef(R

))

C(ar)…C(ar)C(sp3)…C(sp3)

0

-1

4

MJ Sippl, J. Mol. Biol, 1990, 213, 859-883I. Muegge, YC Martin, J. Med. Chem., 1999, 42, 2498-2503

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9. Vorlesung Computational Chemistry SS20

6363

Zusammenfassung Bindungsaffinität

Die statistische Mechanik ist eine solide Grundlage für die Berechnung von

Bindungsaffinitäten.

“Regeln” wie man die Bindungsaffinität eines Liganden erhöhen kann:

(1) Alle Möglichkeiten für polare Bindungen mit dem Rezeptor müssen

ausgeschöpft werden. → erhöht Selektivität

(2) Verbessere den sterischen Fit der Oberflächen – Ausfüllen eventueller

Kavitäten. → erhöht Selektivität

(3) Mache ihn im freien Zustand steifer (weniger Freiheitsgrade werden bei der

Bindung an Protein eingefroren). → verringert Entropieverlust

(4) Mache ihn unpolarer. Kann problematisch werden wegen schlechterer

Löslichkeit. → erleichtert Desolvatation

(5) Mache ihn größer. Kann problematisch werden, da eventuell schlechtere

Transporteigenschaften. → Verdrängung von Wasser aus der Bindungstasche

= Rationales drug design anhand thermodynamischer Erwägungen