Connection spirit 1/2-2014: Geben & Empfangen

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHE Schweiz 16,80 sfr, übrige EU-Länder 9,40 € 1–2/2014 30. Jg. B 6128 www.connection.de 9 Geben & Empfangen Geben & Empfangen Interviews mit Konstantin Wecker, Stanislav Grof und Patrick Aigner. Texte von Christian Felber, Charles Eisenstein, Monika Herz, Bobby Langer, Torsten Brügge, Marietta Schürholz und anderen Karma-Yoga, Schenk-Ökonomie, Ehrenamt Innovative Randgruppen und gesellschaftliche Pioniere zwischen Hingabe und Selbstausbeutung

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Geben & Empfangen: Karma-Yoga, Schenkökonomie, Ehrenamt. Innovative Randgruppen und gesellschaftliche Pioniere zwischen Hingabe und Selbstausbeutung

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DAS MAGAZIN FÜRS WESENTLICHESchweiz 16,80 sfr, übrige EU-Länder 9,40 € 1–2/2014 30. Jg. B 6128

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Interviews mit Konstantin Wecker, Stanislav Grof und Patrick Aigner.Texte von Christian Felber, Charles Eisenstein, Monika Herz, Bobby

Langer, Torsten Brügge, Marietta Schürholz und anderen

Karma-Yoga, Schenk-Ökonomie, Ehrenamt Innovative Randgruppen und gesellschaftliche Pionierezwischen Hingabe und Selbstausbeutung

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eben ist Austausch. Wenndas Geben und Empfan-gen eines lebendigen Or-

ganismus aufhört, tritt der Tod ein.Der lebendige Körper ist materi-ell gesehen im Grunde nur einStoffwechselvorgang. Er nimmtLuft, Wasser und Nahrung in sichauf und gibt sie verwandelt wiederab an die Umgebung. Auch auf dergeistigen Ebene ist der Organis-mus ein ständiger Tauschvorgang:Das Empfangen und Geben vonGedanken und Gefühlen machtunser Leben aus. Die Ruhe, die wirin der Meditation erstreben, ist nurder Hintergrund dieses lebhaftenGeschehens. In diesen Hinter-grund hinein können wir uns ver-senken, dann erfahren wir inmit-ten dieses Gebens und NehmensStille. Das Geben und Nehmenaber geschieht währenddessenweiter, so wie ein Körper ja auchnicht zu atmen aufhört, wenn erschläft, nachdenkt oder geistes-abwesend ist.

Weniger kann mehr sein

Auch der Austausch von Warenund Geld in der Wirtschaft ist einGeben und Nehmen, das nichtzum Stillstand kommen sollte, so-lange Menschen miteinander le-ben. Bis zu einem gewissen Gradist dieser Austausch ein Zeichenvon Wohlstand: Je mehr wir da-von haben, desto besser, reicher,auch abwechslungsreicher und le-bendiger ist unser Leben. Ab ei-nem gewissen Ausmaß solchenAustauschs aber wird das Ein-nehmen und Ausgeben von Geldund ein hoher Warenverkehr zurBelastung. Noch ein bisschen rei-cher zu sein als der Durchschnitts -verdiener macht Menschen nichtnoch glücklicher. Bei noch mehrReichtum, Geld, Austausch oderMacht besteht die Gefahr großerZerstörung für die Gesellschaftund die Natur.

Kommerzialisierung

Wegen dieser Dynamiken be-schäftigen sich nun nicht mehr nurÖkos und Sozis, sondern immermehr auch Spiris – spirituell en-gagierte Menschen – mit den Ei-genschaften unseres Wirtschafts-systems, das in seiner alles fres-senden Wachstumssucht kaum ei-

nen Bereich des Menschlichenmehr unkommerzialisiert gelas-sen hat. Auch Spiritualität undEsoterik ist zu einem Markt ge-worden, der die Tendenz unauf-hörlichens Wachsens in sich trägtund dabei die Angebote verflachtund oft nicht die Wahrhaftigen,sondern die besseren Heuchlerbelohnt. Spiritualität ist großen-teils zur Popspiritualität verkom-men. Die ernsthafteren unter denSuchern suchen nun nach Alter-nativen zu den Alternativen – undbefassen sich auch mit der Öko-nomie ihres eigenen Daseins.

Die Spaltung

Dabei stoßen sie auch auf schwe-rer zu akzeptierende Seiten ihrerExistenz, wie etwa die Tatsache,dass gerade die Gruppen, die sichpositives Denken zur Leitlinie ge-macht und ein Leben ohne Man-geldenken auf die Fahnen ge-schrieben haben, sich oft schwertun, bei ihrem Leben nach Her-zenswunsch und der neuen – al-ternativen oder spirituellen – Pra-xis auch nur einen bescheidenenLebensunterhalt zu verdienen.Für die meisten von ihnen ist dasLeben deshalb gespalten in einenAlltag, in dem sie mit einer unge-liebten, oft zudem Mensch undNatur zerstörenden Arbeit dasnötige Geld verdienen, um sichdann in ihrer Freizeit nach Her-zenslust spirituellen Themen wid-men zu können. Wer den Schritt in eine Aufhebungdieser Spaltung macht, erfährt da-bei oft die Begeisterung eineshoffnungsvollen Aufbruchs zuneuen Formen des menschlichenZusammenlebens und des Um-gangs mit der Natur – während-dessen aber auch das Leid der Pio-niere: Sie arbeiten für etwas, das

noch nicht da ist und wirtschaft-lich noch keine Früchte trägt. Siepflanzen die Saat von Neuem,können aber noch nicht ernten.

Gestresste Pioniere

In diesen Randgruppen der Ge-sellschaft, die für eine ökologischeund spirituelle Wende unsererganzen Wirtschaft und Kultur sowichtig sind, wird nur selten aus-reichend Geld verdient. Wer sichdort hinein begibt, lebt von Er-spartem, von Sozialgeldern – oderlernt verzichten. Weniger ist oftmehr. Man lebt auf dem Land, inGemeinschaften, teilt sich Fahr-zeuge und nutzt Räume gemein-sam und hat so Vorteile, die sichmit dem BIP pro Kopf nicht mes-sen lassen. So vorbildlich der öko-logische Fußabdruck eines solchenLebens auch sein mag, der Main-stream nimmt davon kaum Notizund macht mit seiner Ressour-cenzerstörung weiter wie bisher. Eine Gesellschaft, die ihre Pio-niere nicht belohnt – sie beim Aus-probieren des Neuen oft nicht malfreizügig üben lässt – begräbt da-mit die Hoffnung auf ihr eigenesÜberleben. Während der Levia -than der jetzigen Weltwirtschaftauf den Abgrund zusteuert, soll-ten wir auf diese Randgruppenachten: Wenn überhaupt irgend-wo, dann wächst dort die Chanceeines Überlebens heran!

Editor

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Wolf Schneider, [email protected]: www.schreibkunst.comFO

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L Wo aber Gefahr ist, wächst dasRettende auch

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JANUAR-FEBRUAR 1-2/2014

S. 54 – 56

Er ist einer der Pioniere der psychothera -peutischen Arbeit mit Psychedelika undder transpersonalen Psychotherapie:Stanislav Grof. Zusammen mit seiner FrauChristina hat er mit LSD, MDMA undanderen psychoaktiven Substanzengearbeitet und dabei das Holotrope Atmenentwickelt. Connection-Autor MaximKormann sprach mit ihm über sein Leben,seine Arbeit und was er damit trotz allerWiderstände hat erreichen können

S. 62 – 65

Einheitserfahrungen sind wunderbar undekstatisch, aber auch nach der

Erleuchtung muss die Wäsche gewaschenwerden. Torsten Brügge, der mit PadmaWolff zusammen die Bodhisattva-Schule

leitet und auf connection.de bloggt,erklärt hier den »Absolutisten des Einen«,

wie wichtig es, nach einer tiefenErfahrung der Einheit nicht das »bloß Relative« zu verdammen

Geben & Empfangen

Was in Indien Karma-Yoga oder Seva heißt, ist bei uns das Ehrenamt, ein Dienen für

Gotteslohn, zur Karmaver besserung oder ausreiner Liebe. Solche Dienste gibt es, seit es die

Idee gibt, dass eine übernatürliche Instanzbelohnen könnte, was auf Erden nicht vergoltenwird. Oder seit wir wissen, dass Geben Freude

macht, Verbindungen schafft, und dass wirdabei menschlicher werden. Auch die meistenspirituellen Randgruppen von heute können

sich wirtschaftlich nur auf diese Weise tragen

S. 20 – 45

Interview mit Stanislav Grof

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3 Editorial

7 Hier & Jetzt: die Kurzmeldungen

12 Wilhelm Busch über den Wert von Kunst, illustriert von C. v. Puttkamer und Jeff Koons14 Wir verplempern unsere Zeit, meint Stefan Pinkert während einer Fahrt im ICE16 Klimahappen: Man gönnt sich ja sonst nichts. Wir sollten unser Klima nicht

verfrühstücken, warnt Bobby Langer

Schwerpunkt: Geben & Empfangen

20 Medienarbeit im Kapitalismus. Wolf Schneider hat selbst erlebt, wie schwierig das ist28 Die Renaissance der Menschheit. Charles Eisenstein möchte den Kapitalismus durch

eine Geschenkkultur und Heilige Ökonomie ersetzen

32 Vom Vati-can-Geld zum Mami-can-Geld. Monika Herz macht dem Papst einenumwerfenden Vorschlag

34 Kunstvoll schöpfend, finanziell erschöpft. 2010 starteten drei Mutige in Wien eine»Zeitschrift für Barfußpolitik«

37 Ehrenamt jetzt und dann. Irene Garcia Garcia kandidiert für Die Violetten und wirbt fürdas BGE

38 Gemeinwohl als Gewinn. Christian Felber gibt mit seiner »Gemeinwohlökonomie« derWirtschaft eine ethische Grundlage

41 Radikal ehrenamtlich. Wolfram Umlauf, der Macher von Jetzt TV, hat die Vision einerradikal ehrenamtlichen Gesellschaft

42 Ökonomie der Verbundenheit. Marietta Schürholz und Dirk Schumann berichten vonPlätzen, wo eine andere Ökonomie praktiziert wird

44 Arbeiten an einem Ort, wo andere Urlaub machen. Ralf Lichtenfeld hat die Arbeit in denZentren des Club Med erlebt

46 Wut & Liebe. Der Liedermacher und Pazifist Konstantin Wecker ist überzeugt, dass wirbeides brauchen

50 Das Connectionhaus als Altersruhesitz. Wolf Schneider kündigt einen neuen Abschnittim Leben dieses traditionsreichen Hauses an

54 »Das ist das größte Problem: die Erfahrungen im Leben zu integrieren«, antwortetStanislav Grof, befragt von Maxim Korman

58 Erwachen durch Alkohol? Patrick Aigner provoziert gerne, auch im Connection-Interviewmit Gabriele Palm

62 Der Erdbeergeschmack des Absoluten – Torsten Brügge erklärt die Advaita-Falle anhandvon Erdbeeren

67 Regenbogenfarbene »Lichtbündel-Wesen« und Hologramme sieht Alexander. Baldkommt er ins Connectionhaus

68 Filme

70 Bücher

74 Leserbriefe

78 Marktplatz

80 Veranstaltungskalender und Inserentenverzeichnis

82 Vorschau/Impressum

, Zeitschrift für Lebenskunst, Weisheit, Humor und ein integrales Verständnis des menschlichen Lebens. Erscheint alle zwei Monate mit einem starken Schwerpunkt. Gegründet1985, ist Connection Spirit die älteste transkonfessionelle spirituelle Zeitschrift auf deutsch.Fachmagazine über Tantra und Schamanismus aus demselben Verlag ergänzen sie.

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20 Januar-Februar 1-2/2014 · www.connection.de

GEBEN & EMPFANGEN

Medienarbeit imKapitalismus

VON WOLF SCHNEIDER

Was diese Zeitschrift war, was sie ist,

was sie sein kann

Auch eine Zeitschrift hat ein Eigenleben, eine Identität, einen Geist, fast wie ein Mensch. Und sie ist eine Ware, die sich auf einem Marktbewegt. Dort gibt und empfängt sie: Ideen, Meme, Eigenschaften.

Dort hat sie Erfolg oder scheitert, meist beides, und wird von beidemgeprägt – ein Wesen mit Charakter, eine Persönlichkeit. Hier erzählt der Verleger aus der Geschichte dieser Persönlichkeit

und Handelsware. Aus der Zeit, in der sie gestaltet wurde, und die sie mitgestaltet hat – und entwirft eine Zukunft

Connection wird auch im Ramana-Ashram in

Tiruvannamalai gelesen

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GEBEN & EMPFANGEN

den Lebensunterhalt verdient, und die Frei-zeit oder Zeit in der Familie und unter Freun-den, wo man macht, was man gerne tut. Ob-wohl ich meine Arbeit als Taxifahrer moch-te – für mich war sie keine Maloche, son-dern hatte immer auch einen Aspekt vonAbenteuer –, war dieses in Pflicht und Kür,Wollen und Müssen gespaltene Leben auchlange Zeit die Regel. Für die meisten Men-schen ist diese Gespaltenheit ein Arbeitsle-ben lang der Normalzustand. Mit der Gründung der Zeitschrift Connec-tion im Jahr 1985 war für mich die Möglich-keit entstanden, diese Spaltung aufzuhebenund »meine Berufung zum Beruf« zu ma-chen.

Eine Zeitschrift entsteht

Die Zeitschrift, die du jetzt in Händen hältst,entstand aus einer Laune heraus im Winter1984/85 am Küchentisch einer MünchnerWG. Weil man für sowas eine Rechtsformbraucht, gründeten wir einen Verein. Aberwelcher kreative Abenteurer will schon ei-nen Verein verwalten? Weil kein anderer denJob wollte und wir ihn doch brauchten, ließich mich von diesem e.V. zum Vorstandwählen. Ein Jahr später hatte das Projektetwas größere Ausmaße angenommen, ichwandelte es deshalb in eine Einzelfirma um,die war leichter zu handhaben als das Pro-zedere eines Vereins. Außerdem machten wirMinus, jemand musste die Verluste tragen,und als Inhaber des Verlages konnte ich dasKonto mit ein paar Taxischichten wieder auf-

füllen. Bald bekam ich bei meiner Hausbanksogar, trotz vorgelegter fragwürdiger Bilan-zen und des Fehlens jeglicher Sicherheiten,70.000 DM Überziehungskredit – heute er-scheint uns das wie ein Märchen aus eineranderen Zeit.

Aufbauarbeit

Meine Arbeit tat ich gerne, obwohl immerviel zu tun war und das Geld immer knapp.Als Taxifahrer gelang mir das Geldverdie-nen vergleichsweise leicht, da hatte ich im-mer genug und konnte viel verschenken. AlsZeitschriften-Unternehmer aber war esknapp, verschenken ging nicht mehr, ichmuss te streng haushalten, und meine eige-ne Arbeit war so gut wie unbezahlt. Daskannte ich ja von den anderen Projekten her:Aufbauarbeit ist spannend und kann sehr er-füllend sein, aber einen Gewinn gibt es da-

st es nicht merkwürdig, dass wir uns einEnde der Welt – eine Welt, in der sich dieMenschheit selbst vernichtet hat – leich-

ter vorstellen können als ein Ende des Ka-pitalismus? Wir sind gebannt von der Ge-sellschaft, in der wir leben. Insbesondere vonder hier geltenden Wirtschaftsordnung, sieprägt unser Denken und Fühlen. Diese Ge-sellschafts- und Wirtschaftsform erscheintuns als ganz normal, fast so wie die Tatsa-che, dass alles, was wir hochwerfen, auch wie-der runterfällt. Alternativen? Kann man sichkaum mehr vorstellen. Fast jede Region derWelt hat sich dieses System inzwischen ge-fügig gemacht. Oder gibt es irgendwo nocheine Insel, deren Boden man nicht kaufenkann, weil Boden heilig ist?

Die Weltgesellschaft

Zu allen Zeiten der Menschheitsgeschichtehat es sehr verschiedene Gesellschaften ge-geben, die sich zum Teil krass voneinanderunterschieden. Für Reisende gab es Alter-nativen. Heute gibt es nur noch eine, dieglobale Weltgesellschaft mit ihrer neolibe-ralen Wirtschaftsordnung. Sie hält den frei-en, möglichst unregulierten Verkehr der Wa-ren und des Kapitals für eine Bedingung jed-weden menschlichen Wohlstands. Nur noch Nordkorea tickt in der Hinsicht an-ders, ein ruiniertes Land. Kein Mensch willdorthin, nur fliehen wollen die Menschen vondort. Wie leicht ist es da für die Vertreter un-serer Weltordnung zu sagen: Wenn dir unserSystem nicht gefällt, dann schau doch malnach Nordkorea – willst du das? Auch Cubaist inzwischen unterwegs, zu dem zu werden,was die Global Player auf den expansions-hungrigen Weltmärkten sich wünschen: freieKapitalbewegungen, freier Handel, offeneGrenzen für alle Waren, offen auch für dasZehntel der Menschheit, das genug Geld hat,sich das Reisen leisten zu können.

Alternativlos?

Ein System, das so weltumfassend ist wie dasunsere, erscheint uns als alternativlos. Geldmuss »arbeiten«, Kapital sich bewegen dür-fen, und Firmen muss erlaubt sein, dorthinzu ziehen, wo die Steuern niedrig sind, daserscheint uns so normal wie das Blau eineswolkenlosen Himmels, oder dass Käfer sechsBeine haben und nicht vier. So ist es eben.Die Nutznießer dieses Systems brauchenihre Kritiker nicht mehr zum Verstummenzu bringen, die Massen halten es ja selbstfür alternativlos. So kann sich diese Wirt-schaftsordnung sogar noch demokratisch le-gitimieren, denn die von den weltweit rechtähnlichem TV-Sendern in ihren Fernsehses-seln in gläubige Trance versetzten Massenwerden es bestätigen und Abweichler ent-weder für blauäugige Spinner halten oder fürgefährliche Extremisten.

»Unsichtbar macht sich die Dummheit, in-dem sie sehr große Ausmaße annimmt«, hat-te Bertolt Brecht dazu einst gesagt, und ermeinte damit nicht nur das Wirtschaftssy-stem. Es gibt viele Dummheiten heute, auchaußerhalb der Wirtschaft, die so große Aus-maße angenommen haben, dass man sie nichtmehr sieht.Der Verständlichkeit und Anschaulichkeitzuliebe möchte in diesem Artikel auch eini-ges aus meinem Leben erzählen. Das machtdie Behauptungen verständlicher, die ich hieraufstelle – über das Geben und Empfangen,den Umgang mit Geld, das Verschenken vonArbeitszeit, die Suche nach Sinn und Erfül-lung und nach einer Freiheit vom bloß Wirt-schaftlichen – umso mehr, als dieser Artikelfür einen Zeitschriftenartikel ungewöhn-lich lang ist.

Aussteigerleben

Als ich 1985 mit dieser Zeitschrift begann,hatte ich viele Jahre lang unentgeltlich in al-ternativen Projekten mitgearbeitet, in The-rapie- und Meditationszentren, Stadt- undLandkommunen, in einem Zentrum ausge-stiegener Künstler auf dem Land in Italienund in einem Ökostadtprojekt in den USA.Eines dieser Zentren hatte ich selbst ge-gründet, andere hatte ich bei ihrer Aufbau-arbeit unterstützt, sie als Coach beraten odereinfach mit meinen Händen mitgearbeitet. Uns Aussteigern war klar, dass wir anders le-ben wollten als die »in der Gesellschaft«, unddass wir für die Möglichkeit so leben zu kön-

nen unter Umständen hart arbeiten mussten.Drei Monate konzentriertes Büffeln im Win-ter 1979 hatten mir den Taxischein für Mün-chen gebracht, damit konnte ich von mei-nen Reisen immer wieder nach Münchenzurückkehren und ein paar Schichten fah-ren, um in ein paar Tagen, Nächten, Wochenoder Monaten wieder genug Geld zu habenfür meine »alternative Lebensweise«, meinAussteigerleben, in dem ich meine Arbeits-kraft und meine Ideen jeweils dem Projektschenkte.

Berufung und Beruf

Arbeiten, um Geld zu verdienen, das warauch für mich das eine; meiner Berufung zufolgen das andere. Für die meisten Menschenist das Leben in ähnlicher Hinsicht gespal-ten in das, was sie tun müssen und das, wassie tun wollen. In die Arbeit, mit der man sich

»Unsichtbar macht sich die Dummheit,

indem sie sehr große Ausmaße annimmt«

Bertolt Brecht

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bei in der Regel vorerst nicht. In den Jahren1986 bis 88 unternahm ich nach der Ver-lagsgründung einen zweiten Schritt ins Ri-siko: nicht mehr Taxi fahren, nur noch fürsBüro da sein. Das Minus, das wir erwirt-schafteten, sollte nun nicht mehr durch mei-ne Taxischichten gedeckt werden, sondernmeine 70-Stunden-Woche im Büro sollte dieWende bringen von den roten in die schwarz-en Zahlen.Trotz meiner Erfahrung mit den alternati-ven Zentren und Gemeinschaften, wo denMitarbeitern kein Geld oder nur ein Ta-

schengeld gezahlt wurde, dachte ich, dass ichdas mit meinem Verlag würde anders ma-chen können. Es sei vor allem eine Frage desguten Willens, glaubte ich, zweitens der rich-tigen Unternehmensführung, dann würdedas schon klappen. Beides erwies sich alsfalsch. Den Willen hatte ich – andere fanden,dass ich damit sogar in Überdosis gesegnet(bzw. verflucht) war. Und das Management,dafür setzte ich Leute ein, die es eigentlichkönnen müssten, fiel aber nach diversen Ent-täuschungen immer wieder auf mich selbstzurück und führte den Verlag dann geschäft -lich selbst, in Personalunion mit der inhalt-lichen Leitung. Mein Fazit nach diesen langen Jahren desRingens um einen wirtschaftlichen Erfolg:Schuld an den roten Zahlen ist nicht immerdie Person und die Art der Führung, sonderneine inhaltlich unabhängige Zeitschrift, dieeine neue Art des Daseins darstellt – sowohlinnerlich im Verhältnis zum Menschen selbstwie äußerlich, was die Gesellschaft anbe-langt –, ist ohne eine Menge Eigenkapital,exzellente Connections in der Branche und

ausreichend viel geschenkte Mitarbeit, beiuns »Ehrenamt« genannt, nicht zu machen. Esosprüche frei Haus

Connection hat mir erlaubt zu tun, was ichwollte: Ich durfte die Koryphäen der spiri-tuellen Szene interviewen, unentgeltlich ih-re Methoden kennenlernen und über sieberichten. Ich durfte über jedes Thema, dasmir einfiel, schreiben und zwar was ich woll-te, begrenzt nur durch die »Abstimmung mitden Füßen« seitens meiner Kunden. Wasfür eine enorme geistige Freiheit! Eher un-

frei hingegen war meine materielle Lage.Vertrauensvorschüsse ließen mich anfangstendenziell spendabel sein mit dem Geld,was Werbekosten und die Bezahlung vonMitarbeitern anbelangte. Im Lauf der Zeitwurde ich damit aber immer genauer undstrenger. Nur ein ein extrem frugales Ko-stenmanagement konnte schließlich den Ver-lag über Wasser halten. »Gib mit vollen Händen aus, dann wird eben-solche Fülle zu dir zurückfließen« – be-

schenkt mit solchen Esosprüchen war ich an-fangs tatsächlich eher spendabel, sehr zumSchaden meines Verlages. In Sachen Reso-nanzprinzip bin ich inzwischen vom ver-mutlich, was Reichtumsbewusstsein anbe-

langt, bestgecoachten Manager der Szenezum schärfsten Kritiker dieser Eso-Klamottegeworden: Dieses sogenannte »Gesetz« istnicht nur dumm, sondern höchst gefährlichund beweist wieder einmal, dass Halbwissenviel schlimmer sein kann als völliges Un-wissen.

Erwachsen werden

Nach wiederholter leichtsinniger Befolgungsolcher Eso-Sprüche brauchte die Sanierungjeweils Zeit, Geduld, neues Vertrauen undimmer wieder die Fähigkeit, nach einemScheitern neu aufzustehen. Durch unsereGeldknappheit fehlte es außerdem an Pro-fis für die einzelnen Aufgaben. Versuche, mitgut bezahlten Fachleuten eine Wende zu er-zielen, scheiterten. Werbung war nicht be-zahlbar, und auf dem Zeitschriftenmarkt hat-te ich Konkurrenten, die im Gegensatz zumir mit Kapital oder Knowhow eingestiegenwaren – oder mit beidem. Ich selbst hatte an-fangs keins von beidem, später nur noch keinGeld. Alles in allem also eine harte Schulung so-wohl im Umgang mit Geld als auch dem Um-gang mit Menschen, von denen man wirt-schaftlich abhängt. Der leichtfüßige Spiri,der 1985 dieses Projekt mit fröhlichen Osho-Sprüchen wie »Celebrate your life« und »Seiwie eine Fackel, die von beiden Seitenbrennt« begonnen hatte, wurde allmählicherwachsen.

Spirituelle Entwicklung

Auch wenn die Ökonomie mich meist mehrbeschäftigt hielt als die spirituellen Inhalte,lernte ich auch in Bezug auf die Inhalte. Eshat ja alles, was wir da geistig oder spiritu-ell tun, auch seine materielle und ökonomi-sche Seite. Sich als spiritueller Lehrer zu eta-blieren, braucht Einsicht, Mut, Menschen-kenntnis und dann eben auch ein Verständ-nis für die wirtschaftlichen Fragen einer Exi-stenzgründung. Auch wenn viele spirituelleLehrer, Therapeuten, Channelmedien undandere Vermittler so tun, als sei es irgend-wie von Energien bewirkt, ohne ihr Zutun,oder quasi von göttlicher Hand gesteuert,

dass sie nun eine Schülerschaft um sich ha-ben und von deren Verehrung ihren Lebens -unterhalt bestreiten können. Zeitschriftenmacher ebenso wie Seminar-hausinhaber jedenfalls bekommen auch die

Als ich Connection begann, wollte ich »einen

richtigen Verlag« aufbauen, und nicht so ein

Zuschuss-Unternehmen, wie ich sie in der

Spiri-Szene haufenweise kennengelernt hatte

GEBEN & EMPFANGEN

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Taxifahren ist lohnender als dasVerlegerdasein – zumindest finanziell

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www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2014 23

GEBEN & EMPFANGEN

ökonomische Seite des spirituellen Gesche-hens mit, den Alltag der Referenten und Leh-rer nach der Show. Oft zeigt sich erst bei derfinanziellen Abrechnung mit der geschätz-ten Koryphäe, wie es charakterlich um ihnoder sie bestellt ist; die Manager der Szenekönnen da in der Regel von einigen ernüch-ternden Erfahrungen berichten.

Stufenweg

Einen Bereich möchte ich hierbei besondersherausgreifen, auf dem sich in den diversenspirituellen Subkulturen zur Zeit viel bewegt.Das ist die Einsicht in die Tatsache eines Stu-fenwegs, oder jedenfalls die Realität und Not-wendigkeit einer Entwicklung, wie stufenlosoder gestuft diese auch immer im Einzelfallsein mag. Eine typische Stufe ist für einen spi-rituellen Sucher erreicht, wenn er seine er-

sten tiefen Einheitserfahrungen gemacht hat,die ihm zeigen: Es ist alles in ihm. Es kommtauf die Haltung an, auf die Einstellung zurWelt, nicht so sehr auf die Außenwelt. Ich binein Teil von allem, ich gehöre zur Welt, mei-ne Getrenntheit ist eine Illusion. Auf dieser Stufe zu denken: »Das ist es! Ichhab’s! Das ist die Erleuchtung!«, ist eigent-lich ganz normal. Wer von uns hätte sich nichtschon mal für erleuchtet oder erwacht ge-halten? Einige mögen dieses Erwachen viel-leicht anders nennen: Einsicht, Weisheit, Hin-gabe ans Göttliche oder an die bedingungs-lose Liebe. Dies aus eigener Erfahrung zu

kennen und nicht nur aus Büchern oder Fil-men, ist eine wunderbare Sache. Aber es istnoch nicht das Ende des Weges.Was dann kommt, auch das haben viele spi-rituelle Lehrer deutlich zur Sprache ge-bracht. Auf den diversen Advaita-Konfere-zen ist dies zur Zeit das Mega-Thema. Tor-sten Brügge hat mit seinen Erläuterungenhierzu in Connection – in dieser Ausgabeauf den Seiten 62 bis 65 – und auf connec-tion.de viel zur Klärung beigetragen. Ich willdiesen vielen guten Erklärungen zu den »Fal-len auf dem Weg« hier nur einen Gedankenhinzufügen, der mir selbst einiges erhellt hat.

Ein Start mit Kapital und Knowhow? Ich selbst hatte

anfangs keins von beidem, später nur noch kein Geld

ZEICHNUNG GERHARD MESTER

Wir werden zugefüllt mit Information.Was davon ist wesentlich? Und was ist glaubwürdig?

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24 Januar-Februar 1-2/2014 · www.connection.de

GEBEN & EMPFANGEN

Er betrifft den Unterschied zwischen denLiteraturgattungen fact und fiction; aufDeutsch Sachbuch und Belletristik; in derFilmkunst Doku und Spielfilm.

Fakt und Fiktion

Das sind zwei Arten, Wirklichkeit darzu-stellen. Es ist nicht etwa so, wie ich früherdachte, dass Fakten die Wirklichkeit dar-stellen, wie sie ist, während Fiktionen Ein-bildungen, Träumereien oder Fantasien sind,jedenfalls keine Abbildungen von Wirk-lichkeit. Beide sind jedoch Arten der Dar-stellung des Wirklichen, Annäherungen andas, was tatsachlich der Fall ist, an die Wahr-heit oder Wirklichkeit – und zwar zwei sehrfundamental verschiedene Arten. Und diePersonen, für die wir uns halten, die Indivi-duen, die wir zu sein glauben, sind in ähnli-cher Weise Fiktionen wie die Charaktere un-serer schöngeistigen Literaturen und Spiel-filme. Auch wir selbst, unsere Persönlich-keiten, sind fiktive Gestalten, sowas wieOdysseus, Hamlet oder Pippi Langstrumpf. Diese Einsicht macht es mir leicht, nun keinEgo mehr zu verunglimpfen oder mich da-von distanzieren zu müssen, sondern ich be-trachte nun jedwede Person, die ein Mensch»darstellt«, als Fiktion. Jede Person tut so,als ob sie jemand sei. Als solche hat sie Wir-kung, schafft also Wirklichkeit. Die Perso-nen (hier nicht von »Persönlichkeit« oder»Charakter« unterschieden) sind Figurenauf der Bühne des Lebens – inszenierbar,gestaltbar und von der Umwelt interaktivbeeinflussbar. Ich halte das für einen Ge-danken, der Kunst & Literatur, Geistes- undNaturwissenschaft an diesem Punkt des Ichbzw. der Persönlichkeit zusammenführenkann, an dem sich alle drei doch bisher hef-tig bekämpfen.

Ist Ehrenamt ein Schattenthema?

Ich habe für diese Ausgabe in der spirituel-len Szene rumgefragt, wer mir zum Themader geschenkten Arbeitskraft was sagenoder schreiben könne. Sonst werde ich im-mer mit Texten bestürmt, fast immer habeich viel mehr Stoff, als ich unterbringenkann, Textakquise brauche ich deshalb nor-malerweise nicht zu machen. Diesmal abertröpfelte es nur spärlich rein. Die drei vomTAU in Wien lieferten mir einen Text mitsehr schönen Bildern (hier im Heft auf denSeiten 34 bis 36), von drei anderen Projek-ten, mit deren Machern ich gut befreundetbin, kam jedoch nichts. Warum diese Scheu?Ist das Scheitern bei dem Wunsch, die Mit-arbeiter unserer so hoffnungsvollen Pro-jekte marktüblich zu bezahlen, uns dennpeinlich? Ein Schattenthema, das bedeut-sam ist, aber aus Furcht vor Verurteilungvermieden und verdrängt wird? Den Jour-

nalisten in mir macht das nur noch neugie-riger. Der möchte hier weiterfragen, recher-chieren und reinspringen in die vorhande-nen Fettnäpfchen, denn dort scheinen einpaar Schätze vergraben zu liegen: Wahrheit,Erkenntnis, Freiheit.Wie peinlich ist es doch, Geldmangel einge-stehen zu müssen, wenn man sich selbst fürreichtumsbewusst hält und das Mangelden-ken längst überwunden zu haben glaubt.Als Hintergrundmusik zu dieser Peinlichkeitposaunt der Mainstream seit Jahren die Leit-melodie hinaus, dass man sich mit Esoterik»eine goldene Nase« verdienen könne – im-mer wieder diese selbe Phrase, in den Bou-levardzeitungen ebenso wie im Fernsehen.Das könnte einer der Gründe sein, warumMenschen, die »spirituell alternativ« unter-wegs sind, oft nur schamhaft zugeben, dasssie damit kein Geld verdienen. Zudem sagtihre Philosophie ihnen doch mit Sprüchenwie »Die Wirklichkeit, die du erlebst, hast du

dir durch deine Glaubenssätze selbst er-schaffen«, dass es an ihnen liegt, wenn siescheitern, nicht an der Gesellschaft. Wenn siees nicht schaffen, haben sie ihre Übungennicht gut genug gemacht oder haben nichtintensiv genug daran geglaubt, dass es ge-lingen wird – und hätten damit also gu tenGrund für Scham und Schuldgefühle.

Ein »richtiger« Verlag?

Als ich Connection begann, wollte ich »ei-nen richtigen Verlag« aufbauen und nichtso ein Zuschuss-Unternehmen, wie ich siein der Spiri-Szene haufenweise kennenge-lernt hatte – ein Projekt, das immer wiederZuschüsse von Geld oder unbezahlter Ar-beitskraft braucht. Damit bin damit ge-scheitert. Ökonomisch gescheitert, in ge-wisser Hinsicht auch sozial. Die Marke hatzwar überlebt – bisher. Aber das Konzeptmuss ich nun vorerst begraben. Connectionwird als selbständiger Verlag nur dann ei-genständig weiterleben können, wenn siemehr als bisher von geschenkter Arbeit lebt.Dazu gleich mehr.

Von 80:20 zu 20:80

Doch zunächst eine Beobachtung, die in sehrallgemeiner Weise auf fast alle heutigen Pro-dukte zutrifft. Für die meisten heutigen Wa-ren haben sich die Märkte vergrößert. Werfrüher auf den Dorffesten sang oder Gitar-re spielte und dort noch relativ leicht Be-wunderung einheimste, muss sich heute mitLiedern und Musikstücken des Weltmarktes

vergleichen lassen, stellt sich also einem mehrals millionenfach vergrößerten Markt mitentsprechend größerer Konkurrenz. Daszwingt zu einem völlig anderen Verhalten alsfrüher. Je größer der Markt, desto speziellerund spezialisierter muss das Produkt sein undumso großer der Anteil der Ressourcen, derin die Vermarktung gesteckt werden muss imVergleich zu dem, der für die Erstellung desProduktes da ist. Die vergrößerten Märkte zwingen uns zurVerschiebung der Ressourcen von der Pro-duktion in Richtung Marketing, was sichnegativ auf die Qualität auswirkt. Wer früher80 Prozent seiner Ressourcen in das Produktstecken konnte, das er dann auf den Wo-chenmarkt trug, um es zu verkaufen, mussdas Prinzip heute umkehren und mindestens80 Prozent in die Vermarktung stecken, dasheißt in den Aufwand, der für einen Ver-kaufserfolg nötig ist. Es bleiben also nur nochhöchstens 20 Prozent der geistigen und ma-

teriellen Ressourcen für die Erstellung desProduktes. Der Rest gilt dem Design und An-fertigen der Verpackung, dem Finden einesgeeigneten Produktnamens und Logos, einereingängigen Werbebotschaft und Entwick-lung der Werbestrategie bis hin zu den di-versen Vertriebsförderungs-Maßnahmen, dienatürlich eine genaue Zielgruppenrecherchevoraussetzen. Die Folge ist eine Verminde-rung der Produktqualität, denn ihre An-preisung und Vermarktung verlangt einenimmer größeren Anteil der vorhandenenRessourcen an Kapital, Zeit und Kreativität.Und das alles gilt auch für Bücher und Zeit-schriften. Wer das nicht beachtet, ver-schwindet vom Markt.

Unser Gott ist der Markt

Einen höheren Anteil der Ressourcen fürMarketing zu verwenden auf Kosten derQualität, kommt für mich nicht in Frage.Connection gilt jetzt unter Fachleuten als»beste transkonfessionell-spirituelle Zeit-schrift auf deutsch«. Eine Portion Zweifel beisolchem gerne gehörten Lob bewahre ich mirindes und sage lieber: Connection gehört ver-mutlich in ihrem Themenbereich zu den qua-litativ besten Zeitschriften. Mir fallen danämlich noch ein paar andere ein: die in Wien erscheinende Zeitschrift »Ursache &Wirkung« gehört beispielsweise dazu und diein der Schweiz erscheinende Zeitschrift»Spuren«, die dort eine gewisse regionaleMonopolstellung hat. So wie bisher kannConnection jedoch nicht weiter existieren.Soll ich sie einstellen? Der Markt hat’s ge-

Das sogenannte »Resonanzgesetz« ist nicht

nur dumm, sondern auch gefährlich

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www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2014 25

GEBEN & EMPFANGEN

geben, der Markt hat’s genommen, gelobt seider Markt? Ich hätte meinen inneren Frieden damit, auchwenn ich nicht an die »unsichtbare Hand«(Adam Smith) eines alles letztlich zum Gu -ten regelndes Marktes glaube, so wie ande-re an Gott glauben. Ich möchte auch meinMagazin nicht mit PR füllen, so wie andereBlattmacher das tun, um damit Anzeigen-kunden glücklich zu machen. Damit könnte

Connection zwar vorerst überleben, aber ver-mutlich nicht lange, denn die Inhalte wärennicht mehr neu und viel weniger glaubwür-

dig. Connection würde sich dann nicht mehrvom Gros der anderen Zeitschriften unter-scheiden und könnte nur noch überleben,wenn sie gegenüber den Mitbewerbern dendann unvermeidlichen Preiskampf besteht.

Marketing per Crowdsourcing

Meine Idee ist eine andere. Anstatt mir vomArbeitsmarkt einen Vertriebs- und Marke-tingprofi zu holen, für 5.000 €/Monat – wofür

ein Kredit zu besorgen wäre –, möchte ichdas Marketing »crowdfunded« machen las-sen. Wenn jeder einzelne Leser, der dieseZeitschrift gut findet, dies weitersagen wür-de, hätten wir mit einem Schlag alle unsereVermarktungsprobleme gelöst. Wenn du ei-ne halbe Stunde damit verbringst, Connec-tion auf deinem Facebook-Account zu er-wähnen oder über eines der Connection-Books auf Amazon eine Rezension einstellst,

ist das eine uns (und vielleicht auch dir selbst)geschenkte halbe Stunde. Zeit ist wertvoll! Zeit zu verschenken ist

das Größte. Zeit für etwas zu verschenken,woran man glaubt und was man liebt, ist dasAllergrößte. Tu das für die Ziele, Dinge undMenschen und Projekte, die du gut findestund an die du glaubst! Wenn Connection fürdich eines dieser Projekte ist, und das fürein paar hundert unserer Leser der Fall ist,und sie sich aufraffen können, das weiterzu-sagen, können wir weiter existieren.

Ist Connection förderwürdig?

Die zweite Sache, die uns helfen kann, istdie Umstellung unserer Abopreise. Da ha-ben wir euch die Wahl gelassen, den Nor-malpreis von 47 € im Jahr zu zahlen odernach Selbsteinschätzung den vermindertenvon 35€. Nun fügen wir noch zwei Preise hin-zu: das Förderabo für 65€ und das Sponso-renabo für 100 €. Wer ein Förderabo oderSponsorenabo bestellt, beschenkt damit unsund sich selbst, beim Sponsorenabo sogarnoch eine weitere Person. Du brauchst unsnur neben deiner auch deren Adresse zu ge-ben, wir beliefern sie dann in deinem Auf-trag, ohne ihr dafür etwas zu berechnen.Früher habe ich mich geschämt, um ein sol-ches Sponsoring zu bitten. Jetzt, nach fastdreißig Jahren der rückhaltlosen Hingabeund des Kämpfens um mein Projekt, weißich: Es geht nicht anders. Für Amnesty In-

ternational wird gespendet und für Green-peace, warum nicht auch für Connection?Auch wir sind eine NGO. Wir haben eine Mis-sion, eine Botschaft. Allein durch den Ver-kauf unserer Produkte in Würde, ohneSelbstausbeutung zu bestehen, geht nicht. Je-denfalls nicht in diesem »real existierenden«Wirtschaftssystem. Wenn Connection es wertist, erhalten zu werden, braucht sie auch dieArt von Unterstützung, die NGOs wie Am-nesty und Greenpeace gegeben wird.

Auf den Konferenzen der Mächtigen sieht

man die Pinguine unter sich. Ein Ende

des Patriarchats? Ist nicht in Sicht

Rede und Pressekonferenz mit Vandana Shiva in Brüssel, September 2013

FLICKR.COM © GREENSEFA

Page 11: Connection spirit 1/2-2014: Geben & Empfangen

26 Januar-Februar 1-2/2014 · www.connection.de

GEBEN & EMPFANGEN

Korrumpierte Informationen

Nicht nur wir müssen uns umstellen, unserkleiner Verlag und ein paar andere Print-verlage und Medienunternehmen, sondernunsere gesamte Ökonomie. Wenn unser Bio-top überleben soll, müssen mehr Menschennicht nur ihre Einkaufsentscheidungenüberdenken – Woher kommen meine Nah-rungsmittel? Wo wurde mein T-Shirt, das ichda gerade kaufe, hergestellt? –, sondern auchihre Zeitinvestitionen. Zeit ist das wert-vollste, was wir haben. Womit verbringst dudeine Zeit? Was liest du da gerade? Ist die-se Nachricht glaubwürdig? Das weitaus mei-ste, was auf deutsch gedruckt wird (in denanderen Sprachen ist es kaum anders), istdas Ergebnis von PR, das heißt vom finan-ziellen Druck des Herstellers einer Ware,die er damit promoten will, auf den Verle-ger der jeweiligen Publikation. Was wir heute mehr denn je zu lesen be-kommen, sind keine echten Nachrichtenmehr, auch wenn sie so tun, als wären siewelche. Es sind nicht Texte, die geschriebenwurden, weil uns eine wichtige Informationfehlte oder weil genau das endlich mal ge-sagt werden musste, sondern es sind vonWerbeprofis geschriebene Texte, die der»Positionierung von Marken« in unserenKöpfen dienen, mit dem Ziel, dass wir dieentsprechenden Produkte dann glaubenkaufen zu müssen – eine Art der Heucheleiund geistigen Versklavung, die unsere una-blässig wachstumshungrige, gefräßige Wirt-schaft von uns verlangt.

Auch das Internet ist voller PR

Das Internet als World Wide Web (WWW)hat die Medienwelt zwar zunächst liberali-siert: Jeder darf sich dort eine Website zu-legen und dort fast alles veröffentlichen, waser will. Das zweite Jahrzehnt des Internets(1994 gilt als Geburtsjahr des WWW) hataber dann eine noch stärkere Kommerzia-

lisierung gebracht, als die bisherige Me-dienwelt es sowieso schon war. Das heutigeInternet wird sogar noch mehr von den Me-diengiganten dominiert als die bisherige Weltdes Prints. Beides führte dazu, dass das mei-ste, was man im Internet liest, keine unei-gennützigen Nachrichten mehr sind. Weildort fast alle Nachrichten ohne Bezahlungfrei zugänglich sind, haben sie den Charak-ter dessen, was man in den frei verteilten An-zeigenblättern zu lesen bekommt: Es sindkeine echten Informationen, es ist PR.

Mit Gorbatschow am runden Tisch

1995 war ich auf das erste Sta-te of the World Forum eingela-den. Ich war einer von nur dreiDeutschen, die sechs Jahre nachdem Ende des Kalten Kriegesauf dieser Konferenz mit etwatausend Teilnehmern die »Zivi-lisation des 21. Jahrhunderts«neu entwerfen wollten. Ichempfand das als große Ehreund weiß bis heute nicht, wemoder was ich sie zu verdankenhabe. Den Flug nach San Fran-cisco, wo sie tagte, hätte ich mirnicht leisten können, die Tagungsgebühr auchnicht. Eine Leserin von Connection sponsertemir die Teilnahme mit 10.000 DM. Dort trafich Stan Grof, Fritjof Capra, Deepak Cho-pra, Hazel Henderson und viele andere undsaß mit Michail Gorbatschow und AnthonyRobbins im kleinen Kreis an einem runden

Tisch, an dem es um die endgültige Ab-schaffung und Entsorgung der Atomwaffenging.

Ein Interview mit Raissa?

Ist das wichtig? In Connection schrieb ichzwei längere Berichte darüber. Die großendeutschen Medien aber berichteten darü-ber nicht. Sie waren eingeladen, hatten aberoffenbar niemanden dort hingeschickt. EinVersäumnis? Ich bot dem Spiegel, der ZEITund der SZ einen Bericht an, zusammen mitFotos von u.a. Gorbatschow und seiner FrauRaissa, bekam auf mein Angebot aber kei-ne Reaktion. Nochmal nachhaken, immernoch keine Reaktion. Auch keine Absage.Warum? Ich weiß es bis heute nicht. VonRaissa hatte ich eine Interviewzusage be-

kommen, konnte das Interview aber in SanFrancisco nicht mehr realisieren, da die bei-den schnell abreisten. Sie luden mich nachMoskau ein. Sollte ich mir dafür die Zeitfreinehmen? Woher die Reisekosten neh-men? Schon wieder um ein Sponsoring bet-teln? Ich hatte gehofft, dass eines der großen

Medienunternehmen mir die Reise zahlenwürde, dafür bekämen sie das Interview.Kaum jemand hatte bisher Raissa intervie-wt, sie versteckte sich hinter ihrem berühm-ten Mann. Als ich die beiden in San Fran-cisco sah, hatte ich den Eindruck, dass sie dieFrau hinter dem starken Mann ist, sozusagenseine weibliche Seite. Die beiden liebten sichwirklich, und sie stärkte ihn. Ich wollte vonihr wissen, wie sie das macht, und was sie vonden weltpolitischen Veränderungen hält, dieihr Mann initiiert hatte.

Der Hefeteig derRandgruppen

Leider schienen die deutschen Medien andieser Frau kein Interesse zu haben, undich, mit meiner kleinen Zeitschrift und derständigen Zeit- und Geldnot, konnte die Rei-se nach Moskau nicht so ohne weiteres zu-stande bringen. Ich erzähle das als Beispiel

Unsere Gedanken sind neu. Auch unsere Umgangsformen

sollten es werden, und dazu gehört auch die Kleidung

FLICKR.COM © PETER KAMINSKI, COLLAGE © C. V. PUTTKAMER

RaissaGorbatschow

Gegen einen Ozean antreten, ist dasnicht ein bisschen viel verlangt?

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www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2014 27

GEBEN & EMPFANGEN

für einen Verzicht, den man als kleine Figuram Rande des großen Mainstreams einge-hen muss, immer wieder. Weil das Geld fehlt.Weil die Menschen und Medien, die wirklichein neues Denken leisten könnten und eineneue Welt, eine »Zivilisation des 21. Jahr-hunderts« aufbauen helfen könnten, meistam Rande des Existenzminimums leben undsich den größten Teil ihrer Zeit mit Marke-ting und Vertriebsaufgaben und dem tägli-chen Überlebenskampf herumschlagen müs-sen. Zeit für wirkliche Innovation, für diegroßen Ideen bleibt da kaum mehr. Und dochsind gerade diese Randgruppen der Gesell-schaft der Hefeteig, in dem das Neue aufge-hen kann. Hier könnten Beispiele entstehen,vielleicht sogar Vorbilder für das, was unse-re Welt braucht.

Kleidung als Statement

Ich gönne mir hier, zum Abschluss dieses Ar-tikels, noch eine Anmerkung zum Äußeren,zur »Oberfläche der Tiefe« – zur Kleidung.Wenn ich die Fotos von den G8 oder G20Konferenzen sehe oder vom Weltwirt-schaftsforum in Davos, sehe ich dort vor al-lem Gruppen von Pinguinen, ab und zu un-terbrochen von der bunten Kleidung einerFrau. Merkel? Geht so. Schöner ist es aller-dings, wenn auch mal eine Afrikanerin dabeiist. Als Evo Morales, der Präsident von Bo-livien (ein Indigener!) auf die Weltbühnetrat, sah man dort unter den Pinguinen auchmal einen gestreiften Pullover. Warum kommen die männlichen Asiatenalle in denselben Klamotten auf diese Kon-ferenzen, die ohne große Veränderungen seitmehr als einem Jahrhundert als Einheits-kleidung des westlichen Mannes gilt, wenner sich in Schale wirft? Dunkle Anzüge mitKrawatten, nur die Frauen dürfen bunt auf-

treten und nicht uniformiert. Kann es sein,dass sich unter solchen Schalen keine wirk-lich neuen Gedanken mehr formen? Dassdas Patriarchat erst dann abgelöst wird, wenndiese Formen freier und die Farben bunterwerden und die Frauen damit aufhören, dieMännerkleidung zu imitieren?Unsere Gedanken sind neu, auch unsere Um-gangsformen sollten es werden, und dazugehört auch die Kleidung. Die asiatischenHochkulturen und die Indigenen aller Kon-tinente sollten die Kleidung des Patriarchatsabstreifen, die auch die Kleidung des Kolo-nialismus ist. Sie könnten doch, so nah oderfern vom guten Teil ihrer eigenen alten Tra-ditionen, so ähnlich wie es die Weltmusik imBereich des Akustischen macht, im Bereichder Kleidung neue Formen entwerfen. Daswürde auch das Denken frischer machen undden Umgang miteinander. Und ihr Frauen, ihr solltet nicht mehr nur dieParadiesvögel auf den Meetings der Herr-schenden sein oder diejenigen, die dort denKaffee servieren, sondern dort den Stil prä-gen und den Ton angeben, sowohl was die In-halte anbelangt wie die Formen! Frauen nichtwie Thatcher, sondern wie Nandana Shivaoder Miriam Makeba brauchen wir auf denpolitischen Bühnen der Welt.

Gegen einen Ozean anpfeifen?

Es würde mich auch freuen, wenn uns in derConnection noch ein paar passionierte Ex-perten zufliegen würden, sowohl im Bereichder Webpräsentation und -vernetzung wieauch im Bereich Film und Filmschnitt oderim viralen Marketing. Mit konventionellenMethoden werden wir unsere Themen nichtunters Volk bringen können – dann eben un-konventionell. Und es muss dieser Verlag

auch nicht mehr von mir geführt werden.Wenn einer das besser kann, nur zu! Ich ma-che die Inhalte, du führst die Geschäfte, per-fekt! Wie auch immer wir mit unseren Ideenam besten die Menschen erreichen und mitihnen im kreativen Dialog bleiben. Aufgeben werde ich nicht. Mein Freund KurtTucholsky – über die Brücke der Zeit hinwegist er mein Freund – hat 1933 gegenüber derNazi-Ideologie, die er viele Jahre lang mit Witzund Geist bekämpft hatte, aufgegeben. ImApril 1933, Hitler war inzwischen Reichs-kanzler, schrieb er aus dem schwedischen Exil:»Gegen einen Ozean pfeift man nicht an.«

Für die paar wenigen

Die wirtschaftlichen und politischen Elitenunserer Weltgesellschaft haben unsere Weltaufgegeben. Gegen den Klimawandel wirdnichts mehr unternommen, gegen die Über-fischung und Verschmutzung der Meere auchnicht, die Atomwaffen werden eher mehr alsweniger, ein Ende der Kriege ist nicht inSicht, ein Ende des Patriarchats auch nicht.Und die Grünen? Haben sich inzwischenweitgehend angepasst. Und die spirituelleBewegung, die doch einst per Meditation und»Make love, not war« den inneren und äuße-ren Frieden und Schutz der Natur erreichenwollte? Ist auf das Niveau einer vermark-tungsfähigen popspirituellen Wellness-Be-wegung abgesackt. Dass die es noch bringenwerden, diese Hoffnung habe ich nicht mehr.Außer ein paar wenigen vielleicht. Für dieschreibe ich. Für die kämpfe ich. Aufgebenwerde ich nicht – auch wenn ich dafür gegeneinen Ozean anpfeifen muss.

WOLF SCHNEIDER, Jg. 1952. Autor, Redakteur,Kursleiter. Studium der Naturwissenschaften undPhilosophie (1971-75) in München. 1975-77 inAsien. 1985 Gründung der Zeitschrift Connection.Seit 2008 Theaterspiel & Kabarett. Kontakt:[email protected]. Blogs aufconnection.de und auf schreibkunst.com

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Aufgeben werde ich nicht – auch wenn wir

dafür gegen Tsunamis anpfeifen müssen

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50 Januar-Februar 1-2/2014 · www.connection.de

CONNECTION INTERN

ls ich die Zeitschrift Connectiongründete, war ich 32 Jahre alt. SechsJahre später kaufte ich das Haus, in

dem die Connection-Gemeinschaft dann vie-le Jahre lebte. Da war ich 38. Jetzt bin ich 61und möchte es umwandeln in eine Alten-WG. In der möchte ich zunächst zwar nochnicht selbst leben, aber vielleicht später mal.Ich möchte das Haus übereignen an 10 bis16 Menschen, die dort als WG leben wol-len, zusammen mit anderen, die ebenfallsspirituell interessiert sind, meditieren undganz oder weitgehend vegetarisch leben. EinProjekt der Geldanlage und Alterssicherung.Für das Haus wäre es der Übergang zu et-VON WOLF SCHNEIDER

ANach 22 Jahren Seminar- und Verlagshaus steht eine Veränderung an

FOTOS © CONNECTION-ARCHIV

»Niche Aging« hat das TIME Magazine diesen Welttrendkürzlich genannt und ihm ein Titelthema gewidmet. Auch

wenn es für das Connectionhaus noch nicht endgültigentschieden ist: Die Verwandlung in eine Alten-WG bietet

sich an. Die baulichen Veränderungen wärenüberschaubar, und das Konzept ist auch finanziell,

menschlich und spirituell höchst attraktiv

Das Connectionhaus als Altersruhesitz

Meine Zukunftsvision für die nächsten Jahre

Page 14: Connection spirit 1/2-2014: Geben & Empfangen

www.connection.de · Januar-Februar 1-2/2014 51

CONNECTION INTERN

chen; wer für Connection arbeitet, kann dasnun von zuhause aus tun. Mit einer Ausnah-me: Irmi Hauer, die bei uns den Versandmacht; sie kann die Hefte und Bücher nichtvirtuell verschicken. Sie braucht einen Raummit einem kleinen Lager, Verpacktische, ei-ne Waage und Frankiermaschine, und natür-lich, wie alle, einen PC. Dafür reichen ihr 25qm. Unser großes Lager ist bei einem nahegelegenen Bauern. Wenn dieses Haus in Zu-kunft eine Alten-WG sein wird, kann Irmi

immer noch hier im Haus ihre Arbeit ma-chen, sie braucht ja nur ganz wenig Platz;oder wir suchen für sie woanders was zurMiete, das wäre nicht so schwierig.

Für mich: Nomadenleben

Und was mich betrifft: Ich möchte für dienächsten paar Jahre mit Bett, Tisch und mei-nem Laptop in ein Wohnmobil umziehen.Dort werde ich dann, in den circa neun Mo-naten im Jahr, die ich in Deutschland undUmgebung zu sein plane, wohnen und ar-beiten. Nach 22 bis 28 Jahren Sesshaftigkeitzurück zum Nomadenleben, back to theroots! Die Umstellung hat auch viele prak-tische Vorteile: Ich werde dann die Men-schen, mit denen ich seit Jahren zusammen-arbeite, endlich auch persönlich besuchenkönnen und die Orte sehen können, an de-nen sie leben und über die ich publiziere.Ich möchte in Mitteleuropa herumreisenkönnen und alles dabei haben, ohne vor Ab-fahrt des Zuges noch tausend Sachenchecken zu müssen, die ich im Rollkofferoder Rucksack dabei haben muss: Handy,Kamera, iPad, Laptop, Zahnbürste, die Re-quisiten für meine Kabarett-Auftritte, oderdieses eine wichtige Buch noch, dessen Au-tor ich gerade besuchen will. Ich habe überzwei Jahre in Asien nicht mehr als einenRucksack dabei gehabt; ein typisches Back-

was Neuem, das auf der Geschichte der ver-gangenen 22 Jahre aufbaut. Das Verlags-, Ge-meinschafts- und Seminarhaus soll sich nunin einen Altersruhesitz verwandeln, dessenBewohner die Möglichkeit haben, auf einewürdevolle Weise zu altern und bis zu ihremTod dort zu bleiben. Ein Platz, um sich mitanderen Menschen auf diesen großen Über-gang vorzubereiten: den Tod.

Das Leben vor dem Tod

Aber vorher, vor dem Tod, sind wir noch amLeben und wollen es auch dann gut haben,wenn es aufs Ende zugeht. So gut, wie es ebengeht, wenn der Körper altert und die eigeneFähigkeit, sich das Leben nach Gutdünkenzu gestalten, allmählich geringer wird. We-niger reisen, mehr zuhause sein. Hier Kon-takte haben mit Freunden und Mitbewoh-nern. Anregung bekommen in einem Haus,das ein Kulturprogramm bietet, medizinischeVersorgung, Meditation, Tanz, Sauna, meh-rere Terrassen und einen Garten. Leben ineinem Haus, das einem anteilig selbst gehört,statt im Altersheim. Wer einen Anteil an die-ser Immobilie erwirbt, zahlt dann nur nochdie anfallenden Nebenkosten. Autos kannman gemeinsam nutzen (Car-Sharing), Fahr-ten in die Stadt zusammen unternehmen. AufWunsch bekommt man Catering: Essen aufsZimmer oder im Gemeinschaftsraum, täg-lich oder nur gelegentlich, Halb- oder Voll-pension, je nachdem. Verglichen mit einemAlters- oder Pflegeheim, das im Durchschnitt3.400 € im Monat kostet, lese ich gerade aufwww.ratgeber.org, ist man hier auch finan-ziell viel besser dran, menschlich sowieso.

Die Dorfwirtschaft

Das Haus, in dem jetzt nach den Jahren derVerlagsaktivitäten eine Alten-WG entstehensoll, war vorher ein paar Generationen langals Dorfwirtschaft der Mittelpunkt des so-zialen Lebens von Niedertaufkirchen, ei-nem kleinen oberbayerischen Dorf, das es seitmindestens tausend Jahren gibt. Ursprüng-lich war der Ort ein vorchristlicher Kultplatz,an dem im Zuge der Christianisierung dannirgendwann getauft wurde, an der Stelle desvorchristlichen, vielleicht keltischen heiligenPlatzes entstand eine Taufkirche, daher derName. Im März 1991, als ich dieses Haus kauf-te, war es noch das Wohnhaus eines Bauern-hofs, zugleich Gastwirtschaft mit Tanzsaal,in dem die Paare des Ortes ihre Hochzeitengefeiert hatten, die Geburten ihrer Kinder,die Beerdigungen. Der Ort hatte damals nur57 Einwohner, heute sind es mehr als 300.

Kommunenleben

Als die Connection-Gemeinschaft im Som-mer 1991 hier mit 15 Erwachsenen und vierKindern einzog, war das für das Dorf eine

kleine Invasion. Um den Kulturschock ab-zufedern, hatte ich mit dem Wirt, dem Bür-germeister, den Nachbarn, später auch demPfarrer freundlichen Kontakt aufgenommen.Alles sehr nette Menschen, besonders derWirt (Richard Söll), aber auch die Nachbarn,mit denen bald Freundschaften entstanden. Trotz all der Freundlichkeit musste ich demVerdacht begegnen, der sich in solchen Si-tuationen in Deutschland immer ein-schleicht: Ist das eine Sekte, die da in unserDorf einzieht? Sie wohnen alle zu-sammen, sie erziehen ihre Kindergemeinsam, sie haben einen Me-ditationsraum, und einige von ih-nen haben so komische Namen, daskann sich doch nur um eine Sektehandeln! Um dem zu begegnen,schlug ich in unserer Gemeinschaftvor, das Sauberhalten unserer Räu-me nicht selbst zu besorgen, son-dern das Geld dafür zusammenzu-legen und uns aus dem Dort einePutzfee zu engagieren. Was wirdann auch taten.

Der Plan ging auf. Die Engel im Himmelschickten uns die Leni Obergrußberger, ei-ne überaus nette Oma aus einer weit ver -zweig ten, angesehenen Familie. Das Putzenwurde bezahlt – und jetzt zum ThemaSchenkökonomie: Die Leni arbeitete neben -her ehrenamtlich als Doppelagentin! Unshielt sie auf dem Laufenden, was das Dorfüber uns dachte, und das Dorf über uns, un-ser Sozialleben. Und das erwies sich fürs Dorfals nicht zu beanstanden. Für eine solcheKommune alias Großfamilie von fast zwan-zig Menschen lief unser Leben sogar sehrfriedlich ab, geradezu vorbildlich.

Weltoffenes Dorf

Heute ist alles anders. Das Dorf ist nochviel weltoffener geworden, als es damalsschon war. Meditation ist für kaum jemandmehr ein Fremdwort. Vegetarier werden be-wundert, alternative Heilweisen sind en vo-gue. In unserem Haus trifft sich regelmäßigder Bruno Gröning Freundeskreis, der in denGemeinderäumen der Kirche nicht akzep-tiert wird, denn Bruno Gröning war ein »Hei-ler«, darin sieht die Kirche eine Gefahr; fürsie ist nur »unser Heiland« Jesus Christus einHeiler. Noch gewaltiger sind die Veränderungen, diedas Internet bewirkt. Für uns als Verlag be-deutet es, dass wir das Haus nicht mehr brau-

Das Connectionhaus als Alters-WG, das ist

nicht nur menschlicher als ein Altenheim,

sondern auch finanziell attraktiver

FLICKR.COM ©

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52 Januar-Februar 1-2/2014 · www.connection.de

packer-Leben, und es hat mir an nichts ge-fehlt. Da wird mir wohl jetzt der Inhalt ei-nes Wohnmobils genug sein. Und ich möch-te auch so oft wie möglich meinen Sohn Va-lentin besuchen können; er ist nun dreiein-halb Jahre alt und wohnt im Münsterland.

Geboren werden und sterben

Das Connectionhaus soll weiterhin ein Ortder Meditation und Transformation sein.Hier wurden Kinder gezeugt und geboren(fast – nach Vorbereitung einer Hausgeburtha ben wir in beiden Fällen während der Press -wehen dann doch ein nahe gelegenes Kran-kenhaus aufgesucht). Hier wuchsen Kinderauf. Hier entstanden lebenslange Freund-schaften. Hier im Haus starb auch schon je-

mand, auch in unserer Zeit: Lisa Möller, Ma-nulanis Freundin, sie liegt nun hier auf demDorffriedhof begraben. Die Beerdigung wareine Fusion aus katholischen und hawaiia-nischen Riten: Manulani vollzog als Kahu-na die Riten seiner spirituellen Heimat, derPfarrer die des Katholizismus. Beides fügtesich so stimmig ineinander, dass unsere ka-tholische Nachbarin am Tag danach noch tiefgerührt sagte: So möchte ich auch mal be-erdigt werden!

Die Verwandlung des Hauses

Nun ist für die Verwandlung dieses Hauseseiniges Praktische zu erledigen. Das Hausist im Besitz der Connection AG, die ich alsVorstand vertrete. Es ist eine Satzungsän-derung nötig, der die Aktionäre zustimmenmüssen, so dass die AG selbst die Alten-WGbetreiben darf und nicht nur einen Verlagund ein Seminarhaus. Das Haus kann dannStück für Stück an seine künftigen Bewoh-ner verkauft werden, die so jeweils einen An-teil an der Immobilie erwerben und ein An-recht auf die Leistungen, die das Haus alsAlten-WG dann anbieten wird, entweder imRahmen der AG oder eines noch zu schaf-fenden neuen rechtlichen Rahmens. Dieser Übergang kann ein paar Jahre dau-ern. Für das Management dieses Übergangssuchen wir einen Menschen, der sich für dieIdee dieses Projektes begeistert, sie in sichtragen und vermitteln kann und dann dienötigen praktischen Schritte unternimmt: diebauliche Umwandlung (mit Fahrstuhl etc.und zusätzlichen Sanitäreinrichtungen), dieKommunikation mit den Behörden zwecks

Beschaffung von Fördermitteln, das Erstel-len der Verträge und der Verkauf der Antei-le am Haus. Dass dieselbe Person dann auchdas Haus managt, ist möglich, muss aber nichtso sein. Es kann sich auch jemand durch dieArbeit für dieses Projekt ein Anrecht er-werben, im Alter hier eines Tages selbst zuwohnen und versorgt zu werden.

Mehrgenerationenhaus

Zum Beispiel könnte ein Paar mit Kindernhier einziehen, eine Familie, die das Hausdann als Alten-WG betreibt. Wenn einer derbeiden examinierter Altenpfleger ist, könn-te dieser die ambulante Pflege im Hausgleich selbst übernehmen, der andere das Ca-tering. Kinder wären sehr willkommen! Es

wären ja ausreichend viele Omas und Opasim Haus, die sich über den Nachwuchs freu-en und vermutlich viel Zeit hätten, mit denKindern zu spielen und bei den Hausaufga-ben zu helfen. Viele aus unserer Zielgruppeder spirituell Bewegten haben ja keine ei-genen Kinder und folglich auch keine En-kel, sie würden sich umso mehr über Kinderim Haus freuen.

Selbstständig bleiben

Die Bewohner im Haus soll-ten sich selbst versorgen, solange es geht, und erst dannpflegerische Hilfe in An-spruch nehmen, wenn daswirklich nötig ist. Es sindschon zu viele in der Über-versorgtheit eines Alten-heims apathisch gewordenund haben dort, auch man-gels anregender Kontakte,die Lust am Leben verloren.Das Connectionhaus istschon jetzt in WGs unter-teilt, von denen jede eine ei-gene Küche hat. Dort kannsich jeder das Essen selbstzubereiten, allein oder zu-sammen mit anderen. Die Großküche imEG, die jetzt die Seminare versorgt, könnteje nach Bedarf der einzelnen Bewohner Es-sen anbieten, individuell gestaltbar. DerGast raum im EG, in dem jetzt die Seminar-gäste versorgt werden, könnte an ein paarNachmittagen und Abenden in der Wocheals Café geöffnet sein, mit Bio-Snacks und

Kuchen und variablem Kulturprogramm: Fil-me, Live-Musik oder Vorträge zu wechseln-den Themen. Die Hausbewohner könntenauch selbst solche Themen anbieten und dieAbende gestalten. Die Veranstaltungen soll-ten öffentlich sein, dann ist auch die umge-bende Bevölkerung eingeladen, so dass manim Haus auch mal neue Gesichter sieht: einKulturcafé mit Programm, mit spirituellenund Gesundheitsthemen, die sich nach demInteresse der Hausbewohner richten.

Aufs Ende zugehen

Im Alter möchte man nicht mehr so gerneumziehen. Die eigene Umgebung ist einemvertraut, die eigenen Rhythmen und Gewohn -heiten halten einen bei Laune. Wenn der Kör-per abbaut und hilfsbedürftig wird, dannauch noch umziehen, das bitte nicht. Da istes gut, wenn man bleiben kann, wo man ist,bis hin zum letzten Abschied. Deshalb solldieses Haus auch Pflegestufe drei anbietenund den Bewohnern ermöglichen, hier zusterben, umgeben von einer guten mensch-lichen und medizinischen Versorgung. Diemedizinische Versorgung ist ja auch in denmeisten Altenheimen und Krankenhäuserngegeben, die menschliche nur selten. Umsobesser, wenn auch die Betreuer Meditierersind, Hospizarbeit kennen oder Erfahrungin der Sterbebegleitung haben. Zudem kön-nen die Bewohner sich gegenseitig helfen,man weiß ja nicht, wer als erstes sich zur letz-ten großen Reise aufmacht. Ich selbst möchte, wenn für mich der großeAbschied kommt, von Menschen umgebensein, die mit mir ganz normal über den Todreden können. Die darüber Witze machen

können. Die wissen, dass auch sie selbst ster-ben werden. Alter, Krankheit, Tod – Bud -dha hat sie die drei Götterboten genannt. Wirsollten ihnen ohne Scham und Scheu begeg-nen, offenherzig, empathisch, wahrhaftig.Möge das der Stil des Hauses sein, wenn dasConnectionhaus eine Alten-WG gewordenist. [

Es sind schon zu viele in der Überversorgtheit

eines Altenheims apathisch geworden und

haben dort, auch mangels anregender Kontakte,

die Lust am Leben verloren

CONNECTION INTERN

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