Creutz - Das Geld-Syndrom

627

Transcript of Creutz - Das Geld-Syndrom

Page 1: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 2: Creutz - Das Geld-Syndrom

Helmut Creutz

Das Geld-SyndromWege zu einerkrisenfreien Wirtschaftsordnung

Econ Taschenbuch

Page 3: Creutz - Das Geld-Syndrom

Econ Taschenbücher erscheinen im Ullstein Taschenbuchverlag,einem Unternehmen der Econ Ullstein List Verlag GmbH & Co. KG,München5., komplett überarbeitete und erweiterte Neuausgabe 2001� 1993 by Wirtschaftsverlag Langen Müller Herbigin F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, MünchenUmschlagkonzept: Büro Meyer & Schmidt, München – Jorge SchmidtUmschlaggestaltung: DYADEsign, DüsseldorfTitelabbildung: MauritiusSatz: Josefine Urban – KompetenzCenter, DüsseldorfDruck und Bindearbeiten: Ebner UlmPrinted in GermanyISBN 3-548-70006-3

Page 4: Creutz - Das Geld-Syndrom

Vorwort

In den Medien sind Arbeitslosigkeit, Staatsverschuldung,Umweltzerstörung und zunehmende soziale Polarisierungtägliche Themen. Dabei werden die Ursachen meist inmenschlichen Verhaltensweisen oder politischen Entschei-dungen gesucht, selten in wirtschaftlichen Rahmenbedin-gungen, kaum im Bereich des Geldes.

Schon vor zwanzig Jahren wurde ich durch einen Leser-brief angeregt, mich mit diesen Zusammenhängen zu befas-sen. Anfangs skeptisch und bestrebt, dem Schreiber zuwidersprechen, entdeckte ich immer neue Widersprücheund Unstimmigkeiten im Bereich unserer Geld- und Wäh-rungsordnung, die mich zunehmend aktivierten. Vor allemals ich feststellte, dass diese Unstimmigkeiten nicht nurunser Wirtschaften und Leben nachhaltig und nachteiligbeeinflussen, sondern sich auch noch aus sich selbst herausverstärken.

Das umfassende Ergebnis meiner Analysearbeit haltenSie nun in Händen. Auch wenn das Gros der »Weißen Fle-cke« geschlossen werden konnte, wird die Befassung mitdem Problemfeld Geld angesichts der aktuellen Entwick-lungen mit jedem Tag wichtiger.

Page 5: Creutz - Das Geld-Syndrom

»Wir sollten uns nicht so gebärden,als ob das Erkennen volkswirtschaft-

licher Zusammenhänge nur denGralshütern vorbehalten bliebe, dieauf der einen Seite wissenschaftlich,auf der anderen Seite demagogischihre verhärteten Standpunkte vor-

tragen.Nein, jeder Bürger unseres Staates

muß um die wirtschaftlichen Zusam-menhänge wissen und zu einem

Urteil befähigt sein, denn es handeltsich hier um Fragen unserer politi-schen Ordnung, deren Stabilität zu

sichern uns aufgegeben ist.«Ludwig Erhard, 1962

Page 6: Creutz - Das Geld-Syndrom

7

Inhalt

Einführung 19

Was stimmt nicht bei unserem Geld? 20Welche Bedeutung hat das Geld? 21

Teil I – Begriffe, Größen und Funktionenrund ums Geld

1. KapitelKlärung der geldbezogenen Begriffe und Vorgänge 27Was ist Geld? Was versteht man heute unter Geld? SindSchecks, Kredit- und Geldkarten Geld? Was ist mit E-Cashoder Zahlungen im Internet? Was ist mit der Geldmenge?Wie kann man Geld definieren? Für welche Zwecke kannman Geld benutzen? Warum muss man zwischen Geld undanderen Forderungs-Ausgleichmitteln unterscheiden? Wa-rum ist Geld der Arbeit und den Gütern überlegen? Woherbekommt das Geld seinen Wert? Wieviel Bargeld gibt eseigentlich? Wie sieht das mit der Bargeldmenge beim Euroaus? In welchen Größenordnungen rechnet man beim Geld?Wie kommt das Geld in Umlauf? Welche Vorteile hat dieGeldmengensteuerung über Kredite? Woher bekommen dieNotenbanken das Geld? Wem gehört das Geld?

2. KapitelGeld und Guthaben 53Was sind Guthaben und wie nehmen sie zu? Warum kannman Geld und Guthaben nicht als Geld zusammenzählen?Kann man Geld und Guthaben dennoch zusammenfassen?Was sind Sichtguthaben und wie entstehen sie? Wie laufendie Übertragungen von Konto zu Konto ab? Kann man mitSichtguthaben seine Nachfrage steigern? Welche Folgen hatdie Zunahme der Guthabenübertragungen für die Banken?Was war zuerst da – Guthaben oder Schulden, Geld oderKredit? Wie groß sind die Unterschiede zwischen Bargeld-versorgung und Bankkrediten? Was heißt Sparen, was Be-zahlen?

Page 7: Creutz - Das Geld-Syndrom

8

3. KapitelGeldumlauf – Geldkreislauf 70Das rätselhafte 5-Mark-Stück. Was ist unter Kreislauf zuverstehen? Welche Folgen können Ersparnisbildungenhaben? Was kann man aus diesen Insel-Beispielen lernen?Was bewirkt der Zinsanspruch im Einzelnen? Verändertsich der Kreislauf im Großmodell?

4. KapitelGeschäftsbanken, Notenbanken, Nichtbanken 83Beziehungen und Größenordnungen im Geld- und Banken-bereich. Was sind die Hauptaufgaben der Banken? Was istmit der Macht der Banken? Wachsen Macht und Einflussder Banken mit den Umsätzen? Welche Aufgaben habendie Zentral- oder Notenbanken? Was heißt »die Währungsichern«? Wie regeln die Zentralbanken den Geldumlaufund warum ist diese Aufgabe so wichtig? Was heißt »re-gelt . . . die Kreditversorgung der Wirtschaft«? Wie läuft dasmit den Krediten an die Banken? Was ist mit den Mindestre-serven? Wann müssen Notenbanken das Geld vermehren?Wie können sie das tun? Was ist mit den ›Geldmengenzie-len‹ der Notenbanken? Welche ›Geldmenge‹ versuchen dieNotenbanken zu steuern? Woher kommen die Notenbank-gewinne?

TeiI II – Der Zins und andere Fehlstrukturen

5. KapitelDer Zins in Vergangenheit und Gegenwart 111Warum ist der Zins ein Problem? Was ist der Zins eigent-lich? Welche Aufgaben hat der Zins? Gab es irgendwannzinsfreie Zeiten? Was bewirkten die Brakteaten? Was ist derZins heute? Welche Zinsbegriffe gibt es? Wie setzen sich dieZinsen zusammen? Was umfasst die Bankmarge im Zins?Was versteht man unter Leitzinsen? Welchen Einfluss habendie Notenbanken auf den Marktzins? Welche Größen undRelationen haben die Zinserträge und -aufwendungen beiden Banken?

Page 8: Creutz - Das Geld-Syndrom

9

6. KapitelDie Wirkungen von Zins und Zinseszins 138Woher kommen die Zinsen tatsächlich? Wie hoch sind dieversteckten Zinsen? Ist der Zins ein Monopoleinkommen?Was bewirkt der Zinseszinseffekt? Spielt der Zinseszinsauch in normalen Zeitabläufen eine Rolle? Sind zwölfProzent Verzinsung irreal? Wer oder was bestimmt die Zins-höhe? Woher kommen die großen Zinsschwankungen?Kann man den Zins nur durch Geldverknappung hoch-halten?

7. KapitelDer Zins als Umverteiler 156Wie läuft das Kassieren der Zinsen ab? Wer erhält dieZinsen? Wie wirkt sich der Zins bei der Verteilung desVolkseinkommens aus? Welche Rolle spielt der Zinssatzbei der Umverteilung? Wodurch verändert sich der Vertei-lungsschlüssel? Erhöhen die Zinsen das Sozialprodukt?Was ist mit der Zinsbesteuerung? Warum stimmt dasSprichwort »Zeit ist Geld«? Verändert der Zins das Geld?Gibt es einen gerechten Zins? Was sagt die Wissenschaftzum Zins?

8. KapitelInflation und Deflation 179Ist die Notwendigkeit stabilen Geldes eine Erkenntnis unse-rer Tage? Was heißt Inflation und was ist ihre Wirkung? Isteine stabile Währung wirklich so wichtig? Die Inflation inden Industrienationen. Kann man Inflation als Betrugbezeichnen? Können auch die Käufer Inflationen auslösen?Beeinflussen Einzelpreiserhöhungen die Inflation? Wie istdas bei Erhöhungen der Löhne? Können Inflationsratendurch gleich hohe Lohnanpassungen ausgeglichen werden?Welche Wirkungen haben Zinserhöhungen bei Inflationen?Und was ist mit der Deflation?

Page 9: Creutz - Das Geld-Syndrom

10

9. KapitelDas Problem der Geldhortung 199Gibt es heute noch Geldhortung und welche Arten mussman unterscheiden? Welche Größenordnungen und Folgenhaben Hortungen im Ausland? Welche Hortungen sind be-sonders kritisch? Wie groß sind die niedrigzinsbedingtenHortungs-Ausweitungen? Welche Folgen haben Geldhor-tungen heute? Lassen sich diese Geldhaltungsschwankun-gen auch langfristig nachweisen?

10. KapitelDas Dilemma der Geldmengen-Steuerung unddes Geldumlaufs 211Warum ist der Geldumlauf so wichtig? Wie praktizieren dieNotenbanken ihre Geldmengenregulierungen? Wie siehtdas Ergebnis dieser Stabilitätsbemühungen aus? Was ist dasgrößte Dilemma der Notenbanken? Können die No-tenbanken die Geldmenge begrenzen? Das bittere Lehrgeldder Notenbanken.

11. KapitelGeldschöpfung und -versorgung durch dieNotenbanken 225Wie läuft die Geldversorgung der Wirtschaft mit Geld ab?Die Liquiditätssteuerung durch die EZB. Was heißt Tender-satz? Wer kann sich an den Bietungen beteiligen und wielaufen diese ab? Warum brauchen die Banken Zentralbank-geld? Wie kommt es zu Übernacht- und Innertagskrediten?

12. KapitelDie ›Geldschöpfung‹ durch die Geschäftsbanken 236Was ist von Theorien zu halten? Wie funktioniert die »mul-tiple Geldschöpfung«? Wo liegt der Denkfehler in der Theo-rie? Welche Argumente für die Geldschöpfung werdensonst noch vorgebracht? Gibt es Indizien für die Geldschöp-fung der Banken?

Page 10: Creutz - Das Geld-Syndrom

11

Teil III – Die problematischen Folgenim Geldbereich

13. KapitelDie Überentwicklung der Schulden 253Wie muss man Verschuldungen bewerten? Wer sind dieSchuldenmacher in den Industrienationen? Hat dieses Ein-zelbeispiel mit der Wirklichkeit zu tun?

14. KapitelStaatsverschuldungen 264Warum sind Staatsverschuldungen besonders folgen-schwer? Was ist mit der Staatsverschuldung in den Industrie-nationen? . . . und in den Euroländern? Wie war das mit derVerschuldung in Osteuropa?

15. KapitelUnternehmensschulden, Privatschulden,Schuldenüberwindung 280Konsumentenschulden – ein Kredit mit Zukunft? WelcheFolgen hat der Kauf auf Pump? Kann man die Überschul-dung überwinden? Verringern sich die Schulden durch Zah-lungsunfähigkeiten? Lässt sich das Schuldenproblem durchTilgungen lösen?

16. KapitelÜberentwicklung der Geldvermögen 292Wie setzen sich Geldvermögen zusammen? Wem gehörendie Geldvermögen? Wie haben sich die Anteile der Sekto-ren verändert? Wie verteilen sich die privaten Geldvermö-gen? Gibt es Anhaltspunkte für die Verteilung der privatenGeldvermögen? Was kann man den Stichprobenerhebun-gen entnehmen? Wie sieht es mit den Vermögensverteilun-gen in der Welt aus? Wie entstehen Geldvermögen und wo-her kommt das Überwachstum? Was sagt die Wissenschaftzur Geldvermögens-Überentwicklung?

Page 11: Creutz - Das Geld-Syndrom

12

17. KapitelDie Überentwicklung der Zinsströme 312Wie verändern sich die Zinsströme in der Volkswirtschaft?Wie sieht die langfristige Auseinanderentwicklung aus? Diegeldbezogenen Zinsen beim Staat. Wie sieht das in denanderen Staaten aus? Was wäre, wenn der Staat die Bürgerdirekt zur Kasse bitten würde?

18. KapitelZinsgrößen im Unternehmenssektor 326Wie wirken sich Zinsanstiege in der Wohnungswirtschaftaus? Was ist mit den gesamten Zinsbelastungen? Wie großist das zu verzinsende Gesamtvermögen? Sind die Zinslas-ten auch auf andere Weise zu ermitteln? Wie hoch sind dieGesamtzinsen in den Einzelpreisen?

19. KapitelZinslasten und Zinseinkünfte der Privathaushalte 340Was ist mit den direkten Zinsen? Wie groß sind die Zins-einkünfte der Privathaushalte und wie verteilen sie sich?Was sind die niedrigsten und höchsten Zinseinkommen?Woher erhält Fräulein Quandt täglich 650 000 DM?

20. KapitelDie Überentwicklung der Spekulationen 348Wie verhalten sich die Banken? Welche Folgen habenAktienspekulationen? Wie groß sind die Aktienbestände inder Welt und wie verteilen sie sich? Wie sieht es mit denPro-Kopf-Anteilen bei den Aktien aus? Wie sind die Ver-teilungsrealitäten? Welche Größen bestimmen das Gesche-hen an den Börsen? Aktienspekulation und Realwirtschaft.Können die Kurse schwanken? Gibt es auch partielle Kurs-einbrüche? Derivate und andere Variationen der Speku-lation. Das Problem der Wechselkursspekulation. Was sinddie Folgen der Währungsspekulationen? Konsequenzen.Darf die Freizügigkeit des Kapitalverkehrs eingeschränktwerden?

Page 12: Creutz - Das Geld-Syndrom

13

Teil IV – Die gesellschaftlichen undwirtschaftlichen Auswirkungen

21. KapitelGeld und Gerechtigkeit – Die soziale Frage 377Wann sind Einkommen ungerecht? Welches Unrecht gehtvon Inflationen aus? Zu welchen Ungerechtigkeiten führtder Zins? Wie verteilen sich die Vermögen? Wie kann mandie Größe der Zinsströme ermitteln? Was ergibt sich aus derSaldenberechnung? Wie groß sind die gesamten Zinstrans-fers zwischen Gewinnern und Verlierern?

22. KapitelDie Folgen der zinsbedingten Einkommens-Umverteilung 392Die Hintergründe der ›Neuen Armut‹. Kann es auch ohneReichtum Armut geben? Wie unterscheidet sich die Armutin Europa? Wie kommt es zu den Wechselbeziehungen zwi-schen Arm und Reich? Wann hat die Diskrepanzentwick-lung eingesetzt? Welche Folgen hat das weitere Öffnen derArmut-Reichtum-Schere? Zeichnen sich diese Diskrepanz-zunahmen auch auf andere Weise ab?

23. KapitelGeld, Wachstum, Umwelt – Die ökologischen Folgen 407Welche Wachstumsregeln sind zu beachten? Gibt es unter-schiedliche Abläufe des Wachstums? Wie irreal ist expo-nentielles Wachstum? Was ist mit unterschiedlichen Ent-wicklungen innerhalb eines Organismus? Was bedeutetWirtschaftswachstum? Wie wurde die Wirtschaftsleistungseit 1950 tatsächlich gesteigert? Warum kam es zu dem stän-digen Wirtschaftswachstum? Was wurde noch zur stetigenWachstumssteigerung unternommen?

24. KapitelDie Ursachen unseres Wachstumszwangs 422Warum ist ein kapitalistisches Wirtschaftssystem zur Aus-weitung gezwungen? Warum zwingt der Zins zum Wachs-tum? Wie sehen die konkreten Wechselwirkungen aus?Welche Umweltfolgen hat das dauernde Wirtschaftswachs-

Page 13: Creutz - Das Geld-Syndrom

14

tum? Gibt es Wachstum ohne Umweltbelastung? Zu wel-chen Fragwürdigkeiten hat die staatliche Wachstumsförde-rung bisher geführt? Sind die umweltbezogenen Problememit Ökosteuern zu lösen?

25. KapitelGeld und Krise – die ökonomischen Folgen 435Was waren die großen Krisen des letzten Jahrhunderts? Waskönnte auch in unseren Tagen zu einer großen Krise führen?Ist der Kapitalismus selbst die Krisenursache? Wie erklärensich die dauernden Konjunktureinbrüche? Was sind dieUrsachen der Konjunktureinbrüche? Sind die Zusammen-hänge zwischen Zins und Konjunktur allgemein bekannt?Warum sind auch niedrige Zinsen Krisen auslösend? Waslöst die deflationären Krisen aus? Welche Wirkungen habenGeldzurückhaltungen auf die Beschäftigung?

26. KapitelKrisenerscheinungen in Planwirtschaften 451Hatten die Krisen im Ostblock auch mit Geld zu tun? Wassind die konkreten Folgen eines Geldüberhangs? Wussteman im Sozialismus vom Geldproblem? Wie war das inJugoslawien? Welche Rolle spielte das Zinsproblem in denehemaligen Ostblockstaaten? Gibt es noch andere Krisen-probleme im Osten, die mit dem Geld zusammenhängen?Was wäre heute zu tun? Wie hat sich die Vereinigung vonOst- und Westdeutschland geldbezogen ausgewirkt?

27. KapitelDas Problem der Arbeitslosigkeit 466Was sind die Ursachen der langfristigen Veränderungen?Gibt es weitere Gründe für die langfristige Zunahme derArbeitslosigkeit? Die Ursachen der mittelfristigen Aus-reißer in der Entwicklung der Arbeitslosigkeit. Welche Rol-le spielen die Verschuldungen? Kommt es nur in verschul-deten Unternehmen zu Entlassungen? Was sind die Folgendieser Diskrepanzen? Wodurch kommt es zu den Hochzins-phasen?

Page 14: Creutz - Das Geld-Syndrom

15

28. KapitelDie Arbeitslosigkeit bei fallenden Zinsen 482Wie erklärt sich der Anstieg der Sockelarbeitslosigkeit? Wieverändert sich die Zinsbelastung zum Sozialprodukt? Tref-fen die Effekte von Zinsveränderungen auch auf andereLänder zu? Wie verhält sich der Staat in den Beschäftigungs-krisen?

29. KapitelMarktwirtschaft – Kapitalismus – Globalisierung 493Was versteht man genauer unter Marktwirtschaft? Was ver-steht man unter Kapitalismus? Was heißt Globalisierung?Was ist mit Liberalisierung und Deregulierung? Was tut sichbei der Alterssicherung?

30. KapitelGeld, Krieg und Kapitalvernichtung 503Hat der Krieg tatsächlich mit Zinsen zu tun? Haben die Zer-störungen des Zweiten Weltkriegs ausreichend lange vorge-halten? Der Wahnsinn des Overkills. Wird mit der Rüstungdas Kapital nur bedient? Findet diese Kapitalverknappungund -vernichtung tatsächlich statt? Wie war das beim erstenGolfkrieg? Und was brachte der zweite Golfkrieg? Warumeigentlich keine Rüstungskonversion?

31. KapitelDer Krieg gegen die Dritte Welt und gegen uns selbst 517Haben uns auch die Entwicklungsländer vor Reinigungskri-sen bewahrt? Wie kam es zur Verschuldung der Entwick-lungsländer? Welche Folgen hatten die Verschuldungen? IstSchuldenerlass der richtige Ausweg? Was sollte statt desSchuldenerlasses geschehen? Welche Folgen hätten sinken-de Zinsen?

Page 15: Creutz - Das Geld-Syndrom

16

Teil V – Überwindung der Fehlstrukturen –Wege zu einer krisenfreien Wirtschaft

32. KapitelVon den Symptomen zu den Korrekturen 533Wo müssen die Änderungen ansetzen? Was kennzeichnetöffentliche Einrichtungen? Was ist die Folge der heutigenRechtslage? Warum braucht unser Geld einen Weitergabe-zwang? Was versteht man unter einer Geldumlaufsiche-rung? Warum ist eine wirksame Umlaufsicherung not-wendig? Wirkt sich eine konstruktive Umlaufsicherung auchauf den ›Geldstreik‹ aus? Beispiele für zinsunabhängigeUmlaufsicherungen – von den Brakteaten bis Wörgl. Washeißt Nachfrage-, was Kreditpotential? Welche sonstigenWirkungen haben die Veränderungen der Zahlungsgewohn-heiten? Wer kann die Rechtsordnung des Geldes korri-gieren?

33. KapitelDie Auswirkungen der Korrekturen 552Was bewirkt die Rückhaltegebühr? Was wären die konkre-ten Folgen der Trennung zwischen Nachfrage- und Kredit-potential für die Notenbanken? Was ändert sich für dieGeschäftsbanken? Wie bilden sich nach der Geldordnungs-reform die Zinsen? Wie könnte man dem Geld Beinemachen? Welche praktischen Möglichkeiten bestehen beimBargeld? Was sagt die Wirtschaftswissenschaft zur Frage derUmlaufsicherung? Was sagen die heutigen Ökonomen, Ban-ker und Politiker zu den Reformvorschlägen? Kann einLand allein mit der Geldordnungsreform beginnen?

34. KapitelDiverse Gedanken und Einwände zur Geldreform 570Muss sich der Mensch ändern? Werden mit einer Geldreformdie Spekulationen eingedämmt? Ist eine Flucht in Gold undandere Sachwerte zu befürchten? Wird es eine Flucht in denBoden geben? Was ist in Sachen Boden zu tun? Was ist mitder Kapitalflucht bei sinkenden Zinsen? Führt eine Umlaufsi-cherung zu einer Wachstumseuphorie? Ist der Euro eineLösung? Sind Geldhaltekosten und Inflation vergleichbar?

Page 16: Creutz - Das Geld-Syndrom

17

35. KapitelTauschringe und andere Alternativen 585Wie funktionieren Tauschringe? Kann man über Tauschrin-ge auch Geld in Umlauf setzen? Der WIR-Wirtschaftsring inder Schweiz. Was ist mit den Zinsen bei Verrechnungsringenund anderen Alternativmodellen? Was ist mit alternativenGeldsystemen? Können alternative Banken weiterhelfen?Was ist mit den Umwelt- und Ethikfonds?

36. KapitelEine abschließende Zusammenfassung 598Warum kommen wir unter die Räder? Wo ist der Hebelanzusetzen?

Literatur 605

Personenregister 615

Sachregister 619

Anmerkungen:Soweit nicht anders erwähnt, stammen alle angeführtenDaten und Größen aus den Veröffentlichungen der Bundes-bank bzw. des Statistischen Bundesamtes. Auf diesen Unter-lagen basieren auch die eigenen Um- und Hochrechnungensowie die Mehrzahl der Grafiken, soweit keine anderenAngaben erfolgen. Wegen unzureichender Daten bzw.Gebiets- und Berechnungsveränderungen konnten nichtalle Darstellungen und Tabellen bis 1999 bzw. 2000 fortge-führt werden. Unter dem Begriff Sozialprodukt wird sowohldas Bruttosozialprodukt als auch das Bruttoinlandsproduktzusammengefasst, deren Größenunterschiede für die hierherangezogenen Berechnungen und Vergleiche kaum vonBelang sind. Das gilt auch für die Wechselkurse der herange-zogenen Währungen, bei denen Dollar und Euro als gleich-wertig angesetzt wurden und die DM mit der Hälfte dieserWerte. Alle Grafiken sind – soweit keine anderen Hinweiseerfolgen – vom Autor.

Page 17: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 18: Creutz - Das Geld-Syndrom

19

Einführung

Geld ist eine tolle Einrichtung! Doch obwohl wir es seitJahrtausenden kennen und täglich benutzen, gibt es nichtsVergleichbares, worüber wir so wenig wissen! Geld istimmer noch von einem Nebel des Geheimnisvollen umge-ben. Selbst Wissenschaftler reden von »Geldschleier« und»Geldillusion«.

In diesem Buch werden die Begriffe und Funktionenrund um das Geld erklärt. Ebenso die geldbezogenen Vor-gänge in der Wirtschaft und deren Auswirkungen für unsBürger. Vor allem aber wird den Fehlstrukturen unsererGeldordnung nachgegangen, werden ihre Folgen verdeut-licht und am Ende Wege aus dem heutigen Dilemma aufge-zeigt. Denn die Kenntnis dieser Fehlstrukturen sowie dieMöglichkeiten ihrer Behebung sind ausschlaggebend fürunsere Zukunft. Das gilt nicht nur für die überschuldetenLänder Lateinamerikas oder den inflationären Niedergangder Ostblockstaaten. Das gilt auch für die Industrienatio-nen, in denen die Geldbezogenheit aller Problementwick-lungen täglich deutlicher wird. Und niemand von uns kannsich diesen monetären Zwängen und Auswirkungen entzie-hen, es sei denn, er flieht als Robinson auf eine Insel.

Für den normalen Bürger stellten sich bisher solcheÜberlegungen kaum. Er erhält Geld für seine Arbeit undgibt es für den Lebensunterhalt aus. Allenfalls hat er in derJugend ein paar Sprichworte mitbekommen, meist ohneviel darüber nachzudenken; zum Beispiel »Geld verdirbtden Charakter« oder »Beim Geld macht der Teufel immerauf den größten Haufen«. Noch bekannter und in vielenSprachen zuhause ist das Sprichwort: »Geld regiert dieWelt.«

Warum aber verdirbt Geld den Charakter? Würden wirdas auch von einem Gutschein sagen oder einer Theater-

Page 19: Creutz - Das Geld-Syndrom

20

karte, die, ähnlich wie Geld, einen Anspruch auf eineGegenleistung dokumentieren? Und warum bekommendiejenigen noch mehr Geld, die bereits einen »großen Hau-fen« davon haben? Ist Einkommen nicht an Leistung gebun-den? Wenn ja, widersprechen dann nicht leistungslose Ein-künfte den Grund- und Menschenrechten? Und was bedeu-tet das dritte Sprichwort, nach dem die Welt vom Geldregiert wird? Wenn dieses Sprichwort stimmt, sind dannnicht alle Regierungen, ob gewählt oder nicht, ob rot,schwarz, gelb oder grün, nur eine Farce, Marionetten desGeldes?

Können wir von einer aufgeklärten, mündigen Welt undvor allem von Demokratien reden, solange diese Fragen un-geklärt bleiben?

Was stimmt nicht bei unserem Geld?

Wer sich intensiver mit unserem Geld befasst, mit der Geld-ordnung, der Geldtechnik und allen sonstigen Geldgege-benheiten, dem stehen meist sehr schnell die Haare zu Ber-ge. Allein die Widersprüchlichkeiten, auf die man unterlogischen Ansätzen stößt, finden fast kein Ende:

■ Da ist Geld eine öffentliche Einrichtung, gleichzeitigaber auch privates Eigentum, obwohl nichts in der Weltzwei Herren dienen kann.

■ Da ist die Geldvermehrung durch gefälschte Bankno-ten und Münzen bei Strafe untersagt, die Geldvermin-derung durch Entzug von Banknoten aus dem Wirt-schaftskreislauf jedoch erlaubt.

■ Da ist Geld das einzige gesetzliche Zahlungsmittel,gleichzeitig aber auch ein beliebig verwendbares Spe-kulationsobjekt.

Page 20: Creutz - Das Geld-Syndrom

21

■ Da unterliegt Geld einem allgemeinen Annahme-zwang, aber keinem Weitergabezwang, obwohl das ersteohne das zweite keinen Sinn ergibt.

■ Da wird Geld gleichzeitig als Tausch- und Wertaufbe-wahrungsmittel deklariert, obwohl die zweite Funktiondie erste aufhebt.

■ Da wird kein Maßstab in der Wirtschaft so oft gebrauchtwie das Geld, aber dessen Kaufkraft nicht stabil gehal-ten.

■ Da ist unser Geld mit einem Zins- und Zinseszinseffektgekoppelt, obwohl dieser zu einem exponentiellenWachstum führen muss.

Die Aufzählung dieser Widersprüche dürfte eigentlichgenügen, um die vom Geld ausgehenden Miseren zu erklä-ren, vor allem, wenn man sich die zentrale Bedeutung desGeldes in unseren heutigen Volkswirtschaften vergegen-wärtigt.

Welche Bedeutung hat das Geld?

Wenn man die Bewohner eines Hauses fragt, welcheGebäudeteile die wichtigsten sind, werden sie sicher dieWohngeschosse nennen. Vom Untergeschoss wird kaumjemand reden und vom Fundament noch weniger. Dabei istdas Fundament für die Stabilität des gesamten Gebäudesvon entscheidender Bedeutung.

Ähnlich ist es mit den Etagen der ›politischen Gebäude‹,in denen wir leben: Der Bereich der Gesellschaftspolitik istuns der wichtigste. Mit wirtschaftlichen Fragen befassen wiruns weniger und mit jenem der Geld- und Währungsord-nung so gut wie gar nicht.

Diese Einschätzungs- und Interessenabstufung gilt nicht

Page 21: Creutz - Das Geld-Syndrom

22

nur für das Gros der Bürger, sondern auch für fast alle Poli-tiker. Ein deutscher Bundestagsabgeordneter, vormalsBundesbanker und als Folge Währungsexperte seiner Frak-tion, hat einmal geklagt: Immer wenn es um gesellschafts-politische Tagesfragen ginge, wäre der Fraktionsraum über-füllt. Würde ernsthaft über Wirtschaftsfragen diskutiert,gingen zwei Drittel der Abgeordneten nach Hause. Undstünden Geld- und Währungsfragen an, bliebe von der gan-zen Mannschaft allenfalls ein halbes Dutzend übrig.

Darstellung 1:

Dabei wird die Bedeutung des Geld- und Währungssektorsjedem klar, wenn man die Bereiche Gesellschaft, Wirt-schaft und Währung – entsprechend unserem Wohnhaus-beispiel – einmal übereinander anordnet, wie in der erstenGrafik dargestellt: Eine stabile Gesellschaft kann es nur aufdem Unterbau einer stabilen Wirtschaft geben, und diese

Page 22: Creutz - Das Geld-Syndrom

23

nur auf dem Fundament eines stabilen Geld- und Wäh-rungssystems. Doch ähnlich wie bei den Gebäuden, wissenwir nur selten etwas von der fundamentalen Rolle der Wäh-rung für Wirtschaft und Gesellschaft. Tauchen in den›gesellschaftlichen Wohnetagen‹ Risse auf oder droht dasGebäude baufällig zu werden, versuchen wir darum meist›vor Ort‹ mit den Problemen fertig zu werden. Doch habensolche Reparaturversuche kaum Chancen auf Erfolg, wenndie Ursachen der Störung tiefer liegen. Machen wir unsaber die Mühe, den ›Rissen‹ und ›Baufälligkeiten‹ in unse-ren Gesellschaftssystemen intensiver nachzugehen, dasheißt, auf der Leiter der Ursachenkette bis zur untersten,auslösenden Ebene hinabzusteigen, dann werden wir fastimmer im ›Fundament‹ fündig werden, also im Bereich vonGeld und Währung.

Page 23: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 24: Creutz - Das Geld-Syndrom

Teil I

Begriffe, Größen undFunktionen rund ums Geld

Page 25: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 26: Creutz - Das Geld-Syndrom

27

1. Kapitel

Klärung der geldbezogenenBegriffe und Vorgänge

»Wenn die Begriffe nicht richtig sind,so stimmen auch die Worte nicht, undstimmen die Worte nicht, so kommenauch die Werke nicht zustande.«Konfuzius

Begriffe sollen das Begreifen erleichtern. Mit klar abge-grenzten Begriffen und Begriffsdefinitionen werden auchkomplizierte Sachzusammenhänge verständlich. UnklareBezeichnungen stiften dagegen Verwirrung, selbst bei ein-fachen Vorgängen und Zusammenhängen.

Wer sich, aus anderen Berufsfeldern kommend, mitGeldfragen befasst, wird von den dort zu findenden vielfäl-tigen Widersprüchlichkeiten und Begriffsungenauigkeitenirritiert sein, ebenfalls von den Mehrfachverwendungeneinzelner Bezeichnungen für unterschiedliche Dinge undErscheinungen.

Da verwechselt man z. B. Veränderungen des Gesamt-preisniveaus mit Einzelpreisschwankungen und addiert sieunter dem Begriff Inflation. Da werden die Begriffe Profit,Gewinn, Zins, Rendite und Mehrwert für gleiche wie fürunterschiedliche Phänomene benutzt. Da bezeichnet manSchecks, Kreditkarten und selbst Bankguthaben als ›Geld‹oder fasst sie sogar mit Banknoten und Münzen als ›Geld-menge‹ zusammen. – Dass solche Begriffsvermischungenund -verwirrungen zu Missverständnissen und Fehlschlüs-sen führen müssen, liegt auf der Hand.

Page 27: Creutz - Das Geld-Syndrom

28

Nachfolgend wird darum zuerst einmal versucht, Klar-heit in die Begriffe und Funktionen zu bringen.

Was ist Geld?

Allein mit Antworten auf diese Frage kann man ganzeBücher füllen!

Geld ist zuerst einmal eine ganz fantastische Erfindung,vergleichbar mit der des Rades. So wie mit Hilfe des Radesder Transport von Gütern auf eine vorher unvorstellbareWeise erleichtert wurde, so mit dem Geld der Tausch der-selben. Ohne Geld war nur ein direkter Tausch von Leis-tung gegen Leistung möglich. Der Korbmacher beispiels-weise, der neue Schuhe brauchte, musste erst einen Schuh-macher finden, der einen Korb benötigte. Dabei mussteauch noch der Wert beider Produkte in etwa gleich sein,damit der Tausch überhaupt zustande kam. Dieses Beispielzeigt bereits, wie eng die Grenzen geldloser Märkte gezo-gen waren und dass Spezialisierung und Arbeitsteilung nurgeringe Chancen hatten.

Aus der Sicht des Leistungstausches ist Geld also ein uni-verseller Vermittler. Geld ermöglicht es, Leistungen anjeden daran Interessierten zu verkaufen und mit dem emp-fangenen Tausch- oder Zwischentauschmittel – zeit- undortsungebunden – eine beliebige Gegenleistung bei jedemanderen nachzufragen.

Diese Vermittlerrolle hatten im begrenzten Umfangbereits vor dem Geld bestimmte langlebige Waren über-nommen. Vor allem solche Waren, die man notfalls selbstaufbrauchen konnte, wie z. B. Salz, Getreide, Teeziegel,Kakaobohnen usw. Doch so sehr sich diese Waren auf-grund ihrer relativ langen Lebensdauer auch als Zwi-schentauschmittel eigneten, waren sie in der Handhabung

Page 28: Creutz - Das Geld-Syndrom

29

doch unpraktisch und verloren außerdem mit der Zeit anWert. Das zählbare, haltbare und leicht transportierbareMünzgeld dagegen, das die zu tauschenden Güter aufeinfache Art vergleichbar machte, brachte den Durch-bruch zu einer Wirtschaftsentwicklung, ohne die unsereheutige Zivilisation und unser Wohlstand undenkbarwären.

Was versteht man heute unter Geld?

Mit dieser Frage hat man im Allgemeinen keine Schwierig-keiten. Geld ist durchweg immer noch das Medium, dasman in seinem Portemonnaie mit sich herumträgt oder zuHause liegen hat. Aber auch die Bestände auf den Sichtgut-haben, den Girokonten – seit langem für Zahlungenbenutzt –, werden als Geld gesehen. Deshalb hat sich inzwi-schen für diese Guthaben der Begriff ›Giralgeld‹ oder›Buchgeld‹ eingebürgert, obgleich das irreführend ist. Inder Wissenschaft werden häufig sogar sämtliche Bankgut-haben als Geld bezeichnet, das heißt, man spricht nicht nurvon Bar- und Giralgeld sondern auch von Spar- und Ter-mingeld und fasst diese Bestände als ›Geldmengen‹ zusam-men.

Einzelne, wie der Exbankier von Bethmann lassen sogarschon mit jeder offenen Rechnung Geld ›entstehen‹, dasmit der Begleichung der Rechnung wieder ›vernichtet‹wird, usw. »Im Grunde weiß niemand mehr, wo Geld auf-hört!«, formulierte ein Referent der Deutschen Bundes-bank vor einigen Jahren einmal diesen Zustand. Ausge-rechnet ein Vertreter jener Behörde, die für die Steuerungder Geldmenge zuständig ist!

Auch ein Studium der Lehr- und Geschichtsbücher hilftbei der Eingrenzung und dem Verständnis von Geld kaum

Page 29: Creutz - Das Geld-Syndrom

30

weiter. Dafür sind die folgenden chronologisch wiederge-gebenen Zitate Zeugnis:

»Geld ist nur um des Austausches willen geschaffenesZeichen.« (Platon, um 380 v. Chr.)»Geld regiert die ganze Welt.« (Publ. Syrus, 1. Jh. v.Chr.)»Geld hat die Aufgabe, den Tausch zu erleichtern.«(Th. von Aquin, um 1250)»Geld ist das Blut der Volkswirtschaft.« (J. Bodin, 1580)»GeldistdasBrecheisenderMacht.«(Fr.Nietzsche1880)»GeldisteineneueFormderSklaverei.«(L.Tolstoi,1980)

Aber auch die folgenden Zitate von drei deutschen Ökono-men aus dem 20. Jahrhundert schaffen eher Verwirrung alsKlarheit:

»Geld ist ein generelles Gut nominaler Geltung.«(F. Lütje)»Geld ist ein Geschöpf der Geldordnung.« (G. F. Knapp)»Geld ist, was gilt.« (G. Schmölders)

Angesichts solcher Aussagen ist die des deutschen Noten-bankiers und jetzigen Chefvolkswirts der EuropäischenZentralbank (EZB), Otmar Issing, fast beruhigend: »GanzeBerge wissenschaftlicher Literatur zeugen davon, dass derGeldbegriff in den Wirtschaftswissenschaften alles andereals unumstritten ist.« Dabei ist die Antwort, entsprechendder Definition von Schmölders, ganz einfach: Geld ist das ineinem Wirtschaftsraum allgemein akzeptierte Zahlungs-mittel!

Page 30: Creutz - Das Geld-Syndrom

31

Sind Schecks, Kredit- und Geldkarten Geld?

Auch diese Zahlungs-Hilfsmittel sind kein Geld. Mit ihnenwerden letztlich immer nur Sichtguthabenbestände übertra-gen wie bei Überweisungen, Dauer- und Abbuchungsaufträ-gen. Bei Schecks ist das offensichtlich. Bei Kreditkartenfinden diese Übertragungen mit Verzögerung bei der Ab-rechnung der Kreditkartengesellschaft mit den Zahlungs-empfängern statt, wobei das Girokonto des Zahlers belastetwird. Bis dahin gibt der Verkäufer die gekaufte Ware alsoauf Kredit, woraus sich der Name der Karte ableitet.

Neben diesem Nachteil verzögerter Bezahlung, muss derVerkäufer auch noch eine Provision von zwei bis fünf Pro-zent an die Kreditkartengesellschaft zahlen, Verluste, die erin seine Preise einkalkulieren muss. Das heißt, die Bequem-lichkeit der Kreditkarten wird auch von denjenigen mitbe-zahlt, die sie nicht benutzen.

Geldkarten sind vorausbezahlte Zahlungshilfen, die prak-tisch wie Telefonkarten funktionieren. Sie können jedochbei der Bank durch Bargeldeinzahlungen oder Abbuchun-gen vom Girokonto immer wieder aufgefüllt werden. Be-zahlen kann man damit bei allen Verkaufsstellen, die überentsprechende Abbuchungseinrichtungen verfügen, eben-falls an Automaten. Es gibt sogar kleine Handgeräte, mitdenen man das elektronisch gebuchte Geld ablesen unddirekt auf andere Karten übertragen kann, also ähnlichanonym wie beim Bargeld.

Was ist mit E-Cash oder Zahlungen im Internet?

Bekanntlich breitet sich nicht nur die Internetnutzung zuInformationszwecken weltweit aus, sondern ebenfalls derVerkauf über dieses Medium. Damit stellt sich auch hier die

Page 31: Creutz - Das Geld-Syndrom

32

Frage der Bezahlung, die selbstverständlich – wie bisherbeim Versandhandel – durch normale Kontenübertragun-gen erfolgen kann. Interessanter und praktischer aber isteine direkte Abbuchung über den Bildschirm, die mangewissermaßen aus einer virtuellen Börse vornimmt, dieman – ähnlich wie bei der Geldkarte – mit normalem Geldgefüllt hat. Das heißt, hier wird wieder kein zusätzlichesoder anderes Geld geschaffen, sondern eine weitere Alter-native seiner Nutzung.

Unter immer neuen Begriffen, von E-money über Cyber-cash bis hin zu Cybercoins, wird häufig der Eindruckerweckt, es handele sich um Zahlungsmittel, die von dembisherigen Geld unabhängig sind. Sowohl die DeutscheBundesbank als auch die EZB haben jedoch bereits mehr-fach darauf hingewiesen, dass nur Banken oder Institu-tionen, die wie Banken behandelt werden, das Recht zurAusgabe dieses elektronisch übertragbaren Geldes habenwerden.

Dennoch ist auch immer wieder von zusätzlichem Inter-netgeld die Rede, das von privaten Unternehmen heraus-gegeben werden soll. Neben den bisher noch gegebenenProblemen aller Bildschirmzahlungen mit Fälschungenund Missbrauch, kämen bei solchen Privatgeld-Emissionenjedoch erhebliche weitere Risiken hinzu. Schon der Tatbe-stand, dass ein solches Privatgeld kaum von allen Nutzernangenommen werden dürfte, ist ein Hindernis für seineVerbreitung. Entsprechend wird man bei einem Umtauschgegen herkömmliche und allseits akzeptierte Währungennicht unerhebliche Wechselkurs-Abschläge in Kauf neh-men müssen. Auch ist die Bewertung der Kaufkraft solcherprivaten Währungen ein erhebliches Problem, so dass siesich, vor allem bei einem weltweiten Einsatz, an den Dollaranlehnen müssten. Damit aber wäre die direkte Abwick-lung von Kaufvorgängen in so einer bereits verbreiteten

Page 32: Creutz - Das Geld-Syndrom

33

Währung ratsamer als die einer privat geschöpften. Außer-dem ist zu beachten, dass mit solchen zusätzlichen Zah-lungsmitteln, wie bei jeder anderen Vermehrung derGeldmenge in einem Wirtschaftsraum, das Gleichgewichtzwischen Angebot und Nachfrage inflationär belastetwird.

Was ist mit der Geldmenge?

Churchill hat einmal gesagt, dass man bei einer gleich lau-tenden Frage an drei Ökonomen fünf verschiedene Ant-worten erhält. Stellt man heute die Frage nach der Geld-menge, dann erhält man sogar ein Dutzend verschiedenerAntworten. Diese reichen vom Bargeld über die Geldbasis(Bargeld zzgl. Zentralbankguthaben der Banken), derGeldmenge M1 (Bargeld und Sichteinlagen), der Geld-menge M2 (M1 zzgl. Termineinlagen) bis hin zur Geldmen-ge M3 (M2 zzgl. Spareinlagen) und weiteren Variationen.Aber auch unter diesen letztgenannten Geldmengen-Begriffen erfasst fast jede Notenbank wiederum unter-schiedliche Anteile der Bankeinlagen.

Die Hauptursachen aller Irritationen in Bezug auf denGeldbegriff und die Geldmenge hängen mit der Fehlbenen-nung der Sicht-, Spar-, Termin- und sonstigen Bankeinlagenals ›Geld‹ zusammen. Diese Fehlbenennungen verführenwiederum dazu, die durch Geldeinzahlungen entstehendenGuthaben der Geldmenge hinzuzuzählen, wodurch es zuden verschiedensten Mengengrößen kommt.

Diese Addition von Geld und Guthaben wird häufigauch damit begründet, dass sich die genannten Guthabendurchweg rasch liquidisieren, also in Geld zurückverwan-deln lassen. Aber auch wenn man seinem Nachbarn Geldnur für einen Tag oder eine Stunde leiht, die Liquidität also

Page 33: Creutz - Das Geld-Syndrom

34

nur kurzfristig aufgibt, vergrößert sich nicht die Geldmen-ge. Allenfalls kommt es zu einer Vergrößerung der Geld-nutzung, des so genannten Geldumlaufs.

Gleichgültig also, ob ich meinem Nachbarn Geld leih-weise zur Verfügung stelle oder einer Bank, die es weiterverleiht: Eine Vermehrung von Geld ist damit in keinemFall verbunden, auch nicht, wenn diese Überlassung gleichmehrfach verbucht wird. Das gilt auch für die Sichtgutha-ben bzw. Girokonten, auf die wir noch zu sprechen kom-men.

Wie kann man Geld definieren?

Versucht man einmal, Geld nach seinen Aufgaben undFunktionen zu definieren, dann kann man es u. a. bezeich-nen als

– Tausch- bzw. Zahlungsmittel,– Recheneinheit, Wertmesser oder Preisvergleicher,– Wertaufbewahrungs- und Wertübertragungsmittel.

Geht man von der Rechtslage bzw. der Dokumentations-seite aus, dann ist Geld

– eine anonyme Bestätigung für eine eingebrachte Leis-tung,

– ein weitergebbares Anspruchsdokument auf das Sozial-produkt,

– das gesetzliche und unter Annahmepflicht stehendeZahlungsmittel.

Legt man diese Definitionen zugrunde, dann ist die Frage»Was ist Geld?« nochmals beantwortet: nämlich jene Me-

Page 34: Creutz - Das Geld-Syndrom

35

dien, auf die alle vorgenannten Kriterien zutreffen! Dasaber ist bislang nur bei den Geldscheinen und Münzen derFall, also bei dem Bargeld, das von den Staaten als Zah-lungsmittel herausgegeben wird.

Auf die in der Fachwelt ebenfalls als Geld bezeichnetenPhänomene, wie Sichtguthaben, Schecks, Kreditkartenusw., treffen die angeführten Kennzeichnungen allenfalls ineinzelnen Punkten zu. Man sollte sie darum konsequenter-weise auch nicht als Geld bezeichnen. Selbst bei den fürZahlungszwecke genutzten Sichtguthaben ist die heuteübliche Bezeichnung ›Giralgeld‹ so lange fragwürdig, wiediese Guthabenbestände nicht dem Bargeld rechtlich undfunktional gleichgestellt sind. Das aber wäre nur der Fall,wenn man – wie vor hundert Jahren bei den von den Ban-ken eingeführten Banknoten – das Giralgeld zum offiziel-len Geld erklären und seine Ausgabe von den Notenban-ken übernehmen würde.

Für welche Zwecke kann man Geld benutzen?

So wie man Geld im Allgemeinen als Gegenwert für Leis-tungen erhält, so gibt man es im Allgemeinen auch wiederfür Leistungen aus. Erhaltenes Geld kann man aber nichtnur zur Leistungsnachfrage benutzen, sondern auch zumVerschenken oder zum Verleihen. Und schließlich kannman Geld auch einfach ungenutzt liegen lassen, also ausdem Verkehr ziehen.

Benutzt man Geld zum Kaufen oder Verschenken, gehtes für alle Zeit in andere Hände über. Verleiht man Geld,tritt man die Möglichkeiten seiner Nutzung nur vorüber-gehend ab. Hortet man dagegen Geld, fällt es für jeglicheNutzung in der Wirtschaft aus und es kommt zu einerUnterbrechung des Geldkreislaufs. Diese Unterbrechung

Page 35: Creutz - Das Geld-Syndrom

36

ist kein einmaliger Vorgang, sondern sie löst eine Kettenre-aktion von Nachfrageausfällen aus, mit der alle in der Zwi-schenzeit sonst möglichen Tauschvorgänge verhindert wer-den!

Läuft das Geld z. B. zweimal im Monat um, dann löst z. B.ein stillgelegter 100-Dollar-Schein in einem Jahr Nachfra-geunterbrechungen in Höhe von 2 400 Dollar aus. Währendalso beim Kaufen, Verschenken und Verleihen der Nach-fragekreislauf geschlossen bleibt, führt das Liegenlassenvon Geld zu Störungen, die sich mit der Zeit akkumulie-ren.

In dieser möglichen Verzögerung zwischen Leistungsein-bringung und -nachfrage, also in der Wertaufbewahrungs-funktion des Geldes, liegt bereits einer der entscheidendenKonstruktionsfehler unseres Geldes. Denn der Tauschvor-gang Leistung gegen Leistung bzw. Ware gegen Ware, derohne Geld in einem Schritt abgewickelt wird, teilt sichdurch das Geld in zwei Vorgänge auf: Ware gegen Geld –Geld gegen Ware. Da der zweite Schritt aber nicht dem ers-ten folgen muss, sondern erst sehr viel später (oder auch garnicht!) erfolgen kann, wird mit jeder zwischenzeitlichenStilllegung des Geldes der Kreislauf unterbrochen. Geld istalso nicht nur ein Tauschvermittler bzw. Zwischentausch-mittel und damit ein Schlüssel zum Markt, sondern es kannauch ein Riegel sein, der den Fortgang der Marktprozesseverhindert.

In einer Geldwirtschaft sind also Angebot und Nachfra-ge nur dann ausgeglichen und im Gleichgewicht, wenn alleseingenommene Geld regelmäßig wieder für Ausgabengenutzt wird. Da aber die Geldhaltung der Warenhaltungüberlegen ist, ist im Grunde ein ständiges Ungleichgewichtin unseren Volkswirtschaften vorprogrammiert.

Page 36: Creutz - Das Geld-Syndrom

37

Warum muss man zwischen Geld und anderenForderungs-Ausgleichmitteln unterscheiden?

Nehmen wir an, ein Installateur hat bei einem Bäcker eineReparatur durchgeführt, für die er 100 Dollar oder Euroberechnet. Diese Rechnung kann der Bäcker begleichen

– mit einem Geldschein über diesen Betrag oder, wenn derInstallateur dies akzeptiert,

– mit einem Bar- oder Verrechnungsscheck oder– mit einer Gegenleistung in Brot.

Im ersten Fall liegt ein Forderungsausgleich durch Bezah-lung vor, im zweiten durch eine Guthabenübertragung undim dritten Fall durch eine Sachleistung. Träfe die Auffas-sung zu, dass alles, womit man eine Forderung begleichenkann, auch ›Geld‹ ist, dann wäre nicht nur der Scheck Geld,sondern auch das zum Ausgleich gelieferte Brot.

Solche Gleichsetzungen sind also nicht nur begrifflichsondern auch sachlich fragwürdig. So kann die Menge desBrotes nur durch Arbeitsleistungen der Bürger vermehrtwerden und die Menge übertragbarer Guthaben nur durchBargeldeinzahlungen bei der Bank. Die Menge des Bargel-des aber (und hier liegt der entscheidende Unterschied!)kann jedoch nur von den dazu befugten Notenbanken ver-mehrt werden. Geld ist also mehr als nur ein Zahlungsmit-tel, als das man auch den Scheck bezeichnen kann. Oderanders ausgedrückt: Geld ist zwar (auch) ein Zahlungsmit-tel, aber nicht alle Zahlungsmittel sind Geld, schon garnicht das Brot, das man dem Installateur als Tauschwaregegen die Reparatur gibt.

Außerdem setzt ein Forderungsausgleich am Markt,gleichgültig ob durch Geldzahlung, Guthabenübertragun-

Page 37: Creutz - Das Geld-Syndrom

38

gen oder Sachleistungen vollzogen, immer eine Arbeits-oder Sparleistung des Zahlenden voraus und ist damitdurch Güter am Markt gedeckt. Geld dagegen kann vonden Notenbanken auch ohne Leistungsdeckung produziertund in Verkehr gebracht werden.

Die Unterschiedlichkeit von Geld, Scheck und Sachleis-tung wird ebenfalls deutlich, wenn man sich vorstellt, derInstallateur würde die empfangene Gegenleistung verlie-ren oder verlegen:

Verliert er den Scheck, so bleibt seine Forderung offenund er kann vom Bäcker ggfs. eine erneute Scheckausstel-lung verlangen.

Verliert er das Brot, ist sein Anspruch dagegen verwirktund er muss den Schaden tragen.

Verliert er den Geldschein, sind seine Ansprüche eben-falls erloschen. Darüber hinaus aber fügt er – wenn derGeldschein von keinem Dritten gefunden wird – durch diedamit verbundene Kette ausfallender Nachfrage auch derAllgemeinheit einen Schaden zu.

Weiter ist zu beachten, dass sowohl der Wert des Schecksals auch der des Brotes vom Wert des Bargelds abgeleitetwird. Dessen Wert aber, bzw. richtiger: dessen Kaufkraft, istalleine abhängig von der Mengenrelation zwischen Geldund Wirtschaftsleistung.

Warum ist Geld der Arbeit und den Güternüberlegen?

Stellen wir uns einmal drei Wanderer vor, die abends müdeund hungrig in ein Dorf kommen und sich auf ein gutesEssen freuen. Der erste der drei hat noch einen Geldscheinin der Tasche, der zweite hat einen Korb frischer Pilze imWert des Geldscheins gesammelt und der dritte rühmt sich

Page 38: Creutz - Das Geld-Syndrom

39

seiner Fähigkeit, in einer Stunde gleichwertige Arbeit leis-ten zu können.

Derjenige mit dem Geldschein wird im nächsten Gast-haus seinen Hunger problemlos stillen können. Der Pilz-sammler wird dazu nur kommen, wenn er einen Abnehmerfür seine Ware findet. Noch schwerer hat es der Dritte imBunde, denn ob am Abend noch jemand eine Arbeitskraftfür eine Stunde sucht, ist zweifelhaft.

Noch deutlicher wird der Unterschied mit einem ande-ren Vergleich: Man stelle sich vor, dass die Türen eines Pan-zerschranks mit 10 000 Dollar für 14 Tage geschlossen wer-den, ferner die Türen einer Markthalle mit Waren im glei-chen Wert und schließlich noch die Türen eines Raumes, indem sich fünf Menschen aufhalten, die in 14 Tagen norma-lerweise 10 000 Dollar verdienen.

Öffnet man die Türen nach 14 Tagen, dann sind die fünfEingeschlossenen wahrscheinlich verdurstet und die Warenin der Markthalle überwiegend verdorben. Die Geldschei-ne im Tresor aber sind so frisch wie vorher.

Geld ist also – im Gegensatz zu der Auffassung vielerÖkonomen – keinesfalls ein ›Äquivalent‹ für Waren undArbeit, sondern auf Grund seiner besonderen Eigenschaf-ten und seiner Universalität diesen weit überlegen. Derdeutsche Verfassungsrechtler Dieter Suhr (1939–1990) hatGeld darum als »Joker« im Wirtschaftsgeschehen bezeich-net, als die überlegene Karte, die begehrter ist als alle ande-ren. Und weil man sich wegen dieses Vorzugs nur ungernvom Geld trennt, ist es normalerweise immer knapper alsdie sich ihm anbietenden Waren. Knappe Güter wiederum,ganz besonders, wenn man sie problemlos aufbewahrenkann, werden jedoch immer wertvoller und begehrter, wassich in einem damit zu erzielenden Knappheitsgewinn oder-preis niederschlägt. Beim Geld ist das der Zins.

Page 39: Creutz - Das Geld-Syndrom

40

Woher bekommt das Geld seinen Wert?

Als Geld noch aus Gold und Silber bestand, ging sein Wertvon dem des verwendeten Metalls aus. Dieser Wert wieder-um wurde von der Begehrtheit, der Seltenheit und vor allemvon dem Aufwand bestimmt, das Metall abzubauen undeinzuschmelzen. Geld aus Gold und Silber war also letztlichselbst eine Ware, die man gegen eine andere tauschte. Heu-te haben allenfalls noch die kleinsten Münzen einen solchendeckenden Eigenwert. Der Nennwert der großen Münzenund vor allem der Scheine übersteigt dagegen die Material-und Herstellungskosten um ein Vielfaches.

So wie das Gold- und Silbergeld seinen wirtschaftlichenWert letztlich aus seiner Knappheit hergeleitet hat, so istdas auch heute noch bei unserem Papiergeld der Fall. Kon-kret: Unser Geld erhält seinen Wert alleine durch seineMengenbegrenzung auf den Umfang der angebotenenLeistungen und Güter in der Wirtschaft. Das heißt, derWert des Geldes (richtiger: die Kaufkraft, da das Geld japraktisch keinen Wert mehr besitzt), hängt von der Relati-on zwischen der Menge des nachfragenden Geldes und derMenge der angebotenen Leistungen ab. Anders ausge-drückt: Die Menge der angebotenen volkswirtschaftlichenLeistungen dividiert durch die Menge des nachfragendenGeldes ergibt dessen Kaufkraft.

Würde eine Notenbank, bei gleich bleibender Wirtschafts-leistung, ›morgen‹ die Geldmenge verdoppeln, dann wärealsokeinGeldhalter reicher,weilauchdiePreiseaufdasDop-pelte ansteigen würden. Gewinner bei einer solchen Verdop-pelung wären allerdings die Schuldner, denn sie könnten ihreSchulden, aufgrund der halbierten Geld-Kaufkraft, mit hal-bierter Leistung tilgen. Umgekehrt würden die Gläubiger diehalbe Kaufkraft ihrer Forderungen verlieren.

Diese aus der Relation zur Leistung resultierende Kauf-

Page 40: Creutz - Das Geld-Syndrom

41

kraft des Geldes bestimmt auch die Kaufkraft der in Geldein-heiten ausgedrückten Verrechnungsvorgänge über Girokon-ten. Ohne den vom Staat ausgegebenen und mengenregulier-ten Bargeldbestand würde dieser Wert- und Preismaßstabfehlen und kaum auf andere Weise zu konstruieren sein.

Wie viel Bargeld gibt es eigentlich?

Wenn wir uns zur Beantwortung dieser Frage einmal dieEntwicklung in Deutschland ansehen, dann lag die heraus-gegebene Bargeldmenge – ohne Kassenbestände der Kre-ditinstitute – Ende 1950 bei acht und im Jahr 2000 bei 250Mrd. DM. Die Menge des herausgegebenen Geldes wurdealso in den fünf Jahrzehnten auf das 31fache ausgeweitet. Inder gleichen Zeit aber nahm das reale Bruttosozialprodukt›nur‹ um das Achtfache zu. Die sich aus beiden Größenergebende Differenz spiegelt weitgehend den zwischen-zeitlichen Kaufkraftverlust der DM wider, also deren infla-tionäre Entwertung.

Schlüsselt man die Bargeldmenge von 250 Mrd. DM inDeutschland auf, dann entfielen knapp sechs Prozent aufdas Münzgeld und 94 Prozent auf das Papiergeld. Dengrößten Wertanteil an diesem Papiergeld hatten mit 38 Pro-zent die 100-DM-Scheine, den zweitgrößten mit 33 Prozentüberraschenderweise die 1 000-DM-Scheine, die im norma-len Nachfrageumlauf kaum benutzt werden.

Legt man diesen Bargeldbestand in Deutschland von 250Mrd. DM auf die Bevölkerung von 82 Millionen um, dannerrechnete sich ein Pro-Kopf-Anteil von rund 3 000 DMund ein Anteil je Haushalt von rund 6 600 DM. DieserBetrag setzt sich statistisch aus etwa zwei 1000-DM-Schei-nen, einem 500er und 25 Scheinen im Wert von 100 DMzusammen, der Rest durchweg aus kleineren Scheinen und

Page 41: Creutz - Das Geld-Syndrom

42

Münzgeld. Da aber in Wirklichkeit die durchschnittlicheBargeldhaltung je Haushalt eher unter 3 000 statt bei 6 600DM liegen dürfte, wird wieder erkennbar, in welchemUmfang die Bargeldmenge über die von den Haushaltenfür die Endnachfrage benutzten Beständen hinausgeht.

Natürlich halten nicht nur Privathaushalte Bargeldkas-sen, sondern auch alle Unternehmen und Behörden usw.Gemessen an deren Umsätzen sind diese Bargeldkassenjedoch relativ klein. Und im Einzelhandel, bei dem sich täg-lich große Geldbeträge sammeln, werden diese Kassenbe-stände überwiegend auch täglich wieder bei Banken einge-zahlt. Von dort kommen sie, durchweg innerhalb von zweibei drei Tagen, durch Abhebungen der Endverbraucherwieder in den Kreislauf zurück.

Der große Bargeldüberschuss in Deutschland erklärt sichvor allem daraus, dass – laut einer Untersuchung der Deut-schen Bundesbank aus den 90er Jahren – rund ein Dritteldes gedruckten Bargelds ins Ausland verschwunden ist.Beim US-Dollar liegt dieser sich außerhalb der Landesgren-zen befindliche Geldanteil sogar bei rund 70 Prozent. Damitlässt sich das Inflationspotential erahnen, das in solchenAuslandsbeständen latent vorhanden ist. Aber auch dieSchwierigkeit für die Zentralbanken, unter diesen Bedin-gungen die Geldmenge stabilitätsgerecht zu steuern.

Übrigens läuft jeder Geldschein etwa dreimal jährlichdurch die Kassen der Notenbank-Zweigstellen. Dabei wer-den alle unansehnlich gewordenen oder beschädigten Schei-neeingezogenunddurchneueersetzt. ImJahr 1999warendasz.B. imBereichderDeutschenBundesbankmit rund 795 Mil-lionen Stück im Wert von 43 Mrd. DM ein gutes Viertel dergesamten Geldscheinmenge. Dabei werden die besondershäufig benutzten kleineren Scheine etwa jedes Jahr erneuert,die großen etwa alle drei bis vier Jahre. Umgerechnet auf die240 Banktage wurden also 1999 in Deutschland täglich mehr

Page 42: Creutz - Das Geld-Syndrom

43

als drei Millionen unansehnlich gewordene Geldscheine miteinem Nennwert von etwa 180 Mio. DM gegen neu gedruck-te ausgetauscht. Die eingezogenen Scheine werden im All-gemeinen zerkleinert, zu Briketts gepresst und verbrannt.

Wie sieht das mit der Bargeldmenge beim Euro aus?

Ab Beginn des Jahres 2002 wird in elf europäischen Län-dern (bzw. eventuell einschließlich Griechenland in zwölf)nur noch mit dem Euro gerechnet und gezahlt. Bei den Vor-bereitungen zur Euro-Einführung bzw. der Gründung desEuropäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), hatman 1995 die Bargeldbestände in den einzelnen Ländernermittelt. Diese Bestände gehen, in Euro umgerechnet, ausder ersten Spalte in Tabelle A hervor. Ebenso die Pro-Kopf-Bestände in der letzten Spalte, nach deren Größe dieTabelle geordnet ist.

Tabelle A:Bargeldmengen in den Euroländern – Stand 1995

Land: BestandMrd. Euro

Bargeldin % BIP

%-Anteilan M1

Europro Kopf

Deutschland 121,8 6,9 29,1 1 485Österreich 10,5 6,1 34,9 1 295Niederlande 18,6 6,0 22,1 1 184Spanien 46,4 10,8 25,4 1 181Luxemburg 0,4 3,2 15,5 1 020Belgien 10,3 5,3 27,2 1 006Italien 51,2 5,5 16,3 889Frankreich 39,7 3,3 14,0 677Irland 2,2 4,8 36,4 595Portugal 4,2 5,5 19,8 417Finnland 1,8 2,3 7,0 357

Page 43: Creutz - Das Geld-Syndrom

44

Dass in Deutschland die höchsten Pro-Kopf-Beträge aus-gewiesen werden, hängt vor allem mit den hohen Geldbe-ständen im Ausland zusammen, die hier den Bürgern inDeutschland zugerechnet sind. Ansonsten kann man – vorallem an der Relation zum BIP – in etwa den Grad der Bar-geldnutzung und der unbaren Zahlungen in den Ländernablesen, ebenso an der Relation zu M1.

Geht man vom Planungsstand Mitte 2000 aus, dann wer-den für die Euro-Einführung im Jahr 2002 (einschl. Grie-chenland) insgesamt 14 500 Millionen neue Euro-Geld-scheine gedruckt mit einem Wert von rund 616 Mrd. Euro.Dazu kommen dann noch 56 Milliarden Euro-Münzen miteinem Gesamtwert von etwa 50 Mrd. Euro. Von diesen neugedruckten und geprägten Geldmengen werden für denGeldumtausch etwa 70 Prozent benötigt, der Rest geht indie Reserven.

Stapelt man die 14,5 Milliarden neu gedruckten Scheineaufeinander, ergibt sich eine Säule von rund 1 700 Kilome-ter Höhe, fast 200-mal so hoch wie der höchste Berg derWelt. Aneinander gereiht würden die Scheine eine Kettevon rund zwei Millionen Kilometer ergeben, die sich alsoetwa 50-mal um die Erde wickeln ließe bzw. dreimal zumMond und zurück reichen würde.

Welche logistischen Probleme mit der Währungsumstel-lung verbunden sind, machen auch die anfallenden Trans-portlasten deutlich. Alleine die 56 Milliarden Münzenschlagen mit einem Gewicht von 250 000 Tonnen zu Buche.Das entspricht der Ladung von rund 200 Güterzügen oder100 Binnenschiffen bzw. 10 000 Lkws.

Teilt man die bis 2002 gedruckten Scheine auf die Bevöl-kerung der zwölf Länder mit ihren rund 253 Millionen auf,dann entfallen im Durchschnitt auf jeden Bürger 10 Fün-fer-, 12 Zehner-, 14 Zwanziger-, 14 Fünfziger-, 5 Hunder-ter-, 1 Zweihunderter- und 1,5 Fünfhunderter-Euro-Noten.

Page 44: Creutz - Das Geld-Syndrom

45

Einschließlich der Reserven käme man dann also auf rund2 500 Euro pro Kopf.

Was die Kosten dieses Geldumtauschs betrifft, so werdenalleine für den Bereich der DM etwa einer Milliarde Eurogenannt, weitere 3,5 Mrd. fallen für den Umtausch bei denBanken an und auf 15 Mrd. Euro werden die Kosten in denUnternehmen geschätzt, einschließlich Umstellung derComputer, Kassen, Automaten usw. Damit ergeben sich fürDeutschland Umstellungs-Gesamtkosten von fast 20 Mrd.Euro. Rechnet man diese Größen auf den gesamten Euro-Raum um, dann dürften die Kosten für alle Länder bei 60 –65 Mrd. Euro liegen, was 1 bis 1,5 Prozent des gesamtenBruttoinlandsprodukts dieser Länder ergibt. Und umge-rechnet auf alle Bürger ergäbe sich eine Belastung von etwa250 Euro!

In welchen Größenordnungen rechnet man beimGeld?

Wenn man heute über Geld redet, geht das nicht mehr ohneMillionen- und Milliardenbeträge. Inzwischen haben vieleGrößen sogar schon die Billionengrenze überschritten.

Unter ein-, zehn- oder hunderttausend Dollar, Eurooder Yen können wir uns im Allgemeinen noch etwas Kon-kretes vorstellen. Jedoch bei sechs, neun oder noch mehrNullen hinter der Zahl verliert sich diese Fähigkeit. Ver-dient z. B. jemand, den wir kennen, 20 000 Dollar im Monat,dann regen wir uns in den meisten Fällen darüber auf, hal-ten das für ungerecht und unvertretbar. Lesen wir aber,dass irgendjemand monatlich 200 000, zwei Millionen odersogar 20 Millionen Dollar aus seinem Vermögen kassiert,löst das eher ein fast ehrfürchtiges Erstaunen oder neider-füllte Anerkennung aus.

Page 45: Creutz - Das Geld-Syndrom

46

Zwar werden bei den großen Beträgen die Zahlen jeweilsnur um Nullen verlängert, aber diese Nullen haben es insich: Wer z. B. eine Million Geldstücke (also eine 1 mit sechsNullen) zählen will – acht Stunden täglich jede Sekundeeine Münze – braucht dazu fast 35 Tage. Bei drei Nullenmehr, also bei einer Milliarde, muss er dagegen rund 96 Jah-re jeden Tag acht Stunden ohne jede Unterbrechung zählen,und bei einer Billion (einer 1 mit 12 Nullen) 96 000 Jahre!

Da inzwischen die geldbezogenen Milliardengrößen inunseren Volkswirtschaften durchweg vier- und sogar fünf-stellig sind (Geldvermögen und Schulden lagen beispiels-weise in Deutschland im Jahr 2000 bei rund 10 000 Mrd.DM!), müssten wir eigentlich auch die Billionen in unsereRechenbeispiele einbeziehen. Doch um des einfacherenVergleichens willen wollen wir in diesem Buch bei Milliar-dengrößen bleiben. Und was die Währungen anbelangt, sowerden die jeweils geltenden herangezogen, für die heuti-gen und zukünftigen Gegebenheiten also vor allem Euround Dollar. Dabei kann man – die täglichen Kursschwan-kungen außer Acht lassend – Euro und Dollar in etwagleich ansetzen, beide jeweils auf zwei DM.

Wie kommt das Geld in Umlauf?

Bei der Neugründung eines Staates mit eigener Währungwäre die gerechteste und einfachste Lösung die Ausgabeeines gleichen Kopfgeld-Startbetrags an alle Bürger. Auchnach einem Staatsbankrott – meist beschönigend mit demBegriff »Währungsreform« bezeichnet – wird das häufig sopraktiziert. So wurde beispielsweise in Westdeutschland1948 an jeden Bürger ein Erstgeld von 40 DM ausgegebenund die gleiche Summe noch mal an die Unternehmen fürjeden Beschäftigten.

Page 46: Creutz - Das Geld-Syndrom

47

Ab und zu wird darum der Vorschlag gemacht, die mitdem Wirtschaftswachstum notwendig werdenden Auswei-tungen der Geldmenge durch Zuteilungen an die Bürger inden Kreislauf zu schleusen. Führt man sich jedoch einmaldie anstehenden Größenordnungen vor Augen, dann wirddie Fragwürdigkeit solcher Geldeinschleusung deutlich. Sowurde in Deutschland beispielsweise die Bargeldmenge inden letzten zehn Jahren von rund 150 auf 250 Mrd. DM aus-geweitet, pro Jahr also um acht Mrd. DM. Umgelegt auf dieBevölkerung waren das pro Kopf rund 100 DM im Jahr undacht DM im Monat! Man stelle sich angesichts dieser gerin-gen Beträge den Aufwand einer solchen Geldversorgungvor, von den Problemen eines Geldeinzugs, falls er notwen-dig werden sollte, nicht zu reden. Außerdem wäre bei einersolchen Geldverteilung gar nicht gesichert, dass das not-wendige Mehr an Geld von den Empfängern auch ausgege-ben wird!

Eher vorstellbar wäre darum eine Geldausgabe an denStaat, der zu einer schnellen und vollständigen Ausgabegezwungen werden könnte, ebenso zu einer Rückgabe,wenn die Geldmenge reduziert werden muss. Aber auchdieser Weg wäre nur dann möglich, wenn die Notenbankenwirklich nur noch mit der Steuerung der Geldmenge zu tunhätten, das heißt, wenn der Geldumlauf eine verstetigteGröße wäre. Solange jedoch der Umlauf des Geldes eineunbekannte und unberechenbare Größe ist, sind dieNotenbanken zu ständigen Korrekturen und Feinsteuerun-gen der Geldmenge gezwungen. Solche Feinsteuerungenjedoch, die eine laufende Abtastung des Geldmarkteserforderlich machen, dürften heute nur über laufend korri-gierte Ausleihungen des Bargelds an die Banken möglichsein.

Page 47: Creutz - Das Geld-Syndrom

48

Welche Vorteile hat die Geldmengensteuerungüber Kredite?

Der Weg der Geldmengenregulierung durch Ausleihen desGeldes an die Banken ist nicht nur der sensibelste, erkommt auch dem Geldbedarf der Wirtschaft am nächsten.Denn die Banken fordern ihrerseits nur dann zusätzlichesGeld an, wenn sie durch erhöhte Abhebungen bzw. Liquidi-tätsengpässe in den Kassen dazu gezwungen werden. Sam-melt sich umgekehrt in den Bankkassen zu viel Bargeld an,geben sie es schnellstmöglich an die Notenbanken zurück,um ihre zinsbelasteten Schulden dort abzubauen.

Das von den Notenbanken herausgegebene Bargeldwird den Banken überwiegend nur für 14 Tage überlassen.Da sich diese Ausleihungen wöchentlich überlappen, fallenalso jede Woche auch erhebliche Rückzahlungen an, diedann durch neue Kredite ausgeglichen werden. Bei jedemdieser Rückzahlungen und Neuausgaben, können dieNotenbanken sowohl die Mengen als auch die Konditionenkorrigieren. (Dieser Weg der Geldversorgung und Geld-mengensteuerung wird im 4. Kapitel noch näher beschrie-ben.)

Über die Kreditvergabe an die Banken hinaus, haben dieNotenbanken noch die Möglichkeit, die Geldmenge in derWirtschaft durch den Kauf von Gold, Wertpapieren oderDevisen auszuweiten und ggfs. durch Verkauf dieser Werteauch wieder zu reduzieren. Diese auf dem Kaufweg erwor-benen Werte dienen auch als eine Art von Notreserve, mitder z. B. kurzfristig auf Ausschläge der Wechselkurse oderBanken-Kalamitäten reagiert werden kann.

Zu einer Ausweitung der Geldmenge durch Ankauf vonDevisen kommt es vor allem in Ländern mit Exportüber-schüssen, da die Exporteure ihre Einnahmen in ausländi-scher Währung bei den Banken gegen die eigene Währung

Page 48: Creutz - Das Geld-Syndrom

49

eintauschen. Diese tun dasselbe wieder bei der Notenbank.Wenn diese nun zu einem Ankauf dieser Devisen verpflich-tet ist, muss sie mehr Geld drucken als erforderlich, womitdie Gefahr inflationärer Entwicklungen besteht, der sogenannten importierten Inflation.

Der gleiche Inflationseffekt tritt auf, wenn Notenbankenzur Stützung der Wechselkurse direkt andere Währungenaufkaufen. Es sei denn, sie gleichen die damit verbundeneAusweitung der Geldmenge durch Reduzierungen ananderer Stelle wieder aus. Das aber ist kaum ohne Zeitver-zögerung und zwischenzeitliche Mengenüberziehungenmöglich.

Eine inflationsfreie Ausweitung der Geldmenge ist alsonur gegeben, wenn sie im Gleichschritt mit der Wirtschafts-leistung erfolgt. Das aber ist noch nicht einmal bei derGeldausgabe über die Geschäftsbanken garantiert, da derMehrbedarf am Bankschalter sowohl aus veränderten Zah-lungsgewohnheiten als auch aus wirtschaftsbedingtemMehrbedarf oder verstärkter Liquiditätsvorliebe resultie-ren kann.

Woher bekommen die Notenbanken das Geld?

Das Papiergeld lassen die Notenbanken im Allgemeinen inspeziellen Druckereien herstellen. Das heißt, die Noten-banken ›schöpfen‹ Geld gewissermaßen aus dem Nichts.Da dazu nur Papier und Farbe benötigt wird, sind die Her-stellungskosten entsprechend gering. In Deutschland lie-gen die Kosten je Schein bei 14 Pfennig. Dabei ist der 1000-DM-Schein nicht viel teurer als der mit dem 10-DM-Auf-druck. In den USA liegen die Kosten einer Eindollarnotebei vier bis sechs Cent. Da sie aber nur rund anderthalb Jah-re hält, hat die Regierung Anfang 2000 die Ausgabe einer

Page 49: Creutz - Das Geld-Syndrom

50

neuen Eindollarmünze beschlossen. Sie kostet in der Her-stellung zwar doppelt so viel, soll aber mindestens 30 Jahrehalten.

Manchmal wird angenommen, die das Geld ausgeben-den Notenbanken könnten den Differenzbetrag zwischenHerstellungskosten und Nennwert einstecken und sichsomit unbotmäßig bereichern. Das wäre sicherlich so, wennsie das Geld durch Kauf irgendwelcher Güter oder Wertge-genstände für den Eigengebrauch in den Umlauf bringenwürden. Die Ankäufe der Notenbanken betreffen jedochnur Gold, Pfandbriefe oder Devisen, also Wertbestände,die gewissermaßen als ein Spartopf der Gesamtgesellschaftzu betrachten sind. Da diese angekauften Werte größten-teils zinsbringend eingesetzt werden, bzw. die Notenban-ken für das an die Geschäftsbanken ausgeliehene Geld Zin-sen verlangen, resultieren aus diesen Geschäften laufendeEinnahmen.

Mit diesen Zinseinnahmen finanzieren die Notenbankenzuerst einmal ihren recht aufwendigen Apparat. Darüberhinausgehende Einnahmen werden im Allgemeinen an dieStaatshaushalte abgeführt. Das trifft weitgehend auch aufdie wenigen privat organisierten Notenbanken zu, da sichderen Anteile überwiegend in den Händen staatlicher Stel-len befinden.

Anders als beim Papiergeld, liegt die Produktion desMünzgeldes, als Überbleibsel früherer Rechte, in den meis-ten Ländern noch in den Händen der Regierungen. Dieseverkaufen die Münzen zum Nennwert an die Notenbanken,die ihrerseits dafür neu gedruckte Geldscheine hergeben.Da die Prägekosten der Münzen im Allgemeinen weitunter dem Nennwert liegen (sieht man von den kleinstenMünzen ab), verbleibt für den jeweiligen Finanzministerein hübscher Gewinn, der als ›Einnahmen aus dem Münz-regal‹ in Deutschland z. B. mit etlichen hundert Millionen

Page 50: Creutz - Das Geld-Syndrom

51

pro Jahr zu Buche schlägt. Allerdings dürfen auch dieRegierungen nur in dem Umfang Münzen prägen, wie dieNotenbanken – die ihrerseits wieder auf die Nachforderun-gen der Geschäftsbanken reagieren – sie nachfordern.

Im Übrigen ist die jährliche Ausweitung der Bargeldmen-ge nicht allzu groß. In Deutschland lag sie – wie bereits ange-führt – im längerfristigen Durchschnitt bei etwa acht Milliar-den bzw. fünf Prozent p. a. In der Schweiz lag die Geldmen-genausweitung in den 70er Jahren ebenfalls bei dieser Höhe,ging aber seit den 80er Jahren tendenziell gegen zwei Pro-zent zurück, nicht zuletzt aufgrund einer Ausweitung derGiralgeldbestände. Mit den Ursachen und Folgen dieserSchwankungen der Bargeldnachfrage und -haltung werdenwir uns später noch eingehender befassen.

Wem gehört das Geld?

Wer eine Sache herstellt, ist normalerweise ihr Eigentümer,auch wenn er sie – mit oder ohne Gebühren – anderen zurNutzung überlässt.

Werden z. B. den Reisenden auf den Bahnhöfen Koffer-kulis zur Verfügung gestellt, dann sind diese Eigentum derBahngesellschaft und die Reisenden nur vorübergehendeNutzer. Man sollte meinen, dass dies beim Geld genauso ist.Hier aber gilt im Allgemeinen immer noch – obwohl dasheutige Geld eine öffentliche Einrichtung ist –, dass jeder,der einen Geldschein in die Hand bekommt, daran ›Eigen-tum erwirbt‹.

Diese Sicht mag zur Zeit des Gold- und Silbergeldes, alsGeld noch ein echtes Tauschgut mit Eigenwert war, richtiggewesen sein. Welche Probleme mit dieser immer noch be-stehenden Eigentumsvorstellung in unseren Tagen verbun-den sind, werden wir noch klären. Tatsache ist jedenfalls,

Page 51: Creutz - Das Geld-Syndrom

52

dass heute jeder Geldscheinempfänger mit den Banknotentun und lassen kann, was er will. Denn nicht allein der mitdem Geld dokumentierte Anspruch an die volkswirtschaft-liche Leistung ist nach heutiger juristischer Auffassung seinpersönliches Eigentum, sondern auch die ihm vom Staatkostenlos zur Verfügung gestellte weiterreichbare Leis-tungsquittung, also der Geldschein selbst. Und da man mitEigentum beliebig umgehen kann, hat in den meisten Län-dern sogar jeder das Recht, den erhaltenen Geldschein zuverbrennen oder anderweitig zu vernichten. Vor allem aberkann jeder, ohne Folgen befürchten zu müssen, den Geld-schein beliebig lange aus dem Verkehr ziehen, obwohl erdamit andere an der Nutzung dieser öffentlichen Einrich-tung hindert.

Übertragen wir das auf die Kofferkulis bei der Bahn,dann werden die Folgen eines solchen Rechtes nachvoll-ziehbar: Nicht nur für einen einzelnen Reisenden würde dieNutzung durch die Blockierung des Kofferkulis verhindert,sondern ganze Ketten von Transportvorgängen würdenentfallen.

Page 52: Creutz - Das Geld-Syndrom

53

2. Kapitel

Geld und Guthaben»Ich glaube, man muss sich überDefinitionen irgendwann mal eini-gen. Man kann natürlich die Dingedauernd durcheinander werfen, sodass der eine als Geld, was der andereals Vermögen und der Dritte als Kre-dit bezeichnet.«Werner Ehrlicher*

* Geldtheoretiker an der Universität Freiburg, Podiumsdiskussion »Wasist Geld?«, Wangen/Allgäu 1991

Was sind Guthaben und wie nehmen sie zu?

Wenn eine Hausfrau ihrer Nachbarin ein Pfund Salz leiht,dann hat sie es selbst nicht mehr. Wohl aber hat sie einenAnspruch auf Rückgabe: Sie hat ›ein Pfund Salz gut‹, oderanders ausgedrückt: Sie hat ein Salz-Guthaben. Gibt ihr dieNachbarin ein Pfund Salz zurück, erlischt das Guthabenund gleichzeitig die Schuld. An der Salzmenge hat sichnichts verändert.

Beim Geldverleihen ist der Ablauf nicht anders. Leihtjemand einem anderen 1 000 Dollar, so hat er dieses Geldnicht mehr. Stattdessen hat er einen Anspruch auf Rücker-halt des Geldes, also ein Geld-Guthaben, und der Geldlei-her hat in gleicher Höhe eine Schuld. Will dieser seineSchuld tilgen, muss er den entsprechenden Betrag aus sei-nem Einkommen erübrigen, also den aus der Ersparnis des

Page 53: Creutz - Das Geld-Syndrom

54

Verleihers stammenden Betrag durch einen Nachsparvor-gang ausgleichen.

Durch Verleihvorgänge verändert sich also weder etwasan der Geldmenge noch an den Nachfragemöglichkeiten inder Wirtschaft. Es kommt lediglich zu einer zeitlich be-grenzten Überlassung von Einkommensüberschüssen aneinen anderen Wirtschaftsteilnehmer. Dabei schließt diesermit seiner Nachfrage die Lücke, die sonst im Geld- undWirtschaftskreislauf entstehen würde.

Auch durch wiederholte Verleihvorgänge ändert sichnichts an der Geldmenge. Dafür ein Beispiel:

Zwei Nachbarn haben ein Monatseinkommen von je3 000 Dollar und der eine leiht dem anderen davon regel-mäßig 1 000 Dollar. Nach einem Jahr beträgt dann dasGeldguthaben des Verleihers 12 000 und nach zehn Jahren120 000 Dollar. Entsprechend sind auch die Rückgabever-pflichtungen des Nachbarn, also dessen Schulden, auf120 000 Dollar angestiegen. An den Leistungen und denEinkommen der beiden Beteiligten hat sich dabei nichtsverändert, ebenso wenig wie an ihren Ausgaben und an dervon beiden benutzten Geldmenge: Trotz der ständig wach-senden Guthaben und Schulden verdienen sie zusammennach wie vor jeden Monat 6 000 Dollar und geben zusam-men auch 6 000 Dollar aus.

Das alles gilt genauso in einer Volkswirtschaft. Auch hierkönnen, bei gleich bleibender Wirtschaftsleistung und Nach-frage, die gesamten Guthaben und Schulden ständig zuneh-men, ohne dass dies Einfluss auf die Geldmenge und dieKaufkraft in der Wirtschaft hat. Guthaben und Schuldenspiegeln vielmehr immer nur den Grad der Kaufkraftüber-lassungen wider. Kurz: Die Vermehrung der Geldguthaben(und damit der Schulden) hängt alleine von der Spar-, Ver-leih- und Leihbereitschaft der Wirtschaftsteilnehmer ab,die Vermehrung der Geldmenge (und damit die Beeinflus-

Page 54: Creutz - Das Geld-Syndrom

55

sung der Kaufkraft) dagegen alleine von den Notenban-ken.

Auch alle Bankguthaben resultieren aus leihweisenGeldüberlassungen bzw. Kreditgewährungen, nämlich aneine Bank, die ihrerseits wiederum Kredite an Dritte weitervergibt. In seinem Jahresbericht von 1997 hat das Europäi-sche Währungsinstitut (Vorläufer der Europäischen Zen-tralbank EZB) noch einmal bestätigt, »dass die Tätigkeitvon Kreditinstituten . . . darin besteht, Einlagen oder ande-re rückzahlbare Gelder des Publikums entgegenzunehmenund Kredite für eigene Rechnung zu gewähren«.

Warum kann man Geld und Guthaben nicht alsGeld zusammenzählen?

Dass man Äpfel und Birnen nicht zusammenzählen kann,sagt schon das Sprichwort. Noch weniger als Äpfel und Bir-nen unter dem Begriff ›Äpfel‹, kann man Geld und Gut-haben unter dem Begriff ›Geld‹ zusammenzählen. Dennwährend es sich bei Äpfeln und Birnen immerhin noch umvergleichbare konkrete Produkte handelt, haben wir es beiGeld und Guthaben mit einem konkreten und einemabstrakten Phänomen zu tun: Geld ist als Zahlungsmittelnicht nur ein konkreter Anspruch an die Wirtschaft, son-dern auch ein konkretes Gut in Form von Papier oderMetall. Ein Guthaben dagegen ist nur die Bestätigung fürdie Überlassung von Geld an einen anderen und einAnspruch auf dessen Rückgabe.

Bei den Guthaben handelt es sich also gewissermaßenum die Abbildungen von Äpfeln, die man anderen überlas-sen hat. Diese Abbildungen haben zwar mit Äpfeln zu tun,sind aber selbst keine, auch wenn man sie – analog zum›Buchgeld‹ – als ›Buchäpfel‹ bezeichnen würde. Die An-

Page 55: Creutz - Das Geld-Syndrom

56

nahme, dass sich mit dem ›Buchgeld‹ die ›Geldmenge‹ ver-mehrt, ist also ebenso fragwürdig wie die entsprechendeAnnahme bei den Äpfeln. Dasselbe gilt auch für einZusammenzählen des Geldes mit dem ›Buchgeld‹, bzw. derÄpfel mit den ›Buchäpfeln‹, zu einer neuen größeren Geld-oder Apfelmenge.

Aus diesem Grund sind solche Zusammenfassungen vonGeld und Guthaben für die Steuerung der tatsächlichenGeldmenge, bzw. als Hilfsmittel und Anhaltspunkt für dieStabilerhaltung der Geldkaufkraft kaum geeignet und tra-gen eher zur Verwirrung bei.

Kann man Geld und Guthaben dennoch zusam-menfassen?

Unterschiedliche Dinge mit unterschiedlichen Benennun-gen lassen sich selbstverständlich unter einer gemeinsamenneuen Bezeichnung zusammenfassen. So kann man z. B.Äpfel und Birnen gemeinsam als ›Obst‹ bezeichnen, Obstund Gemüse als ›Gartenprodukte‹ usw.

Entsprechend lassen sich auch Geld und Guthabenzusammenfassen, nämlich unter der Bezeichnung ›Geld-vermögen‹: Wer 1 000 Dollar in der Tasche hat und 8 000›auf der Bank‹, der hat ein Geldvermögen von 9 000 Dollar.Hier von 9 000 Dollar ›Geld‹ zu reden wäre sachlich falsch.Vielmehr führen solche Begriffsschludereien gerade imBereich von Geld und Währung zu Konfusionen, deren Fol-gen immer unabsehbarer werden.

Der Vergleich mit Sprache und Schrift – wie in der nach-folgenden Tabelle wiedergegeben – macht die Notwendig-keit der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundär-phänomenen deutlich.

Page 56: Creutz - Das Geld-Syndrom

57

Tabelle B:

1. Begriffsgliederung bei Sprache und Schrift

Unterbegriffe: Hauptbegriff: Oberbegriff:

Primär-phänomen

LauteWorte

Sprache

Doppel-phänomen

Gesten Zeichensprache Verständigungs-mittel

Sekundär-phänomen

BuchstabenZeichen

Schrift

2. Begriffsgliederung bei Geld und Guthaben

Unterbegriffe: Hauptbegriff: Oberbegriff:

Primär-phänomen

MünzenBanknoten

Geld

Doppel-phänomen

Sichtguthaben Giralgeld Geldvermögen

Sekundär-phänomen

Bankeinlagendir. Ausleihe

Geldguthaben

Man kann solche Vergleiche natürlich noch beliebig erwei-tern, zum Beispiel um die jeweiligen technischen Übertra-gungsmittel. Bei den Verständigungsmitteln würden dannnoch Briefe, Zeitungen und Bücher dazugehören, bei denGeldvermögen Schecks, Kreditkarten oder Überweisungs-formulare.

Etwas aus dem Rahmen fallen bei beiden Vergleichenjeweils die als Doppelphänomen bezeichneten Mittel, beimGeldvermögen also das Giralgeld, das offiziell als Sichtgut-haben bezeichnet wird.

Page 57: Creutz - Das Geld-Syndrom

58

Was sind Sichtguthaben und wie entstehen sie?

Bankguthaben werden im Allgemeinen nach Laufzeitenund Zinskonditionen unterschieden. Dabei ist der Gutha-benzins normalerweise umso niedriger, je geringer dieLaufzeiten und die Einlagen sind.

Weiter unterscheiden sich die Bankguthaben durch ihreKündigungsmodalitäten. Es gibt solche, bei denen derRückzahlungstermin bereits bei der Einzahlung festgelegtist, z. B. bei Fest- oder Terminguthaben. Bei anderen ist dieRückzahlung offen und eine Kündigung erforderlich. BeiSichtguthaben dagegen ist eine tägliche Kündigung undAbhebung in voller Höhe möglich – soweit die Banken dieSumme in der Kasse haben. Bei Millionenbeträgen ist alsoeine Vorankündigung empfehlenswert.

Die Bildung und Erhöhung der Sichtguthaben läuft alsogenauso ab wie bei allen anderen Bankguthaben, nämlichdurch Einzahlungen von Bargeld durch die Marktteilneh-mer. Sie unterscheiden sich jedoch von den übrigen Bank-guthaben dadurch, dass man mit ihrer Hilfe Teile der Gut-haben von einem Konto auf ein anderes übertragen lassenkann. Konkret: Man braucht zur Zahlung einer Verbind-lichkeit nicht mehr zur Bank zu gehen, Geld abzuheben, eszum Empfänger hinzutragen, der es dann seinerseits meistwieder zu seiner eigenen Bank bringen müsste. Diese Gut-habenübertragungen kann man sogar als regelmäßigenVorgang (Dauerauftrag) oder durch Einzugsermächtigungoder Scheckaushändigung vornehmen lassen. Dass diesesbargeldlose Zahlungsverfahren für die Beteiligten eineenorme Entlastung bedeutet, vor allem bei größeren Beträ-gen und Entfernungen, bedarf keiner Erklärung. Inzwi-schen ist damit auch eine erhebliche Zeitersparnis verbun-den, weil die Übertragungen durchweg tagesgleich abgewi-ckelt werden.

Page 58: Creutz - Das Geld-Syndrom

59

Wie laufen die Übertragungen von Konto zuKonto ab?

Wie die Vorgänge bei Barzahlungen ablaufen, ist jedembekannt. Zahlungsabwicklungen über Konten kommenaber ebenfalls – entgegen weit verbreiteter Auffassungen –nicht ohne Bargeld aus. Und das gilt nicht nur für die Auf-füllung eines Kontos als Voraussetzung einer Guthaben-übertragung. Das gilt auch für die Übertragung selbst.Denn diese Übertragung wird von der empfangenden Banknur akzeptiert und dem Empfänger gutgeschrieben, wennsie von der überweisenden Bank in gleicher Höhe Zentral-bzw. Notenbankgeld erhält. Darunter wird entweder Bar-geld verstanden oder Zentralbankgeld-Guthaben, dasjederzeit in Bargeld umzuwandeln ist. Das heißt, bei jederÜberweisung von einem Kunden-Girokonto einer Bank zueiner anderen, fließt – gewissermaßen hinter den Kulissender Banken und in anderer Form – Bargeld an den Empfän-ger der Zahlung weiter. Wie die von uns getätigten Bar-zahlungen, sind also auch die statt Barzahlung getätigtenÜberweisungen von Konto zu Konto auf Zentralbankgeldangewiesen. Wir brauchen es nur nicht mehr selbst zumEmpfänger hinzutragen.

Dass diese Überweisungen von einem Konto auf dasandere den Umfang der gesamten Sichtguthaben nichtbeeinflussen, sondern nur zu Verlagerungen innerhalb desgegebenen Gesamtbestandes führen, dürfte klar sein. DerUmfang der Sichtguthabenbestände verändert sich alsodurch die täglichen Überweisungen genauso wenig wie dieBargeldmenge im täglichen Hin und Her der Zahlungsvor-gänge.

Page 59: Creutz - Das Geld-Syndrom

60

Kann man mit Sichtguthaben seine Nachfragesteigern?

Jeder kann sein Einkommen nur einmal ausgeben. DieseRegel hat bislang noch niemand durchbrechen können, essei denn, er hat eine Fälscherwerkstatt im Keller.

Ganz gleich, ob man sein Einkommen in bar erhält oderals Gutschrift auf seinem Konto, ob man alle Ausgaben mitBargeldzahlungen begleicht oder durch Schecks und Über-weisungen: Wie immer man auch diese Möglichkeitenmischen oder verändern mag, eine Mehrnachfrage über dasEinkommen hinaus ist niemandem auf reelle Weise mög-lich.

Durch Veränderungen der Zahlungsgewohnheiten vonbar auf unbar oder umgekehrt, kommt es jeweils nur zuVerschiebungen zwischen den beiden Nachfrage- oderZahlungsmittelbeständen. Das bestätigt auch der Chef-volkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), OtmarIssing, in dem von ihm herausgebrachten Lehrbuch Einfüh-rung in die Geldtheorie (München 1995). Bezogen auf denAustausch zwischen den beiden Zahlungsmitteln schreibter: »An der gesamten Geldmenge (Bargeld und Geschäfts-bankengeld), über die der Nichtbankensektor verfügenkann, hat sich durch diesen Vorgang . . . nichts verändert . . .da hier lediglich eine Umwandlung von einer Geldart ineine andere vorgenommen wird.«

Machen wir uns das noch einmal an einem Beispiel klar:Hat jemand bisher sein Einkommen in bar erhalten undwill es nun zukünftig zur Hälfte bargeldlos ausgeben, musser sich ein Girokonto einrichten und sein halbes Gehaltdort einzahlen bzw. gleich dorthin überweisen lassen. Hater sein Einkommen als Gutschrift auf seinem Girokontoerhalten und bisher ganz abgehoben, dann lässt er jetzt dieHälfte stehen. In beiden Fällen verringert sich sein Bar-

Page 60: Creutz - Das Geld-Syndrom

61

geldbedarf im gleichen Umfang, wie sein Bedarf an Giral-geld für Übertragungszwecke zunimmt.

Und wenn alle Marktteilnehmer in einer Volkswirtschaftihre bisherigen Bargeldzahlungen um die Hälfte reduzie-ren und stattdessen per Überweisung zahlen würden, dannginge auch die gesamte erforderliche Bargeldmenge in die-ser Volkswirtschaft auf die Hälfte zurück. Und wenn alleBürger sämtliche Ausgaben bargeldlos erledigen wollten,dann würde praktisch das gesamte Bargeld bei den Bankeneingezahlt, die Sichtguthaben ausgeweitet und damit dasBargeld völlig aus dem Kreislauf verschwinden.

Mit den heute üblichen Guthabenübertragungen vonKonto zu Konto ergibt sich also lediglich ein zweiter Zah-lungsweg, der wahlweise an die Stelle der Bargeldzahlungtritt. Die Zusammenfassung der Bargeld- und Sichtgutha-benbestände unter dem Begriff ›Zahlungsmittel‹ hätte alsoeine sachliche Berechtigung, auch wenn sich der Begriff›Giralgeld‹ sicher nicht mehr aus der Welt schaffen lässt.

Welche Folgen hat die Zunahme der Guthaben-übertragungen für die Banken?

Für die Banken ergeben sich bei einer Ausweitung der Gut-habenübertragungen und dem damit einhergehendenRückgang des Bargeldbedarfs gleich mehrere Vorteile.Einmal können sie mit dem überflüssig werdenden Bargeldihre zinspflichtigen Schulden bei der Notenbank und damitihre Kosten reduzieren. Zum Zweiten verringert sich dermit den Bargeldaus- und -einzahlungsvorgängen verbunde-ne Kostenaufwand, den sie heute – mangels anderer Mög-lichkeiten – letztlich auf die Kreditnehmer umlegen müs-sen, die meist gar kein Bargeld benötigen. Zum Drittenkönnen die Banken die Kosten des Giralgeldverkehrs – im

Page 61: Creutz - Das Geld-Syndrom

62

Gegensatz zu jenen des Bargeldverkehrs – den Kundenüber Gebühren (bzw. erwirtschaftete positive Zinsdifferen-zen) in Rechnung stellen. Und zum Vierten erhöhen sichmit den vergrößerten Sichtguthabenbeständen die Kredit-gewährungsmöglichkeiten der Banken und damit ihre Ein-nahmen aus dem Zinsgeschäft.

Obwohl sich also durch die Benutzung von Sichtgutha-ben für die Besitzer dieser Konten keine Kaufkraftverän-derungen ergeben, ergibt sich über die Nutzung dieser Gut-haben als Kreditpotential in der Gesamtwirtschaft einezusätzliche Einsatzmöglichkeit. Denn während die gehalte-nen Geldscheine zwischen Erhalt und Weitergabe von kei-nem anderen genutzt werden können, haben die Bankendie Möglichkeit, die gehaltenen Sichtguthabenbeständezwischenzeitlich auszuleihen. Das heißt, Sichtguthabenbes-tände werden effektiver eingesetzt als die Bargeldbestän-de. Eine vergleichbare Nutzung beim Bargeld ergäbe sich,wenn jeder Halter eines Geldscheines diesen zwischenEinnahme und Ausgabe – also solange er ihn nicht selbstbraucht – verleihen würde.

Aufgrund dieser bei den Sichtguthaben möglichen Zwi-schennutzungsmöglichkeiten ergeben sich bei Veränderun-gen der Zahlungsgewohnheiten also auch Veränderungender Kreditgewährungs-Möglichkeiten. Da die Zahlungsge-wohnheiten jedoch relativ stabil sind bzw. sich nur langsamverändern, sind auch diese Effektivitätssteigerungen imBereich der Geldnutzung relativ gering und durch die Zen-tralbanken beherrschbar. Probleme können jedoch entste-hen, wenn es kurzfristig zu größeren spekulativen Be-standsumschichtungen zwischen Bar- und Giralgeld bzw.zwischen den übrigen Guthaben bzw. Geldvermögen undden Giralgeldbeständen kommt.

Page 62: Creutz - Das Geld-Syndrom

63

Was war zuerst da – Guthaben oder Schulden,Geld oder Kredit?

Im Gegensatz zur Frage der Erstexistenz von Henne oderEi lässt sich eine solche bei den Guthaben und Schuldenleicht beantworten: Beide entstehen immer gleichzeitig mitjedem Verleihvorgang, wie sie auch immer gleichzeitig, mitder Rückzahlung des Geliehenen, wieder aus der Welt ver-schwinden. Wohl aber geht dem Entstehen beider Phäno-mene jeweils etwas anderes voraus, nämlich eine Ersparnis-bildung des Geldverleihers und seine Bereitschaft, das vonihm erübrigte und nicht benötigte Geld einem anderenleihweise zu überlassen. Und umgekehrt geht auch der Auf-lösung der Guthaben-Schulden-Beziehung etwas voraus,nämlich eine Nachsparleistung des Kreditnehmers unddamit die Bereitschaft und Fähigkeit, aus seinem laufendenEinkommen den notwendigen Tilgungsbetrag, zusätzlichzu den laufenden Zinszahlungen, abzuzweigen.

Bei der Frage nach der Beziehung zwischen Geld undKredit, ergibt sich jedoch eine andere Antwort: Verleihenkann man immer nur etwas, das bereits da ist. Das gilt fürdas Verleihen eines Fahrrades oder eines Paketes Salzgenauso wie für das Verleihen von Geld. Das heißt: Geldentsteht nicht mit dem Kredit, wie viele immer noch vermu-ten, sondern es muss vorher bereits da sein, gleichgültig obdie Bank es von einem Kunden oder der Notenbank erhal-ten hat!

Dass der größte Teil des umlaufenden Bargeldes von denZentralbanken über Kredite an die Geschäftsbanken inUmlauf gesetzt wird, ändert nichts an diesem Tatbestand.Denn diese Kredite der Notenbanken dienen nur der Geld-versorgung der Wirtschaft. Die Kredite dagegen, die dieBanken ihren Kunden gewähren, dienen der Kreditversor-gung der Wirtschaft. Für diese Kreditversorgung sind vor

Page 63: Creutz - Das Geld-Syndrom

64

allem Rücklagenbildungen der Sparerkunden erforderlich.Und diese können – wie bereits in dem Beispiel mit den bei-den Nachbarn dargelegt – auch ohne Ausweitungen derGeldmenge durch die Notenbank ständig zunehmen. Weildas so ist, sind auch die Kredite der Banken an die Nicht-banken um ein Vielfaches größer als die Kreditaufnahmender Banken bei den Notenbanken. Und diese Differenzwird mit den ständigen Ersparnissen immer größer.

Wie groß sind die Unterschiede zwischen Bar-geldversorgung und Bankkrediten?

Die Unterschiedlichkeit der Größen von Bargeld undBankguthaben bzw. -krediten, geht aus der Darstellung 2hervor. In ihr sind die Entwicklungen beider Bereiche,bezogen auf die Verhältnisse in Deutschland, in Prozentendes Sozialprodukts wiedergegeben.

Wie daraus ersichtlich, sind in Deutschland die Einlagenbei den Banken von 1950 bis 1998 von 38 auf 140 Prozentdes Sozialprodukts angestiegen. Da trotz der großzügigenUmtauschquote für die Ersparnisse der vormaligen DDR-Bewohner der Geldvermögenszuwachs relativ geringerwar als jener durch die hinzugekommene Wirtschaftsleis-tung, stagnierte dieser Zuwachs der Bankeinlagen im Jahrder Wiedervereinigung. Danach ging es aber mit noch grö-ßerer Beschleunigung weiter, bis 1998 auf 190 Prozent desgesamtdeutschen BSP. Das heißt, von 1950 bis 1998 sind inDeutschland die Bankguthaben wie auch die darausgewährten Kredite rund sechs Mal schneller angestiegenals die Wirtschaftsleistung!

Betrachtet man jetzt die im gleichen Maßstab zwischen-geschobene Entwicklung der Bargeldmenge und der Sicht-guthaben sowie die aus ihrer Addition hervorgehende

Page 64: Creutz - Das Geld-Syndrom

65

Darstellung 2:

Page 65: Creutz - Das Geld-Syndrom

66

so genannte Geldmenge M1, dann ergibt sich ein völliganderes Bild. Im Gegensatz zu den hochschießenden Gut-haben und Krediten hat sich diese Menge der Zahlungsmit-tel in den ersten vier Nachkriegsjahrzehnten weitgehendim Gleichschritt mit der Wirtschaftsleistung entwickelt,schwankend zwischen 16 und 18 Prozent des BSP. Erst ab1985 kam es zu einem etwas deutlicheren Anstieg, der sichnach der Wiedervereinigung verstärkt fortsetzte. Bei denSichtguthaben dürfte dieser Trend weitgehend mit derenormen Zunahme der Börsengeschäfte zusammenhän-gen, die zwangsläufig größere Spekulationskassen erfor-derlich machten. Der ebenfalls ab 1985 sichtbare und fürviele überraschende Anstieg der DM-Bargeldmenge wirddagegen in erster Linie auf die zugenommenen DM-Hal-tungen und -Nutzungen im Ausland zurückzuführen sein.Das gilt besonders für die osteuropäischen Staaten, indenen die Bürger durch Umtausch in stabilere Währungenzunehmend den Inflationsverlusten ihrer Ersparnisse zuentgehen versuchten. In Jugoslawien war die DM sogarbereits Ende der 80er Jahre zu einer Art Zweitwährunggeworden und in einigen Teilrepubliken dieses zerfallen-den Landes wurde sie inzwischen bekanntlich sogar als offi-zielles Zahlungsmittel übernommen. Dass die Bargeld-menge über die deutsche Vereinigung hinweg sogar relativzurückging, dürfte mit dem geringen Bargeldbedarf in denneu hinzugekommenen Ländern zusammenhängen, unddas wiederum mit der Aktivierung von DM-Beständen, diedort schon vor der Vereinigung vorhanden waren.

Der Unterschied zwischen den Entwicklungen von Geldund Kredit wird auch deutlich, wenn man die acht Jahre von1991 bis 1999 unter die Lupe nimmt: Während die Krediteder Banken in dieser Zeit im Jahresdurchschnitt um 336Mrd. DM zunahmen (von 3 438 auf 6 129 Mrd. DM), wurdedie Bargeldmenge durch die Deutsche Bundesbank im Jah-

Page 66: Creutz - Das Geld-Syndrom

67

resdurchschnitt nur um zehn Mrd. DM ausgeweitet (von175 auf 255 Mrd. DM). Das heißt, die Kredite nahmen p.a.rund 34-mal mehr zu als die Bargeldmenge. Von Ende 1996bis 1999 ging die Bargeldmenge sogar leicht zurück, wäh-rend die Kreditvergaben unverändert anstiegen. Geradediese Tatbestände zeigen, dass man zwischen der Kreditver-gabe der Notenbanken und derjenigen der Banken striktunterscheiden muss.

An all diesen Tatbeständen ändern auch die Auffassun-gen einiger Wissenschaftler nichts, die den Ursprung desGeldes nicht in der Tauschmittel-, sondern in einer Schuld-scheinfunktion sehen, entstanden im Bereich der Kultstät-ten und Tempel, oder die seine Entstehung an das Privatei-gentum knüpfen. Diese Erklärungen der Geldentstehungmögen soziologisch und historisch hochinteressant sein.Für die Zahlungsmittel- und Kreditfunktion des heutigenGeldes, vor allem für die mit unserem Geld verbundenenheutigen Probleme, sind sie jedoch kaum von Belang.

Was heißt Sparen, was Bezahlen?

Sparen heißt: weniger verbrauchen, benutzen, einsetzen,als man hat. Gespartes Geld kann man im Sparschweinsammeln oder in einem Safe. Man kann es aber auch zurBank bringen, die häufig sogar Sparkasse heißt. Viele glau-ben darum, dass ihr Geld dort genauso gesammelt wird wiezu Hause, nur sicherer, in einem großen Tresor, aus dem dasGesparte beim Abheben wieder herausgeholt wird.

Die Fachsprache verstärkt diesen Eindruck noch, weil siebei Banken und Versicherungen oft von »Geldsammelstel-len« spricht. In Wirklichkeit wird dort jedoch nichts gesam-melt, sondern etwas weitervermittelt, nämlich der Kredit,den der Sparer der Bank gewährt, an einen Dritten.

Page 67: Creutz - Das Geld-Syndrom

68

Im Prinzip geschieht also bei den Banken nichts anderes,als wenn ein Sparer sein nicht benötigtes Geld einem Nach-barn direkt überlässt. Da man diesen Vorgang nicht ›Spa-ren‹ nennt, sollte man auch nicht vom ›Sparer‹ reden, wennjemand sein übriges Geld zur Bank bringt. Sparen, nämlichEingenommenes nicht ausgeben, ist vielmehr immer nurdie Voraussetzung dafür, dass man Geld der Bank bzw.einem anderen leihweise überlassen oder auch zu Hauseansammeln (=horten) kann.

Geht man von den konkreten Vorgängen aus, dann sollteeigentlich auch der Begriff ›Bezahlen‹ (zahlen, hinzählen)allein beim Geld Verwendung finden. Denn bei den bar-geldlos abgewickelten Vorgängen liegen genau genommenkeine Zahlungen sondern ›Übertragungen‹ vor, nämlichUmbuchungen von einem Guthaben auf ein anderes. DieseÜbertragungen, die die Deutsche Bundesbank als ›giraleVerfügungen‹ bezeichnet, führen auch heute oft noch – imGegensatz zu Bargeldzahlungen – erst mit Verzögerungzum Ausgleich einer Forderung, was jeder auf seinem Kon-toauszug feststellen kann. Außerdem sind sie – im Gegen-satz zu dem anonym weitergebbaren Bargeld – auf die Hilfeder verrechnenden Banken angewiesen und jederzeit nach-weisbar.

Wie aber der Geldbegriff zunehmend auf die Sichtgutha-benbestände übertragen wird, wird sich auch der Zahlungs-begriff bei der Verwendung dieser Guthaben immer mehrdurchsetzen. Genau genommen würden diese Gleichstel-lungen aber voraussetzen, dass die Bestände auf den Giro-konten – ähnlich wie vor hundert Jahren die Banknoten –zum offiziellen Geld erklärt und von den Notenbankenherausgegeben werden. Denn solange das nicht der Fall ist,wird man die Annahme des (privaten) Giralgeldes nurakzeptieren, wie man sicher ist, es jederzeit in (staatliches)Bargeld umtauschen zu können. Das heißt, Bargeld und

Page 68: Creutz - Das Geld-Syndrom

69

Sichtguthabengeld sind immer noch nicht gleichzusetzen,wie auch die Tabelle C zeigt.

Tabelle C:Unterschiede zwischen Geld und Guthaben

Geld Sichtguthaben

Funktionen: Zahlungsmittel Übertragungsmittel

Hilfsmittel: Münzen, Banknoten Schecks, Überweisung

Entstehung: staatl. Emission private Einzahlungen

SpezifischeUnterschiede:

sofortige Begleichungvon Hand zu Hand

z. T. verzögerte Beglei-chung von Konto zuKonto

Hilfe Dritter nicht erfor-derlich

Hilfe Dritter und derTechnik erforderlich

Vorgang wird nichtdokumentiert

Vorgang wird doku-mentiert

nur durch Staat ver-mehrbar

durch jedermann ver-mehrbar

Übervermehrung führtzur Inflation

Übervermehrung führtzum Bargeldrückgang

Page 69: Creutz - Das Geld-Syndrom

70

3. Kapitel

Geldumlauf – Geldkreislauf»Das Geld spielt im Wirtschafts-körper dieselbe Rolle wie das Blut imKörper des Menschen. Soll derKörper seine verschiedenen Lebens-funktionen erfüllen, muss der Kreis-lauf des Blutes ungehemmt vor sichgehen. So ist es auch notwendig, dassdas Geld umläuft, damit die allge-meine Beschäftigung zur Wirklichkeitwerde.«Eduard Daladier*

* ehemaliger französischer Ministerpräsident, auf der Londoner Konfe-renz 1934

Das rätselhafte 5-Mark-Stück

Folgende Geschichte entdeckte ich auf der Unterhaltungs-seite einer Zeitschrift:

Ein Clown fand in der Manege ein blankes 5-Mark-Stück. Er ging damit zum Pferdeknecht und sagte: »Ich bindir ja noch zehn Mark schuldig; hier gebe ich dir einstweilenfünf Mark zurück, dann schulde ich dir nur noch fünf.«

Der Pferdeknecht bedankte sich, ging zum Stallmeister,von dem er ebenfalls zehn Mark geliehen hatte, und sagteihm dasselbe.

Der Stallmeister dankte, ging zum Schulreiter und zahlteauch bei diesem die Hälfte einer Schuld von zehn Markzurück.

Page 70: Creutz - Das Geld-Syndrom

71

Ebenso handelte der Schulreiter beim Direktor des Zir-kus und der Direktor, der sich mal vom Clown zehn Markgeliehen hatte, tat dasselbe bei diesem: »Da August, hierhast du schon einmal fünf Mark, die anderen fünfbekommst du später.«

Mit den erhaltenen fünf Mark beglich der Clown nun sei-ne Restschuld beim Pferdeknecht, dieser seine beim Stall-meister, der beim Schulreiter und dieser wiederum beimDirektor, der dann erneut den Clown beiseite nahm, um beiihm die restlichen Schulden von fünf Mark zu tilgen. Sobekam der Clown das gefundene 5-Mark-Stück zurück undalle waren ihre Schulden los!

Auch wenn die Geschichte auf den ersten Blick verwir-rend erscheint, wird in ihr nichts anderes beschrieben alseine Reihe von Tilgungsvorgängen mit Hilfe eines umlau-fenden 5-Mark-Stücks. Dass die Geschichte mit einemgefundenen Geldstück beginnt, ist für den Ablauf bedeu-tungslos und soll lediglich die Irritationen vergrößern.Genauso gut hätte der Clown die fünf Mark verdient, alsGeschenk erhalten oder gestohlen haben können. Selbstbei einem falschen 5-Mark-Stück wären nach dem zweitenUmlauf die gesamten Schulden verschwunden, wenn nie-mand die Fälschung bemerkt hätte.

Verschwunden sind jedoch in der Geschichte nicht nurdie Schulden der fünf Beteiligten in einer Höhe von insge-samt 50 Mark, sondern in gleicher Höhe auch Guthaben.Denn der Schuld des Clowns beim Pferdeknecht stand einGuthaben des Pferdeknechts beim Clown gegenüberusw.

Durch diese Geschichte können wir erkennen, dassumlaufendes Geld nicht nur unzählige Male zum Kaufenoder Verschenken, sondern ebenso unzählige Male zumVerleihen oder zum Tilgen benutzt werden kann. Und so-wenig sich die benutzte Geldmenge in unserer Geschichte

Page 71: Creutz - Das Geld-Syndrom

72

durch die Kette von Tilgungen verändert hat (es gab immernur ein 5-Mark-Stück!), so wenig verändert sich auch die inder Wirtschaft genutzte Geldmenge durch die dort ablau-fenden Ketten von Verleihvorgängen, sooft sie sich auchwiederholen und zu welchen Summen sie sich aufaddierenoder durch Tilgungen wieder verringern mögen. Was sichverändert, sind immer nur die Bestände an Guthaben undSchulden, nicht aber die des Geldes.

Was ist unter Kreislauf zu verstehen?

In einem Kreis gibt es keinen Anfang und kein Ende. Eineinmal in den Kreislauf gegebener Geldschein kann alsoendlos kursieren, ganz gleich wofür er verwendet wird. Wirsehen das in den folgenden vereinfachten Darstellungen:

Darstellung 3:

A kauft bei B. – B benötigt das erhaltene Geld nicht undverleiht es an C. – C kauft bei D. – D verleiht es an E, derdamit wieder bei A eine Leistung bezahlt.

Der umlaufende Geldschein wurde also dreimal zum

Page 72: Creutz - Das Geld-Syndrom

73

Kaufen und zweimal zum Verleihen benutzt. Hätte B denerhaltenen überschüssigen Schein nicht verliehen, sondernbei sich liegen lassen, wären die nachfolgenden Vorgängenicht möglich gewesen. Dieses einfache Beispiel zeigtbereits, welche Gefahren von Geldzurückhaltungen ausge-hen.

Im nächsten Kreislaufmodell werden die Schuldengetilgt:

Darstellung 4:

A kauft bei C, dieser tilgt seine Schuld bei B. – B kauft bei E,der seine Schuld bei D tilgt. – D kauft seinerseits mit demerhaltenen Schein bei A ein, womit sich der Kreis wieder-um schließt.

An diesen Vorgängen ändert sich auch nichts, wenn dieKreditgewährungen und Tilgungen über eine Bank abgewi-ckelt werden. Auch nicht, wenn zwischen Barzahlungenund Guthabenübertragungen gewechselt wird. Das zeigtdie Schemadarstellung 5:

Page 73: Creutz - Das Geld-Syndrom

74

Darstellung 5:

A zahlt den Geldschein bei der Bank auf ein Sichtguthabenein und kauft mit einem Scheck bei B. – B gibt den Scheckan seine Bank, kauft bei C und zahlt durch Überweisung. –C hebt die Gutschrift ab und kauft bar bei D. – D zahlt dasGeld wieder bei der Bank ein und kauft bei E per Überwei-sung. – E erwirbt bei A eine Leistung und benutzt zum Aus-gleich die von D erhaltene Kontengutschrift. – Da A geradeBargeld benötigt, hebt er den Betrag vom Konto ab.

Hier wurde also das Geld zweimal bei der Bank einge-zahlt und zweimal abgehoben, einmal eine Forderungdurch Bargeldzahlung beglichen und viermal durch Gutha-benübertragungen. Deutlich wird dabei, dass auch dieÜberweisungen durch Bargeld gedeckt und begleitet wer-den, auch bei mehrfachen Vorgängen. Da aber die Bank diedurch die Einzahlungen jeweils entstehenden Guthabenzwischenzeitlich für Kreditgewährungen nutzen kann,kommt es hier zu einer (ebenfalls zwischenzeitlichen) Aus-weitung des Kreditpotentials. Dieser Effekt wurde im vor-stehenden Kapitel bereits angesprochen und wird in Teil IIund V eingehender behandelt.

Page 74: Creutz - Das Geld-Syndrom

75

Welche Folgen können Ersparnisbildungen haben?

Auch den Folgen von Ersparnisbildungen soll auf einembegrenzten Raum mit überschaubaren Größen nachgegan-gen werden.

Stellen wir uns dazu eine Insel mit zehn Bewohnern vor,von denen jeder monatlich für 1 000 Geldeinheiten (GE)Leistungen in den Markt einbringt und auch für 1 000 GEnachfragt. Nimmt man weiter an, dass das Geld einmal imMonat umgeschlagen wird, dann sind für die Abwicklungaller Geschäfte auf der Insel insgesamt 10 000 GE erforder-lich, je Bewohner also 1 000 GE. Werden diese regelmäßigmonatlich ausgegeben, ist der Kreislauf auf der Insel gesi-chert und die dortige Konjunktur stabil. Jeder setzt dann imgleichen Umfang Leistungen ab, wie er selbst nachfragt.Bei gesättigtem Bedarf ist die Versorgung auch ohne Wirt-schaftswachstum gesichert.

Nehmen wir jetzt einmal an, dass einer der Inselbewoh-ner zwar wie alle anderen für 1 000 GE im Monat Leistun-gen einbringt und entsprechend 1 000 GE wieder einnimmt,selbst aber nur für 800 GE nachfragt, also jeden Monat 200GE übrig behält. Welche Folgen können aus dieser Erspar-nisbildung entstehen?

Fall 1 – Der Sparer verschenkt die übrigen 200 GE regelmä-ßig:

Gibt der Beschenkte die 200 GE ebenso regelmäßig aus,wird der Inselmarkt weiterhin in vollem Umfang geräumt.Der Beschenkte fragt gewissermaßen stellvertretend jeneLeistungen nach, die der Sparer über seinen eigenenBedarf hinaus eingebracht hat. Langfristig nimmt derWohlstand des regelmäßig Beschenkten gegenüber allenanderen zu, der des Schenkenden fällt zurück.

Page 75: Creutz - Das Geld-Syndrom

76

Fall 2 – Der Sparer verleiht die übrigen 200 GE regelmäßig:Die Situation für den Inselmarkt wie auch die Wohl-

standsverschiebung ist die gleiche wie im Fall 1. Aufgrundder zunehmenden Rückzahlungsforderungen entstehtjedoch für den Verleiher ein von Monat zu Monat wachsen-des Guthaben und für den Leiher eine entsprechendanwachsende Schuld. Nach einem Jahr sind Guthaben undSchulden bereits auf 2 400 GE angestiegen, nach zehn Jah-ren auf 24 000 GE. Das heißt, nach zehn Jahren sind dieGeldguthaben und Geldschulden auf der Insel bereits 2,4-mal so groß wie die ganze auf der Insel umlaufende Geld-menge, die ja 10 000 GE beträgt!

Fall 3 – Der Sparer verleiht sein übriges Geld gegen Zinsen:Für den Inselmarkt, den Geldumlauf und die Konjunktur

ändert sich vorerst(!) auch hier nichts. Jedoch muss der Lei-her nicht nur die spätere Rückgabe des Geliehenen verspre-chen, sondern darüber hinaus jeden Monat an den Geldge-ber eine ›Leihgebühr‹ in Form von Zinsen bezahlen. Diesekann er nur aus seinem Monatseinkommen abzweigen. Beieiner Verzinsung von zehn Prozent beträgt dieser Leihzinsnach einem Jahr 20 GE im Monat, nach zehn Jahren 200 GE.Diesen ständig steigenden Zinslasten stehen beim Verleiherständig steigende Zinseinnahmen gegenüber. Lebt er weiterso sparsam wie bisher, kann er, zu den monatlich bereits ausseinem Arbeitseinkommen erübrigten 200 GE, zusätzlicheinen immer größer werdenden Betrag aus den Zinseinnah-men verleihen, womit die Verschuldungsentwicklung auf derInsel exponentiell ansteigt.

Fall 4 – Der Sparer sammelt seine Überschüsse zu Hause an:Damit werden dem Geldkreislauf auf der Insel jeden

Monat 200 GE entzogen. Nach zehn Monaten hat der Spa-rer bereits 2 000 GE bei sich angesammelt, ein Fünftel der

Page 76: Creutz - Das Geld-Syndrom

77

gesamten umlaufenden Geldmenge. Nach 50 Monaten –also gut vier Jahren – befindet sich rechnerisch alles Geldauf der Insel in der Hand des Sparers.

Natürlich kommt es nicht so weit, da der von Monat zuMonat zunehmende Geldmangel bereits lange vorher dieInselwirtschaft zusammenbrechen lässt.

Was kann man aus diesen Insel-Beispielen lernen?

Wie die Fälle 1, 2 und 3 zeigen, können in einer Volkswirt-schaft nicht nur Ersparnisse an andere verschenkt oder aus-geliehen, sondern sie müssen auf diese Weise in den Geld-kreislauf zurückgeführt werden, wenn die Wirtschaft nicht– wie im Fall 4 geschildert – durch Geldmangel zusammen-brechen soll.

Wie Fall 2 und 3 außerdem zeigen, vermehrt sich mit denleihweisen Überlassungen von Geld weder die Geldmengenoch die Nachfrage, sondern nur der Bestand der Geldgut-haben und Schulden. Diese können theoretisch bis insUnendliche wachsen, ohne Einfluss auf die Geldmenge.

Da im Fall 2 und 3 der Schuldner mit der zunehmendenVerschuldung jedoch immer weniger rückzahlungsfähigwird, gerät er in eine zunehmende Abhängigkeit vom Geld-geber. Er muss immer mehr Vermögensbestände an denGeldgeber verpfänden. Am Ende gehört diesem alles wasder Schuldner besitzt, einschließlich Haus und Hof. In denfrühen Kulturen führten solche Prozesse durchweg zu Lei-beigenschaft oder Sklaverei. Im Mittelalter endeten sie im»Schuldenturm«, aus dem die Angehörigen – sofern siekonnten – den Betroffenen durch Zahlung seiner Schuldauslösen mussten. Heute droht Privatpersonen bei Zah-lungsunfähigkeit ›nur‹ die Pfändung des Vermögens oderdes laufenden Einkommens, Firmen der Konkurs. Aller-

Page 77: Creutz - Das Geld-Syndrom

78

dings gibt es auch noch Länder, in denen die Erben für dieSchulden ihrer Vorfahren haften müssen. So gibt es z. B. inIndien – trotz offiziellen Verbots – Millionen von Men-schen, die ihr Leben lang für die Verzinsung der nichtzurückzahlbaren Schulden Arbeit leisten müssen.

Was bewirkt der Zinsanspruch im Einzelnen?

Leihweise Überlassungen von Geld ohne Zinsansprüchekönnen sich im Allgemeinen nur in Ausnahmefällen zu sol-chen Problemsituationen entwickeln, wie sie im Fall 2 desInselbeispiels geschildert wurden. Denn normalerweisewird nicht ein Inselbewohner ständig Geld sparen und einanderer ständig Geld leihen. Solche Prozesse brechen viel-mehr zwischenzeitlich ab oder kehren sich auch wieder um.Außerdem nehmen ohne Zinsbelastung die Schulden ›nur‹linear zu, also gleichmäßig ansteigend. Im Fall 3, mit Ver-zinsung, eskalieren sie dagegen durch den Zinseszinseffektmit zunehmender Beschleunigung. Will der zu Zinszahlun-gen verpflichtete Geldleiher seinen Gürtel nicht immerenger schnallen und schließlich verhungern, bleibt ihm nurdie Möglichkeit, mit den Schuldverpflichtungen seine Leis-tung ständig zu steigern und diese Mehrleistung an andereabzusetzen. Soll als Folge dieser Leistungssteigerung desSchuldners nicht ein Dritter auf seiner Leistung sitzen blei-ben, wird auf der Insel ein allgemeines Nachfrage- und Ver-brauchswachstum erforderlich, das von der Inselbank mitmehr Geld unterfüttert werden muss, wenn die Preise stabilbleiben sollen.

Leihweise Überlassungen mit Zinsansprüchen habenalso in sich selbst einen Beschleunigungseffekt, der zu einerzunehmenden Diskrepanz zwischen Geldgebern undSchuldnern und damit zwischen Reich und Arm führt. Und

Page 78: Creutz - Das Geld-Syndrom

79

ist ein Schuldner erst einmal so weit, dass er zum Bedienenseiner Schulden neue Schulden aufnehmen muss, kann derUmschichtungsprozess kaum noch abgebremst werden.Wir erleben das heute nicht nur in Lateinamerika, sondernzunehmend auch in den Industrienationen, bei unzähligenBetrieben, Privathaushalten und vor allem bei der Staats-verschuldung.

Geldaufnahmen mit Zinsen sind für Schuldenmacheralso nur dann von Nutzen, wenn sie damit produktivitäts-steigernde Investitionen schaffen können, die über dieZinszahlungen hinaus noch einen Gewinn abwerfen.Gesamtwirtschaftlich setzt das jedoch ein Wirtschafts-wachstum voraus, das mindestens dem zinsbedingtenWachstum der Geldersparnisse entsprechen muss. Da dieseGeldersparnisse durch den Zins jedoch in der Tendenzexponentiell zunehmen, müsste auch die Wirtschaft expo-nentiell wachsen. Da das allenfalls über kürzere Zeiträumemöglich ist, sind alle Zinswirtschaften zum Zusammen-bruch verurteilt, und das nicht nur auf einer Insel!

Mit Zinsen verbundene Ausleihungen sind nur dann pro-blemlos, wenn Sparer und Schuldner – wenn auch zeitver-schoben – in einer Person vereinigt sind. Das heißt, wennsie in ähnlicher Höhe zeitweise Zinseinkommen erhaltenwie sie – vorher oder nachher – Zinslasten tragen müssen.Das ist z. B. bei Bausparkassen oder Baugenossenschaftenweitgehend der Fall. Darum ist hier auch die Höhe der Zin-sen von geringerer Bedeutung.

Verändert sich der Kreislauf im Großmodell?

Alles, was bisher mit geringen Geldmengen und begrenztenTeilnehmerzahlen durchgespielt wurde, gilt genauso ineiner einzelnen Volkswirtschaft wie auch in der Weltwirt-

Page 79: Creutz - Das Geld-Syndrom

80

schaft. Die Zahl der Geldscheine, Beteiligten, Zahlungs-und Verleihvorgänge mag in die Millionen und Milliardengehen: An den Abläufen und deren Auswirkungen ändertsich nichts, sie werden lediglich unübersichtlicher. Zumbesseren Verständnis ist darum in der Darstellung 6 einmalein größerer Schema-Kreislauf dargestellt.

Darstellung 6:

Page 80: Creutz - Das Geld-Syndrom

81

Am besten stellt man sich diesen Kreislauf mit einemUmsatz von z. B. 100 Millionen Geldeinheiten bezogen aufeinen Monat vor. Wird das aus der Leistung resultierendeEinkommen in vollem Umfang für Konsum und Investitio-nen ausgegeben, kommt es auch zu einer völligen Räumungdes Marktes. Das heißt, alle behalten ihre Arbeit und damitweiterhin auch ihr Einkommen.

In der Darstellung wird weiter angenommen, dass dieEinkommensbezieher in Höhe von zehn Prozent ihrer Ein-künfte Ersparnisse bilden. Das heißt, auf direktem Wegwerden nur 90 Prozent der Einkommen zur Nachfrage.Zahlen die Sparer ihre Überschüsse bei den Banken einund können die Banken die Einlagen als Kredite weiterge-ben, dann bleibt die volle Nachfrage weiterhin gesichert.Würden die Ersparnisse jedoch nicht als Kredite weiterge-geben, bliebe ein Zehntel der Leistungen auf dem Marktliegen. Die Folge wäre ein Konjunktureinbruch mit Ar-beitslosigkeit und Firmenpleiten.

Wie der untere Teil der Darstellung wiedergibt, bildensich durch die Ersparniseinzahlungen nach dem erstenMonatsumlauf bei der Bank Guthabenbuchungen in Höhevon zehn Mio. GE. Lässt man die Bankkassenhaltung bzw.Reserve außer Acht, ergeben sich in gleicher Höhe auchKreditbuchungen. Geht man von einer gleich bleibendenSpar- und Einlagenquote von zehn Prozent bei jedemUmlauf aus und weiterhin davon, dass alle vorherigen Spa-rer ihre Ersparnisse stehen lassen, steigen die Guthaben-und Kreditbuchungen jeden Monat um zehn Mio. an. Nachdem fünften Monat hätte ihre Höhe mit 50 Mio. bereits dieHälfte der umlaufenden Einkommens- und Nachfragegrö-ßen erreicht.

Auch hier wird wieder deutlich, dass bei gleich bleiben-den Leistungs-, Einkommens- und Nachfragegrößen dieGuthaben und Schulden ständig wachsen können, ohne

Page 81: Creutz - Das Geld-Syndrom

82

dass dies einen Einfluss auf Geldmenge und Kreislauf hat.Wohl aber nehmen als Folge der schuldenbedingten Un-gleichgewichte die sozialen Spannungen zu, mit ständigerBeschleunigung, wenn die Schulden auch noch mit Zinsenverbunden sind.

In Wirklichkeit nehmen Geldvermögen und Schuldennatürlich nicht in dem Tempo zu wie in dem vereinfachtenModell, weil die Sparer auch immer wieder Geld von ihrenKonten abheben und außerdem Schulden laufend getilgtwerden. Das heißt, die Geldvermögen wachsen nur in demUmfang, wie die Einzahlungen bei den Banken die Abhe-bungen übersteigen. Diese Differenz – die Nettoersparnis –bestimmt also die Zunahme der Geldvermögen wie derSchulden in einer Volkswirtschaft und damit auch die Ent-wicklung der sozialen Spannungen. Diese Spannungenkönnen zwar durch eine ständige Ausweitung der Wirt-schaftsleistung gemildert, aber auf Dauer niemals aufge-fangen werden. Schon gar nicht angesichts der Umweltfol-gen eines ständigen Wirtschaftswachstums.

Page 82: Creutz - Das Geld-Syndrom

83

4. Kapitel

Geschäftsbanken,Notenbanken, Nichtbanken

»Geld- und Bankwesen sind für denDurchschnittsmenschen so geheim-nisvoll, dass von ihnen als einzigevolkstümliche Auffassung nur die des›Tabu‹ besteht . . . Die volkstümlichenBegriffe, einschließlich der demdurchschnittlichen Bankfachmanneigentümlichen, sind so primitiv wieder Aberglaube eines russischen Bau-ern vor dem Weltkrieg.«Irving Fisher*

* US-Ökonom und Geldtheoretiker, »Die Illusion des Geldes«, 1934

Unter Geschäftsbanken verstehen wir im Allgemeinen alljene Institute, bei denen man sein eigenes Geld gegen Zinsenein- oder anlegen und umgekehrt bei Bedarf Geld ausleihenkann. Deshalb spricht man auch von Spar- und Darlehens-banken. Mit dem Begriff Zentral- oder Notenbankenbezeichnet man dagegen die Institute bzw. staatlichen Ein-richtungen, die in einem Land oder Währungsraum normaler-weise das alleinige Recht zur Herausgabe von Geld besitzen.Mit dem nicht gerade glücklichen Begriff ›Nichtbanken‹ sindalle übrigen Personen, Unternehmen und sonstigen Einrich-tungen in einer Volkswirtschaft gemeint, die eben nicht zudiesen beiden mit dem Begriff Bank benannten Einrichtun-gen zählen. Die Europäische Zentralbank (EZB) bezeichnetdiese Nichtbanken – etwas sympathischer – als ›Publikum‹.

Page 83: Creutz - Das Geld-Syndrom

84

Auch im Bereich der gesamten Geldinstitute ist dieZusammenfassung der publikumsnahen wie der Geld emit-tierenden Häuser unter dem gleichen Begriff ›Banken‹wieder mehr als irreführend. Das vor allem vor dem Hinter-grund der völlig unterschiedlichen Aufgaben. Manchmalwird der Begriff ›Bank‹ in der Fachwelt sogar nur den Zen-tral- bzw. Notenbanken zugestanden, während die übrigenHäuser als ›Kreditinstitute‹ bezeichnet werden oder – wiedurch die EZB – als ›Monetäre Finanzinstitute‹ (MFIs),wobei auch die Fonds mit einbezogen sind.

Dabei wäre es sicher am sinnvollsten, den Begriff ›Ban-ken‹ umgekehrt nur für die publikumsnahen Institute zuverwenden und die Geld ausgebenden Institute, die prak-tisch hoheitliche Aufgaben erfüllen, anders zu benennen,z. B. als Emissions- oder Währungsinstitute oder -ämter.

Um diesem Begriffswirrwarr zu entkommen, wird in die-sem Buch für alle Spar- und Kreditinstitute der geläufigeBegriff ›Banken‹ benutzt, für die Geld ausgebenden Insti-tute meist der Begriff ›Notenbanken‹, weil sich darin ihreHauptaufgabe besser abzeichnet als in dem Begriff ›Zen-tralbanken‹. Denn dieser wird auch von regionalen Ge-schäftsbanken benutzt, z. B. ›Genossenschaftliche Zentral-bank‹.

Beziehungen und Größenordnungen im Geld-und Bankenbereich

Bevor wir in diesen Komplex einsteigen, ist es sinnvoll, sichüber diesen Bereich ein konkreteres Bild zu machen. Dassoll an Hand der Darstellung 7 geschehen, in der die deut-schen Gegebenheiten aus dem Jahr 1996 wiedergegebensind. Dabei entsprechen die Flächengrößen in etwa denRelationen der eingetragenen Milliardenbeträge.

Page 84: Creutz - Das Geld-Syndrom

85

Darstellung 7:

Page 85: Creutz - Das Geld-Syndrom

86

Im oberen Teil ist als Balken A über der ganzen Breite dieGröße des herausgegebenen Bargeldes eingezeichnet, dieGrundlage und Voraussetzung aller monetären Vorgängein der Wirtschaft. Darunter, in Feld B, sind die Zentral-bankgeldguthaben eingetragen, die von den Banken alsLiquiditätspuffer bzw. – soweit vorgeschrieben – als Min-destreserven gehalten werden. Diese Zentralbankgeldgut-haben sind vor allem für die Abwicklung aller Geschäftezwischen den Banken erforderlich und erfüllen, gewisser-maßen auf höherer Ebene, eine ähnliche Aufgabe wie dieSichtguthaben der Bankkunden für deren Geschäftsab-wicklungen. Diese Zentralbankgeldguthaben werden mitdem Bargeld auch als ›Zentralbankgeldmenge‹, ›Geldba-sis‹ oder ›Geldmenge M 0‹ (M Null!) zusammengefasst.

Wie die Aufteilung des Balkens A erkennen lässt, wurdenin Deutschland die in Umlauf gesetzten Bargeldbestände zuknapp zwei Dritteln über Kredite an die Banken herausgege-ben. Das restliche Drittel ist durch Direktgeschäfte der Bun-desbank in den Wirtschaftskreislauf geflossen, vor allemdurch Ankäufe von Gold, Devisen und Wertpapieren.

Soweit über die Banken in Umlauf gebracht, ist das Geldüber die Bankkassen (C) gelaufen, in denen etwa zehn Pro-zent der gesamten Bargeldmenge als Puffer gehalten wer-den. Die übrigen 90 Prozent des Bargeldes befinden sich inden Händen der Nichtbanken bzw. des Publikums (D). Die-se erwirtschaften damit – direkt oder indirekt über dieUmwandlung in Giralgeld – jedes Jahr das so genannteBruttosozial- oder Bruttoinlandsprodukt (BSP/BIP), dasgrößenmäßig mit der unteren Fläche E wiedergegeben ist.Die Fläche F steht für die Sichtguthaben, die neben ihrerHauptaufgabe unbarer Zahlungsabwicklungen noch alsVorsparbecken für die längerfristigen Ersparnisbildungengesehen werden können. Die Ergebnisse dieser längerfris-tigen Ersparnisse spiegeln sich in der Fläche G wider, die

Page 86: Creutz - Das Geld-Syndrom

87

allerdings nur die bei den Banken angesammelten Geldver-mögens-Bestände wiedergibt. Die gesamten deutschenGeldvermögen lagen – wie in Klammern angeführt – indem herangezogenen Jahr um rund ein Drittel höher.

Auch aus dieser Bestandsaufnahme geht der erheblicheUnterschied zwischen der Größe des Bargelds und jenerder Guthaben bzw. Kredite hervor, die das Volumen derWirtschaftsleistung inzwischen schon um eine Mehrfachesübersteigen.

Was sind die Hauptaufgaben der Banken?

Wirtschaftsteilnehmer bzw. Endverbraucher kommen nor-malerweise nur über eingebrachte Leistungen zu Einkom-men und damit in die Lage, Leistungen anderer nachzufra-gen. Über dieses Einkommen hinaus ist eine Nachfrage nurmit Hilfe von Schenkungen oder Krediten möglich. Kreditewiederum setzen Ersparnisse anderer Wirtschaftsteilneh-mer voraus. Mit der Vermittlung zwischen Sparer und Kre-ditnehmer erfüllen die Banken also eine wichtige volks-wirtschaftliche Aufgabe.

Dabei dient diese Kreditvermittlung nicht nur dem Kre-ditnehmer, sondern der ganzen Volkswirtschaft. Denn mitdieser Kaufkraft-Weitergabe über den Kredit schließt derKreditnehmer die Nachfragelücke, die sonst aufgrund derNicht-Nachfrage des Sparers entstanden wäre. DieseMarkträumung durch den Kreditnehmer nützt vor allemaber auch dem Sparer. Denn wie seine Ersparnis zeigt, hater mehr Leistungen in den Markt eingebracht, als er selbstnachzufragen bereit ist. Ohne die ersatzweise Nachfragedurch den Kreditnehmer bliebe letztlich diese Überleis-tung am Markt liegen.

Natürlich haben Banken nicht nur die Aufgabe, mit der

Page 87: Creutz - Das Geld-Syndrom

88

überschüssigen Kaufkraft der einen die Kassen bzw. Kon-ten der anderen Wirtschaftsteilnehmer über Kredite aufzu-füllen. Eine andere wichtige Aufgabe ist auch die bereitserwähnte Abwicklung des unbaren Zahlungs- und Verrech-nungsverkehrs in der Wirtschaft. Bedenkt man, dass in den90er Jahren in Deutschland der monatliche Umschlag aufden Girokonten höher war als das Jahres-Sozialprodukt,dann wird die Größenordnung dieser unbaren Zahlungenebenso einschätzbar wie das Dienstleistungsvolumen derBanken. So wurden beispielsweise in Deutschland 1993 mitSichtguthabenbeständen von 500 Mrd. DM monatlich eineMilliarde Verfügungsvorgänge mit einem Umsatz von rund3 500 Mrd. DM abgewickelt. Das heißt, die gesamten Sicht-guthabenbestände wurden im Monat etwa siebenmalumgeschlagen und jeder abgewickelte Einzelvorgang lagdurchschnittlich bei 3 500 DM.

Die bekannteste Dienstleistung der Banken ist zwarimmer noch der Umschlag von Bargeld, doch sind hier dieBestands- und Größenordnungen wesentlich geringer alsjene auf den Girokonten. So lag der Kassenbestand derBanken 1993 nur bei 28 Mrd. DM (gesamtes Bargeld 230Mrd.). Da nach Schätzungen von Bankern der Kassenbe-stand etwa alle zwei Tage umgeschlagen wird, kommt manhier – bei 20 Banktagen im Monat – auf einen Umsatz vonnur 260 bis 300 Mrd. DM im Monat, also weniger als einemZehntel der Umsätze auf den Girokonten.

Allerdings wäre es falsch, den Bargeldverkehr deswegenals unbedeutend anzusehen. Nach einer Untersuchung derBundesbank wurden in Deutschland in den 80er Jahrennoch 87 Prozent aller Zahlungsvorgänge der ›Nichtbanken‹mit Bargeld abgewickelt und nur 13 Prozent mit Guthaben-übertragungen. Auch wenn die Einzelsummen dieser Gut-habenübertragungen jene der Barzahlungen weit übertref-fen, dürfte das Bargeld in den meisten Ländern bei der

Page 88: Creutz - Das Geld-Syndrom

89

Endnachfrage immer noch die entscheidende Rolle spie-len. Denn die riesigen Umsätze auf den Girokonten findenüberwiegend in den Vorstufen der Endnachfrage statt, alsoim Bereich von Produktion und Handel. Doch all dieseVorgänge im Vorfeld des Konsums gibt es nur dann und nurso lange, wie am Ende der Kette ein Verbraucher mit einemGeldschein oder einer Kreditkarte in den Laden geht undkauft. Das aber ist letztlich konjunkturentscheidend.

Bei der Beurteilung der beiden Zahlungswege ist außer-dem zu beachten, dass über die Girokonten praktisch auchdas Gros aller Investitionen, Anlagenumschichtungen, Se-kundärkäufe und Spekulationsgeschäfte abgewickelt wird.Gerade mit diesem letztgenannten Bereich dürften dieerheblichen Ausweitungen der Bestände und Umsätze aufden Girokonten in den letzten Jahren zusammenhängen.

Was ist mit der Macht der Banken?

Die Macht im Lande kann man im Allgemeinen an derGröße der Gebäude erkennen. Früher spiegelte sie sich inTempeln, Burgen, Kathedralen oder Schlössern wider.Geht man von dieser Sicht der Dinge aus, dann scheint sichheute vielerorts tatsächlich die Macht bei den Banken zukonzentrieren. Das gilt nicht nur für New York, London,Tokio oder Frankfurt. Auch im letzten Dorf sitzt die Volks-bank oder Sparkasse oft im repräsentativsten Gebäude.

Imponierend sind auch die Zahlen: So gibt es beispiels-weise in Deutschland rund 3 000 Banken mit 40 000 Nieder-lassungen und etwa 600 000 Beschäftigten. Zusammen wie-sen sie 1999 ein Geschäftsvolumen von rund 11 000 Mrd.DM bzw. 5 600 Euro aus, fast das Dreifache des deutschenSozialprodukts. In den elf Euroländern gibt es insgesamt8 000 Banken.

Page 89: Creutz - Das Geld-Syndrom

90

Trotzdem ist der Rückschluss auf die Machtverhältnisse et-was fragwürdig. Denn die Größe der Bankgebäude und ihrWachstum spiegeln in erster Linie nur die Größe und dasWachstum der Geldeinlagen wider, die den Banken von denSparern anvertraut werden. Die Macht der Banken ist alsoweitgehend eine geliehene. Denn ihr Eigenkapital übersteigtnur selten jenen Bruchteil der Kreditmasse, die von der Ban-kenaufsicht zum Ausgleich des Risikos vorgeschrieben ist.Außerdem ist dieses Eigenkapital in fast der Hälfte aller Fällein den Händen öffentlich-rechtlicher Stellen bzw. genossen-schaftlicher Organisationen, in Deutschland bei über 60 Pro-zent. Und bei den privaten Großbanken verteilt es sich oft aufHunderttausende von Aktionären. Echte Privatbanken a laRothschild oder Rockefeller, bei denen Einzelpersonen oderFamilien das Eigenkapital in der Hand haben, gibt es fast nichtmehr. In Deutschland kommen sie zusammen gerade noch aufknapp ein Prozent des gesamten Geschäftsvolumens.

Mit diesen Ausführungen soll die Macht und Einflussnah-me der Banken auf die Wirtschaft jedoch nicht verneint wer-den. Das gilt vor allem für jene Banken, die über große Ak-tienbestände einzelner Unternehmen verfügen, bzw. – wiez.B. noch in Deutschland – die das Stimmrecht der Aktionä-re übernehmen können. Doch insgesamt sind die Bankenmit ihrem Handeln zwischen Geldgebern und Kreditneh-mern eingebunden und aus eigenem Interesse daran interes-siert, beide Seiten mit ihrer Arbeit zufrieden zu stellen.

Wachsen Macht und Einfluss der Banken mitden Umsätzen?

Diese Vermutung liegt nahe und trifft auch für vergangeneJahrzehnte weitgehend zu. Doch auch hier kommt es – wiebei allen übermäßig zunehmenden Prozessen – schließlich

Page 90: Creutz - Das Geld-Syndrom

91

zu gegenläufigen Effekten: Je mehr die Geldvermögen undSchulden in einer Volkswirtschaft ansteigen, umso mehrwachsen schließlich auch die Kreditrisiken der Banken.Denn diesen überproportionalen Kreditausweitungensteht ein immer geringeres haftendes Eigenkapital der Kre-ditnehmer gegenüber und damit ebenfalls verringerte ding-liche Absicherungen. Und kommt es zu massierten Zah-lungsunfähigkeiten und Zwangsversteigerungen in derWirtschaft, fällt der Marktwert der beliehenen Objekte oftunter die offenen Forderungen der Banken zurück, womitdiese selbst in Zahlungsengpässe geraten.

Schon Anfang der 80er Jahre kam es auf diese Weise inden USA zu reihenweisen Bank-Zusammenbrüchen imländlichen Raum, als Zehntausende überschuldeter Farmerihren Besitz versteigern mussten. Dasselbe wiederholte sichEnde der 80er Jahre bei den Spar- und Darlehenskassen undetlichen Regionalbanken. Ursache dieser Problementwick-lungen waren hier vor allem die von Reagan zur Belebungder Wirtschaft angehobenen Beleihungsgrenzen für Immo-bilien. In deren Folge nahmen nicht nur die Kreditaufnah-men zu, sondern auch die Immobilienpreise. Als dann derSpekulationsballon platzte, waren die Außenstände derBanken in vielen Fällen nicht mehr einzutreiben.

Nach einem Bericht der »Frankfurter Allgemeinen Zei-tung« vom 21. 10. 1992 waren damals schon in den USA»1492 (= 12 Prozent) der rund 12 000 Geschäftsbanken kon-kursreif und 1179 streng genommen bereits insolvent«.Und Prof. Udo Reifner, Leiter des Instituts für Finanz-dienstleistungen in Hamburg, berichtete Anfang 1993 inseinem Infodienst »Bank Watch«, dass diese Bankzusam-menbrüche »den amerikanischen Steuerzahler bis Endeder 90er Jahre insgesamt (. . .) zwischen 300 und 800 Mrd.Dollar kosten werden«.

Auch die Bankprobleme der letzten Jahre in Japan gin-

Page 91: Creutz - Das Geld-Syndrom

92

gen auf völlig irreale Börsen- und vor allem Bodenspekula-tionen zurück, die von den Banken leichtfertigerweise mitKrediten abgedeckt bzw. unterfüttert wurden. In einemanderen weniger disziplinierten Land hätte das darausresultierende Wanken der Großbanken wahrscheinlichlängst zu Einstürzen geführt. Welche Kosten die japani-schen Steuerzahler zur Rettung der Banken letztlich über-nehmen müssen, ist noch gar nicht abzuschätzen. Zuneh-mende Arbeitslosigkeit und Staatsverschuldungen habenals Folge jener Bankkrisen in Japan jedenfalls bereits sol-che Größenordnungen erreicht, dass der Finanzministerin Tokio Ende 1995 den Finanznotstand erklären musste.Bis heute ist die Wirtschaft in Japan immer noch nicht inSchwung gekommen. Trotz staatlicher Belebungsspritzenin der Größenordnung von insgesamt mehr als 1 000 Milli-arden Dollar und einer auf 120 Prozent des BIP gestiegenenStaatsverschuldung.

Doch – wie Udo Reifner weiter schrieb – häufen sichauch in Deutschland die Bankprobleme, »die mühsamdurch Milliardenzahlungen am deutschen Markt interes-sierter Dritter . . . oder aus den Töpfen der kleinen Genos-senschaftsbanken verdeckt werden«. Nach Reifner warendie Sicherungsfonds der deutschen Banken bereits Anfangder 90er Jahre um 2,6 Milliarden Mark geleert, und da dieBeiträge an diese Fonds je 100 DM Einlage nur bei drei bissechs Pfennig liegen, hat auch in Deutschland die Absiche-rung der Einleger ihre Grenzen. Selbst die deutsche alter-native Öko-Bank hat im Jahr 2000 nur mit Hilfe des genos-senschaftlichen Sicherungsfonds zumindest einen Teil ihresGeschäftsbetriebs retten können.

Die weltweit zunehmenden und Schlagzeilen machen-den Zusammenschlüsse von Banken wie auch ihre Verbin-dungen mit Versicherungen und ähnlichen Finanzinstitu-ten, lassen zwar immer größere Mammutgebilde entstehen.

Page 92: Creutz - Das Geld-Syndrom

93

Doch diese Zusammenschlüsse sind oft weniger Zeichenwachsender Stärke als Absicherungsversuche gegen wach-sende Risiken. Aufgrund ihrer Größe können diese Mam-mut-Institutionen jedoch – wenn es zu einem Crash kommt– für die Allgemeinheit umso gefährlicher werden.

Welche Aufgaben haben die Zentral- oderNotenbanken?

Im Wesentlichen beziehen sich die Aufgaben der Noten-banken darauf, die Geldversorgung der Wirtschaft und dieStabilität der Geldkaufkraft zu sichern.

Die Erfüllung dieser Aufgabe hängt von den Instrumen-tarien und Rechten ab, die ihnen gesetzlich eingeräumtworden sind. Darüber hinaus spielen die Fähigkeiten derVerantwortlichen und nicht zuletzt die Einspruchsrechteder Regierungen eine Rolle.

Nach älteren Untersuchungen befinden sich etwa vierFünftel aller Notenbanken völlig, der Rest überwiegend inStaatsbesitz. Nur wenige Notenbanken (wie z. B. in derSchweiz) sind privatrechtlich organisiert. Allerdings ist die-se besitzrechtliche Frage für den Erfolg der Notenbankenweniger wichtig als die ihrer Unabhängigkeit. Hat z. B. derStaat das Recht, von der Notenbank Kredite zu fordern,dann können bei jeder Notenbank, unabhängig von ihrerOrganisationsform, die Stabilitätsbemühungen und Aufga-benstellungen zu Makulatur werden.

Die Deutsche Bundesbank (inzwischen Teil des Systemsder Europäischen Zentralbanken), ist z. B. formell imBesitz des Bundes, jedoch eine eigenständige und in ihrenEntscheidungen regierungsunabhängige Einrichtung öf-fentlichen Rechts, vergleichbar in etwa mit dem Bundesver-fassungsgericht. Der Bundesbankpräsident und die übrigen

Page 93: Creutz - Das Geld-Syndrom

94

Mitglieder des Direktoriums werden zwar von der Regie-rung eingesetzt, ihre Entscheidungen aber sind an die Vor-gaben gebunden, die im »Gesetz über die Deutsche Bun-desbank« festgeschrieben sind.

Die wichtigsten Aussagen findet man im § 3 BBG:»Die Deutsche Bundesbank regelt mit Hilfe der wäh-

rungspolitischen Befugnisse . . . den Geldumlauf und dieKreditversorgung der Wirtschaft mit dem Ziel, die Wäh-rung zu sichern . . .«

Wie bereits diese Aufgabenbeschreibungen zeigen, han-delt es sich bei den Zentralbanken in Wirklichkeit um garkeine Banken im üblichen Sinne. Vielmehr sind es Institu-tionen mit der öffentlich-rechtlichen Aufgabe, für die Geld-versorgung und die Kaufkraftstabilität dieses von ihnenherausgegebenen Geldes zu sorgen.

Was heißt »die Währung sichern«?

Ein Unbefangener könnte vermuten, dass mit dieser For-mulierung im deutschen Bundesbankgesetz die Absiche-rung des Geldwertes mit Gold, die Verhinderung von Fäl-schungen oder auch die sichere Unterbringung der Geld-scheine in Tresoren gemeint ist. Tatsächlich war es langestrittig, ob darunter feste Wechselkurse oder gleich blei-bende Kaufkraft des Geldes zu verstehen waren. Inzwi-schen hat man sich – vor allem nach dem Desaster festerWechselkurse Anfang der 70er Jahre – auf das Ziel derKaufkraftstabilität geeinigt, wenn auch mit begrenztenpraktischen Erfolgen. Denn wenn man bedenkt, dass z. B.die DM von 1950 heute fast nur noch 20 Pfennig wert ist,kann man kaum behaupten, die Deutsche Bundesbankhabe ihre Aufgabe nach § 3 wirklich erfüllt.

Hauptursache dieses Misserfolges – der bekanntlich in

Page 94: Creutz - Das Geld-Syndrom

95

den meisten anderen Ländern noch größere Ausmaße hat –ist die unzulängliche Regelung des Geldumlaufs, obwohldiese Regelung der Bundesbank im gleichen Paragraphenausdrücklich zur Aufgabe gemacht ist.

Problematisch ist weiterhin, dass die Notenbanken vonden Regierungen häufig auch auf Verhaltensweisen festge-legt werden, die ihrer Aufgabe der Währungssicherung dia-metral gegenüberstehen. So heißt es beispielsweise in § 12des Gesetzes für die Deutsche Bundesbank von 1957:

»Die Deutsche Bundesbank ist verpflichtet, unter Wah-rung ihrer Aufgabe die allgemeine Wirtschaftspolitik derBundesregierung zu unterstützen.«

Vergleicht man diese Passage aus dem Bundesbankge-setz mit der zuerst zitierten, dann kann man über solchemissverständlichen und z. T. widersprüchlichen Formulie-rungen nur den Kopf schütteln. Denn sicher lässt sich treff-lich darüber streiten, welche praktischen Konsequenzenaus der Verpflichtung, die Wirtschaftspolitik einer Regie-rung zu unterstützen, ggfs. abgeleitet werden können.Inzwischen hat man aber dazugelernt. So ist beispielsweisein Neuseeland vor einigen Jahren der Präsident der Noten-bank in seiner Aufgabenstellung alleine auf die Stabilitätder Kaufkraft festgelegt worden und ihm droht bei unzurei-chender Einhaltung dieser Auflage sogar die Entlassung.

Etwas eindeutiger sind auch die Gesetze, unter denen dieEuropäische Zentralbank angetreten ist. So heißt es bei-spielsweise im Artikel 2 des Maastrichter Vertrags, bezogenauf das Europäische System der Zentralbanken, ». . . ist esdas vorrangige Ziel des ESZB, die Preisstabilität zugewährleisten«. Und unter Artikel 3 wird zu den Aufgabendes ESZB u. a. aufgelistet:

– »die Geldpolitik der Gemeinschaft festzulegen und aus-zuführen,

Page 95: Creutz - Das Geld-Syndrom

96

– die offiziellen Währungsreserven der Mitgliedsstaatenzu halten und zu verwalten,

– das reibungslose Funktionieren der Zahlungssysteme zufördern«.

Wie regeln die Zentralbanken den Geldumlaufund warum ist diese Aufgabe so wichtig?

Wenn man von der Versorgung der Wirtschaft mit Geldausgeht, denkt man meist nur an die Regulierung der Men-ge. Die Menge ist aber nur ein Faktor der Geldwirksamkeit,der zweite ist die Einsatzhäufigkeit dieser Geldmenge.Denn wird herausgegebenes Geld nur selten oder gar nichtbewegt, ist es genauso wirkungslos wie nicht herausgegebe-nes. Eine Zentralbank hat darum nicht nur die AufgabeGeld in den Umlauf zu geben, sondern sie muss auch fürdessen gleichmäßigen Umlauf sorgen. Erst bei einer stö-rungsfreien ›Umlaufgeschwindigkeit‹ (besser wäre: Ein-satzhäufigkeit) kann es auch störungsfreie Konjunkturla-gen und stabile Kaufkraft geben.

Vergleicht man das Geld mit Pferden und die Wirtschaftmit dem Wagen, den die Pferde ziehen sollen, dann könnteman die Notenbanken als die Kutscher ansehen, die nichtnur für die notwendigen Pferde zu sorgen haben, sondernauch für eine gleichmäßige Bewegung des Wagens. Will einKutscher diese Aufgabe optimal erfüllen, wird er die Pferdeam kurzen Zügel so führen, dass sie nicht beliebig aussche-ren oder Pausen machen können.

Die Notenbanken aber begnügen sich im Wesentlichendamit, eine von ihnen quantifizierte ›Pferdemenge‹ für den›Wirtschaftswagen‹ zur Verfügung zu stellen. Ob und inwelchem Maße diese Pferde zum Ziehen bereit sind bzw.sich überhaupt einspannen lassen, wird von den Notenban-

Page 96: Creutz - Das Geld-Syndrom

97

ken nicht kontrolliert. Weitgehend hofft man einfach, dassdie Pferde es schon richtig machen werden. Erst wenn dieNotenbanken merken, dass der Wagen schon zu schnelloder zu langsam läuft, werden sie aktiv. Dabei greifen siejedoch nicht direkt in die Zügel. Vielmehr versuchen sie,die Leistungsbereitschaft der ›Pferde‹ mit verringertenoder vergrößerten ›Haferrationen‹ – sprich: Zinssätzen – zubeeinflussen.

Außerdem lassen die Notenbanken, um den gefährlichenRückgang der Fahrgeschwindigkeit zu vermeiden, das Geld– entgegen ihren eigenen Stabilitätsschwüren – fast ständigetwas unter der ›Inflationspeitsche‹ laufen. Da sie jedochdie Geschwindigkeitsveränderung des Wirtschaftswagensimmer erst mit Verspätung merken und ihre Einflussnah-men über Zins- und Inflationssätze mit kaum berechenba-ren Verzögerungen und Nebenwirkungen verbunden sind,ist ein befriedigendes Ergebnis rein zufällig. In ihrer Notbekämpfen sie schließlich sogar die Inflationsanstiege, diesie selbst durch zu viel herausgegebenes Geld verursachthaben, mit Erhöhungen der so genannten Leitzinsen, wasder Austreibung des Teufels mit dem Beelzebub gleich-kommt.

Dabei gibt es eine ganz klare Vorgabe für die Umlaufge-schwindigkeit des Geldes, nämlich die der Einkommens-ströme! Die Notenbanken brauchen nur durch eine funk-tionierende Umlaufsicherung dafür zu sorgen, dass alleEinkommen möglichst regelmäßig, direkt oder indirekt,auch wieder zu Ausgaben werden. Um die ›richtige Höhe‹der Zinsen brauchen sie sich dann keine Gedanken mehr zumachen und die ›richtige Geldmenge‹ spielt sich von alleineein.

Page 97: Creutz - Das Geld-Syndrom

98

Was heißt »regelt . . . die Kreditversorgung derWirtschaft«?

Auch diese Formulierung, die im Gesetz der DeutschenBundesbank vorgegeben ist, vernebelt heute noch die meis-ten Köpfe. Selbst Sachkundige leiten häufig daraus ab, dassZentralbanken die Wirtschaft mit Krediten versorgen.Dabei stammen die Kredite in unseren modernen Volks-wirtschaften – soweit nicht direkt privat vergeben – ausEinlagen der Sparer bei den Banken und ähnlichen Institu-tionen, also aus den Einkommensüberschüssen von Wirt-schaftsteilnehmern, nicht aber von den Notenbanken. Sostanden den Krediten der deutschen Banken an die Wirt-schaft, die im Jahr 2000 bei 3 300 Mrd. Euro lagen, Krediteder Deutschen Bundesbank an die deutschen Banken inHöhe von 120 Mrd. Euro gegenüber. Und den Bankkredi-ten im gesamten Euroraum in Höhe von fast 7 000 Mrd.Euro, solche der EZB an die gesamten Banken in Höhe vonetwa 330 Mrd. Euro. Das heißt, die Zentralbankkredite andie Banken lagen unter fünf Prozent jener Kreditsummen,die von den Banken an die Wirtschaft vergeben wurden.

Wie sich schon aus diesen Zahlen ergibt, haben die Zen-tralbankkredite also wenig mit der Kreditversorgung derWirtschaft zu tun. Vielmehr entsprechen diese Zentral-bankkredite dem Anteil des Bargeldes, der durch Auslei-hungen an die Banken in den Kreislauf gelangt ist. Außer-dem gehören dazu noch die Zentralbankguthaben, die dieBanken als Liquiditätspolster bzw. working balances fürihre internen Verrechnungen benötigen bzw. die ihnen alsMindestreserven vorgeschrieben sind. Das heißt, dieseNotenbankkredite werden weitgehend nur dann und indem Umfang ausgeweitet, wie die Wirtschaftsteilnehmerzusätzliches Geld am Bankschalter nachfragen. Da fast alleBargeldnachfragen am Schalter mit Abhebungen von Kun-

Page 98: Creutz - Das Geld-Syndrom

99

denkonten verbunden sind, führen solche Bargeldauswei-tungen zuerst einmal sogar zu einem Rückgang des Gutha-ben- und damit auch des Kreditvergabepotentials, dasumgekehrt überwiegend auch nur durch solche Bargeldein-zahlungen wächst.

Über die veränderbaren Abgabebedingungen dieser lau-fend zu erneuernden Kredite, die von den Banken bei denNotenbanken aufgenommen werden müssen, versuchenLetztere die von ihnen herausgegebene Geldmenge undderen Umlauf mit dem Ziel stabiler Kaufkraft zu steuern.Da jedoch jeder Geldhalter in der Wirtschaft das Recht hat,›sein Geld‹ nach Belieben stillzulegen, bleibt diese Umlauf-steuerung mehr oder weniger – wie bei den Pferden vordem Wirtschaftswagen – ein unzulänglicher Versuch. Opti-male Ergebnisse, also wirklich stabiles Geld, zumindestüber mittlere Zeiträume, sind also eher Glücksache.

Wie läuft das mit den Krediten an die Banken?

Wie schon gesagt, benötigen die Banken die Kredite vonden Notenbanken nur zur Auffüllung ihrer Zentralbank-guthaben und zur Versorgung der Wirtschaft mit Bargeld.Da diese Kredite mit Zinsen belastet sind, erweitern sie die-se praktisch auch nur in dem Umfang, wie sie für dieAbwicklungen am Schalter zusätzliches Geld benötigen.Das heißt, nicht die Zentralbanken und auch nicht dieGeschäftsbanken bestimmen über die Geldmenge in derWirtschaft, sondern letztlich die Wirtschaftsteilnehmer.Heben diese bei den Banken mehr Geld ab, als sie dort lau-fend einzahlen, müssen die Banken ihre Verschuldungenbei den Notenbanken ausweiten. Sammelt sich dagegen beiden Banken mehr Geld an, als laufend abgehoben wird,geben sie das Zuviel an Geld schleunigst an die Notenban-

Page 99: Creutz - Das Geld-Syndrom

100

ken zurück. Denn alles Geld in der Kasse ist für die Ban-ken ›totes Kapital‹, das sie nicht nur nicht gegen Zinsenverleihen können, sondern für das sie auch noch an dieNotenbanken Zinsen zahlen müssen. Außerdem versu-chen die Banken, zur Senkung ihrer Zinsbelastungen,auch den Gebrauch von Bargeld innerhalb der Wirt-schaftsvorgänge abzubauen. Das vor allem, wenn ein gro-ßer Teil dieses in der Wirtschaft umlaufenden Bargeldesüber Notenbank-Kredite an die Banken in Umlauf ge-kommen ist. Denn für dieses Bargeld – in Deutschlandetwa 70 Prozent der Bargeldmenge – müssen die Bankenselbst dann noch Zinsen zahlen, wenn die Geldscheine seitJahren in irgendwelchen Tresoren schlummern, im Aus-land kursieren oder gar durch Feuer, Kriege o. ä. vernich-tet wurden. Und da die Banken ihrerseits diese Zinskostennicht bei den Geldhaltern und -benutzern erheben kön-nen, müssen sie diese letztlich ihren Kreditnehmern auf-halsen, die in den meisten Fällen gar kein Bargeld in An-spruch genommen haben!

Zur Kostensenkung versuchen die Banken außerdem,ihre mit Zentralbankgeld-Guthaben bei den Notenbanken,die sie für ihre internen Verrechnungen benötigen, mög-lichst zu minimieren. Das erreichen sie vor allem durch eineimmer größere Zentralisierung der Verrechnungen undihrer Beschleunigung mit Hilfe elektronischer Verrech-nungstechniken. Über diese Clearingbestände und denBargeldbedarf hinaus nehmen die Banken nur dann Kre-dite bei den Notenbanken auf, wenn sie von diesen dazugezwungen werden. Dies ist z. B. dann der Fall, wennNotenbanken die Haltung so genannter Mindestreservenvorschreiben, die in bestimmten Höhen, bezogen auf diekurzfristigen Kundeneinlagen, berechnet werden.

Page 100: Creutz - Das Geld-Syndrom

101

Was ist mit den Mindestreserven?

Mindestreserven waren ursprünglich einmal als Zwangs-hinterlegungen zur Absicherung der Kundeneinlagengedacht. In Deutschland wurden sie in den 60er und denersten 70er Jahren auch zur Steuerung der Geldmengebenutzt – vor allem, um zu viel herausgegebenes Geld, dasals Folge der festen Wechselkurse für Dollaraufkäufe inUmlauf gegeben wurde, wieder aus dem Verkehr zu ziehen.Später dienten diese Zwangsverschuldungen vor allemdazu, die Banken verstärkt an die Zinsleine zu legen, sofragwürdig diese Methode auch sein mag. Das heißt, auchwenn es in den Lehrbüchern noch anders dargestellt wird:Von den Ersparnissen, die man bei einer Bank einzahlt, ver-schwinden durch die Mindestreserven heute keine Anteilemehr aus dem Kreislauf. Vielmehr wird den Geschäftsban-ken das zur Auffüllung der Mindestreserven erforderlicheGeld von den Notenbanken zusätzlich geliehen.

Diese Mindestreservenregelungen wurden in den einzel-nen Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. So warenAnfang der 90er Jahre die Reservesätze z. B. in Irland, Itali-en, Portugal und Deutschland z. T. noch recht hoch, in Spa-nien, Frankreich und den Niederlanden dagegen bereitsdamals sehr gering. In Dänemark und Belgien lagen siesogar bei Null, in Großbritannien, Luxemburg gab es sieüberhaupt nicht und in der Schweiz hat man sie schon voretlichen Jahrzehnten abgeschafft. Außerdem wurden dieseZwangsreserven in manchen Ländern als Guthaben gese-hen und verzinst, in anderen dagegen nicht.

In welchem Umfang mit diesen Reservesätzen frühereinmal eine Steuerung der Geldmenge versucht wurde,zeigt die Darstellung 8. Aus ihr sind die Veränderungen derProzentsätze zu entnehmen, mit der in Deutschland dieSichtguthaben seit 1965 belastet worden sind. Ebenso ist

Page 101: Creutz - Das Geld-Syndrom

102

aber auch die Aufgabe dieser Steuerungsversuche in den80er Jahren aus der Grafik zu entnehmen.

Darstellung 8:

Da sich für die Banken in den Ländern mit hohen Reserve-vorschriften Wettbewerbsnachteile gegenüber ihren Kon-kurrenten in den anderen Ländern ergaben, wurden dieSätze in den letzten Jahren radikal abgesenkt, in Deutsch-land bereits 1991 auf jene zwei Prozent, die im Hinblick aufdie Vereinheitlichung des Euro-Bereichs als allgemeineReservehöhe festgelegt worden waren. Die damit verblie-benen Mindestreserven entsprechen weitgehend den Zen-tralbankgeld-Guthaben, die die Banken sowieso für ihreinternen Clearingvorgänge halten müssen. Außerdem wer-den diese zu haltenden Reserven in den Euroländern sogar

Page 102: Creutz - Das Geld-Syndrom

103

zu dem Satz verzinst, den die Banken für das Ausleihen beider EZB bezahlen müssen. Sie bekommen diese Mindest-reserven also gewissermaßen umsonst. Das heißt, die ur-sprünglich von manchen Notenbanken als unverzichtbarangesehenen Mindestreserven (die auch im Zusammen-hang mit der so genannten Geldschöpfung der Banken inallen Lehrbüchern eine so große Rolle spielen!), habenheute allenfalls noch die Bedeutung, die sowieso notwendi-gen Reservehaltungen der Banken zu verstetigen.

Wann müssen Notenbanken das Geld vermehren?Wie können sie das tun?

Ein Schweizer Notenbanker hat einmal gesagt, dass manzur Geldmengenregelung nur eine Notenpresse und einenOfen brauche. Die Notenpresse, um bei Bedarf mehr Geldzu drucken, den Ofen, um zu viel Geld zu verbrennen.

Dieses Verfahren würde tatsächlich so einfach funktio-nieren, wenn der Geldumlauf eine berechenbare bzw. ver-stetigte Größe wäre. Aber auch dann wäre die Inumlaufset-zung und der Einzug von Geld doch noch etwas schwierigerals das Drucken und Verbrennen. Noch schwieriger aber istheute die Erfassung und Steuerung der richtigen – sprichaktiven – Geldmenge.

Geld in Umlauf setzen können die Notenbanken vonsich aus auf verschiedene Weise. Zum Beispiel durchAnkauf anderer Währungen, Gold und Schuldverschrei-bungen oder durch Kredite oder Gewinnausschüttungenan den Staat. Die häufigere Methode ist jedoch – wiebeschrieben –, den Banken ›frisches Geld‹ über Kredite zurVerfügung zu stellen. Wollen sie dabei die Menge im Griffbehalten, müssen sie die jeweiligen Zuteilungskontingenteund/oder Zinssätze festsetzen, so wie das z. B. bei der Euro-

Page 103: Creutz - Das Geld-Syndrom

104

päischen Zentralbank bei den laufenden ›Versteigerungen‹geschieht. Die Geschäftsbanken müssen ihrerseits dannentweder die gewünschten Geldmengen und/oder ihreZinszahlungsbereitschaft signalisieren. Aus diesem Spielzwischen Angebot und Nachfrage kann dann die EZB ihreSchlüsse für ihr eigenes Verhalten ziehen, also für ihrBemühen, die Geldmenge stabilitätsgerecht zu steuern.

Auf diese komplizierte und nie ganz optimal funktionie-rende Regelung der Geldmenge könnte man nur verzich-ten, wenn – wie gesagt – der Geldumlauf verstetigt würde.Dann wäre auch eine Geldausgabe und ein Geldeinzugüber den Staat möglich, der von der Notenbank zu einerdirekten Ausgabe und damit Nachfragewirksamkeit desMehrgeldes gezwungen werden könnte.

Mit einer solchen Geldmengenregelung über den Staatwürde auch deutlich, dass nicht nur die Kaufkraftstabilitätdes Geldes, sondern auch seine Ausgabe eine öffentlicheAngelegenheit ist. Auf der anderen Seite würde ebensodeutlich, dass die Verantwortung für die Betreuung derKundeneinlagen und die daraus gewährten Kreditverga-ben, einschließlich der Zinsbildung, allein eine Sache derBanken und des Marktes ist. Einen Rückgriff auf dieNotenbanken als ›lender oft last ressort‹, also als Nothelfermit frisch gedrucktem Geld, gäbe es dann ebenso wenig wiedie Einmischung in die Zinssätze, die bei einer funktionie-renden Umlaufsicherung mit dem Wirtschaftswachstumzurückgehen würden. Die Notenbanken würden dann tat-sächlich (fast) nur noch eine Notenpresse und einen Ver-brennungsofen für ihre Tätigkeit benötigen. Sie wären das,was die von Silvio Gesell ausgehende Freiwirtschaftsschulebereits seit langem fordert: Eine Währungsbehörde, derenalleinige Aufgabe die optimale Geldversorgung und Geld-mengenregulierung mit dem Ziel stabiler Geldkaufkraftist.

Page 104: Creutz - Das Geld-Syndrom

105

Was ist mit den ›Geldmengenzielen‹ der Noten-banken?

Um die Stabilität der Geld-Kaufkraft zu gewährleisten,muss die nachfragende Geldmenge mit dem Güter- undLeistungsangebot am Markt übereinstimmen. Um das zubeeinflussen, geben viele Notenbanken, ausgehend von dererwarteten Produktivitätsentwicklung, ihre angestrebtenGeldmengenausweitungen jeweils im Voraus bekannt.Dass diese Ankündigungen mit der Realität oft wenig zutun und allenfalls psychologische Effekte haben, beweisennicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Sachgegeben-heiten. Denn Aufgabe der Notenbanken ist nicht die Festle-gung einer ›Geldmenge‹, an der sich die Wirtschaft zu ori-entieren hat, sondern die Notenbanken müssten sich umge-kehrt mit ihrer Geldmengenpolitik flexibel an die Entwick-lungen in der Wirtschaft anpassen!

Vergleichen kann man diese Methode der Notenbankenmit einer Bahnverwaltung, die sich mit der Bereitstellungder Waggons nicht nach den tatsächlichen Transporterfor-dernissen der Wirtschaft richtet, sondern dieser vorgibt,welches Transportvolumen von ihr im kommenden Jahrerwartet und mit Waggons ausgestattet wird. Stimmt danndie Zahl der Waggons nicht mit dem tatsächlichen Trans-portbedarf überein und versucht die Bahnverwaltung die›Stabilität‹ des Transportverkehrs durch Anhebung bzw.Senkung der Waggon-Mietpreise zu steuern, dann würdesie genauso handeln wie heute die meisten Notenban-ken.

Page 105: Creutz - Das Geld-Syndrom

106

Welche ›Geldmenge‹ versuchen die Notenban-ken zu steuern?

Man sollte meinen, dass die Notenbanken sich bei ihrenSteuerungsversuchen mit jener Geldmenge befassen, dievon ihnen selbst herausgegeben wird, also mit der Bargeld-menge, der Schlüsselgröße für alle weiteren Geldvorgänge.Stattdessen hantieren die meisten Notenbanken bei ihrenBemühungen um stabiles Geld auch heute noch mit denverschiedensten ›Geldmengenaggregaten‹ herum. Dabeihat sich fast jede Notenbank eine eigene ›Geldmenge‹ oderzumindest eigene Variante konstruiert. Der Sachgegeben-heit am nächsten kam dabei die Schweizerische National-bank, die sich lange Zeit an der herausgegebenen Bargeld-menge plus der Zentralbankgeld-Guthaben der Bankenorientiert hat, der sogenannten Geldbasis, die von denNotenbanken selbst ausgegeben wird und auch alleinewirkliches Geld ist. Andere Länder – vor allem im angel-sächsischen Raum – haben lange Zeit die so genannteGeldmenge M1 als Richtgröße benutzt. Darin ist das her-ausgegebene Bargeld mit den Sichtguthaben der Nichtban-ken zusammengefasst, also jene beiden Bestände, die heuteauf den Märkten als Zahlungsmittel genutzt werden. Inzwi-schen experimentieren die meisten Notenbanken, wie auchdie Deutsche Bundesbank seit 1988 und jetzt die EZB, mitder so genannten Geldmenge M3. Wie sich die benutzten›Geldmengen‹ zusammensetzen und dass sie überwiegendgar nicht aus Geld, sondern aus Guthaben der Bankkundenbestehen, geht aus der Darstellung 9 hervor. Ebenso, dassdie Geldmenge M3 bei der EZB eine andere Zusammen-setzung hat als bei der Deutschen Bundesbank.

Allerdings zieht die EZB, neben dieser so genannten Geld-menge, auch andere Größen und Entwicklungen zur Beur-teilung ihrer erforderlichen Steuerungsmaßnahmen heran,

Page 106: Creutz - Das Geld-Syndrom

107

Darstellung 9:

so z.B. auch die direkte Beobachtung der Inflations- undZinsraten, der Konjunktur- und Produktionsmittelentwick-lung und deren Auslastung usw. Allerdings dürften die Erfol-ge all dieser Geldmengen-Steuerungsversuche, auch wennsie immer differenzierter ermittelt werden, mangels des un-bestimmbaren Geldumlaufs weiterhin unzulänglich bleiben.

Woher kommen die Notenbankgewinne?

Wie bei jedem Unternehmen und jeder Behörde, fallenauch bei den Noten- bzw. Zentralbanken Einnahmen undAusgaben an. Bei kaum einer anderen Institution dürftendie Größen dieser Gewinne jedoch so hoch und so extremschwankend sein, wie das bei den Notenbanken der Fall ist.Ursache ist der Tatbestand, dass die erwirtschafteten Über-

Page 107: Creutz - Das Geld-Syndrom

108

schüsse einmal aus Zinseinnahmen für selbst geschöpftesGeld stammen, das die Notenbanken selbst nur wenig kos-tet. Zum anderen stammen sie aus den Zinserträgen ihrerReserven, die meist in Dollar gehalten und im Dollarraumangelegt sind. Die Schwankungen dieser Zinserträge resul-tieren wiederum aus den ständigen Zinssatzveränderun-gen. Als Folge dieser Gegebenheiten, aber auch buchungs-technischer Umstellungen bzw. Bewertungen, schwanktedieser Überschussposten z. B. in Deutschland in den letztenJahrzehnten zwischen 240 Mio. und 19 Mrd. DM.

Die jährliche Ausschüttung der Notenbanken an ihreEigentümer – überwiegend die Staaten – spiegeln also denÜberschuss wider, der sich jeweils – nach Abzug der Kostenund der gesetzlich vorgeschriebenen Rücklagen – bei denNotenbanken ergeben hat. Soweit nicht aus dem Auslandstammend, sind diese (dem Staat sehr willkommenen)Überschüsse für die Wirtschaft nichts anderes als einezusätzliche Steuer, deren Höhe allerdings im Voraus nichtkalkulierbar ist. Gemessen an den gesamten Steuern, ist dieüber die Notenbankgewinne erwirtschaftete versteckteAbgabe zwar eine Bagatelle. Es fragt sich jedoch, ob dieserständig schwankende Zugriff auf die Bürger mit einem kor-rekten demokratischen Rechtsstaat vereinbar ist.

Natürlich hängt die Belastung für die Bürger auch vonder Größe und dem Aufwand ab, den die jeweilige Noten-bank betreibt. So hatte z. B. die Deutsche BundesbankAnfang der 90er Jahre rund 18 000 Beschäftigte, währenddie Bank von England mit gut 4 000 und die SchweizerNationalbank mit rund 600 Angestellten auskam. Die EZB-Zentrale in Frankfurt hatte Ende 1998 sogar nur 600 Mitar-beiter. Auch wenn man bei diesen Zahlen die Gesamtbe-völkerung bzw. Wirtschaftskraft der einzelnen Volkswirt-schaften berücksichtigt, ergeben sich also erhebliche Auf-wands- und Kostenunterschiede.

Page 108: Creutz - Das Geld-Syndrom

Teil II

Der Zinsund andereFehlstrukturen

Page 109: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 110: Creutz - Das Geld-Syndrom

111

5. Kapitel

Der Zins in Vergangenheitund Gegenwart

»Das Geld ist für den Tausch entstan-den, der Zins aber weist ihm dieBestimmung an, sich durch sich selbstzu vermehren. Daher widerstreitetauch diese Erwerbsweise unter allenam weitesten dem Naturrecht.«Aristoteles

Die Überlegenheit des Geldes über die Waren, gab diesemunverzichtbaren Tauschmittel eine besondere Stellung:Alle begehrten es und niemand gab es gerne wieder her.Auch nicht leihweise, es sei denn gegen einen Aufschlag,der die Geldvorteile ausglich. Und da Geld aufgrund seinerBegehrtheit fast immer knapp war und sogar künstlichknapp gehalten werden konnte, spielte dieser Aufschlag,der in Prozenten und zeitbezogen auf das Verlieheneberechnet und Zins genannt wurde, mit der Ausweitung derGeldnutzung eine immer entscheidendere Rolle.

Warum ist der Zins ein Problem?

Der Tatbestand, dass der Zins zu sozialen Spannungszu-nahmen zwischen Arm und Reich führt, wurde schon sehrfrüh erkannt. Das vor allem, weil sich die Folgen immerwieder bei den Schuldnern zeigten. Sie wurden zur Erfül-lung der Zinszahlungen nicht nur zu höheren Leistungengetrieben, sondern gerieten allzu oft in die Schuldenfalle,

Page 111: Creutz - Das Geld-Syndrom

112

an deren Ende Leibeigenschaft und Sklaverei standen.Nahmen solche Entwicklungen Überhand, kam es schließ-lich zu wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammen-brüchen, die wiederum Gewalt, Aufstände und Kriege zurFolge hatten. Alle Hochreligionen haben darum immerwieder versucht, den sozialen Sprengstoff des Zinses durchGebote und Verbote zu minimieren, bis hin zur Androhungvon Höllenstrafen. (Siehe Zitate im Kasten D).

Kasten D:Christliche Stimmen zum Zins:»Was ist für ein Unterschied, durch Einbruch in Besitz fremden Gutes zukommen auf heimliche Weise und durch Mord als Wegelagerer, indem mansich selbst zum Herrn des Besitzes jenes Menschen macht, oder ob man durchZwang, der in den Zinsen liegt, das in Besitz nimmt, was einem nicht gehört?«

Gregor von Nyssa, bedeutender Theologe, griechischer Bischof, ca. 334–394n. Chr.

»Wer Zins nimmt, wird mit dem Königsbann belegt, wer wiederholt Zinsnimmt, wird aus der Kirche ausgestoßen und soll vom Grafen gefangengesetztwerden.«

Kaiser Lothar im Jahr 825, nach einem Gesetz von Karl dem Großen im Jahr789

»Jede Gesetzgebung, die den Zins erlaubt, ist null und nichtig.«

Papst Alexander II., 1159–1181

Der Zins hat die ganze Gesellschaft vergiftet, die soziale Moral zerstört. Andieser Sünde muss unsere Gesellschaft zugrunde gehen. Der Zins ist derAngelpunkt der sozialen Frage.«

Karl von Vogelsang, 1884

»Wir zweifeln nicht daran, dass eine Zeit kommen wird, in der sich eine christ-liche Bewegung gegen den Zins erhebt.«

Friedrich Naumann, Soz. Programm der evang. Kirche 1890

»Wer Zins nimmt, lebt auf Kosten der Arbeit anderer, ohne ihnen für dieseArbeit irgendeine Gegenleistung zu geben. Durch den Zins wird der Gleich-wertgrundsatz in schwerster Weise verletzt. Christentum und Zins sind unver-einbar.«

Johannes Ude, Dekan der Kath.-theol. Fakultät Graz, 1874–1965

Page 112: Creutz - Das Geld-Syndrom

113

Noch im 18. Jahrhundert wurde durch Papst Benedikt XIV.die Zinsnahme in einer Enzyklika verdammt. Doch mitGeboten und Verboten war und ist dem Zins nicht beizu-kommen. Im Gegenteil! Werden Zinsverbote befolgt,kommt es zu noch größeren Problemen: Man fordert zwarder angedrohten Strafen wegen keine Zinsen mehr, stelltaber auch das Geldverleihen ein. Durch diese Ausleihever-weigerung aber wird den Märkten das notwendige Tausch-mittel entzogen. Die gefährliche Geldknappheit nimmt zuund der Zins steigt – sofern noch jemand Geld verleiht – insUnermessliche.

Diese Probleme zeichnen sich heute auch im Islam ab, indem das Zinsverbot wieder aufgelebt ist. Vor allem instrenggläubigen ländlichen Zonen, z. B. des Iran oder desSudan, in denen man das Zinsverbot verbreitet befolgt, ver-ringert sich das Kreditangebot, weil man Geld vermehrt zuHause spart. Oder es müssen, anstelle der Zinsen, unteranderen Bezeichnungen gleich hohe Anreize angebotenund meist sogar in fester Höhe zugesagt werden, z. B. inForm von »Gewinnbeteiligungen«.

Das heißt, an den leistungslosen Einkommen der Besit-zenden zu Lasten der Arbeitenden hat sich im Prinzipnichts geändert, sie erhalten nur ein anderes Etikett.Außerdem fließt den islamischen Banken, die an Stelle derKreditvergabe Beteiligungen an den Unternehmen erwer-ben, übergroßer Einfluss und damit Machtpositionen in derWirtschaft zu.

Das Zinsproblem kommt also einer Zwickmühle gleich:Mit Zinsen nehmen die sozialen Ungleichgewichte zu, ohneZinsen bricht der Geldkreislauf zusammen. Geht manjedoch den Ursachen dieser Zwickmühle nach, dann stelltsich heraus, dass nicht der Zins das eigentlich auslösendeProblem ist. Vielmehr ist es die Möglichkeit, Geld zurück-halten und verknappen zu können. Erst aus dieser Ver-

Page 113: Creutz - Das Geld-Syndrom

114

knappung ergibt sich die Möglichkeit, für die Freigabeüberschüssigen Geldes einen ständigen Tribut bzw. eineFreigabeprämie zu erpressen.

Diesen Zusammenhang hat man zwar in früheren Zeitenab und zu erkannt, aber immer wieder aus dem Auge verlo-ren. So hatte beispielsweise Papst Bonifatius VIII. nicht dasZinsnehmen als sündhaft herausgestellt, sondern das Fest-halten von Geld: »Wer bei sich daheim Geld schlafend unduntätig liegen lässt, wird exkommuniziert«, hieß es in einerim Jahr 1303 veröffentlichten Bulle. Und Papst Clemens IX.gab im 17. Jahrhundert Münzen mit dem Aufdruck »nolithesaurare« in Umlauf, was so viel heißt wie »Du darfstmich nicht festhalten«*

* aus Hans Weitkamp, Das Hochmittelalter – ein Geschenk des Geldwe-sens, Hilterfingen, 1986

.Auch der Volksmund hat dieses Wissen bis heute in Erin-

nerung gehalten. Die Redewendungen »Taler, Taler, dumusst wandern, von der einen Hand zur andern . . .« oder»Der Rubel muss rollen« treffen in ihrer Kürze genauden Punkt, um den es bei der Geldproblematik und ihrenzunehmenden weltweiten Folgen letztlich geht: um die Ver-stetigung des Geldkreislaufs.

Was ist der Zins eigentlich?

Der Zins wird heute oft als ›Preis des Geldes‹ bezeichnet.Man kann Geld jedoch nicht kaufen (allenfalls mit eineranderen Währung!), sondern erhält es normalerweise alsEntgelt für Leistungen und Güter. Aber auch der Begriff›Leihgebühr‹ für den Zins ist nicht treffend, weil man Leih-gebühren normalerweise nur für Dinge verlangt, die demVerschleiß unterliegen. Bei Dingen jedoch, die man nach

Page 114: Creutz - Das Geld-Syndrom

115

der Leihzeit gleichwertig zurückerhält (z. B. ein PfundMehl oder einen Zentner Saatkartoffeln), sind im Allge-meinen keine Leihgebühren üblich. Denn der Verleiher hatja den Vorteil, dass er das Verliehene, wenn er es selbst wie-der braucht, in frischem Zustand zurückerhält. Außerdemspart er Lagerkosten, Wartung und Verluste.

Anders ist es, wenn das Verleihen für den Verleiher miteinem Nachteil verbunden ist. Das aber ist beim Verleihenvon Geld insofern der Fall, als der Verleiher zwischenzeit-lich auf die Freizügigkeit verzichtet, jederzeit mit dem Gelddisponieren zu können. Keynes spricht hier vom ›Liquidi-tätsvorteil‹ der Geldhaltung und bezeichnet deshalb denZins auch als »Prämie für Liquiditätsverzicht«.

Obwohl das Geld eigentlich nur ein Tauschvermittlerund in dieser Rolle ein Äquivalent der Güter und Leistun-gen sein soll, ist es diesen, aufgrund seiner Dauerhaftigkeitwie seiner Liquiditätsvorteile, also überlegen. Außerdemstehen diejenigen, die Geld übrig haben, unter keinemDruck, es herzugeben, also auf dem Markt anzubieten. Werdagegen Güter produziert, muss sie, um Lagerkosten undVerluste zu vermeiden, immer zu verkaufen versuchen.Noch mehr steht derjenige unter Druck, der von seinerArbeitskraft lebt: Er ist zum Angebot gezwungen, wenn ernicht verhungern will.

Diese Überlegenheit des Geldes über die zu tauschen-den Güter und Leistungen, ist also das, was sich derjenigebelohnen lässt, der sein Geld ausleiht. Dabei haftet dieseÜberlegenheit dem Geld gewissermaßen von seiner Kon-struktion her an. Sie wird also dem Geldhalter und -verlei-her selbst ›geschenkt‹ und geht darum nicht auf seine Leis-tung zurück. Vielmehr ergibt sich der Geldvorteil aus derallgemeinen Übereinkunft, dieses Medium Geld als Zah-lungsmittel überall zu akzeptieren. Das heißt, der Zins istzusammen mit dem Tauschmittel Geld und seinen Vortei-

Page 115: Creutz - Das Geld-Syndrom

116

len in die Welt gekommen. Und aufgrund dieser Umständekann er von denjenigen, die Geld übrig haben, zu Lastender anderen Marktteilnehmer in ungerechtfertigtes Ein-kommen umgewandelt werden.

Welche Aufgaben hat der Zins?

In der Volkswirtschaft gilt der Zins mit seiner schwanken-den Höhe als ein Indikator der gegebenen Geld- bzw. Kapi-talmarktverhältnisse, genauer: der Knappheit des Geldes.Außerdem wird der Zins als ein Instrument gesehen, mitdem das Geld in die wirtschaftlich sinnvollste Anlage gelei-tet wird. Vor allem aber sorgt der Zins dafür (und hier liegtseine wichtigste Aufgabe), dass diejenigen, die Geld übrighaben, es nicht festhalten, sondern anderen leihweise über-lassen. Der Zins ist also das ›Zuckerbrot‹, mit dem man dasfür die Wirtschaft unverzichtbare Geld wieder in den Kreis-lauf zurücklockt. Konkreter: Der Zins sorgt für den Umlaufdes Geldes, auf den jede Volkswirtschaft zur Sicherungihres Funktionierens angewiesen ist.

Für die beiden erstgenannten Aufgaben des Knappheits-indikators und des Lenkungsinstruments ist die Zinshöhean sich ohne Belang. Hier funktioniert der Zins auch, wenner niedrig ist, ja sogar um Null herum pendelt, oder – wennGeld im Überfluss angeboten wird – bei Minusgrößen. AlsUmlaufsicherungsinstrument jedoch lässt die Wirkung derZinsen mit sinkender Höhe nach. Das heißt, ein Absinkender Zinssätze – ein volkswirtschaftlich und sozial höchstwünschenswerter Vorgang – führt zu verstärkten Geldzu-rückhaltungen und damit zu Kreislaufstörungen in derWirtschaft. Das heißt, wenn der Zins, als Prämie für denLiquiditätsverzicht, den Geldhaltern nicht mehr hochgenug erscheint, nimmt die Bereitschaft zur Geldfreigabe

Page 116: Creutz - Das Geld-Syndrom

117

ab. Dieser Effekt lässt sich auch statistisch nachweisen, wiedie Darstellung 10 zeigt.

Darstellung 10:

In der Darstellung ist oben die Veränderungskurve der Bar-geldhaltung eingetragen, ausgedrückt in Prozent des Brut-tosozialprodukts. Vergleicht man die Schwankungen derGeldhaltung mit der Veränderung der Zinskurve im unte-ren Teil der Grafik, dann wird die Beziehung zwischen bei-

Page 117: Creutz - Das Geld-Syndrom

118

den deutlich: Immer wenn die Zinsen steigen, geht dieliquide Geldhaltung zurück, weil man nicht auf die hohenZinsen verzichten möchte. Wenn die Zinsen fallen, nimmtdie Geldhaltung zu, weil der Zinsverlust weniger zu Bucheschlägt. Die Wirkung der Zinsen, das Geld in Umlauf zuhalten, ändert sich also mit der Zinssatzhöhe.

Gab es irgendwann zinsfreie Zeiten?

Ob der Zins in der Geschichte einmal völlig bedeutungsloswar, ist nicht überliefert. Sicher aber dürfte sein, dass esZeiten geringer Zinshöhe gegeben hat mit entsprechendpositiven Folgen.

So ist überliefert, dass der spartanische StaatsmannLykurg Gold und Silber ächtete und Eisengeld einführte.Möglicherweise tat er das, um bei der Geldschöpfung vonden Edelmetallen unabhängig zu sein. Mit diesem Eisen-geld veränderte sich jedoch die Bedeutung des Geldes aufden Märkten: Das Eisengeld war nicht mehr, wie Gold undSilber, den einzutauschenden Gütern überlegen! Denn werEisengeld verschatzte, also aus dem Verkehr zog und ver-knappte, der riskierte ähnliche Verluste wie der Warenbe-sitzer. Im Extremfall fand er in seiner Schatztruhe nacheinigen Jahren nur noch einen Haufen Rost.

Bekannter und nachprüfbarer ist die Kultur- und Wirt-schaftsblüte in der Staufferzeit. »Ein Geschenk des Geld-wesens«, wie Hans Weitkamp im Untertitel seines Buches»Das Hochmittelalter« schreibt. In dieser Zeit der Hochgo-tik gab es ebenfalls ein Geld, das nicht von Dauer war, näm-lich die einseitig geprägten so genannten Brakteaten. Die-ses Geld wurde aus dünnem Silberblech gefertigt, hatte alsoeinen geringeren Metallwert und auch eine geringere Halt-barkeit. Das Entscheidende an den Brakteaten aber war,

Page 118: Creutz - Das Geld-Syndrom

119

dass sie im Jahr ein- bis zweimal ›verrufen‹, das heißt, durchöffentlichen Aufruf als ungültig erklärt wurden. Sie muss-ten dann gegen neu geprägte Münzen eingetauscht werden,wobei man für vier alte Münzen durchweg nur drei neueerhielt.

Zwar kannte man den Geldverruf mit Zwangsumtauschund Abzug auch vorher schon bei den normalen Münzen.Er fand überwiegend jedoch nur bei der Einsetzung einesneuen Herrschers statt, wobei der Wechsel mit dem einge-prägten Konterfei vermittelt wurde. Erzbischof Wichmannvon Magdeburg aber, der als Erster im Jahre 1154 dieseBrakteaten prägte, hat diesen Münzverruf zur Regelgemacht. Wahrscheinlich, um über den jeweils einkassier-ten Umtausch-Abschlag – Schlagschatz oder Prägesteuergenannt – den Staatshaushalt auf bequeme und sichereWeise zu finanzieren. Verständlich, dass diese Steuerein-zugsmethode bei anderen Herrschern und Münzherrensehr schnell Nachahmer fand. Doch dieser von den Bürgernsicher kaum begrüßte Abschlag, hatte einen nicht einge-planten segensreichen Nebeneffekt: Das geprägte Dünn-blechgeld lief im Gegensatz zu den massiven Münzen in derWirtschaft kontinuierlich um! Kaum einer zog es noch ausdem Verkehr oder sammelte es gar in Truhen, denn mitjeder Ansammlung riskierte man beim nächsten Geldum-tausch höhere Verluste. Um diese zu vermeiden oderwenigstens zu minimieren, gab man sein Geld möglichst indem Rhythmus weiter, wie man es selbst erhielt. Und hatteman im Moment keinerlei Verwendung und damit Geldübrig, verlieh man es gern an andere. Denn auf diese Weisekonnte man den ›Schwarzen Peter‹ des Umtausch-Abschlags an einen anderen weitergeben. Der Geldleiherhatte dann das Risiko, der Verleiher aber Anspruch aufRückerstattung des vollen Betrages, auch über den Um-tauschtermin hinaus.

Page 119: Creutz - Das Geld-Syndrom

120

Was bewirkten die Brakteaten?

Die Folge dieser Brakteaten-Eigenschaften war ein weitge-hend störungsfreier Geldumlauf und damit ein Rückgangder Knappheit mit entsprechend sinkenden Zinsen. Ent-sprechend positiv waren die Folgen für das wirtschaftlicheund gesellschaftliche Geschehen. Zwar gab es neben denBrakteaten auch noch die massiven und dauerhaften Mün-zen, aber diese wurden hauptsächlich als Schatzmittel ver-wandt.

In der Brakteatenzeit, vor allem dem 13. und 14. Jahr-hundert, entstanden allein im deutschen Sprachraum meh-rere hundert Städte. Die Hanse hatte ihre Blüte, die Wirt-schaft gedieh und zum ersten Mal gab es so etwas wie einenbreiten Bürgerreichtum. Den Spuren dieser Zeit kann manin den wenigen unversehrt gebliebenen Städten bzw. Alt-stadtbezirken, wie z. B. Dinkelsbühl, Rothenburg, Nördlin-gen oder Lübeck, noch nachgehen. Nie wieder hat es so vie-le Künstler und Kunsthandwerker gegeben wie in diesenJahrhunderten. Fast alle Balken an den Bürgerhäusern undselbst der letzte Stein auf den Spitzen der Kirchen undKathedralen waren kunstvoll gestaltet, ebenso die Glas-fenster und Kirchengestühle.

Gerade die Kathedralen legen heute noch Zeugnis abvon dem Reichtum dieser Zeit. Sie wurden nicht – wie diePyramiden – durch Zwangsarbeiter errichtet, sondern vonhoch bezahlten Handwerkern und Baumeistern. Und die-ser breit gestreute Wohlstand war nicht die Folge einerständigen Leistungssteigerung oder eines Wirtschafts-wachstums in unserem heutigen Sinne. Er war ganz einfachdie Folge einer langen Epoche des Wirtschaftens mit einemrelativ verstetigten Geldkreislauf, einer Epoche der Wohls-tandmehrung durch die weitgehende Vermeidung der sonstsich wiederholenden verarmenden Konjunktureinbrüche:

Page 120: Creutz - Das Geld-Syndrom

121

Er war die Folge eines umlaufenden Geldes, dem der Aus-beutungscharakter weitgehend genommen war!

Vielerorts gab es damals schon eine Fünftagewoche, dennder ›Blaue Montag‹ war beispielweise in den deutschenZünften arbeitsfrei. (Der Name rührt daher, weil die Hand-werker an diesem Tag ihre Arbeitskleidung – ihr Blauzeug –in die Wäsche gaben. Noch heute spricht man davon, einenTag ›blau‹ zu machen, wenn man der Arbeit aus dem Wegegehen will.) Auch wenn man im Hochmittelalter noch keinenUrlaub in unserem Sinne kannte, gab es doch – zusätzlich zuden Wochenenden – bis zu 70 und mehr Feiertage im Jahr,wie in Chroniken aus dieser Zeit berichtet wird.

Wie reich die Zeit gewesen sein muss, zeigt sich vor alleman den Bauleistungen. Als man z. B. Mitte des 13. Jahrhun-derts mit dem Kölner Dom begann, lebten in der Stadtkaum mehr als 20 000 Menschen. Und diese waren in derLage, ein Gebäude zu planen und zu erbauen, in dem prak-tisch alle Bürger Platz fanden. Gleichzeitig konnten sie dieStadt mit Mauern und Toren schützen, deren Solidität undGestaltung heute noch Bewunderung auslöst. Und solchegroßen Bauprojekte konnten sie selbst dann beginnen,wenn sich die Fertigstellung über mehr als hundert Jahrehinzog – was sich in einer zinsbelasteten Zeit nie hättefinanzieren und realisieren lassen. Zeit war offensichtlichdamals (noch) nicht identisch mit Geld!

Dass diese wirtschaftliche und kulturelle Blüte mit demGeld zusammenhing, bestätigt auch das Ende dieser Ära im14. und 15. Jahrhundert, in denen die Brakteaten wiederdurch ›Dickpfennige‹ oder ›ewige Pfennige‹ ersetzt wur-den. Zu dieser Abschaffung kam es möglicherweise, weilmanche Münzherren die Verrufung zu oft wiederholt unddamit Widerstand bei den Bürgern ausgelöst hatten. Odervielleicht auch, weil neue Gold- und Silberfunde genügendMaterial für die Herstellung massiver, doppelseitig gepräg-

Page 121: Creutz - Das Geld-Syndrom

122

ter Münzen boten. Die damit geprägten Münzen belebtenzwar anfangs ebenfalls Handel und Gewerbe, doch sie ver-schwanden sehr schnell auch wieder aus dem Wirtschafts-kreislauf in die Schatztruhen.

Mit dieser nun wieder möglichen und eintretenden Ver-knappung des Geldes lebte zwangsläufig auch der Zins wie-der auf. Geldverleiher, wie z. B. die Fugger oder Welser,wurden immer reicher, alle anderen als Schuldner ärmer,bis hin zu Erzbischöfen und Fürsten, ja sogar bis zum Kaiserin Wien. Unvollendete Kathedralen blieben über Jahrhun-derte hinweg halb fertig stehen. Die Domtürme in Ulm oderKöln wurden erst im 19. Jahrhundert fertiggestellt und inStraßburg fehlt heute noch eine der beiden Spitzen. Dieserplötzliche Abbruch der Bautätigkeit wird bei Führungenund in Veröffentlichungen oft mit dem Hinweis erklärt, dasskein Geld mehr da gewesen sei. Wo das Geld aber gebliebenwar und warum es verschwand, wird nie erklärt.

Weil sich die Menschen der damaligen Zeit über die posi-tiven Wirkungsmechanismen der Brakteaten und die nega-tiven des massiven Geldes nicht im Klaren waren, haben siesicherlich die Wiedereinführung der massiven Münzen ausGold oder Silber begrüßt, die nicht mehr dem Verruf unter-lagen. Leider unterlagen sie aber auch nicht mehr demZwang, sich auf den Märkten – wie die zu tauschendenGüter – anzubieten.

Was ist der Zins heute?

Profit, Gewinn, Überschuss, Rendite, Mehrwert und Zinswerden heute in Theorie und Praxis immer noch häufigverwechselt oder durcheinander geworfen. Geht man denDingen nach, dann bleiben in Wirklichkeit nur zwei Phäno-mene übrig: der Zins als Anspruch aus dem Einsatz von

Page 122: Creutz - Das Geld-Syndrom

123

Geld- und Sachkapital (einschl. Boden) und der Gewinn alsÜberschuss. Dabei sind die Zinsen, in Prozenten auf daseingesetzte Kapital berechnet, eine feste und bekannteKostengröße. Der Gewinn dagegen, in Prozenten desUmsatzes ausgedrückt, eine schwankende und offene Grö-ße. Er ergibt sich erst nach Abzug aller Kosten – auch derje-nigen der Verzinsung! – als Restergebnis in der Einnah-men-Ausgabenrechnung. Und das auch nur dann, wenndieses Restergebnis positiv ist. Im anderen Fall liegt stattdes Gewinns ein Verlust vor.

Die Zinsen, als Kosten für das Geld- und Sachkapital,gehen also in die Preise genauso als eine feste Lastgröße einwie die Kosten für das Material und das Personal. DerGewinn dagegen kann allenfalls als Risikoaufschlag in dieKalkulation aufgenommen werden.

Dass heute immer noch in vielen Fällen nur die Fremd-kapitalverzinsung als Kostenfaktor ausgewiesen wird, wäh-rend die Eigenkapitalverzinsung im Gewinn verschwindet,trägt entscheidend zur Verwirrung in Sachen Zinsen bei.Außerdem verhindert diese Art von Buchführung sachge-rechte Vergleiche zwischen den Betriebsergebnissen ver-schuldeter und unverschuldeter Unternehmen. Und inalternativen Betrieben liegt hier oft die Quelle der ver-steckten Selbstausbeutung.

Zins ist also Einkommen aus Besitz von Geld- oder Sach-kapital. Dabei bestimmt die Zinshöhe des Geldes die Ver-zinsung des Sachkapitals. Denn wer wird wohl sein Geldvon der Bank abheben und in eine Sachanlage stecken,wenn diese weniger Zinsen verspricht als die Geldanlagebei der Bank? Das heißt, der Geldzins ist die Schwelle unddie Hürde vor jeder Wirtschaftstätigkeit und damit auchvor jeder Schaffung eines Arbeitsplatzes. Viele Investitio-nen werden darum erst bei sinkenden Geldzinsen möglich,so sinnvoll und notwendig sie auch sein mögen. Mit jeder

Page 123: Creutz - Das Geld-Syndrom

124

weiteren Investition aber sättigen sich die Märkte, was übernachlassenden Kreditbedarf auf die Geldzinsen drückt.Sinkende Geldzinsen wiederum drücken auf die Verzin-sung aller bestehenden Sachvermögen. Denn welcherHauswirt kann z. B. für eine Wohnung noch eine sechspro-zentige Kapitalverzinsung fordern, wenn jeder Mieter sichmit einer dreiprozentigen Hypothek eine Eigentumswoh-nung kaufen kann? Doch solche marktgerechten zinssen-kenden Entwicklungen sind nur möglich, wenn das Geldnicht ›streiken‹ kann und der Zins – wie alle anderenKnappheitsgewinne – den Marktkräften unterstellt ist.

Die eigentliche Ursache der Ausbeutung liegt also nichtim Sachvermögen, sondern im Geldvermögen, nicht in derProduktions-, sondern in der Zirkulationssphäre. Verständ-lich, dass der kommunistische Weg zu einer sozialerenGesellschaft scheitern musste. Marx selbst hatte zwar im 3.Band seines Hauptwerks »Das Kapital« den Vorrang derGeldkapitalbedienung vor der des Unternehmers mehrfachherausgestellt, aber diese Aussagen blieben leider unbeach-tet. Auch Engels betonte in seinem »Anti-Dühring« dieÜberlegenheit des Geldes und seine Fähigkeit, durch Schatz-bildung Zinsen zu erpressen. Und damit verwandeln sich – soschreibt er wörtlich – die »Beherrscher des Cirkulationsmit-tels und des Weltgeldes . . . in Beherrscher der Produktion,und damit in Beherrscher der Produktionsmittel, mögen die-se auch noch jahrelang dem Namen nach als Eigentum derWirtschafts- und Handelskommune figurieren«.

Welche Zinsbegriffe gibt es?

Im Bereich der Zinsen gibt es eine fast verwirrende Füllevon Begriffen. Da ist von Nominal- und Realzins die Rede,von Soll- und Habenzinsen, von Kapital- und Geldmarkt-

Page 124: Creutz - Das Geld-Syndrom

125

zinsen usw. Außerdem gibt es Zinsbezeichnungen für dieverschiedensten Einlagen und Kreditarten. Schließlichauch noch die Leitzinsen der Notenbanken. Es ist darumsinnvoll, die wichtigsten Zinsbegriffe kurz zu erklären.

Der Nominalzins gibt die jeweils vereinbarten und einzu-haltenden Zinssätze wieder, sowohl für Einlagen als auchfür Kredite. Der Realzins ist der Teil des Nominalzinses, dernach Abzug der Geldentwertungsrate, also des Inflations-satzes, übrig bleibt. Der Begriff Sollzins meint jene Zinsen,die der Kreditnehmer, der im Soll steht, zahlen muss. DerBegriff Habenzinsen gilt für die Zinsen, die der Sparer fürsein Guthaben erhält.

Bei Direktverleihungen zwischen zwei Wirtschaftsperso-nen sind Soll- und Habenzinsen identisch. Bei Verleihun-gen über die Banken klaffen sie auseinander. Die sich erge-bende Differenz zwischen beiden Größen ist die Bankmar-ge, jener Teil, den die Bank für ihre Vermittlungstätigkeiteinbehält. Bei diesem Teil handelt es sich also nicht um einleistungsloses Einkommen, sondern um die Honorierungder Vermittlungsdienstleistung. Wie die Darstellung 11schematisch zeigt, schwankt dieser Bankanteil innerhalbder Soll- und Habenzinsen erheblich.

Je kürzer die Laufzeiten von Einlagen und Krediten sindund je geringer ihre Höhe, umso größer ist im Allgemeinendie eingerechnete Bankmarge. Wenn also die kleinen Spa-rer die geringsten Guthabenzinsen erhalten und die kleinenKreditnehmer die höchsten Kreditzinsen zahlen müssen,hängt das vor allem mit dem relativ größeren Arbeitsauf-wand bei Kleingeschäften zusammen. Außerdem werdengroße Beträge meist für längere Zeiträume eingelegt undverliehen, bzw. in einer Summe ein- und ausgezahlt, wäh-rend kleine Einlagen und Kredite oft mit vielen Ratenzah-lungsvorgängen und damit entsprechenden Zusatzkostenverbunden sind.

Page 125: Creutz - Das Geld-Syndrom

126

Darstellung 11:

Wie setzen sich die Zinsen zusammen?

Bekommt man für die Termineinlage bei der Bank oder fürein Wertpapier im Jahr z. B. vier Prozent, so sind das – stabi-les Geld vorausgesetzt – reale Zinseinkünfte. Ist die Kauf-kraft des Geldes nicht stabil oder wird ein inflationärerKaufkraftverlust befürchtet, dann wird der Einleger nor-malerweise für sein Geld einen höheren Zins verlangen, umauf diese Weise den Inflationsverlust seiner Einlage auszu-gleichen. Dieser Inflationsausgleich ist also keine reale Ein-kommenserhöhung, sondern dient zur Neutralisierungeines Verlustes, der sich sonst als Gewinn für den Kredit-nehmer ausgewirkt hätte.

Page 126: Creutz - Das Geld-Syndrom

127

Zins, Inflationsausgleich und Bankmarge zusammen,also der gesamte nominelle Sollzins, ist für den Kreditneh-mer die entscheidende Größe. Denn in Höhe dieses Soll-zinses muss er zusätzliche Einnahmen erwirtschaften, auchdann, wenn er als Unternehmer oder Geschäftsmann seinePreise nicht um den Inflationsausgleich erhöhen kann. Stei-gende Zinsen – ob markt- oder inflationsbedingt – könnenalso sehr schnell zur Überschreitung der Rentabilitätsgren-ze führen und damit zu Investitionsverzögerungen oder-rückstellungen. Für hoch verschuldete Unternehmen sinddeutliche Zinssatzanstiege sogar der Auslöser von Zah-lungsunfähigkeiten und Firmenschließungen. Dabei laufendie Höhepunkte der Pleitewellen einige Jahre hinter denZinswellen her, was man besonders gut auf dem zinsemp-findlichen Bau- und Wohnungsmarkt verfolgen kann.

Aus der nachfolgenden Darstellung 12 gehen die Einzel-posten, aus denen sich der Zins zusammensetzt, differen-zierter hervor.

Die gesamte Höhe der abgebildeten Zinssäule entsprichtden bereits erklärten Sollzinsen, also jenen Zinsen, die einKreditnehmer an die Bank zu zahlen hat. Nach Abzug des(sehr unterschiedlichen) Bankanteils in diesen Sollzinsenverbleibt der Guthabenzins, also jener Zins, den die Bankdem Geldgeber zahlt. Wenn dieser seinen tatsächlichenZinsertrag feststellen will, muss er von diesem Habenzinsdie Inflationsrate in Abzug bringen.

Der verbleibende Realzins ist der wirkliche ›Preis desGeldes‹. Oder anders ausgedrückt: Es ist der Tribut, dender Geldgeber als Belohnung dafür verlangt, dass er seinübriges Geld nicht hortet, sondern dem Wirtschaftskreis-lauf wieder zur Verfügung stellt.

Der Realzins wiederum besteht in erster Linie aus einemGrundanteil, mit dem sich der Geldbesitzer die Aufgabedes Liquiditätsvorteils honorieren lässt. Keynes spricht von

Page 127: Creutz - Das Geld-Syndrom

128

Darstellung 12:

der Liquiditäts(verzichts)prämie, Gesell vom Urzins, indessen Höhe sich die Überlegenheit des Geldes gegen-über den Gütern bzw. der Vorteil der liquiden Geldhal-tung widerspiegelt. Dieser Grundzins – gleichgültig wieman ihn erklärt – erhöht sich je nach Marktlage nochdurch einen Knappheitsaufschlag. Dieser Knappheitsauf-schlag ist jener Zinsanteil, der von den Angebots- undNachfrageschwankungen an den Kapitalmärkten beein-flusst wird. Angesichts der überbordenden Geldüber-schüsse müsste er eigentlich längst aus der Zinsbildungverschwunden sein. Doch er kann deshalb nicht ver-schwinden, weil Geld nicht unter dem gleichen Angebots-zwang steht wie Güter und Arbeit. Konkret: Weil man

Page 128: Creutz - Das Geld-Syndrom

129

Geld künstlich verknappen kann, auch wenn es gar nicht(mehr) knapp ist.

Was umfasst die Bankmarge im Zins?

Die Bankmarge deckt – wie gesagt – die Bankkosten ab.Dieser Sollzinsanteil kommt also nur dann hinzu, wenneine Bank zwischen Sparer und Kreditnehmer tätig wird.Die Bankmarge verteuert jedoch nicht nur die Kreditzin-sen, sie belastet auch die Habenzinsen des Sparers. Dennwie bereits aus der Darstellung 11 ersichtlich, verteilen sichdiese Vermittlungskosten auf beide Beteiligten. Das heißt,bei einem Direktkredit würde der Geldgeber mehr erhal-ten und der Kreditnehmer weniger zahlen. Dafür hättenbeide aber Schwierigkeiten, sich überhaupt zu finden unddie Verleihformalitäten abzuwickeln. Für den Geldgeberkäme außerdem das Kreditrisiko hinzu, das bei einer Ver-mittlung über eine Bank von dieser übernommen wird.

Geht man von den Gegebenheiten in Deutschland aus,dann liegt die Bankmarge im Durchschnitt bei etwa zweiProzent des Geschäftsvolumens, bezogen auf das Kreditvo-lumen bei zweieinhalb bis drei Prozent. Die Kreditzinsenbestehen also im Schnitt zu etwa einem Drittel aus Bankkos-ten und zu etwa zwei Dritteln aus den eigentlichen Zinsen.

Die Marge, die die Bank zwischen Soll- und Habenzin-sen einschiebt, ist jedoch keinesfalls ein Reingewinn. Wieaus der Darstellung 12 hervorgeht, muss man diese Margevielmehr wieder aufteilen, und zwar in einen Sachkosten-anteil und in einen Überschuss. Der Sachkostenanteil be-steht im Wesentlichen aus den Kosten für das Personal, dieGebäude und das Risiko, das die Bank zum Schutz des Spa-rers übernimmt. Dabei sind die Personalkosten der größtePosten. Zieht man von der gesamten Menge diese Sachkos-

Page 129: Creutz - Das Geld-Syndrom

130

ten ab, dann verbleibt der so genannte Jahresüberschussvor Steuern. Dieser liegt in Deutschland im Durchschnittaller Banken bei etwa einem Drittel der Marge. Bezogenauf das Geschäftsvolumen macht der Überschuss also nur0,5 bis 0,6 Prozent aus, bezogen auf das Kreditvolumen 0,7bis 0,9 Prozent. Dieser Überschuss reduziert sich durch dieSteuern noch mal um gut die Hälfte. Will man die Höhe deswirklichen Bankgewinns ermitteln, muss man aus dem sichso ergebenden Überschuss nach Steuern noch die Verzin-sung des Eigenkapitals herausrechnen.

Zinssätze und Bankmarge sind im Allgemeinen umsoniedriger, je stabiler die Geldkaufkraft sowie die Wirt-schafts- und Gesellschaftsgegebenheiten in einem Landsind. Aufgrund der besonderen und historisch langen Stabi-lität liegen die realen Zinssätze beispielsweise in derSchweiz – wie die Darstellung 13 zeigt – deutlich unterjenen aller anderen europäischen Länder.

Darstellung 13:

Page 130: Creutz - Das Geld-Syndrom

131

Selbst gegenüber Deutschland gibt es bei langfristigen Gut-haben und Krediten eine Differenz von zwei Prozentpunk-ten. Besonders niedrig liegen die Zinssätze in Japan, waseinmal – wie auch in der Schweiz – auf die hohen Sparquo-ten bzw. Geldeinlagen zurückzuführen ist. Das in Japanzwischenzeitlich sogar gegen Null gefallene Zinsniveau istjedoch – wie auch andere Indikatoren des Wirtschaftsge-schehens zeigen – bereits als Deflationserscheinung anzu-sehen.

Was versteht man unter Leitzinsen?

Wie das Wort leiten sagt, sollen diese Zinsen Einfluss aufdie Wirtschaft nehmen, vor allem auf die Zinsentwicklung.Dieser Einfluss hängt damit zusammen, dass die Geschäfts-banken diese Leitzinsen zahlen müssen, wenn sie von derNotenbank Geld leihen wollen. Wie bereits dargelegt, tunsie das nur in zwei Fällen: Einmal, wenn Kunden mehr Bar-geld an den Schaltern nachfragen, als von anderen Kundenlaufend eingezahlt wird. Zum Zweiten, um die notwendi-gen Clearingkonten bzw. die vorgeschriebenen Mindestre-serven mit Zentralbankgeld aufzufüllen. Auch dann, wennsie über die Kundeneinlagen hinaus Kredite gewähren wol-len, müssen sie ggfs. die damit anfallenden Zahlungen und/oder Überweisungen mit zusätzlich geliehenem Zentral-bankgeld abdecken. Ob die Zentralbanken diesen Bedarfjedoch erfüllen, hängt weitgehend von deren Bereitschaftzur Ausweitung der Geldmenge ab.

Gibt eine Notenbank zusätzliches Zentralbankgeldgegen eingereichte Wechsel heraus, dann spricht man vomDiskontzins. Diese Geldherausgabe über Wechsel ist imGrunde eine vernünftige Sache, da eine Zunahme derBezahlungen über Wechsel eine Knappheit von Geld in der

Page 131: Creutz - Das Geld-Syndrom

132

Darstellung 14:

Wirtschaft signalisiert. Außerdem sind Wechselkreditedurchweg mit bereits erbrachten Leistungen gedeckt.

Diese Refinanzierungen der Banken über Wechsel gibtbzw. gab es allerdings nur in wenigen Ländern. Auch in

Page 132: Creutz - Das Geld-Syndrom

133

Deutschland wurde dieser besonders zinsgünstige Wegschon seit 1985 immer mehr heruntergefahren und mit derEinführung des Euro ganz aufgehoben, wie aus der Dar-stellung 14 hervorgeht. An ihre Stelle traten zunehmenddie so genannten Wertpapier-Pensionsgeschäfte, mit denendie Banken für wenige Wochen zu schwankenden Zinssät-zen Geld leihen konnten.

Als Sicherheit für diese Pensionsgeschäfte mussten dieBanken der Bundesbank Wertpapiere verkaufen (in Pensi-on geben) und sich verpflichten, sie nach Ablauf der Kre-ditfrist wieder zum gleichen Preis zurückzukaufen. Ansons-ten gab es noch den durchweg zwei Prozentpunkte überdem Diskontsatz liegenden Lombardzins, zu dem die Ban-ken sich theoretisch unbegrenzt refinanzieren konnten.Wegen seiner hohen Kosten wurde diese Möglichkeitjedoch nur im Notfall genutzt.

Diese verschiedenen Refinanzierungswege, vor allemdie Praktiken der EZB, werden in Kapitel 11 noch genauerbeschrieben.

Welchen Einfluss haben die Notenbanken aufden Marktzins?

Dass der Einfluss auf die Zinsen bereits beim Geldmarktrelativ fragwürdig ist, ging bereits aus der Darstellung 10hervor.

Noch geringer ist er bezogen auf jene Kapitalmärkte, aufdenen sich die Ersparnisse der Marktteilnehmer sammelnund sich die Unternehmen sowie die öffentlichen wie priva-ten Haushalte ihre Investitions- oder Konsumkredite holen.Diese nur geringe Einflussnahme der Notenbanken ist alleinschon deshalb gegeben, weil sich die auf diesen Kapitalmärk-ten bildenden Zinssätze auf Kreditmittel beziehen, die viel-

Page 133: Creutz - Das Geld-Syndrom

134

mals größer sind als die Mittel der Notenbanken. Denn wäh-rend sich der von den Notenbanken zu befriedigende Geld-bedarf weitgehend im Gleichschritt mit dem Wachstum derWirtschaft entwickelt, nehmen die Geldersparnisse bei denGeschäftsbanken aufgrund der hohen Sparquoten deutlichschneller zu und damit auch die an die Wirtschaft zu verge-benden Kredite. So lagen beispielsweise die gesamten Geld-vermögen und Schulden der Nichtbanken in Deutschland1998 beim 40fachen der Bargeldmenge und beim 30fachender von der Deutschen Bundesbank herausgegebenen Zen-tralbankgeldmenge, d. h. der Summe von Bargeld und Zen-tralbankgeldguthaben der Geschäftsbanken bei der Zentral-bank. Mit dieser sich tendenziell öffnenden Schere zwischenZentralbankgeld und Geldersparnissen wird der ›Geldhe-bel‹ der Notenbanken, mit dem sie die Wirtschaft beein-flussen können, immer wirkungsloser.

Schon seit Jahren geben Notenbanker zu, dass sie dieZinsen am Markt allenfalls noch im Trend verstärken oderabschwächen, nicht aber mehr entscheidend beeinflussenkönnen. So z. B. 1992 der Ökonom Gerhard Fels, Direktordes Instituts der Deutschen Wirtschaft:

»Es gehört zu den Grundirrtümern der geldpolitischenDiskussion, in der Notenbank die Instanz zu sehen, die dieHöhe der für die Volkswirtschaft relevanten Zinsen be-stimmt. Sie kann das Zinsniveau allenfalls kurzfristig beein-flussen und auch das nicht entgegen den Marktkräften.«

Veränderungen der Notenbankzinsen sind also heute oftmehr Theaterdonner und Psychologie als konkreter Ein-griff in den Markt. Das gilt besonders für den wichtigstenMarktzins, den so genannten Kapitalmarktzins. Das istjener Zins, den man für längerfristige Geldüberlassungenerhält und an dem sich sowohl die Anleger als auch dieInvestoren in der Wirtschaft orientieren. Dieser Kapital-marktzins ist z. B. in Deutschland von Anfang 1990 bis Mit-

Page 134: Creutz - Das Geld-Syndrom

135

te 1993 leicht gesunken, obwohl die Deutsche Bundesbankin dieser Zeit die Leitzinsen dreimal angehoben und derStaat seine Verschuldung extrem ausgeweitet hat.

Resignierend schreibt zu diesem Tatbestand HelmutHesse, Präsident der Landeszentralbank in Niedersachsen,im Sommer 1992:

»Die Leitzinsen haben sicher das höchste Niveau in derGeschichte der Bundesrepublik erreicht. Sie waren aberauch noch nie so unwirksam wie heute.«

Welche Größen und Relationen haben die Zins-erträge und -aufwendungen bei den Banken?

Zieht man zur Veranschaulichung einmal die Zahlen ausden Statistiken der Deutschen Bundesbank heran, dannlagen die Zinserträge aller deutschen Banken 1998 bei 603Mrd. DM. Damit waren diese Zinserträge, die in etwa mitden Fremdkapitalkosten der deutschen Wirtschaft gleich-zusetzen sind, deutlich höher als der Haushalt der deut-schen Bundesregierung (496 Mrd. DM) und lagen bei 60Prozent der Nettolöhne und -gehälter (1 022 Mrd. DM).Die von den Banken an die Geldgeber ausgeschüttetenZinsen, die Zinsaufwendungen der Banken also, betrugen1998 rund 455 Mrd. DM, woraus sich als Differenz eineBankmarge bzw. ein Zinsüberschuss von 148 Mrd. DM = 25Prozent der Erträge ergab.

In der Darstellung 15 sind diese Zinsstromgrößen in ihrenRelationen einmal flächenmäßig wiedergegeben, und zwarbezogen auf das praktisch inflationsfreie Jahr 1986, in demNominal- und Realzinssätze weitgehend identisch waren.

Wie aus der Darstellung zu entnehmen, lagen die Zinser-träge der Banken, die der Gesamtfläche A in der Grafikentsprechen, 1986 erst bei 231 Mrd. DM. Das heißt, sie ha-

Page 135: Creutz - Das Geld-Syndrom

136

ben in den zwölf Jahren bis 1998 (603 Mrd.) auf das 2,6fachezugenommen!

Darstellung 15:

Page 136: Creutz - Das Geld-Syndrom

137

Die untere Fläche B gibt die Größe der Zinsaufwendungender Banken wieder, also der Zinsen, die an die Geldgebergeflossen sind. Die Fläche C schließlich weist als Differenzzur Gesamtgröße den Zinsüberschuss aus, der damals etwabei 30 Prozent der Zinserträge lag und damit – wie meist inNiedrigzinsphasen – über dem Durchschnitt von 25 Pro-zent.

Die Abstufungen bei den Flächen geben in der Höhe dieunterschiedlichen Zinssätze wieder, in der Breite die Lauf-zeiten der Einlagen und Kredite. Wie zu erkennen, stim-men diese nicht überein. Konkret: Ein Teil der Kredite wirdlängerfristiger vergeben, als es den vereinbarten Einlage-zeiten entspricht. Da aber die tatsächlichen Einlagezeitendie vereinbarten durchweg deutlich übersteigen (Sparein-lagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist liegen im Durch-schnitt länger als ein Jahr auf den Konten), ist diese sogenannte Fristentransformation weitgehend unbedenklichund von der Bankenaufsicht gestattet. Zu Schwierigkeitenkönnte es allenfalls kommen, wenn die Banken bei einemAnsturm der Sparer die Einlagen rascher auszahlen müs-sten, als sie das Geld von den Kreditnehmern zurückerhal-ten, sofern das überhaupt in solchen Krisenlagen möglichist.

Wie aus den Abstufungen weiter zu entnehmen ist,machten die mit etwa acht bis neun Prozent verzinstenkurz- und mittelfristigen Kredite 1986 rund ein Fünftel derGesamtkredite aus. Vier Fünftel entfielen auf die langfristi-gen Ausleihungen, die mit etwa sieben Prozent zu verzinsenwaren. Erkennbar wird auch hier wieder die steile Abnah-me der Zinsmarge mit den zunehmenden Laufzeiten derEinlagen und Kredite. Am langfristigen Ende der Krediteschrumpft die Marge durchweg auf etwa ein Prozentzusammen.

Page 137: Creutz - Das Geld-Syndrom

138

6. Kapitel

Die Wirkungen von Zinsund Zinseszins

»Die besondere Dynamik des kapita-listischen Wirtschaftssystems bestehtdarin, dass Geld und Zins miteinan-der verbunden werden . . . Reinmathematisch reißt der Zins dieMenschen auseinander: diejenigen,die an der Armut zugrunde gehen,und diejenigen, die an der Zahlungs-not des Kreditnehmers immer reicherwerden.«Eugen Drewermann*

* Theologe, in »Jesus von Nazareth – Befreiung zum Frieden«

Der Zins erscheint fast allen Sparern als herrliche Sache:Man hat nichts dafür getan und erhält trotzdem am Jahres-ende eine Gutschrift. Und darüber freut man sich natür-lich!

Schenkt man den Werbeanzeigen der Banken Glauben,dann entstehen diese Zinsgutschriften auf fast wundersameWeise. Demnach kann Geld arbeiten, wachsen oder sichaus sich selbst heraus vermehren. Mit solchen Anzeigenund Aussagen werden jedoch nur Illusionen geweckt unddie Realitäten verschleiert.

Denn in Wirklichkeit hat noch niemand arbeitendesGeld gesehen. Arbeit wird immer nur von Menschen geleis-tet, mit oder ohne Hilfe von Gerätschaften, Einrichtungenund Maschinen, die wiederum von Menschen geschaffen

Page 138: Creutz - Das Geld-Syndrom

139

wurden. Ebenso dümmlich ist die Aussage, dass Geld wach-sen oder sich vermehren kann. Wer einmal einen Geld-schein in einen Blumentopf steckt, der wird auch mit dembesten Natur- oder Kunstdünger keine Geld-Wachstums-Erfolge erzielen. Und wer zwei Geldscheine zusammen indie Brieftasche legt, wird ebenfalls kaum erleben, dass sie»Junge kriegen«.

Manchmal versucht man es jedoch auch mit Offenheit.So hieß es z. B. in einer deutschen Bankanzeige aus demJahre 1982: »Wie Sie zu Geld kommen, ohne einen Fingerkrumm zu machen.« Und aus dem weiteren Text, der eineneunprozentige Verzinsung versprach, konnte man entneh-men, dass es lediglich eines Anrufs bedürfe, um auf dieseWeise sein Geld alle acht Jahre zu verdoppeln.

Was diese Bank in ihrer Anzeige jedoch verschwieg, sinddie realen Vorgänge und Zusammenhänge. Denn »ohne

Page 139: Creutz - Das Geld-Syndrom

140

einen Finger krumm zu machen«, kann man nur dann zuGeld kommen, wenn dieses Geld einem anderen genom-men wird. Und zwar einem, der seine Finger krummmachen oder seinen Kopf anstrengen musste. Das heißt,immer dann, wenn jemand ohne eigene Leistung Gelderhält, ist das einem anderen aus der Tasche gezogen wor-den. Eine geheimnisvolle dritte Möglichkeit zur Deckungleistungsloser Einkünfte gibt es nicht. Denn in der Wirt-schaft geschehen keine Wunder und zweimal zwei ist – wieüberall – auch hier immer nur vier.

Die Irrealität des ganzen Zinssystems geht aus einer ein-fachen Vergleichsrechnung hervor: Hätten Eltern bei dervorgenannten Bank im Jahr 1982 für ihre Kinder jeweils10 000 DM zu neun Prozent angelegt, würde sich die Anlage

Page 140: Creutz - Das Geld-Syndrom

141

bereits bis zum Jahr 2022 – also nach vierzig Jahren – auf314 000 vermehrt haben. Ab dann könnten ihre Kinderbereits mit einer laufenden Monatsrente von je rund 2 400DM aus den Zinseinkünften leben. Würden sie erst achtJahre später mit dem Rentnerleben beginnen, hätten siebereits das Doppelte im Monat zur Verfügung. Und nochmal acht Jahre später – also nach 56 Jahren im Jahr 2038 –wären alle Kinder Millionäre, mit einem monatlichen Zins-einkommen von fast 10 000 Mark!

Woher kommen die Zinsen tatsächlich?

Wie fast alles in der Welt hat auch der Zins zwei Seiten. Dieeine gilt für den Sparer, der sich der Zinseinkünfte erfreuenkann, und die andere für den Schuldner, der sie zahlenmuss. Nun wird der Sparer, der keine Schulden gemachthat, sicher denken, dass er also Gewinner bei dieser Zins-Umverteilung ist. Ist das tatsächlich der Fall?

Darstellung 16:

Page 141: Creutz - Das Geld-Syndrom

142

In der Darstellung 16 ist die Wirklichkeit der zinsbezoge-nen Abläufe vereinfacht als Schema wiedergegeben. Wiedaraus ersichtlich, verleiht die Bank die Geldeinlagen desSparers weiter, zum größten Teil an die Unternehmen inder Wirtschaft. Von diesen Kreditnehmern zieht die Bankdann die Zinsen ein, die sie dem Sparer gibt.

Für die Unternehmer aber sind Zinsen Kapitalkosten.Sie müssen diese Kosten, genauso wie für das Personal undMaterial, über die Preise an den Markt und damit an denEndverbraucher weitergeben, wenn sie selbst überlebenwollen. Das heißt, die Zinsen für den Kapitaleinsatz ste-cken in allen Preisen. Das heißt aber auch, dass die Zinsen,die der Sparer erhält, ihm als Verbraucher und Konsumentmit jedem ausgegebenen Geldschein aus der Tasche gezo-gen werden.

Es ist also nicht so, wie auch heute noch sehr viele Bürgervermuten, dass sie nur als Kreditnehmer Zinsen zahlenmüssen, wenn sie sich zum Beispiel zur Finanzierung ihresAutos oder für den Bau des Eigenheims Geld geliehenhaben. Zinsen müssen auch die nicht Verschuldeten lau-fend zahlen. Sie sind nur in den Preisen versteckt.

Wie hoch sind die versteckten Zinsen?

Dass in den Preisen auch sachfremde Kosten stecken, zumBeispiel Mehrwert- oder sonstige Steuern, ist bekannt. ImGegensatz zu den Steuern aber lässt sich die Höhe der inden Preisen steckenden Zinsen nicht einheitlich benennen.Sie hängt nämlich nicht nur von dem jeweils gültigen Zins-satz ab, sondern noch mehr von der Höhe des jeweils einge-setzten Kapitals. Das heißt, die Zinskosten in den Preisensind das Ergebnis von Kapital mal Zinssatz. Welchen pro-zentualen Anteil die so errechneten Zinskosten innerhalb

Page 142: Creutz - Das Geld-Syndrom

143

des Preises ausmachen, hängt dann wieder von den übrigenKosten ab, die in die Kalkulation eingehen.

Bei einem handgeflochtenen Korb beispielsweise wirdder Zinsanteil sehr gering sein. Sein Preis wird weitgehendvom Lohn bestimmt. Bei Produkten jedoch, die mit hohemtechnischem Einsatz und relativ geringen Lohnkosten her-gestellt werden, wie zum Beispiel Heizöl und Treibstoff,beherrschen die Kapitalkosten den Preis. Der Zins bewirktals Kostenfaktor also eine Verteuerung aller Güter. Dieseüberall einfließende Verteuerung muss – wie bei den Steu-ern – am Ende der Kette immer von den Endverbraucherngetragen werden.

Über unzählige Kanäle fließen diese von den Verbrau-chern gezahlten Zinsen dann wieder zu den Kapitalbesit-zern. Dabei vereinen sich in fast allen Bürgern beide Rol-len: Jeder ist mit seinen Ausgaben automatisch auch Zins-zahler – selbst Millionäre und Milliardäre. Fast jeder istaber auch Zinsbezieher, und sei es nur in Höhe der Zinsgut-schriften auf seinem Sparbuch.

Klammert man die privaten Schulden der Haushalte ein-mal aus, dann lassen sich also die Zinslasten eines Haus-halts an der Höhe der Ausgaben festmachen. Die Zinsein-kommen dagegen hängen von der Höhe des zinstragendenVermögens ab. Entscheidend für die Beurteilung der Zins-wirkungen ist für jeden also immer das Verhältnis zwischenden zu tragenden Zinsen – ob direkt oder indirekt gezahlt –und den empfangenen Zinsen.

Ist der Zins ein Monopoleinkommen?

Preise bilden sich am Markt durch Angebot und Nachfrage,wobei sie normalerweise nur vorübergehend unter dieGestehungskosten sinken können. Ist eine angebotene

Page 143: Creutz - Das Geld-Syndrom

144

Ware knapp und die Nachfrage groß, steigen die Preise unddamit die Gewinne. Diese überhöhten Knappheitsgewinneführen jedoch dazu, dass auch andere Produzenten versu-chen werden, diese knappe Ware oder Leistung anzubieten.Durch das vergrößerte Angebot konkurrieren sie die über-höhten Preise selbst nach unten. Der Wettbewerb auf frei-en Märkten sorgt also dafür, dass die Gewinne niemals inden Himmel wachsen.

Jeder Produzent von Waren oder Leistungen ist außer-dem gezwungen, seine Produkte loszuschlagen. Notfallssogar unter den Einstandskosten, wenn er noch höhere Ver-luste vermeiden will. Zum Angebot zwingen ihn z. B. Alte-rung oder Verderb der Ware, Gefahr des Unmodern- oderÜberholtwerdens durch neue Produkte usw. Aber auch beihaltbaren und nicht der Mode unterworfenen Produktenentstehen zumindest laufende Lager- und Pflegekosten, dieden Gewinn sehr schnell aufzehren können. Nur deshalbwerden liegen gebliebene Güter in Sonderangeboten undSchlussverkäufen oft weit unter Preis verramscht. Von ver-billigten Geldscheinen im Ausverkauf, selbst von abgegriffe-nen oder zerknitterten, hat man noch nie etwas gehört!

Betrachten wir unter diesen Aspekten das Geld, dannzeigt sich, dass es das einzige ›Produkt‹ ist, das sich diesenausgleichenden Marktkräften entziehen und damit denAbbau der Knappheitsgewinne – hier des Zinses – verhin-dern kann. Denn im Gegensatz zum Halter normaler Pro-dukte unterliegt der Halter überschüssigen Geldes keinemAngebotszwang. Wenn ihm die angebotene Belohnung fürdie leihweise Hergabe von Geld nicht hoch genug er-scheint, kann er warten. Zwar verzichtet er vorübergehendauf die Einnahme von Zinsen, aber dafür kann er den Vor-teil monetärer Liquidität genießen, den Vorteil, jederzeitkaufen oder ein anderes Geschäft machen zu können.Außerdem weiß er aus Erfahrung, dass der Zins meist wie-

Page 144: Creutz - Das Geld-Syndrom

145

der ansteigt, wenn nur genügend Leute ihr Geld zurückge-halten haben. Der vorübergehende Verzicht auf Zinsenzahlt sich also fast immer aus.

Der Geld-Überschussbesitzer kann also das gesamteGeldangebot verknappen und damit die Marktsättigungverhindern, die zum Absinken des Zinses führen würde.Und diese Tendenz zum Abwarten und Horten nimmt beiallen Geldhaltern bei sinkenden Zinsen zu, vor allem wennder Zins unter jene Grenze fällt, die von den Geldbesitzernals Zinsminimum angesehen wird.

Geld ist also nicht nur aufgrund seiner Liquiditätsvortei-le und der Haltbarkeit den Waren und der Arbeit überle-gen. Geld ist aufgrund seiner begrenzten Menge darüberhinaus ein Monopolgut, auch wenn es sich auf unzähligeHände verteilt. Ähnlich wie der unvermehrbare Bodenkann darum auch das Geld heute immer einen Knappheits-preis erzwingen.

Was bewirkt der Zinseszinseffekt?

Den Begriff Zinseszins haben viele Leser sicher noch ausder Schule in Erinnerung. Vielleicht haben Sie sogar jeneverrückten Rechnungen anstellen müssen, zu welcher Grö-ße sich ein Pfennig, angelegt zu Jesu Geburt, bis in unsereTage vermehrt.

Heinrich Haußmann aus Fürth hat diese Rechnung nocheinmal ganz präzise mit Hilfe eines Computers Jahr für Jahrbis 1990 ausgedruckt. Das Ergebnis ist fast neun Meter langund verblüffend: Bei einer Verzinsung von fünf Prozent desangelegten Pfennigs im Jahre Null, wäre bis 1990 ein Ver-mögen entstanden, das man nur noch in Goldkugeln imGewicht unserer Erde wiedergeben kann: nämlich 134 Mil-liarden Stück!

Page 145: Creutz - Das Geld-Syndrom

146

Aufschlussreich ist auch die Explosivität der zinseszins-bedingten Entwicklung: Bis zum Jahr 296 hatte sich erst einVermögen von einem Kilogramm Gold angesammelt.Anno 1466 war es schon eine Goldkugel im Gewicht derErde, 1749 waren es eine Million Stück davon und 1890 eineMilliarde. In den letzten hundert Jahren, von 1890 bis 1990,sind dann noch die ›restlichen‹ 133 Milliarden Goldkugelndazugekommen. Und da sich nach den Zinseszinsgesetzenjedes Geldvermögen bei fünf Prozent Verzinsung etwa alle14 Jahre verdoppelt, wird der Besitzer jenes Sparbuchs ausdem Jahre Null im Jahr 2004 bereits einen Anspruch auf 268Milliarden Goldkugeln im Gewicht der Erde haben und imJahr 2018 sogar auf 536 Stück! – Gibt es einen besserenBeweis dafür, dass der Zins die Erde letztlich fressen muss,wie Margrit Kennedy es in ihrem Buch Geld ohne Zinsenund Inflation so treffend ausdrückte?

Den gravierenden Unterschied zwischen Zins und Zin-seszins macht eine weitere Berechnung von HeinrichHaußmann deutlich: Hätte man den Zinseszinseffekt aus-geklammert und die Zinsen jeweils auf einem unverzinsli-chen Konto angesammelt, dann hätte sich der Pfennig ausdem Jahr Null bis 1990 nur auf knapp eine Mark vermehrt,also nur auf das Hundertfache! Erst die Einbeziehung deranfangs lächerlich geringen Zinsen in das vorgegebene›Kapital‹, führte zu jener irrealen Ansammlung von Milliar-den erdschwerer Goldkugeln.

In welchem Tempo solche exponentiellen Wachstums-prozesse um sich greifen, vermittelt auch das Lohnzah-lungsbeispiel in der Tabelle E. Gewiss würde sich bei einemHalbjahresjob kaum jemand auf das Angebot von einemPfennig in der ersten Woche und wöchentlicher Verdopp-lung einlassen. Vielmehr würde fast jeder den regelmäßi-gen Wochenlohn von 1 000 DM vorziehen.

Page 146: Creutz - Das Geld-Syndrom

147

Tabelle E:

Page 147: Creutz - Das Geld-Syndrom

148

Spielt der Zinseszins auch in normalen Zeit-abläufen eine Rolle?

Solange Sparer ihre Zinsen abheben und ausgeben, bleibtihr Geldvermögen konstant. Lassen sie aber die Zinsen ste-hen und wächst das Ersparte auch durch die Zinsen auf dieZinsen an, also durch den Zinseszins, dann kommt es selbstin relativ kurzen Zeiträumen bereits zu erheblichen Ver-mehrungen. Das zeigt die Darstellung 17.

Darstellung 17:

Page 148: Creutz - Das Geld-Syndrom

149

In dieser Darstellung ist als schwarzer Balken eine Erspar-nis von 10 000 Geldeinheiten wiedergegeben, darüber ihreEntwicklung bei verschiedenen Zinssätzen. Die rechts aus-gewiesenen Ergebnisse zeigen, dass bei einer Verzinsungvon drei Prozent das Vermögen von 10 000 Geldeinheiten in50 Jahren auf rund 44 000 ansteigt. Geht man von einem ver-doppelten Zinssatz aus, also von sechs Prozent, dann steigtdas Ergebnis nicht – wie man annehmen könnte – ebenfallsauf das Doppelte, sondern auf rund das Vierfache an. Noch-mal drei Prozent höhere Zinsen, also eine Verzinsung vonneun Prozent, erbringen gegenüber der dreiprozentigenVerzinsung sogar ein rund 17mal höheres Ergebnis.

Aus den Entwicklungskurven ist auch ersichtlich, dass derZinseszinseffekt erst nach ein bis zwei Jahrzehnten zu irrea-len Eskalationen führt. Das heißt, eine junge Volkswirt-schaft, die z. B. nach einem Krieg mit einer neuen Währungund geringen Ersparnissen begonnen hat, wird anfangs vondem Vermehrungsproblem noch nicht so stark beeinflusst.Außerdem wird anfangs ein größerer Teil der Zinsen abge-hoben und verbraucht. Im Laufe der Zeit nehmen jedochdie Geldvermögen und -konzentrationen durch den Zinses-zinseffekt ›von alleine‹ immer mehr zu. Damit aber müs-sen in einer älter werdenden Volkswirtschaft auch die Dis-krepanzen zwischen den sozialen Schichten zwangsläufigrascher wachsen.

Der Tatbestand, dass diese zinsbedingten Belastungenund Umverteilungen bei jungen Volkswirtschaften geringersind, ist vielleicht auch eine Erklärung für das ›Wirtschafts-wunder‹ in jenen Ländern, die nach einem Währungskollaps(und damit weitgehend aufgelösten Guthaben- und Schul-denbeständen!) erneut beginnen. Doch auch in diesen Län-dern – wie z. B. in Deutschland oder Japan festzustellen –haben inzwischen die wirtschaftlichen und gesellschaftlichenProbleme zugenommen, auch wenn hier die sozialen Polari-

Page 149: Creutz - Das Geld-Syndrom

150

sierungen noch nicht so groß sind wie in jenen Industriena-tionen, die ihre Währungs- und Vermögensverhältnisseüber den Zweiten Weltkrieg hinweg gerettet haben.

Sind zwölf Prozent Verzinsung irreal?

In der Darstellung 17 ist als vierte Verzinsungsalternativenoch die Entwicklung der 10 000 GE bei einer zwölfprozen-tigen Verzinsung eingetragen. Wie ersichtlich, ist das Er-gebnis grafisch nicht mehr darstellbar. Rechnerisch ergibtsich eine Vermögenszunahme auf 2 890 000 GE in 50 Jah-ren, also auf rund das 290fache.

Selbstverständlich erhält man zwölf Prozent Verzinsungauf keinem Sparbuch. Trotzdem ist diese Verzinsungshöhenicht irreal. So konnte man Anfang der 80er Jahre US-ame-rikanische Staatspapiere kaufen, die zu 12 bzw. sogar zu14 Prozent verzinst wurden. Und das bei einer Laufzeit vonsage und schreibe 30 Jahren! Bei diesen Papieren handeltees sich um so genannte Zero-Bonds, auch Null-Cupon-Anleihen genannt. Auf diesen Papiere werden die Zinsennicht jährlich ausgeschüttet. Vielmehr werden sie der Ein-standsgröße zugeschlagen und mit Zins und Zinseszinsnach 30 Jahren ausgezahlt. Das heißt, für 10 000 Dollar, diedie US-Regierung von einem Geldgeber 1982 erhalten hat,muss sie im Jahre 2012 bei 12 Prozent Verzinsung rund300 000 und bei 14 Prozent rund 500 000 Dollar zurückge-ben. Also das 30- bzw. das 50fache des geliehenen Geldes!

Dass eine Regierung eine solche waghalsige Zusagemacht, ist bezeichnend für den Zustand, in dem sie sichbefindet. Denn realistisch ist ein solches Versprechen dochnur dann, wenn in den 30 Jahren auch die Leistung derVolkswirtschaft und damit die Staatseinnahmen auf das 30-bzw. 50fache gesteigert werden könnten. Dass eine solche

Page 150: Creutz - Das Geld-Syndrom

151

Steigerung völlig irreal ist, auch wenn es keine Umweltpro-blematik gäbe, bedarf keiner Erklärungen.

›Realistisch‹ sind solche Zusagen also nur, wenn manvon einer entsprechend hohen inflationären Entwertungdes Geldes ausgeht. Eine andere Lösung kann es für solcheZusagen einfach nicht geben. Das heißt aber auch, dass sichhoch verschuldete Regierungen eine Kaufkraftstabilitätdes Geldes auf Dauer eigentlich gar nicht wünschen.

Wer oder was bestimmt die Zinshöhe?

Viele Bürger gehen davon aus, dass die Banken die Höhe derZinsen bestimmen. Wäre das der Fall, dann würde es wohlkaum einmal Zinssenkungen geben. Der Zins ist jedoch –zumindest solange es unter den Banken noch Wettbewerbgibt–genauwiealleanderenPreisedasResultatvonAngebotund Nachfrage. Dass er wegen der Möglichkeit der Geldzu-rückhaltungnachuntenunflexibel ist,ändertdaranimPrinzipnichts. Steigende Zinsen sind also normalerweise nicht aufhöhere Bankansprüche zurückzuführen, sondern die Folgeverstärkter Kreditnachfrage oder erhöhter Forderungen derSparer und sonstigen Geldgeber. Dabei können diese erhöh-ten Forderungen nicht nur aus Knappheit, sondern auch auserhöhten Inflations- oder Risikoerwartungen resultieren.

Für die Banken selbst ist die Höhe der Zinsen relativgleichgültig. Für sie ist letztlich allein die Höhe der Bank-marge von Bedeutung. Wer sich einmal intensiver mit derEntwicklung der Bankmarge befasst, wird sogar feststellen,dass sich diese bei steigenden Zinsen relativ reduziert underst bei fallenden Zinsen wieder erholt. Das heißt, dieWirklichkeit widerspricht der allgemeinen Vermutung,dass Banken von steigenden Zinsen Vorteile haben unddiese deshalb nach oben treiben.

Page 151: Creutz - Das Geld-Syndrom

152

Dieses auf den ersten Blick überraschende Phänomen,nämlich zurückgehende Gewinnquoten bei steigendenZinssätzen, ist jedoch leicht erklärbar: Aufgrund der durch-weg längeren Laufzeiten der Kredite gegenüber den Einla-gen, der so genannten Fristentransformation, müssen dieBanken die Guthabenzinsen rascher anheben, als sie dasbei den Sollzinsen können. Um diesen Nachteil zu verrin-gern, versuchen sie darum immer wieder, zum Ärger derSparer, die Zinsanpassungen nach oben möglichst lange zuverzögern. Umgekehrt haben die Banken bei sinkendenZinsen einen vorübergehenden Vorteil.

Woher kommen die großen Zinsschwankungen?

Die relative Einflusslosigkeit der Notenbank-Leitzinsenauf die Zinsen des Marktes wurde bereits dargelegt. Trotz-dem führen Leitzinserhöhungen meistens auch zu Zinser-höhungen auf den Kapitalmärkten, vor allem, weil dieGeldanleger dann von den Banken höhere Zinsen verlan-gen. Andererseits tendieren auch die Banken dazu, diehöheren Kosten bei den Notenbanken auf die Kreditkun-den umzulegen. Sachlich ist das jedoch kaum zu begründen.Denn die Erhöhung sämtlicher Leitzinsen um einen Pro-zentpunkt, schlägt – auf die gesamten Bankkredite umge-legt – in Deutschland z. B. nur mit 0,06 Prozent zu Buche.Im Übrigen können Banken alle Zinserhöhungen nurdurchsetzen, wenn der Markt mitspielt. Deshalb bewegensich die Wirkungen der Leitzinsveränderungen wie auchdie allgemeinen marktverursachten Zinsschwankungen inrelativ moderaten Größenordnungen. Die sich wiederho-lenden erheblichen Schwankungen der Zinssätze, die unse-re Konjunkturen entscheidend beeinflussen und bestim-men, werden dagegen von Inflationsentwicklungen und -er-

Page 152: Creutz - Das Geld-Syndrom

153

wartungen ausgelöst. Das zeigt sich überdeutlich in der Dar-stellung 18, die von der Deutschen Bundesbank in ihremGeschäftsbericht für das Jahr 1990 veröffentlicht wurde.

Darstellung 18:

Page 153: Creutz - Das Geld-Syndrom

154

In dieser Darstellung sind die Entwicklungen der Verbrau-cherpreise und der kurzfristigen Zinssätze in sechs europäi-schen Ländern gegenübergestellt, und zwar für den Zeitraumvon 1979 bis 1990, in dem es eine Hoch- und Niedrigphase fürbeide Größen gegeben hat. Wie die Kurven zeigen, kann manschon fast von einer Parallelität zwischen beiden Entwicklun-gen sprechen. Diese enge Beziehung beweist, wie sensibel dieGeldanleger heute auf Preisveränderungen reagieren, uminflationsbedingten Substanzverlusten zu entgehen.

Mittelt man die jeweiligen Höchst- und Tiefpunkte aus,wie in der Darstellung durch die vertikale Linie, dann wirderkennbar, dass die Preisänderungen tendenziell den Zins-satzkorrekturen vorauslaufen, also auslösend sind. Und dadie Geldhalter immer schneller auf die Inflationsentwick-lung reagieren, oft auch schon auf Inflationserwartungen,wird die Zeitverschiebung immer kürzer. Früher war dasseltener der Fall. Da lebte man noch mehr in der Illusiongleichbleibender Geldkaufkraft und ließ sich von Inflati-onsentwicklungen überraschen.

Wie diese Grafik beweist (und auch die Darstellung 85 imletzten Teil des Buches), sind die inflationsbedingten Ge-samtpreisschwankungen die Hauptursache für die extremenVeränderungen der Zinssätze und der daraus resultierendenFolgen. Für diese Preisschwankungen sind aber weder dieBanken noch die Marktteilnehmer verantwortlich, sondernallein die Geld ausgebenden Notenbanken.

Kann man den Zins nur durch Geldverknappunghochhalten?

Ganz gleich, ob man den Zins als Leihpreis für Geld, alsLiquiditäts(verzichts)prämie oder wie auch immer defi-niert: Erzielbar ist er nur so lange, wie die Nachfrage nach

Page 154: Creutz - Das Geld-Syndrom

155

Geld über dem Geldangebot liegt, kurz: solange Geld relativknapp ist. Diese Geldknappheit, und die damit hochbleiben-den Zinsen, kann man jedoch nicht nur durch eine Auswei-tung der Kreditnachfrage, sondern ebenso durch eine Ver-ringerung des Angebots erreichen. Denken wir zum Ver-gleich nur an den EG-Agrarmarkt: Wenn die Tomatenerntezu groß ausfällt und die Preise zu sinken drohen, wird dieserGefahr durch eine Verknappung des Angebots entgegenge-wirkt. Ein Teil der Tomaten wird ›vom Markt genommen‹,was im Klartext heißt: Er wird vernichtet!

Möglich wäre es aber auch, das Problem des Tomaten-überschusses durch eine Ausweitung der Nachfrage zulösen, z. B. durch eine Werbekampagne zum verstärktenVerzehr oder die Entwicklung neuer Verwendungsmög-lichkeiten usw. Ähnlich kann man beim ›Preis des Geldes‹,dem Zins, einem Absinken durch Ausweitung der Nachfra-ge entgegenwirken. Damit wird vermieden, dass der Zinsbis auf jene Marke fällt, bei der Geldhalter beginnen, dasGeld verstärkt zurückzuhalten. Konkret: Fragen die Bürgernicht genug Güter nach und als Folge davon die Unterneh-mer nicht genug Kredite, kann man durch groß angelegteWerbekampagnen bei den Verbrauchern, durch Auswei-tung der staatlichen Subventionen oder Nachfrage nachöffentlichen Gütern wie Rüstung, Raumfahrt usw., denZins oberhalb jener Grenze halten, an der es zu den gefähr-lichen Geldzurückhaltungen kommt. Genau das geschiehtin allen Industrienationen seit einigen Jahrzehnten. Dasheißt, wir sind nicht nur auf ständiges Wachstum und damitwachsende Staatseinnahmen angewiesen, um die Diskre-panzzunahme zwischen arm und reich durch staatlicheRückverteilungen verträglicher zu machen. Wir brauchenauch ein ständiges Wachstum, um die Zinssätze auf einerHöhe zu halten, die Geldzurückhaltungen mit ihren defla-tionären Folgen erst gar nicht entstehen lässt.

Page 155: Creutz - Das Geld-Syndrom

156

7. Kapitel

Der Zins als Umverteiler»Kredit kostet Zinsen. Die Zinsenbelasten die Letztverbraucher und dieUnternehmer, die sich zu ihremKonsum- oder Investitionsbedarf dasGeld hinzuborgen. Die Zinsen ent-ziehen also den Letztverbrauchernund Unternehmern wiederum Geld,obgleich bei ihnen schon ohnehin zuwenig war, und sie fließen hin zu demAnleger, bei dem ohnehin schon soviel Geld war, dass sich ein Über-schuss seiner Gelder über seinenBedarf ergeben hatte.«Dieter Suhr*

* Jurist und Verfassungsrechtler an der Universität Augsburg, »Wachs-tum bis zur Krise«, 1986

Stellen Sie sich einmal vor, Ihnen würde jemand regelmä-ßig einige Hunderter aus der Brieftasche nehmen. Ganzsicher würden Sie Anzeige erstatten. Nicht anders würdenSie wahrscheinlich reagieren, wenn jemand bei jedem IhrerKäufe nach Mafiaart einen bestimmten Anteil der Kauf-summe abkassieren würde. Genau das aber passiert beiuns! Jeden Tag, bei jedem Kauf, in einem immer größerenUmfang!

Gemeint ist diesmal nicht der Staat, der uns bekanntlichgleich zweimal in die Tasche greift, nämlich beim Geldver-dienen und beim Geldausgeben. Gemeint ist ein anderer

Page 156: Creutz - Das Geld-Syndrom

157

Zugriff, der zwar größenmäßig mit dem des Staates konkur-rieren kann und dennoch von uns kaum zur Kenntnisgenommen wird: der Anspruch des Kapitals, bekannt unterdem Begriff Zinsen.

Wie läuft das Kassieren der Zinsen ab?

Wenn der Staat die Lohnsteuer erhöht, gehen die Arbeit-nehmer mit weniger Geld nach Hause. Sie wissen auf denPfennig genau, wie viel sie sich weniger leisten können.Erhöht der Staat dagegen in gleicher Höhe die Mehrwert-steuer, dann bleiben die Einkommen der Arbeitendenunverändert. Allerdings werden sie auch hierbei ärmer, dasich durch die Mehrwertsteuer die Preise erhöhen und siebeim Ausgeben weniger für ihr Geld erhalten. Was sich alsoändert, ist lediglich der Steuer-Einzugsweg: Statt beim Ver-dienen wird der Mehrbetrag beim Verbrauchen kassiert,statt beim Einnehmen beim Ausgeben. Oder anders aus-gedrückt: Statt offen, greift der Staat versteckt in unsereTaschen. Aber er gibt immerhin den Mehrwertzugriffbekannt und wir können uns mit wenig Mühe die Einkom-mensverluste ausrechnen.

Bei den Zinsen läuft der Einzug zwar ähnlich auf ver-steckte Weise ab, aber sein Anteil in den Preisen ist uns nor-malerweise nicht bekannt. Selbst wenn wir in die Kalkulati-on des gekauften Produkts Einsicht nehmen könnten,erhielten wir kein wirkliches Bild von der Höhe des abkas-sierten Tributs. Denn wir würden aus dieser Berechnungs-Unterlage allenfalls die Zinskosten auf dieser letzten Kal-kulationsstufe entnehmen können, also die dort hinzuge-kommenen Zinsanteile. Denn auch in den Materialkostenund anderen Leistungen der Vorlieferanten, die in die Kal-kulation als Sachkosten eingehen, sind – neben den

Page 157: Creutz - Das Geld-Syndrom

158

Arbeitskosten – ja bereits Kapitalkosten enthalten, alsobereits versteckte Zinsen. Und im Gegensatz zur Mehr-wertsteuer, bei der die auf der Vorstufe bereits gezahltenSteuerbeträge jeweils abgezogen werden können, ist dasbei den Zinsen nicht der Fall. In welchem Maße sichdadurch die Zinskosten akkumulieren, zeigt die Darstel-lung 19 in der an einem fiktiven Beispiel, von der Rohstoff-gewinnung bis zum Endverbrauch, die Entstehung undPreisentwicklung eines Produkts begleitet wird.

Darstellung 19:

Page 158: Creutz - Das Geld-Syndrom

159

Wie man sieht, kommen auf jeder der sechs Entwicklungs-stufen unterschiedlich hohe Kapital- und Arbeitskostenhinzu. Sie werden mit den vorherigen, die in dem Einkaufs-preis der Vorprodukte enthalten sind, zu einem neuenGesamtpreis zusammengefasst. Der tatsächliche Kapital-kostenanteil im Endpreis eines Produkts ist darum norma-lerweise ebenso schwer festzustellen wie der Lohnanteil.

Der durchweg anfallende Gewinn wurde in der vorste-henden Darstellung ebenso außer Acht gelassen wie dieAufwendungen für Steuern, Versicherungen usw. Die Ver-teilung wurde also auf die beiden grundsätzlichen Kosten-faktoren bezogen, nämlich auf Kapital und Arbeit.

Wer erhält die Zinsen?

Würde ein Staat die Mehrwertsteuer jeweils in Höhe dergeleisteten Zahlungen auch wieder an alle Haushaltezurückverteilen, dann könnte er sich die ganze Aktion spa-ren. Verteilt er jedoch das eingenommene Geld schwer-punktmäßig an sozial schwächere Bevölkerungsschichten,dann wird deren Los auf Kosten der übrigen verbessert.

Die in den Preisen enthaltenen Zinsen (die z. B. inDeutschland inzwischen drei- bis viermal größer als diegenannte Mehrwertsteuer sind!) kommen bei ihrer Rück-verteilung jedoch nicht allen Haushalten zugute und schongar nicht verstärkt den Schwächeren. Sie fließen vielmehrüberwiegend jenen zu, die über die größeren verzinslichenVermögen verfügen. Konkret: Je reicher man ist, d. h. jemehr Zins bringendes Sach- und Geldvermögen manbesitzt, umso größer ist der Anteil, den man aus dem Topfder abkassierten Zinsen zurückerhält. Die relativ größtenVerluste bei dieser Umverteilung tragen dagegen diejeni-gen Haushalte, die über keine oder keine nennenswerten

Page 159: Creutz - Das Geld-Syndrom

160

verzinsten Vermögenswerte verfügen. Sie zahlen nur ein,ohne etwas zurückzuerhalten. Und da die zinsforderndenSach- und Geldvermögen deutlich rascher zunehmen als dievolkswirtschaftliche Leistung und die Staatseinnahmen, istauch der sozialste Staat immer weniger in der Lage, die zins-strombedingten Umverteilungen von Arm zu Reich durchsteuerfinanzierte Rückverteilungen auszugleichen.

Wie wirkt sich der Zins bei der Verteilung desVolkseinkommens aus?

Im Allgemeinen ist man der Auffassung, dass unsere Wirt-schaftsleistung etwa hälftig zwischen Staat und Bürgernaufgeteilt wird. Rechnet man die Abgaben für die staatli-chen Sozial- und Gesundheitssysteme den Steuern zu, dannergibt sich tatsächlich eine ›Staatsquote‹ von fast 50 Pro-zent. Trotzdem ist diese Sicht der Verteilung unzutreffend.Denn in Wirklichkeit findet die Aufteilung des Sozialpro-dukts nicht zwischen Staat und Bürgern statt, sondern zwi-schen Kapital und Arbeit. Dabei hat das Kapital immer denersten Zugriff, da dessen Bedienung die Voraussetzung fürseine Zurverfügungstellung ist. Das heißt, die Ansprüchedes Kapitals sind auf jeden Fall zu befriedigen, gleichgültigob die Wirtschaft gewachsen ist oder nicht. Der »Rest desKuchens« verbleibt dann der Arbeit, wie immer dieser Restauch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgeteiltwird. Der Staat, als Dritter im Bunde, greift im Grunde erstim Nachhinein auf beide Einkommens-Beziehergruppenzurück. Bei den Einkommen der Arbeitnehmer meistdirekt und unausweichlich, bei den Kapitaleinkommenweniger gewissenhaft. Man denke nur an das Bankgeheim-nis oder die Steueroasen in aller Welt.

Die Aufschlüsselung auf Kapital, Arbeit und Staat lässt

Page 160: Creutz - Das Geld-Syndrom

161

sich auch vermitteln, wenn man einmal den Weg der Ausga-ben aller Bruttoeinkommen aus Arbeit nachvollzieht, wiein der Darstellung 20 in einem Flussschema geschehen.

Darstellung 20:

Das Ergebnis ist, dass der arbeitenden Bevölkerung, nachAbführung der Anteile an das Kapital und den Staat, realnur noch rund ein Drittel an reiner Kaufkraft verbleibt. Dasheißt, grob betrachtet verteilt sich die gesamte volkswirt-schaftliche Leistung im Endeffekt mit rund je einem Drittelauf die Arbeit, den Staat und das Kapital. Während jedoch– wie vorstehend beschrieben – der Staatsanteil weitgehendwieder der Allgemeinheit zugute kommt, konzentrierensich die Kapitaleinkünfte letztlich überwiegend bei derbesitzenden Minderheit.

Page 161: Creutz - Das Geld-Syndrom

162

Welche Rolle spielt der Zinssatz bei der Umver-teilung?

Die Zinsanteile in allen Preisen resultieren aus Kapital malZinssatz. Sie können also sowohl bei steigendem Kapital-einsatz zunehmen als auch bei steigenden Zinssätzen. DieZunahme des Kapitaleinsatzes ist an die Ersparnis gebun-den und damit weitgehend nur eine relativ langsame undkontinuierliche. Zinssatzsteigerungen können jedoch rela-tiv kurzfristig ablaufen und sind außerdem kaum voraus-sehbar. Ihre Auswirkungen sind darum besonders schwerwiegend.

Steigt zum Beispiel das zu verzinsende Kapitalvermögenum drei Prozent, dann nimmt, bei gleich bleibenden Zins-sätzen, auch die gesamte Zinsbelastung um drei Prozent zu.Steigt jedoch der durchschnittliche Zinssatz um drei Pro-zent (richtiger: drei Prozentpunkte!), also beispielsweisevon sechs auf neun Prozent, dann explodiert die Zinsbelas-tung rechnerisch um 50(!) Prozent. Denn sechs ProzentZinsen ergeben, z. B. bezogen auf ein Kapital von 100 000Dollar, 6 000 Dollar, neun Prozent jedoch 9 000 Dollar, alsodie Hälfte mehr.

Erhöhungen der Zinssätze haben also gravierende Fol-gen für die Zinslastanteile in den Preisen. Entsprechendgravierend sind auch die Umverteilungsfolgen steigenderbzw. höherer Zinssätze. Am massivsten und direktestenwerden davon alle Schuldner getroffen, vor allem Unter-nehmen mit geringem Eigen- und hohem Fremdkapital.Das zeigt sich vor allem am Anstieg der Firmenpleiten, diejeweils den Zinssatzanstiegen folgen.

Der frühere deutsche Bundeskanzler Willy Brandt hat1982 die damals extrem hohen Zinsen zu Recht als ›mörde-risch‹ bezeichnet. Doch auch der normale Zins ›mordet‹,wenn auch langsamer. Die Zahl der Menschen, speziell in

Page 162: Creutz - Das Geld-Syndrom

163

der Dritten Welt, die als Folge der schuldenbedingten Zins-lasten den Tod gefunden haben, lässt sich natürlich nichtstatistisch erfassen. Sie dürfte aber im Bereich mehrstel-liger Millionen liegen. Der Titel des Buches von SusanGeorge, »Sie sterben an unserem Geld«, war also mehr alszutreffend.

Genauso aber, wie durch Zinserhöhungen die Problemeeskalieren, so werden sie durch Zinssenkungen minimiert.Ein Kapitalmarktzins um Null wäre praktisch verteilungs-neutral. Das heißt, den Werteschaffenden würde der volleArbeitsertrag weitgehend verbleiben, auch wenn ein Teildavon den Umweg über staatliche Kanäle nimmt.

Die in dem Kasten F angeführten Aussagen von ErnstAbbe, Physiker und Gründer der Zeisswerke, aus einfachs-ten Verhältnissen stammend, sind darum nach wie voraktuell und richtungsweisend, auch wenn sie schon vor hun-dert Jahren ausgesprochen wurden.

Kasten F:Der Zins im Urteil eines Unternehmers»Ich habe also Gelegenheit gehabt, die heutigen Erscheinungen des Wirt-schaftslebens im Bereich eines einzelnen Industriezweiges aus allernächsterNähe anzusehen . . . Gemäß den Pflichten, welche meine Stellung mir aufer-legte, mußte ich nun diese Erscheinungen stets betrachten vom Standpunktdes Unternehmers und Kapitalisten. Gleichzeitig habe ich sie aber auchimmer betrachten müssen mit den Augen des Arbeitersohnes . . . Ich habe alsodie Vorgänge gleichzeitig von ganz entgegengesetzten Seiten her ansehen undaus beiden ein Fazit mir ziehen können unter dem Gesichtspunkt des öffentli-chen Interesses und des Gemeinwohls . . .

Da ausschließlich die menschliche Arbeit Werte erzeugt . . ., so kann keinZweifel darüber bestehen, daß es die Gesamtheit aller Arbeitenden im Volkist, welche jene Summe für die Gesamtheit aller Besitzenden . . . dafür aufzu-bringen hat, daß die Eigentümer der Objekte des Nationalvermögens dieseObjekte der Arbeit des ganzen Volkes als Mittel der Gütererzeugung vorent-halten oder darleihen.

Mithin hat . . . die Gesamtheit aller Arbeitenden in allen Tätigkeitsgebie-ten, dem Durchschnitt nach, immer zwei Tage in der Woche zu arbeiten, fürdie Gesamtheit der Besitzenden, d. h. derer, welche Miteigentümer des Natio-

Page 163: Creutz - Das Geld-Syndrom

164

nalvermögens sind, dessen Verzinsung vorweg aufgebracht werden muß . . .Der Zins ist unter dem volkswirtschaftlichen Gesichtspunkt nur das Kennzei-chen der Zwangslage, in welcher die Arbeit sich gegenüber dem Besitz inso-fern befindet, als die Wertobjekte des Gesamtvermögens als Mittel produkti-ver Arbeit absolut unentbehrlich sind . . .

Elimination (Ausmerzung) des Zinswesens aus dem Wirtschaftssystemder Völker ist daher die Voraussetzung für eine haltbare, nicht auf völligeDesorganisation hinsteuernde Wirtschaftstätigkeit.«

Prof. Dr. Ernst Abbe in einem kurz vor der Wende vom 19. zum 20. Jahrhun-dert gehaltenen Vortrag, aus: Zeitschrift für Sozialökonomie, Nr. 61

Wodurch verändert sich der Verteilungsschlüssel?

Einen Kuchen kann man immer nur einmal essen. Das giltauch für die Aufteilung des wirtschaftlichen Leistungsku-chens zwischen Kapital und Arbeit. Nimmt das Kapital unddamit der Zinsanspruch im Gleichschritt mit der Wirt-schaftsleistung zu, dann bleiben die Verteilungsrelationenkonstant. Wachsen die zu verzinsenden Kapitalien jedochschneller, kommt es zu einer Verschiebung der Anteile zuLasten der Arbeit.

In der Darstellung 21 sind solche Verteilungsverschie-bungen einmal schematisch in verschiedenen Varianten auf-gezeigt. Angenommen ist eine Ausgangs-Verteilungsrelati-on zwischen Kapital und Arbeit von 20 : 80 sowie ein gleichbleibendes Wirtschaftswachstum von drei Prozent.

Dabei wächst der zur Verteilung anstehende Wirt-schaftskuchen in 40 Jahren auf etwa das 3,3fache. Nimmt –wie in der oberen karierten Fläche angenommen – das zubedienende Kapital ebenfalls jedes Jahr um drei Prozentzu, dann bleibt die Verteilungsrelation zwischen Kapitalund Arbeit gleich. Schon ein Wachstum des Kapitals vonvier Prozent ergibt jedoch innerhalb der vier Jahrzehnteeine deutliche Verschiebung zwischen beiden Einkom-

Page 164: Creutz - Das Geld-Syndrom

165

mensgruppen. Zwar steigt auch das Einkommen aus Arbeitin absoluten Größen mit der Wirtschaftsleistung an, aber derVerteilungsschlüssel zwischen beiden Gruppen verschiebtsich von 20 : 80 auf 35 : 65. Schon die geringe Verschiebungder Wachstumsraten um nur einen Prozentpunkt lässt alsoden Anteil der Arbeit von 80 auf 65 Prozent sinken!

Darstellung 21:

Wesentlich deutlicher, nämlich auf 51 Prozent, fällt derAnteil der Arbeit zurück, wenn bei einem Wirtschafts-wachstum von drei Prozent das Kapital um fünf Prozentp.a. zunimmt. An dieser dritten Verteilungskurve kann manauch bereits optisch erkennen, wie der Anstieg der Arbeits-anteile von Jahr zu Jahr nachlässt. Verlängert man dieseEntwicklung noch einige Jahre, dann kippt die Kurve der

Page 165: Creutz - Das Geld-Syndrom

166

Darstellung 22:

Page 166: Creutz - Das Geld-Syndrom

167

Arbeitsanteile sogar ins Negative um. Das heißt, nicht nurdie gesamten Leistungssteigerungen gehen dann ans Kapi-tal, sondern auch ein ständig wachsender Anteil der Ein-kommenssubstanz aus Arbeit!

Dieser problematische Umkippeffekt tritt bei einemKapitalwachstum von fünf Prozent bereits nach 25 Jahrenein. Als Folge einer solchen Entwicklungsdiskrepanz wür-de sich der Verteilungsschlüssel von 20 : 80 in den 40 Jah-ren also auf 77 : 23 fast umkehren. Das heißt, der Arbeitkäme nur noch ein knappes Viertel des Kuchens zu, dreiViertel würde vom Kapital beansprucht. Zu einer ähnli-chen dramatischen Verschiebung kommt es aber auch,wenn das Kapitalwachstum mit drei Prozent gleich bleibt,jedoch das Wachstum der Wirtschaftsleistung zurückgeht.Damit wird auch klar, warum die Politiker auch dann nochauf ständiges Wirtschaftswachstum versessen sind, wennbei uns die Läden überquellen. Da aber in den gesättigtenIndustrienationen die Wachstumsraten zwangsläufig zu-rückgehen müssen, ist die Zunahme der Verteilungsspan-nungen kaum vermeidbar. Schon geringfügige Rückgängedes Wirtschaftswachstums können also sozialpolitischeProbleme auslösen, ganz besonders in Phasen steigenderZinsen.

Zu welchen Diskrepanzen es bereits in der Realität gekom-men ist, gibt die Darstellung 22 wieder, in der die jährlichenZuwachsraten der Geldvermögen, der Wirtschaftsleistungund der Nettolöhne als Durchschnittswerte in den letztenJahrzehnten eingetragen sind.

Page 167: Creutz - Das Geld-Syndrom

168

Erhöhen die Zinsen das Sozialprodukt?

Wer in den volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen dieZinsströme untersucht, der findet normalerweise für jedender drei Wirtschaftssektoren, also Unternehmen, Staat undPrivathaushalte, die Zinseinnahmen wie -aufwendungenangeführt, die sich gegenüber den jeweils anderen Sektorenergeben. Die daraus resultierenden Nettosalden in den dreiSektoren lösen sich dann in der Endsaldierung in Wohlge-fallen auf. Das heißt, die Zinsströme haben keinen Einflussauf die Höhe des Sozialprodukts, gleichgültig wie groß siesind. Lediglich der Saldo der grenzüberschreitenden Zins-ströme beeinflußt diese statistische Größe. Fließen bei-spielsweise mehr Zinsen vom Ausland in ein Land alsumgekehrt, dann erhöht sich das Sozialprodukt um denDifferenzbetrag.

Diese im ersten Augenblick überraschende Neutralisie-rung der ganzen inländischen Zinsströme ist letztlichlogisch: Das Bruttosozial- bzw. Bruttoinlandsprodukt gibtdie Summe aller Wertschöpfungen wieder. Zinsen aberstellen keine Wertschöpfung dar, sondern nur einen Trans-fer innerhalb derselben.

Als Folge dieses Tatbestandes hinterlassen auch Erhö-hungen oder Absenkungen der Zinssätze und Zinsstrom-größen im Sozialprodukt keine direkten Spuren. Wenn›morgen‹ also die Zinssätze (und damit auch die Zins-Transferströme) auf das Doppelte ansteigen würden, hättedas auf das ausgewiesene Sozialprodukt keinen Einfluss.Zumindest rechnerisch und theoretisch nicht. Wohl aberwürden die indirekten Folgen einer solchen Zinserhöhung,nämlich Firmenpleiten, Arbeitslosigkeit usw., das Sozial-produkt verändern.

Manche Menschen ziehen aus der Neutralität der Zinsenauf das Sozialprodukt falsche Schlüsse. Sie glauben, dass

Page 168: Creutz - Das Geld-Syndrom

169

man deshalb auch die Problematik des Zinses nicht so hochansetzen dürfe. Andere klammern sich an jene statistischeGröße, die bei manchen Aufschlüsselungen des Volksein-kommens als ›Einkommen aus Unternehmertätigkeit undVermögen‹ ausgewiesen wird. Dabei hat die darin enthalte-ne Größe ›Vermögenseinkommen‹ mit den tatsächlichenZins- und Vermögenseinkommen kaum etwas zu tun. InDeutschland wird darin z. B. lediglich der positive Zins-stromsaldo der privaten Haushalte gegen den negativenZinsstromsaldo des Staates verrechnet und mit den ›Aus-schüttungen der Unternehmen mit eigener Rechtspersön-lichkeit‹ addiert. Der sich daraus ergebende Betrag liegtnur bei einem Bruchteil jener Vermögenseinkommen, dieallein von den Banken jährlich als Zinsen an die Geldgeberüberwiesen werden.

Wieder andere stützen sich auf Aussagen von Wirt-schaftsprofessoren, nach denen die Verschuldungen – unddamit auch die dafür zu zahlenden Zinsen – problemlos sei-en, weil diesen Schulden und Zinslasten in gleicher HöheGeldvermögen und Zinseinkommen gegenüberstehen. Sovertrat z. B. der deutsche Ökomom Robert K. von Weizsä-cker auf einer Expertentagung zur Staatsverschuldung dieAuffassung, dass nur Schuldenaufnahmen im Ausland mitProblemen verbunden seien:

»Was ist an der Zinslast eigentlich eine Last? Die überSteuermittel finanzierten Zinslasten fließen doch andiejenigen, die die Anleihen halten. Unterstellt maneine reine Binnenverschuldung, schulden wir unsdamit die Verschuldung selbst. Ein reales Problemgibt es erst, wenn der Auslandsanteil der Staatsver-schuldung zu groß wird.« (»Die Zeit«, 14. Januar 1999)

Page 169: Creutz - Das Geld-Syndrom

170

Was ist mit der Zinsbesteuerung?

Wer durch Arbeit Einkommen erzielt, muss jede Mark aufHeller und Pfennig versteuern. Bei den Lohn- und Gehalts-empfängern findet der Steuereinzug gleich bei der Auszah-lung des Einkommens statt, also direkt an der Quelle. Ver-zögerungen der Steuerzahlung, eine Flucht vor der Steueroder gar ihre Hinterziehung, sind praktisch ausgeschlossen.Wer ohne Arbeit Einkommen bezieht, ist zwar auch zurSteuerzahlung verpflichtet, aber der gleiche Staat, der dieseZahlung verlangt, garantiert ihm mit dem Bankgeheimnisgleichzeitig die Nichtkontrolle seiner Einkünfte. DieserTatbestand kommt fast einer Einladung zur Steuerhinter-ziehung gleich. Die Folge ist entsprechend: Zinseinkom-men aus Geldvermögen werden nur zu einem geringen Teilin den Steuererklärungen angegeben!

Aber auch zur völligen Steuerumgehung bieten sich denGeldvermögensbesitzern genügend Möglichkeiten: Manbraucht z. B. seine Ersparnisse nur auf eine Bank in einesder vielen ›Steuerparadiese‹ zu verlagern, z.B. innerhalbdes EG-Raumes nach Luxemburg, und schon ist man ausdem Schneider! Ganz Vorsichtige heben sogar ihre Gut-haben in bar ab und zahlen das Geld jenseits der Grenzewieder ein, womit für alle Zeiten die Spuren ihrer Steuer-flucht verwischt sind. Und auch dieses Spurenverwischengeschieht gewissermaßen mit staatlicher Hilfe, nämlich mitden vom Staat herausgegebenen Zahlungsmitteln, die manzu jeder Spekulation benutzen darf.

Man stelle sich einmal vor, Vergleichbares würde Arbeit-nehmern zugebilligt. Konkret: Man würde zwar an ihreSteuerpflicht appellieren, ihnen gleichzeitig aber Möglich-keiten zu ihrer Umgehung bieten. Zum Beispiel durch dieEinführung eines ›Einkommensgeheimnisses‹, das denFinanzämtern nur in Sonderfällen Einblick in die Gehalts-

Page 170: Creutz - Das Geld-Syndrom

171

listen erlaubt. Oder sogar durch die Einrichtung anonymerGehaltskonten jenseits der Grenze. – Es ist eigentlichunverständlich, dass die Gewerkschaften diese Gleichbe-handlung der Arbeits- und Zinseinkommen nicht längstverfassungsrechtlich eingeklagt haben.

Doch nicht nur gegenüber den Arbeitleistenden wird mitden Sonderregelungen für das Geld Unrecht geschaffen.Auch die Investoren im Lande werden damit bestraft.Denn während die Besitzer von Geldvermögen ihre Zins-einkünfte fast gefahrlos am Finanzamt vorbeischmuggelnkönnen, haben die Besitzer von Sachvermögen dazu we-sentlich weniger Möglichkeiten. Wer unter diesen Umstän-den sein Geld in einen Arbeitsplatz oder in ein Mietshaussteckt, wird eklatant benachteiligt.

Warum stimmt das Sprichwort »Zeit ist Geld«?

Der Zins als Leihpreis für Geld ist zweifellos ein Zahlungs-posten auf Zeit. Geld, als Tauschmittel entstanden, erhältdadurch gewissermaßen eine zweite Dimension: Für dieGeldverleiher wird es zu einem zeitbezogenen Einkom-mensfaktor ohne Leistung, für den Kreditnehmer zu einemzeitbezogenen Kostenfaktor, den er nur mit zusätzlicherLeistung und damit zusätzlich aufgewandter Zeit bedienenkann. Mit dem Zins wird also Zeit zu Geld gemacht. DasSprichwort »Zeit ist Geld« bringt diesen Tatbestand aufden kürzesten Nenner.

Früher einmal war Zeit für alle Menschen ein Ge-schenk. Heute trifft das nur noch auf die Zinsgewinnlerzu. Alle anderen – und das ist die übergroße Mehrheit –müssen ›in der Zeit‹ für die Gewinnler tätig sein. MichaelEnde hat diese Stress auslösende Veränderung für dasLeben der Menschen, märchenhaft verfremdet und den-

Page 171: Creutz - Das Geld-Syndrom

172

noch deutlich, zur Aussage seines Buches »Momo« ge-macht.

Weil Zeit Geld ist – Zinsgeld nämlich – müssen heute dieMenschen ständig in Bewegung bleiben. Vor allem aber dieMaschinen, am besten rund um die Uhr. Nach Möglichkeitsollen sie dabei mit weniger Beschäftigten laufen, noch bes-ser, völlig ohne sie. Denn mit jeder Entlassung einerArbeitskraft spart ein Unternehmer Kosten ein, beimAbschalten einer Maschine aber laufen die Kosten weiter,zumindest diejenigen für die Kapitalbedienung. Undersetzt er einen Menschen durch eine selbst finanzierteMaschine, hat er außerdem eine zusätzliche Zinseinnahmesicher.

Der Chef der Mittelstandsvereinigung der deutschenCDU, Klaus E. Bregger, hat diesen Tatbestand 1996 ineinem Interview auf den Punkt gebracht: »Wer Geld mitGeld verdient, wird risikoarm reich. Wer Geld mit Arbeits-plätzen verdient, wird risikoreich arm.«

Auch das fatale Sprichwort, »Stillstand ist Rückschritt«,wird mit unserem Geldsystem erklärbar. Denn angesichtsder laufenden Zinsen bedeutet jeder Stillstand wachsendeVerluste.

Obwohl jeder weiß, dass er bei gleich bleibender Leis-tung niemals ärmer werden kann, können wir uns im Zins-system eine Leistungsstabilisierung – bewusst negativ als›Nullwachstum‹ abgestempelt – nicht erlauben. In einerWirtschaft ohne Zinsen, bzw. mit einem verteilungsneutra-len Zins um Null, könnten wir dagegen den technischenFortschritt und damit alle Produktivitätssteigerungen pro-blemlos und bei gleich bleibendem Einkommen in Arbeits-zeitverkürzungen umsetzen. Bei einem ständig positivenZins haben wir jedoch nur die Wahl zwischen Wirtschafts-wachstum oder Senkung der Arbeitseinkommen, ob durchLohnkürzungen oder Entlassungen.

Page 172: Creutz - Das Geld-Syndrom

173

Unser ständig positiver Zins zwingt uns also ohne Pausenicht nur zum Produzieren und zum Konsumieren, sondernsogar zu einer ständigen Steigerung von beidem. Und zwarim Gleichschritt mit den Geldvermögen und Schulden, diedurch die zinsbedingten Umschichtungen, gewissermaßen›in der Zeit‹ von alleine weiterwachsen. Doch diese Ver-knüpfung von Geld und Zeit haben wir bereits so verinner-licht, dass wir uns immer mehr zum Leisten und Verbrau-chen jagen lassen, ohne jedes Hinterfragen.

Verändert der Zins das Geld?

Mit zunehmender Kapitalbestimmtheit unseres Wirtschaf-tens verdrängt der Faktor Zeit auch immer mehr die eigent-liche Aufgabe unseres Geldes, nämlich nichts anderes zusein als ein Hilfsmittel zum Leistungs- und Gütertausch.Für die Fachleute des Geldes, die Banker, scheint dieseeigentliche Hilfsmittel-Aufgabe nur noch von sekundärerBedeutung. So wurde dem vormaligen Vorstandschef derDeutschen Bank, Hilmar Kopper, in einem Fernsehinter-view im Frühjahr 1991 einmal die Frage gestellt: »Was gibtdem Geld eigentlich seinen Wert?« Man hätte nun erwar-tet, dass Kopper auf die volkswirtschaftliche Leistung hin-wies, die unserem Geld die Deckung gibt. Doch die Ant-wort des Bankers war kurz und knapp: »Der Faktor Zeitbedeutet, dass es sich vermehrt über die Zinsen.« Und aufdie erstaunte Nachfrage des Interviewers, »Geld ohne Zeitist also nichts?«, bestätigte Kopper das noch einmal aus-führlicher: »Geld ohne Zeit ist nichts, das kann man natür-lich auf der Stelle ausgeben, aber das vermehrt das Geldnicht, dann dreht man das Geld in etwas anderes hinein.«

Diese Definition eines führenden Bankfachmanns istbezeichnend. Demnach ist unser Geld also nicht in erster

Page 173: Creutz - Das Geld-Syndrom

174

Linie zur Vermittlung des Leistungsaustauschs in der Wirt-schaft da, sondern zu seiner eigenen Selbstvermehrung!

Diese Auffassung zeigt nicht nur den Krankheitsgradunseres Geldsystems, sondern auch den unseres Denkensüber Geld, der im Buchtitel »Geld-Syndrom« ebenfallszum Ausdruck kommt. Der deutsch-niederländische Öko-nom Hugo Godschalk kommentierte das obige Interview ineinem Vortrag auf einem Kongress im Mai 1991 mit denWorten: »Man könnte glauben, die Rolle des Geldes alsTauschmittel wäre etwas Funktionswidriges.«

Die Frage, wie sich denn das Geld durch die Zeit ver-mehrt, ist Kopper leider nicht gestellt worden. Sie hättevielleicht den Unsinn seiner Aussage offenbart. Denn nichtdas Geld vermehrt sich in der Zeit, sondern nur die Ein-kommens- und damit Ersparnisüberschüsse der Reichenauf Kosten aller anderen, und damit wiederum die Zunah-me der Ausbeutung und der Ungerechtigkeit in unserenGesellschaften.

Gibt es einen gerechten Zins?

An einem wirklich freien Markt ist jeder sich bildende Preisletztlich immer gerecht. Denn er spiegelt jeweils die Wert-einschätzung des Gutes wider, über die sich die Beteiligtenbei ihrem Leistungsaustausch einigen.

Kauft jemand im Laden ein Hemd für zwanzig Dollaroder Euro, so ist ihm das Hemd wertvoller als das Geld. Fürden Verkäufer ist es umgekehrt, sonst würde er das Hemdfür den Betrag nicht hergeben. Ungerecht würde der Han-del nur, wenn der Verkäufer ein Hemdenmonopol hätteund den Preis diktieren könnte.

Genauso ist es beim Knappheitspreis des Geldes, demZins. Auch er ist immer gerecht, wenn er das Produkt von

Page 174: Creutz - Das Geld-Syndrom

175

Angebot und Nachfrage ist. Das heißt, wenn er allein dasVerhältnis von Geldüberschüssen auf der einen Seite undGeldbedarf auf der anderen Seite widerspiegelt. Sind beideSeiten ausgeglichen, dann muss der Zins als Knappheits-preis (sieht man von der Bankmarge ab) gegen Null hinun-tergehen. Denn im Gegensatz zum Hemd, dessen Produkti-on mit Kosten verbunden ist, hat der Geldhalter keine Kos-ten für die Produktion des Geldes aufbringen müssen. DasGeld wird den Wirtschaftsteilnehmern kostenlos zurAbwicklung ihrer Tausch- und Zahlungszwecke zur Verfü-gung gestellt. Man erhält es gewissermaßen als weitergeb-bare Quittung, wenn man eine Leistung einbringt. WerGeld übrig hat, hat also im Normalfall mehr Leistungeneingebracht, als er selbst nachfragt. Schon aus persönlichenGründen sollte er darum ein Interesse daran haben, dassein Kreditnehmer diese Nachfragelücke schließt. Da aberwegen der heutigen Überlegenheit des Geldes gegenüberden zu tauschenden Gütern jeder gern Geld annimmt, aberkeiner es gerne weitergibt, ergibt sich eine ständige Knapp-heitssituation. Geld wird dadurch zu einem Monopol, dasden Leihpreis des Geldes nie auf eine gerechte Ebene sin-ken lässt.

Ein wirklich gerechter Zins hängt also nicht nur voneinem Ausgleich zwischen Angebot und Nachfrage ab. Erhängt vielmehr entscheidend von der Überwindung derkünstlichen Verknappungsmöglichkeit und damit der Neu-tralisierung der Geldvorteile ab, die Geld zu einem Mono-polgut machen. Erst mit dieser Neutralisierung kann eseinen wirklich marktgerechten Zins geben, gleichgültig wieimmer auch seine noch verbleibende Höhe ist. Und erst einsolcher marktgerechter und schließlich verteilungsneutralum Null pendelnder Zins kann ein gerechter sein.

Page 175: Creutz - Das Geld-Syndrom

176

Was sagt die Wissenschaft zum Zins?

Die Wirtschaftswissenschaft hat sich seit etwa 200 Jahrenmit dem Zins arrangiert und die Problematik »tabuisiert«,wie es der Sankt Gallener Nationalökonom Hans Chris-toph Binswanger einmal ausgedrückt hat. Und um mit die-sem Zustand leben zu können, hat man etliche Theorienentwickelt, die den Zins als unbedenklich bzw. unverzicht-bar darstellen.

»Der Zins ist ein Lohn für den Konsumverzicht« ist diebekannteste dieser Begründungen. Dass sie nichts mit derWirklichkeit zu tun hat, stört anscheinend niemanden.Denn der normale Bürger spart nicht, um für Konsumver-zicht belohnt zu werden, sondern weil er Geld für Ausga-ben in späteren Zeiten ansammelt oder einfach im MomentGeld übrig hat. Und den Geldvermögensbesitzern, derenZinserträge und Neuersparnisse täglich in die Tausendeoder gar Millionen gehen, kann man auch nicht unterstel-len, dass sie auf irgendeinen Konsum verzichten, der eineZinsbelohnung rechtfertigen würde.

Wäre im Übrigen der Zins tatsächlich ein Lohn für Kon-sumverzicht, dann müsste auch derjenige Zinsen erhalten,der sein übriges Geld zu Hause unter dem Kopfkissen spart.Der Tatbestand, dass man Zinsen jedoch nur dann erhältwenn man sein übriges Geld verleiht, beweist die Bindungdes Zinses an die Geldüberlassung. Der Zins ist also einPreis für den Verleih von Geld, oder noch treffender: Einean die Leihzeit gekoppelte Prämie für die Aufgabe der Vor-teile, die mit dem Geldbesitz verbunden sind, vor allem fürdie Aufgabe der Liquidität.

John Maynard Keynes, wohl der bedeutendste Ökonomdes vergangenen Jahrhunderts, hat übrigens schon in den30er Jahren die These von der Konsumverzichtsbelohnungwiderlegt. Trotzdem wird dieser praxisfremde Unsinn auch

Page 176: Creutz - Das Geld-Syndrom

177

heute noch an fast allen Universitäten verbreitet. In seinemHauptwerk »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, desZinses und des Geldes« (man beachte die Wortwahl undWortfolge im Titel!), hat Keynes den Zins als »Belohnungfür die Nichthortung von Geld« definiert. Das heißt, derZins ist das Mittel, mit dem man die Geldhalter heutebewegen muss, ihr übriges Geld an andere zu verleihen.

Natürlich gibt es in der Wissenschaft noch eine ganzeReihe anderer Zinserklärungen und -begründungen. Siealle helfen jedoch nicht über den Tatbestand hinweg, dassdie Geldhalter beim Zins heute die Marktgesetze außerKraft setzen und einen ständig positiven Zins erpressenkönnen.

Kritische Worte zum Zins sind ganz selten einmal voneinem Wirtschaftswissenschaftler zu hören, so zum Beispielvon dem bereits genannten Hans-Christoph Binswanger. Inseinem Buch »Geld und Natur« wie auch in dem von ihmmit herausgegebenen Buch »Geld und Wachstum«, weist ervor allem auf die zinsbedingten Wachstumszwänge hin.Und dass der Ökonom Wolfram Engels, der in den 90erJahren verstorbene Mitherausgeber der deutschen »Wirt-schaftswoche«, bei seinem Kommentar in der AusgabeNr. 1/93 das »Zinsverbot der Religionen« aufgegriffen hat,muss man fast als einen Tabubruch ansehen. Noch mehr giltdas für seine abschließenden Sätze, in denen er eine Weltohne Zins als »wahrscheinlich ökonomisch optimal«bezeichnet und meint, dass vielleicht »Jesus, Moses undMohammed«, die bekanntlich allesamt das Zinsnehmenverurteilt haben, »die besseren Geldtheoretiker« waren.Erfreulich, dass daran anknüpfend auch aus dem Umfeldder Kirchen wieder kritische Stimmen zum Zins zu hörensind, wie der Text im Kasten G zeigt.

Page 177: Creutz - Das Geld-Syndrom

178

Kasten G:

Kirche und Zinsverbot

Das Abrücken der Kirchen vom Zinsverbot hat den Auf-stieg des modernen Kapitalismus entscheidend begüns-tigt. Nachdem die Zinswirtschaft die Menschengemein-schaft in beispielloser Weise zerrüttet hat und dieGegensätze zwischen Arm und Reich globale Ausmaßeangenommen haben, ist eine Umkehr von Theologenund Ökonomen vonnöten. Die Traditionen des Zinsver-botes müssen der Öffentlichkeit wieder ins Bewusstseingebracht werden, um Gegenmacht gegen die internatio-nale Finanzwelt aufzubauen und nach Mitteln undWegen zu suchen, die wirksamer zum Ziel einer zinsfrei-en Wirtschaft führen als umgehbare Verbote. Heute istweltweit sichtbar geworden, dass die internationalenKapitalkräfte – und diese haben sich vorwiegend in»christlichem« Umfeld entwickelt! – in der Zinspraxiskriminelle Ausmaße angenommen haben.

Ökonomisch gesehen bedeutet Zinsnehmen von einembestimmten Punkt an eine Vermehrung des Geldes ohneKoppelung an die Produktion von Gütern. Dieser Pro-zess führt auf Dauer zum Ruin jeder Volkswirtschaft.

Dietrich Schirmer, Studienleiter an der Ev. Akademie Berlin»Zum Problem des Zinsnehmens«, Zeitschrift für Sozialökonomie, Sept. 1990

Page 178: Creutz - Das Geld-Syndrom

179

8. Kapitel

Inflation und Deflation»Stabiles Geld ist nicht alles,aber ohne stabiles Geld ist allesandere nichts.«Karl Schiller

Diese Aussage des ehemaligen bundesdeutschen Wirt-schaftsministers Karl Schiller lässt sich zwar auf viele ande-re Bereiche übertragen, z. B. ›Gesundheit ist nicht alles,aber ohne Gesundheit ist alles andere nichts‹. Bezogen aufWirtschaft und Gesellschaft ist die ›Gesundheit‹ des Geldes– seine Stabilität – jedoch tatsächlich von grundlegenderBedeutung.

Ist die Notwendigkeit stabilen Geldes eine Er-kenntnis unserer Tage?

Schon vor fast 500 Jahren hat Nikolaus Kopernikus in sei-nem »Memorandum über Geld und Inflation« geschrie-ben:

»Unter den unzähligen Übeln, welche den Zerfall gan-zer Staaten herbeiführen, sind wohl vier als die vor-nehmlichsten anzusehen: innere Zwietracht, großeSterblichkeit, Unfruchtbarkeit des Bodens und dieVerschlechterung der Münze. Die ersten drei liegen soklar zutage, dass sie schwerlich jemand in Abrede stel-len wird. Das vierte Übel jedoch, welches von derMünze ausgeht, wird nur von wenigen beachtet und

Page 179: Creutz - Das Geld-Syndrom

180

nur von solchen, welche ernster nachdenken, weil dieStaaten allerdings nicht gleich beim ersten Anlauf,sondern ganz allmählich und gleichsam auf unsichtba-re Weise dem Untergang anheim fallen.«

Aber auch aus unserer Zeit gibt es genügend gewichtigeStimmen. So hat z. B. John Maynard Keynes gesagt, dass eskeine spitzfindigere und tödlichere Methode gibt, um diegesellschaftlichen Grundlagen zu zerstören, als die Ver-nichtung der Währung. Und von Fritz Leutwiler, dem frü-heren Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank,stammt der Satz: »Demokratie setzt, wenn sie funktionsfä-hig bleiben soll, eine stabile Währung voraus.« Doch allediese Mahnungen haben die Wissenschaft bislang nichtbewegen können, sich intensiver über ein störungsfreifunktionierendes Geld Gedanken zu machen. Das Dilem-ma ist entsprechend: Die wenigen Ökonomen, die sich mitGeld befassen, sind sich nicht einig, was Geld eigentlich ist.Und die Notenbanken versuchen vergeblich, über immerneue Geldmengenkreationen die Geldwertstabilität zuerreichen.

Was heißt Inflation und was ist ihre Wirkung?

Der Begriff Inflation kommt von inflare = aufblähen. Ge-meint ist damit eine Ausweitung der Geldmenge über diegegebene volkswirtschaftliche Leistung hinaus. Die Folgeeiner solchen Ausweitung ist die Störung des Gleichge-wichts zwischen Angebot und Nachfrage. Denn dem gege-benen Angebot stehen mit dem vermehrten Geld überhöh-te Nachfragemöglichkeiten gegenüber, wodurch auf jedenSchein weniger Leistung entfällt. Oder anders ausgedrückt:Man muss für jede Leistung mehr Geldscheine hergeben

Page 180: Creutz - Das Geld-Syndrom

181

als zuvor. Gemessen an der Leistung sinkt also die Kauf-kraft des Geldes. Gemessen am Geld steigt das allgemeinePreisniveau. Das steigende Preisniveau ist also die Folgeder Inflation, an der sie messbar wird, nicht aber die Ursa-che. Statt von steigenden Preisen müsste man also von sin-kender Kaufkraft des Geldes reden. Aber auch hier lässtman sich von den vordergründigen Vorgängen irritieren.Ähnlich wie man vom Sonnenuntergang redet, obwohl sichin Wirklichkeit die Erde von der Sonne wegdreht.

Mit der Erklärung des Inflationsbegriffs ist auch die Ver-antwortlichkeit geklärt: Es sind diejenigen, die das Zuvielan Scheinen in Umlauf geben. Und das sind in unserenTagen alleine die staatlichen oder vom Staat eingesetztenNotenbanken.

Noch vor dreißig Jahren sahen manche Politiker undWissenschaftler in der Inflation – zumindest der gemäßig-ten – eine positive Stimulanz für die Konjunktur. Inzwi-schen hat man die vielschichtigen negativen Folgen auchgeringer inflationärer Preisauftriebe erkannt. So schrieb1987 der Chefredakteur der deutschen Tageszeitumg »DieWelt«, Peter Gillies:

»Inflation ist nicht nur Betrug am Sparer, nicht nur dieunsozialste Form der Umverteilung, sondern auch dieErwerbslosigkeit von morgen. Längst ist widerlegt,dass fünf Prozent Inflation leichter zu ertragen seienals fünf Prozent Arbeitslosigkeit; vielmehr sind nullProzent Inflation die vorzüglichste Voraussetzung fürnull Prozent Erwerbslose. Der Glaube, Vollbeschäfti-gung lasse sich mit ›ein bisschen Preissteigerung‹erkaufen, musste weltweit teuer bezahlt werden.«

Diese enge Beziehung zwischen Inflation und Arbeitslosig-keit bestätigt auch das Ergebnis einer Untersuchung der

Page 181: Creutz - Das Geld-Syndrom

182

Deutschen Bundesbank in mehreren Industrienationen,die in der Darstellung 23 wiedergegeben ist.

Darstellung 23:

Ist eine stabile Währung wirklich so wichtig?

Stellen wir uns einmal vor, jedes Jahr würde die Länge desMeters verändert. Überraschend und ungeplant. Mal mehrund mal weniger. Für alle, die mit Längenmaßen disponie-ren und rechnen müssen, würden dann die Ergebnisse zurGlücksache: Die Hose von gestern würde nicht zur Jackevon heute passen, die heute gelieferten Fenster nicht in dievor einigen Wochen gemauerten Fensteröffnungen. Ge-

Page 182: Creutz - Das Geld-Syndrom

183

nauso macht ein sich ständig verändernder Geldmaßstabdas Wirtschaften zum Glücksspiel: Die Preise von gesternentsprechen nicht den Kosten von heute, die empfangenenLöhne nicht den vor einigen Wochen erbrachten Arbeits-leistungen, die Kaufkraft der Tilgungen nicht jener der aus-geliehenen Ersparnisse. Alle mittel- und längerfristigenDispositionen sind Zufällen ausgeliefert. Betrug und Spe-kulation werden Tür und Tor geöffnet.

Hinzu kommt noch, dass wir den Maßstab Geld viel häu-figer benutzen als alle anderen Maßeinheiten. Und dennochlassen es die Staaten zu, dass an diesem wichtigsten MaßstabGeld weiterhin herumgespielt und -manipuliert wird, diegleichen Staaten, die mit peinlicher Genauigkeit von tau-sendstel Gramm und Zentimeter die übrigen Maßeinheitenüberwachen und jede Abweichung mit Akribie verfolgen!Dabei setzen die Staaten – wie Vergangenheit und Gegen-wart zur Genüge zeigen – mit der Instabilität des Geldesimmer wieder ihre eigene Existenz aufs Spiel. Nicht zuletztdurch die sozialen Spannungen, die sich mit jeder Inflationergeben. Auch hierzu hat der bereits zitierte Fritz Leutwilerin seiner letzten Rede vor der Vollversammlung der Schwei-zerischen Nationalbank 1984 Klartext geredet:

»Auf keine andere Weise als durch Inflation, könnenin so kurzer Zeit so wenige so reich und so viele so armgemacht werden.«

Die Inflationen in den Industrienationen

Liest man von den tausendprozentigen Hyperinflationen inLateinamerika oder einigen früheren Ostblockstaaten,dann neigt man dazu, die Inflationsproblematik für etwasExotisches zu halten. Vergegenwärtigt man sich aber, dass

Page 183: Creutz - Das Geld-Syndrom

184

die Inflation im weltweiten Durchschnitt laufend angestie-gen ist, von drei bis vier Prozent in den 50er und 60er Jahrenüber zehn Prozent in den 70er auf 20 Prozent in den 90erJahren, dann wird die Aktualität dieser Seuche nachvoll-ziehbar. Aber auch bei den oft gelobten Währungen derführenden Industrienationen ist das Thema noch relevant.So ist z. B. der Dollar des Jahres 1950 heute keine 15 Centmehr wert, das Englische Pfund nur noch sieben Pence unddie Lira ist sogar auf vier Prozent ihres einstigen Werteszurückgefallen. Aber auch die als so stabil geprieseneDeutsche Mark und der Schweizer Franken haben bis heu-te rund vier Fünftel ihres Wertes eingebüßt. Dabei zeigtsich beim Schweizer Franken, der gleich mehrfach durchGold gedeckt war, dass die Stabilität einer Währung nichtvon irgendwelchen angesammelten Werten abhängt, son-dern alleine von der Relation der Geldmenge zur Leistungder Volkswirtschaft. Noch präziser: Von dem Gleichge-wicht zwischen Angebot und Nachfrage.

Der heute also in allen Währungen immer noch gegebe-ne mehr oder weniger große Kaufkraftverfall bedeutet,dass ein arbeitender Mensch für seine Leistung aus frühe-ren Berufsjahren heute nur noch einen Bruchteil alsGegenleistung zurückerhält. Und das gilt keineswegs nurfür die vergessenen Scheine unter der Matratze. Auch dieBankrücklagen der kleinen Sparer wurden in den vergan-genen Jahrzehnten durch die schleichende Inflation umvielstellige Milliardenbeträge enteignet. Denn im Gegen-satz zu den betuchteren Geldanlegern, die sich mit ihrenGroßeinlagen durch erhöhte Zinsforderungen gegen alleInflationsverluste abzusichern verstehen, lag die Verzin-sung der normalen Sparguthaben in vielen Ländern undJahren unter den Inflationssätzen.

Aber auch aufgrund unserer jüngeren Geschichte habenwir allen Grund, uns mit Fragen der Geldwertstabilität zu

Page 184: Creutz - Das Geld-Syndrom

185

befassen. So sind z. B. in diesem Jahrhundert, im Zuge derbeiden Weltkriege, in den meisten Ländern die Währungenein- und in etlichen sogar zusammengebrochen, nachfol-gend dann auch noch die davon betroffenen Volkswirt-schaften. Ganze Generationen wurden dabei um die Früch-te ihres Fleißes gebracht und Millionen Menschen insUnglück gestürzt. Dass es zu solchen Währungs- und Wirt-schaftszusammenbrüchen keiner Kriege bedarf, erlebenwir zur Genüge auch in unserer Zeit.

Macht man sich z. B. noch einmal die Größenordnungenund die Abläufe solcher Nachkriegsinflationen klar, dannkann man über die Unbedarftheit der jeweiligen Verant-wortlichen nur den Kopf schütteln. Ähnlich wie Anfang der90er Jahre in Russland, hat man auch in und nach den bei-den großen Kriegen im vergangenen Jahrhundert, vorallem nach dem ersten von 1914 bis 1918, zur Abdeckungder Kriegskosten und aufgehäuften Schulden oft jahrelangdie Notenpresse laufen lassen. Und weil als Folge dieserGeldüberhänge die Preise stiegen, gaben die Leute ihrGeld immer rascher aus, was über die steigende Umlaufge-schwindigkeit einer nochmaligen Erhöhung der Geldmen-ge gleichkam. Damit stiegen die Preise und damit wieder-um die Nachfrage noch rasanter an.

Diesem Preisauftrieb entsprechend gab man immer nochmehr Geld in Umlauf und drehte damit die Preisschraubeimmer schneller. Am Ende stiegen die Preise so schnell,dass man – wie in Deutschland 1923 – den Arbeitenden denLohn mehrmals täglich auszahlte, damit sie ihn möglichstrasch, vor dem erneuten Preisanstieg, ausgeben konnten.Zum Stillstand kam dieser Wahnsinn schließlich nur durchden Mangel an Papier bzw. der Unmöglichkeit, die vorhan-denen Scheine, Briefmarken oder Preisschilder mit immerlängeren Null-Kolonnen immer schneller zu überdrucken.Am Ende kosteten normale Briefmarken bereits Milliar-

Page 185: Creutz - Das Geld-Syndrom

186

den Mark und die gesamte umlaufende Geldmenge lag beider schier unvorstellbaren Größe von rund 500 Trillionen,also einer 500 mit 18 Nullen!

Solche Hyperinflationen, aber auch die gemäßigtenunserer Tage, sind erst durch die Einführung des Papiergel-des möglich geworden. Denn solange Geld mit Edelmetallidentisch war, konnte es nur bei großen Gold- oder Silber-funden bzw. nach gewaltsamen Raubzügen zu Überver-sorgungen mit Geld kommen. Heute braucht man zurGeldvermehrung nur eine Druckmaschine sowie Papierund Farbe. Umso schwerwiegender ist heute die Verant-wortung der Notenbanken bzw. der Politik. Ganz sicherhaben die Verantwortlichen in der Zwischenzeit dazuge-lernt. Aber von Stabilität der Kaufkraft ist man auch in dengroßen Industrienationen noch weit entfernt und nichtsdeutet darauf hin, dass man sie endlich in den Griff bekom-men wird. Das gilt auch für die Euroländer, wie die Darstel-lung 24 erkennen lässt.

Zwar ist der Durchschnittswert von 1991 bis 1999 von 4,7auf 1,3 Prozent gesunken, nicht zuletzt durch die festgeleg-ten Beitrittskriterien zur Euro-Währung, aber seit 1999geht es schon wieder aufwärts. Auch der Korridor zwischenden Ländern mit den Höchst- und Niedrigsätzen wurde biszum Startjahr deutlich verengt, öffnet sich jedoch bereitswieder. Interessant ist auch, die jeweils Klassenbesten und-schlechtesten in den einzelnen Jahren auszumachen.Besonders überraschend ist, dass Irland, Primus in den Jah-ren 1996 und 97, in den nachfolgenden drei Jahren die nega-tive Spitzenrolle übernommen hat. Gerade aber dieseUnberechenbarkeiten der Entwicklungen in den einzelnenLändern und das erneute Auseinanderdriften der Inflati-onssätze, macht es der EZB schwer, eine für alle richtigeGeldmengenpolitik zu betreiben.

Page 186: Creutz - Das Geld-Syndrom

187

Darstellung 24:

Kann man Inflation als Betrug bezeichnen?

Wenn der Tuch- und Baustoffhandel jedes Jahr klamm-heimlich alle Meterstäbe um einige Zentimeter kürzenwürde, dann wäre das nach einhelliger Auffassung Betrug.

Page 187: Creutz - Das Geld-Syndrom

188

Ebenso, wenn Veranstalter mehr Eintrittskarten verkau-fen, als Plätze vorhanden sind. Besonders perfide wäre derBetrug, wenn die Täter solche strafbaren Handlungen beianderen lautstark anprangern würden.

Genauso verhalten sich aber unsere Notenbanken: Siebedrohen alle mit Gefängnis, die mit gefälschten, unge-deckten Geldscheinen die Kaufkraft des gesamten Geldesverwässern – und machen es selbst in unvergleichlichenGrößenordnungen! So lagen beispielsweise die festgestell-ten Geldscheinfälschungen in Deutschland in den Jahren1987 und 1988 zusammen bei rund 1,1 Millionen DM. Imgleichen Zeitraum aber hat die Deutsche Bundesbank rund23 Milliarden(!) zu viel an Geld in Umlauf gegeben, also gut20 000 mal mehr als alle Falschgeldproduzenten zusammen!Und weil dieses staatlich hergestellte überschüssige Geld,genau wie das kriminelle Falschgeld, nicht durch wirtschaft-liche Leistungen gedeckt ist, muss seine Inumlaufsetzunggenauso als Betrug eingestuft werden.

Notenbanken in Demokratien des Betrugs zu bezichti-gen mag manchen wie Blasphemie vorkommen. Aber auchhier kann man sich auf offizielle Äußerungen stützen, z. B.die des früheren US-Notenbankers Henry C. Wallich, dergleichzeitig den Ökonomen einen Denkzettel verpaßte:

»Inflation ist immer ein wenigstens teilweise morali-sches Problem. Inflation ist eine Form des Betrugs.Mir scheint auch, dass Ökonomen viel dazu beigetra-gen haben, den Weg für eine Inflation zu bahnen, wiewir sie jetzt haben . . .«

Nicht weniger deutlich und ebenfalls den moralischenAspekt ansprechend, hat sich 1980 der damalige Präsidentder Deutschen Bundesbank, Ottmar Emminger, geäu-ßert:

Page 188: Creutz - Das Geld-Syndrom

189

». . . stabiles Geld ist eine Voraussetzung für die Auf-rechterhaltung einer gesunden Marktwirtschaft undschließlich auch eine moralische Frage: Nur gesundesGeld ist ein ehrliches Geld. Oder wie einer meinerVorgänger, Herr Blessing, gesagt hat: Inflation istBetrug am Volk.«

So wie man mit Fug und Recht den Krieg als größtes denk-bares Gewaltverbrechen bezeichnen kann und den Zins alsgrößte denkbare Ausbeutung, so die Inflation, mit der dieSparer um die Früchte ihrer Arbeit gebracht werden, alsgrößten denkbaren Betrug. Bezeichnend ist bei diesen dreigrößten Kapitalverbrechen, dass zwei davon, nämlich Zinsund Inflation, direkt mit Geld und Kapital zu tun haben unddas dritte, der Krieg, zumindest indirekt, wie wir im 30.Kapitel noch sehen werden. Geradezu bedenklich ist dar-um der Tatbestand, dass selbst die demokratischen Staaten,die ansonsten Gewalt, Ausbeutung und Betrug im Kleinenverfolgen, die größten denkbaren Formen dieser Verbre-chen immer noch als legitim betrachten.

Können auch die Käufer Inflationenauslösen?

Marktpreise werden durch Angebot und Nachfrage be-stimmt. Nachfragen kann jeder nur in Höhe seines Einkom-mens. Einkommen entstehen durch Leistungen, aus denenwiederum das Angebot resultiert. Gibt jeder sein Einkom-men regelmäßig aus, bzw. überlässt er Einkommensüber-schüsse leihweise anderen, bleibt das Verhältnis zwischenAngebot und Nachfrage stabil: Der Markt wird regelmäßiggeräumt, die Beschäftigung bleibt erhalten, ebenso das all-gemeine Preisniveau und damit die Kaufkraft des Geldes.

Page 189: Creutz - Das Geld-Syndrom

190

Da niemand mehr Geld ausgeben kann, als er eingenom-men und damit geleistet hat, können die Nachfrager alsovon sich aus keine Inflation auslösen. Von ihrer Seite kannes nur zu Störungen des Gleichgewichts durch Zurückhal-ten von Geld kommen. Die Folgen von Geldzurückhaltun-gen aber sind nicht inflationärer, sondern deflationärerNatur: Geldmangel, liegen bleibende Angebote, Preisver-fall und Arbeitslosigkeit.

Auch die Behauptung, Käufer könnten durch Beschleu-nigung der Nachfrage und damit des Geldumlaufs Inflatio-nen auslösen, ist graue Theorie. Zwar können die Verbrau-cher ihr gesamtes Einkommen in der ersten Woche desMonats ausgeben, dafür aber in den drei restlichen nichtsmehr. Ohne Ausweitung der Geldmenge setzt also einbeschleunigtes Ausgeben von Geld ein beschleunigtes Ein-nehmen voraus. Die Nachfrager, die schneller ausgebenwollen, müssen also zuerst einmal schneller Geld verdie-nen. Schneller verdienen heißt aber mehr leisten. Da mitdieser Mehrleistung jedoch auch das Angebot steigt, bleibtder Gleichklang mit der Nachfrage gewahrt und damit auchdie Kaufkraft des Geldes. Zu einer inflationären Nachfra-gebeschleunigung kann es also nur dann kommen, wenn dieGeldmenge ohne Leistungssteigerung erweitert wird. Dazuaber ist – wie bereits dargelegt – nur die Notenbank in derLage.

Allerdings können die Nachfrager indirekt an einerInflationsauslösung beteiligt sein. Dann nämlich, wenn sievorher Geld aus dem Kreislauf zurückgehalten und dieNotenbanken in der Zwischenzeit das fehlende Geld durchzusätzliche Banknoten ersetzt haben. Kommt es dannirgendwann zu einer Enthortung und Reaktivierung derzurückgehaltenen Bestände, führt das zu einer Übernach-frage mit entsprechenden Folgen für das Preisniveau. Aberauch dieser Preisschub geht letztlich auf das Konto der

Page 190: Creutz - Das Geld-Syndrom

191

Notenbank, die ja das ungedeckte doppelte Geld herausge-geben und nicht verhindert hat, dass vorher Geld demKreislauf entzogen wurde.

Beeinflussen Einzelpreiserhöhungen die Infla-tion?

Gemessen wird die Inflation an den Veränderungen desPreisniveaus, also dem Durchschnitt aller Preise. Als Maß-stab dafür dient im Allgemeinen der Preisindex für die pri-vaten Lebenshaltungskosten. Der Index der Lebenshal-tung wird von den Statistischen Ämtern in fast allen Län-dern regelmäßig mit Hilfe eines ›Warenkorbes‹ ermittelt, indem durchweg mehrere hundert Ge- und Verbrauchsgüterenthalten sind. Durch Vergleiche mit den Vormonats- oderVorjahrespreisen der Korbgüter ergeben sich dann diejeweiligen Veränderungs- bzw. Inflationsraten.

Dieses Feststellungsverfahren der Preisveränderungenist jedoch fragwürdig, weil man dabei nicht zwischen geld-mengenbedingten Gesamtpreisveränderungen und markt-bedingten Einzelpreisveränderungen unterscheidet. Beidewerden gleichermaßen als Ausgabenerhöhungen regis-triert. Dabei handelt es sich im Fall der Einzelpreiserhö-hungen um keine Ausweitungen der gesamten Korbausga-ben, da jeder Haushalt sein Geld immer nur einmal ausge-ben kann. Machen wir uns das an einem Beispiel klar:

Werden aufgrund einer Missernte die Kartoffeln teurer,dann muss der Haushalt entweder mehr als bisher für Kar-toffeln ausgeben oder weniger Kartoffeln kaufen. Kauftder Haushalt weiterhin die bisherige, aber teurer geworde-ne Kartoffelmenge, dann ist er gezwungen, die Nachfragenach anderen Gütern zu reduzieren. Reduzierungen derNachfrage aber drücken auf die Preise der davon betroffe-

Page 191: Creutz - Das Geld-Syndrom

192

nen Güter, so dass sich über die veränderten Einzelmengendas Gesamtpreisniveau des Warenkorbs schließlich wiedereinpendelt. Kauft der Haushalt wegen der gestiegenenPreise weniger Kartoffeln, entsteht auf Grund der rückläu-figen Nachfrage auch hier ein Druck auf die Preise.

Dieser Tatbestand wird bei der heutigen Ermittlung derWarenkorbausgaben jedoch nicht berücksichtigt. Man gehteinfach davon aus, dass die nachgefragten Mengen imWarenkorb trotz der Einzelpreiserhöhung gleich bleibenund damit die Haushalte insgesamt mehr als vorher ausge-ben. Das Ergebnis dieser Fehlrechnung wird dann als Infla-tion deklariert, obwohl es damit nichts zu tun hat. Denn nurAusweitungen der Geldmenge könnten die Nachfragerbefähigen, trotz steigender Einzelpreise die gleichenGütermengen wie bisher zu kaufen.

Wie ist das bei Erhöhungen der Löhne?

Bei Lohnerhöhungen muss man unterscheiden zwischensolchen, die durch Leistungsanstiege gedeckt sind und sol-chen, die darüber hinausgehen. Mit leistungsgedecktenLohnerhöhungen – die selbstverständlich durch eine Aus-weitung der Geldmenge unterfüttert werden müssen –bleibt die Kaufkraft stabil und auch die Einkommensver-teilung zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Beiungedeckten Lohnerhöhungen, also Erhöhungen, denenkeine erhöhten Leistungen gegenüberstehen, kommt esdagegen zu einer Umverteilung der Einkommen zugunstender Arbeitnehmer und zu Lasten der Unternehmer. SolcheUmverteilungen sind für die Unternehmen nur in einembegrenzten Umfang verkraftbar. Darüber hinaus führen siezu Investitionsrückstellungen, Entlassungen und Betriebs-schließungen. Gleicht die Notenbank zur Vermeidung sol-

Page 192: Creutz - Das Geld-Syndrom

193

cher Folgen die überhöhten Lohnforderungen durchzusätzliches Geld aus, dann verteilt sich die ungedeckteLohnerhöhung durch inflationäre Kaufkraftverwässerungauf alle Einkommen in der Volkswirtschaft. Auch hier kannes also immer nur zu Inflationen kommen, wenn die Noten-bank die überhöhten Forderungen mit Mehrgeld unterfüt-tert. Das gilt nicht nur bei ungedeckten Lohnanstiegen,sondern auch für die so genannte ›importierte Inflation‹ alsFolge gestiegener Einfuhrpreise, z. B. von Mineralöl oderanderen wichtigen Importgütern.

Können Inflationsraten durch gleich hohe Lohn-anpassungen ausgeglichen werden?

Wenn im Laufe eines Jahres das allgemeine Preisniveau umdrei Prozent gestiegen ist und die Löhne bei den nächstenTarifverhandlungen um den gleichen Satz angehoben wer-den, dann scheint die Welt – wenn auch mit Verspätung –wieder in Ordnung zu sein. Das ist jedoch nur dann der Fall,wenn alle Einkommensbezieher mit einer solchen dreipro-zentigen Einkommensanhebung zufrieden sind. Fordernjedoch auch die Geldkapitalbesitzer für ihre Vermögens-bestände einen dreiprozentigen Inflationsausgleich, dasheißt, um drei Prozentpunkte erhöhte Zinsen, dann stimmtdie Rechnung nicht mehr. Denn ein Zinssatzanstieg vonz. B. sechs auf neun Prozent, lässt die Zinseinkommen – wiebereits im Kapitel 7 dargelegt – nicht um drei, sondern um50 Prozent ansteigen. Das heißt, die Zinsbelastung einesNormalverbrauchers, der eine Hypothek von 100 000 Dol-lar zu bedienen hat, steigt von 6 000 auf 9 000 Dollar an, alsoum 3 000 Dollar. Liegt sein Jahreslohn bei 30 000 Dollar,dann schlägt eine dreiprozentige Inflationsanpassung desLohnes jedoch nur mit einem Plus von 900 Dollar zu Buche.

Page 193: Creutz - Das Geld-Syndrom

194

Das heißt, die Lohnerhöhung reicht noch nicht einmal, umein Drittel der erhöhten Zinsbelastung auszugleichen. Umdie darüber hinaus gestiegenen Zinslasten wird der Ein-kommensbezieher also ärmer.

Kasten H:Beispiele für Mietberechnungen bei unterschiedlichenZinssätzen, alle Werte in DM(Euro: halbieren)

Wohnungsgröße: 50 qm 50 qm 50 qm

Baukosten je qm DM: 2 500 2 500 2 500Bodenkostenanteil: 500 500 500

Gesamtkosten je qm: 3 000 3 000 3 000

Gesamtkosten Wohnung: 150 000 150 000 150 000

Berechnung der Kostenmiete:

Verzinsung: 3 % 6 % 9 %Zinslast p.a.: 4 500 9 000 13 500

Zinslast im Monat: 375 750 1 125laufende Sachkosten: 250 250 250

monatl. Kaltmiete: 625 1 000 1 375Kaltmiete je qm: 12,50 20,00 27,50

Zinsanteil in der Miete: 60 % 75 % 82 %

Von dieser Problematik werden jedoch nicht nur die ver-schuldeten Privathaushalte betroffen, sondern auch alleanderen. Denn wenn die Gesamtverschuldung in einerVolkswirtschaft über dem Volkseinkommen liegt (und dasist in fast allen Staaten bereits seit Jahrzehnten der Fall!),dann wird die Mehrheit der Bürger von dem vorbeschrie-benen Effekt betroffen. Denn die verschuldeten Unterneh-

Page 194: Creutz - Das Geld-Syndrom

195

men wie auch der Staat sind letztlich gezwungen, die explo-siv gestiegenen Zinsbelastungen, direkt oder indirekt, überPreise und Gebühren an die Endverbraucher bzw. Steuer-zahler weiterzugeben.

Diese Kostenüberwälzungen als Folge von Inflationenwerden besonders bei den Wohnungsmieten deutlich, diezu rund drei Vierteln aus Zinsen bestehen. Nach einerFaustregel erhöhen sich die Neubaumieten um zehn bisvierzehn Prozent, wenn die Hypothekenzinsen um einenZinspunkt ansteigen. Das zeigen auch die Mietberechnun-gen im Kasten H.

Aus diesen Berechnungsbeispielen geht auch hervor, inwelchem Umfang die Mieter, und mit ihnen die Gesamtge-sellschaft, von Zinssenkungen profitieren würden. Schoneine Halbierung der Zinssätze von sechs auf drei Prozentwürde bei der hier herangezogenen Wohnung von 50 qmeine Einsparung von DM 375 im Monat ergeben, was einerMietsenkung von rund 38 Prozent entspricht.

Welche Wirkungen haben Zinserhöhungen beiInflationen?

Der explosive Anstieg der Zinskosten in Inflationszeiten istwahrscheinlich der Hauptgrund dafür, dass sich einmalangelaufene Inflationsentwicklungen so schwer abbremsenlassen. Denn da die meisten Notenbanken dem inflations-bedingten Umverteilungsdruck und der erhöhten Geld-nachfrage durch Geldmengenausweitungen nachgeben,führen die gestiegenen Zinskostenanteile in den Preisen zuerneuten Preisauftrieben. Dabei werden die Größenord-nungen dieser inflationsbedingten Zinslastanstiege auf-grund der wachsenden Verschuldungen immer atemberau-bender. So stiegen beispielsweise in der Inflations- und

Page 195: Creutz - Das Geld-Syndrom

196

Hochzinsphase 1978–1982 die geldbezogenen Zinsströmebei den deutschen Banken auf das Doppelte an. Selbst dierelativ geringere Inflations- und Hochzinsphase 1988–1992ließ die Zinserträge der Banken von 243 auf 445 Mrd. DMhochschnellen, also um rund 83 Prozent. Die Zinsaufwen-dungen der Banken, also die Ausschüttungen an die Geld-geber, stiegen sogar von 171 auf 344 Mrd. DM und damitum 101 Prozent!

Man stelle sich einmal vor, die gesamten Einkommen-steuern oder Gesundheitsausgaben – Posten, deren Größen1988 in Deutschland mit den Bankzinserträgen vergleich-bar waren – wären in vier Jahren auf das Doppelte gestie-gen: Die Schlagzeilen in allen Medien hätten alles bisherDagewesene übertroffen. Die Explosionen der Zinsbelas-tungen und Einkünfte in dreistelligen Milliardenhöhenwurden jedoch praktisch nicht zur Kenntnis genommen.Selbst die Gewerkschaften rühren dieses Problemfeld stei-gender Zinslasten und -einkommen nicht an. Sie streitenvielmehr jedes Jahr lautstark und medienwirksam auf derVorderbühne mit den Arbeitgebern um den Rest desKuchens, den das Kapital den Werteschaffenden übrigge-lassen hat. Der entscheidende Deal auf der Hinterbühne,der sich an den oben genannten Größen festmachen lässt,steht dagegen nie zur Debatte. Fast könnte man vermuten,dass den Gewerkschaften die Zinserträge aus ihren Streik-kassen wichtiger sind als die Überwindung der vielfach grö-ßeren Zinsausbeutung ihrer Mitglieder. Außerdem machteine durchgesetzte Anhebung der Tariflöhne von fünf Pro-zent ›optisch‹ mehr aus als eine von zwei, auch wenn im ers-ten Fall die Reallohnerhöhung ebenfalls nur zwei Prozentbeträgt und der Rest inflationäre Luft ist. Aber wahrschein-lich sind auch den meisten Gewerkschaftlern die tatsächli-chen Zusammenhänge nicht bekannt.

Im Sommer des Jahres 2000 hat die Deutsche Bundes-

Page 196: Creutz - Das Geld-Syndrom

197

bank zum 50. Geburtstag der D-Mark die Herausgabe vonDM-Gedenkmünzen in Gold angekündigt, gewissermaßenzum endgültigen Abschied von der D-Mark. Aus dem Erlösdieses Münzverkaufs, mit dem die Bundesbank gleichzeitigeinen kleinen Teil ihrer überflüssigen Goldbestände abbaut,soll dann erfreulicherweise mit 100 Millionen DM eine Stif-tung ›Stabiles Geld‹ ins Leben gerufen werden. Es ist zu hof-fen, dass sich diese Stiftung dann auch einmal intensiver mitden Möglichkeiten der Inflationsüberwindung befasst!

Und was ist mit der Deflation?

Im Gegensatz zu Inflationen, die Folge eines Zuviels annachfragendem Geld sind, werden Deflationen durch einenGeldmangel ausgelöst. Aufgrund dieses Geldmangelskommt es zu Nachfrageausfällen und damit zu einemWarenstau. Da aber alle Produzenten und Ladenbesitzerzur Erfüllung ihrer Verpflichtungen auf den Verkauf ange-wiesen sind, versuchen sie durch Sonderangebote oder all-gemeine Preissenkungen zu Geld zu kommen. Aufgrunddieser Preissenkungstendenzen werden die Verbraucherjedoch noch zögerlicher in ihrem Nachfrageverhalten, da›morgen‹ ja alles noch günstiger sein könnte. Um liquide zubleiben, lassen dann die Warenbesitzer ihre Vorlieferantenhängen, womit sich Kettenreaktionen an Engpässen undschließlich Firmenpleiten ergeben.

Aufgrund dieser Wechselwirkungen und der sich sehrrasch aufschaukelnden Rezessionserscheinungen, sindGeldengpässe wesentlich gefährlicher als Geldüberschüs-se. Während diese – zumindest im Anfang – die Konjunkturbeleben, können schon geringe Deflationsraten in kurzerZeit eine Wirtschaft zusammenbrechen lassen.

Da die Notenbanken aus dem letzten großen Deflations-

Page 197: Creutz - Das Geld-Syndrom

198

desaster Anfang der 30er Jahre gelernt haben, versuchen siedarum, bei ihren Geldmengensteuerungen der Deflations-grenze fern zu bleiben. Dafür nehmen sie ein bis zwei Pro-zent Inflation in Kauf. Da das allgemeine Praxis ist und diefrüheren geldstoffbedingten Knappheiten (Stichwort Gold!)im Papiergeld-Zeitalter kein Thema mehr sind, ist das Pro-blem Deflation fast völlig in Vergessenheit geraten. Dass esdennoch auch in unserern Tagen aktuell werden kann, habenwir in den letzten zehn Jahren in Japan erlebt. Ausgelöstdurch eine spekulationsbedingte Wirtschafts- und Banken-krise, kam es dort zu einer lahmenden Konjunktur, die eben-falls Preis- und daraufhin Einkommenssenkungen zur Folgehatte. Und da die gegen Null sinkenden Zinsen eine Geldan-lage bei den Banken uninteressant machten und weitereBankenpleiten zu befürchten waren, wurde Geld zuneh-mend zu Hause gehortet, womit sich die Geldmangelerschei-nungen noch verstärkten. An diesem Verhalten ist der japa-nische Staat mit immer neuen Programmen zur Konjunktur-belebung gescheitert. Selbst der Versuch, die Bürger mitGutscheinen in die Läden zu locken, schlug fehl: Nur miteinem Drittel ihrer Kaufkraft wurde eine zusätzliche Nach-frage ausgelöst, der größere Teil indirekt zur Aufstockungder Bargeldhaltungen in den Tresoren benutzt.

Im Gegensatz zu Inflationen, die letztlich immer auf dasKonto der Notenbanken gehen, gehen heutige Deflationenalso auf das Konto der Verbraucher, die nicht genügendkaufen und verbrauchen wollen. Das heißt, nicht Geldman-gel von Seiten der Notenbanken ist die Ursache, sondernmangelnde Bereitschaft, das ausreichend vorhandene Geldauszugeben. Und wie das Beispiel Japan zeigt, sind dieNotenbanken und Regierungen kaum in der Lage, einensolchen Käuferstreik aufzubrechen. Es sei denn, man könn-te das praktizierte Festhalten des Geldes unterbinden,womit wir wieder beim Thema Umlaufsicherung sind.

Page 198: Creutz - Das Geld-Syndrom

199

9. Kapitel

Das Problem der Geldhortung»Der Bargeldumlauf wächst relativstark, wenn die Zinsen besondersniedrig sind, weil es dann nicht vielkostet, sich liquide zu halten, derZinsverlust ist gering . . . Untersolchen Umständen nimmt auch dasHorten von DM-Banknoten imAusland zu.«Helmut Schlesinger*

* Vormaliger Präsident der Bundesbank, am 24. 1. 1988 im HessischenRundfunk

Gibt es heute noch Geldhortung und welcheArten muss man unterscheiden?

»Wer hortet denn heute noch Geld?« Diese Frage wird mirnach Vorträgen immer wieder gestellt. Dabei denken diemeisten nur an jene Hortung ›unter der Matratze‹, über dieman ab und zu in den Zeitungen lesen kann. Viel gewichtigerund problematischer ist heute aber jene, die mit der Schat-tenwirtschaft und anderen illegalen Einkünften zusammen-hängt, bis hin zu kriminellen Kassenbeständen. Hier werdenhäufig über Jahre hinweg große Bargeldbestände unter Ver-schluss gehalten, entweder um der Versteuerung oder derStrafverfolgung zu entgehen. So schreibt die Deutsche Bun-desbank in ihrem Oktober-Monatsbericht 1992 von einer»außerordentlich kräftigen« Ausweitung der Bargeldmengeim August:

Page 199: Creutz - Das Geld-Syndrom

200

»Hierzu trugen offensichtlich Sondereinflüsse bei, inerster Linie wohl Bargeldhortungen als Folge derNeuregelung der Zinsbesteuerung und als Folge derErschwerung der Geldwäsche.«

Viel bedeutender als solche zeitweisen Sondereinflüsseaber sind z. B. die langfristigen Hortungen von Hartwäh-rungen in Weichwährungsländern. Mit diesen Hortungenversuchen sich die Bürger dieser Länder dem Inflations-betrug ihrer eigenen Notenbanken zu entziehen. In man-chen Weichwährungsländern laufen die ausländischenGeldscheine, vor allem Dollar und DM, aber auch alseine Art von Zweitwährung um. Doch gleichgültig, wofürsie verwandt werden: Aus der Sicht der Geld ausgeben-den Länder müssen alle diese Geldbestände der ›Hor-tung‹ zugerechnet werden. Sie sind dem zuständigenWirtschaftskreislauf genauso entzogen wie Geld unterder Matratze.

Welche Größenordnungen und Folgen habenHortungen im Ausland?

Nach Schätzungen befinden sich von den in Umlauf gege-benen US-Dollarscheinen nur noch ein Drittel innerhalbder US-Landesgrenzen. Das Gros des US-Geldes ist inzwi-schen weltweit verstreut, überwiegend wahrscheinlich inLateinamerika. Die zweitverbreitetste Währung, derenVerteilung sich vor allem auf Osteuropa konzentriert, istdie DM. In einem geringeren Umfang wird auch der Yenund der Schweizer Franken im Ausland gehalten.

Den Umfang der DM-Bestände im Ausland hat die For-schungsabteilung der Deutschen Bundesbank 1994 mit 30bis 40 Prozent der gesamten Bargeldmenge ermittelt. Das

Page 200: Creutz - Das Geld-Syndrom

201

heißt, von der gesamten herausgegebenen Bargeldmengesind nur zwei Drittel im Inland.

Die Folgen solcher Geldabwanderungen ins Auslandsind für beide davon betroffenen Seiten problematisch: Dieherausgebende Notenbank hat über einen erheblichen Teilder Geldmenge keine direkte Kontrolle mehr. Die Noten-bank des Gastlandes muss mit einem Kaufkraftpotential inihren Grenzen leben, auf das sie keinen Einfluss hat. Wirddas Fremdgeld als Sparmittel benutzt, fehlen der eigenenWirtschaft in entsprechender Höhe Kreditmittel. Läuft esals Zweitwährung um, erschwert es die Geldmengensteue-rung und damit die Stabilitätsbemühungen der örtlichenNotenbank.

Für die Herausgeberländer – also vor allem die USA undDeutschland – mag die Beliebtheit des eigenen Geldes imAusland schmeichelhaft und von Vorteil sein. Bedenkt manaber, dass diese verschwundenen Geldbestände einen offengebliebenen Anspruch an die eigene volkswirtschaftlicheLeistung darstellen, wird die Gefährlichkeit dieser Potenti-ale deutlich. Denn fließen größere Teile dieser Dollar- oderDM-Noten kurzfristig in ihr Ursprungsland zurück, ist einInflationsschub unvermeidlich.

Für die deutsche Wirtschaft kommt es durch die vorgese-hene Einführung einer europäischen Währung allerdingszu einer kuriosen Entlastung. Denn tauschen die Halter inOsteuropa und anderswo ihre DM gegen Euro ein, dannmüssen die gesamten Euroländer für die offenen Forderun-gen geradestehen und ggfs. auch für die inflationären Wir-kungen, die eigentlich von den Deutschen alleine getragenwerden müssten.

Page 201: Creutz - Das Geld-Syndrom

202

Welche Hortungen sind besonders kritisch?

Noch problematischer als die bisher genannten relativ sta-bilen Hortungen im In- und Ausland sind jedoch die extremschwankenden Geldhaltungen in Spekulations- und Trans-aktionskassen. Ursache dieser schwankenden Kassenhal-tungen ist der Tatbestand, dass mit sinkenden Zins- undInflationsraten die Liquiditätsvorliebe wächst. Das heißt,mit der nachlassenden Attraktivität der Zinsen und derPeitschenwirkung der Inflation, leiht man sein Geld weni-ger gerne aus und hält mehr Kasse.

Solche spekulativen Liquiditätshaltungen konnten frü-her, zur Zeit der Gold- oder Silberwährungen, für eineVolkswirtschaft Existenz bedrohend werden. Denn da diegehorteten Nachfragemittel nicht ohne weiteres ersetztwerden konnten, kam es in den Volkswirtschaften aufgrunddes Geldmangels zu deflationären Ein- oder Zusammen-brüchen. Im Zeitalter des Papiergeldes können solcheLücken natürlich relativ leicht geschlossen werden. Da mitdiesem Ersatzgeld jedoch ein Doppelanspruch an dieVolkswirtschaft geschaffen wird, entsteht mit diesemErsatzgeld gleichzeitig ein Inflationspotential, das bei einerReaktivierung der gehorteten Bestände wirksam wird. Die-se schwankenden liquiden Geldhaltungen und kürzerfristi-gen Hortungen dürften der Hauptgrund dafür sein, dass dieNotenbanken mit ihren Geldmengensteuerungs- und Sta-bilisierungsbemühungen bisher nur unzulängliche Erfolgeverzeichnen konnten.

Über den Umfang dieser kritischen Inlandshortungenwurden bislang noch keine Untersuchungen angestellt.Vielmehr bezeichnet man nach wie vor die herausgegebeneGeldmenge als die ›umlaufende‹, gleichgültig wie vieldavon dem Umlauf – wo auch immer – entzogen ist. Ledig-lich die in den Bankkassen gehaltenen, relativ kleinen und

Page 202: Creutz - Das Geld-Syndrom

203

konstanten Bestände, werden meist von der herausgegebe-nen Geldmenge in Abzug gebracht. Dabei wäre es nichtschwer, durch repräsentative Befragungen der Wirtschafts-teilnehmer die wirklich zur Nachfrage benötigten Geldbes-tände und deren Einsatzhäufigkeit zu ermitteln. Durcheinen Abzug dieser ermittelten aktiven und damit alleinkonjunkturwirksamen Geldmenge von der gesamten her-ausgegebenen, ergäbe sich dann als ›Rest‹ die inaktive.Zieht man von diesem Rest dann noch die im Auslandermittelten Bestände ab, hätte man das im Inland verblei-bende Hortungsvolumen eingekreist. Damit würde manauch eine Grundlage zur Berechnung der wirklichen›Umlaufgeschwindigkeit‹ erhalten, deren Ermittlung heutedurch die großen inaktiven Geldanteile total verfälschtwird.

Heute kann man anhand der statistischen Unterlagennur die Schwankungsüberschüsse der Geldhortungen er-mitteln. Sie ergeben sich aus dem Unterschied der Geldhal-tungen in Phasen niedriger und hoher Inflations- und Zins-raten.

Wie groß sind die niedrigzinsbedingten Hor-tungs-Ausweitungen?

Eine extreme Niedrigzinsphase, in der der Kapitalmarkt-zins über zwei Jahre bei knapp sechs Prozent und die Infla-tionsrate bei Null lag, gab es in Deutschland beispielsweise1987 und 1988. Da in diesen beiden Jahren die reale volks-wirtschaftliche Leistung um rund sechs Prozent zunahm,hätte auch die Geldmenge nur in diesem Ausmaß wachsendürfen. Nach den Unterlagen der Deutschen Bundesbanknahmen jedoch die Sichtguthaben um 15 Prozent und dieBargeldbestände um 28 Prozent zu, während das Sozialpro-

Page 203: Creutz - Das Geld-Syndrom

204

dukt real nur um sechs und nominell um neun Prozent stieg.Das heißt, die Bargeldmenge wurde in den beiden Jahrendreieinhalb Mal so viel ausgeweitet wie das Sozialprodukt.Diese Überentwicklung der Bargeldmenge ist im linkenTeil der nachfolgenden Darstellung 25 wiedergegeben, ver-glichen mit der Zunahme des Sozialprodukts.

Darstellung 25:

Geht man von den absoluten Größen aus, dann nahm die›umlaufende‹ Bargeldmenge in den beiden Jahren von 112Mrd. auf 143 Mrd. DM zu, also um 31 Mrd. Zur monetärenUnterfütterung der realen Leistungssteigerung von realsechs Prozent aber hätten rund sieben Mrd. DM ausge-reicht. Von den zu viel in Umlauf gesetzten 24 Mrd. DM gin-gen rechnerisch etwa drei Mrd. DM inflationstreibend in

Page 204: Creutz - Das Geld-Syndrom

205

die Nachfrage, wodurch das BSP nominell um neun Prozentanstieg. Der ›Rest‹ des zu viel herausgegebenen Geldes inHöhe von rund 21 Mrd. DM wurde jedoch nicht nachfrage-wirksam. Das heißt, der bereits vorhandene Hortungsso-ckel unbekannter Größe wurde allein in diesen zwei Jahrenum 21 Mrd. DM, also in der Größe von fast einem Fünftelder vorher vorhandenen Bargeldmenge(!), ausgeweitet

Dass es sich bei dieser extremen Ausweitung weitgehendum gehortete Bestände handelt, bestätigt noch ein zweiterstatistisch überprüfbarer Tatbestand, nämlich die überpro-portionale Zunahme der 1 000-DM-Scheine. Diese größtenNoten nahmen – wie aus der Darstellung hervorgeht – inden zwei Jahren um sage und schreibe 58 Prozent zu, alsofast neunmal mehr als das reale Sozialprodukt! An dergesamten Geldvermehrung in Höhe von 31 Mrd. waren die-se größten und im Nachfragekreislauf kaum auftretendenScheine mit fast der Hälfte beteiligt. Nimmt man die eben-falls überproportional nachgefragten 500-DM-Scheine hin-zu, dann konzentrierte sich die Geldvermehrung zu fastzwei Dritteln auf diese beiden großen Noten! Zusammen-genommen wurden sie in den beiden Jahren viermal mehrvermehrt, als die Noten von 10 bis 100 DM.

Im rechten Teil der Darstellung ist die Entwicklung vonSozialprodukt und Bargeld in den beiden anschließendenJahren wiedergegeben, in denen die Zinsen wieder in dieHöhe gingen. Obwohl das Bruttosozialprodukt von Ende1988 bis Ende 1990 real um 8,5 Prozent und nominal um15,1 Prozent anstieg, nahm die gesamte Bargeldmenge indiesen beiden Jahren nur um 3,5 Prozent zu. Gemessen ander nominellen BSP-Entwicklung fiel sie also deutlichzurück! Hauptursache war diesmal die radikale Verringe-rung der 1 000- und 500-DM-Noten: Während sie in denbeiden Vorjahren noch um 58 Prozent zugenommen hat-ten, gingen sie in diesen beiden Jahren um 4,5 Prozent

Page 205: Creutz - Das Geld-Syndrom

206

zurück. Gemessen an dem nominellen BSP-Anstieg lag derRückgang sogar bei fast 20 Prozent!

Welche Folgen haben Geldhortungen heute?

Früher wurden Geldhorte durch Entzug von Münzen ausdem Kreislauf aufgebaut. Die Folgen des daraus entstehen-den Geldmangels waren Nachfragerückgang und Preisver-fall, die entscheidenden Merkmale einer Deflation, dereneskalierende Entwicklung kaum zu stoppen ist. Auch dieeingangs angeführten heutigen Hortungen ›unter derMatratze‹ oder in ›schwarzen Kassen‹ werden überwiegenddurch Entzug von Geld aus den umlaufenden Beständenangesammelt. Wer heute jedoch bei sinkenden Zins- und/oder Inflationsraten seine Transaktions- oder Spekulati-onskassen kurzfristig aufstocken will, muss dies durchAbhebungen von seinem Bankkonto tun. Da solche mas-sierten Geldabhebungen die Kassen der Geschäftsbankenüberfordern, müssen diese sich bei der Notenbank ›fri-sches‹ Geld besorgen, vor allem in den für Hortungenbeliebten großen Scheinen. Das heißt, der Aufbau dieserHortungen ist nur mit der Notenpresse möglich.

Für die Banken sind solche Vorgänge gleich zweifach mitnegativen Auswirkungen verbunden: Einmal werden ihnendurch die Geldabhebungen Einlagenbestände und damitKreditpotentiale entzogen. Zum anderen müssen sie sichbei der Notenbank für das zusätzliche Bargeld höher ver-schulden und damit höhere Zinslasten tragen, ohne diesean die Geldnachfrager überwälzen zu können. Beidesschlägt letztlich als Erhöhung der Kreditkosten und damitals Belastungsanstieg für die Wirtschaft durch. Die zuneh-mende Hortung bei niedrigen Zinsen bremst also nicht nurdas weitere Fallen der Zinsen ab, sondern trägt schließlich

Page 206: Creutz - Das Geld-Syndrom

207

sogar zu ihrem erneuten Anstieg bei. Das heißt, diese nied-rigzinsbedingten Geldhortungen lösen zwar keinen akutenGeldmangel aus wie das früher der Fall war, aber sie ver-stärken den Druck auf einen Wiederanstieg der Zinsen.Dieser Druck wird zusätzlich noch durch das in Niedrig-zinsphasen übliche Umparken langfristiger Guthaben aufkurzfristige Einlagen verstärkt.

Man kann also zusammenfassend sagen, dass früher, zurZeit der edelmetallgebundenen Währungen, Geldhortun-gen deflationäre Entwicklungen nach sich zogen, heutejedoch Zinsauftriebe und das Entstehen von Inflationspo-tentialen. Allerdings wirken sich diese entstehenden Infla-tionspotentiale – nach Untersuchungen der DeutschenBundesbank wie der Schweizerischen Nationalbank – erstmit einer Zeitverzögerung von etwa zwei Jahren aus. DieDeflationsfolgen bei den Hortungen in Edelmetall-Wäh-rungen folgten wesentlich rascher.

Lassen sich diese Geldhaltungsschwankungenauch langfristig nachweisen?

In der Darstellung 26 sind im oberen Teil die Schwankun-gen der liquiden Geldhaltungen in Deutschland ab 1960wiedergegeben, gemessen in Prozenten des Sozialprodukts.In welchem Maß diese Geldhaltungen durch Veränderun-gen der Inflations- und Zinssatzhöhen beeinflusst wurden,zeigt der Vergleich mit den Zins- und Inflationsschwankun-gen im unteren Teil der Darstellung: Steigen deren Sätzean, werden die liquiden Geldhaltungen abgebaut; fallen dieSätze, nehmen die Geldhaltungen zu.

Das wird besonders deutlich bei der bereits beschriebe-nen extremen Zunahme der Geldhaltungen in der zweitenHälfte der 80er Jahre, der ein ebenso extremes Absinken

Page 207: Creutz - Das Geld-Syndrom

208

Darstellung 26:

der Zins- und vor allem der Inflationssätze gegenüber-stand. Wie erkennbar, treffen diese Gegenläufigkeitennicht nur auf das Bargeld zu, sondern ebenso auf die

Page 208: Creutz - Das Geld-Syndrom

209

›Geldmenge M1‹ (Bargeld plus gesamte Sichteinlagen)sowie die in Deutschland bis 1987 als Steuerungsgrößebenutzte ›Zentralbankgeldmenge‹, die zur Hälfte aus Bar-geld bestand.

Wie die ›Parallelität‹ von Bargeld und M1 zeigt, werdendie verstärkten Bargeldhaltungen nicht zu Lasten derSichteinlagen aufgestockt, sondern vielmehr beide gemein-sam zu Lasten längerfristiger Guthaben.

Die von der Deutschen Bundesbank als Begründung fürden überproportionalen Anstieg der Geldmenge herange-zogenen Hinweise auf die 1988 eingeführte Quellenbe-steuerung der Geldvermögen wie die zunehmenden krimi-nellen Geldhaltungen, mögen die Entwicklungen verstärkthaben. Sie können aber keinesfalls als Erklärung für diesich wiederholenden gegenläufigen Schwankungen zwi-schen Zinshöhe und liquider Geldhaltung herangezogenwerden. Denn die kriminellen Geldhaltungen unterliegenbekanntlich einem laufenden Anstieg und keinesfallseinem solchen, der den Schwankungen der Zinshöhenfolgt. Im Übrigen bestätigt auch die Schweizerische Natio-nalbank in ihrem Jahresbericht 1990 die Zusammenhängezwischen Zinshöhe und Geldhaltung, und zwar bezogen aufdie Auswirkungen der Zinssatzanstiege ab 1988/89 und dieHaltungen der großen Noten:

»Der Notenumlauf ging im Jahresdurchschnitt 1990gegenüber dem Vorjahr um 2,1 Prozent zurück. DieAbnahme ist auf die gestiegenen Zinssätze zurückzu-führen, welche den Anreiz erhöhten, Barbeständeabzubauen und zinstragend anzulegen. Weil dieseUmlagerungen der Entwicklung der kurzfristigenZinssätze verzögert folgen, ist der beträchtliche No-tenrückgang im Jahre 1990 Teil einer Spätfolge derZinserhöhung im Vorjahr. Wie üblich konzentrierte

Page 209: Creutz - Das Geld-Syndrom

210

sich die Zinswirkung auf die großen Notenabschnittevon 500 und 1000 Franken, deren Umlauf um 4,4 Pro-zent abnahm, während die kleineren Abschnitte nocheinen Zuwachs um 1,5 Prozent verzeichneten.«

Auch diese Aussage zeigt noch einmal, dass die Notenban-ken die Geldversorgung und Geldmengensteuerung heutegar nicht optimal regeln können. Sowohl die Nachfragenach Geld wie die Nichtnachfrage wird letztlich von denMarktteilnehmern bestimmt. Dabei ist das Hauptproblem,dass die Marktteilnehmer nicht nur darüber entscheiden,wofür sie das von ihnen nachgefragte Geld ausgeben, son-dern ob sie es überhaupt ausgeben! Vor allem die ständigenSchwankungen dieser Hortungsgrößen gestatten keinewirksame Steuerung der Geldmenge. Die Geldhortungenwerden darum so lange ein Problem sein, und das mitzunehmender Brisanz, wie man die geldrechtlichen undumlauftechnischen Voraussetzungen nicht ändert.

Page 210: Creutz - Das Geld-Syndrom

211

10. Kapitel

Das Dilemma der Geldmengen-Steuerung und des Geldumlaufs

»Ich möchte bekennen, dass mich diepraktischen Ergebnisse der Geld-mengensteuerung sehr enttäuschthaben . . .In der Theorie besteht weiterEinigkeit darüber, dass die Geldmen-ge allein noch nicht alles besagt, son-dern es sehr auch auf die jeweiligeUmlaufgeschwindigkeit des Geldesankommt. Diese entzieht sich aberbisher einer genauen Berechnung.Bei der Berechnung der zulässigenGeldmengenvermehrung wird dieUmlaufgeschwindigkeit . . . mehr oderweniger geschätzt. Es fehlt also in derPraxis letztlich an einer exaktenGeldmengenberechnung.«Karl Klasen*

* ehemaliger Präsident der Bundesbank, »Die Welt« vom 3. 10. 1983

Warum ist der Geldumlauf so wichtig?

Sinn und Ziel der Geldmengensteuerung ist das Gleichge-wicht zwischen dem Leistungsangebot in der Wirtschaftund der nachfragenden Geldmenge. Steuern kann manaber bekanntlich nur etwas, das sich bewegt. Das gilt nichtnur für Schiffe oder Fahrzeuge, sondern auch beim Geld.

Page 211: Creutz - Das Geld-Syndrom

212

Das heißt: Will man die Nachfragekapazität über die Geld-menge steuern, muss man sich ihrer Bewegung sichersein.

Trotz dieser logisch-plausiblen Beziehungen kommendie Notenbanken mit der Steuerung der Geldmenge unddamit der Stabilerhaltung unserer Währungen immer nochnicht zurecht. Aber das ist leider noch nicht alles. Auch inder Frage, was eigentlich zu der zu steuernden ›richtigenGeldmenge‹ gehört, sind sich die Verantwortlichen nichteinig. Das klingt unglaublich, wird aber von ihnen selbstbestätigt. So z. B. von der Deutschen Bundesbank imMonatsbericht 1/92:

»Da Geld nicht eindeutig und einheitlich definiert ist,gibt es analog dazu auch verschiedene Abgrenzungenfür die Geldmenge.«

Auch bei der zuständigen Wirtschaftswissenschaft ist keinRat in dieser Frage zu holen. So kann man in einem der ver-breitetsten Lehrbücher, der »Volkswirtschaftslehre« desbekannten US-Ökonomen Paul A. Samuelson, lesen:

»Der Versuch, die Geldmenge zu definieren, treibtakribische Experten an den Rand der Verzweiflung.Denn es gibt keine klare Trennungslinie im Kaleido-skop der Anlagen, die es ermöglichen würde, genauden Punkt festzulegen, an dem sich Geld von anderenAnlagen scheidet.«

Dabei wäre eigentlich alles so einfach: Um die ›richtige‹Geldmenge einzukreisen, brauchte man nur zu untersu-chen, was in der Praxis nachfragewirksam ist. Und um denUmlauf zu verstetigen, brauchte man nur den spekulativenEntzug und Missbrauch des Geldes zu unterbinden. Denn

Page 212: Creutz - Das Geld-Syndrom

213

erst wenn der Geldumlauf verstetigt ist, kann über Geld-mengen-Veränderungen die Nachfrage mit dem Angebotin Übereinstimmung gebracht und die Kaufkraft des Gel-des stabilisiert werden. Ist diese Kaufkraftstabilitäterreicht, ist zwangsläufig auch die Geldmenge ›richtig‹,gleichgültig wie groß sie jeweils ist. Man braucht dann nurnoch den Preisindex zu beobachten und auf dessenSchwankungen mit entsprechenden Mengenkorrekturenzu reagieren. Dazu ein Beispiel:

Wenn ein Autofahrer die Aufgabe hat, die Geschwindig-keit eines Wagens stabil zu halten, dann braucht er sichüber die dafür erforderliche Treibstoffmenge kaum Gedan-ken zu machen, sondern lediglich den Tachostand zu beob-achten: Sinkt die Tachonadel unter die einzuhaltende Mar-ke, dann führt er dem Motor mehr Treibstoff zu. Schlägt dieTachonadel nach oben aus, drosselt er die Zufuhr. Hält erden vorgegebenen Tachostand ein, dann ist die zugeführteTreibstoffmenge automatisch optimal dosiert. Vorausset-zung dafür aber ist selbstverständlich, dass die Treibstoffzu-fuhr bzw. -reduzierung immer im vollen Umfang wirksamwird. Denn unmöglich wäre für den Fahrer die Einhaltungeiner konstanten Geschwindigkeit, wenn ein Dritter diejeweiligen Entscheidungen des Fahrers über Entzug oderZuführung des Treibstoffs konterkarieren könnte.

Genau hier liegt das Problem bei den heutigen Bemü-hungen der Notenbanken: Sie wissen zwar, wie viel ›Treib-stoff‹ – sprich Bargeld – sie jeweils der Wirtschaft zugeführthaben, aber nicht, ob und in welchem Umfang diese Zufüh-rungen bzw. deren Veränderungen wirksam sind oder wer-den. Kurz: Weil die Notenbanken nichts Genaues über denGeldumlauf wissen, tappen sie mit ihren Mengenregulie-rungen im Dunkeln.

Page 213: Creutz - Das Geld-Syndrom

214

Wie praktizieren die Notenbanken ihre Geld-mengenregulierungen?

Um sich selbst für die Mengenregulierungen einen An-haltspunkt zu geben, haben die meisten Notenbanken inden 70er Jahren damit begonnen, die für das nachfolgendeJahr erwartete bzw. erwünschte Geldmengenausweitung imVoraus festzusetzen. Diese geplante Ausweitungsrate wur-de dann der Öffentlichkeit bekannt gegeben, in der stillenHoffnung, dass sich der Wirtschaftsteilnehmer, vor allemdie Tarifpartner, daran orientieren. Da man sich jedoch– wie bereits erwähnt – über ›die Geldmenge‹ nicht imKlaren ist, hat fast jedes Land mit einem anderen Geldmen-gen-Aggregat diese Steuerung versucht. In dem bereitsangeführten Lehrbuch von Paul A. Samuelson liest sich dasso:

»Die genaue Definition ›der Geldmenge‹ ist ebensoeine Frage des Geschmacks wie der wissenschaftlichenNotwendigkeit. Neben M1 und M2 haben die Ökono-men mehr als ein Dutzend Geldmengenkonzepte defi-niert: M3, M1a, M1b, L . . .!«

Aus diesem Wirrwarr von ›Geldmengen‹ suchten sichdann die einzelnen Notenbanken die ihnen genehmsteGröße aus. Die Deutsche Bundesbank, die Ende 1974 alserste Notenbank eine solche Mengenvorgabe einführte,hatte dafür sogar noch eine weitere, eigene ›Geldmenge‹kreiert, nämlich die so genannte ›Zentralbankgeldmenge‹(ZBGM). Diese bestand etwa zur Hälfte aus dem ›umlau-fenden‹ Bargeld, zur anderen Hälfte aus den eingefrore-nen Mindestreserven, die damals – bezogen auf Sicht-,Termin- und Sparguthaben – von den Geschäftsbankenbei der Bundesbank gehalten werden mussten. Andere

Page 214: Creutz - Das Geld-Syndrom

215

Notenbanken, vor allem im angelsächsischen Raum, orien-tierten sich an der von Samuelson genannten GeldmengeM1. Diese ›Geldmenge‹ setzt sich zusammen aus der Bar-geldmenge und den Sichtguthaben der ›Nichtbanken‹, alsoder Wirtschaftsteilnehmer außerhalb des Bankenappara-tes. Obwohl über die Größe dieser Sichtguthaben nicht dieNotenbanken bestimmen, sondern die Wirtschaftsteilneh-mer mit ihren Zahlungsgewohnheiten, ist diese Mischgrößenoch halbwegs logisch. Denn immerhin werden die Sicht-guthaben, neben dem Bargeld bzw. an seiner Stelle, zurNachfrage in der Wirtschaft benutzt. Inzwischen aber sinddie Notenbanken in fast allen angelsächsischen Ländernvon den Versuchen abgekommen, die Kaufkraftstabilitätüber Mengenvorgaben in den Griff zu bekommen. Viel-mehr versuchen sie sich direkt an der Inflationsrate zu ori-entieren.

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat, neben derHeranziehung diverser anderer statistischer Merkmale, dieso genannte Geldmenge M3 als Hauptorientierungsgrößeauserkoren, die auch von der Deutschen Bundesbank inden letzten zehn Jahren benutzt wurde. Allerdings bezeich-net die EZB diese Menge nicht als Orientierungs- sondernals Referenzgröße. Außerdem stützt sie sich bei ihren Men-gensteuerungen auf diese Größe nur als ›zweite Säule‹,während die andere die Beobachtung der Inflationsent-wicklung ist.

Die Zusammensetzung der Referenzgröße M3 wurdebereits im 4. Kapitel in der Darstellung 9 wiedergegeben.An den Bestandteilen und Größen lassen sich die unter-schiedlichen Auffassungen über ›Geld‹ ebenso ablesen, wiedie Tendenz, die Bargeldmenge – für die die Notenbankenallein verantwortlich sind und die sie auch alleine direktbeeinflussen können – in einem immer größeren Wust vonGuthaben untergehen zu lassen. So lag Ende 1999 z. B. die

Page 215: Creutz - Das Geld-Syndrom

216

umlaufende Bargeldmenge bei 350 Mrd. Euro, der Gutha-benbestand in M3 jedoch bei 4 430 Mrd. Euro und damitfast beim 13fachen. Bei diesen Guthabenbeständen handeltes sich jedoch nicht um Geld, sondern um die Bestätigun-gen, dass man sein Geld – und damit seine Nachfragerechtean den Markt – anderen überlassen hat. Der Geldüberlas-ser und Besitzer des Guthabens kann über diese Nachfra-gerechte selbst erst wieder nach Abhebung des Guthabensverfügen. Damit aber entzieht er in gleicher Höhe der Bankdie Möglichkeit zur Kreditvergabe und Weiterüberlassungder Kaufkraft an einen Dritten.

Weder durch die Ersparnis- und Guthabenbildung nochdurch deren Auflösung wird also die Kaufkraft und damitdie kauffähige Geldmenge in der Wirtschaft verändert.Sieht man von den als Zahlungsmittel benutzten Sichtgut-haben ab, so ist also die Addition der Bargeldmenge mitweiteren Guthabenbeständen als ›Geldmenge‹ sachlichhöchst fragwürdig und irreführend. Ebenso sind auch dieBegriffsdefinitionen mehr als willkürlich, bei denen man dieden Banken bis zu zwei Jahren überlassene Kaufkraft als›Geld‹ bezeichnet, längere Überlassungen als ›Kapital‹.

Wie sieht das Ergebnis dieser Stabilitätsbe-mühungen aus?

Die Deutsche Bundesbank hatte schon mit ihrer erstenGeldmengenkreation im Jahr 1975, der Zentralbankgeld-menge, wenig gute Erfahrungen gemacht, vor allem weildiese zur Hälfte aus Bargeld bestand, dessen oft extremeSchwankungen die Zielvorstellungen über den Haufenwarfen. Statt jedoch den Ursachen dieser Schwankungennachzugehen und diese einzuschränken, stieg die DeutscheNotenbank 1988 von der Zentralbankgeldmenge auf die

Page 216: Creutz - Das Geld-Syndrom

217

Darstellung 27:

rund fünfmal größere Geldmenge M3 um, in der die Unru-he stiftende Bargeldmenge von der Hälfte auf ein Zehntelzusammenschmolz. Dabei war diese Geldmenge M3 alsOrientierungsgröße für die Steuerung des Nachfragepoten-

Page 217: Creutz - Das Geld-Syndrom

218

tials noch weniger geeignet als die vorher benutzte Zentral-bankgeldmenge. Einmal wegen ihrer übergroßen Gutha-benbestandteile, zum anderen wegen ihrer langfristigenÜberentwicklung, gemessen an der volkswirtschaftlichenLeistung. Denn in Deutschland stieg die Geldmenge M3 inder Zeit von 1950 bis 2000 von etwa 25 auf rund 60 Prozentdes Sozialprodukts an, während sich das Bargeld, schwan-kend zwischen sechs und acht Prozent, weitgehend imGleichschritt mit der Wirtschaftsleistung entwickelte. Diesgeht aus der Darstellung 27 deutlich hervor.

Selbst die Geldmenge M1, also die Summe von Bargeldund Sichtguthaben und damit das Nachfragepotential inder Wirtschaft, blieb bis 1985 relativ konstant, schwankendin einem Bereich zwischen 17 und 19 Prozent des BSP. DieGeldmenge M3 wächst jedoch nicht nur langfristig über-proportional, sondern aufgrund der laufenden Ersparnis-bildungen auch weitgehend unabhängig vom Sozialpro-dukt und der von den Notenbanken herausgegebenen Bar-geld- bzw. Zentralbankgeldmenge. Das heißt, innerhalb derGeldmenge M3 kommt es zu deutlichen Größenverände-rungen, ohne dass diese auf die Nachfrage in der Wirtschafteinen nachweisbaren Einfluss haben. Die Deutsche Bun-desbank war darum auch immer häufiger gezwungen, dienoch größeren Ausreißer dieses neugewählten Aggregateszu erklären, machmal mit sich widersprechenden Begrün-dungen. In welchem Ausmaß die Geldmengen jeweils ausdem Ruder liefen, zeigt die Darstellung 28 mit den beidenVierjahresergebnissen.

Die EZB hat zwar die Geldmenge M3 als Orientie-rungsgröße übernommen, misst ihr jedoch weniger Bedeu-tung zu, da sie sich bei ihren Geldmengen-Steuerungs-versuchen auch an anderen Größen und Entwicklungenorientiert. Doch gleichgültig welche Aggregate und Me-thoden zur Geldmengensteuerung man wählt: Allen die-

Page 218: Creutz - Das Geld-Syndrom

219

Darstellung 28:

Page 219: Creutz - Das Geld-Syndrom

220

sen Bemühungen kann kaum Erfolg beschieden sein, solan-ge der Geldumlauf weiterhin eine variable Zufallsgrößeist.

Was ist das größte Dilemma der Notenbanken?

Erinnern wir uns an den Autofahrer: Wenn er sich nicht mitBerechnungen der Benzinmengen belastet, sondern ein-fach mit dem Gaspedal auf die Tachonadel reagiert, kann erdie gewünschte Geschwindigkeit präzise einhalten. Dasallerdings nur dann, wenn niemand ihm dabei ins Hand-werk pfuschen und auf die Benzinzuführung Einfluss neh-men kann.

Als Autofahrer braucht man sich über solche ›Einmi-schungen Dritter‹ keine Gedanken zu machen. Anders istdas aber bei den Notenbanken und der Geldmenge: ImGegensatz zu dem Autofahrer sind die Notenbanken nochnicht einmal in der Lage, dem ›Motor Wirtschaft‹ Treibstoffzuzuführen, wenn sie das für erforderlich halten. Sie kön-nen lediglich versuchen, den Marktteilnehmern die Nach-frage danach durch günstigere Zinskonditionen schmack-hafter zu machen. Aber selbst wenn das gelingt, wissen sieimmer noch nicht, ob das abgerufene Geld nun Konjunkturund Kaufkraft stabilisierend in die Nachfrage oder in spe-kulative Anlagen oder Hortungen fließt! Dieses Dilemmahat die renommierte »Frankfurter Allgemeine Zeitung«am 4. 12. 1993 wie folgt beschrieben:

»Ihr Ziel, die Sicherung des Geldwertes, kann die Deut-sche Bundesbank nur auf Umwegen angehen: Mit demZins steuert sie die Geldmenge und erwartet dann, dasssich aus dem verfügbaren Geld ein Kaufverhalten ergibt,das seinerseits zu einer Nachfrage nach Gütern wird, die

Page 220: Creutz - Das Geld-Syndrom

221

wiederum sich im Gleichklang mit den realen Ange-botsmöglichkeiten der Volkswirtschaft entwickelt.«

Und weiter heißt es zu dieser Steuerung um drei Ecken:

»Ob die Steuerung der Geldmenge nach Maßgabe desmöglichen Güterangebotes gelingt, hängt entschei-dend von einer Bedingung ab: der Stabilität derUmlaufgeschwindigkeit des Geldes.«

Können die Notenbanken die Geldmenge be-grenzen?

Dass die Notenbanken Geldmenge und Nachfrage nichtnach ihren Vorstellungen ausweiten können, wurde darge-legt. Sie sind aber auch nicht ohne weiteres in der Lage, eineübermäßige Ausweitung der Geldmenge zu verhindern.Konkret: Sie müssen – wie bereits im 8. Kapitel beschrieben– auch dann noch Neugeld nachdrucken, wenn diese Ver-mehrungen weit über die wirtschaftlichen Notwendigkei-ten und sogar ihre selbst gesetzten Ziele hinausgehen. Dasheißt, sie setzen selbst dann noch Mehrgeld in Umlauf,wenn sie wissen, dass dies in etwa zwei Jahren zu einemneuen Inflationsschub führen wird! Warum aber tun siedas? – Die Antwort ist einfach: Würden die Notenbankendie Unterfütterung einer überhöhten Bargeldnachfragemit neuem Geld verweigern, dann müssten die Banken vorihren Geld nachfragenden Kunden die Schalter schließen.Das aber würde zu panikartigen Geldabhebungen auchjener Sparer führen, die gar kein Geld benötigen. Zu wel-chen Folgen ein solcher Ansturm auf die Banken führenmuss, haben wir im letzten Jahrhundert zur Genüge erlebt.Wie gesagt, niemand kann sich vorstellen, dass der Kons-

Page 221: Creutz - Das Geld-Syndrom

222

trukteur eines Motorwagens Dritten die Möglichkeit ein-räumen würde, an dem Fahrer vorbei in die Regelung derKraftstoffzufuhr und damit der Geschwindigkeit einzugrei-fen. Die Verantwortlichen für unser Geld, die Notenban-ken, bezeichnen diese Eingriffe jedoch geradezu als ein zuverteidigendes Stück persönlicher Freiheit. So schrieb dieDeutsche Bundesbank auf die Frage, ob jedermann berech-tigt sei, Geld aus dem Verkehr zu ziehen:

»Die Möglichkeit, rechtmäßig erworbenes Geld demZahlungsverkehr auf gewisse Zeit zu entziehen, istAusfluss des Grundsatzes, dass der Eigentümer be-weglicher Sachen hiermit . . . nach Belieben verfahrendarf . . . Ein »Horten« von Bargeld kann somit von derBundesbank nicht verhindert werden. Es sind hier-durch aber bisher praktisch keine ernsthaften wäh-rungspolitischen Probleme entstanden, auch nicht ausder Sicht der Steuerung des Geldumlaufs.«

Und auf ein Schreiben mit der Frage nach der Einordnungdes Geldes als öffentliches oder privates Gut, antwortetedie Deutsche Bundesbank:

»Das Geldwesen, die staatlich gelenkte Ordnung derGeldwirtschaft eines Landes, erfüllt zweifelsfreiFunktionen, die allen am Wirtschaftsleben beteiligtenSubjekten zugute kommen. Eine Zuordnung desGeldwesens zu Einrichtungen, die dem Wohl derAllgemeinheit dienen, ist allerdings nicht Bestand-teil allgemeinen Sprachgebrauchs. Es bleibt Ihnenanheim gestellt, dies anzunehmen.«

Angesichts der in diesem Buch dargelegten ständigen Pro-bleme bei der Stabilerhaltung der Geldkaufkraft, kann man

Page 222: Creutz - Das Geld-Syndrom

223

über die erste Aussage nur den Kopf schütteln, nicht minderüber die Aussage, dass es in das Belieben eines Jeden gestelltist, das von den Notenbanken herausgegebene Geld alsöffentliche Einrichtung oder als beliebig verfügbares Priva-teigentum zu sehen und es entsprechend zu behandeln.

Das bittere Lehrgeld der Notenbanken

Zweifellos haben die Notenbanken im vergangenen Jahr-hundert aus ihren praktischen Erfahrungen viel gelernt.Zum Beispiel, dass man bei steigendem Preisniveau nichtdie Geldmenge vermehren darf, dass die Bindung der Geld-menge an irgendwelche Gold- oder Devisenbestände zugroßen Problemen führt, dass auch geringe Inflationsratengefährlich sind oder dass man Wechselkurse und Kaufkraftnicht gleichzeitig stabilisieren kann, usw. Leider waren dasaber alles Lernvorgänge im Nachhinein, die von den Bür-gern mit großen Opfern bezahlt werden mussten. Man den-ke nur an die Hyperinflationen dieses Jahrhunderts, welchefür die Bevölkerungen oft mit dem Verlust ihrer gesamtenErsparnisse verbunden waren, für Millionen sogar mit demihrer Existenz. Oder man erinnere sich der großen defla-tionären Rezession Anfang der 30er Jahre, die MillionenMenschen in aller Welt mit Arbeitslosigkeit und bittererNot bezahlen mussten.

»All die unglückseligen Ereignisse, die Reichtum undGlück auf der ganzen Welt so empfindlich getroffenhaben, sind den Leitern der Notenbanken anzukrei-den«,

schrieb damals kein geringerer als John Maynard Keynes.Und vielleicht muss man sogar die 50 Mio. Toten des 2. Welt-

Page 223: Creutz - Das Geld-Syndrom

224

kriegs mit auf das Konto unzulänglicher Kenntnisse derNotenbankverantwortlichen verbuchen. Denn ohne diegroße Rezession in Deutschland mit fast sieben MillionenArbeitslosen, Folge vor allem der Geldmengenreduzierungdurch die damalige Reichsbank, wäre der Welt der AufstiegHitlers höchstwahrscheinlich erspart geblieben.

Nach dem zweiten Weltkrieg und einer zweiten Enteig-nung fast aller Sparer, ging der Lernprozess im Nachhineinweiter: Festgeschriebene Wechselkurse führten jahrelangzu Ungleichgewichten und zu ungerechten Reichtums-Umverteilungen zwischen den Ländern, außerdem zuerneut auflebenden Inflationen. Auch die Gefährlichkeitdieser relativ geringen Preisauftriebe – lange Zeit von vie-len Fachleuten als Stimulanz der Wirtschaft angesehen –hat man erst begriffen, als die den Inflationen folgendenZinsauftriebe die Konjunktur mehrmals in die Knie zwan-gen.

Auch heute lassen sich die oft schrecklichen sozialen undökonomischen Folgen fehlerhafter Notenbankpolitik inaller Welt kaum auflisten. Und geht man ihnen nach, dannhängen sie in fast allen Fällen mit jener unzulänglichenGeldmengensteuerung und Umlaufsicherung zusammen,die in diesem Kapitel behandelt wurde.

Page 224: Creutz - Das Geld-Syndrom

225

11. Kapitel

Geldschöpfung und -versorgungdurch die Notenbanken

»Die Vorgänge um die Geldschöp-fung und die Zusammenhänge zwi-schen Notenbankgeld und Buchgeldsind sehr komplex und daher schwerverständlich. Darüber hinaus werdenin der Literatur sehr unglücklicheirreführende Formulierungen ver-wendet, die manche veranlassen zuglauben, dass die Hauptursache fürdie Probleme in der heutigen Formder Geldschöpfung und insbesonderein der Buchgeldschöpfung durchGeschäftsbanken liegt.«Erhard Glötzl*

* Technischer Direktor der Stadtwerke Linz, Österreich, in »Die Verwir-rungen und die vermeintliche Giralgeldschöpfung durch Geschäftsban-ken«, 2000

Erinnern wir uns: Aufgabe der Geschäftsbanken ist in ers-ter Linie die Versorgung der Wirtschaft mit Krediten. DieAufgabe der Noten- oder Zentralbanken besteht dagegenin der Versorgung der Wirtschaft mit dem für alle Vorgängenotwendigen Tauschmittel Geld.

Dieses gewissermaßen aus dem Nichts geschöpfte Geldbedarf noch nicht einmal – wie immer noch vermutet –einer Deckung durch irgendwelche Werte in den Kellernder Notenbanken. Das hat sich nicht nur bei der Ausgabe

Page 225: Creutz - Das Geld-Syndrom

226

der DM durch die Deutsche Bundesbank nach dem Zwei-ten Weltkrieg gezeigt, die sich erst später nach und nach einPolster von Gold und Devisen mit diesem selbst gedrucktenGeld einkaufte. Das beweist auch der Tatbestand, dass einenoch so hohe Deckung durch Gold nicht vor inflationärenKaufkraftverlusten schützen kann, wie wir das z. B. in derSchweiz erlebt haben. Denn seine Deckung erhält das Geldalleine durch die Güter, die man mit ihm auf den Märktenerwerben kann. Deshalb ist für die Stabilität der Kaufkraftdes Geldes auch die Abstimmung der Geldmenge auf dieWirtschaftsleistung entscheidend, ebenso aber auch diekontinuierliche und richtig dosierte Versorgung der Wirt-schaft mit Geld.

Auch die von den Notenbanken bei der Ausleihe desGeldes an die Banken geforderte Hinterlegung von Wert-papieren dient nicht – wie manche annehmen – derDeckung des Geldes. Vielmehr sind diese nur als eine ArtPfand zu sehen, mit dessen Hilfe sich die Zentralbank dasgeschöpfte und ausgeliehene Geld auch dann noch zurück-holen kann, wenn Banken nicht mehr rückzahlungsfähigsind.

Wie läuft die Geldversorgung der Wirtschaft mitGeld ab?

Wie schon im 4. Kapitel beschrieben wurde, bezogen aufdie Tätigkeit der Deutschen Bundesbank, wird die Geldver-sorgung der Wirtschaft überwiegend über eine leihweiseZurverfügungstellung an die Geschäftsbanken abgewi-ckelt. Dabei hat die Bundesbank einen oberen (Lombard)-Zins und einen unteren (Diskont-)Zins als Begrenzung desRefinanzierungsspielraums festgelegt. Zwischen diesenbeiden so genannten Leitzinssätzen gab es dann noch den

Page 226: Creutz - Das Geld-Syndrom

227

Pensionssatz für kurzfristige Ausleihungen, der – wie inDarstellung 14 im 5. Kapitel gezeigt – nach und nach zurHauptrefinanierungsquelle ausgebaut wurde. Mit diesemflexiblen Ausleihesatz konnte sich die Deutsche Bundes-bank mit ihren Reaktionen besser auf die Entwicklungenan den Märkten und deren Geldbedarf einstellen. Dieses›Abtasten‹ der Märkte erlaubte also eine präzisere Geld-mengensteuerung, als dies mit den nur ab und zu korrigier-ten beiden anderen Zinssätzen möglich war.

Die Darstellung 29 gibt diese Zinssatzkorrekturen für denZeitraum von 1984 bis 1998 für die DM wieder, danach dieersten Jahre für den Euro. Besonders deutlich zeichnet sichin dem Auf und Ab der Zinssätze die letzte Hochzinsphaseab.

Darstellung 29:

Page 227: Creutz - Das Geld-Syndrom

228

Aus dieser Darstellung lässt sich aber auch entnehmen, inwelchem Maße die stufenförmigen Veränderungen der sogenannten Leitzinsen von den Zinssätzen beeinflusst wur-den und werden, die sich laufend am Geldmarkt bilden:Immer wenn diese Geldmarktzinsen – hier der Tagessatzbzw. der mit ihm sich verändernde Pensionssatz – bei ihremAnstieg den oberen Lombardzinssatz streiften, musste dieBundesbank die Lombardzinsen anheben, um nicht vomMarkt überholt zu werden. Denn hätten die Marktzinsenden Lombardsatz überstiegen, würden die Banken ihrenGeldbedarf bei der (dann billigeren) Notenbank stillen,statt erst untereinander ihre Liquiditätsüberschüsse auszu-tauschen.

Umgekehrt musste bei fallenden Marktzinssätzen derDiskontzins mit heruntergenommen werden, um diesesSteuerungsinstrument nicht wirkungslos zu machen. Daalso der Markt die Zinsbildung der Notenbanken entschei-dend mit beeinflusst, wenn nicht sogar bestimmt, ist derAusdruck Leitzinsen inzwischen fragwürdig geworden.Auch wenn die Fachpresse dann freundlicherweiseschreibt, »der Markt habe die Zinsanhebung (oder -sen-kung) der Notenbank bereits vorweg genommen«. Mögli-cherweise war diese Beeinflussung durch die Marktzinsenein Grund für die Europäische Zentralbank (EZB), auf denBegriff ›Leitzinsen‹ zu verzichten und stattdessen denBegriff ›Refinanzierungssätze‹ einzuführen.

Die Liquiditätssteuerung durch die EZB

Betrachtet man die in der Darstellung 29 ab 1999 zum Ver-gleich eingetragene Startphase der EZB-Zuständigkeit,dann scheint sich auf den ersten Blick gegenüber der bishe-rigen Praxis nicht viel verändert zu haben. Auffallend sind

Page 228: Creutz - Das Geld-Syndrom

229

lediglich die häufigeren und in kleineren Stufungen vorge-nommenen Veränderungen der Refinanzierungssätze, vorallem im Jahr 2000. Stellt man die Abläufe jedoch einmalvergrößert dar, wie in der Darstellung 30, dann lassen sichdie Veränderungen gegenüber der Praxis der DeutschenBundesbank verdeutlichen.

Darstellung 30:

Wie aus dieser Darstellung hervorgeht, gibt es bei der EZBdrei Zinssätze. Der obere, so genannte Spitzenrefinanzie-rungssatz entspricht im Wesentlichen dem bisherigen Lom-bardsatz. Auch bei der EZB können sich zu diesem Satz dieBanken theoretisch unbegrenzt und unbefristet refinanzie-

Page 229: Creutz - Das Geld-Syndrom

230

ren, was sie aber – eben wegen der Höhe dieses Satzes – nurim äußersten Notfall tun. Der unterste Einlagensatz, deroptisch dem bisherigen Diskontsatz zu entsprechen scheint,dient jedoch nicht mehr der Refinanzierung, sondern bietetals Guthabenzins den Banken die Möglichkeit, überschüs-sige Zentralbankgeld-Liquidität über Nacht bei der EZBohne allzu große Verluste zwischenzuparken. Das eigentli-che Refinanzierungsgeschehen spielt sich also auch bei derEZB wieder in jenem Bereich zwischen diesen beiden Sät-zen ab, im Bereich des so genannten Hauptrefinanzierungs-oder Tendersatzes. Über diesen Tendersatz werden rundzwei Drittel der gesamten Zentralbankgeldmenge an dieBanken ausgeliehen, und zwar jeweils für 14 Tage. Dasübrige Drittel wird als Dreimonatsgeld ausgegeben, zueinem leicht schwankenden Zinssatz, der sich am Marktorientiert. Sein Verlauf entspricht darum auch in etwadem Verlauf des eingetragenen Einmonatssatzes an denGeldmärkten, also jenen Märkten, an denen die Bankenuntereinander ihre Zentralbankgeld-Liquiditäten austau-schen.

Was heißt Tendersatz?

Der Begriff Tender besagt, dass bei diesem Refinanzie-rungsweg von der Zentralbank etwas vorgegeben wird, andas sich die Banken mit ihren ›Bietungen‹ bzw. ihrer Nach-frage ankoppeln können. Dabei unterscheidet man zweiTenderarten, nämlich den Mengen- und den Zinstender.Beim Mengentender gibt die EZB den Zinssatz vor und diebietende Bank dann die Menge an, die sie zu diesem Zins-satz aufnehmen möchte. Beim Zinstender gibt die EZBumgekehrt die auszugebende Menge vor und die Bankenbieten den Zinssatz, zu dem sie sich an der Verteilung betei-

Page 230: Creutz - Das Geld-Syndrom

231

ligen wollen (die EZB benutzt übrigens statt Banken denBegriff ›Monetäre Finanzinstitute, MFIs‹, zu denen nebenden Kreditinstituten auch die Fonds gehören, die direktvom Publikum Geld aufnehmen).

Die EZB hat vom Start im Jahr 1999 an das Mengenten-der-Verfahren angewandt, also jeweils die Höhe des Zins-satzes festgelegt, während die Menge, die im Wesentlichenmit der fälligen Tilgung identisch war, nicht eingegrenztwurde. Allerdings heißt das nicht, dass die EZB die von denBanken geäußerten Mengenwünsche erfüllt, sondern sieorientiert sich letztlich an ihren eigenen Vorstellungen überden richtigen Umfang der Neuausgabe. Da als Folge dieserEingrenzung die Banken meist zu kurz kamen, haben sieihre Mengenforderungen zunehmend über ihren wirkli-chen Bedarf hinaus erhöht, um wenigstens hinterher einengrößeren Anteil der verteilten Summe zu erhalten. DiesesVerhalten schaukelte sich so hoch, dass im Frühjahr 2000die Banken bis zum Hundertfachen des Betrages nachfrag-ten, den die EZB selbst auszugeben bereit war.

Damit war dieses ganze Bietungsverfahren, mit dem dieEZB eigentlich den Markt noch differenzierter als bisherabtasten wollte, zu einer Farce geworden. Ende Juni 2000schaltete die EZB darum vom Zins- auf den Mengentenderum, bei dem sie das Zuteilungsvolumen bekannt gibt unddie jeweilige Bank die Zinshöhe bietet, die sie für diegenannte Menge zu zahlen bereit ist. Dabei können dieBanken mehrere Mengen mit verschiedenen Zinshöhennennen, jeweils ab einer Million Euro aufwärts. Bei derVerteilung werden sie dann, in der Reihenfolge ihrer gebo-tenen Zinsen, so lange bedient, wie der Vorrat reicht. Aller-dings legt die EZB vorher schon einen Mindestzinssatz fest,den die Banken nicht unterschreiten dürfen. Das heißt, imGrunde werden bei diesem Vergabeverfahren beide Tende-rarten kombiniert.

Page 231: Creutz - Das Geld-Syndrom

232

In Wirklichkeit sind die Verfahren, mit denen die EZBdie Geldversorgung der Wirtschaft betreibt, noch viel kom-plizierter, als hier beschrieben. So gibt es neben den bislanggenannten zweiwöchigen und dreimonatigen Kreditenauch noch Übernacht- und sogar Innertagskredite, umkurzfristige Liquiditätskalamitäten auszugleichen usw.Doch das alles detailliert zu schildern übersteigt den Rah-men dieses Buches. Es sei hier nur noch einmal daran erin-nert, dass all diese komplizierten und doch nur bedingtfunktionierenden Verteilungsverfahren letztendlich nurder Versuch sind, trotz der fehlenden Größe Geldumlaufdie Geldmenge irgendwie in den Griff zu bekommen.

Wer kann sich an den Bietungen beteiligen undwie laufen diese ab?

In den 11 Ländern, die sich bislang an der Gemeinschafts-währung Euro beteiligen, gibt es insgesamt – ohne Filialengerechnet – rund 8 000 Banken. Davon sind die größeren,nämlich rund 2 500 Institute, zu den Bietungen zugelassen,darunter 1 500 aus Deutschland. Für die kleineren Instituteist die Teilnahme an den Bietungen zu aufwändig. Sie kön-nen sich billiger bei den größeren Banken bzw. am Geld-markt refinanzieren, wo die Nachfrage nach Zentralbank-geld täglich ihren Ausgleich findet. Weil sich die Teilnahmean den Bietungen nur für größere Institute lohnt, nehmenauch von den 2 500 zugelassenen Banken nur rund 800 dar-an teil.

Insgesamt sind über diese Refinanzierungsgeschäfte derEZB rund 200 Mrd. Euro (Stand Mitte 2000) leihweise andie Banken ausgegeben worden, die wiederum laufenderneut getilgt und vergeben werden müssen. Für die zwei-wöchigen Kredite, auf die zwei Drittel der Gesamtkredite

Page 232: Creutz - Das Geld-Syndrom

233

entfallen, finden diese sich wiederholenden Vergabenjeden Donnerstag statt. Das heißt, an jedem Donnerstagwird rund ein Drittel der gesamten Zentralbank-Geldmen-ge, also rund 70 Mrd. Euro, eingezogen und erneut verteilt,jeweils mit leichten Mengenkorrekturen nach dem Ermes-sen der EZB. Von den Dreimonatskrediten, die bei etwa 60Mrd. Euro liegen, wird jeden Monat ein Drittel revolvie-rend ausgetauscht, also rund 20 Mrd. Euro. Die verbleiben-de Spitzenrefinanzierungsmöglichkeit, die keinen Eingren-zungen unterliegt, spielt größenmäßig so gut wie keine Rol-le. Die darüber aufgenommenen Mittel, die meist nur übereine Nacht oder innertags beansprucht werden, liegendeutlich unter einer Milliarde Euro.

Warum brauchen die Banken Zentralbankgeld?

Alle Vorgänge zwischen Publikum und Banken wie auchzwischen den Banken selbst, sind direkt oder indirekt aufZentralbankgeld angewiesen. Das gilt nicht nur für die Ein-zahlungen und Auszahlungen am Bankschalter und damitdie Veränderungen des Guthaben- und Kreditpotentials.Das gilt auch – was meistens nicht beachtet wird – für allebargeldlosen Transaktionen.

Wenn jemand beispielsweise von seinem Girokonto 100Euro an einen Lieferanten überweist, benötigt seine Bankdazu nicht nur den Überweisungsauftrag, sondern in Höheder überwiesenen Summe auch Zentralbankgeld. Denn dieempfangende Bank, die das Konto des Lieferanten betreut,schreibt den angewiesenen Betrag nur gut, wenn auf ihremZentralbankgeldkonto in gleicher Höhe ein Zentralbank-geldbetrag eingegangen ist.

Die Banken benötigen also für ihre laufenden Geschäftenicht nur einen bestimmten Bestand an Zentralbankgeld in

Page 233: Creutz - Das Geld-Syndrom

234

barer Form, sondern auch – für die Überweisungszwecke –in Form eines Zentralbankguthabens. So wie jeder Wirt-schaftsteilnehmer normalerweise ein Girokonto als Pufferfür seine laufenden Zahlungen oder Abhebungen unter-hält, so auch die Banken für ihre laufenden Geschäfte. Undso wie jeder Wirtschaftsteilnehmer sein Verrechnungskon-to nur mit Bargeld oder einem Kredit auffüllen kann (oderdurch Übertragungen von anderen Konten oder Guthaben,die irgendwann einmal mit Bargeld aufgefüllt wurden), sokönnen auch die Banken ihre Verrechnungsguthaben nurmit Bargeld oder Zentralbankgeld auffüllen.

Ähnlich wie bei den Verrechnungskonten des Publi-kums, schwanken auch die Bestände auf den Verrech-nungskonten der Banken. Allerdings gibt es hier keineautomatischen Überziehungskredite, sondern die Bankenmüssen notfalls ihre Liquidität am Geldmarkt auffüllen.Andererseits aber sind sie auch bemüht, ihre Zentralbank-geldguthaben möglichst niedrig zu halten, um Kreditzinseneinzusparen.

Die von den Banken gehaltenen Puffer in Zentralbank-geld dienen also vor allem dazu, die täglichen Zu- undAbgänge an Überweisungen durchzuführen bzw. auszu-gleichen. Dabei können die Banken diese Zu- und Abgän-ge nach dem so genannten Nettoverfahren abends so mit-einander verrechnen, dass sie nur die Salden mit Zentral-bankgeld ausgleichen. Oder sie können, nach dem Brutto-verfahren, jede einzelne Überweisung direkt mit Zentral-bankgeld begleiten. Letzteres geschieht vor allem im Groß-zahlungsverkehr, also bei den Endabrechnungen der Bank-zentralen und Clearingstellen, die von dem System dereuropäischen Zentralbanken vor allem für die länderüber-greifenden Vorgänge eingerichtet sind.

Page 234: Creutz - Das Geld-Syndrom

235

Wie kommt es zu Übernacht- und Innertags-krediten?

Banken, bei denen die Abgänge im Tagesverlauf die Ein-gänge so übersteigen, dass ihr Puffer an Zentralbankgeldnicht mehr ausreicht, müssen umgehend bzw. spätestensvor Bankenschluss diese Lücke schließen. Ansonsten ris-kieren sie die Zurück-Überweisung ihrer getätigten Ge-schäfte bzw. sogar die Zahlungsunfähigkeit. Diese erforder-liche Lückenschließung ist über den Geldmarkt möglich, andem andere Banken oder Fonds ihre überschüssigen Zen-tralbankgeldbestände anbieten. Schafft eine Bank dieseLückenschließung nicht rechtzeitig, hat sie als letzte Ret-tung bis 18 Uhr die Möglichkeit, dies durch eine Refinan-zierung bei der EZB zu tun. Im Hinblick auf die relativhohen Kosten dieser Spitzenrefinanzierung und der Erwar-tung, dass ihr am nächsten Tag wieder genügend Zentral-bankgeld zufließen wird, nehmen Banken diese Notkrediteim Allgemeinen nur über Nacht auf. In besonders dringen-den Fällen können die Banken ihre Zahlungsfähigkeit aberauch tagsüber für einige Stunden durch eine Refinanzie-rung bei der EZB absichern, vor allem wenn sie erwartenkönnen, in kurzer Zeit über zugehende Gelder zu verfü-gen.

Umgekehrt können Banken evtl. Überschüsse an Zen-tralbankgeld, die sie auf dem Geldmarkt bis Bankenschlussnicht los geworden sind, bei der EZB als Einlage überNacht verzinst zwischenparken.

Page 235: Creutz - Das Geld-Syndrom

236

12. Kapitel

Die ›Geldschöpfung‹ durch dieGeschäftsbanken

»Es kann an sich kaum bezweifeltwerden, dass das Bankensystem ins-gesamt keine größere Geldmengeschaffen kann, als mit der von derZentralbank geschaffenen Zentral-bankgeldmenge vereinbar ist.«Deutsche Bundesbank, Juli 1971

Mit dieser fast schon sibyllinischen Aussage zieht sich dieDeutsche Bundesbank gewissermaßen aus der Schlinge.Denn würde sie die Geldschöpfungsmöglichkeit der Ban-ken bejahen, wäre ihr Geldschöpfungsmonopol dahin undalle Geldmengensteuerungs-Bemühungen letztlich sinnlos.Würde sie jedoch die Geldschöpfungsmöglichkeit derBanken klar bestreiten, käme sie mit der herrschendenWissenschaft in Konflikt. Außerdem würde sie sich dieMöglichkeit nehmen, ggfs. die Banken als Sündenböcke beiinflationären Auswüchsen und anderen monetären Fehl-entwicklungen mit einzubeziehen.

Was ist von Theorien zu halten?

Theorien sind hilfreich und nützlich, wenn man Vorgängein der Wirklichkeit nicht überprüfen oder Abläufe ohne sienicht verstehen kann. Doch selbst wenn diese Möglichkei-ten gegeben sind und andere Ergebnisse zeigen, haben

Page 236: Creutz - Das Geld-Syndrom

237

Theorien oft noch ein langes Leben. Man denke nur an jenevon der Mittelpunktfunktion der Erde. Fast jahrhunderte-lang hat man versucht, diese falsche Vorstellung mit immerneuen Theorien und Berechnungen am Leben zu halten.Ähnlich scheint es bei der Theorie von der Geld- bzw. Kre-ditschöpfung durch die Banken zu sein. In aktuellen Fach-artikeln und Fachbüchern der Bankbetriebswirtschaft istdavon zwar kaum noch die Rede, in den volkswirtschaftli-chen Lehrbüchern aber wird sie immer noch ausführlichbehandelt, oft mit unterschiedlichen Erklärungen.

Manche Lehrbuchdarlegungen räumen z. B. nur jedereinzelnen Bank die Möglichkeit zur Geldschöpfung ein,andere setzen umgekehrt das Zusammenwirken mehrererBanken voraus. Die einen ziehen zur Erklärung Kreislauf-modelle heran, andere begnügen sich mit Buchungs- undBilanzmodellen. Wieder andere sehen in der Höhe derBankgewinne einen Schöpfungsbeweis oder in der Exis-tenz und Größe der Sichtguthaben. Dabei bleibt es häufigunklar, ob mit der Schöpfung nun diese Sichtguthabengemeint sind – meist als Giral-, Buch- oder Bankengeldbezeichnet – oder ob sie sich auf die Kreditgewährungenbezieht. Doch so verschieden die Aussagen und Beweisfüh-rungen auch sind, in einigen Punkten stimmen sie alle über-ein: Sie bewegen sich immer nur im theoretischen Raumund machen kaum einmal den Versuch, die vertretenenAuffassungen anhand der wirtschaftlichen Realitäten zuüberprüfen. Außerdem wird fast immer nur die Aktivseitedes Bankgeschehens betrachtet, also die Kreditvergabe,nicht aber die Passivseite, die über die Herkunft der verge-benen Kreditmittel Auskunft gibt.

Ab und zu wird die Wirkung der Geldschöpfung in denLehrbüchern auch etwas bagatellisiert. Zum Beispiel mitdem Hinweis, dass jede geschöpfte Kaufkraft irgendwannauch wieder zu einer Einlage wird, womit sich die Schöp-

Page 237: Creutz - Das Geld-Syndrom

238

fung gewissermaßen selbst abdeckt. Diese Argumentationist allerdings so wenig überzeugend wie die eines Ge-schäftsmannes, der reinen Gewissens Falschgeld produ-ziert, weil irgendwann die Kunden mit dem Falschgeld auchwieder in seinem Laden einkaufen werden.

Dass mit beiden Schöpfungen – dem Falschgeld wie denKrediten ohne Ersparnis – das Nachfragepotential unge-deckt vermehrt wird, dürfte einleuchtend sein. Denn nurKredite, die aus leistungsbezogenen Ersparnissen stam-men, sind durch reale Gegenwerte gedeckt. Wenn also dieBanken tatsächlich ohne Einlagen der Sparer Krediteschöpfen oder aus einem Dollar an Kaufkraft ein Mehrfa-ches machen würden, wäre das genauso ein Fall für denStaatsanwalt wie die Inumlaufsetzung von Falschgeld.

Wie funktioniert die ›multiple Geldschöpfung‹?

Nach den meisten Lehrbuchaussagen sind die Geldschöp-fungsmöglichkeiten der Banken im Prinzip unbegrenzt. Ein-geschränkt werden sie lediglich durch die Kassenhaltung undjene Bankreserven, die sie bei den Zentral- bzw. Notenban-ken freiwillig oder gezwungenermaßen halten. Und dieseBeziehung zwischen der Höhe der Reserven und der Geld-vermehrung wird in der Theorie von der multiplen Schöp-fung sogar mathematisch exakt vorgerechnet: Liegen dieseRücklagen insgesamt bei fünf Prozent der Einlagenbestände,dann können die Banken aus jeder getätigten Bankeinlagedas 19fache an Kredit schöpfen, bei Rücklagen von zehn Pro-zent das Neunfache und bei einer Rücklage von 20 Prozentdas Vierfache. Das Schöpfungsergebnis ergibt sich alsoimmer reziprok zur Höhe der einbehaltenen Reserven.

Diese sich wiederholenden Einlage- und Kreditgewäh-rungsmöglichkeiten, aus denen man eine Schöpfung ablei-

Page 238: Creutz - Das Geld-Syndrom

239

tet, werden in den Fachbüchern meist noch mit Darstellun-gen untermauert. Nachfolgend wird in Darstellung 31 einmalein solches schematisches Durchlaufmodell wiedergegeben,das sich an ein einfacheres aus dem Buch von Bernhard Lie-taer, »Das Geld der Zukunft«, anlehnt. Dazu heißt es erläu-ternd in dem Buch, dass »aus ursprünglich 100 MillionenZentralbankgeld 900 Millionen als ›Kreditgeld‹ entstehen«.

Darstellung 31:

Addiert man bei diesem Schema die laufend gewährtenKredite zusammen, dann kommt man bereits nach drei Sta-

Page 239: Creutz - Das Geld-Syndrom

240

tionen auf einen Betrag von 244 Millionen. Weiter fortge-setzt – in einer allerdings unendlichen Reihe mit immerkleineren Werten – kommt man rechnerisch am Ende tat-sächlich zu einer Summe von 900 Millionen und damit zueiner Verneunfachung der Ersteinlage von 100 Millio-nen.

Geht man jedoch den Vorgängen, unbelastet von derTheorie, einmal Schritt für Schritt nach, dann zeigt sich

1., dass jeder erneuten Verwendung der anfänglichen 100Millionen für Kreditzwecke jedesmal auch eine erneuteEinlage irgendeines Bankkunden vorausgegangen ist, dassalso von den Banken gar nichts geschöpft wird.

2., dass die beschriebene Kette der Kreditgewährungen undReservebildungen durch die Banken überhaupt nur möglichist, wenn und solange keiner der Einleger über sein Gutha-ben durch Abhebung oder Überweisung verfügt.

3., dass es bei dem ganzen Ablauf zu keiner wie auch immergearteten Vermehrung der im Umlauf gegebenen Geld-menge kommt, die sich auf jeder Stufe immer wieder ausden bislang gebildeten Reserven und dem zuletzt gewähr-ten Kredit auf 100 Millionen addiert.

4., dass es nicht nur zu keiner Vermehrung der Geldmengekommt, sondern – bezogen auf die aktive nachfragende –sogar zu einer ständigen Verringerung, da die gesamten 100Millionen nach und nach in den Reserven der Banken ver-schwinden.

5., dass sich durch eine wiederholte Verwendung von Geld,ob zum Kaufen, Verleihen oder Schenken, niemals dasGeld vermehrt, sondern lediglich die damit getätigten

Page 240: Creutz - Das Geld-Syndrom

241

Kauf-, Verleih- und Schenkungsvorgänge, die sich natürlichzu immer größeren Summen addieren lassen (s. umgekehr-tes Clown-Beispiel im 3. Kapitel).

Diese hier aufgelisteten Tatbestände werden besondersdeutlich, wenn man statt der Ablaufkette über Banken ein-mal eine über Geschäfte annimmt und statt der sich wieder-holenden Verleihvorgänge Verkaufsvorgänge. Auch hierkann man annehmen, dass jeder Geschäftsinhaber zehnProzent der Einnahme in die Reserve nimmt und der jewei-lige Rest – direkt oder indirekt – in einem weiteren Ladenerneut kaufend eingesetzt wird. Am Ende würde sich diegleiche Summe an Kaufvorgängen addieren lassen wiebei der ›multiplen Kreditschöpfung‹ an Kreditvorgängen.Dennoch käme wohl niemand auf die Idee, dass dabei aus100 Million Zentralbankgeld 900 Millionen Kaufgeld ent-standen sind und sich damit das Geld vermehrt hat.

Wo liegt der Denkfehler in der Theorie?

Der Fehler in dieser klassischen Geldschöpfungstheorie istdarin zu sehen, dass man die sich laufend erneut bildendenGuthaben bzw. Kreditposten mit dem eingangs eingespeis-ten Geld zusammenaddiert und aus dem Ergebnis dieserAddition eine Geld- bzw. Kreditschöpfung ableitet. Oderanders ausgedrückt: dass man die mehrfache Verwendungdes Geldes mit seiner Vermehrung gleichsetzt, also dasTransportmittel mit den Transportvorgängen. Sowenigaber wie es durch eine wiederholte Verwendung von Wag-gons für Transportzwecke zu einer Vermehrung der Wag-gons kommt, sowenig kommt es bei einer wiederholtenVerwendung von Geld für Kauf- oder Verleihzwecke zueiner Vermehrung des Geldes.

Page 241: Creutz - Das Geld-Syndrom

242

Der Denk- und Auslegungsirrtum der Geldschöpfungs-theorie ist sicher nicht zuletzt auf den Tatbestand zurückzu-führen, dass man alle Guthaben- und Kreditbeständeimmer noch als Geld ansieht. Dabei handelt es sich in Wirk-lichkeit bei diesen Beständen nur um Buchungsposten, die– wie schon mehrfach angeführt – den Umfang der Überlas-sungen von Geld und die daraus resultierenden Rückzah-lungsverpflichtungen dokumentieren, ohne dass sich dieumlaufende Geldmenge vergrößert. Deshalb sind auch alleZusammenfassungen von Geld und Guthaben als ›Geld-menge‹ so fragwürdig. Das gilt vor allem für die Additionender so genannten Geldmengen M2 und M3.

Welche Argumente für die Geldschöpfung wer-den sonst noch vorgebracht?

Als Begründung für die Existenz der Geldschöpfung wer-den häufig vor allem folgende Argumente eingebracht:

■ »Die Goldschmiede im Mittelalter haben auch bereits fürhinterlegte Goldmünzen mehrere umlauffähige Quittun-gen ausgestellt, ausgehend von der Erfahrung, dass diesenicht gleichzeitig zur Einlösung vorgelegt werden.«

Hier bleibt wieder unbeachtet, dass die Banken – wie imKapitel 11 beschrieben – nicht nur bei einer Inanspruch-nahme des Kredits durch Barabhebungen über Zentral-bankgeld verfügen müssen, sondern auch bei allen Über-weisungen. Das bestätigt auch die Aussage von WendelinHartmann, Direktoriumsmitglied der Deutschen Bundes-bank, aus dem Jahr 1994: »Die Banken untereinanderakzeptieren kein Giralgeld, sondern erwarten den Aus-gleich ihrer Geldmarktforderungen in Zentralbankgeld.«

Page 242: Creutz - Das Geld-Syndrom

243

■ »Durch die Umwandlung von Bargeld in Giralgelderhöht sich die gesamte Geldmenge, da ja das Geld jetztzweimal da ist, als Giralgeld und Bargeld.«

Hier wird übersehen, dass das bei einer Bank eingezahlteund in der Bankkasse liegende Bargeld nicht mehr zurumlaufenden und nachfragewirksamen Geldmenge gezähltwird. Erst durch die Abhebung eines anderen Bankkun-den, dessen Sichtguthaben sich damit entsprechend verrin-gert, wird dieses Bargeld wieder als Tauschmittel aktiv.Darum ist es auch völlig gleichgültig, ob man die multiplenSchöpfungsmodelle mit Bar- oder Giralgeld durchspieltoder zwischenzeitlich die Zahlungsmittelform wechselt.Denn durch die Einzahlung von Bargeld auf ein Girokonto»ändert sich die Gesamtgeldmenge nicht, da hier lediglicheine Umwandlung einer Geldart in eine andere vorgenom-men wird.« (Otmar Issing, Chefvolkswirt der EZB, in sei-nem Lehrbuch »Einführung in die Geldtheorie«).

■ »Über die Sichtguthaben können sowohl die Einlegerals auch die Banken verfügen, womit sich die Nachfra-gemöglichkeit in der Wirtschaft verdoppelt.«

Hier bleibt unbeachtet, dass die Banken nur zwischen-zeitlich über die Einlagen verfügen können, also bis dieEinleger das selbst tun. Es gibt also keine gleichzeitige Nut-zung durch zwei Beteiligte, sondern nur eine nacheinanderstattfindende. Damit aber kommt es zu keiner Ausweitungder Geldmenge, sondern nur zu einer effektiveren Nutzungbzw. Erhöhung der Einsatzhäufigkeit (Umlaufgeschwin-digkeit).

■ »Die multiple Geldschöpfung ist zwar nicht mit Bargeldmöglich, wohl aber mit Giralgeld.«

Hier wird wieder außer Acht gelassen, dass die Überwei-sungen der Kunden von ihrem Girokonto gewissermaßen

Page 243: Creutz - Das Geld-Syndrom

244

nur der Schatten der ablaufenden Vorgänge mit Zentral-bankgeld-Übertragungen sind. Konkret: Wenn die BankA in der Darstellung 31 im Auftrag ihres Kreditkunden andie Bank B 90 Millionen überweist, werden diese demEmpfänger nur dann gut geschrieben, wenn bei der BankB ein gleichhoher Betrag in Zentralbankgeld eingegangenist.

■ »Das Übersteigen der Sichtguthaben über die Bargeld-menge ist ein Beweis für die Geldschöpfung durch Ban-ken.«

In Wirklichkeit ist die Zunahme der Sichtguthaben nurein Beweis dafür, dass das Publikum aus praktischen Grün-den den unbaren Zahlungen immer mehr den Vorzug gege-ben hat, ähnlich wie einst bei der Verschiebung zwischenMünzen und Banknoten. Würden sich die Zahlungsge-wohnheiten morgen umkehren, gingen die Sichtguthaben-bestände wieder zurück und die Zentralbanken müsstenmehr Bargeld drucken. Sowenig aber bei diesem Rückgangder Giralgeldnutzung Geld vernichtet wird, sowenig ist esumgekehrt vorher entstanden.

■ »Der Dissens in der Geldschöpfungsfrage resultiert ausden unterschiedlichen Auffassungen, was als Geld gese-hen werden muss.«

In Wirklichkeit ist die Wahl des Geldbegriffs für dasanstehende Problem ohne Belang. Denn gleichgültig zuwelcher Geldmenge man die nacheinander entstehendenGuthaben zählt: Entscheidend für die Schöpfungsfrage istalleine, ob die Banken aus den Einlagen ihrer Kunden dasDoppelte oder sogar ein Mehrfaches an Kaufkraft schaffenkönnen! Im Übrigen gehören Kredite – ob geschöpft odernicht – niemals zu irgendeiner Geldmenge. Dazu zählenallenfalls die Guthaben. Dass diese aber nicht von den Ban-

Page 244: Creutz - Das Geld-Syndrom

245

ken ›geschöpft‹ werden, sondern – wenn schon einer etwasschöpft – alleine von den Einlegern, macht das Durchlauf-beispiel in der Darstellung 31 deutlich.

■ »Die Banken können durch buchhalterische Bilanzver-längerungen ihre Kreditvergabemöglichkeiten erwei-tern.«

Hier ist zuerst einmal festzuhalten, dass mit Buchungen,auch in Bilanzen, nie etwas Reales geschöpft, sondern nuretwas real Entstandenes festgehalten werden kann. Aberauch mit Krediten, die man ohne Einlagen aus dem Nichtsschöpfen würde, kann man in der Praxis nichts anfangen,denn gleichgültig ob der Kreditnehmer seine gelieheneKaufkraft abhebt oder überweist, benötigt die ausführendeBank in gleicher Höhe Zentralbankgeld.

■ »Die Schöpfung ist zwar nicht zwischen den Bankenmöglich, wohl aber innerhalb einer Bank, weil dort beieiner Überweisung innerhalb des Hauses keine Über-tragung von Zentralbankgeld erforderlich ist.«

Auch diese Vermutung geht ins Leere. Denn in diesemFall ändert sich auch nichts an den Guthabenbeständen inder Bank: Das Konto des Überweisenden vermindert sichim gleichen Umfang, wie das des Empfängers ansteigt!

Auch die heute oft herangezogenen Überschussreser-ven-Theorie hat mit Schöpfung nichts zu tun. Sie besagtlediglich, dass Überschüsse an Zentralbankgeld die Ban-ken befähigen, auch ohne Kundenersparnisse zusätzlicheKredite zu vergeben. Das aber ist eine Selbstverständlich-keit. Solange Banken noch Kreditinteressenten haben,werden sie diese Überschüsse an Zentralbankgeld also fürKredite einsetzen oder sehr schnell an andere Banken oderdie Zentralbank zurückgeben, alleine schon, um Zinseneinzusparen. Das zeigt sich auch daran, dass die Über-

Page 245: Creutz - Das Geld-Syndrom

246

schussreserven – die von der Bundesbank wie heute vonder EZB als Überschüsse über die Mindestreserven gemes-sen werden – fast bei Null liegen.

Wären diese Überschussreserven tatsächlich der Schlüs-sel für eine mehrfache Schöpfung, dann würden die Bankendiese Reserven gewiss nicht so klein halten, sondern mög-lichst ausweiten. Denn sie könnten ja über diese angeblichmöglichen Schöpfungen ein Mehrfaches jener Zinsenerwirtschaften, die sie an die Notenbank für das zusätzlicherforderliche Zentralbankgeld zahlen müssen.

Gibt es Indizien für die Geldschöpfung derBanken?

Der Fahndung nach Beweisen für die Geldschöpfung ist inder Empirie kein Erfolg beschieden. Ähnlich erfolglos istauch die Suche nach Indizien. Wohl aber sprechen vieleIndizien für das Gegenteil. So zum Beispiel der Tatbestand,dass die Industrieländer, trotz riesiger Kreditbestände,meist geringere Inflationsraten haben als Länder mit gerin-geren Banktätigkeiten. Gäbe es in den Industrienationeneine Geld- oder Kreditschöpfung durch die Banken, dannmüssten die Ergebnisse eher umgekehrt sein.

Ein weiteres Indiz gegen die Theorie ist, dass sich aus denGewinnberechnungen der Banken keinerlei Anhaltspunk-te für Schöpfungen ergeben. Denn solche Vermehrungenmüssten sich auch in den Gewinnen niederschlagen, da jadie Zinsen aus den geschöpften Krediten in vollem Umfangden Banken zugute kommen. Zieht man zur Überprüfungder Gegebenheiten die von der Deutschen Bundesbanklaufend veröffentlichten Betriebsergebnisse der gesamtendeutschen Banken heran, dann ergibt sich z. B. für das Jahr1995 folgendes Bild:

Page 246: Creutz - Das Geld-Syndrom

247

Gesamte Zinserträge: 499 Mrd. DM = 100 %− Zinsaufwendungen: 365 Mrd. DM = 73 %= Zinsüberschuss: 134 Mrd. DM = 27 %

Das heißt, die Banken haben rund drei Viertel der einge-nommenen Zinsen an die Sparer und sonstigen Geldgeberausgezahlt und ein Viertel für sich behalten. Diese Vertei-lung entspricht in etwa auch dem langfristigen Durch-schnitt. Die aus dem verbleibenden Viertel sich ergeben-den Bankgewinne berechnen sich wie folgt:

Zinsüberschuss: 134 Mrd. DM = 27 %+ Provisionsüberschuss: 27 Mrd. DM− Verwaltungskosten u. a.: 123 Mrd. DM= Überschuss vor Steuern: 38 Mrd. DM− Steuern: 19 Mrd. DM= Gewinn: 19 Mrd. DM = 4 %

Nach Steuern verblieben den deutschen Banken also –trotz zusätzlicher Provisionsüberschüsse – nur 19 Mrd. = 4Prozent der Zinserträge. Bezieht man diesen Gewinn aufdas Eigenkapital der Banken in Höhe von 317 Mrd. DM imJahr 1995, ergibt sich eine Verzinsung dieses Eigenkapitalsvor Steuern von zwölf und nach Steuern von sechs Prozent.Sicherlich ist das eine gute Quote, aber irgendwelche Bank-gewinne, die sich nur durch Schöpfungen erklären ließen,kann man daraus kaum ableiten.

Weiter spricht gegen die Schöpfungstheorie, dass selbstsignifikante Veränderungen der Bank- bzw. Mindestreser-ven, zu denen sich die Schöpfungen angeblich reziprok ent-wickeln, keine Spuren bei den Kreditgewährungen hinter-lassen. So wurde beispielsweise in der BundesrepublikDeutschland die Höhe der Mindestreserve von 1973 bis1981 halbiert und in den 90er Jahren noch einmal um zwei

Page 247: Creutz - Das Geld-Syndrom

248

Drittel gekürzt, ohne dass es zu jener Kreditexplosiongekommen wäre, von der die multiple Geldschöpfungs-theorie ausgeht. (s. Darstellung 8 im 4. Kapitel) In derSchweiz wurden diese Mindestreserven sogar vor einigenJahrzehnten völlig abgeschafft, ohne entsprechende fest-stellbare Folgen.

Ein weiteres Indiz ist, dass sich die Banken gewiss nichtso sehr um die Sparerkunden bemühen würden, wenn siederen Geld für die Kreditausweitung gar nicht brauchten.Und schließlich wäre noch zu fragen, warum sich die US-und andere Regierungen zur Schließung ihrer Defizite Kre-dite aus aller Welt zusammenholen, obwohl die nationalenBanken diese Etatlücken durch eigene Schöpfungen schlie-ßen könnten. Vor allem vor dem Hintergrund, dass dannnicht nur die Bankgewinne im Lande bleiben, sondern auchdie zu zahlenden erheblichen Zinsbeträge, die jetzt ins Aus-land fließen und die Leistungsbilanz belasten. Doch auchhier sind die Dinge letztlich ohne jeden mysteriösen Hinter-grund. Dafür soll noch einmal Otmar Issing Zeugnis geben,veröffentlicht 1995 in der »Frankfurter Allgemeinen Zei-tung«:

»Deutschland ist in den Jahren nach der Vereinigungzu einem Kapitalimporteur geworden. Zwischen denErsparnissen der Deutschen und der Nachfrage nachFinanzmitteln klafft eine Lücke, die durch ausländi-sche Kapitalgeber geschlossen werden muss.«

Die Liste der Gegenindizien ließe sich fortsetzen. So z. B.mit dem Tatbestand, dass man in den 50er Jahren inDeutschland oft Wochen oder Monate auf die Auszahlungzugesagter erststelliger Hypotheken warten musste,obwohl die Restfinanzierung stand und die Absicherungdurch Grundstück und Rohbau gegeben war. Begründung

Page 248: Creutz - Das Geld-Syndrom

249

der Banken: »Wir haben zur Zeit keine Mittel.« Konkret:Sie waren auf neue Einlagen, rücklaufende Kredite oderdie Überlassung von Überschüssen anderer Banken ange-wiesen. Heute ›schwimmen‹ die Banken eher in Geld undhaben Schwierigkeiten, seriöse Kreditnehmer zu finden.Doch auch das ist nicht die Folge von ›Geldschöpfungen‹,sondern die der Geldguthaben-Überentwicklungen, be-dingt vor allem durch den Zinseszinseffekt. Die darausresultierenden Probleme, mit denen wir uns im nachfolgen-den Buchteil eingehender befassen werden, sind völligunabhängig von der Geldschöpfungsfrage existent und ste-hen auch unabhängig davon zu einer Lösung an.

Page 249: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 250: Creutz - Das Geld-Syndrom

Teil III

Die problematischenFolgen im Geldbereich

Page 251: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 252: Creutz - Das Geld-Syndrom

253

13. Kapitel

Die Überentwicklung derSchulden

»Ein immer größerer Teil unsererArbeit wird von bestehenden Ver-pflichtungen absorbiert, denen wirnicht ausweichen können. Dieserklärt vieles, was uns bisher rätsel-haft war: Den steigenden Stress amArbeitsplatz; die Querelen in denFamilien wegen Geld . . . die um sichgreifende Umweltvernichtung.«Paul C. Martin*

* Wirtschaftsjournalist, »Zahlmeister Deutschland«, 1991

Von Überentwicklung spricht man, wenn sich etwas rascherentwickelt als normal. Wenn z. B. bei einem heranwachsen-den Menschen die Leber oder die Gliedmaßen rascherwachsen als der gesamte Organismus. Oder wenn bei einemausgewachsenen Menschen einzelne Körperteile alleineweiterwachsen. Entsprechend kann man von einer Über-entwicklung der Schulden sprechen, wenn diese rascheranwachsen als der gesamte Wirtschaftsorganismus, alsorascher als das Sozialprodukt.

Ein solches Überentwicklungsproblem machte Anfangder 80er Jahre zum ersten Mal Schlagzeilen, als einige Ent-wicklungsländer ihre Schulden nicht mehr bedienen konn-ten. Doch bei diesen damals viel diskutierten Verschuldun-gen der Entwicklungs- und Schwellenländer handelte essich nur um die sichtbar gewordene Spitze eines weltweit

Page 253: Creutz - Das Geld-Syndrom

254

eskalierenden Schulden-Eisbergs. So war allein die öffentli-che Verschuldung in der Bundesrepublik schon Mitte der80er Jahre größer als die gesamte Außenschuld Lateiname-rikas, die der USA sogar um ein Mehrfaches. Das zeigt auchdie Darstellung 32, in der die Entwicklungs- und Größen-relationen in den Jahren 1975, 1980, 1987 und 1995 mitein-ander verglichen werden.

Wie ersichtlich, nahm die Auslandsverschuldung in denEntwicklungsländern aufgrund der geringen Ausgangsgrö-ße zwar rascher zu, die gesamte Inlandsverschuldung inDeutschland aber lag 1995 fast beim Dreifachen und die inden USA beim Achtfachen.

Natürlich kann man Inlands- und Auslandsverschul-dung nicht ohne weiteres vergleichen. Während die Aus-landsverschuldung bei den Industrienationen nur eineuntergeordnete Rolle spielt, dominiert sie in den Entwick-lungsländern. Das hängt hauptsächlich mit den geringenErsparnissen und dem wenig entwickelten Bankwesenzusammen. Und die wenigen Reichen in diesen Ländernlegen ihr Geld meistens im Ausland an, allein schon we-gen der oft instabilen politischen Verhältnisse und der in-flationären Inlandswährungen. Als Folge dieser Erspar-nisverlagerungen ins Ausland gehen dem Inland auchnoch die daraus resultierenden Zinsen als Kaufkraft ver-loren. Neben den ungerechten Austauschverhältnissenliegen also in diesen monetären Transfers die hauptsächli-chen Gründe für den Zwang zur Kreditaufnahme im Aus-land.

Erschwerend kommt noch hinzu, dass all diese Transfersin harten Devisen gezahlt werden müssen, die nur durchExporte verdient werden können. Für die Normalbürgerim Land, die am Ende der Kette letztlich alle Lasten tragenmüssen, ist dieser Aspekt allerdings zweitrangig: Sie wer-den auf jeden Fall in Höhe der aufzubringenden Schulden-

Page 254: Creutz - Das Geld-Syndrom

255

zinsen ärmer, ganz gleich ob diese einem Geldgeber imInland oder im Ausland zufließen.

Darstellung 32:

Page 255: Creutz - Das Geld-Syndrom

256

Wie muss man Verschuldungen bewerten?

Schulden muss man immer an den Verdienst- und Lei-stungsgrößen des Kreditnehmers messen. Wenn ein Nor-malverdiener 50 000 Dollar oder Euro Schulden hat, danndrückt ihn das wesentlich mehr als einen Spitzenverdienermit einem gleich hohen Kredit. Genauso muss man auch dieVerschuldungen in und zwischen den Ländern an den jewei-ligen Einkommen und Leistungsfähigkeiten der Volkswirt-schaften messen. Das ist in der Darstellung 33, bezogen aufdie Gegebenheiten des Jahres 1987, geschehen.

Darstellung 33:

Für die Entwicklungsländer wurden hier die 15 höchstver-schuldeten Volkswirtschaften herangezogen und derenAuslandsschuld mit dem Sozialprodukt verglichen. Bei derBRD und den USA steht jeweils die gesamte Inlandsschuld

Page 256: Creutz - Das Geld-Syndrom

257

der Wirtschaftsleistung gegenüber. Wie aus der Grafikersichtlich, lagen die Auslandsschulden der Entwicklungs-länder mit 46 Prozent knapp unter der Hälfte ihres Sozial-produkts.

Aufschlussreich ist auch die Umrechnung der jeweiligenSchuldengrößen auf die betroffene Bevölkerung. Danachergab sich z. B. 1987 für die Entwicklungs- und Schwellen-länder ein Pro-Kopf-Anteil an Auslandsschulden von etwa350 Dollar, während jeder Bundesbürger damals schonmit 36 000 Dollar und jeder US-Bürger mit rund 45 000Dollar Inlandsschulden belastet war. Zieht man neuereZahlen heran, dann ergab sich für 1995 in den Entwick-lungsländern ein Pro-Kopf-Anteil von etwa 640 Dollar, inDeutschland von 58 000 und in den USA von 90 000 Dol-lar.

Wer sind die Schuldenmacher in den Industrie-nationen?

Im Allgemeinen unterscheidet man in den Statistiken dreiWirtschaftssektoren, nämlich die privaten Haushalte, dieUnternehmen und den Staat. Auf diese Sektoren bezogenwerden meist auch alle Einkommen, Ausgaben, Vermögenusw. ermittelt und ausgewiesen, ebenso die Verschuldun-gen. Wie sich die Gesamtschulden auf die genannten Sekto-ren verteilen und im Laufe der Zeit entwickelt haben, gehtam Beispiel Deutschland aus der Tabelle I hervor. In ihrwird außerdem ein Vergleich gezogen mit der Entwicklungdes Sozialprodukts.

Page 257: Creutz - Das Geld-Syndrom

258

Tabelle I:Entwicklung und Verteilung der Verschuldung in Deutsch-land von 1950 bis 2000, nominelle Größen in Mrd. DM

1950 1960 1970 1980 1990 1998 Anstieg

private Haushalte:1 9 33 141 271 417 × 417

Produktionsunternehmen:39 168 468 1 124 2 003 5 173 × 133

Wohnungswirtschaft:5 71 222 599 1 013 1 925 × 385

öffentliche Haushalte:21 53 124 483 1 057 2 394 × 114

Gesamtverschuldung:66 301 847 2 348 4 344 9 902 × 150

BSP zum Vergleich:105 303 676 1 485 2 426 3 649 × 23

Die am Ende der Zeilen ausgewiesenen Anstiegsfaktorenmachen nicht nur die erheblichen Größen- und Entwick-lungsunterschiede in den einzelnen Schuldensektorendeutlich, sondern vor allem auch die Überentwicklung derGesamtschulden gemessen an der Wirtschaftsleistung. Solag 1998 die Gesamtverschuldung der deutschen Volkswirt-schaft bei 270 Prozent des BSP. In den USA hatte sie im glei-chen Jahr bereits die Grenze von 300 Prozent überschrit-ten.

Natürlich ist es etwas fragwürdig, eine sich ansammelndeBestandsgröße wie die Schulden mit der sich jährlicherneuernden Flussgröße des Sozialprodukts zu verglei-chen. Wenn man jedoch bedenkt, dass aus diesem Sozial-produkt die überproportional wachsenden Schulden jedes

Page 258: Creutz - Das Geld-Syndrom

259

Darstellung 34:

Page 259: Creutz - Das Geld-Syndrom

260

Jahr mit Zinsen bedient werden müssen, dann wird die engeBeziehung zwischen der Schulden- und der Leistungsgrößeerkennbar.

Die aus der Tabelle hervorgehende Überentwicklungder Gesamt- und Einzelschulden gegenüber der Wirt-schaftsleistung wird in der Darstellung 34 noch einmal gra-fisch umgesetzt, und zwar jeweils in Fünfjahresabständenund in Prozenten des BSP.

Während die Gesamtverschuldung in Deutschland 1950noch bei 63 Prozent des BSP lag und 1975 fast 140 Prozenterreichte, wird sie Ende 2000 etwa bei 275 Prozent der Wirt-schaftsleistung liegen. Aus den Sektorenmarkierungen lässtsich entnehmen, dass die Staatsverschuldung anfangs eherrückläufig war und die Zunahme erst ab 1970 einsetzte.

Bezogen wiederum auf die gesamte Schuldenmasse, liegtder Staatsanteil im Jahr 2000 mit etwa 24 Prozent sogaretwas niedriger als im Schnitt der letzten Jahre. Da die pri-vaten Konsumentenschulden mit vier Prozent kaum zuBuche schlagen, liegt das Gros der Schulden auf demUnternehmenssektor, in den allerdings auch die privatenBaukredite einbezogen sind.

Leichter nachvollziehbar wird die gesamte Schuldenpro-blematik, wenn man ihre Relationen einmal auf eine einzel-ne Person bezieht. Nehmen wir dazu an, dass ein Normal-bürger 1950 Privatschulden in Höhe seines Jahreseinkom-mens hatte. Nehmen wir weiter an, dass sein Einkommenseitdem jedes Jahr um vier Prozent zugenommen hat, seineVerschuldung jedoch um sieben Prozent. Unter diesenBedingungen ist sein Jahreseinkommen in 50 Jahren auf dasrund Siebenfache angestiegen, seine Verschuldung jedochauf das 29fache. Das heißt, die Verschuldung nimmt in dergesamten Zeit viermal so rasch zu wie sein Einkommen.Die Folge ist, dass dieser Normalbürger auch laufend über-proportional steigende Zinsen tragen muss. Wenn er z. B.

Page 260: Creutz - Das Geld-Syndrom

261

bei einem Zinssatz von sechs Prozent im ersten Jahr ebensoviel Prozente seines Einkommens für die Bedienung seinerSchulden abzweigen musste, sind es nach 50 Jahren schon24 Prozent, also ein Viertel seiner Einnahmen.

Es bedarf keiner Erklärung, dass eine solche Auseinan-derentwicklung zwischen Einkommen und Schulden aufDauer untragbar wird. Denn rechnerisch ist es nur eineFrage der Zeit, bis der Betroffene nur noch für die Schul-denzinsen arbeiten muss. Da er nicht von der Luft lebenund schließlich alles Einkommen abgeben kann, brichtdiese Auseinanderentwicklung bereits lange vorher zusam-men.

Hat dieses Einzelbeispiel mit der Wirklichkeit zutun?

Das vorbeschriebene Beispiel und die darin gewähltenGrößenrelationen entsprechen ziemlich genau der bundes-deutschen Wirklichkeit. Das zeigt sich, wenn man – wie inder Darstellung 35 geschehen – die Entwicklung der ver-fügbaren Einkommen mit dem auf jeden Erwerbstätigenrechnerisch entfallenden Anteil der Gesamtverschuldungvergleicht.

Wie die zusätzlich unter den Säulen eingetragenen nomi-nellen DM-Beträge zeigen, sind in Deutschland die verfüg-baren Einkommen je Erwerbstätigen in den 50 Jahren zwarnominell erheblich angestiegen, nämlich von 3 300 DM auf71 300 DM pro Kopf und damit auf das 22fache. Die aufjeden entfallenden Schuldenbeträge nahmen jedoch gutviermal so schnell zu, nämlich von 3 300 DM auf 309 000DM und damit auf das 94fache.

Rechnet man die Schuldenzinsen in Arbeitszeiten um,dann musste 1950 jeder Erwerbstätige etwa drei Wochen

Page 261: Creutz - Das Geld-Syndrom

262

Darstellung 35:

für diesen Posten arbeiten, 1970 waren es etwa sieben Wo-chen und 2000 rund 14 Wochen, also ein gutes Vierteljahr.Da mit den hier dargelegten Größen jedoch nur die schul-denbezogenen Zinsen erfasst sind, kommen in Wirklichkeitnoch diejenigen für das schuldenfreie Sachkapital hinzu,deren Größenordnung den Statistiken allerdings nicht zuentnehmen ist. Zusammen mit der Verzinsung des wirt-schaftlich eingesetzten Bodens dürften die hier angeführtenGrößen mindestens noch einmal um die Hälfte steigen.

Page 262: Creutz - Das Geld-Syndrom

263

Die in der Grafik dargelegten Zahlen und Säulenhöhenlassen schon optisch erkennen, dass die bisherige Entwick-lung nicht mehr lange weitergehen kann. Irgendwann müs-sen entweder die arbeitenden Menschen unter der ständigsteigenden Schuldendienstbelastung zusammenbrechenoder das im Übermaß wachsende monetäre System.

Page 263: Creutz - Das Geld-Syndrom

264

14. Kapitel

Staatsverschuldungen»Die Verschuldung der öffentlichenHände beginnt zu einer wirklichenBedrohung unseres Gemeinwesenszu werden. Das Vertrauen derBevölkerung in die Fähigkeit, dieimmer weiter ausufernde Staatsver-schuldung zu bändigen, ist praktischgeschwunden.«Kurt Biedenkopf*

* Ministerpräsident in Sachsen, »Die Welt«, 28. 11. 1989

Als Ronald Reagan Anfang 1981 Präsident der USA wur-de, hat er den Bürgern die Schwere seines Amtes vor derFernsehkamera demonstriert. Er zeigte ihnen ein PaketDollarnoten im Wert von einer Million und verwies darauf,dass die gesamte Staatsverschuldung aufeinander getürmteine Höhe von siebzig Kilometern habe. Als er acht Jahrespäter sein Amt verließ, hat er diese Show aus gutem Grundnicht wiederholt: Die aufeinander geschichteten Dollarno-ten der Staatsschuld hatten nämlich inzwischen eine Höhevon über 200 Kilometern erreicht. Da von der gleichen Par-tei, musste sich sein Nachfolger Bush diese Demonstrationnatürlich verkneifen. Und dessen Nachfolger Clinton warso klug, sich nicht vorschnell festzulegen.

Zu dieser Schuldenentwicklung in den USA schriebbereits am 6. Februar 1991 die deutsche Wirtschaftszeitung»Handelsblatt«:

Page 264: Creutz - Das Geld-Syndrom

265

»Als die Reagan-Bush-Administration 1981 antrat,um die »fiskalpolitische Verantwortungslosigkeit« derDemokraten zu beenden und den Haushalt bis 1984auszugleichen, hatten alle Präsidenten seit GeorgeWashington insgesamt Staatsschulden in Höhe von925 Milliarden Dollar aufgehäuft. Sie haben sich seit-her in etwa vervierfacht, und mit rund 200 Milliardenliegt der Netto-Zinsaufwand pro Jahr mittlerweile fastso hoch wie die gesamten Kosten des Staatsbetriebsohne Militär und Transferzahlungen.«

Rechnet man den Zuwachs der öffentlichen Schulden inden USA einmal auf die 80er Jahre um, dann lag die Zunah-me p.a. bei rund 300 Mrd. Dollar, pro Banktag also bei 1,25Mrd. Alleine von der staatlichen Schuldenverwaltungmussten also täglich Kreditausweitungen in dieser Größen-ordnung geordert werden, und zwar zusätzlich zu der nochgrößeren Nachfrage durch Unternehmen und Privathaus-halte. Und da in den USA diesem steigenden Kreditbedarfkeine ausreichenden Ersparnisse gegenüberstanden, muss-te man die benötigten Mittel zunehmend im Ausland auf-nehmen, vor allem in Ländern wie Japan, die über hoheErsparnisbildungen verfügten. Die öffentlichen Haushaltein den Vereinigten Staaten leben also nicht nur über ihreVerhältnisse, sie müssen auch noch jedes Jahr höhere Zins-zahlungen an ausländische Gläubiger leisten. Das aber istmit entsprechenden Reichtumsabflüssen aus den USA ver-bunden. Verhindern könnten die USA diesen Abfluss nur,wenn sie im Umfang der wachsenden Auslandsverschul-dung ihre Exportüberschüsse steigern würden. In Wirklich-keit aber werden die Folgen der Überschuldung noch durchein Außenhandelsdefizit verschärft.

Was die Eskalationen der Staatsverschuldung betrifft, sosieht es in den übrigen Industrienationen nicht viel anders

Page 265: Creutz - Das Geld-Syndrom

266

aus. Auch was die Reaktionen der Politiker auf den jeweilsübernommenen Schuldenstand betrifft. So hat auch derdeutsche Bundeskanzler Helmut Kohl in seiner Regie-rungserklärung am 13. 10. 1982 laut geklagt:

»Ende dieses Jahres wird sich der Schuldenstand desBundes auf über 300 Milliarden DM erhöhen; beiBund, Ländern und Gemeinden zusammengenom-men auf über 600 Milliarden DM; mit Bahn und Postzusammen addiert auf rund 700 Milliarden DM. Alleinder Zinsendienst der öffentlichen Hand wird Endedieses Jahres rund 60 Milliarden DM betragen . . . DieNeuverschuldung reicht kaum noch aus, um die jährli-che Zinslast zu bezahlen.«

Liest man den letzten Satz, dann hätte man eigentlich schondamals stutzig werden müssen. Denn er besagt genau das,was die Geld gebenden Industrienationen den überschul-deten Entwicklungsländern seit 1981 ständig vorgeworfenhaben, nämlich die Bedienung der vorhandenen Schuldendurch die Aufnahme neuer. Und hätte Kohl – ähnlich wieReagan – die Schulden mit Geldscheinbündeln von 1 000-DM-Noten demonstriert, dann wäre in seiner Regierungs-zeit von 16 Jahren die Säule sogar von 70 auf 230 km Höheangewachsen. Dies zeigt auch die Darstellung 36, in der dieEntwicklung der gesamten öffentlichen Verschuldungen inDeutschland von 1970 bis 1998 wiedergegeben ist – im Ver-gleich mit den gesamten Staatseinnahmen.

Wie daraus ersichtlich, nahmen Anfang der 70er Jahredie Schulden noch im Gleichschritt mit der Wirtschaftsleis-tung zu. Ab 1974 aber ging die Schere zwischen beiden Grö-ßen immer mehr auseinander und der einst so fette Bundes-adler droht immer mehr zu einem Pleitegeier zu verkom-men. Dies zeichnet sich auch deutlich ab, wenn man – wie in

Page 266: Creutz - Das Geld-Syndrom

267

Darstellung 36:

Page 267: Creutz - Das Geld-Syndrom

268

den Kreissegmenten – die öffentlichen Schulden an derWirtschaftsleistung misst.

Diese ausufernde Staatsverschuldung ist jedoch keines-falls nur eine Frage der Belastung des Staatshaushalts oderder schwindenden Bewegungs- und Gestaltungsfreiheitvon Politikern und Regierungen. Sie hat auch andereschwer wiegende Folgen, die meist nicht genügend beachtetwerden, z. B. im ökologischen Bereich. Darauf hat u. a. derBundes-Arbeitskreis Wirtschaft und Finanzen des größtendeutschen Umweltverbandes, BUND, in einer Analyse desBundeshaushaltsplans 1992 einmal hingewiesen:

»Der Anstieg der Staatsverschuldung ist aus mehrerenGründen bedenklich. Erstens bewirkt eine Auswei-tung der Staatsnachfrage grundsätzlich eine Zurück-drängung privater Investitionen bedingt durch stei-gende Zinssätze. Zweitens sinkt die Flexibilität derHaushaltspolitik, da ein immer größerer Teil für Zins-zahlungen und Tilgung aufgebracht werden muss. Unddrittens ist der Staat wegen der zunehmenden Ver-schuldung gezwungen, an seiner an Wachstum orien-tierten Politik festzuhalten, um den Schuldenberg mitwachsendem Steueraufkommen zu bewältigen. Wirt-schaftswachstum ist jedoch mit schwer wiegenden Fol-gen für die Umwelt verbunden. Durch Wirtschafts-wachstum werden erhebliche ökologische Folgekos-ten produziert, die die Mehreinnahmen überkompen-sieren können und gleichzeitig zu irreparablenUmweltschäden führen.«

Page 268: Creutz - Das Geld-Syndrom

269

Warum sind Staatsverschuldungen besondersfolgenschwer?

Wer einen Kredit aufnimmt, schafft damit normalerweiseDauerwerte, mit deren Hilfe er den Kredit mit Zinsenbedienen und eines Tages zurückzahlen kann. Diese Dauer-werte, z. B. Gebäude oder Produktionsanlagen, dienengleichzeitig der Absicherung des Geldgebers bzw. der geld-gebenden Bank. Denn notfalls, wenn der Schuldner zah-lungsunfähig ist, kann der Kreditgeber auf diese Wertezurückgreifen. Natürlich ist diese Absicherung selbst beiImmobilien keine volle Garantie. Denn werden vieleSchuldner zeitgleich zahlungsunfähig, kann aufgrund desÜberangebots an Objekten der Tageswert unter die Ver-schuldungshöhe fallen. So gingen beispielsweise die Immo-bilienpreise in Großbritannien von 1988 bis 1991 um 25Prozent zurück, weil aufgrund der Rezession Zehntausen-de von Häusern versteigert werden mussten.

Bei Staatsverschuldungen ist die Lage, zumindestanfangs, günstiger. Staaten sind die einzigen Schuldner, dieeine dauernd sprudelnde Geldquelle haben, auf die sienach Bedarf zurückgreifen können, nämlich den Steuer-zahler. Wie fragwürdig allerdings auch diese Quelle werdenkann, zeigt uns die Geschichte. Zu diesen Sackgassenent-wicklungen, aus denen auch ein Staat sich nicht mehr her-ausmogeln kann, kommt es schneller, als man denkt. Vorallem, wenn verantwortungslose Politiker im Hinblick aufWahlen (und solche stehen immer an!) lieber neue Schul-den machen, als an das Portemonnaie der Bürger heranzu-treten. Dass es diese Probleme nicht erst seit unseren Tagengibt, zeigen die Zitate aus den vergangenen Jahrhundertenin dem separaten Kasten J. Selbst die Deutsche Bundes-bank äußerte schon vor Jahren mit vorsichtigen Wortenihre Sorge:

Page 269: Creutz - Das Geld-Syndrom

270

»Der durch Wahltermine ›verkürzte Zeithorizont‹und die mangelnde politische Repräsentanz künftigerGenerationen sind zwei der Hauptfaktoren, die in derDemokratie eine . . . Tendenz zur überhöhten Staats-verschuldung bewirken.«

So Prof. Dr. Otmar Issing in einem Vortrag in Innsbruck,am 6. 3. 1992.

Was bei öffentlichen Schulden als Sicherheit für dieGeldgeber verbleibt, sind zwar auch überwiegend Dauer-werte. Aber was können Gläubiger mit den Dauerwertendes Staates anfangen? Zum Beispiel mit einer Turnhalleoder einem Stück Autobahn? Mit einer Kaserne, Kanoneoder Kläranlage?

Kasten J: – Aussagen zur Staatsverschuldung

»Wenn Staatsschulden einmal bis zu einem gewissenGrad angehäuft sind, so lässt sich, glaube ich, kaum eineinziges Beispiel für ihre richtige und vollständigeBezahlung anführen.«

Adam Smith, 1776

»Es leuchtet ein, wo mit der Anleihe nicht gleichzeitigeine Steuererhöhung stattfindet, kann der Zins dergemachten Anleihe nur noch durch neue Anleihengedeckt werden.«

Lorenz von Stein, 1860

»Nichts ist richtiger, als dass jeder Staat, der immerfortborgt, der nie die vorher gemachten Schulden abzahlt,endlich untergehen muss.«

Karl August von Struensee, 1800

Page 270: Creutz - Das Geld-Syndrom

271

So pünktlich und zuverlässig die staatlichen Schuldenma-cher auch über Jahre und Jahrzehnte hinweg die Zinsenzahlen mögen: An irgendeiner Stelle platzt einmal derimmer weiter aufgeblasene Schuldenballon, mit oderohne Revolution und Bürgerkrieg. Und was dann dieGläubiger noch zurückerhalten, bzw. was durch die letzteNotbremse des Staates, nämlich die inflationäre Entwer-tung des Geldes und damit aller Ansprüche, von ihrenganzen Ersparnissen noch übrig bleibt, wissen wir aus derGeschichte.

Was ist mit der Staatsverschuldung in den Indus-trienationen?

Zieht man zur Beantwortung dieser Frage einmal die so ge-nannten G7-Länder heran und drückt deren öffentlicheVerschuldungen in Prozenten des jeweiligen Sozialpro-dukts aus, dann ergibt sich für den Zeitraum 1975 bis 1995das in der Darstellung 37 wiedergegebene Entwicklungs-bild.

Wegen der besseren Übersicht wurden die sieben Län-der auf zwei Grafiken verteilt und in der linken Grafik,neben den drei größten Industrienationen, auch die durch-schnittliche Schuldenentwicklung der sieben Länder einge-tragen. Der jeweilige Verschuldungsstand in den fünf Stich-jahren, kann an der linken Skala abgelesen werden.

Was zuerst ins Auge springt, ist der Tatbestand, dass insechs der sieben Länder die Verschuldungen in den 20 Jah-ren deutlich zugenommen haben, besonders stark in Itali-en, Kanada und Japan. Wie aus den jeweils eingetragenenZunahme-Prozentwerten neben den Länderbezeichnun-gen zu entnehmen, schneiden die USA und Deutschlandinsgesamt noch am besten ab. Letzteres ist umso erstaunli-

Page 271: Creutz - Das Geld-Syndrom

272

cher, als Deutschland die nicht unerheblichen Kosten derWiedervereinigung zu verkraften hatte.

Darstellung 37:

Als einziges Land konnte Großbritannien seine öffentli-chen Schulden zwischen 1975 und 1990 relativ verringern.Allerdings z. T. mit fragwürdigen Methoden, wie dem Aus-verkauf staatlicher Versorgungseinrichtungen, vor allem

Page 272: Creutz - Das Geld-Syndrom

273

von Elektrizitäts- und Wasserwerken. Zum Teil wurde dieSanierung der öffentlichen Haushalte auch auf Kosten dersozial schwachen Bevölkerungsschichten durchgeführt.Nicht zuletzt als Folge dieser Maßnahmen sind für rund 30Prozent der Briten die Realeinkommen in den letzten zehnJahren stagniert bzw. abgesunken, und das trotz allgemei-nen Wirtschaftswachstums.

Sieht man sich die Entwicklungsschübe in der Darstel-lung genauer an, dann fällt auf, dass sich der Schuldenan-stieg in der zweiten und vierten Fünfjahresperiode jeweilsbeschleunigte. Das geht auch aus dem Durchschnittswerthervor. Diese schubartigen Zunahmen hängen jeweils mitden Hochzinsphasen Anfang der 80er und 90er Jahrenzusammen, in deren Folge jeweils mit der Konjunktur auchdie Staatseinnahmen zurückgingen, bei gleichzeitigemAnstieg der Sozialkosten. Als Ausweg verbleibt den Staa-ten dann oft nur noch die Ausweitung der Kreditaufnah-men.

. . . und in den Euroländern?

Wie hier die Schuldenhöhen auseinander liegen und wie siesich von 1992 bis 1997 entwickelt haben, geht aus der Dar-stellung 38 hervor.

Bekanntlich wurde in den Maastricht-Kriterien für dieTeilnahme an der gemeinsamen Währung u. a. eine Ver-schuldungsgrenze von 60 Prozent des BIP festgelegt. Deut-lich wird aus der Darstellung, wie alle darüber liegendenStaaten versucht haben, zumindest ihre Verschuldungszu-nahmen abzubremsen bzw. sogar die Bestände etwas abzu-bauen. Am erfolgreichsten war damit Irland, das 1993 nochbei 96 Prozent lag und bis 1999 die Marke von 60 Prozentsogar unterschritt.

Page 273: Creutz - Das Geld-Syndrom

274

Darstellung 38:

Page 274: Creutz - Das Geld-Syndrom

275

Die Erfolge der drei Spitzenschuldner waren allerdings –wie kaum anders zu erwarten – höchst bescheiden. Selbstim Jahr 2000 lagen ihre Sätze noch über 100 bzw. 110 Pro-zent und man fragt sich, wie und bis wann sie das gesteckteZiel eigentlich erreichen sollen. Dass Belgien und Italientrotz dieser signifikanten Zielüberschreitungen aufgenom-men wurden und Griechenland wohl ebenfalls die gleicheGroßzügigkeit erfahren wird, ist überraschend. Und wielange sich die anderen Länder an die Zielgröße gebundensehen, ist abzuwarten. Interessant ist jedenfalls, dass dieLänder unterhalb der Marke die Zeit bis zum Eintrittnutzten, um noch etwas zuzulegen, wobei Spanien, 1992noch bei 48 Prozent, sogar deutlich über das Ziel hinaus-schoss.

Wie war das mit der Verschuldung in Osteuropa?

Auch wenn die Vorgänge in den 80er Jahren bereits Ge-schichte sind, lohnt sich ein kurzer Rückblick. Das zu-mindest bezogen auf die Auslandsverschuldungen dieserLänder, die bei dem Zusammenbruch eine entscheidendeRolle gespielt haben dürften. In der Darstellung 39 sind dieEntwicklungen dieser Auslandsschulden von 1980 bis 1989in Milliarden Dollar wiedergegeben.

Wie erkennbar, war Polen der Spitzenreiter in SachenWestverschuldung. Die so genannte Schuldenkrise brachauch nicht erst 1982 in Lateinamerika aus, sondern bereits1981 mit der Zahlungsunfähigkeit dieses Landes. Rückbli-ckend schrieb dazu das Handelsblatt am 14. 11. 1991:

»Obgleich zahlungsunfähig und von den internationa-len Kapitalmärkten verdrängt, stieg die polnischeAuslandsverschuldung von 1981 bis 1990 von 26 auf 48

Page 275: Creutz - Das Geld-Syndrom

276

Milliarden Dollar. Die Verdoppelung der Auslands-schuld resultierte ausschließlich aus der Nichtbezah-lung fälliger Zinsen; es wurde kein einziger Dollargetilgt oder als Realkapital zur Stärkung der polni-schen Exportwirtschaft importiert.«

In diesen wenigen Sätzen zeichnet sich das Schicksal einesStaates ab, der sich zur Bedienung seiner Schulden immerwieder neu verschulden muss. Dieses Hineingeraten in dieSchuldenfalle dürfte auch den meisten anderen Ostblock-Staaten den Todesstoß gegeben haben.

Auffallend ist in der Grafik, dass die Verschuldungsent-wicklung bei den meisten Staaten in der ersten Hälfte der80er Jahre deutlich nach unten zeigt. Das mag mit derZurückhaltung westlicher Banken zusammenhängen, die-sen Ländern nach den Erfahrungen mit Polen weitere Kre-dite zu gewähren. Möglicherweise war es aber auch ein(vielleicht abgesprochener) letzter Versuch der Länder,sich aus den Fesseln westlicher Verschuldung zu befreien.Doch angesichts der maroden Wirtschaftsverhältnissebestand dazu kaum eine Chance. Durchgehalten hat dasallein Rumänien. Es konnte nach den RWG-Statistiken sei-ne Schulden von nahe zehn Mrd. Dollar 1981 bis 1989 aufeine Milliarde herunterfahren. Aber unter welchen Opfernfür die Bevölkerung: Regelmäßige Stromabschaltungen,Reduzierung der Fernheizung auf zehn Grad, Einschrän-kung der Versorgung, auch im Nahrungsmittelbereich, ver-bunden mit Billigstexporten in alle Welt, um Devisen zurSchuldentilgung ins Land zu holen.

Ohne dem Weltwährungsfond anzugehören, hat alsoRumänien in extremer Weise jene Rezepte angewandt, diediese Institution im Allgemeinen den überschuldeten Ent-wicklungs- und Schwellenländern empfiehlt.

Page 276: Creutz - Das Geld-Syndrom

277

Darstellung 39:

Auch in der ehemaligen DDR wurde die Westverschuldungvon 12 Milliarden Dollar Anfang der 80er Jahre auf knapp

Page 277: Creutz - Das Geld-Syndrom

278

sieben Milliarden 1985 zurückgefahren, um anschließend inwenigen Jahren auf vorher nicht erreichte Größen hochzu-schießen. Hier spielte sich im Prinzip das Gleiche ab wie inPolen. Das geht aus den Worten des ehemaligen DDR-Devisenbeschaffers Schalck-Golodkowski hervor, den»Die Zeit« am 11. 1. 1991 zitiert:

»Der Präsident der Außenhandelsbank, Professor Pol-ze, musste jährlich, allein um die Zahlungsfähigkeitdes Staates zu sichern, neue Kredite in Höhe von fünfbis sechs Milliarden D-Mark aufnehmen. Wir hatten janicht nur die laufenden Einfuhren zu bezahlen, son-dern auch die Zinsen für die Schulden und die Zurück-zahlung aufgenommener Kredite. Uns haben die Zin-sen erdrückt, die Zinslast war gewaltig.«

Den absolut wie relativ stärksten Anstieg der Westschuldenhatte die damalige UdSSR zu verzeichnen. Über die dama-lige Situation in diesem Land mag ein Auszug aus der Bör-senzeitung vom 25. 8. 1989 Auskunft geben, also noch vordem eigentlichen Zusammenbruch des Ostblocks, auchwenn sich die darin erwähnten Problementwicklungeninzwischen mehrfach überschlagen haben:

»Der Staatshaushalt der UdSSR weist nach Berechnun-gen des DIW 1989 ein Rekorddefizit von 100 Mrd.Rubel oder etwa 10 Prozent des Bruttosozialproduktesauf. Seine Finanzierung erfolgte überwiegend durch dieNotenpresse, so dass die Inflation zugenommen hat.Der Geldüberhang wird offiziell auf 70 bis 80 Mrd. Ru-bel geschätzt, inoffiziell ist von der doppelten Summedie Rede. Die Auslandsverschuldung der UdSSR von 54Mrd. Dollar und ihr Schuldendienst von 19 Mrd. Dollarim Jahr liegen erheblich höher, als angenommen.«

Page 278: Creutz - Das Geld-Syndrom

279

Wie glücklich wären die Regierenden in den GUS-Staaten,wenn diese Sätze heute noch Gültigkeit hätten! Das gilt vorallem für die Inflation, in deren Folge der Wert des Rubelsschon 1992 auf 0,2 US-Cent abgesunken war, von den nach-folgend wiederholten so genannten Währungsreformennicht zu reden, bei denen jeweils die Bevölkerung ihrerErsparnisse enteignet wurde. Dass unter solchen Gegeben-heiten nicht nur die Zahlungsunfähigkeit des Staates aufder Strecke bleibt, sondern auch die Arbeitsmoral und dasganze Wirtschafts- und Gesellschaftsgefüge zusammenbre-chen, liegt auf der Hand.

Page 279: Creutz - Das Geld-Syndrom

280

15. Kapitel

Unternehmensschulden,Privatschulden,Schuldenüberwindung

»Kreditfinanzierte Unternehmenmachen meist erst andere kaputt,bevor sie selber dran sind.«Lothar Späth*

* früherer Ministerpräsident von Baden-Württemberg, 1982

Vergleicht man anhand der deutschen Zahlen einmal dieVerhältnisse im Unternehmenssektor, dann zeigt sich imPrinzip das gleiche Bild wie bei den Staaten: Die Schuldennehmen rascher zu als die Leistung, aus der sie alleinebedient werden können. Dies zeigt die Darstellung 40, inder die Verschuldungszunahme der westdeutschen Unter-nehmen mit ihrer Bruttowertschöpfung verglichen wird.

Während 1950 die Verschuldung der Unternehmen erstbei 50 Prozent ihrer jährlichen Wertschöpfungsgröße lag,hatte sie 1990 bereits 150 Prozent erreicht. Mit einemrealen Anstieg auf das 19fache nahm die Verschuldung inden 40 Jahren genau dreimal so rasch zu wie die Unterneh-mensleistung, die real auf das 6,3fache gesteigert werdenkonnte. Die Folge dieser Schulden-Überentwicklungschlägt sich auch hier in immer größeren Zinsanteilen nie-der, die aus dem wirtschaftlichen Ergebnis an die Geldge-ber abzuführen sind. Dazu schrieb Carl Zimmerer bereits1990 in Nr. 13 der Zeitschrift »Kreditwesen«:

Page 280: Creutz - Das Geld-Syndrom

281

Darstellung 40:

»Im Durchschnitt aller Wirtschaftsunternehmen wirdjetzt mehr als ein Viertel des Cash-flow durch Zinsver-pflichtungen aufgezehrt. Während der siebziger Jahrehatte sich die Quote noch in einer Spanne zwischen 8und 13 Prozent bewegt, und selbst Mitte der achtzigerJahre hatte sie erst bei rund 15 Prozent gelegen. So istes heute treffender als je zuvor, von einer »dept econo-my« – einer zu stark auf Verschuldung basierendenVolkswirtschaft – zu sprechen.«

Page 281: Creutz - Das Geld-Syndrom

282

Der Schweizer Werner Rosenberger, ehemaliger Präsidentder Internationalen Vereinigung für Natürliche Wirt-schaftsordnung (INWO), hat für unsere Epoche sogar denBegriff »Schuldenzeitalter« geprägt. Nach seiner Auffas-sung hat es noch nie in der Geschichte der Menschheit eineVerschuldung in dieser Größenordnung gegeben. Ursachedafür ist weniger die weltweite wirtschaftliche Verflechtungals vielmehr die Folge einer fünfzigjährigen Geldvermö-genseskalation und des ständigen Wirtschaftswachstums,mit dem bisher – zumindest in den Industrienationen desWestens – größere ökonomische bzw. monetäre Zusam-menbrüche vermieden werden konnten.

Allerdings wird es weltweit immer schwieriger, die Wirt-schaftsleistung wenigstens halbwegs dem Tempo der Über-schuldungsentwicklung anzupassen, und das nicht nur ausökologischen Gründen. Es bleibt also die Frage, ob und wielange diese Scherenentwicklung noch ausgehalten bzw.einer Korrektur zugeführt werden kann.

Konsumentenschulden – ein Kredit mit Zukunft?

Wie in den nachfolgenden Kapiteln noch verdeutlicht wird,müssen die Schulden in der Welt im gleichen Umfangzunehmen wie die Ersparnisse. Dabei ist es gleichgültig,wer diese Schulden letzten Endes macht. Da wir die zuneh-mende Überschuldung im öffentlichen und unternehmeri-schen Sektor bereits festgestellt haben und die sich hierabzeichnenden Grenzen, bleibt eigentlich nur noch derSektor der privaten Haushalte übrig.

Wie die Entwicklungen auf diesem Sektor aussehen,zeigt der Vergleich der privaten Verschuldungsentwicklungin der Darstellung 41, dem wieder die Gegebenheiten inden G7-Ländern zugrunde liegen. Dabei sind hier die

Page 282: Creutz - Das Geld-Syndrom

283

Darstellung 41:

Page 283: Creutz - Das Geld-Syndrom

284

gesamten privaten Schulden erfasst, also diejenigen, die fürKonsumzwecke aufgenommen wurden wie solche für Zwe-cke des Wohnungsbaus bzw. -erwerbs.

Wie aus der Darstellung hervorgeht, lagen die privatenSchulden in Japan, USA, Kanada und Großbritannienbereits 1995 über 75 Prozent des BIP. Das heißt, sie entspra-chen bereits der Wirtschaftsleistung von drei Quartalen.Gemessen an dem verfügbaren Einkommen der privatenHaushalte überstiegen sie damals bereits den Jahreser-trag.

Vergleicht man die Schulden der privaten mit jenen deröffentlichen Haushalte (Darst. 37), dann liegen die Durch-schnittsgrößen fast auf gleicher Höhe. Allerdings ist hier zuberücksichtigen, dass die öffentlichen Schulden von derGesamtheit aller Haushalte bzw. Erwerbstätigen gemein-sam zu bedienen sind, während die privaten Schuldenlastensich nur auf diejenigen verteilen, die selbst Kredite aufge-nommen haben. Das aber ist – zumindest in den meisteneuropäischen Staaten – bislang nur eine Minderheit. Umge-legt auf diese verschuldeten Haushalte liegen die Lastenalso deutlich über den Jahreseinkommen bzw. z. T. beimMehrfachen derselben.

Interessant ist bei diesem Vergleich der beiden Schuld-nergruppen, dass die öffentlichen Schulden in den hoch-zinsbedingten Flautezeiten der ersten 80er und 90er Jahrejeweils beschleunigt anstiegen, während das bei den priva-ten Schulden eher umgekehrt ist. Das heißt, bei steigendenbzw. höheren Zinsen lässt die private Aufnahmebereit-schaft für Kredite nach.

Page 284: Creutz - Das Geld-Syndrom

285

Welche Folgen hat der Kauf auf Pump?

Während mit dem Bau oder Kauf eines Hauses ein notfallsveräußerbarer Gegenwert für den aufgenommenen Kreditgeschaffen wird, besteht die Deckung von Konsumenten-schulden praktisch nur aus dem laufenden Einkommen desKreditnehmers. Bis zu einer gewissen Höhe sind jedochauch solche Kreditaufnahmen für Konsumzwecke sicher-lich problemlos, solange sie in einem gesunden Verhältniszum Einkommen stehen. Kritisch wird es aber, wenn zuihrer Bedienung die laufenden Einkünfte nicht mehr rei-chen und die entstehenden Zinslöcher mit neuen Schuldengeschlossen werden müssen. Das mag in vielen Fällen dasResultat leichtfertiger Ausgaben sein. Meist jedoch ist es dieFolge plötzlicher Einkommensrückgänge durch Arbeitslo-sigkeit, Krankheit oder unvorhergesehener anderer finanzi-eller Belastungen. Obwohl die Anzahl der Haushalte mitKonsumentenschulden in Deutschland z. B. nur bei etwazwölf bis fünfzehn Millionen liegt, gelten bereits 2,5 Millio-nen – also jeder sechste – als überschuldet. Darunter sindbesonders viele junge Familien und Alleinerziehende.

Da in unseren Gesellschaften, auch in den reichen Indus-trienationen, Kinder fast immer zu einem deutlichen Eng-pass bei den Familieneinkommen führen, versuchen allzuviele, diesen plötzlichen Einkommensrückgang durch Kre-ditaufnahmen auszugleichen. Der überall präsente Lebens-standard der Kinderlosen (die sich später ihre Rente vonden Kindern der anderen verdienen lassen!) verführtzusätzlich zu dieser Flucht in die Verschuldung. Denn wermöchte in unseren Prestigegesellschaften schon seinensozialen Abstieg sichtbar werden lassen!

Wie so ein Abstieg abläuft, konnte man in einem Zei-tungsbericht aus dem Jahr 1990 lesen:

Page 285: Creutz - Das Geld-Syndrom

286

»Am Anfang stand ein Kredit von 10 000 Mark. Beider Rückzahlung gab es Schwierigkeiten. Der Kredit-vertrag wird gekündigt, hohe Verzugszinsen werdenfällig, Bearbeitungsgebühren, Pfändungskosten usw.Neue Kredite zum Tilgen der Zinsen und des altenDarlehens werden aufgenommen. Am Ende die glei-chen Schwierigkeiten – ein Teufelskreis.

Zehn Jahre später hat der Kreditnehmer zwar insge-samt 10 000 Mark zurückgezahlt, blickt aber auf einennoch abzutragenden Schuldenberg von gut 32 000Mark. Aus anfangs 10 000 Mark, die man einmal aus-geben konnte, ist eine Belastung von 42 000 Mark her-angewachsen.«

Was den auf diese Weise Überschuldeten oft bleibt, ist weni-ger als die Sozialhilfe. Alles andere wird gleich vom Lohngepfändet. Das Interesse an jeder Arbeit erlischt. Der wei-tere Abstieg ist in vielen Fällen vorgezeichnet: ZerrütteteEhen, Alkohol, Drogen oder gar Kriminalität. Opfer sind inden meisten Fällen die Kinder. Die in fast aller Welt zuneh-menden Zahlen obdachloser Jugendlicher hängen sicherlichnicht zuletzt mit diesen Abstiegen in Armut und Verschul-dung zusammen. Hans Tietmeyer, der vormalige Präsidentder Deutschen Bundesbank, hat 1991 dazu angemerkt:

»Ein wichtiger Faktor für das Konsumverhaltenscheint auch die Verführung zum Gegenwartskonsumzu sein . . . Gleichzeitig erweckt die Kreditwerbungden Eindruck zusätzlicher Ausgabenspielräume. Die-ser Eindruck wird wohl auch unterstützt durch diezunehmende Verbreitung bargeldloser Zahlungssy-steme, welche den Zugang zu Krediten erleichtert underweitert haben.«

Page 286: Creutz - Das Geld-Syndrom

287

Kann man die Überschuldung überwinden?

Dass ständig zunehmende Verschuldungen, die rascher alsdie Wirtschaftsleistung wachsen, auf Dauer zum Zusam-menbruch der Gesellschaft führen müssen, liegt auf derHand. Das vor allem, wenn man an die Zinslasten denkt.Natürlich ist – wie allzu oft gehabt – auch eine ›Lösung‹ desProblems über eine entsprechend hohe Geldinflationie-rung möglich: Die Schuldner können sich dann mit wertlo-sem Geld der Verpflichtungen entledigen, auf Kosten derGeldgeber, die auf diese Weise ihrer Ersparnisse beraubtwerden. Aber diese Art der Entschuldung, auf die vorallem überschuldete Staaten zurückgreifen, endet erfah-rungsgemäß ebenfalls in einem Zusammenbruch. Entkom-men kann man der ganzen Misere nur durch einen Abbauder Schulden. Aber das ist graue Theorie.

Um beispielsweise nur die öffentliche Verschuldung inDeutschland auf Null zu bringen, müsste der Staat jedemBürger, vom Baby bis zum Greis fast 30 000 DM aus derTasche ziehen. Dieser Weg würde uns zwar billiger kom-men als das Stehenlassen der Schulden, ist aber kaum prak-tikabel.

Selbst wenn sich alle Arbeitleistenden in Deutschlandverpflichten würden, ohne Lohnerhöhung jede Wochezehn Stunden zusätzlich zu arbeiten, um damit dem Staatim Jahr 500 oder 600 Milliarden für Zusatztilgungenzukommen zu lassen, wäre eine solche Lösung nicht reali-sierbar. Denn das würde erfordern, dass jene Leute, diemangels Verwendungsmöglichkeit über Jahrzehnte Geldangesammelt und an den Staat verliehen haben, diesesGeld für diese zusätzlichen Leistungen auch ausgeben.

Lassen sie das vom Staat zurückgezahlte Geld aber wei-ter bei den Banken stehen, müssen diese versuchen, neueSchuldner für diese Geldersparnisse zu finden. Das heißt

Page 287: Creutz - Das Geld-Syndrom

288

jedoch, die Staatsverschuldung würde zwar verschwinden,aber dafür müssten an anderer Stelle – wo auch immer –neue Schulden in gleicher Höhe gemacht werden.

Eine wirkliche Reduzierung der öffentlichen Verschul-dung wäre nur möglich, wenn der Staat alle Geldvermögenmit einer Sondersteuer in Höhe der staatlichen Zins- undTilgungszahlungen belasten würde. Das heißt, er müssteeinen entsprechenden Anteil der Gesamtersparnisse bzw.deren Zuwächse gewissermaßen konfiszieren. Diese ›ele-ganteste‹ Lösung, die man mit Freibeträgen für die kleinenSparer garnieren könnte, dürfte in einem Rechtsstaatjedoch schwerlich umzusetzen sein. Und da sich Politikersehr schwer tun, wenigstens die Neuverschuldung durchhöhere Steuern oder Ausgabenreduzierungen des Staatesabzufangen, bleibt uns nur der bittere Marsch in die weitereÜberschuldung. Denn ohne Korrektur unseres heutigenGeldsystems werden die Geldvermögen weiter eskalierenund damit die Volkswirtschaften zu immer größeren Ver-schuldungen zwingen.

Verringern sich die Schulden durch Zahlungs-unfähigkeiten?

Kann jemand seinem Nachbarn einen Kredit nicht zurück-zahlen und verzichtet dieser großzügig darauf, dann ver-schwindet selbstverständlich mit der Schuld auch einegleich hohe Forderung aus der Welt. Diese gleichzeitige›Vernichtung‹ von Forderungen und Schulden war früherbei den Direktvergaben von Krediten die Regel: Gleichgül-tig, ob an einen Privatmenschen oder ein Unternehmenverliehen, musste der Geldgeber seine Ansprüche bei derZahlungsunfähigkeit des Schuldners meist in den Schorn-stein schreiben.

Page 288: Creutz - Das Geld-Syndrom

289

Mit dieser gleichzeitigen Vernichtung von Geldschuldenund Geldvermögen wurde ungewollt erreicht, dass beideGrößen ›nicht in den Himmel‹ wuchsen. Überschuldungs-entwicklungen in den heutigen Größenordnungen kamenalso kaum zustande. Vielmehr regulierte sich auf diese Wei-se der Markt gewissermaßen selbst, wenn auch für den Ein-zelnen oft auf brutale Weise. Das aber ist heute bei der all-gemeinen staatlich sanktionierten Eigentumsgarantie undvor allem bei den bankvermittelten Krediten anders: Musseine Bank auf eine Forderung verzichten, dann merkt derSparer davon nichts. Auch bei großen Verlusten hat bislangnoch keine Bank die Einlegerguthaben zum Ausgleichgekürzt. Selbst dann nicht, wenn die Verluste, wie beispiels-weise bei den Schulden der Dritten Welt oder den Pleitengroßer Unternehmen, Milliardenhöhen erreichen. Solcheausgleichenden Kürzungen der Einlagen sind den Bankennicht gestattet. Ihnen bleibt also nur der Weg, die Verlusteanderweitig auszugleichen. Das geschieht vor allem durchbankinterne Rückversicherungen. Aber auch durch ent-sprechend höhere Risikoaufschläge, die in unsicherer wer-denden Zeiten zunehmend in die Zinsmargen eingerechnetwerden. Das heißt, die gesamten Kreditkunden, auch diepflichtbewußten pünktlichen Zahler, werden entsprechendhöher belastet.

Rund die Hälfte dieser Verluste zahlt im Übrigen in denmeisten Ländern jeweils der Steuerzahler. Denn die Ban-ken können ihre abgeschriebenen Forderungen von den zuversteuernden Einkommen absetzen, auch wenn Missma-nagement oder Leichtfertigkeit der Banker die Verlustur-sache sind. Statt diejenigen zur Kasse zu bitten, die seit Jah-ren über die Zinserträge von den Krediten profitieren (undmöglicherweise durch diese Zinsen den Kreditnehmer inden Ruin getrieben haben!), zahlt die Allgemeinheit dieZeche.

Page 289: Creutz - Das Geld-Syndrom

290

Lässt sich das Schuldenproblem durch Tilgungenlösen?

Selbstverständlich kann jede einzelne Schuld durch Rück-zahlung aus der Welt geschafft werden. Versilbert beispiels-weise ein privater Schuldner sein Hab und Gut und trägt dieEinnahme zur Bank, dann ist er seine Schulden los. Würdenallerdings alle privaten Schuldner das versuchen, ginge derPreis für Häuser, Hausrat und gebrauchte Autos so in denKeller, dass die Schulden nur noch zu einem Bruchteil abge-tragen werden könnten. Außerdem kämen die Banken in diegrößten Schwierigkeiten. Sie müssten nämlich für diezurückgezahlten Milliarden schnellstens neue Schuldner fin-den. Das gilt z. B. auch für die Sondertilgung, die der deut-sche Finanzminister mit der 98-Mrd.-DM-Einnahme aus derUMTS-Versteigerung vornehmen will. Hier haben es dieBanken relativ einfach, weil die Mobilfunk-Unternehmenden Kauf der Funklizenzen weitgehend in gleicher Höhe mitKreditaufnahmen bei den Banken finanzieren müssen.

Die Banken brauchen diese neuen Schuldner alleine schon,um ihren laufenden Zinszahlungs-Verpflichtungen gegen-über den Guthabenbesitzern nachkommen zu können. Undda diese Zinsgutschriften die bereits vorhandenen Ersparnis-se laufend erhöhen, bleibt die Gesamtverschuldung nicht nurerhalten, sondern sie steigt zwangsläufig weiter an.

Diese Kreditgewährung aus den anwachsenden Gelder-sparnissen ist jedoch nicht nur wegen der Zinszahlungen andie Sparer erforderlich. Sie ist auch erforderlich – und das istein ganz entscheidender Grund für die zunehmenden mone-tären Miseren –, um die sich sonst bei den Banken ansam-melnden Geldüberschüsse wieder in die Nachfrage zurück-zuführen. Denn ohne diese Rückführung würden sich Nach-frageunterbrechungen im Wirtschaftskreislauf ergeben, mitschweren Folgen für Konjunktur und Geldwert.

Page 290: Creutz - Das Geld-Syndrom

291

Das heißt, mit dem Anwachsen der Ersparnisse sindnicht nur immer größere Kredite möglich, sondern erfor-derlich. Die Folge ist, dass mit den wachsenden Geld-Ersparnissen in jeder Volkswirtschaft und Gesellschaftauch der Zwang zu einer wachsenden Verschuldung ver-bunden ist.

Der deutsche Wirtschaftsprofessor Rüdiger Pohl, überviele Jahre Mitglied des Sachverständigen-Gremiums, dasdie Bundesregierung berät, hat das in einer Veröffentli-chung in der »Zeit« vom 11. 12. 1987 deutlich gemacht:

»Wohlgemerkt: Staatliche Kreditaufnahme ist keinSelbstzweck. Aber wenn – wie heute in der Bundesre-publik – das Kapitalangebot aus privaten Ersparnissensteigt, gleichzeitig die Kapitalnachfrage . . . der Unter-nehmen wegen der schwachen Investitionsneigunggering bleibt, dann muss der Staat das am Markt ent-stehende Kapitalüberangebot aufnehmen, weil ande-renfalls eine deflationäre Wirtschaftsentwicklung ein-setzen würde.«

Selbstverständlich sollte der Staat nach Möglichkeit ganzauf Kreditnachfrage verzichten, da dieser Finanzierungs-weg – auch für die sozialste Maßnahme – langfristig immerder unsozialste ist. Denn mit jedem Kredit werden diebereits Reichen auf Kosten der anderen noch reicher. Aberwie das Zitat zeigt, kann der Staat in bestimmten Situatio-nen, die Folge unserer geldbezogenen Fehlstrukturen sind,zur Schuldenaufnahme geradezu gezwungen sein. Denndas Risiko eines deflationären Konjunktureinbruchs ist sogroß, dass daneben eine höhere Verschuldung nur als klei-neres Übel erscheint. Und wie schwer es ist, eine einmal insStocken geratene Wirtschaft wieder in Gang zu bringen,haben wir in den letzten Jahren in Japan erleben müssen.

Page 291: Creutz - Das Geld-Syndrom

292

16. Kapitel

Überentwicklung derGeldvermögen

»Es sind gar nicht primär Konsum-und Gewinnsucht, die den Kapitalis-mus rastlos vorwärtstreiben, sonderndie durch Zins und Zinseszins lawi-nenartig wachsenden Geldvermögenund ein unerbittlicher Zwang, unterdem die Schuldner stehen, nämlichmit jeder Produktion auch den Zinserwirtschaften zu müssen.«Josef Hüwe*

* Wirtschaftspublizist, »Zinswirtschaft heute – Zum verändertenErscheinungsbild des Kapitalismus«, Nov. 1991

Der Begriff Geldvermögen ist verbunden mit der Vorstel-lung von Reichtum und Wohlstand. Man denkt dabei anTruhen voller Geldstücke oder Tresore voller Geldschein-bündel. Zum Geldvermögen gehören aber nicht nur solcheBargeldbestände, sondern auch die Ansprüche auf Rücker-halt von Geld, das man anderen geliehen hat. Dabei spieltes keine Rolle, ob diese Geldüberlassungen länger- oderkurzfristig getätigt sind, ob an einen Nachbarn oder eineBank.

Unter Geldvermögen versteht man also die Summe vonGeld und Geldguthaben. Trotz dieser üblichen Zusammen-fassung muss man jedoch zwischen beiden Bestandteilenpräzise unterscheiden. Denn Geld ist immer das Primäre,die Voraussetzung dafür, dass man Geld überhaupt verlei-

Page 292: Creutz - Das Geld-Syndrom

293

hen und somit Geldguthaben erwerben kann. Außerdemkann das Geld und damit die Geldmenge nur von der dafürzuständigen Notenbank vermehrt werden, die Geldgutha-ben jedoch von jedem Wirtschaftsteilnehmer. Und sowenigdie Guthaben durch die Vermehrung der Geldmengezunehmen, so wenig nimmt die Geldmenge durch die Ver-mehrung der Guthaben zu. Auch die Auswirkungen derjeweiligen Vermehrungen sind völlig unterschiedlich. Soführt die Übervermehrung der Geldmenge zur Inflation,die der Guthaben zur Überschuldung.

Wie setzen sich Geldvermögen zusammen?

Welche Posten unter dem Begriff Geldvermögen üblicher-weise erfasst werden, geht aus der Darstellung 42 hervor.Ausgehend von den Veröffentlichungen der Bundesbank,sind darin die deutschen Geldvermögen des Jahres 1998,die damals bei 9 492 Mrd. DM lagen, in Milliardenbeträgenwiedergegeben und aufgeschlüsselt:

Auf der Basis einer Bargeldmenge von 242 Mrd. DM,baut sich also ein vielmals größeres Geldvermögen auf, zudem sogar die Aktien gezählt werden. Sicher ist das für vie-le Leser überraschend, denn Aktien sind weder Geld nochein Anspruch auf Rückerhalt von Geld. Sie dokumentierenvielmehr die Beteiligung an einem Unternehmen, also anSachvermögen, in das man sich eingekauft hat. Die offiziel-le Begründung für die Einbeziehung der Aktien in dieGeldvermögen ist, dass diese ähnlich wie Wertpapieregehandelt und leicht in Geld umgewandelt werden können.Diese Begründung ist sachlich höchst fragwürdig. Denndiese Möglichkeit zur Rückverwandlung in Geld trifftebenso auf Gold, Edelsteine und letztlich sogar auf alleHandelsgüter zu. Sogar die jeden Morgen neu gebackenen

Page 293: Creutz - Das Geld-Syndrom

294

Darstellung 42:

Brötchen werden bis zum Mittag zu Geld gemacht, ohnedass man sie zu den Geldvermögen zählt.

Ebenso fragwürdig ist, dass diese Aktien inzwischensogar zum Tages- bw. Kurswert in die Geldvermögen auf-genommen werden. Denn im Gegensatz zu den Geldgutha-ben, die einen fest umgrenzten Anspruch auf die Erfüllungeiner Geldforderung darstellen, ist bei den Aktien nie-mand zu einer Rückgabe des dafür hergegebenen Geldesverpflichtet. Deshalb sind die Tageskurse nichts anderesals Hoffnungswerte und allenfalls die Nennwerte akzepta-bel.

Page 294: Creutz - Das Geld-Syndrom

295

Wem gehören die Geldvermögen?

Wie die Schulden werden auch die Geldvermögen stati-stisch den drei Sektoren Privathaushalte, Unternehmenund Staat zugeordnet. Dabei werden allerdings häufig nurdie Guthaben erfasst, die durch Ausleihungen zwischenden drei Sektoren entstehen, Geldüberlassungen innerhalbdieser Sektoren jedoch nicht. Kredite eines Unternehmensan ein anderes Unternehmem oder eines Bürgers an seinenNachbarn finden also in der Statistik keinen Niederschlag.Ebenfalls nicht die Direktkredite von Kaufhäusern oderAutohändlern an ihre Kunden oder die Vermittlungen pri-vater Geldverleiher.

Als konkretes Beispiel für die Entwicklungen und Ver-teilungen der Geldvermögen sollen – wie bei den Schulden– wieder die deutschen Gegebenheiten in Form einer Ta-belle K herangezogen werden:

Tabelle K:Verteilung der Geldvermögen

Deutschland 1950 bis 1998, ab 1991 Gesamtdeutschland(nominelle Größen in Mrd. DM)

1950 1970 1990 1998 Anst.1950–98

private Haushalte 25 518 2 900 5 683 × 227

Unternehmen 20 211 1 410 3 179 × 159

öffentl. Haushalte 15 191 515 630 × 42

gesamtes Geldver-mögen

60 920 4 825 9 492 × 158

BSP zum Vergleich 105 676 2 426 3 769 × 36

Page 295: Creutz - Das Geld-Syndrom

296

Vergleicht man die absoluten Größen, dann verfügen dieprivaten Haushalte in Deutschland über den Hauptanteilder Geldvermögen. Ebenfalls verzeichnen sie den schnells-ten Anstieg ihrer Bestände in den dargestellten 48 Jahren.Die Zunahme der Geldvermögen bei den Unternehmenentsprach dagegen dem allgemeinen Durchschnitt, wäh-rend die öffentlichen Geldvermögen deutlich zurückfie-len.

Vergleicht man die Anstiegsfaktoren der Geldvermögenmit denjenigen des BSP, dann zeigt sich auch hier wieder dieScherenöffnung, die wir bereits bei den Schulden festge-stellt haben.

Wie haben sich die Anteile der Sektoren verän-dert?

In Prozenten des BSP aufgetragen, wie in Darstellung 43geschehen, wird die übermäßige Entwicklung der Geldver-mögen in Deutschland besonders anschaulich. So mussten1950 mit jeder Mark Sozialprodukt erst 57 Pfennig Geld-vermögen mit Zinsen bedient werden, im Jahr 2000 sind esbereits 260 Pfennig. Das heißt, genauso wie die Schulden,haben auch die Geldvermögen etwa 4,5-mal rascher zuge-nommen als die Wirtschaftsleistung!

Deutlich werden aus der Darstellung auch die Verschie-bungen zwischen den Sektoren. Während Anfang der 50erJahre alle drei Sektoren mit etwa einem Drittel an demGesamtbestand beteiligt waren, verfügten die Privathaus-halte 2000 über rund 60 Prozent. Die Unternehmen konn-ten ihren Drittelanteil halten, während der Staat der großeVerlierer war. 1960 noch auf 40 Prozent liegend, fiel seinAnteil bis 1990 auf elf und bis 2000 auf sieben Prozentzurück. Besonders stark haben dabei die Privathaushalte

Page 296: Creutz - Das Geld-Syndrom

297

Darstellung 43:

Page 297: Creutz - Das Geld-Syndrom

298

ihre Position in den 70er Jahren ausweiten können, wäh-rend in den letzten 20 Jahren vor allem die Unternehmenzulegten, beide praktisch auf Kosten des Staates.

Grundsätzlich könnte man diese Konzentration derGeldvermögen in den Händen der privaten Haushalte posi-tiv bewerten. Denn in einer Demokratie soll nicht der Staatwohlhabend und damit übermächtig sein, sondern die Bür-ger, die letztlich auch alle Werte schaffen. Problematisch istbei diesen Verschiebungen nur, dass diesen großen Geld-vermögen der Privathaushalte entsprechend große Ver-schuldungen im Bereich der Wirtschaft und des Staatesgegenüberstehen. Noch problematischer aber ist, dass sichdiese Geldvermögen innerhalb der Privathaushalte immerextremer verteilen und sich dabei keinesfalls bei den Wer-teschaffenden konzentrieren.

Wie verteilen sich die privaten Geldvermögen?

Über diesen interessanten Bereich gibt es seltsamerweisein kaum einem Land offizielle fortgeschriebene Statistiken.Während man jeden Monat mit Bergen oft unwichtigerDaten eingedeckt wird, z. B. über die Anzahl der ausgebrü-teten Eier und geschlüpften Küken, ist das Thema Vermö-gensverteilung fast so unbekannt wie ein unentdeckterErdteil. Das gilt nicht nur für die Geldvermögen, sonderngenauso für die Sachvermögen, vor allem für die Boden-werte und deren Verteilung.

Bezogen auf die Geldvermögen wird den deutschen Bür-gern zwar vom Statistischen Bundesamt in Wiesbadenjedes Jahr mitgeteilt, in welchem Maße alle gemeinsam wie-der reicher geworden sind. Ebenso werden auch die Durch-schnittswerte ausgewiesen. So entfielen beispielsweise 1998rechnerisch auf jeden Bürger rund 116 000 DM und auf

Page 298: Creutz - Das Geld-Syndrom

299

jeden Beschäftigten bzw. Haushalt sogar rund 280 000 DM,wenn man die gesamten Geldvermögen von 9 492 Mrd. DMheranzieht. Verteilt man die privaten Geldvermögen inHöhe von 5 683 Mrd. auf die Beschäftigten bzw. Haushalteum, dann liegen die Beträge bei 167 000 DM, verteilt aufalle Bürger bei 69 000 DM.

Rechnet man von diesen Beträgen jeweils die Konsu-mentenkredite ab, dann erhält man das so genannte Netto-geldvermögen. Diese Nettogeldvermögen, umgerechnet inProzent des verfügbaren Einkommens, werden in der Dar-stellung 44 für die G7-Länder und die Stichjahre 1985 und1995 wiedergegeben.

Darstellung 44:

Page 299: Creutz - Das Geld-Syndrom

300

Betrachten wir zuerst die Situation im Jahr 1985, dann dürftendie hohen Vermögensbestände in den USA, in Großbritanni-en und Kanada wahrscheinlich mit den langfristigen Erspar-nisbildungen zusammenhängen, die – im Gegensatz zu denübrigen Ländern – durch den letzten Weltkrieg kaum dezi-miert wurden. Dagegen hängt der hohe Bestand in Deutsch-land wie auch in Japan wohl eher mit den hohen Sparquotenzusammen. Diese unterschiedlichen Sparquoten dürften auchdie Ursache für die unterschiedlichen Entwicklungen zwi-schen 1985 und 1995 sein. Der aus dem Rahmen fallendegeringe Anstieg der Bestände in Deutschland in den zehn Jah-ren ist wahrscheinlich mit den deutlich geringeren Haushalts-vermögen in den neuen Ländern zu erklären, die zu einer Ab-senkung des gesamtdeutschen Durchschnitts geführt haben.

Gibt es Anhaltspunkte für die Verteilung derprivaten Geldvermögen?

Sollte aufgrund der angeführten Größen ein deutscher Bür-ger seine Sparbücher überprüfen und dort nichts Nennens-wertes entdecken, dann kann er davon ausgehen, dass seinNachbar das Doppelte des ihm statistisch Zustehendenhaben muss, also – bezogen auf das Haushaltsvermögen –etwa 340 000 DM. Sind auch dessen Konten recht beschei-den, müsste beim nächsten Nachbarn zwangsläufig fast dasDreifache der Durchschnittssumme zu finden sein, alsoetwa eine halbe Million. Dabei müssten wir bei diesenBeträgen eigentlich auch noch das Gros der Geldvermögenin den Unternehmen hinzuzählen, da diese ja letztlich fastalle wieder privaten Haushalten gehören. Doch mit diesenganzen Durchschnittswerten und Extrembeispielen kom-men wir immer noch nicht dahinter, wie die Geldvermögentatsächlich verteilt sind.

Page 300: Creutz - Das Geld-Syndrom

301

Selbstverständlich gibt es einige Statistiken, aus denengewisse Anhaltspunkte für die Vermögensverteilung zuentnehmen sind, z. B. die Erklärungen zur Einkommen-oder Vermögenssteuer. Allerdings kann man mit diesenBesteuerungsgrundlagen nicht allzu viel anfangen. Denneinmal gibt es bei diesen Erfassungen erhebliche Freigren-zen und Absetzungsmöglichkeiten, zum anderen sind dieGrauzonen der Vergesslichkeit zu berücksichtigen, geradewenn es um die Angaben zum Geldvermögen geht. Unddas geheiligte Bankgeheimnis in den meisten Ländernsorgt dafür, dass es sich bei diesen Grauzonen um keineBagatellen handelt.

Der Wirklichkeit näher – zumindest relativ – kommtman in Deutschland mit den Ergebnissen der so genann-ten ›Einkommens- und Verbrauchstichprobe‹. DieseErhebung wird alle fünf Jahre vom Statistischen Bundes-amt auf freiwilliger Basis bei rund 50 000 Haushaltendurchgeführt. Die jeweiligen Haushalte müssen dabei einJahr lang Aufzeichnungen über ihre Einkommen und Aus-gaben machen, eine Arbeit, für die sie ein kleines Entgeldbekommen.

Beim Schlussgespräch dieser Untersuchung werden dieHaushalte dann von ihrem Betreuer, unter dem Verspre-chen der Verschwiegenheit gegenüber dem Finanzamt,auch nach ihren wesentlichsten Geldvermögensarten sowieihren Konsumentenschulden befragt. Aus diesen angege-benen Größen errechnet man dann für jeden Haushalt dasNettogeldvermögen.

Page 301: Creutz - Das Geld-Syndrom

302

Was kann man den Stichprobenerhebungen ent-nehmen?

Die sich aus der Erhebung ergebende Verteilung der deut-schen Nettogeldvermögen ist in der Darstellung 45 für dasJahr 1983 wiedergegeben. Dieses Jahr wurde für die Dar-stellung herangezogen, weil man damals die Auswertungder Ergebnisse besonders differenziert auf 26 Haushalts-gruppen verteilt hat. Bei den späteren Erhebungen hat mandiese Verteilung nur noch auf eine geringere Zahl vonGruppen bezogen, womit die besonders interessanten Spit-zengrupppen, sowohl der Vermögenden als auch derSchuldner, in größeren Gruppen untergingen.

Wie die Darstellung zeigt, hatten 1983 acht Prozent derPrivathaushalte ein ›negatives Nettogeldvermögen‹ (wiedie Statistiker das so rücksichtsvoll nennen!), also mehrSchulden als Vermögen bzw. nur Schulden. Bei der Spitzen-gruppe dieser Schuldenmacher lag der Minussaldo damalsbereits bei 72 000 Mark. Wohlgemerkt: Nur für Konsumen-tenschulden! Also für Möbel, Reisen und natürlich dieAutofinanzierung, mit der auch heute noch die Konjunktur(auf Pump) angeheizt wird.

Fünf Prozent aller Haushalte hatten nach der Auswer-tung einen Nullsaldo, das heißt, entweder so viel Schul-den wie Vermögen oder von beidem nichts. Die restli-chen 87 Prozent der Haushalte waren besser dran. Sieverfügten über ein ›positives Nettogeldvermögen‹. Aller-dings stiegen auch bei dieser Mehrheit die Geldvermögenanfangs nur sehr zögerlich an, um gegen Ende umso kräf-tiger in die Höhe zu schießen, nämlich bis zu 340 000 DMin der damaligen Spitzengruppe. Da sich inzwischen dieGeldvermögen in Deutschland verdreifacht haben, mussman auch die angegebenen Werte entsprechend hoch-rechnen.

Page 302: Creutz - Das Geld-Syndrom

303

Darstellung 45:

Page 303: Creutz - Das Geld-Syndrom

304

Teilt man einmal die Haushalte in zwei Hälften und rechnetbei jeder Hälfte die jeweiligen Nettogeldvermögen zusam-men, dann hatte nach dieser Erhebung die ärmere linkeHälfte gerade vier (!) Prozent des gesamten Geldvermö-gens in der Hand, die andere Hälfte den ›Rest‹ von 96 Pro-zent! Dabei konzentriert sich allerdings das Gros dergesamten Vermögen in dieser reicheren Hälfte nochmalsbei den letzten zehn Prozent der Haushalte. Doch auch die-ses detaillierte Verteilungsbild ist relativ geschönt, da indieser Erhebung die Haushalte mit einem Monatseinkom-men von mehr als 25 000 Mark nicht in Erscheinung treten.Das heißt, dort wo die Statistik besonders interessant zuwerden beginnt, hört sie leider vorher auf.

Nach Auskunft des Statistischen Bundesamtes wurdediese Einkommensgruppe nicht mit aufgenommen, weilsich daraus zu wenige an der Erhebung beteiligt hatten. Dasist aber auch verständlich. Denn einmal sprechen dieseSuperreichen nicht gerne über ihr Vermögen und zumanderen dürfte sie ein Honorar von ein paar Mark kaumverlocken, für die Statistiker ein ganzes Jahr lang über alleEinkommen und Ausgaben Buch zu führen.

Nicht zuletzt als Folge dieser fehlenden Spitzenzahlenbewegt sich auch das Gesamtergebnis dieser Befragungenweit unter jenen Größen, die von der Bundesbank als Geld-vermögensbestände der privaten Haushalte ausgewiesenwerden. So lagen diese laut Bundesbank 1983 bei 1 824Mrd. DM, während sich aus den Befragungen des Statisti-schen Bundesamtes nur 504 Mrd. DM ergaben.

Die in der Grafik wiedergegebene Spitzengruppe miteinem Vermögen von 340 000 DM sagt also über die tat-sächlichen Spitzenvermögen so gut wie gar nichts aus.Schon ein einfacher Millionär hat eine dreimal so hohe Ver-mögenssäule, ein Milliardär eine dreitausendmal sohohe!

Page 304: Creutz - Das Geld-Syndrom

305

Wie sieht es mit den Vermögensverteilungen inder Welt aus?

Neben dem Tatbestand, dass die zunehmenden Geldver-mögen die Ursache und das Spiegelbild der im Gleich-schritt wachsenden Überschuldung sind, ist auch dieZunahme der Verteilungsdiskrepanzen bedenklich. Diesgilt nicht nur für die hier geschilderten Verhältnisse inDeutschland, sondern in der ganzen Welt. So hieß es z. B.Anfang 2000 in einem Bericht über die Entwicklungen inden USA, der sich auf die Aussagen des MIT-ProfessorsLester C. Thurow stützte, »dass das Gehaltniveau von lei-tenden Geschäftsführern und Vorstandsvorsitzenden inden letzten 30 Jahren vom 44fachen auf das 212fache desamerikanischen Durchschnittseinkommens angestiegenist«. Außerdem war in dem Bericht zu lesen, dass die Zahlder Milliardäre in den USA von 13 im Jahr 1982 auf 218 imJahr 1998 zugenommen habe und dass das Vermögen vonBill Gates, des reichsten Mannes in den Staaten, dem Ver-mögen von 40 Prozent der Amerikaner entspricht, also demder 110 Millionen am Ende der Reichtumspyramide. Die-ser Vergleich erinnert an jene Meldung der UNO, nach derbereits 1996 die 358 reichsten Menschen auf der Erde einVermögen auf sich konzentriert hatten, dass dem Jahresein-kommen von 45 Prozent der Menschheit entsprach. Unddie Kluft zwischen den ärmsten 20 Prozent der Menschheitund den reichsten 20 Prozent hat sich nach der gleichenAussage seit 1960 mehr als verdoppelt, und zwar von 30 : 1auf 78 : 1.

Aber nicht nur in den USA hat sich der Reichtum über-proportional entwickelt. Auch in der kleinen Schweiz nahmdie Zahl der Milliardäre in den letzten zehn Jahr auf dasFünffache zu und – wie die »Süddeutsche Zeitung« am22. Oktober 1999 schrieb – besitzen drei Prozent der

Page 305: Creutz - Das Geld-Syndrom

306

Schweizer Bevölkerung 374 Mrd. Franken an zu versteu-erndem Reinvermögen und damit fast ebenso viel wie dieübrigen 97 Prozent der Steuerpflichtigen.

Gehen wir noch einmal nach Deutschland zurück, dannhaben sich dort von 1990 bis Ende 1999 die Geldvermögenknapp verdoppelt, mit einem durchschnittlichen Zuwachsvon 7,5 Prozent. Dies teilte die Deutsche Bundesbank inihrem Monatsbericht vom Juni 2000 mit, in dem sie auchanführt, dass dieser Zuwachs zu einem Viertel aus Kursstei-gerungen von Wertpapieren stammt und der Rest aus nor-malen Ersparnissen. Nach einer Meldung der Bundesbankaus dem Jahr 1997, schlagen dabei die Zinsgutschriften mit80 Prozent der Neuersparnisse zu Buche.

Wie entstehen Geldvermögen und woher kommtdas Überwachstum?

Wie jeder von uns weiß, kommt man normalerweise nur zuGeldvermögen, wenn man von seinem Einkommen etwasauf die Seite legt. Mit Glück kann man natürlich auch beimLotto oder Toto zu ansehnlichem Vermögen kommen. Dochwenn man bedenkt, dass z.B. die Geldvermögen in Deutsch-land in den 90er Jahren im Durchschnitt p.a. um 500 Mrd.DM zugenommen haben, tagtäglich also um 1370 Millionen,dann schmelzen die paar Hundert Lottomillionäre im Jahr zueiner unerheblichen Größe zusammen. Vergegenwärtigtman sich jedoch, dass allein die deutschen Banken in den90er Jahren täglich Zinsen in Höhe von mehr als 1000 Millio-nen an die Sparer ausgeschüttet haben, dann kommen wirder Sache näher: Geldvermögen entstehen bzw. vermehrensich nicht nur aus zurückgelegten Arbeitseinkommen oderLotteriegewinnen, sondern vor allem durch die Zinsgut-schriften auf die bereits vorhandenen Geldvermögen. Das

Page 306: Creutz - Das Geld-Syndrom

307

heißt, sie vermehren sich gewissermaßen ›von alleine‹! Unddiese wundersame Selbstvermehrung nimmt mit dem Über-wachstum der Geldvermögen immer rascher zu, beschleu-nigt noch bei steigenden Zinssätzen. Da aber auch in der bes-ten Wirtschaft nichts vom Himmel fällt und alle zur Vertei-lung kommenden Einkünfte nur aus Arbeit entstehen, müs-sen die Arbeitleistenden im gleichen Umfang relativ ärmerwerden, wie die bereits Reichen relativ reicher.

Der Zins- und Zinseszinseffekt, der die vorhandenenGeldvermögen mit Verdoppelungsraten wachsen lässt,bewirkt also eine ständige Einkommensumschichtung vonder Arbeit zum Besitz, die sich nach mathematischenGesetzmäßigkeiten beschleunigt. Dabei sammeln sich aufden Konten der Vermögensbesitzer nicht nur die Zinsenaus den Geldvermögen an, sondern auch die Renditen ausden Sachvermögen, die sich in ihrer Höhe tendenziell anden Geldzinssätzen orientieren.

Auf dieses Überwachstum der Geldvermögen hat Rüdi-ger Szallies, Geschäftsführer der Gesellschaft für Konsum-forschung in Nürnberg, bereits 1991 in der Zeitschrift»Sparkasse«, hingewiesen:

»Während sich das Nettoeinkommen der Bundesbür-ger in den letzten 25 Jahren vervierfacht hat, stieg dieSparquote . . . um den Faktor 8. Das private Geldvermö-gen . . . wuchs um den Faktor 16. Bereits Anfang dieserDekade wird das private Geldvermögen die 3-Billio-nen-DM-Grenze überschreiten und sich bis zum Jahr2000 auf ca. 5 Billionen DM hinaufkatapultiert haben.«

Die Wirklichkeit hat diese Prognose allerdings noch über-holt. Denn die 5-Billionen-Grenze wurde bereits Anfang1997 überschritten und Mitte 2000 sind bei den privatenGeldvermögen bereits 7 Billionen fällig!

Page 307: Creutz - Das Geld-Syndrom

308

Darstellung 46:

Mit diesen immer höheren Geldvermögen nimmt jedochnicht nur die Möglichkeit zu erhöhter Verschuldung zu, son-dern auch der Zwang dazu. Denn im gleichen Umfang, indem sich bei den Geldvermögensbesitzern neue Über-schüsse an Kaufkraft sammeln, fehlt diese in der Wirt-schaft. Da diese Lücke nur in einem geringen Umfangdurch die Geldvermögensbesitzer selbst geschlossen wird,gleichgültig ob über Ausgaben oder Investitionen, muss dasGros dieser Überschüsse durch zusätzliche Kredite in denKreislauf zurückgeschleust werden. Diese Zurückschleu-sungen sind jedoch wieder mit Zinsen verbunden, die einweiteres noch beschleunigteres Wachstum der Geldvermö-

Page 308: Creutz - Das Geld-Syndrom

309

gen bewirken, woraus sich erneut ein entsprechend vergrö-ßerter Verschuldungszwang ergibt.

Die Darstellung 46 gibt diese sich selbst nährende Pro-blementwicklung wieder, die im Prinzip einem positivenRückkopplungsprozess entspricht. Alle Systeme und Pro-zesse aber, die nach diesem Prinzip funktionieren, sind zumZusammenbruch verurteilt.

Aufgrund der gegebenen Geldstrukturen befinden sichdie heutigen Volkswirtschaften also in einem mehrfachenDilemma: Schleusen sie die sich ansammelnden Geldver-mögen nicht in die Wirtschaft zurück, droht eine geldman-gelbedingte Rezession oder gar Depression. Führen sie dieGeldvermögensausweitungen jedoch über Kredite in denKreislauf zurück, droht eine Überschuldung mit zuneh-menden sozialen Spannungen. Und versuchen sie diesensozialen Spannungsgefahren durch ständiges Wirtschafts-wachstum aus dem Weg zu gehen, beschleunigen sie denökologischen Zusammenbruch.

Was sagt die Wissenschaft zur Geldvermögens-Überentwicklung?

Während die Geldvermögensexplosionen und -konzentra-tionen wenigstens in den Schlagzeilen der Printmedien abund zu Spuren hinterlassen, sind sie für die Wissenschaftbislang kaum ein Thema. Allenfalls einige Außenseiterstreifen es einmal. So z. B. der US-Ökonom Ravi Batra, dersich mit seinem Titel »Die große Rezession von 1990« zwaraufs Prognose-Glatteis wagte, doch zumindest einmal aufdie zunehmenden Reichtumskonzentrationen als Auslöserökosozialer Spannungen und damit einer möglichen Krisehingewiesen hat:

Page 309: Creutz - Das Geld-Syndrom

310

»Nach einem Bericht der New York Times hat sich dieZahl der Milliardäre in den Vereinigten Staaten imJahre 1986 von 14 auf 26 erhöht und damit innerhalbeines Jahres nahezu verdoppelt. Sie nehmen damiteinen immer größeren Anteil des Volkseinkommensauf Kosten der Armen für sich in Anspruch.

Von den superreichen Amerikanern verfügen fünfProzent über mehr Einkommen als 40 Prozent derGesamtbevölkerung. Und unter den Allerreichstender Reichen verfügt ein Prozent über ein größeresVermögen als 90 Prozent der Bevölkerung.«

Wie fragwürdig jedoch selbst die geldbezogenen Kenntnis-se eines sozial engagierten Wirtschaftswissenschaftlerssind, kommt am Ende seines Buches zum Vorschein. Vorden Folgen der von ihm erwarteten Rezession warnend,erteilt er den Lesern Verhaltenshinweise, die diese Rezessi-on geradezu erzeugen müssen. Das trifft z. B. auf seinenVorschlag zu, bei beginnendem Zusammenbruch derAktienmärkte sämtliche Wertpapiere abzustoßen, ein Ver-halten, das den Supercrash an der Börse erst recht garantie-ren würde. Und im fortgeschrittenen Stadium der angelau-fenen Krise rät er den vermögenden Lesern, als »vernünfti-ge Strategie . . . ein Drittel auf dem Bankkonto, ein Drittelim Safe und ein Drittel zu Hause« aufzubewahren. Dass esmit der Befolgung dieses Rates zu einem panikartigen Runauf die Banken kommen würde und damit erst recht zueiner Beschleunigung des Zusammenbruchs, ist ihm offen-sichtlich nicht bewusst. Ebenso, dass alle Dollars in denUSA nicht reichen würden, wenn auch nur ein Bruchteil derBürger ein Drittel ihrer Vermögen zu Hause deponierenwollte!

Im Übrigen bedarf es gar nicht einer solchen großen Kri-

Page 310: Creutz - Das Geld-Syndrom

311

se. Wenn eines Tages die Banken die Verschuldungsrisikennicht mehr auffangen können und dem Staat nur noch dieFlucht in eine inflationäre Geldvermehrung übrig bleibt,dann werden schließlich auch die Geldbesitzer Opfer ihresVermögens-Überwachstums. Dazu schrieb der in Aachenlehrende Ökonom Karl-Georg Zinn bereits im »Jahrbuchfür Nationalökonomie und Statistik 1986«:

»Die Wachstumsrate des Geldvermögens der privatenHaushalte der Bundesrepublik betrug seit 1980 imJahresdurchschnitt über 12 %. Entsprechend hoch lagauch der Anstieg der Zinseinkommen, damit war einestarke Zunahme der Zinseinkommensquote verbun-den. Diese Entwicklung wirft die Frage auf, wie langesich die Zunahme des Zinseinkommensanteils fortset-zen kann und welche Konsequenzen für Inflation undBeschäftigung aus dem Zinsquotenanstieg resultie-ren. Da die starke Geldvermögensbildung nicht miteinem entsprechenden Zuwachs des Realvermögensverbunden war . . . stellt sich weiterhin das Problemeiner möglichen (wachsenden) Diskrepanz von Geld-und Realvermögensbeständen.«

Page 311: Creutz - Das Geld-Syndrom

312

17. Kapitel

Die Überentwicklung derZinsströme

»Die weltweit überproportionalwachsenden Zinsströme, der sich dar-aus ergebende Zwang zum Wirt-schaftswachstum und die damit ein-hergehende ökologische Katastrophezwingen uns . . .bereits aus puremEigeninteresse zum Umdenken.«Hugo Godschalk*

* Ökonom in »Gerechtes Geld – gerechte Welt«

Dass mit der Überentwicklung der Geldvermögen undSchulden auch die Zinsströme überproportional ansteigen,ist verständlich. Die Größen der Zinsströme werden jedochnicht nur vom Umfang der Vermögens- und Schuldenbe-stände bestimmt, sondern auch von den schwankendenZinssätzen. Bevor wir diesen Zinssatzschwankungengenauer nachgehen, vorab zur besseren Übersicht erst ein-mal eine Tabelle der langfristigen Entwicklungen der Zins-stromgrößen, bezogen auf die Verhältnisse in Deutschland.Dabei werden, mangels anderer Zahlen, die Zinserträgeund -aufwendungen der Banken herangezogen, die von derDeutschen Bundesbank jährlich als Zusammenfassung ver-öffentlicht werden. Als Differenz zwischen diesen beidenGrößen verbleibt die Bankmarge, mit der die Vermittlungs-kosten der Bank abgedeckt werden. Dabei sind die Perso-nalausgaben mit rund 50 Prozent der größte Einzelpos-ten.

Page 312: Creutz - Das Geld-Syndrom

313

Tabelle L:Entwicklung der Bankzinserträge und -aufwendungen inDeutschland, im Vergleich mit Geldvermögen, Schuldenund BSP, 1950 bis 1998, in Mrd. DM

1950 1960 1970 1980 1998 Anstieg

Geldvermögen 59 337 926 2 390 9 492 × 161

Schulden 66 303 852 2 327 9 902 × 150

Bruttosozialpro-dukt

105 303 676 1 485 3 727 × 35

Zinserträge derBanken

3,0* 12 49 172 603 × 201

(in % BSP/BIP 3 % 4 % 7 % 12 % 16 %)

Zinsaufwendungender Banken

2,2* 8 35 132 455 × 207

Zinsüberschuss 0,8 4 14 40 148 × 185

*) eigene Ansätze

Dass die bankbezogenen Zinsertrags- und -aufwandsgrö-ßen stärker angestiegen sind als die Bestandsgrößen derGeldvermögen und Schulden, hängt vor allem mit derzunehmenden Einschaltung der Banken bei allen Erspar-nisbildungen und Kreditvergaben zusammen. So wurden inDeutschland in den ersten Nachkriegsjahrzehnten nochviele Kredite, vor allem für Hypotheken, direkt zwischenPrivatpersonen und Unternehmen vergeben.

Es sei noch einmal daran erinnert, dass es sich bei denhier angeführten Zinsen nur um jene handelt, die mit demGeldkapital verbunden sind. Die Verzinsungen des schul-denfreien Sachkapitals – also des wirtschaftlich eingesetz-ten Eigenkapitals – sind mit den obigen Zahlen also nicht

Page 313: Creutz - Das Geld-Syndrom

314

erfasst. Aber auch die den Statistiken zu entnehmendengeld- bzw. bankbezogenen Zinsgrößen geben nicht den vol-len Umfang der Zinslasten und -einkommen wieder. Denndie volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) ent-halten im Allgemeinen nur die Zinsströme zwischen dendrei Wirtschaftssektoren, also zwischen Unternehmen,Staat und Privathaushalten. Die innerhalb der Sektorenanfallenden Verleihvorgänge und Zinsen werden dagegennicht erfasst, ebenso wenig alle Zinsen, die mit direkt einge-räumten Kaufkrediten u. ä. zusammenhängen.

Rechnet man die bankbezogenen Zinswerte einmal aufdie Arbeitstage um, dann haben die deutschen Kreditinsti-tute im Jahr 1998 an jedem der etwa 240 Bank- und Werkta-ge rund 1 650 Millionen DM an Zinsen eingezogen und rund1 250 Millionen DM den Geldgebern gutgeschrieben. Zwarmuss man von den ganzen bankbezogenen Zinsgrößen inder Tabelle rund ein Viertel für die bankinternen Kreditge-währungen abziehen, wenn man die volkswirtschaftlichrelevanten Größen erhalten will. Dafür aber muss man min-destens in gleicher Größenordnung jene geldbezogenenZinsströme hinzurechnen, die nicht mit Bankeinlagen und-krediten zusammenhängen. Neben den Zinseinkünftenaus Versicherungsanlagen gehören hierzu vor allem dieErträge aus Wertpapieren, Schuldverschreibungen undInvestmentfonds, aber auch die oben genannten Zinsen ausKreditgewährungen innerhalb der Sektoren.

Wie verändern sich die Zinsströme in der Volks-wirtschaft?

Wie aus der Tabelle L hervorgeht, entwickeln sich die Geld-vermögen und Schulden zwar deutlich rascher als dasSozialprodukt, langfristig aber relativ kontinuierlich. Ent-

Page 314: Creutz - Das Geld-Syndrom

315

sprechend kontinuierlich würden auch die Zinsbelastungenwachsen, wenn die Zinssätze auf gleicher Höhe blieben.Diese Zinssätze unterliegen jedoch in ihrer Entwicklungständigen Schwankungen, die vor allem in Hochzinsphasenbzw. Zins-Anstiegsphasen gravierende Folgen haben.Denn dann addieren sich die Wirkungen der steigendenZinssätze mit jenen aus den sowieso gegebenen Überan-stiegen der Geldvermögen und Schulden auf. Diese fastexplosiven Anstiege gehen aus der Tabelle M hervor, in dermit der Zeitspanne von 1988 bis 1992 die letzte Hochzins-phase erfasst wird.

Tabelle M:Veränderung der Zinsstromgrößen im Vergleich mit ande-ren realwirtschaftlichen Größen in der Hochzinsphase1988–1992, Westdeutschland, Werte in Mrd. DM

1988 1992 Veränderungen:

A: Gesamtwirtschaft:Bruttoinlandsprodukt: 2 096 2 794 698 + 33 %Bruttolöhne und -gehälter: 949 1 226 277 + 29 %Nettolöhne und -gehälter: 648 816 168 + 26 %

B: Produktionsunternehmen:Nettowertschöpfung: 1 350 1 780 430 + 32 %Brutto-E. unselbst. Arb.: 847 1 116 269 + 32 %aus Unternehmertätigkeit: 316 380 64 + 20 %bezahlte Schuldenzinsen: 131 252 121 + 92 %

C: Banken:Kontokorrent-Zinssätze: 6,1 % 12,0 % + 96 %Kapitalmarktzinsen: 6,0 % 8,1 % + 35 %Zinserträge der Banken: 243 445 202 + 83 %Zinsaufwend. der Banken: 171 344 173 + 101 %Bankmarge: 72 101 29 + 40 %

Page 315: Creutz - Das Geld-Syndrom

316

Wie daraus hervorgeht, schlagen die Zinsanstiege im erstenStadium vor allem bei den Unternehmereinkommen zuBuche. In der Hochzinsphase 1978 bis 1982, in der die Kapi-talmarktzinsen von sechs auf zehn Prozent kletterten, gin-gen diese Einkommen aus Unternehmertätigkeit sogarabsolut zurück, gefolgt – wie auch nach 1992 – von einemsteilen Anstieg der Firmenpleiten.

Aus diesen Vergleichen geht hervor, dass die Zinsbelas-tungen der Wirtschaft innerhalb von vier Jahren zweiein-halbmal so schnell zunahmen wie die Wirtschaftsleistung,die Zinseinkommen der Geldgeber (Zinsaufwendungender Banken) sogar dreimal so schnell.

Wie sieht die langfristige Auseinanderentwick-lung aus?

So problematisch und fragwürdig die Größe Sozialproduktauch in vieler Hinsicht ist: im Vergleich mit seiner Entwick-lung lassen sich die Veränderungen anderer Größen undderen Abweichungen deutlich machen. Das zeigt auch dieDarstellung 47, in der zur Ergänzung der vorstehendenTabelle die prozentualen Entwicklungen des nominellenBSP und der Bankzinserträge sowie einiger lohnbezogenerGrößen in Westdeutschland gegenübergestellt werden.

Die Grafik lässt auf den ersten Blick erkennen, in wel-chem Maß Zinsbelastung und Sozialprodukt in dem darge-stellten Zeitraum auseinander gedriftet sind. Während dasBSP ›nur‹ auf das 4,2fache zunahm, stieg die Verzinsung indrei Schüben auf das Zehnfache an. Das heißt, gemessen ander Leistung der Volkswirtschaft war die bankbezogeneSchuldenzinsbelastung 1993 fast 2,5-mal so hoch wie 1970.

Deutlich sichtbar werden hier vor allem auch die Wir-kungen der Zinsanstiegsphasen, die aus der zusätzlich ein-

Page 316: Creutz - Das Geld-Syndrom

317

Darstellung 47:

Page 317: Creutz - Das Geld-Syndrom

318

geblendeten Zinskurven und den Schraffuren zu ersehensind. Sinken die Zinssätze wieder, bricht zwar auch derZinslast-Anstieg ab, jedoch ohne wieder auf den altenStand zurückzugehen. Ursächlich dafür ist der zwischen-zeitliche weitere Anstieg der Verschuldung: So wie dieserständige übermäßige Schuldenanstieg die Zinslastkurve inZinsanstiegsphasen beschleunigt ansteigen lässt, so verhin-dert er bei fallenden Zinssätzen deren Rückgang. Bei denZinssatzanstiegen addieren sich also die Anstiegseffekte,während die Entlastungseffekte der sinkenden Zinssätzedurch die steigende Schuldenmasse aufgezehrt werden.Das wird vor allem in der langen Zinssenkungsphase von1980/81 bis 1988 deutlich, in der es nur zu einem geringfügi-gen relativen Rückgang der Zinsbelastung kam.

Aufschlussreich sind auch die beiden zusätzlich eingetra-genen Lohnkurven, die beide gegenüber der Wirtschafts-entwicklung deutlich zurückgeblieben sind. Aufgrund derzugenommenen Zahl der abhängig Beschäftigten ist dieDiskrepanz bei den Pro-Kopf-Einkommen besonders groß.Und diese gemessen an der Wirtschaftsentwicklung zuniedrigen Pro-Kopf-Einkommen werden dann beim Aus-geben nochmals durch die steigenden Zinsanteile in allenPreisen in ihrer realen Kaufkraft geschmälert!

Die geldbezogenen Zinsen beim Staat

Ziehen wir wieder die Gegebenheiten in Deutschland her-an, dann lagen dort die gesamten Zinslasten der öffentli-chen Haushalte 1998 bei 134 Mrd. DM. Umgerechnetwaren das pro Tag 367 Millionen und pro Stunde gut 15 Mil-lionen.

Diese täglich gezahlten 367 Millionen DM entsprechenetwa dem Gegenwert von rund 1 000 großen Etagenwoh-

Page 318: Creutz - Das Geld-Syndrom

319

nungen. Mit den öffentlichen Zinszahlungen eines Jahresließen sich also rund 370 000 Wohnungen finanzieren, wasdem durchschnittlichen Wohnungsbauvolumen eines Jah-res oder fast der Wohnsubstanz einer Großstadt mit einerMillion Einwohnern entspricht! Dieses Bauvolumen einesJahres verschenkt der Staat gewissermaßen jedes Jahr aufKosten seiner Steuerzahler. Allerdings nicht an sozialschwache Bürger oder Familien mit Wohnbedarf, sondernin Form der Zinsen eher an solche, die meist schon über einHaus oder sogar mehrere verfügen, zumindest aber überein größeres Geldvermögen.

Noch griffiger werden die vom Staat eingezogenen undgezahlten Zinsen, wenn man sie einmal auf die Bürgerumrechnet. Pro Kopf ergibt sich dann für 1998 ein Betragvon rund 1 700 DM, umgerechnet auf jeden Beschäftigtenbzw. jeden Haushalt von rund 4 000 DM. Das heißt, jederErwerbstätige in Deutschland musste 1992 rechnerisch fasteinen Monat lang nur für die Schuldenzinsen von Bund,Ländern und Gemeinden arbeiten. Da die Gesamtver-schuldung der deutschen Volkswirtschaft jedoch fast vier-mal so groß wie die der öffentlichen Haushalte ist, liegt diegesamte geldbezogene Zinsbelastung je Erwerbstätigensogar bei 16 000 DM!

Das Thema Zinsendienst des Staates ist zwar erst nachder Wiedervereinigung stärker in die Schlagzeilen gerückt,wie aus der Zinszahlungskurve in der folgenden Darstel-lung 48 hervorgeht, jedoch bereits seit Anfang der 70er Jah-re ein wachsendes Problem.

Vor allem vermitteln die zusätzlich in der Grafik einge-tragenen jährlichen Kreditaufnahmen bereits optisch, dasswährend der ganzen Jahrzehnte die Neukreditaufnahmenden Zinszahlungen entsprochen haben müssen. Das zeigtsich auch, wenn man die jeweiligen Beträge in den letzten30 Jahren addiert.

Page 319: Creutz - Das Geld-Syndrom

320

Darstellung 48:

Anfang der 70er Jahre musste man den Posten Schulden-zinsen in den deutschen Staatsausgaben noch ›unter fernerliefen‹ suchen. Anfang der 80er Jahre hatte er beim Bundbereits den dritten Platz im Etat erobert, gleich hinter denAusgaben für Arbeit und Soziales und jenen für die Vertei-digung. Mitte der 80er Jahre zogen die gesamten öffentli-chen Zinszahlungen bereits an den Verteidigungsausgaben

Page 320: Creutz - Das Geld-Syndrom

321

vorbei, inzwischen belegen sogar die Bundeszinsen alleineden zweiten Platz. Und schon 1999 musste der deutscheFinanzminister rechnerisch jede vierte Steuermark für dieBedienung der Schulden zurücklegen.

Der Tatbestand der Übereinstimmung von Neukredit-aufnahmen und Zinszahlungen wurde inzwischen auch vonoffizieller Seite bestätigt, nämlich durch den Staatssekretärim Bundesfinanzministerium, Manfred Overhaus. Nacheinem Bericht in der Wochenzeitung »Die Zeit« vom14. 1. 1999, sagte er auf einer Tagung zum Thema Staatsver-schuldung in Berlin:

»In einer langfristigen Betrachtung kann man also ganzklar sagen, dass sich diese ganze Veranstaltung nichtgelohnt hat. Denn hätten wir dauerhaft auf Kredite ver-zichtet, müssten wir heute keine Zinsausgaben leistenund hätten keine Zinsrisiken zu fürchten. Wir hättenaber für Investitionen genauso viel ausgegeben wie bis-her, denn in dieser Rechnung sind die Investitionsaus-gaben voll aus Steuermitteln finanziert worden, weil dieKrediteinnahmen für die Zinsausgaben verbrauchtwurden.«

Wie sieht das in den anderen Staaten aus?

Wie jeder andere, können auch Staaten jede Mark nur ein-mal ausgeben. Das gilt auch für die Zinsen: In dem Maße,wie sie hierfür mehr zu zahlen haben, müssen andere Aus-gaben eingeschränkt, die Einnahmen erhöht oder nochmehr Schulden gemacht werden.

Gottfried Bombach, Prof. für Nationalökonomie an derUniversität Basel, hat schon Anfang 1991 in der Zeitschrift»Der Monat« des Schweizerischen Bankvereins geschrieben:

Page 321: Creutz - Das Geld-Syndrom

322

»Das eigentliche Problem liegt nicht in der Existenz ei-ner Staatsschuld . . . sondern im Zwang ihrer Verzinsung.Eine hohe Zinslastquote kann den Handlungsspielraumvon Regierungen entscheidend einschränken.«

Da diese Gefahr immer deutlicher zu Tage trat, hat manbereits mit der Einführung des Euro versucht, die Länderan die Leine zu legen. Denn da man zur Schließung derLöcher im Etat auch noch die Ausgaben im Arbeits- undSozialbereich zu kürzen begann, drohte in einigen Länderndie Zinslast auf den ersten Rang der Staatsausgaben zurücken.

Bezogen auf die gesamten Staatsausgaben mussten dieEWU-Länder 1980 sieben Prozent für den Zinsendienstaufwenden, 1995 waren es bereits elf Prozent. Dabei gibt esgravierende Unterschiede. Während in Deutschland,Frankreich und Irland diese Größe 1995 bei knapp achtProzent lag, erreichte sie in Irland und Portugal bereits 14bzw. 15 Prozent. In Belgien lag sie sogar bei 18 und in Italienbei 24 Prozent.

Kein Wunder, dass auch die Politiker in den anderenLändern es seit 30 Jahren ähnlich gemacht haben wie inDeutschland und wie es sonst nur in Bananenrepublikenüblich ist: Man leiht sich, statt die Bürger zur Kasse zu bit-ten, einfach neues Geld! Das bestätigte im Frühjahr 1999der Landeszentralbank-Direktor von Nordrhein-Westfa-len, Prof. Reimut Jochimsen:

»Für die Gesamtheit der elf EWU-Länder gilt, dass dieNeuverschuldung gerade ausgereicht hat, die Zinslastaus der Verschuldung zu decken. Im Zeitraum 1970 bis1998 war die Defizitquote mit 3,57 Prozent des BIPpraktisch genauso hoch wie die Zinslastquote mit 3,63Prozent.«

Page 322: Creutz - Das Geld-Syndrom

323

Um die Verschuldungen nicht noch mehr eskalieren zu las-sen, haben sich die Verantwortlichen in fast allen Länderndurch den Verkauf staatlicher Einrichtungen, des so ge-nannten Tafelsilbers, etwas Luft für die Zinszahlungen ver-schafft. Aber solche Ausverkäufe öffentlicher Güter (dieeigentlich den Bürgern gehören, weil von diesen bezahlt),sind nur ein Mal möglich. Außerdem sind sie in den meistenFällen auch noch mit anschließenden Einnahmeverlustenverbunden.

Weil man trotzdem immer mehr ins Schleudern kommt,beabsichtigen inzwischen einige Regierungen, die Kredit-aufnahmen abzubremsen. Die Regierungen in Deutsch-land und in den USA wollen sogar die Schuldenbeständedezimieren. Angesichts der guten Konjunktur und der der-zeit hohen Staatseinnahmen, könnte das zumindest in dennächsten Jahren auch gelingen. Allerdings können all dieseEntschuldungspläne morgen schon wieder Makulatur sein,wenn sich die Inflation belebt und damit die Zinsen – wiebereits der Fall – wieder nach oben gehen. Schon einAnstieg der Zinssätze um zwei Prozentpunkte würde dieheutigen Zinslasten der Staaten um rund ein Drittel anstei-gen lassen. Außerdem würde mit den steigenden Zinslastendie allgemeine Konjunkturlage beeinträchtigt und in derFolge die Steuereinnahmen sinken. Und wenn dann an denBörsern noch die Spekulationsblase platzt, mit deren Hilfesich die Konsumenten reich gerechnet und auf großem Fußgelebt haben, sind die Folgen noch katastrophaler. Das giltangesichts des riesigen Außenhandelsdefizits gerade auchfür die USA. Obwohl dieses Land als einziges in der Weltseine Auslandsschulden mit selbst gedruckten Dollarschei-nen abbauen kann, würde das auch dort nicht ohne Folgenbleiben. Allerdings auch nicht für jene Länder, deren Wirt-schaft von Exporten in die USA abhängig sind.

Page 323: Creutz - Das Geld-Syndrom

324

Was wäre, wenn der Staat die Bürger direkt zurKasse bitten würde?

Man stelle sich einmal vor, der Staat würde dem Bürger dasGeld für die Bedienung der öffentlichen Schulden direktaus der Tasche ziehen. Dann müsste er sich z. B. in Deutsch-land, zur Bedienung der jährlich fälligen 140 Mrd. DM Zin-sen, bei jedem Erwerbstätigen mit rund 4 000 DM refinan-zieren. Oder der Staat müsste die Steuern entsprechenderhöhen, z. B.: die Lohnsteuern um 40 Prozent oder dieMehrwertsteuer von derzeit 16 auf 32 Prozent. Schon dieAnkündigung einer solchen Maßnahme würde die Öffent-lichkeit Kopf stehen lassen. Wahrscheinlich würden dannsogar die Gewerkschaften wach werden und den Politikernvorrechnen, dass die ganzen mühsam erkämpften Lohner-höhungen der letzten 25 Jahre futsch sein würden. Dochgegen die versteckte Beutelschneiderei durch immer höhe-re Schulden und Zinsen, die uns alle vielmals mehr kostetund noch die zukünftigen Generationen in einem unvor-stellbaren Maße belastet, wird kaum einer laut. Die ver-steckte Ausbeutung nehmen wir sogar schicksalsergebenhin.

»In Deutschland ist eine Zinsspirale in Gang gekom-men, die jeden Bankkaufmann frösteln lässt. In denBerufsschulen wird die brutale Dynamik von Zins undZinseszins gern am Beispiel der Seerosen erklärt: Ineinem Teich verdoppelt sich die Zahl der Seerosen mitjedem Tag. Nach einem Jahr ist das Gewässer zur Hälf-te bewachsen. Die Preisfrage lautet: Wann ist der Teichzu 100 Prozent dicht? Antwort: Einen Tag später.«

Das schrieb der »Spiegel« 1992 einmal. Aber er irrte sichzumindest in einem Punkt: Bisher haben kaum Bankkauf-

Page 324: Creutz - Das Geld-Syndrom

325

leute ihr Frösteln irgendwo zum Ausdruck gebracht. Siemachen vielmehr betont in Optimismus und freuen sichüber die Zuwachsraten ihrer Bankgeschäfte. Warnungenhört man allenfalls einmal aus dem Lager der Notenban-ken. Doch was nützen solche Warnungen der zuständigenGeldbehörden, wenn auch sie gegen die Ursachen derÜberschuldung, nämlich das Überwachstum der Geldver-mögen, nichts unternehmen! Vor allem nichts gegen dieUrsache der Geldvermögenseskalation: der Zinshochhal-tung durch künstliche Verknappung des Geldes.

Page 325: Creutz - Das Geld-Syndrom

326

18. Kapitel

Zinsgrößen imUnternehmenssektor

»Der Unternehmer ist ein Arbeiter,der im Unternehmergewinn seinenArbeitslohn verdient, der ihm vomGewinn bleibt, nachdem ihm dieBanken den Zins abgenommenhaben, den der Unternehmer erst ausden Arbeitern herauswirtschaftenmuss. Insofern bildet der Unterneh-mergewinn keinen Gegensatz zurLohnarbeit, sondern nur zum Zins.«Karl Marx*

* »Das Kapital«, 3. Band

Auch bei den Unternehmen steigen, im Gleichschritt mitden Schulden, die Zinsbelastungen überproportional an.Nicht nur gemessen an der Leistung, sondern auch im Ver-hältnis zu den mit den Krediten geschaffenen bzw. durch sieabgesicherten Sachvermögenswerten (s. 15. Kapitel).

So lag nach den Unterlagen des Statistischen Bundesamtesdie Zinsbelastung der westdeutschen Produktionsunterneh-men im Jahr 1970 mit 37 Mrd. DM noch bei acht Prozent derNettowertschöpfung, 1993 mit 272 Mrd. DM aber bereits bei15 Prozent. Legt man die Zinslast von 272 Mrd. DM einmalauf die knapp 23 Mio. Beschäftigten im Unternehmenssektorum, dann war 1993 jeder Arbeitsplatz im Durchschnitt mitrund 12000 DM Zinsen belastet, 1988 – also fünf Jahre früherund zu Beginn der Hochzinsphase – war es erst die Hälfte.

Page 326: Creutz - Das Geld-Syndrom

327

In welchem Maße die Schere zwischen der Wertschöp-fung und den geleisteten Zinszahlungen bei den westdeut-schen Unternehmen in der Zeit von 1970 bis 1993 auseinan-der gegangen ist (danach wurden die westdeutschen Wertenicht mehr separat veröffentlicht), geht aus der Darstellung49 hervor.

Ähnlich wie bei der gesamten Volkswirtschaft (Darstel-lung 47) wirken sich für die Unternehmen also die kurzfris-tigen Veränderungen der Zinssätze besonders gravierendaus.

Wie die BSP-Entwicklung zeigt auch die der Wertschöp-fung in den Unternehmen einen relativ gradlinigen Verlauf.Umso stärker – und zwar gegenläufig zueinander – schwan-ken auf Grund der Zinssatzveränderungen die beidenanderen Kurven, nämlich die der geleisteten Zinsen undder Einkommen aus Unternehmertätigkeit. In welchemMaße dabei die Zinslasten eskalieren, zeigen einige Zah-len: In der Hochzinsphase 1978–1982 stiegen sie von 72 auf138 Mrd. DM an, in der Phase 1988–1992 von 147 auf 272Mrd. DM, also jeweils fast auf das Doppelte. Umgerechnetpro Kopf der Beschäftigten war das von 1988 auf 1992 einAnstieg von 6 400 DM auf 11 800 DM. Dabei geben solcheDurchschnittszahlen, die auch die unverschuldeten Betrie-be mit erfassen, die Realitäten in den verschuldeten kaumwieder. So musste z. B. die Deutsche Telecom Ende derletzten Hochzinsphase je Arbeitsplatz 36 000 DM Zinsenaufbringen, was etwa zwei Drittel der Lohnkosten ent-sprach.

In den anschließenden Zinssenkungsphasen erholen sichzwar jeweils die Unternehmereinkommen und nähern sichwieder der Leistungsentwicklung. Da sich jedoch die zwi-schenzeitlichen Gewinneinbrüche bzw. Kostensteigerun-gen auf den weitgehend gesättigten Märkten kaum nochüber Preiserhöhungen ausgleichen lassen, bleiben den

Page 327: Creutz - Das Geld-Syndrom

328

Darstellung 49:

Page 328: Creutz - Das Geld-Syndrom

329

Unternehmen fast nur Rückstellungen von Investitionenbzw. Kürzungen im Lohnsektor übrig. Diese Maßnahmen,wie auch die den Zinsanstiegen nachfolgenden Insolvenz-zunahmen, verstärken noch die negativen Folgen des zins-bedingten Konjunktureinbruchs.

Wie wirken sich Zinsanstiege in der Wohnungs-wirtschaft aus?

Der Wohnungsbau ist traditionell ein besonders schulden-belasteter und damit zinsempfindlicher Sektor. Kaum einMietshaus oder Eigenheim wird ohne Fremdmittel erstellt.So lag die Verschuldung der gesamten Wohnungswirtschaft(in die statistisch auch die Privathypotheken einbezogenwerden) in Deutschland Ende 1998 bei 1 925 Mrd. DM (s.auch Tabelle I).

Geht man von einer Verzinsung von sechs Prozent aus,dann hatte der Wohnungsbausektor 1998 für die Fremdfi-nanzierungen eine Zinslast von 116 Mrd. DM zu verkraften,was auf jede der rund 37 Millionen Wohnungen im Durch-schnitt p.a. mit rund 3 100 DM zu Buche schlug, pro Monatalso mit knapp 260 DM. Bei der Mietberechnung kommt zudieser Verzinsung des Fremdkapitals selbstverständlichauch noch jene für das Eigenkapital hinzu. Zusammenge-nommen ergeben sich daraus Zinslasten in mindestensdoppelter Höhe, also von 500–700 DM je Wohneinheit undMonat. Bezogen auf die Kostenmiete ergibt sich so ein Kos-tenanteil von etwa 70 bis 80 Prozent.

In der Schweiz sind die Wohnungen in einem besondersextremen Umfang mit Hypotheken belastet. Das hängtwahrscheinlich mit den dort üblichen langfristig laufen-den Wohnungsbau-Krediten zusammen, die häufig keinenregelmäßigen Tilgungen unterliegen. Bei einer Bevölke-

Page 329: Creutz - Das Geld-Syndrom

330

rung von 7,3 Millionen, 3,5 Millionen Wohnungen undeiner hypothekarischen Gesamtbelastung von rund 600Mrd. Schweizer Franken, entfallen auf jeden Bürger alsoetwa 80 000 SF Hypothekenschulden und auf jede Woh-nung 170 000 SF. Bei einer Verzinsung von vier Prozent (dieSchweizer Sätze liegen durchweg zwei Prozentpunkteunter den deutschen) wären das 6 800 SF im Jahr und 570 SFim Monat alleine für die Hypotheken.

Wegen dieses großen Zinsanteils in den Mieten habenVeränderungen der Zinssätze in der Wohnungswirtschaftauch besonders schwer wiegende Folgen. Schon einAnstieg der Hypothekenzinssätze von einem Prozentpunktbewirkt nach einer bekannten Faustregel eine Erhöhungder Kostenmiete von 10 bis 14 Prozent. Das heißt, einAnstieg der Hypothekenzinsen von beispielsweise sechsauf neun Prozent, wie von 1988 bis 1990 in Deutschland derFall, führte bei den Neubauwohnungen zu einem Anstiegder Zinsanteile in den Kostenmieten von 50 Prozent! Sol-che Mieterhöhungen können aber auch bestehende Miet-verhältnisse treffen, dann nämlich, wenn das Kapital mitflexiblen Zinssätzen aufgenommen wurde.

Welche Auswirkungen Zinssatzänderungen auf die Qua-dratmetermiete haben, geht auch aus der Darstellung 50hervor, ebenso aus den Berechnungen im 8. Kapitel, Kas-ten H.

An den heutigen hohen Zinsanteilen in den Mieten kom-men wir unter den gegebenen Verhältnissen nicht vorbei.Denn wenn mit einer Erzielung der kostendeckenden Mie-te nicht gerechnet werden kann, wird die Wohnung nichtgebaut. Auch von keinem genossenschaftlichen odergewerkschaftlichen Wohnungsunternehmen! Es sei denn,der Staat schließt auf irgendeine Weise die Kostenlücke beider Kapitalbedienung. Die ganzen öffentlichen Wohnungs-bauförderungen, mit denen heute die Mieten verbilligt wer-

Page 330: Creutz - Das Geld-Syndrom

331

Darstellung 50:

den, laufen darum im Grunde nur darauf hinaus, die Zins-ansprüche der Geldgeber bzw. der Gebäude- und Boden-besitzer staatlicherseits sicherzustellen.

Was ist mit den gesamten Zinsbelastungen?

Bisher haben wir uns nur mit den geldbezogenen Zinslas-ten befasst. Zinsen fallen aber nicht nur bei kreditfinanzier-ten Objekten an, sondern ebenso bei eigenfinanzierten.Denn wer sein Geld in eine Sachanlage investiert – ob ineine Produktionsanlage oder ein Miethaus – tut dies nur,wenn das damit geschaffene Sachvermögen mindestensden gleichen Zins erbringt wie das Geld bei der Bank. Man

Page 331: Creutz - Das Geld-Syndrom

332

kann sogar davon ausgehen, dass bei jeder Investition einhöherer Zinssatz als bei den Banken üblich einkalkuliertwird, da man zumindest für das unternehmerische Risikoeinen Aufschlag erwartet.

Wenn wir also die gesamten Zinslasten in einer Volks-wirtschaft ermitteln wollen, müssen wir zusätzlich zu denSchuldengrößen auch die der unverschuldeten zinstragen-den Sachvermögen kennen. Konkret: Das gesamte in derWirtschaft eingesetzte Sachvermögen, einschl. des Bodens,muss als Grundlage der volkswirtschaftlichen Zinsstrom-berechnungen herangezogen werden. Der Geldzins dik-tiert nur die Höhe, mit der das Sachvermögen mindestenszu verzinsen ist. Das heißt, die gesamte Zinslast in einerVolkswirtschaft resultiert aus dem gesamten wirtschaftlicheingesetzten Sachvermögen, multipliziert mit dem gelten-den Zinssatz, gleichgültig ob verschuldet oder nicht.

Im Gegensatz zu den geldbezogenen Zinsen, gibt es überdie des schuldenfreien Sachvermögens jedoch im Allge-meinen keine statistischen Unterlagen. Selbst für denGesamtbestand aller wirtschaftlich eingesetzten Sachver-mögen findet man nur unzulängliche Ausgaben. Außerdemwerden in den Statistiken im Allgemeinen nur die so ge-nannten »reproduzierbaren Sachvermögen« ausgewiesen.Über die nicht reproduzierbaren, das sind vor allem derBoden und die Bodenschätze, gibt es so gut wie gar keinZahlenmaterial. Da jedoch auch der wirtschaftlich genutzteBoden der Verzinsung unterliegt, ist man bei den heranzu-ziehenden Gesamtgrößen weitgehend auf Schätzungenangewiesen.

Page 332: Creutz - Das Geld-Syndrom

333

Wie groß ist das zu verzinsende Gesamtver-mögen?

In Deutschland wurde das reproduzierbare Anlagevermö-gen (Gebäude und Ausrüstungen) zum Netto-Wiederbe-schaffungswert (Tageswert!), für Ende 1996/Anfang 97 mitrund 10 300 Mrd. DM ausgewiesen. Zusammen mit denVorratsbeständen in der Wirtschaft und dem öffentlichenTiefbau ergibt sich ein Betrag von rund 12 500 Mrd. DM.Rechnet man jetzt noch den Boden und die wirtschaftlichausgebeuteten Bodenschätze mit einer Summe von 3 500Mrd. DM hinzu (allein der Verkehrswert der Grundstückein den Händen der Privathaushalte wurde für 1997 von derDeutschen Bundesbank mit 2 500 Mrd. DM angeführt!),dann kommt man auf rund 16 000 Mrd. für den Gesamtwertdes volkswirtschaftlichen Sachvermögens. Ausgehend vondiesen Werten ergibt sich für das Jahr 1997 eine Situation,wie sie in der Darstellung 51 grafisch wiedergegeben ist.

Um die Relationen anschaulicher zu machen, sind in derDarstellung die Flächengrößen den jeweiligen DM-Wertenin etwa angepasst. Der Wert der gesamten Sachvermögenin Deutschland ist dabei als rechteckiger Block dargestellt,das Sozialprodukt als Kreisfläche. Ein Viertel des Vermö-gensblocks wird als privatgenutzter Teil – hauptsächlichWohnungseigentum – mit 4 000 Mrd. DM in Abzug ge-bracht. Der übrige Teil des Blocks in einer Größe von12 000 Mrd. DM, entspricht dann dem wirtschaftlich einge-setzten und zu verzinsenden Sachvermögen. Über beideTeile hinweg ist nach dem Stand von 1996 die Gesamtver-schuldung in Höhe von 8 500 Mrd. DM punktiert eingetra-gen.

Die gesamte zur Verzinsung anstehende Größe setzt sichdemnach aus der wirtschaftlich eingesetzten Gesamtver-schuldung in Höhe von etwa 8 500 Mrd. DM (von der etwa

Page 333: Creutz - Das Geld-Syndrom

334

Darstellung 51:

1,500 Mrd. in den Privatsektor übergreift) und dem schul-denfreien Teil des wirtschaftlich eingesetzten Sachvermö-gens in Höhe von 5 000 Mrd. DM zusammen. Nach dieserÜberschlagsrechnung stand also Ende 1996 ein Betrag von13 500 Mrd. zur Verzinsung an.

Legt man eine durchschnittliche Verzinsung aller Kapi-talien von sieben Prozent zugrunde (Sollzins), dann ergibtsich eine gesamte Bruttozinslast von rund 945 Mrd. DM, diein der Säule rechts wiedergegeben ist. Nach Abzug der

Page 334: Creutz - Das Geld-Syndrom

335

Bankmarge und ähnlichen Kostenanteilen verbleibt eineNettozinslast von 800 Mrd. DM, die wiederum etwa mit denZinserträgen der gesamten Geld- und Sachkapitalbesitzeridentisch ist.

Bezieht man den Bruttozinsbetrag von 945 Mrd. DM aufdas Bruttosozialprodukt, dann ergibt sich ein Gesamtzins-last-Anteil von rund 26 Prozent.

Rechnet man die Zinslast von 945 Mrd. auf jeden Haus-halt bzw. jeden Erwerbstätigen um, dann ergab sich 1997für jeden eine Gesamtzinslast von etwa 25 000 DM, wovonwiederum etwa 15 000 DM auf die Verschuldung entfielen,davon knapp 4 000 DM auf die des Staates.

Sind die Zinslasten auch auf andere Weise zuermitteln?

Natürlich kann man bei solchen Überschlagsrechnungenmit teilweise geschätzten Zahlen manches anzweifeln. Ver-suchen wir darum noch mal auf einem anderen Weg, der fürjeden sicher überschaubar ist, der Wirklichkeit auf die Spurzu kommen:

In Deutschland gab es 1997 rund 34 Millionen Haushaltebzw. Beschäftigte. Das heißt, auf jeden Haushalt kam eineWohnung bzw. Eigenheim und ein Arbeitsplatz. Nehmenwir für beide Investitionen – also Wohnung und Arbeits-platz jeweils einschließlich Boden – je einen Tageswert vonnur 180 000 DM an und für den Wert der öffentlichen Infra-strukturen – von den Straßen über Schulen, Krankenhäu-sern und Kasernen bis hin zu den Versorgungssystemen –120 000 DM, dann kommen wir auf durchschnittliche Inves-titionen je Haushalt in Höhe von insgesamt 480 000 DM.Multipliziert mit den 34 Mio. Haushalten ergibt sich auf die-se Weise wieder ein gesamtes Sachvermögen von gut 16 000

Page 335: Creutz - Das Geld-Syndrom

336

Mrd. DM. Der aus der Grafik zu entnehmende und zu ver-zinsende Gesamtbetrag kann also kaum als zu hoch einge-schätzt werden.

Sicher kann man auch über die Höhe der durchschnittli-chen Zinssätze streiten. Aber bei den öffentlichen Kalkula-tionen in den Gemeinden werden seit Anfang der 80er Jah-re im Allgemeinen Verzinsungen in Höhe von 7,5 Prozentzugrunde gelegt. Und das Eigenkapital in der Wirtschaftstrebt bekanntlich sogar zweistellige Rendite an!

Auch der Tatbestand, dass alleine die Zinserträge derBanken inzwischen über 600 Mrd. DM lagen, ist ein Indizdafür, dass die hier errechnete Gesamtzinsbelastung nichtzu hoch gegriffen sein dürfte.

Wie hoch sind die Gesamtzinsen in den Einzel-preisen?

Bezogen auf das Volkseinkommen, das in Deutschland1997 eine Größe von 2 750 Mrd. DM hatte, lagen die Brutto-zinslasten mit ihren 945 Mrd. bei 34 Prozent. Bezieht mandie Zinslast auf das verfügbare Einkommen in Höhe von2 350 Mrd. DM, dann lagen sie bei 40 Prozent. Umgelegt aufdie Ausgaben der Haushalte in Höhe von 2 200 Mrd., ergibtsich sogar ein Anteil von 43 Prozent. Bezieht man also diegesamten Zinsen auf die Ausgaben der Haushalte, die letzt-lich als Endverbraucher alle Lasten zu tragen haben, dannkann man davon ausgehen, dass die Haushalte im Schnitt,direkt oder indirekt, mit jeder ausgegebenen Mark inzwi-schen etwa 40 Pfennig Zinslasten tragen.

Diese 40 Pfennig, bezogen auf jede ausgegebene Mark,geben natürlich einen Durchschnittsbetrag wieder. Die tat-sächlichen Zinsanteile in den einzelnen Preisen sind – wiebereits im 5. Kapitel beschrieben – selbstverständlich sehr

Page 336: Creutz - Das Geld-Syndrom

337

unterschiedlich. Sie werden nicht nur von den eingesetztenKapitalgrößen und Zinssätzen beeinflusst, sondern auchvon dem jeweiligen Verhältnis der Kapitalkosten zu denPersonal- und Materialkosten sowie allen anderen Postenin den Kalkulationen, z. B. der Abschreibung.

Da man private Kalkulationen nur selten einsehen kann,sind in der Darstellung 52 als Beispiele einmal die Berech-nungen einiger öffentlicher Preise aus dem Haushalt derStadt Nürnberg von 1991 wiedergegeben.

Sind Lohnkosten und Abschreibung besonders gering,dann dominieren – wie bei der Mietberechnung – die Zins-lasten die Preisgestaltung in einem besonders hohen Maße.Geht man von einer Verzinsung von nur 5 Prozent undeiner Abschreibung über hundert Jahre aus (wie bei Wohn-gebäuden in etwa üblich), dann müssen die Nutzer oderMieter – zu der einmaligen Abschreibung über die hundertJahre hinweg – die Baukosten gewissermaßen über die Zin-sen noch fünfmal zusätzlich bezahlen. Oder anders ausge-drückt (und das gilt für sämtliche Sachvermögen!): Alle ineiner Volkswirtschaft genutzten Sachgüter werden allezwanzig Jahre über die Zinsen erneut finanziert. Und dasneben der in allen Preisen enthaltenen Abschreibung, mitder die Ersatzbeschaffung der Objekte abgesichert ist!

Wenn also z. B. die Mieten im Allgemeinen als zu hochempfunden werden, dann liegt das nicht an der Skrupello-sigkeit der Vermieter (die Wohnungen der ehemaligengewerkschaftseigenen »Neuen Heimat« waren auch nichtbilliger!), sondern an dem Tatbestand, dass alle Sachvermö-gen in unserem Wirtschaftssystem während ihrer Lebens-dauer laufend mit Zinsen bedient werden müssen.

Zu beachten ist bei allen bisher angeführten Berech-nungsbeispielen noch, dass dabei nie die darin enthaltenengesamten Zinskosten ausgewiesen werden, sondern immernur diejenigen, die auf der letzten Kalkulationsebene hin-

Page 337: Creutz - Das Geld-Syndrom

338

Darstellung 52:

Page 338: Creutz - Das Geld-Syndrom

339

zugekommen sind. Denn die in diese Kalkulationen einge-henden Sachkosten bestehen wiederum – siehe Darstellung19 – aus Arbeits- und Kapitalkosten unterschiedlicher Zu-sammensetzung, die sich jeweils auf den Vorstufen gebildethaben. Im Gegensatz zur Mehrwertsteuer, bei der die aufden Vorstufen angefallenen Beträge jeweils abgezogenwerden, kommt es bei den versteckten Zinsen also zu einerständig wachsenden Akkumulation. Daraus ergeben sichdann auch die in der Gesamtberechnung der Zinslastenausgewiesenen Zinsanteile in den Endverbraucherpreisenvon durchschnittlich 40 Prozent.

Page 339: Creutz - Das Geld-Syndrom

340

19. Kapitel

Zinslasten und Zinseinkünfteder Privathaushalte

»Der Zins ist ein Tribut, den derSchaffende – vom Industriearbeiterbis zum Bauern und Unternehmer –dem Geldleiher entrichten muss,damit überhaupt gearbeitet werdenkann. Der Zins wird in den Preis allerWaren eingerechnet und dadurch aufdie Konsumenten abgewälzt. Er isteine erdrückende Last für die großeMehrheit und eine mühelose Einnah-mequelle für eine kleine Minderheitder Bevölkerung. Der Zins ist arbeits-freies Einkommen und daher ethischnicht zu verantworten.«Hansjürg Weder*

* Schweizer Nationalrat, 1990

Was ist mit den direkten Zinsen?

Bisher haben wir uns nur mit den Zinslasten beschäftigt, diewir alle als Endverbraucher über Preise, Steuern undGebühren auf versteckte Weise zahlen, fast immer ohne eszu wissen. Darin enthalten sind aber auch diejenigen, dievon den Haushalten direkt gezahlt werden. Das sind vorallem die Zinsen, die mit den Krediten zur Finanzierungdes Eigenheims oder der Eigentumswohnung zusammen-

Page 340: Creutz - Das Geld-Syndrom

341

hängen. Sie werden meist über gleich bleibend hoheMonats- oder Jahresraten gezahlt, die neben den (abneh-menden) Zinsen eine (zunehmende) Tilgung enthalten.Das Risiko solcher Investitionskredite ist relativ gering, dasie durch die geschaffenen Gebäude und meistens auchnoch durch das Grundstück abgesichert sind. Kritischer,weil nicht durch langlebige Sachvermögen gedeckt, sindjedoch die Zinsbelastungen durch Konsumentenkredite.Die Entwicklung dieser Lasten geht aus der Darstellung 53hervor, in der sich auch wieder die explosiven Veränderun-gen in den Hochzinsphasen abzeichnen.

Gerade diese plötzlichen Belastungsanstiege zwingenmanche Haushalte zu noch höheren Kreditaufnahmen.Umgekehrt sehen sich die Banken in Hochzinsphasen zuerhöhter Werbung für Konsumkredite gezwungen, einmalweil auf Grund der hohen Zinsen die Geldeinlagen beiihnen rascher wachsen, zum anderen weil die Kreditauf-nahmen der Unternehmen dann tendenziell zurückgehen.Als Folge solcher Entwicklungen, oft aber auch aus Leicht-fertigkeit, geraten immer mehr Familien in auswegloseSituationen.

Vergleicht man auch hier die Zinskurve mit dem (ver-kleinert dargestellten) relativ linearen Verlauf der Löhne,dann werden sowohl in der Scherenöffnung zwischen bei-den wie den eingetragenen Multiplikatoren die auseinan-der driftenden Entwicklungen seit 1960 überdeutlich.

Ende 1997 mussten die privaten Konsumentenkredite inDeutschland in Höhe von 370 Mrd. DM mit 39 Mrd. DMZinsen bedient werden. Für die Baukredite in Höhe von1 420 Mrd. DM fielen etwa 100 Mrd. DM Zinsen an. Aller-dings hat nur rund ein Viertel der Haushalte mit Baukredi-ten zu tun und der Anteil der Haushalte mit Konsumenten-krediten ist noch geringer. Im Gegensatz zu den Bürgern inden USA haben sich die Haushalte in Deutschland – wie

Page 341: Creutz - Das Geld-Syndrom

342

Darstellung 53:

auch in den meisten anderen europäischen Ländern – trotzaller Werbung bisher erst in begrenztem Umfang in den Sogder Konsumkreditaufnahmen ziehen lassen. Wie Meldun-gen aus dem Frühjahr 2000 zu entnehmen ist, sind inDeutschland nur etwa 4,5 Millionen = 12 Prozent der Haus-

Page 342: Creutz - Das Geld-Syndrom

343

halte mit solchen Krediten belastet, allerdings geltenbereits zwei Millionen als überschuldet. Das heißt, sie sindnicht mehr in der Lage, ihren übernommenen Verpflichtun-gen nachzukommen.

Wie groß sind die Zinseinkünfte der Privathaus-halte und wie verteilen sie sich?

Mit rund 5 400 Mrd. DM verfügten die deutschen Privat-haushalte 1997 über den größten Teil der gesamten Geld-vermögen, während ihre Verschuldungen für Hypothekenund Konsumzwecke – wie oben angeführt – nur bei 1 800Mrd. DM lagen. Entsprechend waren die den Privathaus-halten zufließenden Zinserträge auch deutlich höher als diedirekt aufzubringenden Zinslasten. Nun kann man zwar fürstatistische Zwecke die Lasten von den Erträgen abziehenund auf diese Weise eine Netto-Zinslast errechnen. Aber inder Praxis der einzelnen Haushalte sieht das völlig andersaus, da die Netto-Zinszahler nicht mit den Netto-Zinsemp-fängern identisch sind. Darauf hat auch die Münchener»Abendzeitung« bereits 1991 hingewiesen:

»Im vergangenen Jahr kassierten die privaten Haus-halte in den alten Bundesländern 136 Mrd. DM, für diesie nicht zu arbeiten brauchten. Sie ließen ihr Geld fürsich arbeiten. Genauer: Sie ließen jene für sich arbei-ten, die Kredite aufgenommen haben und dafür Zin-sen zahlen mussten.«

In Wirklichkeit flossen also diese Zinsen schwerpunktmä-ßig an einen kleinen Teil der Haushalte, während die ande-ren überwiegend dafür arbeiten mussten. Das rechneteauch die »Abendzeitung« ihren Lesern vor:

Page 343: Creutz - Das Geld-Syndrom

344

»Allerdings – nicht jeder Haushalt hat Vermögens-einkommen, und wenn, dann oft nur in bescheidenerHöhe. Das Gros der privaten Haushalte – 80 Prozent –bekam nämlich nur 26 Prozent vom Vermögens-Ein-kommenskuchen; die übrigen 74 Prozent vom Kuchen– das sind rund 100 Milliarden DM – gingen an nur 20Prozent der Haushalte.«

Rechnet man diese Prozentanteile in DM-Beträge um,dann mussten sich damals vier Fünftel der Haushalte mit35,4 Mrd. DM Zinseinnahmen begnügen, während einFünftel 100 Mrd. DM unter sich verteilen konnte. Für dieerstgenannten 22 Millionen Haushalte ergaben sich damitim Durchschnitt Zinseinnahmen von 1 640 DM im Jahr,während die übrigen 5 Millionen durchschnittlich 18 630DM kassierten, also mehr als das Elffache. Unter der Über-schrift: »Die Kluft wird immer breiter! – 20 Prozent derHaushalte gehören 80 Prozent des Volksvermögens«,berichtete die Presse 1995 über ähnliche Verhältnisse ausden USA.

Was sind die niedrigsten und höchsten Zinsein-kommen?

Die niedrigsten Zinseinkommen liegen verständlicherwei-se bei Null. Die Größe dieser Haushaltsgruppe ohne Zins-einkommen ist nicht genau zu quantifizieren. Geht manvon Darstellung 45 im 16. Kapitel aus, dann sind das etwa 13Prozent der Haushalte.

Noch schwerer als die Zinseinkommen der unterenGruppen sind die der wohlhabenden Haushaltsminderheitzu erfassen, vor allem weil deren Zinseinkünfte überwie-gend aus Sachvermögen stammen. Schon 1990 konnte man

Page 344: Creutz - Das Geld-Syndrom

345

in deutschen Tageszeitungen lesen: »600 Superreiche sitzenauf 300 Milliarden.« Obwohl die Zahl der Superreichenund ihrer Milliarden sich inzwischen längst verdoppelt undverdreifacht haben dürften, lohnt sich eine nähere Betrach-tung:

Im Schnitt verfügte jeder der 600 reichsten Deutschenbereits 1990 über 500 Mio. DM. Legt man eine durch-schnittliche Verzinsung dieses Vermögens in Höhe von nursechs Prozent zugrunde, dann hatte jeder dieser 600 Haus-halte damals schon ein jährliches Zinseinkommen von 30Mio. DM, ein monatliches von 2,5 Mio. DM.

Im Dezember 1992 berichtete das Wirtschaftsmagazin»forbes« von 95 bundesdeutschen Milliardären, die zusam-men über ein Vermögen von 233 Mrd. DM verfügten. Die-ses Vermögen entsprach – um es fassbarer zu machen – demLebensarbeitsverdienst von etwa 150 000 Normalverdie-nern, wenn man für jeden anderthalb Millionen ansetzt.Wohl gemerkt: Dem Verdienst, nicht den viel geringerenErsparnissen dieser Arbeitleistenden!

Nehmen wir auch bei diesen 95 Milliardären einebescheidene Verzinsung von nur sechs Prozent an, dannwurden sie im Jahr 1992 gemeinsam um 14 Mrd. DM rei-cher. Pro Kopf waren das rund 147 Mio., pro Woche 2,8Mio. und pro Tag 400 000 DM. Geht man davon aus, dassjeder Erwerbstätige inzwischen jede dritte Stunde für dieKapitalrenditen arbeitet, dann mussten 1992 allein für die-se 95 Milliardäre rund eine Million Arbeitnehmer jedeWoche 13 Stunden Arbeit leisten!

Besonders problematisch ist, dass die Superreichen nureinen Bruchteil ihrer Zinserträge verkonsumieren können.Selbst beim großzügigsten Lebenswandel kann man tagtäg-lich kaum 400 000 DM ausgeben. Die Folge ist, dass dasGros der Zinseinnahmen erneut gegen Zinsen angelegtwerden muss, wodurch sich bereits bei sechs Prozent Ver-

Page 345: Creutz - Das Geld-Syndrom

346

zinsung die Vermögen alle zwölf Jahre verdoppeln. Dasheißt, in 24 Jahren kommt es zu einer Vervierfachung, in 36Jahren zur Verachtfachung und in 48 Jahren zur Versech-zehnfachung der Vermögen! In Wirklichkeit liegen die Ver-zinsungen solcher großen Vermögen natürlich höher, wasdas Tempo der heutigen Vermögenszunahmen und -kon-zentrationen erklärt.

Woher erhält Fräulein Quandt täglich 650000 DM?

Einen besonders exemplarischen Fall schilderte »Bild« am27. Juli 1990 unter der Überschrift:

»Fräulein Quandt, 3 Milliarden, heiratet Herrn Klatten,4 600 brutto«,

um dann im weiteren Text aufzudecken, dass FräuleinQuandt – Tochter des damals noch lebenden Hauptaktio-närs von BMW und von ihm mit den drei Milliarden ausge-stattet – inkognito jenen Jan Klatten kennen lernte, weil sienicht ihres Geldes wegen begehrt werden wollte. Bei derschließlich anstehenden Hochzeit lüftete sie dann dasGeheimnis und Herr Klatten hat sie trotzdem geheiratet.Das würdigt auch die »Bild«-Zeitung, und schreibt:

»Der gebürtige Hamburger hat die Liebesprobe bestan-den und braucht nicht mehr für 4 600 Mark brutto imMonat zu arbeiten. Er hat schließlich im Nobel-Ort Kitz-bühel (Österreich) ein scheues Mädchen geheiratet, dasalleine an Zinsen täglich über 650 000 Mark verdient.«

Beim Einkommen des Herrn Klatten ist das Wort »verdie-nen« sicher angebracht. Allerdings fragt man sich, ob das

Page 346: Creutz - Das Geld-Syndrom

347

auch für die 650 000 DM zutrifft, die das bisherige FräuleinQuandt gewissermaßen jeden Tag auf ihrem Konto als Gut-schrift erhält. Denn diese 650 000 DM pro Tag stammen –wie alle zu verteilenden Werte – zwar auch aus Arbeitsleis-tungen, aber eben nicht aus solchen von Fräulein Quandt.Das ist auch dem cleveren Journalisten aufgefallen, derergänzend schreibt:

»Jan hätte sich zwölf Jahre als Angestellter abplagenmüssen, um die Tageseinnahmen seiner Frau zu ver-dienen.«

Da jedoch der Betrag nicht alle zwölf Jahre, sondern täglichfällig ist, müssen in Wirklichkeit 12 × 365 = 4 380 Normal-verdiener a la Klatten jeden Tag ihren vollen Verdienst anFräulein Quandt abliefern. Da aber auch Normalverdienernicht nur von Luft und Liebe leben können und mindestenszwei Drittel ihres Lohns für sich selbst benötigen, sind inWirklichkeit dazu dreimal so viele ›Klattens‹, nämlich13 140 erforderlich, die jeden Tag ein Drittel ihres Tagesver-dienstes hergeben. Und da auf die gleiche Weise wie die650 000 DM für Fräulein Quandt auch die damals aktuellen500 bis 600 Mrd. DM an gesamten Zinseinkommen erwirt-schaftet werden mussten, galt und gilt das ebenso für alleanderen Arbeitleistenden in der Volkswirtschaft. Konkret:30 bis 40 Prozent seines Einkommens zahlt inzwischenjeder Arbeitleistende in den Topf der Zinslotterie!

Page 347: Creutz - Das Geld-Syndrom

348

20. Kapitel

Die Überentwicklung derSpekulationen

»Spekulanten mögen unschädlichsein als Seifenblasen auf einem stetenStrom der Unternehmungslust. Aberdie Lage wird ernsthaft, wenn dieUnternehmungslust die Seifenblaseauf einem Strudel der Spekulationwird.«John Maynard Keynes*

* John Maynard Keynes, »Allgemeine Theorie der Beschäftigung, desZinses und des Geldes«, Darmstadt 1974, S. 134

In einer jungen Volkswirtschaft, das heißt in einer Volks-wirtschaft, die nach einem Zusammenbruch mit neuemGeld neu begonnen hat, sind Spekulationen anfangs so gutwie unbekannt. Alle Einkommen fließen wieder in denKonsum, überschüssige Einkommen direkt oder überBankeinlagen in die dringend notwendigen Investitionen.

Dieser Zustand verändert sich im Laufe der Jahre,bedingt vor allem durch zwei Entwicklungen, die sichgegenseitig verstärken: Einmal geht mit den eintretendenSättigungsprozessen der Bedarf an notwendigen Investitio-nen zurück. Zum anderen sammeln sich bei Minderheitenimmer größere Einkommensüberschüsse als Geldvermö-gen an. Sowohl diese Geldvermögensakkumulationen alsauch die nachlassenden Anlagemöglichkeiten und diedamit sinkenden Renditen verführen dann dazu, mit sei-nem Geld auch in riskantere Geschäfte einzusteigen. Man-

Page 348: Creutz - Das Geld-Syndrom

349

che begnügen sich dabei mit den vom Staat zunehmendzugelassenen Spielcasinos, andere setzen bei Lotto undToto ihr Geld aufs Spiel und wieder andere finden es inter-essanter und vor allem sicherer, an den Börsen zu spekulie-ren. Mit immer neuen und immer komplizierteren Variatio-nen werden diese Börsen schließlich selbst zu einer ArtSpielcasino. Und damit sich an diesem Börsen-Monopolynicht nur ein paar Superreiche beteiligen können, sondernauch der ›kleine Mann‹, bieten clevere Finanzmakler und-agenturen mit ›Investmentfonds‹ und ähnlichen Einrich-tungen auch diesem eine Möglichkeit, mit bescheidenenEinsätzen mitzuspielen.

Dass so was auch bei breit gestreutem Risiko danebenge-hen kann, erlebten Hunderttausende bei einem der erstenweltweit agierenden Fonds, der von dem fast schon legen-dären Bernie Cornfield in den 60er Jahren gegründet undkeine zehn Jahre später in die Zahlungsunfähigkeit gema-nagt wurde.

Wie verhalten sich die Banken?

Anfangs skeptisch und die Fonds als Konkurrenz betrach-tend, sind die Banken schließlich selbst in immer größeremUmfang in diese Geschäfte eingestiegen. Alleine schon, umdie Kunden und deren Geld nicht an andere zu verlieren. Sobieten inzwischen sogar die kleinsten Sparkassen ihren weni-ger betuchten Kunden die Möglichkeit, sich an diesem Spielzu beteiligen. Außerdem konnten die Banken auf diese Wei-se die sich bei ihnen anhäufenden Ersparnisse wieder rendi-teträchtiger unterbringen und darüber hinaus waren sie beijedem Spielvorgang als Provisionskassierer mit dabei.

Doch damit nicht genug: Schließlich begannen die Ban-ken sogar mit den Kundeneinlagen selbst ›große Räder‹ zu

Page 349: Creutz - Das Geld-Syndrom

350

drehen, um auf diese nicht ganz risikolose Weise die Zinsenfür die ihnen anvertrauten Ersparnisse zu erwirtschaften.Dazu wurden besondere Abteilungen mit mehr oder weni-ger versierten Spezialisten eingerichtet, die im Anfang allzuoft (und zu lange unbehelligt) nebenbei einige eigene›Pferdchen‹ mitlaufen ließen. Nur wenn sie eine Bank inernsthafte Schwierigkeiten brachten und damit die Sachenicht mehr zu vertuschen war, kam so was einmal an diegroße Glocke. Man erinnere sich nur an die Pleite der deut-schen Herstatt-Bank mit ihren cleveren Devisenbeschaf-fern, oder an die Geschichte mit jenem angestellten Speku-lanten, der in den 90er Jahren an der Börse von Singapurdie alteingesessene britische Baringsbank an den Rand desAbgrunds brachte. Wie viele Millionen und Milliarden aufdiese Weise insgesamt in den Sand gesetzt wurden, wirdman nie erfahren.

Aber nicht nur solche Spezialisten aus der Umgebungder Banken und Börsen wagten sich mit immer größerenSummen in die Spekulationsgefilde. Auch große Unter-nehmen mit übergroßen ›Kriegskassen‹ stiegen in dielukrativen Geschäfte ein, bei denen die kleinen Mitspielermit weniger Insiderwissen meist den Kürzeren ziehen. DieProvision der Banken einsparend, richteten sich die ganzgroßen Unternehmen sogar eigene Spekulationsabteilun-gen ein mit Dutzenden von Mitarbeitern, die auf diese Artdie überschüssigen Milliarden ›arbeiten‹ ließen. In wel-chem Maße man mit solchen Geschäften Gewinnemachen kann, lässt sich z. B. an der ›Explosion‹ der liqui-den Mittel der Firma Siemens ablesen, die seit 1980 vondrei auf fast 30 Milliarden DM angestiegen sind. WenigerGlück hatte bekanntlich das VW-Werk mit dieser Masche.Hier verschwand einmal auf nicht ganz legale Weise einBetrag von einer halben Milliarde, was fast nicht bemerktworden wäre.

Page 350: Creutz - Das Geld-Syndrom

351

Die Folge solcher Entwicklungen war und ist, dass unserGeld, einmal als Tauschmittel erdacht, immer mehr zueinem Spekulationsmittel verkommt. Je mehr jedoch diesefalsch verstandene Freizügigkeit des Geldverkehrszunimmt, desto gefährlicher und explosiver wird die gesam-te Situation.

Welche Folgen haben Aktienspekulationen?

Während Aktien früher oft als eine Art Lebensversiche-rung angesehen wurden – manchmal sogar über Generatio-nen hinweg wie z. B. bei den legendären Suezkanal-Papie-ren –, sind sie heute fast nur noch Spekulationsobjekte.Zwar bieten auch die Dividenden einen Kaufanreiz, dochangesichts des Auseinanderdriftens zwischen Kurs- undNennwert sind die Kursgewinne immer entscheidender. Inder inzwischen erreichten Börseneuphorie werden sogarAktien von Unternehmen zu Phantasiepreisen gehandelt,die seit Jahren nur Verluste schreiben und noch nie eineDividende ausgeschüttet haben.

Da zu jedem Kaufvorgang an den Börsen jeweils zweigehören und beide jeweils glauben richtig zu handeln, istdas Ende offen. Wer tatsächlich die richtige Nase hatte,zeigt sich erst hinterher.

Normalerweise sind – wie bei einer Spielbank – vonSpekulationsverlusten nur andere Mitspieler betroffen.Kommt es aber zu einem überzogenen Börsenboom undirgendwann zu einem Platzen des Ballons, dann wird vonden davon ausgehenden Irritationen und Störungen auchdas normale Wirtschaftsgeschehen erreicht. Das vor allemim Bereich der Banken, wenn diese allzu leichtfertig Bör-senkäufe mit Krediten finanziert haben. Allerdings kommtes bei diesen Kurseinbrüchen nicht zu ›vielstelligen Milliar-

Page 351: Creutz - Das Geld-Syndrom

352

denverlusten an Geld‹, wie machmal selbst in Wirtschafts-journalen zu lesen ist. Verloren gehen dabei weitgehendnur hochgerechnete Gewinnhoffnungen, also spekulativeLuft, die man selbst in den Ballon hineingeblasen hat. Undzu diesen Verlusten kommt es nur dann, wenn man a) dieAktien zu einem höheren Wert gekauft hat und b) sie nachdem Kurseinbruch zu einem niedrigeren Preis verkauft.Doch da in solchen Situationen auch die Notenbankenmanchmal den Kopf verlieren und – mangels funktionie-render Umlaufsicherung – die Notenpresse laufen lassen,kann ein solcher Crash ggfs. sogar die Geldkaufkraft unddamit die gesamte Wirtschaft gefährden.

Welche vielfältigen Auswirkungen spekulative Überent-wicklungen haben, hat Wilhelm Hankel schon vor Jahren inseinem Buch »Vorsicht unser Geld« dargelegt:

»Wenn der Kapitalumschlag das 15 bis 20fache desGüterumschlages per Zeitperiode erreicht, dannschlägt dieser ›spekulative Faktor‹ auch 15 bis 20-malstärker zu Buche als . . . die in Inlandswährung faktu-rierten Export- und Importpreise. Man verdient amreinen Geldhandel mehr als am ›ehrlichen‹ Warenge-schäft. Aber nicht nur das. Die einstmals sicherenGeldmaßstäbe und -kosten werden unsicher – insbe-sondere der Zinsmaßstab.«

Und die Folge für uns alle hat er ebenfalls beschrieben:

»70 Prozent Bezieher fester und von der Konjunkturabhängiger Arbeits- und Leistungseinkommen, vor-nehmlich in der Ersten und industrialisierten Welt,können nur müde oder resigniert lächeln, wenn ihnendie Vorzüge eines freien, deregulierten und gänzlichvaterlandslosen Welt-Kapitalmarktes gepriesen wer-

Page 352: Creutz - Das Geld-Syndrom

353

den. Sie leiden unter den Folgen von Weltdepression,Schuldenkrise, Währungswirrwarr und Zinseskalationund ahnen, dass die hektische und unkontrollierteRoulette- und Kasinoatmosphäre dieser Märkte dereigentliche und tiefere Grund aller hausgemachtenProbleme ist: von Arbeitslosigkeit bis Börsenunsi-cherheit und Firmenpleiten.«

Wie groß sind die Aktienbestände in der Weltund wie verteilen sie sich?

Nach Zahlen der Weltbank lag das gesamte weltweiteAktienkapital Ende 1997 bei einem Kurswert von 20 178Mrd. Dollar. Wie sich diese Milliarden prozentual auf diezwölf aktienreichsten Länder verteilten, geht aus denschwarzen Säulen und der linken Skala in der Darstellung54 hervor.

Mit rund 8 500 Mrd. Dollar und damit fast der Hälfte desAktien-Gesamtbestandes lagen die USA weit an der Spitze,gefolgt von Japan mit rund 15 Prozent und Großbritannienmit knapp 9 Prozent. Deutschland lag zwar an vierter Stelle,gehörte aber mit 3,3 Prozent bereits in das Verfolgerfeldder übrigen neun Länder, deren Schlusslicht mit einem Pro-zent des Aktienbestandes Brasilien war. Alle anderen hiernicht aufgeführten Länder in der Welt hatten also nochweniger und mussten sich gemeinsam mit 16 Prozent derAktien zufrieden geben, also etwa so viel, wie Japan alleinebesaß.

Der erstaunlich niedrige Aktienbestand in Deutschlandhat im Wesentlichen zwei Ursachen. Einmal ziehen diedeutschen Unternehmen für ihre Finanzierungen durch-weg Bankkredite vor, da sie damit der Offenlegung ihrerBilanzen ebenso entgehen wie dem Mitspracherecht der

Page 353: Creutz - Das Geld-Syndrom

354

Darstellung 54:

Aktionäre. Zum anderen legen auch die deutschen Bürgerihre Ersparnisse lieber gegen feste Zinsen an. Insgesamtsind nur 16 Prozent der gesamten Geldvermögen in Aktienuntergebracht, bei den Privathaushalten sogar nur 9 Pro-zent, im Gegensatz zu den USA, wo etwa 40 Prozent derprivaten Ersparnisse in Aktien gehalten werden.

Page 354: Creutz - Das Geld-Syndrom

355

Wie sieht es mit den Pro-Kopf-Anteilen bei denAktien aus?

Auch die Umrechnung der Aktienbestände auf die Bürgerist – wieder bezogen auf die zwölf aktienreichsten Länder –in Darstellung 54 durch die hellen Säulen wiedergegeben,jeweils in Dollar pro Kopf. Daraus geht hervor, dass bei die-ser Aufschlüsselung nicht die US-Bürger, sondern, miteinem erheblichen Vorsprung, die Bürger Hongkongs undder Schweiz rechnerisch die reichsten sind. Zumindest inHongkong dürfte allerdings der hohe Kopfbetrag auf aus-ländische Aktieninhaber bzw. ausländische Unternehmenzurückzuführen sein, die dort ihren Firmensitz haben. Aufdie Bürger der USA, Japans, Großbritanniens und der Nie-derlande entfallen immerhin noch Anteile zwischen 20 000und 30 000 Dollar, während sich die deutschen Bürger mitgut 8 000 Dollar als Drittletzte zufrieden geben müssen.

Für den ›Rest der Welt‹ sieht die Sache bei der Pro-Kopf-Verteilung noch trostloser aus als bei dem Bestandsanteil.Hier musste sich jeder Bürger mit 613 Dollar Aktien zu-frieden geben, gegenüber dem Durchschnittswert in denzwölf Ländern, der immerhin bei 19 000 Dollar lag, also miteinem Dreißigstel!

Wie sind die Verteilungsrealitäten?

Natürlich sind die hier angeführten Pro-Kopf-Verteilungenauf die Gesamtbevölkerung wiederum mit vielen Fragezei-chen zu versehen. Denn sie sagen nichts über die Anzahlder Bürger aus, die überhaupt über Aktien verfügen, eben-so nicht über deren Bestandskonzentrationen. In Deutsch-land sind das z. B. nur 18 Prozent der Bevölkerung, in Groß-britannien und in den USA dagegen 25 und in Schweden

Page 355: Creutz - Das Geld-Syndrom

356

sogar 35 Prozent. In Japan verfügen dagegen nur 9 Prozentder Bevölkerung über Aktien, was angesichts des hohenGesamtbestands entweder auf eine Konzentration in denHänden von Banken und Unternehmen schließen lässtoder von einigen Familien.

So verfügte beispielsweise in Deutschland die bereitserwähnte Gesamtfamilie Quandt – Hauptaktionär beiBMW – 1997 über ein Aktienpaket von mehr als 9 Mrd.DM, und damit über fast ein Drittel des gesamten Firmen-kapitals. Aber auch diese Familie Quandt ist wiederumrelativ arm, wenn sie ihr Aktienvermögen beispielsweise anjenem von Bill Gates misst, der 22 Prozent der Microsoft-Aktien in den Händen hält. Da deren Wert 1997 bei 200Mrd. Dollar lag, war sein Vermögen mit etwa 44 Mrd. Dol-lar bzw. rund 88 Mrd. DM fast zehn Mal größer als das derQuandts. Und da die Kurse von Microsoft zwischenzeitlichauf 500 Mrd. Dollar angestiegen sind und damit das Aktien-paket von Gates auf 110 Mrd. Dollar, hat sich der Abstandnoch vergrößert. Wie fragwürdig allerdings solche heutigenBörsenwerte wirklich sind, wird deutlich, wenn man denWert von Microsoft von 500 Mrd. Dollar einmal auf die29 000 Beschäftigten dieses Unternehmens umrechnet. Esergibt sich dann je Arbeitsplatz ein Betrag von etwa 18,5Millionen Dollar bzw. gut 34 Millionen DM!

Die Irrealität solcher Börsenwerte hat auch der »Spie-gel« Anfang 1999 auf andere Weise vorgerechnet: Mit sei-nen 29 000 Beschäftigten und einem Umsatz von 14,5 Mrd.Dollar war der Börsenwert von Microsoft größer als dervon acht deutschen Großkonzernen zusammengenommen,die mit 1,3 Millionen Beschäftigten einen Umsatz von 378Mrd. Dollar gemacht haben!

Page 356: Creutz - Das Geld-Syndrom

357

Welche Größen bestimmen das Geschehen anden Börsen?

Bisher haben wir uns nur mit den Aktienbeständen undderen Werten befasst. Das Geschehen an den Börsen wirdjedoch entscheidend von dem Umsätzen bestimmt, die mitdiesen Aktien abgewickelt werden. Dabei müssen wir zweiverschiedene Umsatzfelder unterscheiden, nämlich denHandel mit neu herausgegebenen Aktien und den Handelmit bereits vorhandenen. Aus der Darstellung 55 gehen dieUnterschiedlichkeiten dieser Bestands- und Handelsgrö-ßen hervor, bezogen auf die Vorgänge an den deutschenBörsen im Jahre 1998.

Darstellung 55:

Page 357: Creutz - Das Geld-Syndrom

358

Betrachtet man das Geschehen aus der Sicht der Realwirt-schaft, dann hat für diese nur die kleinste Größe in der Dar-stellung eine Bedeutung, nämlich der Absatz neuer Aktien,der für 1998 mit 90 Mrd. DM ausgewiesen ist. Denn nur imUmfang dieser Neuemissionen wurden der Wirtschaft neueGeldmittel zugeführt und der Gesamtbestand der Aktienerhöht. Da dieser Bestand – ausgewiesen mit 1 550 Mrd.DM – im gleichen Jahr jedoch um 300 Mrd. zunahm, resul-tiert die Differenz zu jenen 90 Mrd. DM aus Steigerungender Börsenkurse.

Betrachten wir jetzt den Aktienhandel, dann lag dieserwiederum beim Dreieinhalbfachen des Bestandes, was ver-einfachend besagt, dass alle Aktien im Laufe des Jahresdreieinhalb Mal umgeschlagen worden sind. Die mit 10 700Mrd. doppelt so hohe Säule des gesamten Umsatzes an denWertpapierbörsen kommt dadurch zustande, dass dort,neben den Aktien, auch festverzinsliche Papiere gehandeltwerden, also Schuldverschreibungen usw. Die in der Dar-stellung 55 rechts eingetragene Säule des Bruttoinlandpro-dukts (BIP) lässt erkennen, dass dieser Gesamtumsatz anden deutschen Wertpapierbörsen 1998 fast drei Mal so großwar wie die Jahresleistung der deutschen Wirtschaft!

Neben diesen Wertpapierbörsen gibt es aber auch nochdie Termin-, Geld- und Devisenbörsen. Und die Umsätzean all diesen Finanzhandelsplätzen erhöhen sich nicht nurdurch die Ausweitung der gehandelten Mengen, sondernauch – zumindest bei den Aktien – durch die mit dem Han-del hochgepuschten Kurswerte. Vor allem aber erhöhen siesich durch die immer rascher aufeinander folgenden Käufeund Verkäufe der gegebenen Bestände.

Diese Umsatzsteigerungen wurden wiederum erst durchdie elektronischen Abwicklungen des Handels rund um dieUhr und den Globus möglich. Während früher Aktien oftüber Generationen gehalten wurden, wird die Haltedauer

Page 358: Creutz - Das Geld-Syndrom

359

heute immer kürzer. So sind z. B. in Deutschland die Bör-senumsätze von 1980 bis 1998 auf rund das 130fache ange-stiegen. In New York und anderswo haben diese Anstiegesogar Größenordnungen erreicht, die mit den herkömmli-chen Börsen nicht mehr bewältigt werden konnten. Stattdes so genannten Parketthandels, der von einem aufgeregtgestikulierenden und schwitzenden Menschengewimmelbestimmt war, hat man dort die Abwicklungen zunehmendauf elektronische Anlagen umgestellt. So wurden an derHightech-Börse Nasdaq, die 1971 in New York ihre Tätig-keit aufnahm, 1999 an Spitzentagen mehr als eine MilliardeAktien umgeschlagen, wobei in Einzelfällen neu herausge-gebene Aktien in wenigen Stunden mehrfach ge- und ver-kauft wurden. Das Computernetz dieses elektronischenAktienmarktes ist insgesamt auf zwei Milliarden Vorgängetäglich ausgelegt – fünf Millionen pro Minute! – und soll imJahr 2000 auf bis zu acht Milliarden Aktienbewegungentäglich ausgeweitet werden. Alleine für diese Nachrüstungwerden 500 Mio. Dollar investiert!

Verantwortlichfürdiese immergrößerenundhektischerenBestandsumschichtungen sind aber kaum die privatenAktienbesitzer, sondern in erster Linie wenige DutzendGroßbanken, Investmentfonds, Versicherungen und vorallem auch Pensionskassen in der Welt, die über vielstelligeMilliardenvermögen aus den Händen von Millionen Anle-gern und Rentensparern verfügen. Allein in den US-Pensi-onskassen waren 1998 Anlagen in Höhe von 7,4 BillionenDollarzusammengeballt,1970wareneserst200Milliarden.

Durch ständige Käufe und Verkäufe dieser Bestände, beioft nur marginalen Nettogewinnen, versuchen all diese Pla-yer mit ihren Jahresergebnissen die der Konkurrenz zuübertreffen, um noch mehr Kunden für ihr Unternehmenzu gewinnen. Zusätzlich heizen natürlich auch Börsen, Bro-ker und Banken die Geschäfte an, die bei jedem Vorgang

Page 359: Creutz - Das Geld-Syndrom

360

Darstellung 56:

Page 360: Creutz - Das Geld-Syndrom

361

mit Provisionen beteiligt und damit immer Gewinner sind.Auch wenn diese Provisionen nur zwischen 0,2 und 1 Pro-zent der Umsätze liegen, ist dies ein Bombengeschäft. Andem Finanzplatz London lebt davon z. B. ein großer Teil derdort insgesamt im Geldgewerbe beschäftigten 1,2 Millio-nen Leute, die – je nach Abgrenzung – sieben bis zehn Pro-zent des britischen Sozialprodukts erwirtschaften! Alleineim Bereich des Devisenhandels wird in London täglich einGegenwert von rund 640 Mrd. Dollar umgesetzt, etwa einDrittel des globalen Devisenumsatzes. Inzwischen über-steigen die gesamten weltweiten Finanztransaktionen dennormalen Welthandel um mehr als das 50fache, und dasmit zunehmender Tendenz. 1975 hatten die Transaktionennoch bei einem Viertel des Welthandels gelegen!

In welchem Maße sich auf diese wundersame Weise dieweltweiten Aktienwerte von der Realität gelöst haben, gibtdie Darstellung 56 wieder: Während sie sich bis 1985 nochim Gleichschritt mit der Weltwirtschaft entwickelten,haben sie sich in den anschließenden 15 Jahren geradezuexplosiv von dieser realen Basis entfernt.

Bedenkt man, dass in den USA die Gewerkschaften et-wa zehn Prozent der gesamten Aktien halten, wird dieGespaltenheit der Interessenlage erklärbar, ebenso bei denAktienpaketen des Vatikan. Denn bekanntlich lassen sichdie höchsten Kurssteigerungen und damit Zugewinne an derBörse bei Rationalisierungen und Entlassungen von Ar-beitskräften einfahren.

Aktienspekulation und Realwirtschaft

Aufgrund der börsenbezogenen Schlagzeilen und seiten-langen Kursnotierungen in den Zeitungen, werden die Vor-gänge an den Börsen bezogen auf die Realwirtschaft oft

Page 361: Creutz - Das Geld-Syndrom

362

überschätzt. Für diese haben Finanzierungen über Bank-kredite und Schuldscheinausgaben immer noch eine größe-re Bedeutung als jene über Aktien. Auch die oft irrealenKursschwankungen der Aktien haben weder einen direktenEinfluss auf die allgemeine Wirtschaftstätigkeit noch auf dieSachwert- oder Auftragssubstanz der jeweils betroffenenUnternehmen. Allenfalls das Prestige der Firmen wird vonsolchen Kursveränderungen beeinflusst, was sich mittelfris-tig natürlich auch auf die Auftragslage auswirken kann, vorallem aber auf die Finanzierungsgewinne, die Unternehmenmit der Neuausgabe von Aktien ggfs. machen.

Bei Kurseinbrüchen wird auch nicht – wie häufig selbst inWirtschaftszeitungen zu lesen – realer Reichtum vernichtetund schon gar kein Geld. Denn Aktien sind kein Geld, nochnicht einmal ein Geldguthaben, mit dem man von irgendje-mandem Geld zurückfordern kann. Aktien bestätigenlediglich einen Besitzanteil an einem Firmenvermögen,also an Gebäuden, Maschinen, Lagerbeständen, Patentenusw. Diese aber verändern sich durch Kurseinbrüche nichtund schon gar nicht werden sie dadurch vernichtet.

Die den Einbrüchen vorausgehenden oft völlig irrealenKursanstiege kommen häufig bereits durch Vermutungen,Gerüchte oder Empfehlungen von Analysten zustande.Der daraus resultierende Nachfrageschub löst dann denangekündigten Kursanstieg oft erst aus, und dieser wieder-um einen sich verstärkenden Schneeballeffekt.

Können die Kurse schwanken?

Selbstverständlich können Kurse durchaus um die realenWerte eines Unternehmens pendeln und auch als Folgeberechtigter Erwartungen deutlich darüber hinaus steigen.Doch solche Anstiege werden sich nie allzu weit von den

Page 362: Creutz - Das Geld-Syndrom

363

Realitäten abheben. Zu einem solchen Abheben aber musses zwangsläufig kommen, wenn die Zunahme der Speku-lanten bzw. des für Spekulationen eingesetzten Geldes überdie Zunahme der gehandelten Aktien hinausgeht, konkret:wenn die Nachfrage nach Aktien größer ist als das Ange-bot. In solchen Fällen entsteht – genau wie auf den Güter-märkten – ein Preisauftrieb, den man im Grunde als eineArt partieller Inflation bewerten kann. Während solchepartiellen Preisauftriebe bei Gütern jedoch die weitereNachfrage abbremsen, ziehen sie auf den spekulativenAktienmärkten noch mehr Nachfrager an. Damit verstärktsich der Schneeballeffekt aus sich selbst heraus. SolcheÜberentwicklungssysteme können jedoch nur so langefunktionieren, wie sich die Zahl der Mitspieler bzw. dereneingeschossenes Geld ständig erhöht. Da diese Möglichkeitder Ausweitung jedoch irgendwann an natürliche Grenzenstösst, muss es auch irgendwann zu einem abrupten Endedieser Eskalationen kommen.

Im Prinzip handelt es sich also bei diesen Überentwick-lungen an den Börsen – ob in den Zwanziger Jahren oder inunseren Tagen – um eine Art von Kettenbrief- oder Pyra-midenspielsystem, bei dem das Gros der Mitmacher, vorallem die erst in der Schlussphase eingestiegenen, schließ-lich die Zeche bezahlen müssen. Die Vorgänge sind also imAnsatz auch vergleichbar mit jenen groß angelegten Abzo-ckereien, wie sie vor einigen Jahren in Bulgarien und Alba-nien und sogar in Deutschland praktiziert worden sind, mitGewinnversprechungen von 70 und mehr Prozent. Auch siefunktionierten nach dem Lawinenprinzip so lange, wieimmer mehr Teilnehmer immer mehr Geld hineinsteckten,und sie brachen zusammen, als dies nicht mehr gesichertwar. Und wie bei diesen Spielen am Ende nicht nur Hoff-nungen, sondern auch Geldvermögen vernichtet werden,so ist das auch bei den Börsenspekulationen bei einem gro-

Page 363: Creutz - Das Geld-Syndrom

364

ßen Crash mit Firmenzusammenbrüchen der Fall. Dennwährend bei einer festverzinsten Bankeinlage, selbst beider Pleite einer Bank, die Einlage normalerweise durchSicherungsfonds und notfalls auch den Staat gesichert ist,gibt es das an der Börse nicht. Dort bleibt nur der realeRestwert des Unternehmens als Deckung übrig.

Angesichts der positiven Wirkung einer solchen Ver-nichtung zu viel vorhandener Geldvermögen, könnte maneinen solchen Crash also als einen Beitrag werten, mit demsich das kapitalistische System noch einmal für einige Zeitüber die Runden rettet bzw. neu beginnen kann, ohneRevolution und Schlimmeres.

Gibt es auch partielle Kurseinbrüche?

Natürlich können solche massiven Vermögensverluste anden Börsen auch partiell stattfinden, z. B. bezogen auf bes-timmte Branchen. Nach Zeitungsberichten vom Mai 2000haben z. B. Amerikas Onlineunternehmen fast ausnahms-los zwischen 50 und 90 Prozent ihres Börsenwerts verloren.Und ein Drittel der 272 Internetaktien, die 1999 erstmalsgehandelt wurden, sind inzwischen weniger wert als zumZeitpunkt ihrer Ausgabe (»Die Zeit« vom 11. 5. 2000). Hierhaben die Käufer also allesamt durchweg deutliche Verlus-te wegstecken müssen, letztlich zugunsten der ausgebendenUnternehmen, die oft den größten Teil des eingesacktenGeldes für Werbung ausgegeben haben.

Mit den Geldvermögen der Spekulanten ist aber keines-falls wie manche annehmen – das eingesetzte Geld aus derWirtschaft verschwunden. Denn das ist ja auf irgendeineWeise ausgegeben worden und jetzt z. B. in den Taschenjener Subunternehmen, die von den Pleitefirmen mit Auf-trägen beschäftigt wurden. Doch selbst wenn die Firmen-

Page 364: Creutz - Das Geld-Syndrom

365

gründer einige Millionen auf die Seite schaffen und aufirgendwelchen Konten unterbringen konnten, ist auch dasGeld über die damit getätigten Kreditvergaben der Bankenweiterhin im Umlauf.

Zu welchen fast schon absurden Zuständen es über dieKurseuphorien an den Börsen kommt, vor allem auf den sogenannten Neuen Märkten, wird an den oft völlig irrealenDiskrepanzen zu den tatsächlichen Firmenwerten deutlich.So konnte in den USA eine Firma, die über Internet Flugti-ckets verkaufte, einen größeren Börsenwert verbuchen alsmehrere Fluggesellschaften zusammen. Manche Firmenverschenken sogar auf der Straße Gutscheine, um denUmsatz zu fördern, oder kaufen Kundenadressen für Prei-se, die höher sind als der zu erwartende Jahresumsatz, usw.Kurz, die über die Börsen bei Aktionären und Kapitalge-bern eingesammelten Milliarden werden in manchen Fäl-len regelrecht auf den Kopf gehauen.

Derivate und andere Variationen der Spekula-tion

Durch die Geldanlage an den Aktienbörsen wird der nor-male Kreditmarkt von allzu großen Angeboten an Geldentlastet. Das heißt, die Zinsen an den Kapitalmärktengeraten weniger in Gefahr, nach unten in Richtung deflati-onskritischer Grenzen abzusinken. Da aber auch die nor-malen Anlagemöglichkeiten an den Börsen ihre Grenzenfinden und man die Kurse nicht ins Endlose hochtreibenkann, werden immer neue Möglichkeiten ausgebrütet, dieüberschießenden Geldvermögen auf andere Weise ein- undaufzufangen. Dazu gehören z. B. die so genannten Deriva-te, also abgeleitete Finanzprodukte, denen andere Finanz-geschäfte zugrunde liegen. Sie werden zwar unter den ver-

Page 365: Creutz - Das Geld-Syndrom

366

schiedensten Namen wie Futures, Optionen oder Swapsgehandelt, sind aber mehr oder weniger mit Wetten zu ver-gleichen, Wetten auf Veränderungen von Zinsen, Aktien-oder Wechselkursen. Bei diesen Wetten kann man mit klei-nen Einsätzen große Gewinne machen, aber natürlich auchgroße Verluste.

Auch für diese Derivatgeschäfte haben sich nicht nurkaum kontrollierte eigene Märkte entwickelt, sondernauch große spezielle Fonds. Einer der größten dieser so ge-nannten Hedge-Fonds, der allerdings nur für Banken undnormale Fonds mit Einlagen in mehrstelligen Milliarden-größen zugänglich war, der LTCM, machte Ende 1998 miteiner Milliardenpleite Schlagzeilen. Und da die Verlustefür manche an den Geschäften beteiligten Banken exis-tenzbedrohlich und die daraus möglichen Folgen unabseh-bar waren, hatten sich sogar die amerikanische Zentral-bank und einige Großbanken in der Welt an einer Ret-tungsaktion über Nacht beteiligt. Nach Insiderangaben sol-len dazu mehr als drei Mrd. Dollar erforderlich gewesensein.

Dieses Beispiel zeigt noch einmal, dass am Ende allerSpekulationen allzu oft die Allgemeinheit die Verlustebezahlen muss, und damit auch diejenigen, die an diesenganzen Börsenlotterien nicht beteiligt waren. Oder andersausgedrückt: Dass auch hier die Gewinne fast immer priva-tisiert, die Verluste aber oft sozialisiert werden. Besonderspeinlich und blamabel war bei der LTCM-Pleite, dass er vonzwei Professoren gemanagt wurde, die ausgerechnet fürihre Forschungen in Finanzfragen vor wenigen Jahren denNobelpreis erhalten hatten!

Aber nicht nur solche Derivate haben große Hebelwir-kungen. Auch an den normalen Aktienbörsen kommt es oftdurch relativ geringe Umsätze zu ernormen Wertverlustenoder -gewinnen, auch wenn sich diese erst einmal nur auf

Page 366: Creutz - Das Geld-Syndrom

367

dem Papier der Kurstabellen niederschlagen. Wenn z. B.der Kurs von 100 000 Aktien bei 100 steht und heute an derBörse 5 000 dieser Aktien angeboten, aber nur 1 000 nach-gefragt werden, dann wird zwangsläufig – wenn der Handelnicht ausgesetzt wird – der Preis der Aktien an der Börsedeutlich unter die bisherige Marke von 100 absinken. Dasaber betrifft nicht nur die 1 000 verkauften Papiere, son-dern auch die Kurse der übrigen 99 000 Aktien. DerGesamtumfang der Verluste ist also auf dem Papier um einVielfaches höher als die an der Börse realisierte Diffe-renz.

Das Problem der Wechselkursspekulation

Ein anderes Spielfeld neben den Wertpapierbörsen sind dieDevisenbörsen, an denen Währungen ge- und verkauft wer-den. Dabei geben die so genannten Wechselkurse jeweilsden Preis einer Währung wieder, ausgedrückt in einer ande-ren. Ein Wechselkurs von 1:2 zwischen Dollar und DMbesagt beispielsweise, dass man für einen Dollar zwei Markgeben muss bzw. für einen Dollar zwei Mark erhält.

Vor nicht allzu langer Zeit konnte man an den Wechsel-kursen noch die tatsächliche Kaufkraft der verschiedenenWährungen ablesen, denn sie spielten sich tendenziell soein, dass man mit dem eingetauschten Geld im anderenLand in etwa die gleichen Gütermengen erwerben konntewie mit dem eigenen Geld im eigenen Land. Solche Kurse,die die ›Kaufkraftparität‹ der Währungen widerspiegeln,veränderten sich entsprechend langsam. Entweder als Fol-ge unterschiedlicher Leistungsentwicklungen in den Volks-wirtschaften oder unterschiedlicher Kaufkraftveränderun-gen der beteiligten Währungen.

Diese Zeiten paritätischer Wechselkurse sind jedoch

Page 367: Creutz - Das Geld-Syndrom

368

längst vorbei. Der Kauf und Verkauf von Währungen fin-det heute nur noch zu einem Bruchteil für Handels- oderUrlaubszwecke statt. Vielmehr hat man das dafür benötigteGeld inzwischen selbst zu einem Handelsobjekt gemacht,in das man mit seinen Finanzanlagen laufend ein- undumsteigt. Das heißt, ausländisches Geld wird letztlich nurgekauft, manchmal nur für Tage oder Stunden, um es dannerneut – ohne es genutzt zu haben oder überhaupt nutzenzu wollen – wieder zu verkaufen. Beeinflusst werden dieseEin- und Umstiegsentscheidungen vor allem von Zinssatz-unterschieden oder von erwarteten Wechselkursänderun-gen, die man mit diesen massierten Käufen oder Verkäufenoft erst auslöst.

Was sind die Folgen der Währungsspekulationen?

Eingebürgert hatte sich dieser spekulative Missbrauch derWährungen bereits Anfang der 70er Jahre, als die weitereAufrechterhaltung der in Bretton Woods festgelegten star-ren Wechselkurse immer fragwürdiger wurde. Denn werdamals die immer notwendiger werdende Abwertung desDollars durch Käufe der zu niedrig eingestuften Währun-gen vorwegnahm, konnte in kurzer Zeit Gewinne einfah-ren, die alle anderen Möglichkeiten leistungsloser Einkom-men weit in den Schatten stellten.

Auch bei den später immer wieder versuchten Fest-schreibungen der Wechselkurse boten sich solche Geschäf-te an. Je größer dabei die zum Einsatz kommenden speku-lativen Geldmassen wurden, umso weniger waren die Staa-ten bzw. Notenbanken in der Lage, die Wechselkurse überlängere Zeiträume durch Stützungskäufe oder -verkäufegegen die Spekulation zu verteidigen. Man denke nur andie Spekulationen gegen Pfund und Lira Anfang der 90er

Page 368: Creutz - Das Geld-Syndrom

369

Jahre, mit denen selbst die Bank von England in die Kniegezwungen wurde. Dabei konnte von einem einzelnen Spe-kulanten namens George Soros in wenigen Tagen einGewinn in Höhe von fast einer Milliarde Dollar gemachtwerden. Und während im Allgemeinen Gewinne an denBörsen zu Lasten anderer Spekulanten gehen, müssen beisolchen Spekulationen gegen die Notenbanken die Steuer-zahler die Zeche bezahlen.

Auch bei diesen Spekulationen an den Devisenmärktenkommt es letztlich immer darauf an, im richtigen Momentein- und wieder auszusteigen. Verpasst man den richtigenMoment des Umsteigens bzw. vertraut man allzu lange denVersprechungen fester Wechselkurse, wie z. B. in denTigerstaaten 1998, kann dies zumindest bei längerfristigenAnlagen mit Milliardenverlusten verbunden sein. Deshalbwerden solche Anlagen tendenziell mit immer kürzerenLaufzeiten getätigt. Das verringert zwar das Risiko derAnleger, vergrößert aber das der sowieso am kürzerenHebel sitzenden und fast immer ärmeren Länder. Ein mas-siver Rückzug ausländischen Kapitals hat für die davonbetroffenen Länder wirtschaftliche und gesellschaftlicheFolgen, die weit über die Verluste der Spekulanten hinaus-gehen. Man denke nur daran, welche gewaltigen Konjunk-tureinbrüche die ostasiatischen Länder 1998 verkraftenmussten, bis hin zu Verarmungen und Notlagen in derBevölkerung, die in einigen Fällen zu gewaltsamen Reak-tionen und fast bürgerkriegsähnlichen Aufständen führten.Die Verluste der Anleger wurden dagegen meist nochdurch Maßnahmen der Banken oder Einsätze des Welt-währungsfonds ausgebügelt.

Grundsätzlich betrachtet, verhalten sich die Spekulantenin solchen Fällen wie Verkehrsrowdies, die eine Massenka-rambolage mit vielfachen Sach- und Personenschäden aus-lösen und dann mit einigen Kratzern auf der eigenen

Page 369: Creutz - Das Geld-Syndrom

370

Karosserie Fahrerflucht begehen, und das auch noch, ohneeine Bestrafung befürchten zu müssen. Dass auch dieRegierungen in den von solchen Kapitalrückzügen betrof-fenen Ländern eine Mitschuld trifft, z. B. durch zu langeBindungen an nicht mehr realistische Kurse, zu hohe Zins-versprechen oder auch politische Fehler, ist sicher unbe-stritten, aber keine Entschuldigung für die reichen Natio-nen, die in diesen Ländern ihre weiterhin wucherndenGeldvermögens-Überschüsse möglichst ohne eigenes Risi-ko abzuladen versuchen.

Schon vor Jahren hat die Weltbank festgestellt, dass etwa15 bis 20mal so viele Milliarden weltweit über die Grenzentransferiert werden, wie der Welthandel erforderlichmacht. Inzwischen sind die Diskrepanzen vielmals größer.Das heißt, unsere Welt ist von gewaltigen Kapitaltransfersbelastet, die keine Käufe oder Investitionen im Sinn haben,sondern nur auf Spekulationsgewinne aus sind. Und wie dieGeier bei einem verendenden Wild, sammeln sie sich vorallem in der Nähe ›verendender‹ Wechselkurse bzw. Wäh-rungen oder lösen ihr Absterben sogar selbst aus. Dabeipokern manchmal sogar staatliche Banken gegen ihre eige-ne Notenbank. – Der Irrsinn ist nicht mehr zu überbie-ten!

Konsequenzen

Unvorstellbar große und immer größer werdende Milliar-denbeträge an überschüssiger Kaufkraft vagabundiereninzwischen um den Erdball und überrollen Notenbankenund Politiker, die – wenn sie handeln – meist noch das Fal-sche tun. Betrachtet man das Ganze aus der Distanz, dannlassen sich sowohl die Regierungen (die das Wohl des Vol-kes mehren sollen!), als auch die Notenbankverantwortli-

Page 370: Creutz - Das Geld-Syndrom

371

chen (die die Währungen stabil halten wollen!), von denSpekulanten förmlich an der Nase vorführen. Von Speku-lanten, denen sie die Möglichkeit und Genehmigung zu die-sem ›Spiel‹ offiziell eingeräumt haben, bei dem sie selbstaber zunehmend unterliegen.

Schon 1992 hatte der Direktor der Rothschild-Bank inParis und Berater französischer Staatspräsidenten, Bern-hard Esambert, in einer Fernsehsendung die »wahnsinnigeVorherrschaft des Geldes« beklagt, die zu »einem Systemgeführt hat, das absolut nicht mehr demokratisch kontrol-liert werden kann, weder von den Zentralbanken noch vonden Nationen«. Und sogar der vormalige Präsident derDeutschen Bundesbank, Hans Tietmeyer, sah sich auf derTagung der Weltelite in Davos 1996 zu dem Stoßseufzergenötigt:

»Ich habe bisweilen den Eindruck, dass sich die meistenPolitiker immer noch nicht darüber im Klaren sind, wiesehr sie bereits heute unter der Kontrolle der Finanz-märkte stehen und sogar von diesen beherrscht werden.«

Immer mehr werden also die monetären Märkte zu einerArt von Weltregierung, die die Politiker zu Statisten undGehilfen degradiert. Und immer mehr werden dabei dieFinanzmärkte zu einer Art von Kriegsschauplatz, wie sichan den Schlagzeilen der Zeitungen ablesen lässt. Währendanfangs noch locker vom »Dollar-Monopoly« die Redewar, schrieben bereits 1992 die Zeitungen von einem »Gue-rillakrieg am Devisenmarkt«, bei dem »die entscheidendeWaffe« der Dollar ist, von einer »Schlacht um das Pfund«oder »Frontalangriffen auf den Franc«, die allerdings nocheinmal »zurückgeschlagen« werden konnten.

Auch die Einschätzungen dieser Form der Wirtschaft, dievom Spielcasino- über Turbo- und Brutalokapitalismus bis

Page 371: Creutz - Das Geld-Syndrom

372

zum Raubtierkapitalismus reichen, zeigen eine Entwick-lung auf, die sich der Gewalt immer mehr zu öffnen scheint,einer allerdings unauffälligen Art von Gewalt, die sich –ähnlich wie die versteckte Ausbeutung über den Zins (dievon manchen als die raffinierteste Sklaverei bezeichnetwird) – auf eine kaum messbare Weise ständig zunimmt.Und trotzdem bleibt die ›weiße Weste‹ der Nutznießerunbefleckt. Und an den ›Hofberichten‹ der ›ehrenwertenGesellschaft‹ ergötzt sich die Masse unserer Bürger in Dut-zenden von Magazinen auch dann noch, wenn sie selbst denGürtel enger schnallen müssen.

Damit der ›Guerillakrieg zwischen den Währungen‹auch morgen noch weiter aufgeheizt werden kann, werdendie jungen Menschen an den Schulen dazu eingeladen, indie ›Geheimnisse der Börse‹ einzusteigen und mit fiktivemKapital das Spekulieren einzuüben. Den Erfolgreichstenwerden Preise in echtem Geld in Aussicht gestellt. Über dieGefahren dieses ›coolen‹ Spiels hören sie natürlich nichts,noch weniger von seinen Hintergründen.

Statt vom Lohn der Arbeit, glauben heute schon immermehr junge Menschen, morgen durch Spekulationen vielbesser leben zu können. Und die Frage, woher ohne Arbeitdie Spekulationsgewinne eigentlich kommen sollen, stelltman ebenso wenig wie die nach der Herkunft der Zinsein-künfte. – Geld regiert nicht nur die Welt, es macht siezunehmend zu einem Irrenhaus!

Darf die Freizügigkeit des Kapitalverkehrs ein-geschränkt werden?

Freiheit und Freizügigkeit können in komplexen Beziehun-gen immer nur im Rahmen einschränkender Regelungenund klarer Grenzen praktiziert werden. Grenzen für die

Page 372: Creutz - Das Geld-Syndrom

373

Freiheit ergeben sich immer dann, wenn ihre Wahrneh-mung für andere mit Einschränkungen, Nachteilen oderGefährdungen verbunden ist. Totale Freiheiten endenzwangsläufig in Anarchie.

Wer z. B. die Freizügigkeit des Straßenverkehrs so ver-steht, dass man mit beliebiger Geschwindigkeit auf jederStraßenseite in jede beliebige Richtung fahren, alle Vor-fahrtsregelungen usw. außer Kraft setzen und den gesam-ten Verkehr dem ›freien Spiel der Kräfte‹ überlassen kann,wird den Verkehr zum Chaos und die Straßen zu einemSchlachtfeld machen.

Genau dieses Freiheitsverständnis aber hält man heutebeim Kapitalverkehr für natürlich und notwendig. Und die-se Art von ›Freiheit‹ wird von den Verantwortlichen in derPolitik auch noch verteidigt. Selbst die von dem US-Öko-nom James Tobin schon vor Jahrzehnten vorgeschlagenegeringe Steuer auf alle Spekulationsvorgänge, mit derzumindest deren Hektik etwas abgebremst werden könnte,wird weitgehend abgelehnt. Statt den Missbrauch dergewährten Freizügigkeit durch sinnvolle Regelungen ein-zuschränken, glaubt man vielmehr, weltweit die letztennoch vorhandenen Reste irgendwelcher Regelungenabbauen zu müssen, damit sich der Markt selbst helfenkann. Dabei ist genau das Gegenteil der Fall: Ein völligunregulierter Markt zerstört sich selbst, nicht anders alsjeder andere ungeregelte Organismus!

Was heute an den Börsen abläuft, ob mit Aktien, Devi-sen, Derivaten oder anderen immer neuen Finanzinstru-menten, kommt einem Tollhaus näher als einem Gebäude,das den Menschen Raum und Möglichkeiten zum Lebenund Arbeiten gewährt. Hier hat sich etwas verselbständigt,was sich nur noch unter dem Begriff ›Fieberwahn‹ subsum-mieren lässt. Ausgangspunkt und Auslöser all dieser›Metastasen‹, ist ein Geldsystem, das von seiner Konstruk-

Page 373: Creutz - Das Geld-Syndrom

374

tion her zu einer sich beschleunigenden Selbstvermehrungkonzipiert ist und damit – ganz gleich auf welche Art – zuseiner Selbstzerstörung.

Page 374: Creutz - Das Geld-Syndrom

Teil IV

Die gesellschaftlichenund wirtschaftlichenAuswirkungen

Page 375: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 376: Creutz - Das Geld-Syndrom

377

21. Kapitel

Geld und Gerechtigkeit -Die soziale Frage

»Es gibt ungerechte Strukturen, diewohl nicht aus bösem Willen entstan-den sind, sondern aus mangelnderKenntnis der Sachverhalte. Eine sol-che ungerechte Struktur liegt in unse-rem herkömmlichen Geld vor. Unserherkömmliches Geld ist mit einemSystemfehler behaftet, der die freieMarktwirtschaft verfälscht, indem erden Geldbesitzer gegenüber allenanderen Marktteilnehmern in hohemMaße privilegiert.«Peter Knauer SJ*

* Moraltheologe, in »Gerechtes Geld – gerechte Welt«, 1991

Wann sind Einkommen ungerecht?

Bei ungerechten Einkommen denkt man meist an einenLadenbesitzer, der zehnmal so viel verdient wie eine Ver-käuferin, oder an einen Schlagerstar, der für einenAbend 20 000 Dollar oder Euro kassiert. Doch solangemich niemand zwingt, einen bestimmten Laden oder einebestimmte Veranstaltung zu besuchen, stören mich diesehohen Verdienste nicht. Aufregen kann mich allerdings,wenn der Ladenbesitzer oder der Schlagersänger dengrößten Teil ihrer Einkommen zur Bank tragen, weil sich

Page 377: Creutz - Das Geld-Syndrom

378

diese Ersparnisse dann, ohne jede zusätzliche Leistung, inzehn Jahren verdoppeln und in zwanzig Jahren vervierfa-chen. Denn bei dieser Vermehrung werde auch ich zurKasse gebeten, obwohl ich weder den Laden noch die Ver-anstaltungen des Schlagersängers jemals aufgesuchthabe!

Einkommen, die man ohne jede Leistung erhält, sindalso viel ungerechter als alle leistungsbezogenen, auchwenn diese manchmal noch so sehr auseinander klaffen.Außerdem übertrumpfen diese leistungslosen Einkommendie leistungsbezogenen um ein Vielfaches. So beträgt dasEinkommen eines Normalverdieners je Arbeitstag z. B.100, das eines Spitzenverdieners vielleicht sogar 1 000 Dol-lar. Diese 1 000 Dollar pro Tag aber kassiert bei sieben Pro-zent Verzinsung auch ein fünffacher Millionär, und zwarohne einen Handschlag zu tun. Ein 50facher Millionär kas-siert diesen Betrag sogar alle 144 Minuten und ein500facher Millionär etwa viermal in der Stunde, womit er in24 Stunden auf rund 100 000 Dollar kommt. Und einemfünffachen Dollarmilliardär fallen die 1 000 Dollar alle 90Sekunden in den Schoß, was sich im Tages- und Nachtver-lauf auf rund eine Million Dollar addiert!

Seltsamerweise regt sich über solche leistungslosenMammuteinkommen kaum jemand auf. Vielleicht liegt dasdaran, dass man sich ein zehnfaches Einkommen noch vor-stellen kann, aber kein hundert-, tausend- oder zehntau-sendfaches. Oder daran, dass jeder davon träumt, selbsteinmal zu diesen Zinsgewinnern zu gehören, und sei esauch nur durch einen Lotteriegewinn.

Page 378: Creutz - Das Geld-Syndrom

379

Welches Unrecht geht von Inflationen aus?

Inflationen bewirken einen Kaufkraftverlust des Geldes.Dieser Kaufkraftverlust lag in Deutschland beispielsweisein den letzten 50 Jahren insgesamt bei fast 80 Prozent. Dasheißt, die DM von 1950 war im Jahr 2000 kaum noch 20Pfennig wert. Geht man vom langfristigen Durchschnittaus, dann gingen jedes Jahr etwa drei Prozent der Kaufkraftverloren.

Im Allgemeinen nimmt man an, dass die Folgen einersolchen Inflation von drei Prozent durch eine Anhebungder Löhne und Gehälter um diesen Satz ausgeglichen wer-den können. Das trifft jedoch nur dann und so lange zu, wiesich der inflationäre Preisauftrieb nur auf die Handels- undLeistungspreise auswirkt. Versuchen jedoch nicht nur dieLeistungserbringer, sondern auch die Geldguthabenbesit-zer ihre inflationsbedingten Verluste auszugleichen, dannkommt es zu problematischen Effekten, weil diese Geld-vermögen die leistungsbezogenen Größen inzwischenmehrfach übersteigen. So lagen beispielsweise 1998 diegesamten Geldvermögen bei 9 492 Mrd. DM und damitbeim 2,6fachen des Sozialprodukts, beim 3,5fachen desVolkseinkommens, beim 4,5fachen der Haushaltsausgabenund beim Sechsfachen der Bruttolöhne und -gehälter, von1 600 Mrd. DM. Erhöhen also die Geldguthabenbesitzerzum Inflationsausgleich ihre Zinsforderungen z. B. um dreiProzent, dann schlägt dieser Erhöhungsbetrag mit 297 Mrd.DM zu Buche, während ein dreiprozentiger Inflationsaus-gleich bei den Bruttolöhnen und -gehältern nur eine Erhö-hung von 48 Mrd. erbringt. Das heißt, mit der Lohnanhe-bung von drei Prozent können zwar die inflationsbedingterhöhten Preise ausgeglichen werden, nicht aber die inflati-onsbedingten Anhebungen der Zinsforderungen. Außer-dem müssen diese zwangsläufig – wenn auch mit Verspä-

Page 379: Creutz - Das Geld-Syndrom

380

tung – in den Preisen durchschlagen oder sie müssen durchSenkungen der Löhne und/oder anderen Arbeitseinkom-men ausgeglichen werden.

Im Gleichschritt mit der allgemeinen dreiprozentigenEinkommensanpassung würden sich die Zinserträge und-lasten nur dann erhöhen, wenn sie ebenfalls um drei Pro-zent ansteigen würden. Das heißt, ein Zinsbezieher derüber ein Geldvermögen von 10 000 DM verfügt und beisechs Prozent Verzinsung 600 DM Zinsen erhält, dürftedann statt der bisherigen 600 DM nur 618 DM verlangen, sowie auch ein Arbeiter mit 600 DM Wochenlohn nur eineErhöhung um 18 DM als Inflationsausgleich erhält. DerGeldvermögensbesitzer bezieht aber seine Mehrforderungvon drei Prozent auf die 10 000 DM Vermögen und bean-sprucht statt der bisherigen 600 DM nun 900 DM, was einerErhöhung seiner Einnahmen um 50 Prozent entspricht!

Aus der Sicht des Sparers, der die inflationsbedingtenKaufkraftverluste seines Guthabens ausgleichen will,erscheint das richtig und gerecht. Man kann aber mit Rechtfragen, warum die Sparer diese Absicherung ihrer Vermö-gen zu Lasten der Allgemeinheit durchsetzen können, diedabei der Verlierer ist. Denn da das Gros aller Zinsen letz-tendlich über die Preise an die Endverbraucher weitergege-ben wird, werden dafür alle Bürger herangezogen, auchdiejenigen, die selbst keine oder nur geringe Ersparnissehaben.

Besonders gravierend wirkt sich dieser Effekt bei denWohnungsmieten aus, die sich – wie im Kapitel 18 dargelegt– mit jedem Zinsanstieg um einen Prozentpunkt um 10 bis14 Prozent erhöhen. Diese Anhebung der Mieten ist in derSchweiz sogar gesetzlich geregelt: Bei einem Anstieg derHypothekenzinsen von 0,5 Prozent, können die Mieten umsieben Prozent angehoben werden.

Page 380: Creutz - Das Geld-Syndrom

381

Zu welchen Ungerechtigkeiten führt der Zins?

Geht man von den gesamten Zinstransfer-Größen aus, dannstehen allen Zinslasten entsprechend große Zinserträgegegenüber. Das heißt, der Saldo aller Zinsströme ist rechne-risch immer gleich Null. Weiterhin kann man davon ausge-hen, dass fast jeder Bürger sowohl Zinszahler als auch Zin-sempfänger ist. Wären beide Zinsströme bei jedem Haus-halt ausgeglichen, gäbe es durch den Zins kein Gerechtig-keitsproblem. In Wirklichkeit aber stehen den Zinszahlun-gen nur in den seltensten Fällen gleich hohe Zinserträgegegenüber. Diese Asymmetrie der zu tragenden und dererhaltenen Zinsgrößen ist die Ursache der damit verbunde-nen Umverteilung. Da jedoch alle zur Verteilung anstehen-den Einkommen allein aus Arbeit stammen, handelt es sichbei allen Zinsströmen letztlich immer um eine Einkom-mensumschichtung von der Arbeit zum Besitz.

Die vom Deutschen Sparkassenverlag herausgegebeneZeitschrift »Wirtschaftsspiegel« hat diesen Tatbestand imLeitartikel ihrer Ausgabe zum Weltspartag 1989 wie folgtbestätigt:

»Der Zins hat eine schöne und eine hässliche Seite. Esist schön, seine Sparguthaben ohne weiteres Zutunvermehrt zu sehen. Die Zinsbelastungen für Bankkre-dite sind aber eine Quelle steten Missvergnügens. Imschlimmsten Falle bedeuten sie den wirtschaftlichenRuin.«

Und weiter heißt es in dem Text:

»Zwar kann jeder Geschäftsfähige in den ›Genuss‹beider Seiten kommen, aber bei einer Gesamtbetrach-tung von Zinsgeben und Zinsnehmen zeigt sich, dass

Page 381: Creutz - Das Geld-Syndrom

382

Freud und Leid recht asymmetrisch verteilt sind.Grund ist die ungleiche Vermögensverteilung.«

Diese ungleiche Vermögensverteilung bewirkt, dass zwarjeder Bürger mit allen seinen Aus- und Abgaben Zinsenzahlen muss, dass aber die Höhe der an ihn zurückfließen-den Zinsen von der Höhe seines Vermögens bestimmtwird.

Wie im Kapitel 18 dargelegt, kann man als Faustregelinzwischen davon ausgehen, dass im Schnitt 40 Prozentaller Ausgaben in den Zins-Umverteilungstopf fließen. BeiJahresausgaben eines Haushalts in Höhe von 30 000 Eurosind das z. B. 12 000 Euro. Ausgeglichen werden diese Zins-lasten also nur dann, wenn er in Höhe von 12 000 Euro auchüber Zinseinnahmen verfügt. Das aber würde, bei einerVerzinsung von fünf Prozent, ein zinsbringendes Vermögenvon 240 000 Euro erfordern, also ein Vermögen, das demAchtfachen der Jahresausgaben entspricht. Die jeweiligenRelationen zwischen zinsbringendem Vermögen und denjährlichen Ausgaben entscheiden also darüber, ob derHaushalt zu den Gewinnern oder Verlierern des Zins-Monopoly-Spiels gehört.

Die Vermutung liegt nun nahe, dass etwa die Hälfte derHaushalte bei diesem Spiel gewinnt und die andere Hälfteverliert. Das wäre auch der Fall, wenn die Verteilung derVermögen wie der Ausgaben linear bzw. mit gleicher Pro-gressivität ansteigen würde. Das aber trifft nicht zu. Zwarwachsen in der Realität beide Größen mit zunehmenderBeschleunigung, aber der Anstieg der Vermögen ist deut-lich steiler als derjenige der Einkommen und Ausgaben.Dadurch verschiebt sich der Umverteilungsschnittpunkt zuden größeren Vermögen hin. Das heißt, die Anzahl der Ver-liererhaushalte ist wesentlich größer als die der Gewin-ner.

Page 382: Creutz - Das Geld-Syndrom

383

Wie verteilen sich die Vermögen?

Die Größe der Vermögen haben wir am Beispiel Deutsch-land bereits in Kapitel 16 dargelegt, in der Darstellung 45auch schon etwas über die Verteilung der Geldvermögen.Als Einstieg in die Verteilung der gesamten Privatvermö-gen in Deutschland wird in der Darstellung 57 Zahlenmate-rial verwendet, das vom Deutschen Institut für Wirtschafts-forschung (DIW) in Berlin im Wochenbericht 4/96 veröf-fentlicht worden ist. Daraus geht sowohl die Zusammenset-zung der Vermögen wie deren Verteilung auf sieben Haus-haltsgruppen hervor.

Die Zahlen in den Tabellen und vor allem deren grafi-sche Umsetzung lassen die Unterschiedlichkeit der Vermö-gensverteilung innerhalb der Haushalte erkennen. Dabeiist allerdings das Vermögen der reichsten Haushaltsgruppenur begrenzt darstellbar. Denn setzt man bei der Gruppe B(Durchschnitt 50 000 DM) eine Höhe von zwei Millimeternein (etwa so hoch wie die Druckbuchstaben dieses Buches),dann entspricht ein Vermögen von fünf Millionen fast derHöhe einer Buchseite. Zur Darstellung eines Vermögensvon 5 Milliarden aber müsste man 1 000 Bücher hochkantaufeinander stellen!

Würde man die eigengenutzten Immobilien, die ja keineZinsen erbringen, aus den Gruppen herausrechnen, wäredie Diskrepanz der ersten fünf Gruppen zu den beiden letz-ten und reichsten Gruppen noch gravierender. Denn in die-sen letzten Gruppen konzentrieren sich, neben den Geld-vermögen, vor allem die Zins bringenden Anlagevermö-gen, während die eigengenutzten Immobilien hier nur einegeringere Rolle spielen.

Page 383: Creutz - Das Geld-Syndrom

384

Darstellung 57:

Page 384: Creutz - Das Geld-Syndrom

385

Wie kann man die Größe der Zinsströme ermit-teln?

In der Darstellung 58 sind als Grundlage der Zinsströmedie Verteilung der privaten Vermögen und verfügbarenEinkommen der Haushalte in Westdeutschland wiederge-geben, verteilt auf zehn gleich große Haushaltsgruppen.Für diese Darstellung wurden diverse statistische Unterla-gen ausgewertet, unter Hinzuziehung einiger älterer Unter-suchungen der Professoren Engels, Mierheim, Wicke undMiegel, abgestimmt auf die westdeutschen Gegebenheitendes Jahres 1990.

Die schwarzen Säulen in der Darstellung stehen fürdas zinsbringende Vermögen der Haushalte, die hellen fürderen verfügbare Einkommen. Die eingetragenen Zahlengeben die Durchschnittswerte für jeden einzelnen Haushaltin den jeweiligen Gruppen in Tausend DM wieder.

Um die Ausgaben der Haushalte zu ermitteln, auf diebezogen die jeweiligen Zinslasten nachstehend verteiltwerden, wurden bei den Einkommenssäulen die Ersparnis-quoten abgetragen. Dabei wurde berücksichtigt, dass dieErsparnisbildungen bei den kleinen Einkommem äußerstgering sind und mit den Einkommen überproportional an-steigen. Ähnliches gilt für die Zinserträge, da die großenVermögen durchweg höher verzinst werden als die kleinen.Diese Zinserträge wurden auf die Vermögenssäulen gestri-chelt aufgesetzt.

Wenn man jetzt in einem vergrößerten Maßstab die Zins-erträge der zehn Gruppen grafisch wiedergibt und ihnen diein den Ausgaben enthaltenen Zinslasten gegenüberstellt,dann ergibt sich das in der Darstellung 59 zu sehende Vertei-lungsbild.

Page 385: Creutz - Das Geld-Syndrom

386

Darstellung 58:

Page 386: Creutz - Das Geld-Syndrom

387

Darstellung 59:

Wie daraus ersichtlich, übersteigen bei den ersten achtHaushaltsgruppen die Zinslastanteile deutlich die Zinser-träge. Innerhalb der neunten Gruppe kommt es dann zueiner Umkehrung der Situation und in der zehnten Haus-haltsgruppe liegen die Zinserträge weit über den zu tragen-

Page 387: Creutz - Das Geld-Syndrom

388

den Zinslasten. Die aus den Zahlen dieser beiden Gruppenzu errechnende positive Differenz entspricht logischerweiseder negativen Gesamtdifferenz bei den acht ersten Haus-haltsgruppen. Das heißt, die Nachteile der Zinstransfers beietwa 85 Prozent der Haushalte schlägt sich in gleicher Höheals Gewinn bei den reichen 15 Prozent der Haushalte nie-der. Wie sich das für die einzelnen Haushalte auswirkt, gehtaus der Saldenberechnung in der Darstellung hervor.

Was ergibt sich aus der Saldenberechnung?

Die Auswirkungen der zinsstrombedingten Umverteilun-gen werden noch deutlicher, wenn man – wie in der Darstel-lung 60 – die positiven und negativen Saldierungsergebnis-se in einem nochmals vergrößerten Maßstab aufträgt.

Vergleicht man die Situation in den einzelnen Gruppen,dann zeigt sich, dass in absoluten Zahlen die Haushalts-gruppen 4–6 die größten Negativ-Salden zu verkraften hat-ten. Relativ, also gemessen an dem Verhältnis zum Einkom-men, waren jedoch die ärmsten Haushaltsgruppen 1 und 2die größten Verlierer, da hier den Zinslasten so gut wie kei-ne Zinserträge gegenüberstanden.

Außer den (dunklen) Säulen, die einer angenommenendurchschnittlichen Guthabenverzinsung von 5,6 Prozententsprechen, sind zusätzlich auch noch die Säulengrößenbei einem Durchschnittszins von 8,4 Prozent eingetragen.Sie lassen erkennen, in welchem Maß mit steigenden Zins-sätzen sowohl die Verluste als auch die Gewinne in dieHöhe gehen, konkret: in welchem Umfang die zinsbeding-ten Umverteilungen von den ärmeren zu den reicherenHaushalten zunehmen und welcher soziale Sprengstoff mitHochzinsphasen verbunden ist. Der Vergleich der unter-schiedlichen Zinssätze lässt aber auch erkennen, welche

Page 388: Creutz - Das Geld-Syndrom

389

Darstellung 60:

positiven Effekte von Zinssenkungen unter die heute übli-chen Sätze ausgehen könnten.

Page 389: Creutz - Das Geld-Syndrom

390

Wie groß sind die gesamten Zinstransfers zwi-schen Gewinnern und Verlierern?

Addiert man bei den ersten acht Haushaltsgruppen diegesamten negativen Salden, dann ergaben sich bei dieserBerechnung für 1990 Verluste in Höhe von rund 116 Mrd.DM. Die gleiche Summe ergab sich als Gewinnsaldo fürdie letzten beiden Gruppen. Das heißt konkret: 1990 wur-den die acht ärmeren Haushaltsgruppen durch die Zins-transfers netto um 116 Mrd. ärmer und die zwei reichstenGruppen – weitgehend die zehnte – um die gleiche Summereicher. Bei einem Durchschnittszins von 8,4 Prozent hätteder Nettoverlust bzw. der -gewinn sogar 174 Mrd. DMbetragen. Rechnet man diese Transfergrößen auf dieKalendertage um, dann flossen jeden Tag netto etwa 318Millionen DM von den acht Verlierergruppen zu den bei-den Gewinnergruppen, in Hochzinsphasen entsprechendmehr.

Inzwischen haben sich diese Transferbeträge, verstärktnoch durch die Wiedervereinigung mit der ehemaligenDDR, auf mindestens das Doppelte vergrößert. Und auf-grund des Überwachstums der Geldvermögen und Schul-den nehmen sie zwangsläufig auch weiterhin überpropor-tional zu. Das gilt auch für den durchschnittlichen Zinslast-anteil in allen Preisen, der bereits Ende der 90er Jahre bei40 Prozent angesiedelt werden musste.

Der ehemalige Oberbürgermeister von München, GeorgKronawitter, SPD, hat zu diesen Vorgängen bereits Anfangder 90er Jahre einmal kommentiert:

»In der Bundesrepublik ist, binnen zehn Jahren, eineriesige Verschiebung von Vermögen und Reichtumzuwege gebracht worden, die jedes soziale Gleichge-wicht zerstört hat. Ich bin sicher, dass die Verteilungs-

Page 390: Creutz - Das Geld-Syndrom

391

kämpfe heftiger werden, aber immer weniger zu ver-teilen sein wird.«

Allerdings hat diese Umverteilung nicht erst zehn Jahre vordiesem Zitat begonnen, sie tritt nur immer deutlicher her-vor.

Page 391: Creutz - Das Geld-Syndrom

392

22. Kapitel

Die Folgen der zinsbedingtenEinkommens-Umverteilung

»Die Tatsache, dass ein Fünftel derMenschheit immer reicher und vierFünftel immer ärmer werden, dasliegt natürlich an unserer Wirtschafts-art und ganz speziell an unseremGeldsystem. Ich glaube, dass an die-sem Geldsystem etwas geändert wer-den muss, um zu irgendeiner Art vonGleichgewicht in der Welt zu kom-men.«Michael Ende*

* Buchautor, aus einem Programmheft des Münchener Volkstheaters

Die Hintergründe der ›Neuen Armut‹

Der frühere deutsche Gewerkschaftsführer Ernst Breit hatbereits Ende der 80er Jahre davon gesprochen, dass inDeutschland einer zunehmenden verschämten Armut einzunehmender unverschämter Reichtum gegenübersteht.Und in einer süddeutschen Zeitung war nicht viel späterdavon zu lesen, dass »die Armut in der reichen Republikwächst«, gleichzeitig aber auch die Zahl der Millionäre. InDeutschland hat man für diese Entwicklung den Begriff›Neue Armut‹ geprägt und in der Schweiz ›Working Poor‹,um zum Ausdruck zu bringen, dass diese Armut nicht nurdie Arbeitslosen trifft. Selbst in den Parlamenten hat es

Page 392: Creutz - Das Geld-Syndrom

393

bereits Debatten zu diesem Thema gegeben und es wur-den so genannte ›Armutsberichte‹ vorgelegt. Die andereSeite der Medaille, die Entwicklung des Reichtums, hatbisher leider weniger Beachtung gefunden, obwohl dessenZunahme letztlich die Ursache der Armutsentwicklung ist,auch wenn das im ersten Moment widersprüchlicherscheint.

Kann es auch ohne Reichtum Armut geben?

Reichtum ist ohne Zweifel ein relativer Begriff. AchtzigProzent der Erdbewohner werden z. B. einen Sozialhil-feempfänger in den Industrienationen als reich einstufenund ihn um seinen Wohlstand beneiden. Aus der Sicht einesManagers in den reichen Ländern ist er dagegen arm. Sinn-voll ist es darum, Arm und Reich zuerst einmal vor demHintergrund der nationalen Gegebenheiten zu analysieren.Grundlage solcher Analysen könnte zwar auch die Vertei-lung der Vermögen sein, mangels ausreichender Unterla-gen ist es aber einfacher, die Einkommen dafür heranzuzie-hen, aus denen sich letztlich die Vermögen bilden.

Um für solche Analysen auch länderübergreifendeAnhalts- und Vergleichsgrundlagen zu schaffen, hat mansich in den Sozialwissenschaften auf einen groben Rastergeeinigt: Von Armut spricht man, wenn das Haushaltsein-kommen unter 50 Prozent des Landesdurchschnitts liegt,von Reichtum, wenn das Einkommen die doppelte Höhedes Durchschnitts übersteigt. Das heißt, Einkommensun-terschiede im Mittelfeld können bis zum Verhältnis 1:4 aus-einander liegen. Erst darunter bzw. darüber kommt es zuden angeführten Klassifizierungen Arm bzw. Reich.

Natürlich kann man über solche Grenzziehungen strei-ten. Aber immerhin erlauben und erleichtern sie sowohl

Page 393: Creutz - Das Geld-Syndrom

394

den Vergleich zwischen Vergangenheit und Zukunft inner-halb der Länder wie auch Vergleiche zwischen ihnen, selbstbei unterschiedlich entwickelten Ländern oder Regionen.Vor allem aber – und damit kommen wir zu dem entschei-denden Thema – wird mit Hilfe dieser Grenzziehungennachweisbar, dass Armut und Reichtum einander bedin-gen, und das gilt vor allem für deren zunehmende Polarisie-rung.

Wie unterscheidet sich die Armut in Europa?

Legt man den vorgenannten Armutsmaßstab von 50 Pro-zent des Durchschnittseinkommens an die Mehrzahl derEU-Länder an, dann ergeben sich die in der Darstellung 61veranschaulichten Anteile.

Darstellung 61:

Page 394: Creutz - Das Geld-Syndrom

395

Wie ersichtlich, sind die hier ausgewiesenen Unterschiedeerheblich. In Portugal, Griechenland und Großbritanniengibt es etwa zwei- bis dreimal mehr arme Haushalte als inDänemark, Deutschland oder Belgien. Auch wenn die hoheArmut in Großbritannien etwas irritiert, wird man die Gege-benheiten in den südeuropäischen Ländern allzu rasch alseine Bestätigung bekannter Vorurteile deuten. Doch dieseDeutung wäre nur zutreffend, wenn für die Einstufung derArmut in den Ländern die europäischen Durchschnittswer-te herangezogen würden. Die in der Grafik wiedergegebe-nen Armutsanteile beziehen sich jedoch immer auf denDurchschnitt des betreffenden Landes. Sie geben also je-weils die relative Armut innerhalb der Grenzen wieder. Die-se aber kann jeweils nur dann größer werden, wenn auch derReichtum und damit die Diskrepanz zwischen beiden Be-reichen zunimmt.

Wie kommt es zu den Wechselbeziehungen zwi-schen Arm und Reich?

Wie bereits angeführt, wird zur Ermittlung dieser Beziehun-gen das so genannte verfügbare Einkommen der Haushalteals Grundlage herangezogen. Diese Einkommensgrößeresultiert aus den Nettoeinkünften aus Arbeit und Vermö-gen sowie den staatlichen Transferzahlungen an die Haus-halte. In Deutschland lag dieses verfügbare Einkommen1999 bei 2 470 Mrd. DM. Umgelegt auf die etwa 36 MillionenHaushalte bzw. Erwerbstätigen ergab sich ein jährlichesDurchschnittseinkommen von rund 70 000 DM, im Monatalso von knapp 6 000 DM.

Geht man von dieser Durchschnittsgröße von 70 000 DMaus, dann lag die in halber Höhe fixierte Armutsgrenze alsobei 35 000 DM, die in doppelter Höhe fixierte Reichtums-

Page 395: Creutz - Das Geld-Syndrom

396

grenze bei 140 000 DM. Haushalte, die diese Grenzen nachunten bzw. oben überschreiten, werden demnach statistischals arm bzw. reich eingestuft.

Aufgrund dieser Schwankungen der Einkommen umden Durchschnittswert, könnte man zuerst einmal anneh-men, dass die eine Hälfte der Haushalte über und die ande-re unter dem Durchschnitt liegt. Wie bei dem Drehpunkteiner Wippe muss dann der Balken auf der einen Seite imgleichen Maß nach unten gehen, wie er auf der anderen Sei-te ansteigt. Da die Summe aller über dem Durchschnitt lie-genden Einkommen immer der Summe aller unter ihm lie-genden entsprechen muss, kann der Drehpunkt auch außer-halb der Mitte liegen. Soll die Verteilung sowohl dieArmutsgrenze als auch die (doppelt so weit entfernte)Reichtumsgrenze erreichen, muss der Drehpunkt aus derMitte nach rechts verschoben werden.

Ausgehend von einigen Vorgaben (etwa 25 Prozent derEinkommen liegen über dem Durchschnitt, 5 Prozent überder Reichtumsgrenze und etwa 15 Prozent unter derArmutsgrenze), ergibt sich in Deutschland die in der Dar-stellung 62 wiedergegebene Verteilung.

Die schraffierten Flächen lassen erkennen, dass die überdem Durchschnitt liegenden Einkommensanteile auf derrechten Seite immer so groß sein müssen wie die unter demDurchschnitt liegenden auf der linken Seite. Und je mehrauf der rechten Seite die Einkommen in die Höhe schießen,umso eher fallen auf der linken Seite Einkommen unter dieArmutsgrenze. Zunehmende Armut in einem Land ist alsoimmer ein Zeichen überproportional wachsenden Reich-tums!

Wenn also in Ländern wie Portugal oder Großbritanniender Armutsanteil besonders groß ist, dann ist das keinBeweis für einen allgemeinen geringeren Wohlstand. Auchdort könnte das Durchschnittseinkommen genau dem

Page 396: Creutz - Das Geld-Syndrom

397

Darstellung 62:

Page 397: Creutz - Das Geld-Syndrom

398

deutschen entsprechen. Die dortige höhere Armutsquotebeweist nur, dass der Wohlstand einer extremeren Vertei-lung unterliegt, die Diskrepanzen zwischen Arm und Reichalso größer sind als in den Ländern mit geringeren Armuts-quoten.

Eine Anhebung der Wirtschaftsleistung würde in denbetroffenen Ländern nur dann zu einem Abbau der Armuts-quote führen, wenn die Reicheren ihre Ansprüche an denZuwachs des Sozialprodukts reduzieren würden. Da dieEntwicklungen in der Realität auf Grund des Überwachs-tums der Geldvermögen und der daraus resultierenden Zin-sansprüche jedoch umgekehrt verläuft, erklärt sich das Ent-stehen wie die Zunahme der ›Neuen Armut‹ oder der ›Wor-king Poor‹ auch bei weiterem Wirtschaftswachstum.

Wann hat die Diskrepanzentwicklung eingesetzt?

Wie es in Deutschland gewissermaßen klammheimlich zuder Neuen Armut gekommen ist, ging bereits aus den Darle-gungen im Kapitel 21 hervor. Langfristig lässt sich die Ent-wicklung in der Darstellung 63 nachvollziehen, in der manVerschiebungen der Einkommensanteile innerhalb des ver-fügbaren Einkommens in Westdeutschland verfolgen kann.

Demnach sind Einkommen aus Geldvermögen, einschl.der von der Allgemeinheit mitzutragenden Bankmarge,von vier Prozent des Volkseinkommens 1950 auf 23 Prozent1993 angestiegen. Die übrigen Einkommen, in denenneben den Arbeitnehmer- und Unternehmereinkommenauch die Verzinsung der Sachvermögen stecken, fielen ent-sprechend von 96 auf 77 Prozent zurück. Angesichts derrealen Verfünffachung des Volkseinkommens und seineslinearen Anstiegs fällt die Verschiebung zwischen den bei-den Einkommensgruppen optisch kaum auf. Sie wird aber

Page 398: Creutz - Das Geld-Syndrom

399

Darstellung 63:

deutlich, wenn man einmal an die Grenzlinie zwischen bei-den Einkommen ein Lineal anlegt und den Abwärtstrendder Kurve registriert.

Deutlich hervor gehen aus den Kurven auch die Einker-bungen, die – wie die zusätzlich eingetragene Zinskurvezeigt – als Folge der Hochzinsphasen und den daraus resul-tierenden Konjunktureinbrüchen zu erklären sind.

Page 399: Creutz - Das Geld-Syndrom

400

Welche Folgen hat das weitere Öffnen derArmut-Reichtum-Schere?

Der Bürgermeister der Stadt Hamburg, Ortwin Runde, hatzu seiner Zeit als Sozialsenator bereits beklagt, dass in sei-nem Stadtstaat zwei Bevölkerungsgruppen am raschestenwachsen würden, nämlich die Sozialhilfeempfänger und dieMillionäre. Und weiter folgerte er daraus, dass uns – ohneeine Veränderung dieses Trends – »Auseinandersetzungenwie in Lateinamerika« drohen. Nun mag dieses Szenariovielleicht etwas weit gegriffen und alle Prognosen in dieZukunft fragwürdig sein. Dennoch könnte man einmal ver-suchen, die bisherige Entwicklung in die nächsten Jahrzehn-te zu verlängern, nach dem Motto: Was wäre, wenn . . .

Natürlich sind solche Voraussagen letzten Endes spekula-tiv. Das gilt nicht nur für übliche Insiderprophezeiungen,sondern selbst für die jährlichen Prognosen der hoch dotier-ten ›Fünf Weisen‹, die in Deutschland die Regierung in Wirt-schaftsfragen beraten. Ihre dickleibigen Jahresgutachtenwerden zwar regelmäßig mit viel Publicity dem Bundeskanz-ler überreicht, aber einem »Bon(n)mot« zufolge soll es schonin Bonn von kaum einem gelesen worden sein, nicht zuletztdeswegen, weil die Voraussagen selten zugetroffen haben.

Will man Konkretes prognostizieren, ist das allenfallsüber die Verlängerung bisheriger, langfristig abgesicherterEntwicklungen möglich, unter Einbezug der vom Geld aus-gehenden Effekte. Zum Beispiel durch die Fortführung derrealen Entwicklung unseres Volkseinkommens und derZinslasten aus der Vergangenheit. In der nachfolgendenDarstellung 64 ist dazu die Darstellung 63 noch einmal ver-kleinert wiedergegeben und – den westdeutschen Erfah-rungen von 1950 bis 1990 entsprechend – um 40 Jahre in dieZukunft verlängert. Dabei wurden zwei mögliche Varian-ten A und B angenommen.

Page 400: Creutz - Das Geld-Syndrom

401

Darstellung 64:

Bei der Variante A wird von einer weiteren linearen Zu-nahme der volkswirtschaftlichen Leistung ausgegangen.Das heißt, das Sozialprodukt wird jedes Jahr wie bisher umdie gleiche reale Leistung aufgestockt. Während für dieselineare Entwicklung in den 50er Jahren noch eine durch-schnittliche Wachstumsrate von 8,5 Prozent erforderlichwar, genügte dazu – wie aus den eingetragenen Wachstums-quoten zu entnehmen – in den 80er Jahren eine Rate von2,1 Prozent und in den 90er Jahren von 1,8 Prozent. In derersten Dekade unseres neuen Jahrtausends würde sogarschon ein Wachstum von 1,5 Prozent genügen, um das bis-herige Wachstumstempo beizubehalten. Das heißt, 1,5 Pro-

Page 401: Creutz - Das Geld-Syndrom

402

zent Wachstum bedeutet in unseren Tagen mengenmäßigeine gleich hohe Leistungsausweitung wie 8,5 Prozent inden 50er Jahren!

Weiter wird angenommen, dass sich auch das Geldver-mögen (und damit auch der geldbezogene Zinstransfer)weiterhin wie bisher entwickeln wird. Da die Geldvermö-gen in den letzten Jahrzehnten im Schnitt real um 4,7 bzw.4,3 Prozent zunahmen, wurden für die nächsten vier Jahr-zehnte weiter fallende Raten von 4 auf 3 Prozent angenom-men.

Wie aus der Darstellung ersichtlich, würden unter diesenVorgaben die Einkommen der Arbeitleistenden bis zumJahr 2030 zwar weiter zunehmen, gegenüber dem Zuwachsder geldbezogenen Zinserträge aber immer mehr zurück-fallen. Während 1950 der Verteilungsschlüssel zwischenGeldkapital und den Einkommen aus Arbeit und Sachver-mögen usw. noch bei 4:96 und 1990 bei 18:82 lag, hätte ersich bis 2030 auf 37:63 verändert. Wie die Verteilungskurveerkennen lässt, wird diese jedoch wenige Jahre nach 2030ihren Scheitelpunkt erreichen und danach ins Negativeumkippen, so dass von da ab die Gesamtheit der übrigenEinkommen nicht nur relativ, sondern absolut zurückgehenmuss. Allerdings kann diese Variante A, die von einem wei-teren ständigen Anstieg unseres BSP ausgeht, kaum reali-stisch sein. Eine nochmalige Verdoppelung der Wirt-schaftsleistung in den nächsten 40 Jahren ist angesichts derheutigen Umweltschäden und des bereits erreichtenWohlstandsvorsprungs der Industrienationen zu der übri-gen Welt geradezu absurd. Noch unrealistischer wäre derVersuch, die Verteilungsrelation von 1990 mit 18:82 in derZukunft aufrechterhalten zu wollen. Denn dazu wäre in derWirtschaft ein Wachstum erforderlich, das mit jenem derGeldvermögen Schritt halten, also mit real drei bis vier Pro-zent p.a. zulegen würde, was bis zum Jahr 2030 einen An-

Page 402: Creutz - Das Geld-Syndrom

403

stieg der realen Wirtschaftsleistung auf das Vierfache desStandes von 1990 bedeuten würde.

Im Hinblick auf die Umwelt wird als Alternative in derVariante B eine nachlassende Wirtschaftsleistung undderen Stabilisierung bis zum Jahr 2030 angenommen. Daaber auch bei einer nicht mehr wachsenden Wirtschaft dieGeldvermögen durch die Zinseffekte weiter zunehmen unddamit auch ihre Ansprüche an das Volkseinkommen, wür-de hierbei die Verteilungskurve zwischen den Einkommenaus Geldvermögen und den übrigen Einkommen bereits inunserem Jahrzehnt umzukippen beginnen. Das heißt, wirhätten dann in zehn bis zwanzig Jahren tatsächlich Umver-teilungsprozesse zu erwarten, die jenen in Lateinamerikaentsprechen dürften.

Dass dieses ganze Szenario nicht utopisch ist, zeigenbereits die Entwicklungen der letzten Jahre, vor allem inden USA und Großbritannien, in denen die Einkommender Arbeitnehmer im unteren Drittel bereits deutlichzurückgefallen sind. In Deutschland hat man diese Verar-mungsprozesse nur stärker bei den Arbeitslosen konzen-triert.

Zeichnen sich diese Diskrepanzzunahmen auchauf andere Weise ab?

Zieht man dazu wieder das statistische Zahlenwerk heran,dann ist in Westdeutschland die Wirtschaftsleistung von1970 bis 1990 real auf das 1,6fache und nominell auf das3,6fache gesteigert worden. Man sollte annehmen, dass andiesem Wohlstandsanstieg auch alle halbwegs gleichmäßigbeteiligt waren. Doch die Arbeitnehmer hatten dabei dasNachsehen. Ihre nominellen Bruttoeinkommen nahmenzwar pro Kopf noch auf das 3fache zu, die Nettogrößen je-

Page 403: Creutz - Das Geld-Syndrom

404

doch – das Geld, mit dem sie nach Hause gehen – nur auf das2,7fache. Das heißt, gegenüber dem allgemeinen Wohlstand-sanstieg fehlte ihnen ein Fünftel in der Lohntüte. Dafür stie-gen die Zinsausschüttungen der Banken an die Geldgeberauf das 7,3fache an, doppelt so stark wie das Sozialprodukt.Nicht weniger aufschlussreich ist auf der anderen Seite dieSozialhilfestatistik. Hier ist die Zahl der Empfängerhaus-halte von 1970 bis 1990 fast auf das 2,5fache angestiegen, dieAufwendungen sogar auf das 9,5fache.

Dieser Trend zur Verschiebung der Einkommen zu Las-ten der Arbeitnehmer wird auch deutlich, wenn man das ver-fügbare Einkommen in Deutschland nach seinen Bestand-teilen aufschlüsselt, wie in der Darstellung 65 geschehen.

Darstellung 65:

Page 404: Creutz - Das Geld-Syndrom

405

Wie der Darstellung zu entnehmen, sind die Anteile derNettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermö-gen um die Hälfte angestiegen, während die aus den Netto-löhnen und -gehältern resultierenden Anteile um ein Vier-tel zurückgingen. Die öffentlichen Transfers blieben dage-gen – zumindest ab 1975, praktisch gleich.

Die Verschiebung zwischen den beiden erstgenanntenEinkommensanteilen ist umso schwerwiegender, als in demdargestellten Zeitraum die Zahl der Selbständigen deutlichab und die der Arbeitnehmer ebenso deutlich zugenom-men hat. Das heißt, bei einer Umrechnung pro Kopf würdedie Umverteilung zu Ungunsten der Arbeitnehmer nochgrößer sein!

Exponentiell beeinflusste Auseinanderentwicklungenhaben die Tendenz, sich zu beschleunigen. Das tritt umsodeutlicher zutage, je länger eine Wirtschaftsepoche dauert.Wer also etwas über unsere künftigen Gegebenheiten wis-sen will, braucht sich nur in Volkswirtschaften umzusehen,in denen die Entwicklung durch keinen Neubeginn nachdem letzten Krieg unterbrochen wurde. Das ist z. B. in Eng-land und den USA der Fall.

Geht man von Zeitungsveröffentlichungen über dieSituation in England aus, dann sind dort die Realeinkom-men, trotz eines deutlichen Wirtschaftswachstums, beieinem knappen Drittel der Haushalte in den letzten zehnJahren gesunken. In den USA hat der Einkommensrück-gang sogar schon den Mittelstand erreicht. Nach einemBericht der deutschen Wochenzeitung »Die Zeit« vom26. 11. 1998 müssen in diesem reichsten Land der Welt 14,4Millionen Menschen mit einem Jahreseinkommen von5 000 bis 8 000 Dollar auskommen und das oberste Einkom-mens-Fünftel verdient heute elfmal so viel wie das untersteFünftel, während es 1969 erst das 7,5fache war.

Auch in Deutschland liegt die Differenz bereits bei 1:6

Page 405: Creutz - Das Geld-Syndrom

406

mit weiter zunehmender Tendenz. 2,6 Millionen Familienstecken in der Schuldenfalle und in Berlin gibt es bereits10 000 Obdachlose und zehn Suppenküchen – Entwicklun-gen, die vor 20 Jahren noch unvorstellbar waren. Die Dis-krepanzen zwischen Arm und Reich nehmen also nicht nurzwischen Nord und Süd weiter zu, sondern auch innerhalbder reichen Industrienationen.

Page 406: Creutz - Das Geld-Syndrom

407

23. Kapitel

Geld, Wachstum, Umwelt –Die ökologischen Folgen

»Sie sägten Äste ab, auf denen siesaßen, und schrien sich zu ihre Erfah-rungen, wie man schneller sägenkonnte, und fuhren mit Krachen indie Tiefe, die ihnen zusahen, schüttel-ten die Köpfe beim Sägen und sägtenweiter!«Bertolt Brecht

Welche Wachstumsregeln sind zu beachten?

Wenn ein Zehnjähriger mit zwanzig Jahren ein Meterachtzig groß sein möchte, ist dagegen nichts einzuwen-den. Will er jedoch mit dreißig Jahren zwei Meter achtzigund mit vierzig drei Meter achtzig groß sein, dann wirddie Sache unrealistisch. Und das nicht nur, weil dieserWachstumsfetischist ständig größere Schuhe, Kleider undMöbel, Wohnungen und Fortbewegungsmittel braucht,sondern weil ganz einfach ein solches Überwachstum ansich selbst zu Grunde gehen muss. Denn für alle gesun-den und natürlichen Wachstumsentwicklungen gibt eseine optimale Größe oder Obergrenze und alles darüberHinausgehende ist mit zunehmenden negativen Folgenverbunden.

Diese Regel gilt nicht nur für Wachstumsvorgänge inder Natur. Auch die Leistungssteigerung eines Motors istnur bis zu seiner optimalen Drehzahl sinnvoll. Steigert

Page 407: Creutz - Das Geld-Syndrom

408

man sie darüber hinaus, dann ist es nur eine Frage der Zeit,bis der Motor auseinander fliegt.

In diese natürlichen wie naturwissenschaftlichen Gesetz-mäßigkeiten ist auch alles Geschehen in der Wirtschaft einge-bunden. Auch hier ist jedes Überschreiten sinnvoller Gren-zen mit zunehmenden Negativerscheinungen verknüpft.

Gibt es unterschiedliche Abläufe des Wachs-tums?

Ein Wachstumsvorgang kann mit abnehmender, gleichbleibender oder zunehmender Geschwindigkeit ablaufen.In der Darstellung 66 sind diese unterschiedlichen Möglich-keiten als Schema wiedergegeben.

Darstellung 66:

Page 408: Creutz - Das Geld-Syndrom

409

Die Kurve a in der Darstellung zeigt einen Wachstums-ablauf, der anfangs sehr rasch beginnt, sich immer mehrverlangsamt und schließlich auf einer bestimmten Höhestabilisiert. Dieser Verlauf entspricht den meisten Entwick-lungen in der Natur. Denken wir nur an uns selbst: Dengrößten, fast schon explosiven Wachstumsschub, erlebenwir noch im Mutterleib. Auch in den ersten Babyjahren sinddie jährlichen Zuwachsraten noch erheblich. Sie lassenjedoch in den anschließenden Jahren nach und kommen imAlter von ca. 18 Jahren zum Stillstand.

Diese Stabilisierung des menschlichen Wachstums beieiner optimalen Größe trifft jedoch nur auf die quantitativekörperliche Entwicklung zu. Der qualitativen Entwicklungdes Menschen, z. B. im geistigen, sozialen und kulturellenBereich, sind dagegen keine Grenzen gesetzt. Vielmehrentwickeln sich diese spezifisch menschlichen Fähigkei-ten überwiegend erst nach Beendigung des quantitativenWachstums.

Die Kurve b zeigt einen linearen Entwicklungsverlauf.Bei diesem nimmt die Größe in gleichen Zeitabständen mitgleich bleibenden Schritten zu. Es bedarf keiner Erläute-rung, dass ein solches, ständig gleich bleibendes Wachstumin einem begrenzten Raum nicht durchzuhalten ist.

Die Kurve c schließlich zeigt eine Entwicklung mit stän-dig größer werdenden Wachstumsschritten. Sie beginntanfangs kaum merklich, um sich danach immer mehr zubeschleunigen. Bei diesem so genannten exponentiellenWachstum verdoppeln sich jeweils die Zuwachsraten beigleich bleibenden Zeitabständen. Dieses exponentielleWachstum kennen wir bereits von den zinseszinsbedingtenEntwicklungen im Geldbereich. Verglichen mit der Kurve aliegt bei diesem Wachstum ein umgekehrter Verlauf vor:Während das natürliche Wachstum fast explosiv beginntund ständig abnimmt, schießt das anfänglich so harmlos

Page 409: Creutz - Das Geld-Syndrom

410

wirkende exponentielle Wachstum schließlich explosions-artig in die Höhe.

Diese Art von Wachstum gibt es in der Natur weitgehendnur bei krankhaften Entwicklungsprozessen, z. B. beiTumoren. Auch diese wachsen oft über Jahre und Jahrzehn-te, ohne ihren Gastorganismus zu gefährden. Haben siejedoch eine kritische Größe erreicht und gelingt es nicht,ihr weiteres Verdoppelungswachstum zu stoppen, dann zer-stören sie ihren Gastorganismus und damit ihre eigeneLebensbasis.

Auch das Bevölkerungswachstum auf unserem Planetenverläuft nach diesem letztlich tödlichen Konzept und vielesspricht dafür, dass wir die kritische Grenze bereits erreicht,wenn nicht schon überschritten haben.

Wie irreal ist exponentielles Wachstum?

Exponentielle Wachstumsabläufe sind für uns Menschenschwer nachvollziehbar. Wir sind gewohnt, in normalenZahlenreihen wie 1, 2, 3, 4, 5 zu denken oder 2, 4, 6, 8, 10.Reihen wie 1, 2, 4, 8, 16, 32 usw. sind uns dagegen fremd. Soüberrascht z. B. immer wieder das Ergebnis des bekanntenSchachbrett-Beispiels: Ein König – von dem Spiel begeis-tert – stellte dem Erfinder des Schachspiels einen Wunschfrei. Zur Überraschung des Herrschers wünschte sich die-ser auf das erste Feld des Schachbretts ein Getreidekorn,auf das zweite zwei, das dritte vier usw., also jeweils die dop-pelte Menge des vorhergehenden Feldes.

Der König, der glaubte, er könne diesem Wunsch miteinigen Säcken Getreide nachkommen, musste feststellen,dass er unerfüllbar war. Denn rechnet man die erforderli-che Körnermenge aus, wie das Eckard Eilers aus Rastedeeinmal getan hat, dann ergibt sich eine Körnerzahl von 18,5

Page 410: Creutz - Das Geld-Syndrom

411

Trillionen. In Gewichtseinheiten umgerechnet sind dasrund 740 Mrd. Tonnen. Da die heutige Weltgetreideerntebei etwa 1,7 Mrd. Tonnen liegt, hätte der König zur Erfül-lung des Wunsches also rund 440 Jahre lang die Weltgetrei-deernten sammeln müssen! Und verteilt auf eine Flächevon Deutschland oder Frankreich ergäben diese Körnereine Schüttung von fast drei Metern Höhe! – Bereits die63fache Verdoppelung einer Ausgangsmenge von einsergibt also kaum noch vorstellbare Größen.

Was ist mit unterschiedlichen Entwicklungen in-nerhalb eines Organismus?

Wenn ein Zehnjähriger bis zum zwanzigsten Lebensjahrsein Gewicht verdoppelt, dann muss nicht nur sein Kno-chengerüst im Gleichschritt größer werden, sondern auchseine Organe. Würden dagegen bei einem Heranwachsen-den die Organe rascher wachsen als der gesamte Organis-mus, dann käme es sehr schnell zu Komplikationen. Nochkritischer wäre es, wenn einzelne Teile des Organismus

Page 411: Creutz - Das Geld-Syndrom

412

nach Erreichen der Normalgröße alleine weiterwachsenwürden. Denn ein natürlicher Organismus bleibt nur stabil,wenn sich alle seine Teile im Gleichschritt miteinander ent-falten.

In der Darstellung 67 ist diese Regel anhand eines wach-senden Baumes veranschaulicht: Solange er wächst, müs-sen das Wurzelwerk, Stamm und Krone es auch im Gleich-schritt tun. Denn würde die Krone rascher wachsen als dieübrigen Teile, dann wäre der Baum zum Absterben verur-teilt: Der Stamm könnte die Krone nicht mehr tragen, dieWurzeln das Blätterwerk nicht mehr versorgen.

Darstellung 67:

Zusammenfassend ergeben sich folgende Wachstumsre-geln:

1. In einem begrenzten Raum kann es kein grenzenlosesWachstum geben.

2. Für jedes gesunde und natürliche Wachstum gibt es eineoptimale Obergrenze.

Page 412: Creutz - Das Geld-Syndrom

413

3. Alle Teile eines Organismus müssen sich in ihrer Entfal-tung am Ganzen orientieren.

4. Alle Entwicklungen, die diese naturgegebenen Gesetz-mäßigkeiten missachten, sind zum Zusammenbruch ver-urteilt.

Diese Regeln gelten jedoch nicht nur für natürliche Wachs-tumsvorgänge. Sie gelten auch für das Wachstum der Wirt-schaft. Denn alle auf der Erde stattfindenden materiellenProzesse können sich den Naturgesetzen nicht entziehen.

Was bedeutet Wirtschaftswachstum?

Der Begriff Wachstum ist für das Geschehen in der Wirt-schaft eigentlich fehl am Platz. Wirkliches Wachstum gibt esnur in der Natur, ausgelöst durch Boden, Licht, Luft undWasser. Was in der Wirtschaft mit Wachstum bezeichnetwird, sind in Wirklichkeit Vermehrungen der von Men-schen erzeugten Leistungen und Güter. Der Begriff Wirt-schaftswachstum hat sich jedoch so eingebürgert, dass wirmit ihm leben müssen.

Dieses Wachstum in der Wirtschaft wird – wie auch ande-re Vermehrungsprozesse – meistens in Prozenten gemes-sen, bezogen auf die jeweilige Vorjahresgröße. Dabei unter-scheiden wir eine nominelle und eine reale Zuwachsrate.Bei der nominellen wird der Zuwachs in Tagespreisen wie-dergegeben, bei der realen in inflationsbereinigten Grö-ßen. Das reale Wirtschaftswachstum gibt also die tatsächli-che Leistungssteigerung wieder.

Von 1950 bis zum Jahr 2000 lag z.B das reale Wirtschafts-wachstum in Deutschland im Durchschnitt bei drei Pro-zent. Drei Prozent reales Wachstum bedeutet z. B., dass imfolgenden Jahr statt 100 PKW’s 103 produziert werden.

Page 413: Creutz - Das Geld-Syndrom

414

Dieser Zuwachs erscheint nicht aufregend. Rechnet manjedoch die Mehrproduktion von drei Prozent auf diePKW-Produktion in Deutschland um, dann ergibt sichdaraus eine zusätzliche Autoschlange, Stoßstange an Stoß-stange, von der österreichischen Grenze bis nach Däne-mark. Wie viel Energie und Rohstoffe für eine solche drei-prozentige Produktionssteigerung benötigt werden, kannman sich in etwa vorstellen. Hinzu kommt noch der größe-re Energieverbrauch bei der Benutzung der Fahrzeuge,der beim Wirtschaftswachstum auch noch positiv zu Bucheschlägt!

Drei Prozent Wachstum p.a. bedeutet jedoch keineswegseine mengenmäßig ständig gleich bleibende Größe, dennim nachfolgenden Jahr hat sich ja die Messgrundlage um diehinzugekommene Autoschlange vermehrt. Das heißt, diezusätzlichen drei Prozent werden jetzt nicht mehr auf 100,sondern auf 103 Einheiten bezogen.

Welche Folgen dieser so harmlos erscheinende Effekthat, zeigt die Darstellung 68 mit ihren verschiedenen Ent-wicklungskurven. Wie daraus ersichtlich, ist der exponen-tielle Wachstumseffekt umso größer, je höher der Prozent-satz ist und je länger eine Wachstumsperiode anhält. Beieinem Wachstum von drei Prozent verdoppelt sich die Aus-gangsgröße in rund 24 Jahren. Das heißt, in 72 Jahren steigtsie – wie aus der Grafik zu entnehmen – auf das Achtfachean.

Bei fünf Prozent Wachstum – eine Größe, die auch heutenoch manche Politiker zur Überwindung der Arbeitslosig-keit für erforderlich halten und deshalb anstreben – würdensich die Verdoppelungen alle zwölf Jahre wiederholen unddie Wirtschaftsleistung nach 72 Jahren auf das 32fachegestiegen sein! Diejenigen, die ein ständig gleich bleiben-des oder möglichst sogar noch steigendes Wachstum for-dern, wissen offensichtlich nicht, wovon sie reden.

Page 414: Creutz - Das Geld-Syndrom

415

Darstellung 68:

Wie wurde die Wirtschaftsleistung seit 1950 tat-sächlich gesteigert?

Wie schon im vorigen Kapitel aus der Darstellung 63 zuersehen, hat sich die Wirtschaftsleistung in Deutschlandtendenziell linear entwickelt. Das heißt, die Wirtschaftsleis-tung ist langfristig nicht mit gleich bleibenden, sondern mitnachlassenden prozentualen Wachstumsraten angestiegen.Gleich bleibend waren jedoch die durchschnittlichen Zu-wachs-Mengen. Das heißt, die jährlich produzierten Pro-dukt- und Leistungsmengen wurden von Jahr zu Jahr im

Page 415: Creutz - Das Geld-Syndrom

416

gleichen Umfang ausgeweitet, wie das aufgrund der großenZerstörungen und des immensen Nachholbedarfs in denersten Nachkriegsjahren sinnvoll und erforderlich war!

Darstellung 69:

Diese lineare Entwicklung ab 1948 geht auch aus der Dar-stellung 69 hervor, in der die Wirtschaftsentwicklung, bezo-gen auf das Gebiet Westdeutschlands, über das ganze Jahr-hundert hinweg wiedergegeben ist. Deutlich werden auchin dieser Anstiegsentwicklung die ›Kerben‹ der hochzins-bedingten Konjunktureinbrüche ab 1950. Noch deutlicherzeichnen sich in der ersten Hälfte des Jahrhunderts diekriegsbedingten Einbrüche im 2. und 5. Jahrzehnt ab, eben-so die große weltweite Rezession um das Jahr 1930. Fastschon erschlagend aber ist der Unterschied der Leistungs-

Page 416: Creutz - Das Geld-Syndrom

417

entwicklungen in den beiden Jahrhunderthälften, vor allemdie Verachtfachung der realen Wirtschaftsleistung zwi-schen 1950 und 2000! Es bedarf keiner Erklärung, dass einsolcher ständiger Leistungsanstieg – so notwendig er unterden heutigen Bedingungen zur Bewahrung des sozialenFriedens in unseren Staaten ist – unmöglich immer weiterfortgesetzt werden kann.

Interessant sind auch die Angaben über die jeweiligenExportleistungen in der Grafik und deren bereits vor demErsten Weltkrieg erreichten Höhe. Ohne deren ständigeSteigerungen nach dem zweiten großen Krieg wären dieder Gesamtwirtschaft nicht möglich gewesen.

Gehen wir von der ersten Wachstumsregel aus, dann wardie anfängliche Leistungssteigerung nach Ende des Zwei-ten Weltkriegs ganz natürlich. Sie hätte sich jedoch, um einnachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen, nach und nachverlangsamen und schließlich auf einer optimalen Höhestabilisieren müssen.

Eine solche Leistungsstabilisierung – abfällig ›Null-wachstum‹ genannt – bedeutet aber keinesfalls einen Still-stand der Wohlstandsentwicklung oder gar einen Rück-schritt, auch wenn das immer wieder behauptet wird. Viel-mehr kann jeder arbeitende Mensch, bei gleich bleibenderLeistung und damit auch gleich bleibendem Realeinkom-men, nicht nur seinen materiellen Wohlstand halten, son-dern ihn von Jahr zu Jahr auch im gleichen Umfang aus-weiten. Verzichtet er auf diese Ausweitung und gibt sichmit der Bestandshaltung zufrieden, dann genügt sogareine reduzierte Arbeitsleistung. Bei diesen Überlegungensind die Innovationen und die daraus resultierenden Pro-duktivitätsfortschritte, die selbstverständlich auch beigleich bleibender Leistung und gleich bleibendem Kapital-stock weiter zunehmen können, noch nicht einmal berück-sichtigt. Sie könnten also bei ›Nullwachstum‹ in zusätzli-

Page 417: Creutz - Das Geld-Syndrom

418

chen Wohlstand oder zusätzliche Freizeit umgesetzt wer-den.

Warum kam es zu dem ständigen Wirtschafts-wachstum?

Eine Wirtschaft, die von den Bedürfnissen der Menschengesteuert wird und von deren Bereitschaft, für die Erfül-lung dieser Bedürfnisse zu arbeiten, würde immer einenEntwicklungsverlauf nehmen, der den natürlichen Wachs-tumskurven entspricht. So unterschiedlich die Bedürfnisseund Wünsche auch sein mögen: Irgendwann und -woschlägt dieser Sättigungseffekt bremsend durch.

Geht man von diesen Gesetzmäßigkeiten aus, dann hättesich unsere Volkswirtschaft nach dem letzten Weltkriegalso etwa so entwickeln müssen, wie dies in der Darstellung66 als Wachstumskurve a wiedergegeben ist.

Tatsächlich machten sich in Deutschland im Laufe der50er Jahre bereits gewisse ›Ermüdungserscheinungen‹bemerkbar. Die größten kriegsbedingten Mängel warenüberwunden, die ›Fresswelle‹, die ›Kleiderwelle‹ und selbstdie ›Wohnwelle‹ flachten als Folge zunehmender Sättigun-gen ab und damit auch der Wachstumstrend. Doch statt die-ser natürlichen Entwicklung nachzugeben, schaltete man inder Sinngebung des Wirtschaftens um: Nicht mehr dieBedarfsdeckung – der Sinn allen humanen Wirtschaftens –sondern die Bedarfweckung wurde als Hauptziel dekla-riert. Das heißt, der Mensch, vorher noch bestimmendesSubjekt allen Wirtschaftens, wurde zum Objekt umfunktio-niert und durch zunehmende raffiniertere Werbung, ver-mehrte modische Effekte und sogar eingeplante kürzereLebensdauer der Produkte immer wieder zum Kaufen undLeisten verführt bzw. gezwungen.

Page 418: Creutz - Das Geld-Syndrom

419

Der Mensch, in Jahrmillionen zum Sammler, Bewahrerund Gebraucher der irdischen wie der selbst geschaffenenGüter herangewachsen, wurde systematisch zum Wegwer-fer und Verbraucher umerzogen. Der Begriff ›Normalver-braucher‹ wurde kreiert und das war derjenige, der mög-lichst viele Güter in möglichst kurzer Zeit verbrauchte.Und nach der bereits genannten Fress,- Kleider- und Wohn-welle wurde regelrecht eine ›Wegwerfwelle‹ propagiert.›Ex und hopp‹ war ein Werbeslogan, mit dem man Endeder 50er Jahre für Wegwerfverpackungen warb, und dasalles nur, um den Verbrauch und damit wiederum die Pro-duktion im bisherigen Tempo weiter steigern zu können.

Was wurde noch zur stetigen Wachstumssteige-rung unternommen?

Mit Hilfe dieser Werbungs- und Wegwerfwellen konnte dasWirtschaftswachstum zwar vorübergehend wieder aufFahrt gebracht werden. Doch auch dieses Umschalten vonder Bedarfsdeckung auf die Bedarfsweckung ließ nach etli-chen Jahren in seiner Wirkung nach. Um weiteres Wachs-tum zu garantieren, wurde 1967 der deutsche Staat in diePflicht genommen, mit dem so genannten »Gesetz zur För-derung des Wachstums und der Stabilität der Wirtschaft«.Dabei ist den Verfassern dieses Gesetzes gar nicht aufgefal-len, dass bereits die Formulierung in sich widersprüchlichist. Denn etwas ständig Wachsendes muss auf Dauer insta-bil werden. Jedes Kind, das mit Bauklötzen einen Turmgebaut hat, kann das bestätigen: Am Ende genügt das Hin-zufügen eines einzigen Steins, um das ganze Bauwerk zumEinsturz zu bringen.

Aufgrund dieses »Stabilitätsgesetzes« wurde nun derStaat, anstelle der konsummüden ›Normalverbraucher‹, in

Page 419: Creutz - Das Geld-Syndrom

420

der Wirtschaft immer aktiver und die Steuerbelastung ent-sprechend höher. Und während die Bürger letztlich immernur kleckern können, kann der Staat klotzen: Der Exportwurde durch staatliche Risikoabsicherungen noch mehrangekurbelt. Milliardenschwere Großtechnologien, wie dieRaumfahrt und Reaktortechnik, wurden durch For-schungsgelder angeleiert und/oder über Subventionen denFirmen schmackhaft gemacht. Garantierte Abnahmemen-gen bei garantierten Preisen und Gewinnen, machte dieRüstungsproduktion zu einer Wachstumsbranche ersterKlasse. Und für die Industrie wiederum wurde es viel einfa-cher und sicherer, ein Dutzend Politiker für einen neuenPanzer zu gewinnen, als Millionen Verbraucher für ein neu-es Produkt.

Aber nicht nur bei der Rüstung trat der Staat als milliar-denschwerer Nachfrager auf. Auch zivile Projekte, wie derRhein-Main-Donau-Kanal, die Zulassung privater Fernse-hanstalten und die Verkabelung der Städte zur Überschüt-tung der Bürger mit noch mehr Werbung: All das bot nunauch dem Staat die Möglichkeit, das Tempo des Nach-kriegswachstums weiter aufrechtzuerhalten. Vor allemwurde immer mehr auf Pump finanziert.

Wie lange das noch weitergehen kann, darüber machtsich kaum jemand Gedanken. Nur ab und zu bricht einmaldie Vernunft durch. So hat der frühere BundesministerHauff den Rhein-Main-Donau-Kanal als das »dümmsteBauwerk seit dem Turm von Babel« bezeichnet. Und derfrühere Wirtschaftsminister Friderichs hat in einer schwa-chen Stunde davon gesprochen, dass es eigentlich dreiArten von Arbeit gibt, nämlich sinnvolle, überflüssige undschädliche. Wer daraufhin einmal die in den letzten Jahr-zehnten hinzugekommenen Arbeitsplätze und Produktedurchleuchtet, der wird feststellen, dass ein großer Teil denbeiden letzten Kategorien zuzuordnen ist.

Page 420: Creutz - Das Geld-Syndrom

421

Hinter vorgehaltener Hand wird einem zwar hier und dabestätigt, dass ein solches ständiges Wachstum auf Dauer›natürlich‹ nicht fortzusetzen sei. Aber heute – heißt es imgleichen Atemzug – könne man darauf noch nicht verzich-ten. Fragt man nach den Gründen, kam vor zwanzig Jahrenmeist der Hinweis auf die Dritte Welt: Wir brauchen dasWachstum, um den Menschen dort helfen zu können!Nachdem die Diskrepanzen zwischen Nord und Süd trotz(oder wegen?) unseres Wirtschaftswachstums immer grö-ßer geworden sind, spielt man jetzt die gleiche Platte miteinem anderen Text: Wir brauchen das Wachstum, um dieUmweltschäden zu beseitigen! Dabei weiß jeder, dass dieseUmweltschäden in erster Linie Folge des ständigen Wirt-schaftswachstums sind!

Page 421: Creutz - Das Geld-Syndrom

422

24. Kapitel

Die Ursachen unseresWachstumszwangs

»Ein funktionierendes kapitalistischesWirtschaftssystem muss sich ständigausweiten. Jeder Rückgang in der Pro-duktion löst eine Wirtschaftskrise mitall ihren bedenklichen Folgen aus:Arbeitslosigkeit, sinkende Einkom-men, steigende Staatsverschuldung!«Volker Hauff*

* Ehemaliger deutscher Bundesminister, in »Argumente in der Energiedis-kussion«, 1978

Warum ist ein kapitalistisches Wirtschaftssystemzur Ausweitung gezwungen?

Erinnern wir uns an die zweite Wachstumsregel, nach derein Organismus nur stabil bleiben kann, wenn sich alle sei-ne Teile im Gleichschritt mit dem Ganzen entwickeln.Wächst ein Teil rascher, kommt es zu Spannungen undKomplikationen, bis hin zum Kollaps. Vermeidbar ist diesesEnde nur, wenn es gelingt, dem Überwachstum Einhalt zugebieten. Ist das nicht möglich, bleibt als Alternative nurder Versuch, die Entwicklung des gesamten Organismusdem Überwachstum jenes Teiles anzupassen.

Johannes Jenetzky, der in Baden-Württemberg Steuer-recht lehrt, hat dafür den Begriff ›Ross-Reiter-Dilemma‹ ge-prägt:WenneinReiter immergrößerundschwererwird,muss

Page 422: Creutz - Das Geld-Syndrom

423

das Pferdmitzuwachsenversuchen,wennes nichtzusammen-brechen will. Gibt es denn in unserer Wirtschaft einen ›Rei-ter‹, der immer größer und schwerer wird und der das ›Ross‹zum Mitwachsen zwingt? Gibt es in unserem Wirtschaftsor-ganismus einenTeil, der rascher als das Ganze wächst? Mögli-cherweise sogar exponentiell, wie die Menge der Getreide-körner bei dem Schachbrettbeispiel im letzten Kapitel?

Sehen wir uns die nachfolgende Darstellung 70 an, dannzeigt sich, dass es in unserer Wirtschaft tatsächlich eineGröße gibt, die sich konträr zum natürlichen Wachstums-ablauf – wie dem des dargestellten Baumes – entwickelt.Und zwar nicht nur mit gleich bleibenden Zuwachsraten,wie beim linearen Wachstum unseres Bruttosozialpro-dukts, sondern mit exponentiellen Tendenzen. Die Rede istvom Geld, richtiger: Von den Geldersparnissen, die gegenZinsen in der Wirtschaft angelegt sind.

Darstellung 70:

Page 423: Creutz - Das Geld-Syndrom

424

Warum zwingt der Zins zum Wachstum?

Hat jemand einen verzinsten Kredit aufgenommen, muss ermehr zurückzahlen, als er erhalten hat. Um dieses Mehr –den laufend zu zahlenden Zinsbetrag – wird sein Einkom-men bis zur Tilgung des Kredits reduziert. Will er das vermei-den, dann muss er in Höhe dieses Zinsbetrags mehr leistenund diese Mehrleistung zusätzlich auf dem Markt absetzen.Das gilt nicht nur für die einzelnen Kredit aufnehmendenBürger, sondern genauso für jedes Unternehmen, jedeGemeinde und jeden Staat: Entweder führt der Zins zur Ver-armung der Werteschaffenden oder er zwingt zur höherenLeistung.

Auf der anderen Seite wachsen durch den Zins die Ein-kommen entsprechend an. Da dort aber bereits vorherGeld zu viel vorhanden war, nehmen die Geldvermögendurch den Zinstransfer noch weiter zu. Zumindest in demMaße, wie man die Zuwächse nicht laufend abhebt und ver-konsumiert. Legt man die Zinszuwächse in Sachvermögenan, wird dieser Effekt nur vom Geldkapital ins Sachkapitalverlagert.

»Die starre Rentabilitätspflicht, infolge deren sich dieGeldvermögen stur mechanisch immerfort vermeh-ren, überträgt sich also auf die Wirtschaft insgesamtund erlegt ihr ein andauerndes Wachstum auf. Es istein unentrinnbarer Zwang«,

heißt es in einem Papier des Arbeitskreises Geld undFinanzen des BUND Baden-Württemberg. Und dieseGeldvermögen vermehren sich nicht nachlassend oder line-ar, sondern – wie schon mehrfach dargelegt – durch denZinseszinseffekt mit zunehmender Beschleunigung.

Sollen sich die sozialen Spannungen nicht vergrößern,

Page 424: Creutz - Das Geld-Syndrom

425

dann muss das Wachstum der Wirtschaft also dem der zins-tragenden Kapitalien entsprechen. Kein Wunder, dass denPolitikern die Knie weich werden, wenn die Wachstumsrateunserer Volkswirtschaft unter zwei Prozent oder sogargegen Null zu sinken droht.

»Solange die Wachstumsrate des nominalen Bruttoso-zialproduktes das Niveau des Zinssatzes . . . erreicht,bleibt die Zinslastquote unverändert . . . Dies ist derHauptgrund, warum auch umweltbewusste Ökono-men den Standpunkt vertreten, dass wir uns . . . einNullwachstum gar nicht leisten können.«

So umschrieb der schweizerische Nationalökonom Gott-fried Bombach Anfang 1991 die dargelegten Zusammen-hänge in einer Zeitschrift des Schweizerischen Bankver-eins. Sein Zitat besagt letztlich nichts anderes, als dass wiruns ein Nullwachstum – Voraussetzung einer Erholungunserer Umwelt – nur bei einem Nullzins leisten können.

Wie sehen die konkreten Wechselwirkungen aus?

Die Beziehung zwischen der Überentwicklung der Geld-vermögen und der Wirtschaftsleistung wird in der Darstel-lung 71 verdeutlicht.

Aus dieser Grafik geht zuerst noch einmal das reale undlinear verlaufene Wirtschaftswachstum im Nachkriegs-deutschland bis zur Jahrtausendwende hervor. Die einge-tragenen Schübe (die sich in Wirklichkeit natürlich über-lappen und vermengen!) zeigen noch einmal die ständigneuen Bemühungen, das Wachstum immer wieder anzu-kurbeln. Als möglicherweise letzter großer Schub, steht unsin unserem Jahrzehnt die globale Ausweitung des Systems

Page 425: Creutz - Das Geld-Syndrom

426

Darstellung 71:

Page 426: Creutz - Das Geld-Syndrom

427

ins Haus. Danach bleibt nur noch der Weltraum, der bereitsvon manchen Leuten ernsthaft angepeilt und als Rohstoff-reservoir gesehen wird.

In einem proportional angeglichenen Verhältnis ist inder Darstellung außerdem die reale Entwicklung der Geld-vermögen in Deutschland eingetragen, die inzwischen das2,5fache des Sozialprodukts überstiegen haben. Außerdemsind im unteren Teil die Größen der realen Zinsströme mar-kiert, die aus dem Sozialprodukt bedient werden müssen.

Da das Wachstum dieser Zinsströme an das der Geldver-mögen gekoppelt ist, sind deren Ansprüche nur zu befriedi-gen, wenn auch die Wirtschaftsleistung ausgeweitet wird.Wie bereits im Teil III des Buches dargelegt ist und auch ausder Darstellung wieder hervorgeht, nehmen diese Geldver-mögen wesentlich rascher zu als die volkswirtschaftlicheLeistung, so dass die Scherenöffnung zwangsläufig zuimmer größeren Problemen führen muss.

Nun werden manche vielleicht darauf verweisen, dassman die Flussgröße Sozialprodukt nicht ohne weiteres mitden sich ansammelnden Beständen der Geldvermögen undder ihnen gegenüberstehenden Schulden vergleichen kann.Aber man kann und muss jedoch die Belastungen, die sichaus diesen monetären Größen für die Wirtschaft ergeben,also die eingetragenen Zinsen, mit dieser Leistungsgrößevergleichen. Denn in der Größenordnung dieser Belastun-gen müssen die Arbeitleistenden, also Arbeitnehmer, Selb-ständige und Unternehmer, Teile der von ihnen erwirt-schafteten Einkommen hergeben, was nur bei ständigerLeistungssteigerung noch eine Weile möglich ist. Solangewir ständig positive Zinssätze haben, sind wir also zumWachstum verdammt, auch wenn die Umwelt dabei auf derStrecke bleibt.

Page 427: Creutz - Das Geld-Syndrom

428

Welche Umweltfolgen hat das dauernde Wirt-schaftswachstum?

Alle Ausweitungen der Wirtschaftsleistung sind zwangsläu-fig auch mit Ausweitungen des Ressourcenverbrauchs, derAbfallberge und der Gesundheitsbelastung verbunden.Das gilt selbst für die meisten Investitionen im Umwelt-schutzbereich. Ob Lärmschutzwände, Schallschluckfens-ter, ob Klärwerke oder Filteranlagen: Sie alle binden Roh-stoffe und Energie nicht nur bei ihrer Erstellung, sondernhäufig auch bei ihrer laufenden Nutzung. Geht man vonsolchen ökologischen Bilanzierungen aus, wie in der folgen-den Abbildung schematisch dargestellt, dann wird die Frag-würdigkeit unseres Wirtschaftswachstums noch deutli-cher.

Die lineare Entwicklung unserer inflationsbereinigtenWirtschaftsleistung ist hier einmal nach ihrem Nettonutzenund den Folgekosten aufgeteilt, angelehnt an eine Darstel-lung aus dem »Nawu-Report« von Hans-Christoph Bins-wanger.

Im Anfang unserer Wirtschaftsentwicklung haben dienegativen Folgekosten unseres Produzierens den anfangshohen Nettonutzen kaum beeinträchtigt. Im Laufe der Zeitnahmen jedoch diese Folgekosten rascher zu als der Netto-nutzen. Wachsen die Folgekosten aber schneller als dieWirtschaftsleistung, dann kommt es schließlich – ähnlichwie bei der Verteilung des Einkommens zwischen Arbeitund Kapital – zu einem Umkippen der Entwicklung. Kon-kret: Trotz des weiteren linearen Leistungsanstiegs geht derNettonutzen zurück.

Addiert man einmal die gröbsten Schäden unsererUmwelt, dann kann man davon ausgehen, dass wir diesenPunkt des Umkippens schon eine ganze Weile überschrit-ten haben und die Schemagrafik in etwa dem heutigen

Page 428: Creutz - Das Geld-Syndrom

429

Darstellung 72:

Stand entspricht. Das aber heißt mit anderen Worten: Dieweitere Steigerung unserer Leistung wird nicht nur immerfragwürdiger, sie wird für die Natur und damit auch unsselbst immer gefährlicher.

Gibt es Wachstum ohne Umweltbelastung?

Bei der Ermittlung des Sozialprodukts, an dem das Wirt-schaftswachstum gemessen wird, werden neben den Pro-duktionsleistungen auch die Dienstleistungen mit ihrenEinkommensgrößen einbezogen. Die Vermutung liegtnahe, man brauche zukünftig nur die Dienstleistungen stattder Produktion auszuweiten, um die ökologischen Pro-blemzunahmen beim Wirtschaftswachstum zu verringern.Ebenso wird häufig angenommen, mit einer solchen Aus-weitung der Dienstleistungstätigkeiten könne man der

Page 429: Creutz - Das Geld-Syndrom

430

Zinsbedienung ein Schnippchen schlagen, da hier wenigerKapital benötigt wird.

Dazu ist einmal zu sagen, dass Dienstleistungen in einerVolkswirtschaft immer nur dann ausgebaut werden kön-nen, wenn der materielle Gesamtbedarf abgesichert ist unddarüber hinaus Überschüsse zur Verfügung stehen. DieseÜberschüsse, mit denen die Beschäftigten im Dienstleis-tungsbereich materiell versorgt werden, können jedoch nurim Produktionsbereich erwirtschaftet werden. Das heißt,der Ressourcenverbrauch mit all seinen Folgen verringertsich nicht, sondern konzentriert sich nur.

Konkretes Beispiel: Wenn zehn Familien auf einer Inselstranden und zu Selbstversorgern werden, können sie nurdann eine Person als Lehrer für ihre Kinder freistellen, wenndie restlichen neun entsprechende Überschüsse produzie-ren. Das heißt, je größer der Dienstleistungssektor in einerVolkswirtschaft wird, umso intensiver und effektiver mussim Produktionssektor gearbeitet werden. Effektivitätsstei-gerungen je Beschäftigten aber setzen im Allgemeinen nochhöheren Kapital-, Material und Energieeinsatz voraus. Mandenke nur an die Roboterstraßen in der Automobilproduk-tion. Außerdem wird diese Intensivierung auch von denwachsenden Geldvermögen erzwungen, die über Kredite inden Wirtschaftskreislauf zurückgeführt und durch Sachver-mögen abgesichert werden müssen. Der Kapitaleinsatz imDienstleistungssektor ist zwar in den meisten Fällen gerin-ger als im Durchschnitt aller Arbeitsplätze, dafür muss eraber im Produktionsbereich umso höher sein. Das Gleichegilt auch für den Ressourceneinsatz.

Im Übrigen sorgt der technische Fortschritt wie auch derDruck des Anlage suchenden Kapitals dafür, dass auch imDienstleistungsbereich die Investitionen ständig größerwerden und damit auch der Material- und Energiever-brauch. So liegen die Investitionen in modernen Arztpra-

Page 430: Creutz - Das Geld-Syndrom

431

xen kaum unter einer Million DM und solche Millionenin-vestitionen werden in den neuen Kliniken fast schon je Betterreicht.

Zu welchen Fragwürdigkeiten hat die staatlicheWachstumsförderung bisher geführt?

Dass der Staat im Gegensatz zu privaten Unternehmenauch unrentable Wachstumsinvestitionen tätigen kann,erleben wir seit Jahrzehnten. Das gilt nicht nur für die Rüs-tung, sondern auch für viele Raumfahrtausgaben oderTechnologieruinen, in denen Milliarden aus den Taschender Steuerzahler regelrecht in die Luft geschossen, vergra-ben oder in Beton gegossen wurden.

Aber auch die Bürger wurden um des Wachstums willenvom Staat regelrecht zu Umwelt gefährdendem Handel ani-miert. Man denke nur an den Individualverkehr, den manumso mehr förderte, je weniger andere Produktbereichenoch Wachstumschancen boten. Ohne diese enorme staatli-che Förderung wäre das Auto niemals zu jener ›unheiligenKuh‹ geworden, die das Gros der Menschen wie nichts ande-res in der Welt mit Hunderttausenden von Menschenopfernverehrt. Das trifft nicht nur auf den überdimensionalen Aus-bau des Autobahn- und Straßennetzes zu, sondern auch aufviele hinausgezögerte umweltschützende Maßnahmen inBezug auf Lärm- und Luftbelastung. So hat man z. B., imGegensatz zu allen anderen Ländern in Europa, in Deutsch-land bislang keine Tempolimits auf den Autobahnen einge-führt. Alles vor dem Hintergrund, die Lust der Bürger amFahren und Rasen möglichst nicht zu beeinträchtigen, da dasAuswirkungen auf den Kauf schneller Autos und damit dasWirtschaftswachstum haben könnte.

Ein besonders wirkungsvoller Dauerbrenner staatlicher

Page 431: Creutz - Das Geld-Syndrom

432

Wachstumsförderung ist auch der EG-Agrarmarkt mit sei-nen Lagerhaltungen, Produktionsvernichtungen undUmwegtransporten. Während sich beispielsweise früherdas Kalb bei der Mutterkuh trinkend ernährte, hat man fürdiese Primitivmethode in der EG längst einen kapitalinten-siven Ersatz gefunden: Heute wird der Mutterkuh dieMilch maschinell abgesaugt, gekühlt vorgelagert, überdurchweg 100 Kilometer mit Kühlwagen zur Molkereigefahren, nach Entsahnung in eine noch weiter abgelegeneMilchpulverfabrik geschafft, dort mit großem Energieein-satz getrocknet, um anschließend – wieder über große Ent-fernungen – in einer temperierten Lagerhalle für Jahre zuverschwinden. Ist das Milchpulver eines Tages für mensch-liche Ernährung nicht mehr geeignet, kann der Bauer esverbilligt beziehen, mit Wasser vermischen und dem Kalbzu trinken geben.

Die Erklärung für solchen Irrsinn findet man, wenn mannach seinen Nutznießern fragt. Kuh und Kalb gehören ganzgewiss nicht dazu. Ob für den Bauern zwischen dem höhe-ren Milch- und dem niedrigeren Milchpulverpreis viel her-ausspringt, hängt von seinem zusätzlichen Arbeits- undKostenaufwand ab. Ohne Zweifel aber nutzt der ganzeUnsinn mit seinen vielen Stationen dem Kapital. Dennsowohl bei der Milchaufbereitung, den Lagerstätten alsauch den Transportvorgängen lassen sich Millionen undMilliarden investieren. Kapital, das in diesem Fall auchdann garantiert Zinsen bringt, wenn die ganzen Vorgängevolkswirtschaftlich fragwürdig und unnötig sind. Und nichtnur als Kapitalanlage erfüllen diese überflüssigen Investi-tionen auf Kosten der Steuerzahler und Verbraucher ihrenZweck, sie tragen auch noch dazu bei, das Kapital auf ele-gante Weise zu verknappen und damit die Zinsen hoch zuhalten.

Page 432: Creutz - Das Geld-Syndrom

433

Sind die umweltbezogenen Probleme mit Öko-steuern zu lösen?

Wenn unsere Kinder eine Überlebenschance haben sollen,müssen wir zu einem sorgsameren Umgang mit den Schät-zen dieser Erde kommen. Ein sorgsamerer Umgang ist nurzu erreichen, wenn wir den natürlichen Gütern einen Preisgeben, der ihrem Wert und ihrer Knappheit entspricht. Dasgilt nicht nur für die Rohstoffe in der Erde, sondern auchfür den Boden selbst, ebenso wie für die Luft und das Was-ser. Ökosteuern, -gebühren und -abgaben zur Verwirkli-chung dieses Ressourcenschutzes sind zwar seit Jahren imGespräch, bislang aber kaum ausreichend umgesetzt wor-den. Die Erklärung für diese unverantwortliche Verzöge-rung der notwendigen politischen Entscheidungen liegtwieder einmal beim Geld. Weniger daran, dass dieses Geldzum Schutz der Umwelt fehlt, sondern aus Angst, das Wirt-schaftswachstum könnte unter solchen Umweltschutzabga-ben leiden.

In diese Wachstumszwänge sind in einem ganz besonde-ren Maß alle verschuldeten Staaten verquickt. Denn lässtdas Wirtschaftswachstum nach und damit auch die Steuer-einnahmen, wird die hohe und meist steigende Belastungfür den Schuldendienst zu einem Problem. Allein schon ausdiesem Grund kann sich heute kein Staat die Einführungvon wirklich wirksamen Ökosteuern erlauben, also vonSteuern, die den Ressourcenverbrauch tatsächlich sen-ken.

Der Traum von einem nachhaltigen Wirtschaften, vonökologischer Kreislaufwirtschaft und sanften Technolo-gien, wird darum so lange unerfüllbar bleiben, wie dieGeldvermögen weiter wachsen und über immer neue undhöhere Kreditaufnahmen in den Wirtschaftskreislaufzurückgeführt werden müssen. Und die Geldvermögen

Page 433: Creutz - Das Geld-Syndrom

434

werden so lange weiterwachsen, wie die Zinsen nicht wieandere Knappheitspreise den Sättigungsgesetzen derMärkte unterliegen.

Der Schweizer Hans-Christoph Binswanger, einer derwenigen Ökonomen, die sich überhaupt mit Umwelt- undGeldfragen eingehender befassen, hat vor wenigen Jahrenin einem Interview die Sache einmal auf den Punktgebracht:

»99 Prozent der Menschen sehen das Geldproblemnicht. Die Wissenschaft sieht es nicht, die Ökonomiesieht es nicht, sie erklärt es sogar als »nicht existent«.Solange wir aber die Geldwirtschaft nicht als Problemerkennen, ist keine wirkliche ökologische Wendemöglich.«

Page 434: Creutz - Das Geld-Syndrom

435

25. Kapitel

Geld und Krise –die ökonomischen Folgen

»Immer dann, wenn es in der ökono-mischen Realität anders zugeht, als esdie Modelle der Wirtschaftslehrbü-cher vorschreiben, sollten die Ökono-men, statt in der Rumpelkammerüberholter Theorien herumzustö-bern, nach den monetären Ursachender Krise fahnden.«Wilhelm Hankel*

* Wirtschaftswissenschaftler, »John Maynard Keynes«, 1988

Versucht man, die Ursachen der Krisenentwicklungen inder Welt einzugrenzen, dann kann man das auf verschiede-ne Weise tun. So kann man sie z. B. von ihren geographi-schen, politischen, ökonomischen oder historischen Gege-benheiten her untersuchen. Geht man den geographischenGegebenheiten nach und markiert die von Krisen beson-ders betroffenen Länder auf dem Globus, dann würde manmit diesem Ansatz nicht weit kommen. Denn wirtschaftli-che Krisen gibt es überall auf der Welt, in Nord und Süd, inOst und West. Dass sie auf der Südhalbkugel durchweg gra-vierender sind, hängt unter anderem damit zusammen, dassder Norden es verstanden hat, manche Krisenursachen undihre Folgen in die südlichen Länder abzuschieben. Dennwer anderen wirtschaftlich und politisch überlegen ist, kannnicht nur Güter exportieren, sondern auch Armut, Arbeits-losigkeit und Umweltzerstörung.

Page 435: Creutz - Das Geld-Syndrom

436

Prüft man den politischen oder den ökonomischenAnsatz, dann kommt man auch nicht viel weiter. DennWirtschaftskrisen treffen wir in Demokratien ebenso anwie in Diktaturen; in kapitalistisch geprägten Volkswirt-schaften ebenso wie in sozialistischen: Alle werden – wiedie Erfahrung des letzten Jahrhunderts zeigt – immer wie-der von schweren wirtschaftlichen und gesellschaftlichenKrisen heimgesucht. Dabei fallen rohstoffreiche Länderebenso darunter wie rohstoffarme, industrialisierte wiemehr landwirtschaftlich orientierte.

Fündig wird man bei der Suche nach den auslösendenUrsachen der Krisen eher, wenn man dem historischenAnsatz folgt und die großen Krisen der Vergangenheitnäher unter die Lupe nimmt. Vor allem wenn wir uns dabeiauf den Raum der Industrienationen beschränken, werdenwir schnell feststellen, dass fast alle großen Krisen des ver-gangenen Jahrhunderts, wie auch die zwischenzeitlichenAufstiegsphasen, in auffallender Weise mit dem Geldzusammenhängen, genauer: mit bestimmten Vorgängenund Entwicklungen im monetären Bereich.

Was waren die großen Krisen des letzten Jahr-hunderts?

Dass die wohl größte wirtschaftliche Krise des letzten Jahr-hunderts, die 1929 ihren Anfang nahm, mit bestimmten Vor-gängen im Geldbereich zusammenhing, wird jedem Lesergeläufig sein. Gerade im Zusammenhang mit dem Börsen-geschehen unserer Tage wird darauf immer wieder Bezuggenommen. Aber auch die daraus hervorgegangenen Defla-tionsentwicklungen werden angesichts niedriger Zinsenheute manchmal wieder beschworen, nicht zuletzt im Hin-blick auf die Entwicklungen in Japan in den letzten Jahren.

Page 436: Creutz - Das Geld-Syndrom

437

Auch die weltweiten Wirtschaftskrisen nach den beidenWeltkriegen hingen nicht nur mit den Zerstörungen derInfrastrukturen zusammen, sondern ebenfalls mit jenen derWährungen, die man zur Kriegsfinanzierung maßlos ausge-weitet hatte, so dass sie in vielen Ländern ihre Aufgabenicht mehr oder nur bedingt erfüllen konnten.

Die Auswirkungen solcher deflationär wie inflationärverfälschten Währungen kann man besonders deutlich inDeutschland verfolgen. Ebenso aber auch die positivenWirkungen eines Umtauschs der ruinierten Währungengegen eine neue, fälschlicherweise als ›Währungsreform‹bezeichnet. Dabei wurde in Wirklichkeit mit dem Um-tausch gar nichts reformiert, sondern lediglich die vonRegierungen und Notenbanken in den Bankrott getriebeneüberzogene Geldmenge gegen eine reduzierte ausgewech-selt. Das galt nicht nur für den Umtausch der ins Astrono-mische vermehrten Reichsmark Ende 1923 gegen die Ren-tenmark, sondern ebenso für den Umtausch 1948: In beidenFällen lebte die Wirtschaft fast schlagartig wieder auf.

Zu einer umgekehrten Erscheinung kam es in der großenWirtschaftskrise nach 1929. Auslöser dieser Depression, inder die Arbeitslosigkeit in Deutschland in kurzer Zeit aufüber sechs Millionen anstieg, waren vor allem die durch dieBörsenkrise ausgelösten Bankenzusammenbrüche. Diesehatten insofern besonders gravierende Auswirkungen fürdie Weimarer Republik, weil die in Schwierigkeiten gerate-nen Banken in den USA, aufgrund der eigenen Zahlungs-engpässe, ihre kurzfristigen Kredite zurückforderten. Weildiese länderübergreifenden Kredite in Gold abgewickeltwurden, verringerten sich die entsprechenden Reservender Reichsbank. Da aber die herausgegebene Geldmengein Deutschland wiederum an diese Goldreserven gebundenwar, reduzierte der damalige Reichsbankpräsident Lutherpflichtgemäß die umlaufende Geldmenge.

Page 437: Creutz - Das Geld-Syndrom

438

Man hatte zwar unter großen Opfern Anfang der 20erJahre gelernt, dass man die Geldmenge auf keinen Fall überdie Wirtschaftsleistung hinaus vermehren darf, aber offen-sichtlich nicht gewusst, dass eine Geldmengenverminde-rung zu einem depressiven Zusammenbruch der Wirtschaftführt. Diese deflationär wirkende Geldverknappung wurdedurch Kürzungen der Beamtengehälter noch verschärft. Soverstärkte die Reichsregierung noch die Wirkungen derGeldpolitik der damaligen Reichsbank, die »in autonomerErhabenheit die Weimarer Republik exekutierte«, wie derBundesminister Ehrenberg in seinem Buch »ZwischenMarx und Markt« 1973 schrieb. Da ohne die daraus resul-tierenden Arbeitslosenheere Hitler kaum an die Machtgekommen wäre, muss man wahrscheinlich auch das »Drit-te Reich« und damit den zweiten großen Krieg im letztenJahrhundert auf das Konto jener falschen geldbezogenenEntscheidungen buchen.

Auf diese fatalen Beziehungen zwischen Geld und Krisehatte auch die deutsche Gewerkschaftszeitschrift »Metall«im Jahr 1953 hingewiesen:

»Zweimal wurde das soziale Gefüge des deutschenVolkes in den Grundfesten erschüttert: während dergroßen Inflation des Jahres 1923 und nach dem Aus-bruch der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929. Ohnediese Katastrophen wäre der Nationalsozialismus nie-mals eine Macht geworden.«

Was könnte auch in unseren Tagen zu einer gro-ßen Krise führen?

Erinnern wir uns noch einmal an die zweite Wachstumsre-gel. Danach kann ein Organismus nur stabil bleiben, wenn

Page 438: Creutz - Das Geld-Syndrom

439

sich alle seine Teile im Gleichschritt mit dem Ganzen entwi-ckeln.

Wie hier bereits verschiedentlich dargelegt wurde, wach-sen in unserem Wirtschaftsorganismus die monetären Bes-tandsgrößen Geldvermögen und Schulden jedoch schnellerals die Wirtschaftsleistung, aus der sie bedient werden müs-sen. Diese langfristig zunehmende Auseinanderentwick-lung konnte bislang in den meisten Ländern durch ständi-ges Wirtschaftswachstum in erträglichen Grenzen gehaltenwerden. Dieser Ausweg wird jedoch immer weniger gang-bar, da die Natur einer ständigen Leistungssteigerung Ein-halt gebietet. Außerdem muss das noch mögliche Wirt-schaftswachstum immer mehr zur Behebung der bereitserzeugten Naturzerstörungen eingesetzt werden. Diese›Umweltreparaturen‹ erbringen jedoch nur dem eingesetz-ten Kapital weitere Einkommenszugewinne. Denn dieArbeitenden müssen – wie bei den Rüstungsausgaben –neben der Leistung für diese vermeidbaren Reparaturenauch noch die Kosten über Steuern und Preisaufschläge tra-gen. Das heißt, die Arbeitleistenden zahlen sich gewisser-maßen selbst ihre Löhne, allerdings verkürzt um die Ver-zinsung des Kapitals, das bei diesen Umweltschutzmaßnah-men zusätzlich erforderlich wird.

Ist der Kapitalismus selbst die Krisenursache?

»Der Kommunismus ist tot – der Kapitalismus todkrank«,hat Anfang der 90er Jahre einmal jemand formuliert. DieKrankheit selbst, der Kapitalismus, lässt sich an vielen Sym-ptomen festmachen, am deutlichsten an den monetärenWucherungen und ihren Metastasen, zu denen nicht zuletztdie immer größeren Einkommensumschichtungen von derArbeit zum Besitz gehören. Deren Größenordnungen und

Page 439: Creutz - Das Geld-Syndrom

440

Folgen für die Bürger wurden in den Kapiteln 21 und 22dargelegt.

Aber nicht nur für die Bürger, auch für den Staat habendiese Diskrepanzentwicklungen schwerwiegende Folgen.Denn aufgrund der zunehmenden Staatsverschuldungenbluten die öffentlichen Kassen aus. Die entstehenden Defizi-te können nur mit verringerten Ausgaben, zusätzlichenSchulden oder höheren Steuern geschlossen werden. Alles inallem wird der finanzielle Spielraum der Regierungen klei-ner. Während Städte und Gemeinden beispielsweise in den60er und 70er Jahren Schulen, Büchereien und Schwimmbä-der bauen konnten, sind sie heute oft nicht mehr in der Lage,diese Einrichtungen zu unterhalten. Und das trotz des zu-nehmenden Reichtums in den Industrienationen!

Der Sozialstaat konnte zwar lange Zeit das Auseinan-derdriften von Arm und Reich durch Rückverteilungen intragbaren Grenzen halten, das aber wird zunehmendschwieriger. Das ›soziale Netz‹ reißt nicht nur an vielenStellen weil es allzu oft als ›soziale Hängematte‹ miss-braucht wird, es reißt vor allem, weil der Staat immer weni-ger in der Lage ist, die zunehmenden Löcher in diesem Netzzu flicken. Die immer höheren Sozialabgaben und der dar-aus resultierende Rückgang der Nettolöhne, treffen immermehr jene Schichten, die der Staat eigentlich unterstützenmüsste. Vor allem wächst die Zahl der Langzeitarbeitslo-sen, der Sozialhilfeempfänger und jener Menschen, diedurch das soziale Netz hindurchfallen.

Wie erklären sich die dauernden Konjunkturein-brüche?

Wenn ein Automotor ziemlich regelmäßig nach einigenhundert Kilometern Fahrstrecke in der Leistung abfallen

Page 440: Creutz - Das Geld-Syndrom

441

und erst nach einiger Zeit wieder auf volle Touren kommenwürde, dann würden sich alle Kfz-Ingenieure Gedankenüber die Ursache und deren Abstellung machen.

Wenn aber unser Wirtschaftsmotor alle paar Jahre zustottern beginnt, ist das für die Mehrzahl der Wirtschafts-wissenschaftler kaum ein Anlass, den Ursachen auf denGrund zu gehen. Vielmehr werden diese Störungen im All-gemeinen als unabänderlicher Tatbestand bzw. sogar alsnatürliche Erscheinung einer lebendigen Wirtschaft hinge-nommen. Manche erklären sie auch ganz einfach mit derUnberechenbarkeit menschlichen Verhaltens, anderesehen sogar Beziehungen zu den periodisch auftretendenSonnenflecken usw. Ernst Helmstädter, ehemals Leiter desInstituts für industriewirtschaftliche Forschungen an derUni Münster, hält sogar eine Untersuchung der Störungsur-sachen für überflüssig. So schrieb er am 18. 9. 1987 in derWochenzeitung »Die Zeit«:

»Die Konjunktur bezeichnet ein wirtschaftliches Aufund Ab. Es gibt die Hochkonjunktur, in der alles bes-tens läuft, und das Konjunkturtief, in dem die Aktivitä-ten erlahmen. Eine Erklärung des Wellenmusters selbstist gar nicht nötig. Es genügt, einen solchen Pulsator derWirtschaft einfach als beobachtendes Faktum von ver-lässlicher Regelmäßigkeit nachzuweisen.«

Auch die Info-Zeitschrift der Sparkasse, »Kleiner Wirt-schaftsspiegel«, wiegelte 1985 noch ab:

»Das Auf und Ab der Konjunktur ist eigentlich nichtsBesonderes. Jedem Aufschwung mit stärkerem Wirt-schaftswachstum folgte eine Phase schwächerer Wirt-schaftstätigkeit. Das ist das Kennzeichen jeder Markt-wirtschaft. Bemerkenswert ist aber, dass nahezu jeder

Page 441: Creutz - Das Geld-Syndrom

442

Konjunkturaufschwung in der Bundesrepublik schwä-cher ausfiel als der vorhergehende und dass sich dieKonjunkturtäler immer tiefer einkerben.«

Immerhin kann man dem letzten Satz entnehmen, dass mitdiesen sich wiederholenden Konjunkturschwankungen einnegativer Trend verknüpft ist.

Was sind die Ursachen der Konjunktureinbrüche?

Sucht man für die Konjunktureinbrüche eine plausibleErklärung, dann müsste sich etwas finden, was den Einbrü-chen jeweils zeitlich vorausläuft. Denn zwischen Ursacheund Wirkung gibt es bei komplexen Organismen zwangs-läufig mehr oder weniger lange Verzögerungen. Unter-sucht man daraufhin die Schwankungen wirtschaftlich rele-vanter Daten und zieht dabei auch die Entwicklungen immonetären Bereich mit heran, dann zeichnet sich nur eineGröße als vorauslaufend ab, nämlich die der Zinssätze bzw.der daraus resultierenden Lasten. Dass die Schwankungender Zinssätze ihrerseits wiederum entscheidend von denInflationsraten beeinflusst werden, wurde bereits mehrfachdargelegt.

Diese Beziehung zwischen Zinshöhe und Konjunktur-entwicklung geht aus der Darstellung 73 hervor.

Wie auf einen Blick erkennbar, gibt es eine enge Bezie-hung zwischen den Ausschlägen der Zinssätze und derdiversen Wirtschaftsindikatoren. Diese Beziehung wirddurch die vertikalen Linien, die von den Zinsgipfeln ausge-hen, noch verdeutlicht. Vor allem zeigen diese Hilfslinien,dass fast alle Wirtschaftsdaten mit etwa einem Jahr Verzö-gerung auf die Zinssatzveränderungen reagieren, entwedergleich gerichtet, wie oberhalb der Zinskurve, oder gegen-

Page 442: Creutz - Das Geld-Syndrom

443

Darstellung 73:

Page 443: Creutz - Das Geld-Syndrom

444

läufig, wie unterhalb. Diese Zeitverzögerungen sind ver-ständlich und ein Beweis dafür, dass die ZinsschwankungenAuslöser der Konjunkturschwankungen sind und nichtetwa umgekehrt.

Vergleicht man die einzelnen Kurven, dann ergeben sichaufschlussreiche Unterschiede. So verläuft die Sparquote(und damit die Ersparnis der Privathaushalte) weitgehendparallel mit dem Auf und Ab der Zinsen. Das spiegelt denTatbestand wider, dass das Gros der Ersparnisse immermehr aus Zinsgutschriften resultiert. Die Ersparnisse derUnternehmen gehen dagegen mit steigendem Zins zurückund umgekehrt. Hier zeichnet sich der Tatbestand ab, dassbei höheren Schuldenzinsen die erwirtschafteten Über-schüsse und damit die Ersparnismöglichkeiten reduziertwerden. Auch die ›Risikoprämie‹ – Differenz der Nettoei-gen- und Fremdkapitalrendite – verändert sich gegenläufigzum Zins, ebenso die Veränderungsrate des Sozialproduktsund der Beschäftigung.

Aufschlussreich ist weiterhin die Gegenläufigkeit derSchulden-Zuwachsraten des Staates gegenüber jenen derUnternehmen. Während diese ihre Neuverschuldungen inHochzinsphasen reduzieren, ist es beim Staat umgekehrt:Aufgrund der rückläufigen Steuereinnahmen und erhöhtenSozialkosten während der hochzinsbedingten Konjunktur-einbrüche ist er zu verstärkter Kreditaufnahme gezwun-gen.

Sind die Zusammenhänge zwischen Zins undKonjunktur allgemein bekannt?

Jeder weiß, dass höhere Zwangsabgaben den Freiraum fürdie normalen Ausgaben einschränken. Da auch Zinsen fürjeden Schuldner eine Zwangsabgabe sind, muss er den Gür-

Page 444: Creutz - Das Geld-Syndrom

445

tel enger schnallen, wenn die Zinssätze steigen. Das giltnicht nur für die verschuldeten Privathaushalte, sondernebenso für jedes Unternehmen, jede Kommune und denStaat. Da diese letztgenannten Schuldenmacher jedochihre Zinslasten über Preise, Steuern und Gebühren an dieEndverbraucher weiterwälzen, sind auch die Nichtver-schuldeten in der Wirtschaft von diesen Lastenanstiegenbetroffen. Das führt vor allem in Hochzinsphasen zu ent-sprechend steigenden Problemen, wie der Zusammen-schnitt von Zeitungsüberschriften aus der Hochzinsphasein den 80er Jahren zeigt.

Man sollte meinen, dass solche Überschriften die Zeitungs-leser nachdenklich machen. Doch kaum einer fragt, warum

Page 445: Creutz - Das Geld-Syndrom

446

wir mit einer solchen – Zins genannten – Einrichtung lebenmüssen. Mit einer Einrichtung, die in einem so extremenMaß unser Wirtschaftsleben belastet und gefährdet. Dennbeim Zins handelt es sich ja nicht um irgendwelche unab-wendbaren Naturereignisse wie Erdbeben oder Sturmflu-ten, gegen die man machtlos ist. Vielmehr ist der Zins einPhänomen unserer Geldordnung, das – wie immer auchentstanden – von uns Menschen veränderbar ist. Und auchdie inflationsbedingten Schwankungen der Zinssätze,denen wir unsere konjunkturellen Wechselbäder entschei-dend verdanken, haben keine natürlichen oder übernatürli-chen Ursachen, sondern letztendlich immer solche, die wirMenschen selbst zu verantworten haben.

Warum sind auch niedrige Zinsen Krisen auslö-send?

Bekanntlich sorgen Zins und Inflation heute dafür, dassWirtschaftsteilnehmer mit Einkommensüberschüssen die-se wieder in den Umlauf geben. Dabei wirkt der Zins, alsBelohnung für die leihweise Freigabe von Geld, gewisser-maßen wie ein Lockmittel oder Zuckerbrot. Die Inflationdagegen wirkt wie eine Peitsche, die das Geld beschleunigtin die Nachfrage oder in Sachanlagen treibt. Kurz: Zins undInflation sind in unseren heutigen Volkswirtschaften dieInstrumente, die für den Umlauf des Geldes sorgen. Jehöher sie sind, umso größer ist ihre Umlauf sichernde Wir-kung, allerdings auch ihre destruktiven Auswirkungen.Diese destruktiven Auswirkungen verringern sich zwar miteinem Absinken der Zins- bzw. Inflationsraten, jedoch lässtmit diesem Absinken auch die Umlauf sichernde Wirkungnach.

Läuft Geld aber nicht mehr regelmäßig um, dann kommt

Page 446: Creutz - Das Geld-Syndrom

447

es zu Stockungen und Unterbrechungen im Nachfrage-kreislauf. Die Folgen sind Absatzkrisen und Arbeitslosig-keit. Da bei Nachfragemangel und übervollen Läden diePreise fallen, kommt es zu einer deflationären Kettenreak-tion. Zwar handelt es sich dabei nicht um eine Deflation alsFolge einer konkreten Verringerung der Geldmenge durchdie Notenbank, wie sie z. B. Anfang der 30er Jahre inDeutschland ausgelöst wurde, sondern um eine Deflationals Folge von Geldzurückhaltungen durch Verbraucher.Deshalb ist auch die Bezeichnung ›Überangebotskrise‹ fürdiese Situation falsch, da es sich um eine Unternachfragehandelt. Überproduktionskrisen kann es unter normalenMarktbedingungen mit ungestörtem Geldkreislauf niemalsgeben, da jeder Produktion ein entsprechendes Einkom-men gegenübersteht, mit dem das Angebot vom Marktgenommen werden kann. Zur Krise kommt es nur, wenndiese Einkommen nicht in voller Höhe zur Markträumungeingesetzt werden.

Was löst die deflationären Krisen aus?

Solange ein Konsument sein Einkommen zur Nachfrageausgibt und überschüssige Einkommensanteile an andereverleiht, kann es zu keinen Störungen des Nachfragekreis-laufs kommen. Vielmehr kommen sie zustande, wennjemand sein Geld nicht im vollen Umfang ausgibt undÜberschüsse nicht verleiht. Diese Zurückhaltung über-schüssiger Einkommen nimmt im Allgemeinen in demMaße zu, wie die Zinsen sinken, das heißt, wie ihre ›Zucker-brotwirkung‹ nachlässt. Man ist dann ganz einfach wenigermotiviert, seine Ersparnisse zur Bank zu bringen als beihöheren Zinsen. Als Folge dieser Geldverknappung undder daraus resultierenden Unternachfrage kommt es zu

Page 447: Creutz - Das Geld-Syndrom

448

Preissenkungen, auf die die Verbraucher mit Nachfrage-aufschiebungen reagieren: Man hofft auf noch stärker fal-lende Preise und wartet ab.

Diese Unterbrechung des Geldkreislaufs bewirkt jedochnicht nur einen Rückgang des Konsums und als Folge wei-tere Preissenkungen, sondern auch einen Rückgang derInvestitionen, da sich diese aufgrund der Unternachfrage –trotz der niedrigen Zinsen – immer weniger lohnen. DieKonjunktur bricht also in Niedrigzinsphasen gewisserma-ßen von zwei Seiten her ein: Von der Nachfrageunlust derKonsumenten, die auf weiter fallende Preise hoffen, undvon der Investitionsunlust der Unternehmer, die auf höhe-re Nachfrage warten.

Noch mehr als eine inflationäre Krise nährt sich also einedeflationäre selbst. Es ist darum verständlich, dass dieRegierungen und Notenbanken vor einer solchen Krisegrößten Respekt haben und sie mit allen Mitteln zu verhin-dern suchen: Die Regierungen durch die verschiedenstenMaßnahmen der Wirtschaftsförderung und -belebung, dieNotenbanken mit einer ständigen leichten Überausweitungder Geldmenge, mit der sie schon im Vorfeld das Absinkender Inflation auf Null oder gar darunter zu vermeidensuchen, wie im 8. Kapitel bereits beschrieben.

Welche Wirkungen haben Geldzurückhaltungenauf die Beschäftigung?

»Millionen Menschen hungern nicht weil es zu wenigLebensmittel in der Welt gibt, sondern weil ihnen das Geldfehlt, sie zu kaufen.« – Das hat bereits vor etlichen Jahrender ehemalige Präsident des IWF, Camdessus, gesagt.

Bezieht man den Satz auf unsere Wirtschaftskrisen undhier speziell auf die Arbeitslosigkeit, dann könnte man ihn

Page 448: Creutz - Das Geld-Syndrom

449

so umformulieren: Millionen Menschen sind nicht arbeits-los weil es zu wenig Arbeit in der Welt gibt, sondern weildas Geld fehlt, sie zu bezahlen.

Geld ist also nicht nur das viel gelobte Tauschmittel, dasAngebot und Nachfrage in Deckung bringt, sondern allzu-häufig auch ein Tauschverhinderungsmittel, das Angebotund Nachfrage nicht zusammenkommen lässt. Es ist alsonicht nur ein ›Schlüssel zum Markt‹, sondern in vielen Fäl-len auch ein ›Riegel‹, der ihn verschließt. Und diese Riegel-funktion nimmt mit sinkenden Zinsen zu.

»Wer Geld einsperrt, sperrt Arbeiter aus«, schriebbereits in den 20er Jahren des vergangenen Jahrhundertsdie schweizerische Zeitschrift »Nebelspalter«. Und einanderes Schlagwort aus jener Zeit besagt: »Kein Zins – keinGeld, kein Geld – keine Arbeit, keine Arbeit – kein Lohn«,womit wir wieder an das Zitat des IWF-Präsidentenanknüpfen können.

Während Themen wie ›Geldstreik‹ und ›Deflation‹ fastaus dem Vokabular der Tagespresse verschwunden waren,lebten entsprechende Befürchtungen Ende des 20. Jahrhun-derts wieder auf. Vor allem im Zusammenhang mit der Kri-se in Japan, die ursprünglich von den Hyperspekulationenmit dem Boden Ende der 80er Jahre und dem schließlichenPlatzen des Spekulationsballons ausgegangen war. Die dar-aus resultierende kalte Dusche aus Wertverlusten undBankzusammenbrüchen hatte erhebliche Auswirkungenauf Nachfrage und Wirtschaftstätigkeit. Aufgrund der dar-aus resultierenden niedrigen Zinsen, aber auch aus Furchtvor weiteren Bankenpleiten, ging die Spartätigkeit bei denBanken zurück und die Verbraucher begannen immermehr, ihr Geld zu Hause zu horten. In welchem Umfang dasgeschah, zeigt die Hochkonjunktur der japanischen Safe-und Panzerschrankproduzenten in den sonst so schwachenKonjunkturjahren. Auch die staatlichen Konjunktur-Bele-

Page 449: Creutz - Das Geld-Syndrom

450

bungsversuche in vielstelligen Billionen-Yen-Beträgenkonnten die Wirtschaft nicht in Gang bringen. Auch einVersuch mit Kaufgutscheinen, die man an die Bevölkerungverschenkte, führte nur zu einem Drittel ihres Kaufwerteszu einer Ausweitung der Nachfrage. Zwei Drittel wurdenindirekt zur Erhöhung der Geldhortungen benutzt.

Selbst im Umfeld der US-Notenbank machte man sichbereits Gedanken über Gegenmaßnahmen zu solchenGeldzurückhaltungen. So fand im Oktober 1999 in Woods-tock eine Konferenz zum Thema »Geldpolitik im Falleniedriger Zinsen« statt. Dabei wurde von dem stellvertre-tenden Direktor der Federal Reserve Bank Richmond,Marvin Goodfriend, u. a. auch die von Silvio Gesell undJohn Maynard Keynes vorgeschlagene Umlaufsicherungdetaillierter behandelt. Und bezüglich der Umsetzung die-ser Durchhaltekosten bzw. Durchhaltesteuer beim Bargeldbrachte Goodfriend den Vorschlag ein, die Geldscheine mitMagnetstreifen zu versehen, mit denen man die zwischen-zeitlichen Geldhaltungsintervalle erfassen und belastenkönne.

Auch wenn in den übrigen Industrienationen bislang eindeflationärer Preisniveaueinbruch vermieden werdenkonnte, so wurden die Schleifspuren zu niedriger Zinsenhier und da bereits sichtbar. Doch statt dafür zu sorgen,dass das vom Staat herausgegebene Geld seine Funktionals Umlaufmittel auch bei niedrigeren Zinsen erfüllt, hilftman lieber dem Zins wieder auf die Beine, notfalls durchkreditfinanzierte staatliche Investitionen oder Subventio-nen privater Unternehmungen oder auch durch Eingriffeder Notenbanken. Das heißt, die Zinserträge der Geld-überschussbesitzer werden mit staatlicher Hilfe weitergarantiert, auch wenn der Zins den Marktgesetzen folgendweiter sinken müsste.

Page 450: Creutz - Das Geld-Syndrom

451

26. Kapitel

Krisenerscheinungenin Planwirtschaften

»Wir stehen am Rand eines Bank-rotts. Warum? Das könnte man mitverschiedenen Faktoren erklären:Inflation, zunehmende Unausgegli-chenheit von Angebot und Nachfra-ge, Haushaltsdefizit, fieberhafteGeldemission. Das alles bedeutet nureins: zunehmende Zerrüttung unseresGeld- und Finanzsystems und eineherannahende Krise, ähnlich wie wirsie Anfang der zwanziger Jahre undgleich nach dem Zweiten Weltkriegerlebt haben.«Nikolai Schmeljow*

* russischer Ökonom, »Politik und Zeitgeschichte«, 4. Mai 1990

Der Zusammenbruch der Planwirtschaftsländer mag Ge-schichte sein. Dennoch ist es nicht uninteressant noch einmalzurückzublicken, vor allem bezogen auf die Auswirkungender dort gemachten Fehler im monetären Bereich.

Die grundlegenden Ursachen des Zusammenbruchswaren in diesen Ländern zweifellos durch die Wirtschafts-strukturen nach Plan und auf Kommando vorprogram-miert. Einmal lassen sich die Befriedigungen menschlicherBedürfnisse niemals zentral auf optimale Weise planen.Unzureichende Versorgungen und/oder nicht absetzbareÜberproduktionen sind die unvermeidbare Folge. Zum

Page 451: Creutz - Das Geld-Syndrom

452

anderen lähmen Plan- und Kommandowirtschaft dieEigeninitiative und verordnete festgeschriebene Löhne dieLeistungsmotivation. Diese Mängel können allenfalls vor-übergehend durch ideologische Massenpsychosen und pro-pagandistisches Getrommel ausgeglichen werden. Dochauch die schönsten Blechorden für die Arbeitshelden oderrote Fahnen für die besten Brigaden sind auf Dauer keinErsatz für eine leistungsgerechte Entlohnung. So erzwingtdie Kommandowirtschaft immer größere Aufsichts-, Kon-troll- und Funktionärskader, die mit ihrer Drohnentätig-keit einen wachsenden Teil der Leistung schlucken. Selbstmit einer Ausweitung der dort praktizierten Zwangsar-beitsmethoden hätten diese Planwirtschaften auf Dauerniemals wettbewerbsfähig sein können, da man zumindestallgemeine Kreativität und geistige Leistungen nicht befeh-len und erzwingen kann. Aber nicht nur das Leistungsin-teresse wird durch Planwirtschaften weitgehend zerstört,sondern auch die pflegliche Einstellung zu allem Geschaf-fenen. Wer einmal längere Zeit in solch einem System gear-beitet hat, ist entsetzt über die Verschwendung von Resso-urcen und die Verantwortungslosigkeit, mit der man Güterdem Zerfall preisgibt: Wenn alles allen gehört, fühlt sichniemand mehr dafür zuständig!

Auch falsche Preissignale, die mit allen Planwirtschaftenzwangsläufig verbunden sind, führen zu problematischenVerhaltensweisen. Wenn Brot billiger ist als Futtermittel,dann wird man Hühner und Schweine damit füttern. Undwenn die Wohnungsheizung kaum etwas kostet oder alsPauschale in der Miete enthalten ist, dann reguliert man dieTemperatur übers Fensteröffnen. Das vor allem in solchenWohnungen, in denen man zur Baukostensenkung – wie invielen Plattenbauten der ehemaligen DDR – gleich dieVentile weggelassen hat.

Auch aus der Sicht des Umweltschutzes ist persönliches

Page 452: Creutz - Das Geld-Syndrom

453

Eigentum wie kostengerechte Preise ein Garant für Pflegeund Erhalt von Gütern. Vor allem dann, wenn man sie durcheigene Leistung erworben hat. An dem pfleglichen Umgangder ehemaligen DDR-Bewohner mit ihrem ›Trabbi‹ oderder ›Datscha‹ im Schrebergarten konnte man das gut studie-ren.

Hatten die Krisen im Ostblock auch mit Geld zutun?

Obwohl man dem Geld im Ostblock einiges von seinerBedeutung genommen und es mehr zu einem Bezugsscheinumfunktioniert hatte, blieb es auch dort prinzipiell mit dengleichen Fehlern behaftet wie in den westlichen Marktwirt-schaften. Überschüssige Geldbestände in den Händen derPrivathaushalte oder Betriebe konnten auch in den sozia-listischen Planwirtschaften nur durch das Lockmittel Zinswieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeholt werden.Damit der Rubel rollte, musste der russische Staat denGeldanlegern – nicht anders als im Westen – sogar dasBankgeheimnis garantieren. Das vor allem, wenn er an diegrößeren Ersparnisse der Gutverdienenden herankommenwollte. Doch trotz dieser kapitalismusverdächtigen Metho-den klappte es mit der Geldzurückführung nur bedingt.Allzu viele trauten den Regierungen nicht und bewahrtendie Ersparnisse lieber zu Hause auf.

Natürlich konnte auch jeder sozialistische Staat das demKreislauf entzogene Geld durch neu gedrucktes ersetzen.Damit aber bauten sich – nicht anders als bei uns – Doppel-ansprüche an eine gleich bleibende Leistung auf. Solchestillgelegten Inflationspotentiale müssen dann irgendwann,wenn sie zur Nachfrage werden, die Preise nach oben trei-ben. Und schreibt man diese Preise – wie im Ostblock

Page 453: Creutz - Das Geld-Syndrom

454

üblich – über Jahre und Jahrzehnte hinweg fest, dannkommt es zu einer immer größer werdenden aufgestautenInflation, die einer Zeitbombe gleicht. Kommt diese einesTages zum Durchbruch, dann sind die Folgen mit einemDammbruch vergleichbar.

In der ehemaligen UdSSR zum Beispiel war die heraus-gegebene Bargeldmenge Ende der 80er Jahre etwa zehn-mal größer als die monatliche Endnachfrage auf den Märk-ten, was den dortigen Rubelüberhang erkennen lässt.

Was sind die konkreten Folgen eines Geldüber-hangs?

Solange es einem Staat gelingt, das Preisniveau festzu-schreiben und Schwarze Märkte zu verhindern, ist das zuviel vorhandene Geld für das wirtschaftliche Geschehenbedeutungslos. Kommt es jedoch zu ungewöhnlichen politi-schen Entwicklungen oder verbreiten sich Gerüchte überPreisanstiege oder sogar Geldeinzug und -umtausch, dannnimmt die Aktivierung solcher Geldüberhänge zu. Dasheißt, man steigt aus der Hamsterung von Geld in die vonGütern um.

Normalerweise wird eine solche Übernachfrage durchsteigende Preise abgebremst. Da aber die Preise in denstaatlichen Läden festgeschrieben waren, kam es zu einerHamsterung langlebiger Güter, wie z. B. Textilien undHausrat, Zucker, Waschpulver usw. Aufgeschreckt durchdie sich leerenden Regale kam es dann zu allgemeinenPanikkäufen. Die Schlangen vor den Läden wurden länger,immer häufiger auf Kosten der Arbeitsleistung und sogarder Arbeitszeit. Dadurch verschlechterte sich die Versor-gungslage noch mehr. Die Folge war, dass vor allem dieärmere Bevölkerung, die sich keine Hamsterkäufe leisten

Page 454: Creutz - Das Geld-Syndrom

455

konnte, mit ihrem Arbeitslohn vor leeren Regalen stand.So kam es schließlich zu ersten Protestaktionen und Streiks,wobei es – wie in den Kohlerevieren am Ural – anfangsnicht einmal um höhere Löhne ging, sondern nur um feh-lende Seife oder Handtücher.

Verschärft werden solche Entwicklungen noch durch dieEntstehung Schwarzer Märkte, auf denen die inflationärenKaufkraftverluste der Währung sichtbar werden. Eine sol-che einmal in Gang gesetzte Entwicklung, ist kaum noch zubremsen. Vor allem, wenn sie durch den Staat selbst nochbeschleunigt wird, der angesichts der explodierenden Preiseund der damit größer werdenden Löcher im Etat diese mitneu gedrucktem Geld zu schließen versucht. Auf diese Weisewird aus der schleichenden und trabenden Inflation schließ-lich eine galoppierende, ganz gleich ob sich das Ganze ineinem planwirtschaftlichen Ostblockland, einer Diktatur inLateinamerika oder einer westlichen Demokratie abspielt.

Wusste man im Sozialismus vom Geldproblem?

»Um die bürgerliche Gesellschaft zu zerstören, muss manihr Geldwesen ruinieren«, soll Lenin einmal gesagt haben.Dass dieser Satz nicht nur auf bürgerliche Gesellschaftenzutrifft, wissen wir inzwischen. Vielleicht hat es sogar Leningewusst. Doch statt die mit dem Geld verbundenen Fehl-mechanismen abzubauen, hatte er bekanntlich nach derRevolution den Versuch gemacht, das Geld ganz abzu-schaffen und durch Eintragungen in Arbeitsbüchern zuersetzen. Dass dieser radikale ›Geldreformversuch‹ (denPol Pot in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhundertsnoch einmal wiederholte!) zu einem totalen Zusammen-bruch der Wirtschaft und zu Millionen Hungertoten führte,hat man leider allzu oft vergessen.

Page 455: Creutz - Das Geld-Syndrom

456

Leider hatte auch Karl Marx zu dieser Nichtbeachtungder monetären Problemursachen erheblich beigetragen.Nicht nur durch seine Annahme, dass die Ausbeutung desMenschen mit dem Produktionsmitteleigentum zusam-menhängt, sondern vor allem durch seine Einschätzungdes Geldes als ein Äquivalent der damit einzutauschendenLeistungen und Güter. Beides ließ ihn die Überlegenheitdes Geldes über diese Güter und die daraus resultieren-den Folgen nicht erkennen. Im dritten Band seines Haupt-werkes »Das Kapital«, stößt man zwar auf weiter gehendeErkenntnisse. Wahrscheinlich aber stammen sie von En-gels, der den Band zusammenstellte und dem auf Grundseiner Wirtschaftspraxis die Realitäten geläufiger waren.Engels war es auch, der in seinem »Anti-Dühring« auf diekrisenauslösende Wirkung der Geldzurückhaltung hinge-wiesen hat.

Auch in dem 1955 vom SED-Verlag Berlin herausgege-benen »Lehrbuch politische Ökonomie« wird die Proble-matik beschrieben, die in der Geldwirtschaft durch dieTrennung von Verkauf und Kauf entsteht:

»Der Warenproduzent kann seine Ware verkaufenund das erlöste Geld zeitweilig zurückhalten. Sobaldviele Warenproduzenten verkaufen, ohne zu kaufen,kann eine Absatzstockung eintreten. Somit schließtbereits die einfache Warenzirkulation die Möglichkeitder Krisen ein.«

Hätte man hier statt Waren- Geldzirkulation geschrieben,wäre man vielleicht selbst auf die eigentliche Störungsursa-che gekommen.

Dass der ursächliche Fehler unserer wirtschaftlichenStrickmuster in der Zirkulations- und nicht in der Produkti-onssphäre liegt, bestätigte rund hundert Jahre später auch

Page 456: Creutz - Das Geld-Syndrom

457

Gorbatschow in seiner weltweit beachteten Rede vom 25.Juni 1987:

»Große Aufgaben gibt es im Bereich der Geldzirkula-tion zu lösen. Ohne dies kann kein neuer Wirtschafts-mechanismus geschaffen werden . . . Hauptmangel aufdiesem Gebiet ist heute die Loslösung . . . der Geldmit-tel von der Bewegung materieller Werte und die Über-sättigung der Volkswirtschaft mit Zahlungsmitteln . . .Der jetzige Rubel wird seiner Rolle als aktives Mittelder finanziellen Kontrolle über die Wirtschaft nichtgerecht.«

Wie war das in Jugoslawien?

Als Folge zerfallender Währungen kommt es überall zueinem Erlahmen der Wirtschaftstätigkeit. Not und Mangelnehmen zu, desgleichen die sozialen Spannungen, nicht nurzwischen Arm und Reich, sondern auch zwischen ärmerenund reicheren Volksgrupppen und Nationalitäten innerhalbdes Landes. Solche Spannungen wiederum arten allzu leichtin Gewalt aus, bis hin zu Aufständen und Bürgerkriegen.

Der Sozial- und Geldreformer Silvio Gesell hat dieseBeziehungen zwischen Geldzerstörung und Gewalt bereits1918 gekennzeichnet:

»Die Währung hält den Staat zusammen oder sprengtihn – je nachdem. Wird hier gepfuscht, so löst er sich inkleine Teile auf, in Atome, die sich gegenseitig absto-ßen: Stadt gegen Land, Beruf gegen Beruf, Volksstammgegen Volksstamm, Norden gegen Süden, Festbesolde-te gegen Lohnarbeiter, bis schließlich Arbeiterbatail-lone gegen Arbeiterbataillone marschieren.«

Page 457: Creutz - Das Geld-Syndrom

458

Vor dem Hintergrund der Vorgänge in Jugoslawien ge-winnt diese Aussage geradezu eine beklemmende Be-deutung. Allzu leicht vergisst man angesichts der dortigenEreignisse nämlich, dass es ohne die vorausgegangenemonetäre Destabilisierung kaum zu dieser Gewalteskala-tion gekommen wäre. Diese monetäre Destabilisierungwurde im ersten Schritt durch eine explodierende Aus-landsverschuldung ausgelöst, die 1987 bereits bei 20 Mrd.Dollar lag. Dies hatte zur Folge, dass damals schon jederJugoslawe etwa jeden siebten Tag für die ans Ausland zuzahlenden Zinsen arbeiten musste. Da man die sozialenFolgen dieser Reichtumsabflüsse durch Geldvermehrungzu vertuschen suchte, kam es zu einer zunehmenden infla-tionären Entwertung des Dinar. Wegen dieser Entwertungwiederum begannen die Bürger, ihre Ersparnisse in DM zuhorten, womit sowohl die Devisenreserven als auch dieinternen Kreditgewährungsmöglichkeiten zurückgingenund der Staat verstärkt auf die Notenpresse zurückgreifenmusste. Mit den zunehmenden sozialen Erschütterungenund Verarmungen bei einer Arbeitslosigkeit von 20 Pro-zent, brachen dann auch wieder die alten Spannungen zwi-schen dem reichen Norden und dem armen Süden Jugosla-wiens auf, bis hin zu gewaltsamen Entladungen, die durchdie sprachlichen, völkischen und religiösen Unterschiedenoch verstärkt wurden.

Die wesentliche Rolle der Inflation bei diesen Vorgän-gen bestätigte der slowenische Ökonom Marjan Senjur imMärz 1990 in der »Zeitschrift für Sozialökonomie«:

»Seit 1980 steckt Jugoslawien in einer immer größerwerdenden wirtschaftlichen Krise, die inzwischen zueiner generellen gesellschaftlichen Krise gewordenist . . . Meiner Meinung nach ist die Inflation das größtegesellschaftliche Problem Jugoslawiens.«

Page 458: Creutz - Das Geld-Syndrom

459

Welche Rolle spielte das Zinsproblem in denehemaligen Ostblockstaaten?

In Ost und West sind es also vergleichbare Unzulänglich-keiten der Geldmengenregulierung und des Geldumlaufsund allzu häufig auch eine vergleichbare leichtfertigeBedienung der Notenpresse, die inflationäre Folgen zeiti-gen müssen. Und auch den Geldumlauf versuchte man –wie im Westen – weitgehend durch Zinsversprechen inGang zu halten. In der UdSSR war diese Zinsbelohnungsogar recht attraktiv: Drei Prozent für kurzfristige Einlagenund fünf Prozent für mittelfristige. Und angesichts der überJahrzehnte festgeschriebenen Preise handelte es sich dabeium reale Zinsen. Damit lag die Belohnung für die langfristi-ge Freigabe von Geld noch über den in Deutschland gezahl-ten Zinsen, die in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahr-hunderts im Schnitt real bei etwa vier Prozent gelegenhaben.

Natürlich waren die Folgen dieser Zinsbelohnungen imOsten nicht anders als bei uns: Diejenigen, die bereits zuviel Geld hatten und es verleihen konnten, bekamen nochmehr Geld dazu. Denjenigen, denen Geld fehlte und die essich leihen mussten, wurde noch mehr genommen. Und daauch im Ostblock nur verteilt werden konnte, was erwirt-schaftet wurde, mussten die Arbeitleistenden auch hier dieRechnung begleichen.

Schon in den 70er Jahren soll es in der UdSSR Zehntau-sende von Rubelmillionären gegeben haben, die von ihrenZinseinnahmen leben konnten. Da den hoch bezahltenSpitzenfunktionären, Spitzenwissenschaftlern, -künstlernund -sportlern oft die Möglichkeit zum Ausgeben ihrer Ein-kommen fehlte, bildeten diese besonders hohe Sparrückla-gen. Und nach dem Zinseszinsprinzip verdoppelten sichauch im Ostblock Bankeinlagen bei fünf Prozent Verzin-

Page 459: Creutz - Das Geld-Syndrom

460

sung alle 14,5 Jahre. Damit war auch ohne Neuersparnissedie Wucherung der Geldvermögen gesichert.

Natürlich waren, gemessen an westlichen Maßstäben,die Ersparnisse in den ehemaligen Ostblockländern insge-samt geringer. So lagen z. B. die nominellen Pro-Kopf-Be-stände in der ehemaligen DDR 1991 etwa bei 40 Prozentder westdeutschen Ersparnisse. Doch die ungleiche Vertei-lung dieser Ersparnisse auf die Haushalte war durchausvergleichbar: Trotz der propagierten Solidarität im ›Arbei-ter- und Bauernstaat‹ hatten in der DDR 80 Prozent derHaushalte nur ein Fünftel der gesamten Geldvermögenvon rund 170 Mrd. DM in der Hand, also 34 Mrd., währenddie restlichen 20 Prozent der Haushalte über Guthaben vonrund 136 Mrd. Mark verfügten. Rechnet man das auf jedenHaushalt um, dann hatten vier Fünftel der Haushalte imSchnitt 6 500 Mark auf der hohen Kante, ein Fünftel, – alsodie wohlhabendere Minderheit – im Schnitt dagegen rund105 000 Mark. Dabei kam dieser überhöhte Durchschnittnur zustande, weil in dem reicheren Fünftel auch die Millio-nenvermögen von Funktionären und anderen Bevorzugten›versteckt‹ waren.

Gibt es noch andere Krisenprobleme im Osten,die mit dem Geld zusammenhängen?

Da Übervermehrungen der Geldmenge auch in sozialisti-schen Staaten zu Instabilitäten führen, versuchte man, dendadurch ausgelösten Preisauftrieb durch Festschreibungaller oder einzelner Preise einzuschränken. Dadurchkommt es nicht nur zu leeren Läden und Schwarzen Märk-ten, sondern auch zu völlig irrealen Tauschverhältnissenmit dem Ausland. Das heißt, die Wechselkurse haben mitder Wirklichkeit nichts mehr zu tun. Das wiederum eröff-

Page 460: Creutz - Das Geld-Syndrom

461

net Spekulanten ungeahnte Möglichkeiten zu Millionenge-schäften, die letztlich immer zu Lasten der arbeitendenBevölkerung gehen. Schon eine Reise mit einem Koffervoller Produkte nach Berlin oder Wien, konnte mehr ein-bringen als ein ganzer Monat Arbeit. Auch aufgrund sol-cher Gegebenheiten leidet die normale Arbeitsleistungund wird für viele sogar völlig nebensächlich.

Auch durch Arbeitsaufnahmen im Westen kam es zu völ-lig verrückten Einkommenssituationen. So konnte 1989/90ein Pole, der nach einem halbjährigen Job in Deutschland mit5000 DM Ersparnis nach Hause fuhr, diese offiziell gegendrei Millionen Zloty umtauschen. Da ihm die Bank damalsneun Prozent Zinsen zahlte, hatte der Heimkehrer nun zuHause ein größeres Einkommen ohne Leistung als die Ar-beiter vor Ort. Doch da auch in den Ostblockstaaten nichtsvom Himmel fällt, wurden die Zinseinkünfte jenes Zloty-Millionärs seinen arbeitenden Genossen abgezwackt.

Ein weiteres geldbezogenes Problem ist, dass in allenOstblockländern, als Folge der Währungsruinierung, dieMenschen zunehmend in kaufkraftstabile Westwährungenflüchten. Sieht man von Schenkungen ab, so können dieseWestdevisen letztlich nur aus Exporten oder Westkreditenstammen. Das heißt, mit dieser Hortung von Devisen, wirddas Land erneut geschädigt. Und soweit diese Devisen alsZweitwährung im Land kursieren, was zunehmend der Fallist, werden die Bemühungen der jeweiligen Notenbank zurGeldmengensteuerung zusätzlich erschwert.

»Der Rubel ist derzeit auf dem Schwarzmarkt füreinen guten Pfennig zu haben. Längst gibt es zweiWährungskreisläufe: den durch die unter Hochdrucklaufende Notenpresse entwerteten Rubel, dem dieMenschen und Betriebe durch Tauschwirtschaft aus-weichen, und Devisen, für die man alles bekommt«,

Page 461: Creutz - Das Geld-Syndrom

462

schrieb Peter Gillies in der Tageszeitung »Die Welt« vom2. 1. 1992.

Noch ein weiteres geldbezogenes Thema darf natürlichnicht vergessen werden: Die Auslandsverschuldung derehemaligen Ostblockländer, mit der man versuchte, dieFolgen der Misswirtschaft noch eine Weile erträglicher zumachen (s. auch 14. Kapitel).

»Die Schulden fressen den Sozialismus«, konnte manEnde der 80er Jahre in der Zeitschrift »Junge Kirche« lesen.Das ist sicher etwas verkürzt gesehen, da – wie gesagt – die-se Verschuldung im Westen ein letzter Versuch war, dasbereits gescheiterte Sozialismusmodell noch ein paar Jahreüber die Runden zu retten. Dass dieses Verschuldungsmit-tel die ganze Misere noch vergrößern musste, haben offen-sichtlich auch die marxistischen Ökonomen verdrängt.Denn durch die schuldenbedingten Zinstransfers flossennun noch mehr Arbeitseinkünfte in den Westen ab und ver-ringerten noch die unzureichenden Devisenreserven, dieman für dringende Einkäufe in den kapitalistischen Län-dern brauchte.

Polen musste schon Anfang der 80er Jahre jeden Monatrund 250 Mio. Dollar Zinsen an den Westen zahlen. Daswaren damals, bei noch halbwegs überschaubaren Verhält-nissen in diesem Land, umgerechnet etwa 14 Dollar jeBeschäftigten im Monat, was einem Lohnanteil von 15 Pro-zent entsprach. Und da entsprechende Lohnkürzungenoder Preisanhebungen nicht durchsetzbar waren (zweiRegierungen wurden Opfer dieses Versuchs!) bezahlteman die Zinsen für die alten Schulden mit neuen Schuldenim Westen, womit man immer mehr in die Schuldenfallegeriet.

Page 462: Creutz - Das Geld-Syndrom

463

Was wäre heute zu tun?

Da ohne ein geordnetes Geldwesen kein Staat über längereZeit funktionieren kann, mussten in allen Ostblockländernzuerst einmal die Währungen in Ordnung gebracht werden.Das heißt, als Erstes musste der inflationäre und die Wirt-schaft destabilisierende Geldüberhang abgeschöpft wer-den. Das war und ist auch erforderlich, um zu halbwegsrealistischen Wechselkursen zu kommen, die erst Geschäf-te mit dem Ausland ermöglichen.

Page 463: Creutz - Das Geld-Syndrom

464

Schon zu Zeiten Gorbatschows wurde dieser Geldum-tausch und die Ausgabe eines neuen Rubels von einzelnenFachleuten angeraten. Doch man hat diesen unausweichli-chen Einschnitt in die Währung immer wieder aufgescho-ben. Stattdessen versuchte man, vor allem bis Ende der 90erJahre in den GUS-Staaten, die Flucht nach vorn. Das heißt,man ließ die Notenpresse immer schneller laufen. Doch mitjedem zusätzlich gedruckten Rubel nahmen die Instabilitä-ten zu. »Der Rubel hat innerhalb weniger Wochen ›hunder-te Prozente‹ seines Wertes verloren. Vor zwei Wochen wur-de er im Verhältnis von 40 Rubel pro Dollar gehandelt, jetztmuss man über 115 Rubel pro Dollar zahlen«, zitiertebereits am 14. 11. 1991 das »Handelsblatt« einen russischenWirtschaftsprofessor. Doch danach kam es nur noch zueinem Stillstand der Notenpresse, wenn der Papiernach-schub nicht funktionierte. Der vorstehende Schlagzeilen-Zusammenschnitt spiegelt das Schicksal des Rubels unddamit der gesamten Gesellschaft im Zeitraffer wider.

Wie hat sich die Vereinigung von Ost- und West-deutschland geldbezogen ausgewirkt?

An der geldbezogenen Verteilungs- und Umverteilungs-problematik innerhalb der ehemaligen DDR hat sich durchdie Vereinigung nichts geändert. Die großen Geldvermö-gen wurden unbesehen eingetauscht, ganz gleich, woher siestammten. Auch mit der Geldumtauschquote haben diedafür verantwortlichen Politiker wieder einmal bewiesen,wie wenig sie vom Geld und seinen Wirkungsmechanismenverstehen: Allenfalls ein Verhältnis von 5 : 1 wäre sachlichgerechtfertigt gewesen und sicher auch akzeptiert worden.Denn der freie Umtauschkurs lag in den Tagen des Um-bruchs bekanntlich bei 10 : 1 bis 20 : 1.

Page 464: Creutz - Das Geld-Syndrom

465

Schon mit dem begrenzten Kopfgeldumtausch 1:1 hatteman einen weitgehend ungedeckten Kaufkraftschub ge-schaffen, der vor allem der westdeutschen Autoindustriezugute kam. Noch bedenklicher aber war der uneinge-grenzte Umtausch aller darüber hinaus gehenden Ost-mark-Ersparnisse im Verhältnis 2:1, mit dem man geradeden Privilegierten des Systems zu noch mehr unverdientemReichtum in harter Währung verhalf. Geradezu unverant-wortlich aber war dieser Umtauschkurs vor dem Hinter-grund, dass damit auch alle Schulden der neuen Länder aufdieser Basis umgerechnet werden mussten. Dieser Tatbe-stand trieb unzählige Unternehmen in die Zahlungsunfä-higkeit oder zwang den Staat zur Übernahme der selbst ge-schaffenen DM-Schulden.

Da man die Geldbesitzer mit dem Umtauschkurs über-reich beschenkte, konnte man verständlicherweise bei denRentnern nicht knausern. Die Folge der schnellen Renten-anpassungen wiederum war ein entsprechender Druck aufdie Anpassung der Löhne, was die Unternehmen nicht ver-kraften konnten und zu Betriebsschließungen und Entlas-sungen führte. Mit der Regelung Rückgabe vor Entschädi-gung bei den Immobilien, hatten die Politiker ein weiteresSelbsttor geschossen. Ebenso bei dem großzügigen Ver-zicht, die vorhandene Bereitschaft zum Teilen bei den Bür-gern Westdeutschlands aufzugreifen.

Sicher ist eine solche Zusammenführung zweier Länderunterschiedlicher Wirtschafts- und Leistungsstrukturenkeine einfache Sache und sicher wären auch bei einemrealistischen Wechselkurs die Vereinigungsschwierigkeitengroß genug gewesen. Doch die Wissenslücken der Verant-wortlichen bezogen auf den monetären Bereich und ihrewahlenbezogene Großzügigkeit hat uns eine Kette vonProblemen beschert.

Page 465: Creutz - Das Geld-Syndrom

466

27. Kapitel

Das Problem derArbeitslosigkeit

»Die Produktionsfaktoren Arbeitund Umwelt werden vom dritten, demKapital, gleichsam ausgesaugt. Seineungezügelte Expansion schnürt ihnendie Luft ab. Wenn das verstandenwürde, käme man nicht auf die Idee,die Verminderung des Umweltschut-zes könnte Arbeitsplätze sichern.Arbeitsplatzvernichtung undUmweltzerstörung haben die gleicheUrsache, das müssen wir erst einmalerkennen.«Prof. Dr. Gerhard Scherhorn*

* in »Wuppertal Spezial Nr. 7«, 1997

Bei der Arbeitslosigkeit unterscheidet man im Allgemei-nen zwischen konjunkturellen und strukturellen Ursachen.Konjunkturell bedingte Arbeitslosigkeit entsteht, wennsich die Marktlage negativ entwickelt, das heißt die Nach-frage sinkt und in deren Folge die Produktion. Strukturellbedingte Arbeitslosigkeit ist die Folge von Produktivitäts-steigerungen oder auch Produktionsverlagerungen. In bei-den Fällen ließe sich theoretisch der Beschäftigungsrück-gang durch Arbeitszeit- und/oder Lohnsenkungen ausglei-chen, was aber auf den Widerstand derjenigen trifft, dienoch Arbeit haben. Darüber hinaus gibt es natürlich nocheine freiwillige Arbeitslosigkeit, wenn man sich mit der

Page 466: Creutz - Das Geld-Syndrom

467

Sozialhilfe zufrieden gibt oder – aufgrund von Vermögens-einkommen – gar nicht auf Arbeit angewiesen ist.

Geht man den Ursachen der Arbeitslosigkeitsentwick-lungen in den letzten Jahrzehnten tiefgreifender nach, bie-tet sich dazu als erster Schritt die Analyse der unterschiedli-chen Beschäftigungsschwankungen an, wobei man zwi-schen den kurz-, mittel- und langfristigen Veränderungender Beschäftigung bzw. der Arbeitslosigkeit unterscheidenmuss. Das ist erforderlich, weil die unterschiedlichenSchwankungen auch unterschiedliche Ursachen haben.

Vergleichen kann man diese Unterschiede in etwa mitjenen der Temperatur: Die kurzfristigen Schwankungenhängen mit dem Tag-Nacht-Wechsel zusammen, die mittel-fristigen mit der Großwetterlage und die langfristigen mitden Jahreszeiten. Und wie bei der Temperatur nur die mit-telfristigen Veränderungen nicht voraussehbar sind, so istdas auch bei der Arbeitslosigkeit der Fall.

Diese verschiedenen zeitbezogenen Beeinflussungender Arbeitslosigkeit werden in der Darstellung 74 verdeut-licht.

Langfristig zeigt sich in dem dargestellten Zeitraum einlanges tiefes Tal: Einem raschen, etwa zehnjährigen Abbauder Nachkriegsarbeitslosigkeit folgte eine ähnlich langePhase der Vollbeschäftigung, danach ging es mit der Ar-beitslosigkeit wieder aufwärts. Auf diese Kurve der lang-fristigen Entwicklung satteln sich, wie die Grafik weiterzeigt, immer höhere mittelfristige Ausreißer auf, auf diesewiederum die sich jährlich wiederholenden kurzfristigenSchwankungen. Diese kurzfristigen Schwankungen derBeschäftigung sind jahreszeitlich bzw. saisonal bedingt, alsoauf natürliche Ursachen zurückzuführen. Trotzdem wärenauch diese kurzfristigen Entlassungen und Wiedereinstel-lungen, die für Unternehmer wie Arbeitnehmer gleicher-maßen belastend sind, in ihrem Umfang reduzierbar, zum

Page 467: Creutz - Das Geld-Syndrom

468

Darstellung 74:

Beispiel durch die Verrechnung der Überstunden in derSommerzeit mit ›Unterstunden‹ bzw. Kurzarbeit in derWinterzeit.

Doch interessanter und für die Konjunkturlage weitauswichtiger sind die mittel- und langfristigen Veränderungender Beschäftigung.

Was sind die Ursachen der langfristigen Verän-derungen?

Langfristige Veränderungen der Beschäftigung haben auchlangfristig wirkende Ursachen. Ursache für den Abbau derhohen Arbeitslosigkeit nach 1950 waren die Wiederbele-bung der Nachkriegswirtschaft und der zerstörungbedingtegroße Nachholbedarf in Deutschland. Diese Wiederbele-bung und das so genannte Wirtschaftswunder begann aber

Page 468: Creutz - Das Geld-Syndrom

469

nicht nach dem Kriegsende 1945, sondern erst Ende der40er Jahre, nach dem Umtausch der inflationär zerrüttetenKriegswährung gegen neues Geld, der so genannten Wäh-rungsreform. Ähnlich bedeutsam für den schnellen Abbauder Arbeitslosigkeit war aber auch die damalige Arbeits-zeitpolitik der Gewerkschaften.

Wie aus der Darstellung 75 ersichtlich, hatten die Ge-werkschaften trotz der ungeheuren Kriegszerstörungenund des aufgestauten Nachholbedarfs den Mut, die durch-schnittliche Wochenarbeitszeit in den ersten 25 Jahren ummehr als acht Stunden herunterzufahren, die Vorreiterge-werkschaft IG Metall mit ihren Tarifvereinbarungen sogarin zehn Jahren. Mit Hilfe dieser radikalen Arbeitszeitver-kürzung konnten nicht nur die Millionen rückkehrenderKriegsgefangener und Ostflüchtlinge in den Wirtschafts-prozess integriert werden. Auch die Position des Arbeit-nehmers erfuhr eine Aufwertung, da er aufgrund der soerreichten Arbeitskräfteknappheit gewissermaßen ›König‹am Arbeitsmarkt war. Er konnte sich die Stellen fast nachBelieben aussuchen und wurde in der Mehrzahl aller Fälleüber Tarif bezahlt!

Durch den festgelegten und für das Ausland günstigenDollar-Wechselkurs, kam es darüber hinaus zu einemExportboom, dem man schließlich nur mit Millionen Gast-arbeitern nachkommen konnte.

Rechnet man die durchschnittlichen Reduzierungen aus,dann wurden die Wochenarbeitszeiten in den 50er Jahrenjährlich um fast 30 Minuten gekürzt, in den folgenden zehnJahren um rund 20 Minuten. Dann aber ruhte man sich –wie die Kurve zeigt – auf dem Erreichten aus. Besonderskrass zeigt das die in der Grafik eingetragene Treppe dermeist federführenden IG-Metall-Tarifabschlüsse, die ab1966 über 19 Jahre bei 40 Stunden eingefroren blieben.

Betrachtet man nun die Kurve der Wochenlohnentwick-

Page 469: Creutz - Das Geld-Syndrom

470

Darstellung 75:

lungen, so zeigt sich zu jener der Arbeitszeiten ein umge-kehrter Trend: Während die Löhne in den ersten beidenJahrzehnten gemäßigt anstiegen, nahmen sie ab 1968 deut-licher zu. Das heißt, in den ersten beiden Jahrzehnten hatteman die Produktivitätsfortschritte sowohl in steigendeLöhne als auch in sinkende Arbeitszeiten umgesetzt. In denanschließenden Jahren aber wurde der Leistungszugewinn,bei gleich bleibender Arbeitszeit, voll den Löhnen zuge-schlagen. Diese Änderung der Gewerkschaftspolitik – auswelchen Gründen auch immer – hatte natürlich auch Fol-gen für den Arbeitsmarkt: Die verstärkt zunehmendenProduktionsmengen und Einkommen beschleunigten dieSättigungsentwicklungen und ließen einen zunehmenden

Page 470: Creutz - Das Geld-Syndrom

471

Überhang an Arbeitskräften entstehen, der vorher durchdie regelmäßigen Arbeitszeitverkürzungen kompensiertworden war. Außerdem reagierten die Unternehmen aufdie Sättigungsentwicklungen mit verringerten Kapazitäts-ausweitungen. Diese Folgen für die Beschäftigungslagekonnten auch durch ein Anheizen des Wirtschaftswachs-tums mit Hilfe einer massiven Werbeflut sowie einer ständi-gen Ausweitung der Exporte nur zum Teil ausgeglichenwerden.

Hätten die Gewerkschaften ihre Arbeitszeitpolitik ausden 60er und 70er Jahren fortgeführt, z. B. mit weiterenReduzierungen der Wochenarbeitszeiten um durchschnitt-liche 15 Minuten, dann wäre die 1970 bei 41 Stunden liegen-de Arbeitszeit bis 1985 auf 37,25 Stunden zurückgegangenund bis zum Jahr 2000 auf 33,5 Stunden. Damit hätte in denletzten 30 Jahren die ständig steigende Produktivität eben-so aufgefangen wie die zunehmende Sockelarbeitslosigkeitvermieden werden können. Natürlich wären dann auch dieBruttolöhne entsprechend weniger angestiegen, jedoch beifast gleich bleibenden Nettolöhnen. Denn mit der immergrößeren Differenz zwischen den Brutto- und Nettolöhnenmüssen die noch Beschäftigten nicht zuletzt die Kosten fürdie von der Arbeit Ausgeschlossenen tragen.

Vollbeschäftigung ist also immer möglich, wenn mandie vorhandene Arbeit (und natürlich auch den daran ge-koppelten Lohn) flexibel auf alle Arbeitswilligen verteilt.Arbeitslose wird es immer geben, wenn man bei einemRückgang der notwendigen Arbeitsmenge die Zahl derArbeitleistenden statt der Arbeitsstunden reduziert!

An dieser Stelle soll auch einmal die Frage aufgeworfenwerden, ob im Zuge des Produktivitätsfortschritts nicht einAbsenken der Preise statt die Umsetzung in höhere Löhnebesser gewesen wäre. Denn sinkende Preise wären allenMenschen zugute gekommen, also auch den Menschen in

Page 471: Creutz - Das Geld-Syndrom

472

den Entwicklungsländern. Sicherlich wäre in diesem Fallder heutige Wohlstandsvorsprung der Industrienationengeringer, aber auch die Probleme, die wir inzwischen mitden Wohlstandsdiskrepanzen haben und in der Zukunftnoch mehr bekommen. Und auch das problematischeGefälle der Einkommen zwischen Industrie und Landwirt-schaft in unseren eigenen Ländern hätte niemals die heuti-ge Größenordnung erreicht.

Gibt es weitere Gründe für die langfristige Zu-nahme der Arbeitslosigkeit?

Neben den Folgen der veränderten Gewerkschaftspolitikhaben seit Anfang der 70er Jahre in Deutschland noch wei-tere Ursachen zu dem langfristigen Anstieg der Arbeitslo-sigkeit beigetragen. Hier ist als Erstes die überproportiona-le Zunahme der Geldvermögen und der daraus resultieren-de Druck auf kapitalintensivere und lohnreduzierte Pro-duktionsmethoden zu nennen. Die damit verbundeneUmschichtung der Einkommen von der Arbeit zum Besitzhatte zur Folge, dass die Beschäftigten immer weniger inder Lage waren, die Produkte ihrer eigenen Arbeit auchselbst zu kaufen. Außerdem kam es durch den höherenKapitaleinsatz verstärkt zur Bildung von Großunterneh-men und Firmenkonzentrationen, womit immer mehr mit-telständige und arbeitsintensivere Unternehmen ausge-schaltet wurden. Die Folgen solcher Reduzierungenmenschlicher Arbeit könnten zwar beschäftigungspolitischdurch Arbeitszeitverkürzungen und Umverteilungen derArbeit verhindert werden. Was aber nicht verhindert wer-den kann – ob mit oder ohne Arbeitszeitverkürzungen –, istein zunehmender, anfangs relativer und schließlich absolu-ter, Rückgang der Arbeitseinkommen, wenn die Kapitalan-

Page 472: Creutz - Das Geld-Syndrom

473

sprüche – wie seit Jahrzehnten der Fall – rascher zunehmenals die Wirtschaftsleistung.

Ein weiterer wichtiger Grund für die zunehmende Aus-grenzung der Menschen hängt mit den Strukturen deröffentlichen Abgaben zusammen: Da die Arbeitseinkom-men in den Industrienationen durchweg mit hohen Steuernund Sozialabgaben belastet sind, wird die Tendenz zur Ein-sparung von Arbeitskräften und damit dem Abbau vonArbeitsplätzen verstärkt. Würde man dagegen die Arbeits-einkommen von diesen Abgaben entlasten und sie stattdes-sen auf die Produkte verlagern, so würde sich dieser Trendumkehren. Außerdem würde ein Steuersystem, bei demnicht die Einkommen sondern die Ausgaben besteuert wer-den – statt des Verdienstes also der Verbrauch – mit vielenweiteren Vorteilen verbunden sein. Das trifft nicht nur aufdie möglichen ökologischen Komponenten solcher ver-brauchsbezogenen Steuern zu, sondern auch auf die enor-me Vereinfachung des Steuereinzugs: Die Selbständigenbrauchten keine Steuererklärungen mehr abzugeben undOrdner voller Belege zu sammeln (die ihnen heute vieleHintertürchen bieten!) und es gäbe keine Probleme mehrmit der Schwarzarbeit, da alle Arbeitleistenden über Mate-rial- und Energieausgaben gleichermaßen zur Kasse gebe-ten würden.

Häufig werden auch die geburtenstarken Jahrgänge oderZuwanderungen von Arbeitskräften aus dem Ausland alsGrund für die zunehmende Arbeitslosigkeit genannt. DieseUrsachenerklärung ist aber mehr als fragwürdig, da jederhinzukommende Mensch nicht nur Arbeit sucht, sondernauch zusätzliche Bedürfnisse hat, die durch Arbeit befrie-digt werden müssen. Dabei sind die Bedürfnisse der jungenoder zugewanderten Menschen sogar durchweg größer alsdie der älteren und bereits im Lande wohnenden. Und dieeingesparten Kosten für Erziehung und Ausbildung der

Page 473: Creutz - Das Geld-Syndrom

474

Einwanderer schlagen sogar als Vorteil für das Einwande-rungsland zu Buche.

Doch noch wichtiger als die Eingrenzung der Ursachenfür die langfristigen Beschäftigungsveränderungen ist dieUntersuchung der mittelfristigen, denn den langfristigenUrsachen kann mit langfristig wirkenden Gegenmaßnah-men begegnet werden. Die fast immer überraschend eintre-tenden mittelfristigen Schübe lassen dagegen nur nachträg-liche Maßnahmen zu. Zumindest so lange, wie man sichnicht eingehender mit den Ursachen befasst.

Die Ursachen der mittelfristigen Ausreißer inder Entwicklung der Arbeitslosigkeit

Wie schon die Darstellung 74 erkennen lässt, haben in derVergangenheit die mittelfristigen fast eruptiv ansteigendenArbeitslosigkeitsschübe ständig an Höhe zugenommen.Diese plötzlichen Einbrüche in der Beschäftigung sind einwesentliches Kennzeichen jener Konjunkturkrisen, die sich– nach Ansicht der meisten Wirtschaftswissenschaftlerund -politiker – unvermeidlich wiederholen und die manhinnehmen muss wie Ebbe und Flut oder Naturkatastro-phen.

In der folgenden Darstellung 76 ist noch einmal die Ent-wicklung der Arbeitslosigkeit in Westdeutschland von 1950bis 1985 aufgezeigt, jedoch ohne die jährlich sich wiederho-lenden Schwankungen. Damit heben sich die mittelfristi-gen Veränderungsschübe (hier mit 1 bis 4 gekennzeichnet),noch deutlicher ab. Zusätzlich ist im oberen Teil der Grafikdie Entwicklung der Kapitalmarktzinsen eingetragen, alsojener Zinsen, die man für die langfristige Überlassung vonGeld erhält und an denen sich Investoren bei ihren Ent-scheidungen orientieren.

Page 474: Creutz - Das Geld-Syndrom

475

Verzieht man – wie in der Grafik geschehen – die Zinsenparallel zu der langfristigen Entwicklungskurve, um derenWirkungen zu neutralisieren, dann springt die Wechselwir-kung zwischen den Zinssatzveränderungen und den mittel-fristigen Ausreißern am Arbeitsmarkt förmlich ins Auge:Etwa zwei Jahre nach dem Anstieg der Zinssätze schießtjeweils auch die Entwicklung der Arbeitslosigkeit in dieHöhe, um dann nach dem Zinsgipfel ebenfalls abzustop-pen.

Darstellung 76:

Wie erkennbar, führte schon die geringe Zinsanhebung1957 um einen Prozentpunkt ein Jahr später zu einer Unter-brechung der langfristigen Arbeitslosigkeitsabnahme undeinem leichten Wiederanstieg (1). Noch deutlicher war die

Page 475: Creutz - Das Geld-Syndrom

476

Wirkung des Zinsanstiegs von 6 auf 7,8 Prozent mitten inder Vollbeschäftigungsphase der 60er Jahre, die zu einerVerdreifachung der damals geringen Arbeitslosigkeit führ-te (2). Noch gravierender in ihren Folgen waren dann diebeiden letzten Hochzinsphasen, in denen die Zinssätze amKapitalmarkt jeweils bis auf die 10,6-Prozentmarke kletter-ten: Bei der ersten Hochzinsphase stieg die Zahl derArbeitslosen auf rund eine Million (3), in der zweiten wur-de sie auf mehr als 2 Millionen hochkatapultiert (4). Wiedie zusätzlich eingetragene Kurve zeigt, laufen auch die Fir-menpleiten hinter den Zinssätzen her, jedoch verzögerterin ihren Abschwüngen.

Welche Rolle spielen die Verschuldungen?

Bei den hier dargelegten Zinsbelastungen sind jene für dieSchulden aus mehreren Gründen problematisch.

Einmal stellen sie eine Belastung dar, die auf jeden Fallerwirtschaftet werden muss, während die Eigenkapitalver-zinsung vorübergehend auch mal absinken kann, in extre-men Fällen sogar unter Null. Zum zweiten nimmt dieseFremdkapitalbelastung im Gleichschritt mit der Entwick-lung der Geldvermögen und Schulden zu, die seit 1950deutlich rascher ansteigen als die wirtschaftliche Leistung.Vor allem aber – und hier sind wir wieder bei den Ursachender mittelfristigen Ausreißer – verändern sich die Zinslas-ten für das Fremdkapital schlagartig mit den Zinssätzen.

Dieser Doppeleffekt trifft in einem besonderen Maßehoch verschuldete Unternehmen. Das gilt nicht nur fürkleinere und mittlere Betriebe, wie das im Kasten ange-führte Beispiel des deutschen Elektro-Konzerns AEGzeigt. Der darin zitierte Text erfordert allerdings einigeKlarstellungen: Wie die meisten Bürger und selbst viele

Page 476: Creutz - Das Geld-Syndrom

477

ZinsenDie Arbeitnehmer des AEG-Konzerns haben nach Ansicht der IG-Metall-Mitgliederzeitschrift »Metall« seit 1970 »wie wild für die Banken geschuftet«.In einer jüngsten Ausgabe wirft das Blatt den Banken vor: Obwohl die Pro-duktivität jedes AEG-Mitarbeiters über dem Branchendurchschnitt gelegenhabe, sei eine Sanierung unmöglich gewesen, weil jeder AEG-Beschäftigte,seit 1970 allein 29 000 DM Zinsen habe erarbeiten müssen. Die Banken hätteninsgesamt »3,9 Milliarden DM aus dem Konzern gesaugt«. Das sei dreimalsoviel wie der Staat in der gleichen Zeit an Steuern von der AEG erhaltenhabe.

Nordwest-Zeitung vom 1. September 1982

Wirtschaftler, verfolgen auch die Gewerkschaftler offen-sichtlich den Zinsfluss nur vom Schuldner bis zur Bank.Dabei bleiben bei der Bank nur die Kreditvermittlungskos-ten hängen. Die eigentlichen Zinsen fließen dagegen durchdie Bank hindurch zu den Geldguthabenbesitzern. Für die-se Geldgeber wurde also von den Banken den allergrößteTeil der »3,9 Milliarden DM aus dem Konzern gesaugt«.

Die Arbeitnehmer haben demnach auch nicht »wie wildfür die Banken geschuftet«, sondern für jene, die ihr übrigesGeld den Banken überlassen haben. Außerdem haben dieArbeitnehmer bei AEG nicht wilder geschuftet als z. B. beidem Konkurrenzunternehmen Siemens oder anderen Kon-zernen. Denn sowohl die Löhne als auch die Arbeitszeitenentsprachen bei beiden Unternehmen den gleichen Tarifen.Das heißt, die Schuldenzinsen eines Unternehmens werdennicht durch unbezahlte Überstunden oder Lohnkürzungenfinanziert, sondern letztlich durch Umlagen auf die Preise.Alle Bürger, ob in den verschuldeten Betrieben beschäftigtoder nicht, werden also für die Zinszahlungen zur Kassegebeten, letztlich auch für die Verluste an Sachkapitalsub-stanz, die mit solchen Pleiten verbunden sind.

Bezeichnend war bei AEG, die mit mehr als sechs Milli-arden Schulden zahlungsunfähig wurde, dass die Banken

Page 477: Creutz - Das Geld-Syndrom

478

auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichteten, um dasUnternehmen nicht völlig in den Bankrott zu treiben. Sol-che Großzügigkeit kommt kleineren Unternehmen äußerstselten zugute. Allerdings stehen die Banken bei dieserGroßzügigkeit kaum mit ihrem Eigenkapital grade. Viel-mehr gleichen sie die Verluste etwa zur Hälfte durch Ver-lustabschreibungen bei der Steuer aus und zur anderenHälfte mit Hilfe des Risikoanteils in ihrer Bankmarge. Dasheißt, die Allgemeinheit kommt für diese Verluste auf,während die Einlagen und Einkünfte der Geldgeber unbe-helligt bleiben.

Kommt es nur in verschuldeten Unternehmen zuEntlassungen?

Nicht nur verschuldete Unternehmen tragen in Hochzins-phasen durch Pleiten, Entlassungen oder Investitionsrück-stellungen zur Vergrößerung der Arbeitslosenzahlen bei,sondern auch unverschuldete, selbst solche mit großenliquiden Geldbeständen.

Verschuldete Unternehmen unterlassen bei hohen Zin-sen fast alle Investitionen, weil es fraglich ist, ob sie die Kre-ditkosten über die Preise an den Markt weitergeben kön-nen. Das vor allem, wenn sie in Konkurrenz zu unverschul-deten Unternehmen stehen, die ihre Preise nicht anhebenmüssen. Für die liquiden Firmen, die mit eigenem GeldInvestitionen finanzieren könnten, ist es dagegen in Hoch-zinsphasen durchweg attraktiver, ihr Geld auf dem Kapital-markt anzulegen. So kommt es, dass manche Firmen in sol-chen Zeiten mehr durch das Verleihen ihrer überschüssigenGeldmittel verdienen als durch ihre Produktion. Das giltnicht nur für Daimler-Benz, wie im Kasten bestätigt, son-dern z. B. auch für die Firma Siemens und einige andere

Page 478: Creutz - Das Geld-Syndrom

479

Konzerne. Gerade diese Firmen haben vor allem in Hoch-zinsphasen aus dem Verleihen ihrer liquiden Mittel oft überJahre hinweg mehr Gewinn gezogen als aus ihrer Produkti-on. Wegen dieser Finanzgewinne wird z. B. Siemens scherz-hafterweise als ›Bank mit angeschlossener Elektroabtei-lung‹ bezeichnet.

»Die Firma Daimler-Benz hat im Jahre 1981 an ihren Einnahmen aus Vermö-gen, vor allem an Zinseinnahmen, mehr verdient als am Verkauf ihrer Lkw-und Pkw-Produktion. Ähnliches gilt für andere Großunternehmen.«

Prof. Dr. Horst Ehmke vor dem Deutschen Bundestag am 13. Oktober 1982(»Das Parlament« vom 23. 10. 1982, Nr. 42, S. 7)

Was sind die Folgen dieser Diskrepanzen?

Während verschuldete Firmen in Hochzinsphasen verstärktin die roten Zahlen geraten oder gar das Handtuch werfenmüssen, gehen die Firmen mit großem Geldvermögen rei-cher daraus hervor. Das heißt, die Liquiditätsunterschiedezwischen den Unternehmen vergrößern sich. Und da dieGeldvermögen der einen die Schulden der anderen sind,und die Zinseinkünfte der einen die Zinslasten der anderen,schaukeln sich diese Diskrepanzen immer höher. Als Folgedavon kommen die angeschlagenen Firmen auch nach derKonjunkturkrise nur schwer wieder in Fahrt. Den finanz-starken Unternehmen dagegen ist es ein Leichtes, die ange-schlagenen Firmen gleich aufzukaufen oder durch Preisun-terbietungen am Markt dafür gefügig zu machen. LiquideGroßunternehmen, die spielend ›aus der Westentasche‹Tausende von Arbeitsplätzen schaffen könnten, unterlassendas aus Renditegründen also nicht nur in den Hochzinspha-sen, sondern immer häufiger auch im anschließenden Kon-junkturaufschwung. Und aus den aufgekauften Unterneh-

Page 479: Creutz - Das Geld-Syndrom

480

men, mit denen sie sich gleichzeitig die Konkurrenz vomHalse schaffen, werden oft nur die ›Rosinen‹ herausgepicktund die übrigen Produktionsbereiche stillgelegt, was wie-der mit entsprechenden Entlassungen verbunden ist. DieFusionen und damit die Konzentrationen der Macht neh-men in solchen Zeiten darum beschleunigt zu.

Wodurch kommt es zu den Hochzinsphasen?

Hochzinsphasen, die schließlich zum Abwürgen der Kon-junktur führen, sind fast immer die Folgen vorausgegan-gener Geldmengenausweitungen durch die Notenbanken.Nicht die Anpassung der Leitzinsen an den inflationärenAuftrieb der Markt- bzw. Geldmarktzinsen ist also dieeigentliche ›Sünde‹ der Notenbanken, sondern die etwazwei Jahre vorher zu großzügig gehandhabte Geldmen-genpolitik. Mit der Anhebung der Leitzinsen versuchendie Notenbanken meist nur nachträglich das gutzuma-chen, was sie vorher bei der Geldmengensteuerung ver-säumt haben.

Der frühere Präsident der Schweizerischen National-bank, Fritz Leutwiler, hat bei seiner letzten Rede vor derGeneralversammlung der Bank 1984, diese Zusammen-hänge beim Namen genannt:

»Eine starke Geldmengenexpansion bleibt nicht ohneInflationsfolgen, was wiederum die Zinssätze in dieHöhe treibt. Früher oder später schließt sich der Teu-felskreis mit dem Zwang zu einer antiinflationärenPolitik, deren Wirkungen heute nur allzu bekanntsind: hohe Zinssätze, Rezession und Arbeitslosig-keit.«

Page 480: Creutz - Das Geld-Syndrom

481

Den Versuch der Notenbanken, die zinstreibende Inflationdurch hohe Leitzinsen zu bekämpfen, muss also fast alsVerzweiflungstat eingestuft werden. Denn damit wird zwarder Markt tatsächlich zu Preissenkungen gezwungen undder inflationäre Preisauftrieb gestoppt. Aber diese Rosskurwird mit Zehntausenden von Firmenpleiten und Hundert-tausenden von zusätzlichen Arbeitslosen teuer bezahlt.

Überprüft man die entsprechenden Entwicklungen,dann zeichnen sich diese engen Beziehungen zwischenInflation und Arbeitslosigkeit mehr oder weniger deutlichin fast allen Ländern ab. Das ist bereits der Darstellung 23im 8. Kapitel zu entnehmen. Die in den 80er Jahren nochvon manchen Ökonomen und Politikern vertretene Auffas-sung, fünf Prozent Inflation seien besser zu ertragen als fünfProzent Arbeitslosigkeit, lag also voll daneben: Inflationenvermeiden keine Arbeitslosigkeit, sondern führen dazu.Darum müssten sich Gewerkschaften und Politiker eigent-lich in einem besonderen Maße gemeinsam für stabileWährungen einsetzen. Doch wie die Unternehmer meistnur über die hohen Löhne klagen, so die Gewerkschaftenüber die hohen Gewinne. Von den hohen Zinsen, die mitden Inflationsraten ansteigen und damit die eigentlicheUrsache sowohl der Arbeitslosigkeit wie der zunehmendenVerteilungskämpfe sind, reden beide kaum.

Page 481: Creutz - Das Geld-Syndrom

482

28. Kapitel

Die Arbeitslosigkeitbei fallenden Zinsen

»Allein ein Prozent Zinssenkungübertrifft die Wirkung milliarden-schwerer Beschäftigungsprogrammebei weitem.«Peter Gillies*

* »Die Welt«, 1985

Wenn steigende Zinsen die Arbeitslosigkeit nach oben zie-hen, dann müssten fallende Zinsen eigentlich das Gegenteilbewirken. Wie wir in der Darstellung 76 gesehen haben,war das nach dem zweiten Zinsanstieg auch noch der Fall:1969 hatte die Arbeitslosigkeit wieder ihren vorherigenTiefstand erreicht. Nach der zweiten und dritten Hochzins-phase brach jedoch nach dem Zinsgipfel jeweils lediglichder Anstieg ab, so dass der Stand der Arbeitslosenzahlennur stagnierte, um erst nach einigen Jahren leicht zurückzu-gehen. Das heißt, in Deutschland ist nach 1975 mit jederHochzinsphase der Arbeitslosensockel auf ein höheresNiveau gestiegen. Das kann man auch der Darstellung 77entnehmen, in der die Entwicklung der Arbeitslosigkeitnoch einmal für den Zeitraum von 1970 bis 2000 wiederge-geben ist.

Page 482: Creutz - Das Geld-Syndrom

483

Darstellung 77:

Page 483: Creutz - Das Geld-Syndrom

484

Wie erklärt sich der Anstieg der Sockelarbeits-losigkeit?

Die Zinsbelastung in einer Volkswirtschaft hängt nichtallein von den Zinssätzen ab, sondern – wie bereits darge-legt – auch von der Entwicklung der Verschuldung. So wiedie Wirkung steigender Zinssätze durch einen allgemeinenVerschuldungsanstieg überkompensiert wird, so kann dieWirkung fallender Zinssätze durch steigende Verschuldungneutralisiert werden. Konkret: Der Tatbestand des jeweilsverbleibenden höheren Sockels, hängt zu einem guten Teilmit der überproportional gestiegenen höheren Verschul-dung zusammen. Dabei wirkt sich dieser vom Verschul-dungsanstieg ausgehende Effekt umso stärker auf das Kon-junkturgeschehen aus, je höher der Verschuldungsgradeiner Wirtschaft bereits ist. Dieser überproportionaleAnstieg der Schulden spiegelt sich in der Darstellung 78 vorallem bei den Bankzinserträgen wider, die bereits von 1970bis 1998 auf das zwölffache angestiegen sind, während dasSozialprodukt in der gleichen Zeit ›nur‹ auf das 5,5fachezunahm.

Oberhalb der Entwicklung der Bankzinserträge in Milli-arden DM sind in der so genannten Zinslastkurve dieseErträge noch einmal in Prozenten des Sozialprodukts wie-dergegeben. Die daraus zu entnehmende Verdopplung indem dargestellten Zeitraum ist wieder auf das übermäßigeWachstum der Verschuldung zurückzuführen, während dieSchwankungen im Verlauf der Kurve durch die Verände-rungen der Zinssätze ausgelöst werden. In der unterenseparaten Grafik erscheinen dann die Bankzinserträge zumdritten Mal, nämlich ausgedrückt in Prozenten desGeschäftsvolumens aller Banken.

Dass sich die Zinssatz-Ausschläge, sowohl bei dieser Kur-ve als auch der Zinsertragskurve, relativ moderat abzeich-

Page 484: Creutz - Das Geld-Syndrom

485

nen, hängt mit den überlappenden Laufzeiten der Kreditezusammen. Durch diese Überlappungen können die verän-derten Zinsen immer nur auf neu herausgegebenen Kreditangewendet werden, während sie sich bei allen anderen Kre-ditbeständen nur nach und nach umsetzen lassen.

Dass im Gegensatz zu diesen moderaten Schwankungendie der Zinslastquote besonders deutlich ausschlagen, hängtmit sinkenden Wachstumsraten zusammen. Konkret: Densteigenden Zinslasten steht eine langsamer wachsende undschließlich sogar stagnierende bzw. einbrechende Wirt-schaftsleistung gegenüber. Dieser Wirkungsmechanismus istauch die entscheidende Ursache für die abrupten Anstiegeder Arbeitslosenzahlen in jeder Zinsanstiegsphase. In derZinssenkungsphase kommt es dann, zumindest theoretisch,zu einem umgekehrten Effekt, der jedoch – wie bereits dar-gelegt – durch die steigenden Schuldenmassen neutralisiertwird. Erst wenn das Wirtschaftswachstum diesen Effektüberspielt und die Zinslastquote wieder sinkt, kann es – trotzder bereits vorab gesunkenen Zinssätze – zu einer Wieder-belebung der Konjunktur und in deren Folge nach und nachauch zu mehr Beschäftigung kommen. Ansonsten ist das nurmöglich, wenn die erhöhten monetären Kosten in der Wirt-schaft durch Senkungen der Arbeitskosten – gleichgültig obdurch Rationalisierungen, Entlassungen oder Kürzungen imLohnbereich – ausgeglichen werden.

Wie verändert sich die Zinsbelastung zumSozialprodukt?

Wie dargelegt, treffen steigende Zinsbelastungen mit einervon diesen ausgelösten nachlassenden Leistungsentwick-lung zusammen. Umgekehrt treffen fallende Zinslastquo-ten auf eine sich durch den Zinslastrückgang wiederbele-

Page 485: Creutz - Das Geld-Syndrom

486

bende Wirtschaftstätigkeit. Dadurch ging beispielsweise inder langen Zinssenkungsphase von 1982 bis 1988 – trotzsteigender Verschuldung – die relative Zinsbelastung derWirtschaft von 14,4 auf 11,5 Prozent zurück, obwohl sie inabsoluten Größen von 229 auf 243 Mrd. anstieg. Aufgrundder weiter steigenden absoluten Größen nach 1993 sowieder zögerlich anspringenden Konjunktur, ist dieser Entlas-tungseffekt bislang ausgeblieben. Im Gegenteil: Trotz sin-kender Zinssätze kam es sogar zu einem weiteren Anstiegder Zinslastquote 1998 auf ein neues Rekordniveau, bezo-gen auf die westdeutschen Größen von 17,3 Prozent, bezo-gen auf Gesamtdeutschland von 16,0 Prozent.

Wenn der Zinsanstieg ab 1988 erst 1992 bei den west-deutschen Arbeitslosenzahlen Spuren hinterlässt, so hängtdas mit dem vereinigungsbedingten Nachfrageboom derOstdeutschen in Westdeutschland zusammen. Dafür aller-dings nahm die Arbeitslosigkeit in den neuen Ländernumso stärker zu. Nimmt man die Arbeitslosigkeit in Ost-deutschland mit in die Grafik auf, dann ergibt sich die glei-che ›Parallelität‹ zu den Zinslastkurven wie 1978/82.

Für die Rezessionen Mitte der 70er und Anfang der 80erJahre werden auch heute fast immer nur die Veränderun-gen der Erdöl-Importpreise angegeben. Sicher haben diebeiden ›Ölpreisschocks‹ die Konjunktur belastet und wahr-scheinlich auch die Zinsentwicklung beeinflusst. Ange-sichts der vielmals höheren Anstiege der Zinsbeträge wirdihre Rolle jedoch überschätzt. So waren die Anstiege derMineralölimporte von 1970 bis 1982, also über beide Kon-junktureinbrüche hinweg, mit insgesamt 60 Mrd. DM drei-mal geringer als die der Bankzinserträge mit 180 Mrd.

Dass die schwankenden Erdölpreise nicht die entschei-dende Rolle bei den Konjunkturschwankungen gespielthaben, zeigt sich auch daran, dass das erneute Hochschie-ßen der Zinsbelastung und der Arbeitslosigkeit ab 1988 von

Page 486: Creutz - Das Geld-Syndrom

487

keinem Ölpreisanstieg begleitet wurde und umgekehrt dersteile Rückfall der Erdölpreise 1985 keine entsprechendpositiven Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt hatte. Hinzukommt noch, dass die Wirtschaft bisher die Erhöhungender Mineralölpreise immer sehr schnell an die Endverbrau-cher weitergeben konnte, während die Überwälzung dererhöhten Zinsbelastung kaum oder nur mit großer Verzö-gerung möglich war. Das heißt, die Unternehmen wurdendurch die gestiegenen Zinsbelastungen wesentlich stärkerzu Einsparungen gezwungen als durch die Anstiege derMineralölpreise.

Treffen die Effekte von Zinsveränderungen auchauf andere Länder zu?

Wie vor allem aus der Darstellung 77 ersichtlich, geht inDeutschland die Arbeitslosigkeit, trotz der sinkenden Zins-sätze, erst mit einer immer größeren Verzögerung wiederzurück. In den USA dagegen sinken die Arbeitslosenzahlenmit den Zinssätzen fast so rasch ab, wie sie vorher angestie-gen sind. Das geht aus der Darstellung 78 hervor, in der dieEntwicklungen der Inflations-, Zins- und Arbeitslosenquo-ten in den Vereinigten Staaten wiedergegeben sind.

Vergleicht man die Kurve der Zins- und Arbeitslosen-quote, dann kann man – wie schon bei den Darstellungender deutschen Entwicklungen – fast von einer Parallelitätsprechen. Das trifft nicht nur auf das langfristige Auf undAb in den herangezogenen 35 Jahren zu, sondern auch aufdie zwischenzeitlichen mittelfristigen Schwankungen inden einzelnen Hochzinsphasen.

Auch die Wirkungen der Inflationsschübe auf die Zinsenwerden fast überdeutlich. In der allgemeinen Anstiegspha-se von 1965 bis 1983 hat die kurzfristig extrem ausschlagen-

Page 487: Creutz - Das Geld-Syndrom

488

Darstellung 78:

de Inflationsquote die längerfristig festgelegten und verzö-gert reagierenden Kapitalmarktzinsen sogar zweimal über-troffen und damit den Realzins eliminiert. Dafür folgtedann nach 1983 der Kapitalmarktzins mit Verzögerung undentsprechend höherem Realzinsanteil der absteigendenPreisentwicklung. Die Parallelität der geldbezogener Quo-ten zu jener der Arbeitslosigkeit wird besonders deutlich,wenn man die Verzögerungszeit zwischen beiden verkürztund den oberen Teil der Grafik – wie aus den Jahreszahlenersichtlich – um ein Jahr nach rechts verschiebt.

Wie aber kommt es nun, dass sich die Wirtschafts- undBeschäftigungslage in den USA rascher erholt als in

Page 488: Creutz - Das Geld-Syndrom

489

Deutschland? Dass der Abstieg der Arbeitslosenquote fastso rasch verläuft wie ihr Aufstieg? Mit einer geringerenVerschuldungszunahme der US-Volkswirtschaft könnendie Unterschiede nicht erklärt werden, im Gegenteil. DieGesamtverschuldung von Staat, Wirtschaft und Privathaus-halten ist in den USA noch höher als in Deutschland. Sieliegt dort bereits beim Dreifachen des BIP, während sie inDeutschland ›erst‹ bei 260 Prozent dieser Leistungsgrößeliegt.

Ausschlaggebend für das flexiblere Reagieren derArbeitslosenquote auf sinkende Zinsen, dürften in denUSA die flexibleren Löhne sein. Bekanntlich liegt dort dieTarifautonomie weitgehend bei den einzelnen Betrieben.Das heißt, Unternehmen, die aufgrund des vorausgegange-nen Konjunktureinbruchs in die roten Zahlen geraten, kön-nen mit der Belegschaft geringere Löhne aushandeln unddamit Entlassungen und sogar Betriebsschließungen ver-meiden. In Deutschland und in dem meisten europäischenLändern werden dagegen durchweg die kleinen und gro-ßen, die finanzschwachen und -starke Betriebe über einenKamm geschoren. Da hier die Unternehmen die nicht mehrtragbaren Kapitalkosten also weniger oder gar nicht durchLohnkürzungen ausgleichen können, kommt es verstärktzu Entlassungen und Firmenpleiten. Außerdem ist durchdie hoch bleibenden Löhne der Druck zur Rationalisierunggrößer als in den USA, was ebenfalls zur Reduzierung vonMitarbeitern führt. Weil das zunehmend Probleme auf-wirft, kommt es auch in Europa zu einem wachsendenDruck auf den Lohnsektor wie auch auf die sozialen öffent-lichen Leistungen. Begonnen hat das bereits unter MargretThatcher in Großbritannien vor 15 Jahren. Inzwischen müs-sen die Gewerkschaften auch auf dem Kontinent in vielenPunkten zurückstecken, Zusatzleistungen aufgeben undhier und da sogar Lohnkürzungen in Kauf nehmen.

Page 489: Creutz - Das Geld-Syndrom

490

Finden solche Lohnkürzungen bei gleich bleibendenoder sogar steigenden Wirtschaftsleistungen statt, spiegelnsie – wie auch die Zinslastquote – den erhöhten Kapitalan-spruch an den nur einmal zu verteilenden Leistungskuchenwider. Hier bestätigt sich erneut: Durch Absenken der Löh-ne kann man zwar Arbeitsplätze erhalten oder sogar neueschaffen, aber nicht verhindern, dass die Arbeitleistendeninsgesamt immer ärmer werden, gleichgültig ob über mehrEntlassungen oder allgemeine Lohnsenkungen.

Wie verhält sich der Staat in den Beschäftigungs-krisen?

Im allgemeinen erwartet man vom Staat bei Konjunktur-einbrüchen ein antizyklisches Verhalten. Geht die Nachfra-ge der Wirtschaft und Privathaushalte zurück und geratendamit Arbeitsplätze in Gefahr, soll der Staat seine Nachfra-ge verstärken. Dabei sollte er auch gegebenenfalls zurSchuldenaufnahme bereit sein. Dieses Einspringen desStaates zur Belebung der Konjunktur geht auf Keyneszurück, der dafür auch den Begriff »defecit-spending«geprägt hat. Dabei hat Keynes allerdings an einen Staatgedacht, der in guten Konjunkturzeiten Rücklagen bildet,um sie in schlechten Zeiten konjunkturbelebend einzubrin-gen. Ganz sicher schwebten ihm keine Staaten vor, diebereits in guten Zeiten Schulden machen und ihre Nachfra-ge in schlechten mit noch höheren Schulden finanzieren.

Hat ein Staat in guten Zeiten keine Rücklagen gebildet,besteht im Übrigen die Gefahr, dass die aufgenommenenKredite lediglich die Lücken schließen, die sich als Folgedes Konjunktureinbruchs in den Steuertöpfen bilden.Außerdem wird in solchen Zeiten der Etat auch noch durchzusätzliche Sozialausgaben und vor allem steigende Zins-

Page 490: Creutz - Das Geld-Syndrom

491

ausgaben beansprucht. Für tatsächliche Konjunktursprit-zen, die den Arbeitsmarkt beleben, bleibt darum kaumnoch etwas übrig. Im Gegenteil: Sieht man sich die Grafikdes Deutschen Statistischen Bundesamtes in der Darstel-lung 79 an, dann zeigt sich das ganze Dilemma hoch ver-schuldeter Staaten.

Darstellung 79:

Page 491: Creutz - Das Geld-Syndrom

492

Die in der Darstellung wiedergegebene Entwicklung greiftüber die Hochzinsphase 1978–1982 hinweg, deren Wirkun-gen in den ersten 80er Jahren zu Buche schlagen. Wieerkennbar, lässt der Anstieg der gesamten Staatsausgabenab 1981 etwas nach. Die Investitionsausgaben aber, diealleine Arbeitsplätze schaffen können, gingen – nach einemdeutlicheren Anstieg Ende der 70er Jahre – ab 1980 abruptzurück.

Während die Gesamtausgaben des deutschen Staates inden sieben dargestellten Jahren um knapp 40 Prozentzunahmen, lagen die Investitionsausgaben 1983 wieder aufdem Stand von 1978. Die entscheidende Ursache für dieseproblemverstärkende Reduzierung der Investitionsausga-ben geht ebenfalls aus der Grafik hervor: Es sind die Zins-ausgaben des Staates, die seit 1978 überproportional in dieHöhe gingen, bis 1984 um 140 Prozent und damit 3,5-mal sostark wie die Staatseinnahmen.

Obwohl der Zinssatzanstieg von 1988 bis 1992 geringerwar als während der beiden vorausgegangenen Hochzins-phasen, hatte er aufgrund der extremen öffentlichen Schul-denanstiege für die Staaten einen noch größeren Be-lastungseffekt, als die Zinslastquote in der Darstellung 78wiedergibt. Und da diese Verschuldung und damit die Zins-belastung auch noch bei sinkenden Zinsen weiter wächst,geraten die Staaten gleich reihenweise in die Schuldenfalle.An einer Belebung der Wirtschaft und Beschäftigung a laKeynes durch zusätzliche öffentliche Investitionen ist alsokaum zu denken.

Page 492: Creutz - Das Geld-Syndrom

493

29. Kapitel

Marktwirtschaft –Kapitalismus –Globalisierung

»Die freie Marktwirtschaft, die mit derSprengung des Privilegs begann unddadurch der persönlichen Leistungunglaubliche Vorteile verschaffte,endet in einem Kapitalismus, der dieLeistung zunehmend geringer ent-lohnt und zugleich den Vermögens-ertrag phantastisch anwachsen lässt.«Gero Jenner*

* in: »Das Ende des Kapitalismus«, Fischer Tb 1999

So wie Planwirtschaft und Sozialismus immer verwechseltbzw. gleichgesetzt wurden, so ist das auch bei Marktwirt-schaft und Kapitalismus der Fall. Dabei haben beideBegriffe gar nichts miteinander zu tun, ja sie schließen sichim Grunde sogar gegenseitig aus. Denn Marktwirtschaft isteine Wirtschaftsordnung, bei der alle wirtschaftlichen Vor-gänge, also Produktionen, Preise und Austauschbedingun-gen, alleine von Angebot und Nachfrage bestimmt werden,während Kapitalismus – wie noch dargelegt wird – einmonopolartiges Herrschaftsinstrument ist.

Eine unverfälschte Marktwirtschaft stellt also letztlichdas gerechteste und effektivste System der Güterversor-gung und -verteilung dar, das auf Gegenseitigkeit undGleichberechtigung aufbaut. Allerdings ist dies nur dann

Page 493: Creutz - Das Geld-Syndrom

494

der Fall, wenn entsprechende staatliche Regelungen derWirtschaftsvorgänge für die Vermeidung von Monopolenund Kartellen sorgen, die sich aufgrund der immer stärkerwerdenden kapitalistischen Effekte ergeben.

Was versteht man genauer unter Marktwirt-schaft?

In Deutschland hat man nach dem Krieg den Begriff ›Sozia-le Marktwirtschaft‹ geprägt, der den Gerechtigkeitsaspektdieser Wirtschaftsform betont. Der Begriff suggeriert, dassdie Wirtschaft aus sich selbst heraus bereits soziale Spannun-gen verhindert und evtl. entstehende reguliert. In Wirklich-keit ist dies jedoch ein System, bei der der Staat die Risikendurch gesetzlich festgelegte Hilfen auffängt. Denn eineMarktwirtschaft an sich kann zwar unter den genannten Mo-nopolausschlüssen tauschgerecht sein, nicht aber sozial imSinne eines Lastenausgleichs für sozial Schwache.

Diese als Soziale Marktwirtschaft bezeichnete Kombina-tion von Staat und Wirtschaft hat in Deutschland und inähnlicher Form in vielen anderen Ländern über Jahrzehntehinweg recht gut funktioniert, zumindest solange ein aus-reichend hohes Wirtschaftswachstum ständig steigendeSteuern und Sozialabgaben in die öffentlichen Kassen spül-te. Warum aber kommt dieser Sozialstaat heute in Schwie-rigkeiten und aufgrund der Schwierigkeiten ins Gerede?Warum spricht man immer mehr von der Unbezahlbarkeitdes Sozialstaats und beruft sogar sein Ende? Wie kommt esüberhaupt dazu, dass sich die Industrienationen nach demKriege, obwohl vielmals ärmer, die Einrichtung solcherSozialsysteme leisten konnten, aber heute, trotz mehrfachgrößeren Reichtums, nicht mehr finanzieren können?

Geht man dieser Frage nach, dann taucht zuerst ein zwei-

Page 494: Creutz - Das Geld-Syndrom

495

ter viel benutzter Begriff auf, nämlich der von der ›FreienMarktwirtschaft‹. Inzwischen immer häufiger von demBegriff ›Liberalisierung‹ abgelöst, wurde darunter einZurückweichen des Staates aus dem Bereich der Wirtschaftund der Abbau möglichst aller Regulierungen gemeint, ein-schließlich derjenigen, die bislang für den Begriff der Sozia-len Marktwirtschaft prägend waren.

Betrachtet man die letzten fünf Jahrzehnte im Zeitraffer,dann hat sich in Wirklichkeit eine langfristige und fastunmerkliche Verschiebung von der sozialen zu einer freienWirtschaft ergeben. Zu einer Wirtschaft allerdings, in derdie unsoziale Verteilung der Einkommen ebenso zunimmtwie die Ver- und Überschuldung von Staat und Unterneh-men und die Vorherrschaft dessen, was wir im Widerspruchzur Marktwirtschaft sehen müssen: dem Kapitalismus.

Was versteht man unter Kapitalismus?

Unter Kapital versteht man im weitesten Sinne alle Mittel,die man zum Produzieren nutzen kann, von den Naturgü-tern über die vom Menschen geschaffenen Sachwerte bishin zu seinem Verstand. Im engeren Sinn – und der ist hiergemeint – werden unter Kapital alle jene Vermögenswerteverstanden, die dem Eigentümer ein leistungsloses Ein-kommen abwerfen. Am einfachsten ist das beim Geldkapi-tal nachzuvollziehen, also bei den Ersparnissen und derenVerzinsung. Da jedoch alle Sachinvestitionen nur überFinanzierungen mit Geld zustande kommen, überträgt sichdiese beim Geldkapital erzielbare Zinsrendite auch auf allein der Wirtschaft eingesetzten Produktionsmittel, die mandeshalb auch als Sachkapital bezeichnet. Dabei spielt eskeine Rolle, ob sich dieses Kapital in privaten, öffentlichenoder genossenschaftlichen Händen befindet: In allen Fällen

Page 495: Creutz - Das Geld-Syndrom

496

muss die Verzinsung des eingesetzten Geldes gesichertsein, bevor es zu Investitionen und damit Arbeitsplätzenkommt.

Kapital ist also zinstragendes Eigentum, Kapitalist derje-nige, der über solches Eigentum verfügt, und Kapitalismusein Wirtschaftssystem, in dem die Zinserfüllung Voraus-setzung aller wirtschaftlichen Vorgänge ist. Deshalb be-zeichnet man das bei uns herrschende System oft auch alsZinswirtschaft. Alle Produktions- und Dienstleistungen, sonotwendig und sinnvoll sie auch sein mögen, kommen imKapitalismus nur zustande, wenn vorweg die Kapitalbeloh-nung (Zins/Rendite) abgesichert ist. Und da die Höhe derBelohnung vom Geldzins ausgeht und ein Fallen diesesZinses durch Geldzurückhaltung verhindert werden kann,haben wir es beim heutigen Geld mit einem Monopol zutun, das jeder Marktwirtschaft widerspricht. Noch deutli-cher: Solange unsere Wirtschaft mit dem kapitalistischenSystem verbunden ist, kann es weder eine wirklich freienoch eine soziale Marktwirtschaft geben!

Unter dem Begriff Kapitalisierung schließlich werden imKleinen jene Vorgänge verstanden, mit denen sich dieUnternehmen an den Börsen refinanzieren bzw. ihr Sach-vermögen stückweise verkaufen können. Im Großen ver-steht man unter Kapitalisierung eine Entwicklung, die allesGeschehen in der Wirtschaft den Interessen des Kapitalsöffnet und letztlich unterordnet. Und dieser Trend, alleSachvermögen zu Geld zu machen bzw. alles Geld weltweitin die Wirtschaft einzubinden, hat inzwischen eine neueDimension erreicht. Dieser Kapitalismus ist dabei, sichweltweit in einer Weise durchzusetzen, die alle bisherigenSchutzzonen für die Menschen niederzuwalzen droht. Unddiese Ausweitung ist gleichzeitig verbunden mit einemimmer schnelleren Fressen und Gefressenwerden, das sichheute bei Börsen, Banken und Unternehmen fast täglich

Page 496: Creutz - Das Geld-Syndrom

497

verfolgen lässt. Je weniger ›Fische‹ schließlich übrig blei-ben und je größer diese sind, desto mehr bleibt das auf derStrecke, was einmal als freie und soziale Marktwirtschaftbegonnen hat. Dabei wächst die Gefahr, dass die allergröß-ten und letzten Fische schließlich – wie einst die Saurier – anihrer eigenen Größe zugrunde gehen. All das lässt sichunter dem Begriff Globalisierung zusammenfassen, der inden letzten Jahren in die erste Reihe wirtschaftspolitischerSchlagworte gerückt ist.

Was heißt Globalisierung?

Unter diesem Begriff wird im Allgemeinen das Zusammen-wachsen von Märkten und Produktionen über die nationa-len Grenzen hinweg verstanden. Er steht im Grunde alsofür eine jahrtausendalte Entwicklung, die mit den erstenKontakten und Handelsbeziehungen zwischen den Völ-kern und Erdteilen begonnen und sich ständig ausgeweitethat.

Was ist nun das Neue an diesem Begriff? – Neu ist vorallem seine schwerpunktmäßige Übertragung und Konzen-tration auf jenen Bereich, der bislang nur als ein begleiten-der der Handelsströme angesehen wurde, nämlich derBereich des Geldes. Konkret: Globalisierung heute meintvor allem die Vergeldlichung unseres Planeten, die Unter-ordnung aller ablaufenden Vorgänge unter das Primat desgroßen Geldes, dessen höchste Gewinnerzielung inzwi-schen zum Sinn allen Tuns auf dieser Erde zu werdenscheint. Das auf der Welt im Übermaß angeschwollene undimmer beweglicher gewordene Geldkapital nützt inzwi-schen sämtliche Zins- und Renditedifferenzen rund um denGlobus aus, um seine Gewinne zu erhöhen. Da die vonihrer Arbeit lebenden Menschen nicht über eine vergleich-

Page 497: Creutz - Das Geld-Syndrom

498

bare Mobilität verfügen, führt diese Entwicklung tenden-ziell zu einer Verlagerung der Arbeit aus den Hochlohn- indie Billiglohnländer. Ernst Ulrich von Weizsäcker hat dieseEntwicklung 1997 mit folgenden Worten charakterisiert:

»Die globalisierte Wirtschaft führt zwangsläufig zurForderung nach einer ›Spreizung‹ des Einkommenge-fälles. Im Klartext: Die Ärmeren müssen mit ihren An-sprüchen zurückstehen, damit die Reichen sich im Lan-de wohlfühlen und vor allem nicht ihr Kapital abzie-hen . . .Eine neue Epoche, die Ära des globalen Kapita-lismus, bricht an und sie wird die Entwicklung der Ge-sellschaften in den nächsten Jahrzehnten bestimmen.«

Im Hinblick auf die heutigen weltweiten Ungerechtigkei-ten der Arbeitseinkommen, die auch eine wesentlicheUrsache der zunehmenden Immigrantenströme ist, ist einegewisse Angleichung der Löhne sicher angebracht, ja sogarnotwendig, wenn wir den Frieden in der Welt erhalten wol-len. Das heißt konkret: Die Entwicklung der Arbeitsein-kommen in den reichen Ländern muss zugunsten derarmen Länder zumindest abgebremst, z. T. auf Dauersicher auch abgesenkt werden.

Aufgrund der ständig wachsenden Ansprüche des Kapi-tals an die Ergebnisse der weltweiten Wirtschaftsleistung(deren Höhe es letztlich auch noch selbst diktieren kann!)wird diese Art von Globalisierung jedoch nicht zu einemwünschenswerten Ausgleich zwischen Arbeitseinkommenin der Welt beitragen, sondern zwangsläufig zu einemAbsenken der durchschnittlichen Löhne. Oder anders aus-gedrückt: Da das Wirtschaftswachstum, auch wenn es welt-weit ausgedehnt wird, nicht mit dem Wachstum der Geld-vermögen Schritt halten kann, müssen die Arbeitendenglobal den Kürzeren ziehen.

Page 498: Creutz - Das Geld-Syndrom

499

Für das explosiv wachsende Geldkapital ist diese welt-weite Ausdehnung und Optimierung seines Einsatzes diewahrscheinlich letzte Chance, die mit der Kapitalmassewachsenden Ansprüche noch eine Weile länger zu realisie-ren. Und das gilt zwangsläufig ebenso für die Existenz desganzen hinter dieser Globalisierung stehenden kapitalisti-schen Wirtschaftssystems. Denn nur durch die weltweiteÜbertragung des Wettbewerbs, der immer mehr die For-men eines Konkurrenzkampfes annimmt, können dieLohneinkommen in dem Umfang gedrückt werden, wie eszur Sicherung der Kapitaleinkünfte und damit des Funktio-nierens dieses Systems erforderlich ist.

Der Kapitalismus, einmal als harmloser Partner derMarktwirtschaft gesehen, hat die nationalen Standorte ver-lassen und sich über den so spielerisch klingenden Casino-kapitalismus inzwischen zu einem globalen Turbo- undBrutalokapitalismus entwickelt.

Was ist mit Liberalisierung und Deregulierung?

So wie früher Kapital und Unternehmen die Städte undGemeinden bei ihren Standortentscheidungen unter Druckgesetzt und Steuernachlässe oder günstige Rahmenbedin-gungen erpresst haben, so geschieht das heute weltweit mitden Staaten. Dabei sind diese aufgrund der Arbeitslosig-keit in fast allen Regionen besonders erpressbar. Darüberhinaus verlangen Kapital und weltweit agierende Unter-nehmen einen Abbau aller nationalen wie internationalenGesetze und Vereinbarungen, die ihren Einsatz behindern(man denke nur an die MAI- und WTO-Verhandlungen!).Gleichzeitig mit der Forderung nach besseren Konditionenund größeren Freiheiten, verlagern die weltweit operieren-den Unternehmen aber auch noch ihre Firmenzentralen in

Page 499: Creutz - Das Geld-Syndrom

500

andere Länder, in denen sie sich den Steuerzahlungen anden Produktionsstandorten oft entziehen können. Unterdem Begriff Liberalisierung und Deregulierung wird unsdas alles als positiv verkauft.

Die Staaten, die auf diese Weise nicht nur ihre Entschei-dungsspielräume verlieren, sondern auch noch Teile ihrerEinnahmen, sind dadurch gezwungen, sich vermehrt beijenen zu bedienen, die nicht über die Mobilität des Kapitalsverfügen. Das aber sind, neben den kleineren Unternehmen,vor allem die an ihren Wohnsitz gebundenen ArbeitskräfteUnd wo diese Arbeitskräfte versuchen, es dem Kapitalgleichzutun, also ebenfalls dort hinzugehen, wo die besten›Renditen‹ winken, ist seltsamerweise von Globalisierungkeine Rede mehr. Vor diesen Menschen schließen sich dieGrenzen, so offen sie auch für das Kapital immer sind.

Ist das, was unter dem Begriff Globalisierung und Libera-lisierung abläuft, vielleicht der letzte Versuch für den Kapi-talismus, noch einmal weltweit durchzustarten und übereinen erneuten Wachstumsschub die eigene Existenz füreine Weile abzusichern? Oder gibt es vielleicht danach nocheinen weiteren Versuch, sich z. B. durch Weltrauminseln,Mondbesiedelungen oder ähnlich gigantische Kapitalver-schwendungen und -vernichtungen über die Runden zuretten? Ohne Rücksicht auf die dabei weiter wachsendeDiskrepanz zwischen Arm und Reich sowie die Umweltzer-störung auf dieser Erde? Oder wird am Ende die Welt in die›Reinigungskrise‹ eines globalen Krieges gestürzt?

Was tut sich bei der Alterssicherung?

Bevor wir uns mit der Frage Krieg und Frieden befassen, sollhier noch ein spezielles und aktuelles Thema angesprochenwerden, das allerdings eher indirekt mit den hier behandel-

Page 500: Creutz - Das Geld-Syndrom

501

ten Problemfeldern vom Sozialstaat bis zur Globalisierungzusammenhängt: Die Sicherung der Alterseinkommen.

Nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen Län-dern stößt diese Absicherung über die staatlich organisier-ten Rentenkassen auf zunehmende Schwierigkeiten. Dabeispielt zweifellos einmal die zunehmende Überalterung inden meisten Industrienationen eine entscheidende Rolle,also die Verschiebung der Generationenanteile zu Lastender arbeitenden Bevölkerung. Mittelfristig gesehen werdendiese erhöhten Kosten für die ›nicht-mehr-arbeitende-Generation‹ zwar zum Teil durch sinkende Kosten für die›noch-nicht-arbeitende‹ ausgeglichen, aber angesichts derleeren öffentlichen Kassen wird die Lage trotzdem in eini-gen Ländern bedenklich.

Als Lösung des Problems werden der heute arbeitendenGeneration, die durch die Zahl der Rentner sowieso bereitsüberlastet ist, zusätzlich Altersabsicherungen auf privaterBasis nahe gelegt und z. T. auch steuerlich begünstigt. Da-bei wird, unter Ausnutzung des derzeitigen Aktienbooms,den Anlegern vorgerechnet, zu welchen Zugewinnen sieüber diese Kapitalversicherungen kommen können. So kannz. B. ein heute Zwanzigjähriger, der jeden Monat 380 DMeinzahlt, bei 6 Prozent Verzinsung seiner Einlagen im Altervon 65 Jahren mit einer Auszahlung von einer Million DMrechnen. Die Frage, woher die Differenz zwischen den Ein-zahlungen von insgesamt 205 200 DM und einer Millioneigentlich kommt, wird dabei niemals gestellt.

Dass dieser Zuwachs auf das Fünffache der laufendenEinzahlungen aus Zinsen stammt, bedarf sicher keinerErwähnung. Ebenso wenig wie der Tatbestand, dass dieseZinsen letztendlich von den gleichen Menschen zusätzlicherarbeitet werden müssen, die sich hinterher an den Zuge-winnen erfreuen sollen.

Es gibt aber noch einen weiteren problematischen As-

Page 501: Creutz - Das Geld-Syndrom

502

pekt: Bei dem heutigen Umlageverfahren fließen die Bei-träge in die Rentenversicherung praktisch gleich an dieheutigen Rentner weiter und damit direkt in die Nachfrage.Bei dem Kapitalansammlungsverfahren vergrößern dieBeiträge die Geldvermögen, die erst über den Kreditum-weg in die Wirtschaft zurückgeführt werden. Das heißt, esvergrößert sich mit den Zinserträgen, die den Einzahlernspäter einmal gutgeschrieben werden, heute schon dervolkswirtschaftliche Verschuldungszwang und mit ihm dieZinsbelastung. Und da sich bei den Versicherungen undPensionskassen riesige Anlagebeträge sammeln, üben die-se mit ihren Dispositionen einen entsprechend großenDruck auf die Kreditnehmer bzw. Fonds aus, bei denen siedie Einzahlungen zinsbringend unterbringen. Dieser mas-sierte Druck wiederum zwingt die verschuldeten Unter-nehmen zu erhöhten Einsparungen und Rationalisierungs-maßnahmen, was zwangsläufig mit Lohnkürzungen oderzusätzlichen Entlassungen verbunden ist.

Das heißt, die Einzahler müssen ihre späteren Gewinn-auszahlungen nicht nur im Voraus mit höheren Zinsantei-len in allen Preisen selbst bezahlen, sondern möglicherwei-se auch noch mit Einkommenssenkung oder sogar demVerlust des Arbeitsplatzes. Und dass solche Hochrechnun-gen auf Gewinne im Erlebnisfall auch total schief gehenkönnen, dann nämlich, wenn das Geld nur noch zum Tape-zieren taugt, haben unsere Väter und Großväter zwei Malim vergangenen Jahrhundert erlebt.

Natürlich gibt es auch die Möglichkeit, die mit den Ein-zahlungen entstehenden Geldvermögen im Ausland ›arbei-ten‹ zu lassen, ggfs. auch in Ländern auf der Südhalbkugel.In diesem Fall würden also Menschen, die viel ärmer sindals wir, für die Versicherungszugewinne geradestehen. Die-ses Beispiel zeigt noch einmal, dass die Definition der Zin-sen als versteckte Sklaverei gar nicht so abwegig ist.

Page 502: Creutz - Das Geld-Syndrom

503

30. Kapitel

Geld, Krieg undKapitalvernichtung

»Wenn der Friede die Frucht derGerechtigkeit ist, dann ist der Kon-flikt, die kriegerische Auseinanderset-zung, die Frucht der Ungerechtigkeit.«Adolf Paster*

* Präsident der Hifa-Austria, »Die Zukunft beginnt jetzt«

Die weltweiten Asylantenströme haben schon in den letz-ten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zunehmend Schlag-zeilen gemacht. Dabei spiegeln sich in den Fluchtursachenimmer wieder die Auswirkungen unseres fehlstrukturiertenWirtschaftssystems auf vielfältige Weise wider. Das gilt fürdie schulden- und zinsbedingten Umverteilungen mit demdaraus resultierenden Gefälle zwischen Arm und Reichebenso wie für die überall noch nicht gelöste Bodenfrage.Außerdem lassen inflationäre Währungsentwicklungen invielen ärmeren Ländern die Flüchtlingsströme wachsen.Und nicht zuletzt vergrößern die Industrienationen mitihren Rüstungsexporten noch die Notlage und Unterdrü-ckung in den armen Ländern.

Noch gefährlicher für den Frieden in der Welt aber istwahrscheinlich die Notwendigkeit, die wuchernden Geld-kapitalmassen renditeträchtig zu binden. Da dies trotzständigen Wirtschaftswachstums kaum in einem ausrei-chenden Maße möglich ist, kann oft nur durch partielleKapitalvernichtungen Platz für Neuanlagen geschaffenwerden. Dies geschieht bereits im Zuge von Konjunktur-

Page 503: Creutz - Das Geld-Syndrom

504

»Rüstung bedeutet ökonomisch den Abzug zinsdrückenden Kapitalsvom Markt. Und da die Rüstungsindustrie nicht für den Markt produ-ziert, bedeutet Rüstung die Trockenlegung zinsbedrohender Kapital-überschüsse auf Kosten der Steuerzahler.«

Hans Fabricius, »Telos«, Dezember 1966

»Der Krieg ist die großzügigste und wirkungsvollste ›Reinigungskrisezur Beseitigung der Überinvestition‹, die es gibt. Er eröffnet gewaltigeMöglichkeiten neuer zusätzlicher Kapitalinvestitionen und sorgt fürgründlichen Verbrauch und Verschleiß der angesammelten Vorräte anWaren und Kapitalien, wesentlich rascher und durchgreifender, als esin den gewöhnlichen Depressionsperioden auch bei stärkster künstli-cher Nachhilfe möglich ist. So ist . . . der Krieg das beste Mittel, um dieendgültige Katastrophe des ganzen kapitalistischen Wirtschaftssy-stems immer wieder hinauszuschieben.«

Ernst Winkler, »Theorie der natürlichen Wirtschaftsordnung«, 1952

»Ich glaube, dass wir in unserem Geldsystem eine Art karzinombilden-des Element haben, was unsere Wirtschaft fortwährend krank macht . . .Meiner Meinung nach kann dieses Geldsystem nur dadurch funktionie-ren, dass es immer wieder zusammenbricht und dann immer wieder vonvorn begonnen wird. Diese Zusammenbrüche nennt man dann Kriegeoder Wirtschaftskatastrophen oder Inflationen, je nachdem, aber dasbedeutet eigentlich nur, dass dieses System in sich selbst kein Regulativhat, was zu einer vernünftigen Eindämmung führen würde . . .«

Michael Ende, Autor, Interview mit Helmar v. Hanstein, 1992

»Es kann keinen Frieden auf Erden geben, ehe wir nicht die Forderungunserer Zeit erfüllen und den großen ewigen Fluch unserer Rassebeenden und jedem Arbeiter den vollen Verdienst seiner Arbeit ver-schaffen.«

Abraham Lincoln, ehemaliger Präsident der USA

einbrüchen und Wirtschaftsrezessionen, in denen es durchFirmenpleiten und -schließungen zu einer Minimierung derSachkapitalien kommt.

Noch effektiver tragen Naturkatastrophen zur Kapital-verknappung bei und noch mehr die weiträumigen Zerstö-rungen durch militärische Auseinandersetzungen in Bür-

Page 504: Creutz - Das Geld-Syndrom

505

ger- oder Völkerkriegen. Hier sind nicht nur der Verschleißan Waffen und die notwendigen Ersatzbeschaffungenlukrativ, sondern auch der nachträgliche Wiederaufbau.Mit Rüstung und Krieg kann man jedoch nicht nur auf einebesonders wirksame Weise die Überschüsse des renditesu-chenden Geldes binden, man kann damit ggfs. auch dasAbsinken der Zinsen unter jene Marke verhindern, die zumGeldstreik führt und damit zum deflationären Wirtschafts-zusammenbruch. Die Zitate in dem separaten Kasten be-stätigen diesen fast unglaublichen Tatbestand.

Hat der Krieg tatsächlich mit Zinsen zu tun?

In der Kundenzeitschrift »Sparkasse« des deutschen Spar-kassenverbandes erschien im Dezember 1988 der Nachdruckeines Artikels, der bereits rund einhundert Jahre vorher, ge-nau 1891, in der gleichen Zeitschrift erschienen war. DieserArtikel befasste sich mit der Zinsentwicklung des ausgehen-den 19. Jahrhunderts, genauer mit dem damals zu registrie-renden Trend sinkender Zinsen. Darin hieß es erklärend:

»Die Ursache für das Sinken des Zinsfußes wird vor-züglich darin gefunden, dass die besonders rentablenCapitalanlagen großen Maßstabes heute erschöpftsind und nur Unternehmungen von geringer Ergiebig-keit übrig bleiben.«

Um den damals bei drei Prozent liegenden Zinssatz vorweiterem Fall zu bewahren, müssten, so hieß es weiter:

». . . die neuen Länder, beispielsweise Afrika, sehrrasch durch europäische Capitalien erschlossen wer-den, damit einem solchen Sinken begegnet werde.«

Page 505: Creutz - Das Geld-Syndrom

506

Doch da auch das zu einer Umkehr des Zinstrends nichtausreichen würde, schließt der 1891 erschienene Artikelmit den inhaltsschweren Sätzen:

»So spricht denn alles dafür, dass wir noch einem wei-teren Sinken des Zinsfußes entgegensehen. Nur einallgemeiner europäischer Krieg könnte dieser Ent-wicklung Halt gebieten durch die ungeheure Capital-zerstörung, welche er bedeutet.«

Wie wir wissen, hat sich ein solcher »allgemeiner europäi-scher Krieg« im letzten Jahrhundert zweimal realisieren, ja,sogar weltweit ausdehnen lassen!

Haben die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegsausreichend lange vorgehalten?

Etwa zwei bis drei Jahrzehnte waren die Menschen nachdem Zweiten Weltkrieg in den kriegszerstörten Ländern mitdem Wiederaufbau beschäftigt. Angesichts dieser Aufbau-investitionen war das Kapital entsprechend knapp und mitreal fünf bis sechs Prozent lange Zeit ausreichend hoch ver-zinst. An Rüstungs- oder gar Kriegsgeschäfte dachte in die-ser Zeit kaum jemand. Im Gegenteil: Viele Unternehmerhatten damals geschworen, nie mehr in die Rüstungspro-duktion einzusteigen. Mit dem Auslaufen des Wiederauf-baus, den ersten Sättigungserscheinungen auf den Konsum-märkten und einer zunehmenden Geldvermögensbildung,kam der Zins jedoch langsam wieder unter Druck. Schon inden 60er Jahren fiel z. B. der Realzins am Kapitalmarkt inWestdeutschland im Durchschnitt auf vier Prozent zurück.

Als dann Adenauer 1956, über die Köpfe der Parla-mentsmitglieder hinweg, wieder eine Bundeswehr entste-

Page 506: Creutz - Das Geld-Syndrom

507

hen ließ, kam das Gros der benötigten Ausrüstung nochweitgehend aus fremden Produktionen. In Deutschlandsetzte man immer noch auf friedliche Methoden zur Garan-tie der Kapitalrentabilität. Vor allem forcierte man das dazunotwendige Wirtschaftswachstum durch ständige Export-ausweitung und Bedürfnisweckung im Konsumbereich.Doch sehr bald entstand hinter den Kulissen auch inDeutschland wieder eine Rüstungsindustrie, die schließlichsogar das Ausland mit ihren Qualitätsprodukten beglückte.In den 70er und 80er Jahren gewann die BRD sogar wiederAnschluss an die Siegermächte, die bereits in den 50er Jah-ren ihre Rüstungsindustrie auf Hochtouren gebracht hatten.Selbst der damalige US-Präsident und frühere Weltkriegs-general Eisenhower warnte mehrfach öffentlich vor diesergefährlichen Verselbständigung des militärisch-industriel-len Komplexes. Aber das Kapital hatte im wahrsten Wort-sinn ›Blut gerochen‹, zuerst im Koreakrieg und dann auf vie-len anderen Kriegsschauplätzen in der Welt, so dass es fürdie Zunahme der Überrüstung kein Halten mehr gab.

Der Wahnsinn des Overkills

Obwohl man jeden potentiellen Gegner letztlich nur ein-mal töten kann, reichten die Waffenarsenale und Vernich-tungskapazitäten bereits in den 80er Jahren aus, um jedenMenschen auf der Erde 15 bis 20-mal umzubringen. Der Irr-sinn dieses ständig wachsenden Overkills ist mit keinerLogik erklärbar. Niemals in der Menschheitsgeschichtehatte es ein Tötungspotential in dieser Größenordnunggegeben. Allein ein U-Boot der Tridentklasse hatte damalsbereits eine Sprengkraft an Bord, die achtmal größer warals das, was im letzten Krieg in aller Welt verschossen undals Bomben abgeworfen worden war. Und das gesamte

Page 507: Creutz - Das Geld-Syndrom

508

Zerstörungspotential wurde damals schon auf das 6000fa-che geschätzt!

Doch dieser Wahnsinn hat Methode. Er garantierte ein-mal Tausenden von Waffenschmieden und -händlern inaller Welt lukrative und staatlich abgesicherte Gewinne.Vor allem aber sorgte er mit dafür, dass die Zinsen in derWelt hoch genug blieben, um den Rückzug des Geldes vomMarkt zu vermeiden.

Die Kapitalrenditen wurden auf diese Weise zwar langeZeit abgesichert, kaum aber der Wohlstandsanstieg derMenschen. Denn mit den Waffen und Militäranlagen muss-ten sie Produkte schaffen, von denen sie nicht nur keinenNutzen hatten, sondern die letztlich sogar ihr Leben immermehr gefährden. Und für diesen Milliardenwahnsinn wur-den sie auch noch durch höhere Steuern zur Kasse gebe-ten!

Wird mit der Rüstung das Kapital nur bedient?

Mit der Rüstung wird nicht nur Kapital bedient, sondernauch gebunden, zutreffender: vom Markt genommen. Wür-de man das in die Rüstung, die Raketensilos, Kasernen undKriegsschiffe investierte Kapital im zivilen Sektor einsetzen,dann wäre das Angebot an zivilen Gütern und Leistungenauf den Märkten deutlich größer. Ein größeres Angebot anWohnungen, Konsumgütern usw. aber würde auf die Kapi-talrendite drücken und schließlich – wenn das Kapital nichtstreiken könnte – den Zins gegen Null sinken lassen. Da aberdas Geldkapital heute streiken, das heißt, sich vom Marktzurückziehen und damit schwere deflationäre Depressionenauslösen kann, sind auch die Staaten an seiner Knapphal-tung und ausreichend hohen Zinsen interessiert. Notfallssogar unter Duldung oder Förderung von Kriegen.

Page 508: Creutz - Das Geld-Syndrom

509

Statt also die Halter überschüssigen Geldes zu zwingen,dieses auch bei niedrigeren Zinsen oder sogar ohne eineBelohnung der Wirtschaft zur Verfügung zu stellen, sorgendie Staaten auf diese Weise also selbst für die heute notwen-dige Knappheit. Vergleichbar ist das mit der Praxis in derEG-Agrarmarktpolitik. Auch hier sorgt man bei allzu gutenErnten durch künstliche Verknappung des Angebotes(sprich Vernichtung) für hoch bleibende Preise, um Streiksder Bauern aus dem Weg zu gehen.

Findet diese Kapitalverknappung und -vernich-tung tatsächlich statt?

Wer zum ersten Mal von diesen Zusammenhängen hört,wird davon nichts akzeptieren wollen. Auch mir ging daslange so, bis die Indizien und Beweise zu überzeugend wur-den. Dabei braucht man sich nicht auf die Sparkassenzei-tung aus dem vergangenen Jahrhundert zu stützen. Auch inder wissenschaftlichen Literatur taucht der Vorgang derKapitalvernichtung unter Begriffen wie ›Reinigungskrise‹oder ›Beseitigung von Überinvestitionen‹ auf. Gemeint istder Zustand, bei dem der Investitions- und Güterumfang sogroß geworden ist, dass der Zins unter jene Grenze zu sin-ken droht, bei der es zu Geldzurückhaltungen und Rezes-sionen bzw. den erwähnten ›Reinigungskrisen‹ kommt.

Durch ständige Ausweitung marktferner Investitionen –von der Raumfahrt bis zur Rüstung – kann man die Not-wendigkeit solcher ›Reinigungskrisen‹ zwar eine Zeitlanghinausschieben, aber kaum auf Dauer. Irgendwann wirdeine große ›Reinigung‹ unausweichlich, die in extremerForm mit einem Staatsbankrott und der Vernichtung derWährung und aller Geldvermögen verbunden ist. Damitverschwinden auf einen Schlag besonders große Kapital-

Page 509: Creutz - Das Geld-Syndrom

510

polster aus der Welt. Die Gewinner solcher ›Reinigungen‹sind diejenigen, die rechtzeitig in Sachvermögen oderBoden umgestiegen sind, möglichst außerhalb der Krisen-oder Kriegsgebiete. Den so ›Überlebenden‹ der Kapital-vernichtung wird jedenfalls ein ganz enormer Startvorteilbeim Neuanfang beschert.

John Maynard Keynes, als Zeuge über alle Zweifel erha-ben, hat diese Zusammenhänge in etwas kompliziertererSprache beschrieben:

»Jedesmal, wenn wir das heutige Gleichgewicht durchvermehrte Investitionen sichern, verschärfen wir dieSchwierigkeit der Sicherung des Gleichgewichtes vonmorgen.«

Und als Notausgänge aus diesem Dilemma zählt er auf:»Das Bauen von Pyramiden und Kathedralen, Erdbeben,selbst Kriege«, denn, so schreibt er weiter, »zwei Pyrami-den, zwei Steinhaufen für Tote sind doppelt so gut wieeiner, aber nicht zwei Eisenbahnen von London nachYork.«

Die ›Pyramiden‹ unserer Tage sind die halb fertigen oderstillgelegten Ruinen von Atomkraftwerken oder anderenIndustrieanlagen bis hin zum ›Raketenfriedhof‹, der imOrbit kreist, von den Milliardengräbern der x-mal ver-schrotteten und erneuerten Rüstung nicht zu reden. Undalle Projekte haben nicht nur bei ihrer Entstehung Milliar-den neutralisiert. Sie benötigen oft nicht minder großeSummen für ihre Wartung und schließliche Beseitigung.

Wie war das beim ersten Golfkrieg?

Sieht man von den kriegsähnlichen Vorgängen in Jugosla-wien oder Russland ab, dann hat es seit fast 50 Jahren in

Page 510: Creutz - Das Geld-Syndrom

511

Europa keinen Krieg mehr gegeben. Darauf sind die meis-ten Politiker stolz. In Wirklichkeit ist es uns aber bislang nurgelungen, die »ungeheure Capitalzerstörung« durch Krieg,die in der Sparkassenzeitschrift als positives Mittel geschil-dert ist, durch eine ungeheure Naturzerstörung und Über-rüstung überflüssig zu machen. Doch wenn sich in der Weltdie Möglichkeit zur kriegerischen Kapitalzerstörung bot,dann war Europa immer dabei: als Lieferant der Todeswaf-fen ebenso wie hinterher beim Kapital verschlingenden Wie-deraufbau. Diese ›Stellvertreterkriege‹ waren außerdem diebeste Möglichkeit, die Leistungsfähigkeit der eigenen Rüs-tungsindustrie in der Praxis vorzuführen, um weitere Kun-den zu gewinnen. Man bedenke nur, dass »die fünf ständigenMitglieder des Weltsicherheitsrates der UNO (Großbritan-nien, UdSSR, USA, Frankreich, China), die den Weltfriedensichern sollen, die größten Waffenlieferanten der Entwick-lungsländer sind«, (»terre des hommes«, Dez. 1991).

Die ganze Skala aller für den Westen lukrativen ›Nach-kriegskriege‹ hier aufzulisten, würde zu weit führen. Hiersoll darum nur noch einmal an den ersten acht Jahre dau-ernden Golfkrieg zwischen Irak und Iran erinnert werden,der uns, trotz schnelllebiger Zeit und täglicher Berichteüber neue Kriegsschauplätze, wohl noch gegenwärtig ist.

Dieser Krieg war wohl das bisher größte ›Nachkriegsge-schäft‹ für die Waffen liefernden Länder, bei denen die›christlichen Nationen‹ immer an der Spitze lagen. Vorallem verstanden sie es dank ihrer Neutralität, gleich beideSeiten mit Rüstungsgütern zu beliefern. Und da es sich beiden Krieg führenden Ländern am Golf aufgrund der rei-chen Bodenschätze, um zahlungskräftige Kunden handelte,war der Dauer dieser Kriege kaum ein Ende gesetzt. Dochaufgrund der Zerstörungen und des wirtschaftlichen Leis-tungsrückgangs kam irgendwann der Punkt, an dem manauch in diesen Ländern wieder in die Hände spucken muss-

Page 511: Creutz - Das Geld-Syndrom

512

te, um das Funktionieren der Ölexporte und damit derZahlungsfähigkeit zu erhalten. Außerdem versprach sichschließlich auch das weltweite Kapital vom Wiederaufbaunoch größere Geschäfte, vor allem angesichts der Möglich-keit, ihn mit Krediten finanzieren zu können. So schrieb diedeutsche Wochenzeitung »Die Zeit« am 18. 10. 1987, nochvor der Beendigung der Kämpfe:

»Eine größere Zahl deutscher und japanischer Finanz-vertreter harrt in Teheran aus. Sie setzen auf die Zeitdes Wiederaufbaus nach dem Ende des Krieges . . .Wirtschaftsschäden von über 300 Milliarden habe derKrieg verursacht. Da winkt, so hoffen die Geschäfts-leute, mancher dicke Investitionsauftrag.«

Und was brachte der zweite Golfkrieg?

Der Irak unter Saddam Hussein war jahrelang – vor und imersten Golfkrieg – einer der Spitzenkunden für die westlichenund östlichen Waffenlieferanten. Dass es sich bei Hussein umeinen der übelsten Diktatoren handelt, hat dabei keinen Poli-tiker und Geschäftsmann gestört. Sie finanzierten seine Käu-fe sogar im Voraus gerne mit gut verzinsten Krediten.

Auch das Nachbarland Kuweit, dem iranischen Funda-mentalismus wenig zugeneigt, half Hussein mit respektab-len Krediten bei der Bändigung des Irans. So war es für denüberschuldeten Hussein schließlich eine doppelte Versu-chung, das kleine Kuweit einzukassieren. Einmal wurde erauf diese Weise einen lästigen Gläubiger los, gleichzeitigbescherte ihm der Überfall sprudelnde Ölquellen, mitderen Hilfe er seine Schulden in den Industrienationenleichter bedienen konnte.

Was danach kam, ist uns noch geläufig: Während sich die

Page 512: Creutz - Das Geld-Syndrom

513

gut betuchten, kampffähigen Söhne der Kuweitis in Ägyp-ten und an der Riviera vergnügten, wurde das besetzteLand von den USA und einigen Helferstaaten mit ungeheu-rem Materialaufwand (bei nicht minder großer Behinde-rung der Berichterstattung!) befreit und der Irak in dieKnie gezwungen. Allerdings nicht so weit, dass SaddamHussein abdanken musste.

Die USA hat dieser Krieg so gut wie nichts gekostet,außer ein ›paar Menschenleben‹. Wie ein Söldnerheer kas-sierte die führende Weltmacht bei allen Bündnisstaaten ab.Natürlich auch bei den reichen Scheichs, deren feudalisti-sche Herrschaftssysteme noch einmal eine Überlebens-chance erhielten.

Das weltweit tätige katholische Hilfswerk Misereor,schrieb am 26. 1. 1992 in einer Stellungnahme mit dem Titel»Golfkrieg auf Kosten der Armen«, dass die Vergleichszah-len zwischen Kriegskosten und Entwicklungshilfe »fastunvorstellbar« anmuten. Und weiter hieß es, dass mit Aus-gaben von bis zu einer Milliarde Dollar allein auf Seiten dermultinationalen Truppen, täglich (!) mehr Mittel ver-braucht worden seien, als Misereor »in den 32 Jahren seinesBestehens für die Entwicklungs- und Friedensarbeit in dergesamten Dritten Welt einsetzen konnte«.

Aber auch beim zweiten Golfkrieg war die Materialver-nichtung und Zerstörung nur die eine Seite der Profitme-daille, der anschließende Wiederaufbau die zweite. Dankihrer führenden Präsenz im Kriegsgeschehen hatten sichdie USA auch dabei den Löwenanteil gesichert. Aber dieHelferstaaten meldeten ebenfalls rechtzeitig ihre Ansprü-che an, wie der nachfolgende Kasten mit den Auszügen ausdem Berliner »Tagesspiegel« vom 12. 2. 1991 zeigt.

»Bombenerfolge« im doppelten Wortsinn sind also mitsolchen Kriegen für die Mitmacher verbunden! Und es istentlarvend, dass es bei diesem Wiederaufbau-Geschacher

Page 513: Creutz - Das Geld-Syndrom

514

Bombenerfolge für britische Industrie erhofftLondon kämpft bereits mit den USA um Aufträge

für den Wiederaufbau KuwaitsVon unserem Korrespondenten

Die Londoner Regierung fordert mit größerem Nach-druck die Beteiligung britischer Unternehmen an demWiederaufbau in Kuwait, wenn der Krieg gegen Irak ein-mal vorüber ist. Die Briten erwarten eine bevorzugteBehandlung bei der Vergabe der Aufträge, welche deneigenen militärischen Beitrag zur Befreiung des Landesin Rechnung stellt.

Der Korrespondent der Financial Times berichtet ausRiad über das Treffen: »Peinlichkeit bei den Diskussio-nen war nicht zu erkennen, obwohl Kuwait erst nochbefreit werden muss, und ein großer Teil der Infrastruktur,welche britische Unternehmen wiederaufbauen wollen,noch nicht zerstört sind.« Jede erfolgreiche britischeBombe ist daher kommerziell und finanziell auch einmöglicher Erfolg für die britischen Firmen, die gerade ineiner Zeit der Rezession dankbar für Aufträge sind. Dasgleiche gilt prinzipiell genauso für die anderen Mitglie-der der Allianz gegen Saddam Hussein, voran die USA.

sogar schon um Objekte ging, die noch gar nicht zerstörtwaren! Die schweizerische Zeitschrift »Der Zeitpunkt« be-richtete damals sogar von einem geheim gehaltenen Regie-rungsbericht, nach dem die britischen Steuerzahler »rund500 Millionen Franken für Waffen bezahlen, mit denen derIrak die eigenen Truppen des Inselreiches beschossen hat.Die Rechnung geht zurück auf eine Exportgarantie, die diebritische Regierung Firmen gewährte, die in den Irak aus-führten.« Und weiter hieß es in dem Text: »Unter dem Strichmüssen die Briten . . . also zweimal bezahlen. Einmal für dieirakischen Waffen und einmal für die eigenen, die irakischenzu zerstören. Der Kreislauf ähnelt in gewisser Weise demje-nigen, der vor allem die EG-Länder zwingt, Lebensmittel zuvernichten, deren Produktion subventioniert wurde.«

Page 514: Creutz - Das Geld-Syndrom

515

Warum eigentlich keine Rüstungskonversion?

Schon 1962 hatte der damalige deutsche BundesministerAlex Möller in seinem Buch »Währung und Außenpolitik«die Tore für eine deutsche Rüstungsentwicklung aufgesto-ßen:

»In Zeiten der Überbeschäftigung ist es durchauserstrebenswert, die Rüstungseinfuhr möglichst hochzu halten; in der Phase mäßigen Konjunkturverlaufsaber können von Rüstungsaufträgen an das Inlandvolkswirtschaftlich erwünschte Impulse ausgehen.«

Dass in Zeiten »mäßigen Konjunkturverlaufs« und derUnterbeschäftigung auch die letzten moralischen Skrupelüber Bord geworfen werden und der umgekehrte Weg einerRüstungskonversion nicht zur Debatte steht, bestätigte derBremer Bürgermeister Wedemeier im Jahr 1987:

»Rüstungsproduktion und Arbeitsplätze sind in Bre-men unzertrennbar verbunden. Angesichts von 40 000Arbeitslosen stellt sich nicht die Frage der Umwand-lung von Rüstungsplätzen in friedliche.«

Die Umstellung der Rüstungsproduktion auf friedlicheGüter wird zwar von vielen Friedensgruppen immer wiedergefordert. Oft haben sie sogar mit viel Engagement undIdealismus detaillierte Umstellungspläne für bestimmteUnternehmen ausgearbeitet. Doch so eine Produktionsum-stellung ist nicht nur eine Frage des Wollens! Sie scheitertganz einfach daran, dass eine erweiterte Produktion friedli-cher Güter das Angebot auf jenen Märkten vergrößernwürde, auf denen bereits Überversorgung besteht. DiesesÜberangebot im zivilen Sektor war ja einer der Gründe,

Page 515: Creutz - Das Geld-Syndrom

516

warum das Kapital in Bereiche drängte, die nicht rendite-drückend sind. Und das gilt nicht nur für die milliarden-schweren Investitionen in fragwürdige Hochtechnologien,sondern auch für jede Mark, die in irgendein produziertesRüstungsgut geht. Denn einmal erscheinen diese Rüstungs-güter nicht auf dem normalen Markt, zum anderen werdensie, auch im Frieden, letztlich für die Schrotthalde produ-ziert, nachdem man sie – ebenfalls Kapital verzehrend –jahrelang mit größtem Aufwand gepflegt und gewartethat.

Selbst wenn der Staat die ganze zivile Produktion derRüstungsfabriken aufkaufen und verschenken würde, z. B.an die armen Länder dieser Welt, wäre eine solche Umstel-lung für uns Bürger zwar billiger als die heutige Produktionvon Waffen, deren Pflege wir zusätzlich bezahlen müssen.Außerdem hätte eine solche Aktion Vorbildcharakter undwürde uns mehr Freunde in der Welt verschaffen als dieheutigen Waffenlieferungen. Trotzdem ist diese Rüstungs-konversion so lange eine Illusion, wie der Staat zur Wah-rung des Geldumlaufs für eine ausreichend hohe Verzin-sung sorgen, das heißt, das Kapital knapp halten muss. Undwas die Folgen dieser geldbedingten Zwänge sind, hat derevangelische Theologe Karl Barth vor rund einem halbenJahrhundert einmal in aller Deutlichkeit beschrieben:

»Wo nicht der Mensch, sondern das zinstragendeKapital der Gegenstand ist, dessen Erhaltung undMehrung der Sinn und das Ziel der politischen Ord-nung ist, da ist der Automatismus schon im Gang, dereines Tages die Menschen zum Töten und Getötetwer-den auf die Jagd schicken wird.«

Page 516: Creutz - Das Geld-Syndrom

517

31. Kapitel

Der Krieg gegen die Dritte Weltund gegen uns selbst

»Der dritte Weltkrieg hat bereitsbegonnen – ein geräuschloser, aberdeshalb nicht weniger unheilvollerKrieg. Es ist ein Krieg gegen denlateinamerikanischen Kontinent undgegen die gesamte Dritte Welt, einKrieg um die Auslandsschulden. Sei-ne schärfste Waffe ist der Zinssatz,und sie ist tödlicher als die Atom-bombe.«Luis Ignacio Silva

Das vorstehende Zitat stammt von dem bekannten brasi-lianischen Gewerkschaftler und mehrfachen Präsident-schaftskandidaten Silva, abgedruckt auf der Rückseite desBuches der US-Publizistin und derzeitigen Greenpeace-Aktivistin Susan George, »Sie sterben an unserem Geld«.Und das »Völkertribunal«, das 1988 bei der Tagung desWeltwährungsfonds in Berlin zusammenkam, hat in seinemAbschlusskommunique noch stärkere Worte gefunden:»Der Terrorismus der heutigen Welt ist der Terrorismus desGeldes.« Doch trotz dieser Aussagen bewegt sich die Dis-kussion über die Rolle des Geldes bezogen auf die sogenannte Dritte Welt weitgehend nur an der Oberfläche.Die einen beißen sich an den Banken fest, andere an denNotenbanken oder dem Weltwährungsfond. Manche be-gnügen sich sogar mit personifizierten ›Buhmännern‹ aus

Page 517: Creutz - Das Geld-Syndrom

518

der Bankenszene, um ihren Unmut auszudrücken. Aberkaum jemand steigt tiefer in die Materie ein.

Haben uns auch die Entwicklungsländer vorReinigungskrisen bewahrt?

Besonders interessant für Zins bringende Kapitalanlagenwaren in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die schonetwas fortgeschrittenen Schwellenländer in Lateinamerika,Ostasien und dem ehemaligen Ostblock. Aber auch dieärmsten Länder hat man in den 70er und 80er Jahren oft mitKrediten fast überschüttet, immer nach dem Motto, jedeMark und jeder Dollar, den man außerhalb der bereitsüberindustrialisierten Länder unterbringen kann, drückthier nicht auf den Zins, sondern bringt sogar Zinsen ein!

Ob die Menschen in den Schuldnerländern diese Krediteüberhaupt bedienen konnten, darüber hat man sich wenigGedanken gemacht: Schaffen sie es nicht, mit Hilfe der Kre-dite ihren Wohlstand zu heben, dann bleibt als ›Quelle‹ derRendite eben die Verarmung dieser Länder übrig. In wel-chem Maße das in vielen dieser Länder der Fall gewesenund auch heute noch ist, kann man zwar nicht mehr täglichin der Zeitung lesen, aber immer noch oft genug. Von einembesonders extremen Beispiel solcher Verarmung berichtetesogar die Weltbank einmal im Dezember 1992 unter demTitel, »Der gesamtwirtschaftliche Niedergang in Peru«.Daraus konnte man entnehmen, dass in diesem Land von1980 bis 1990 das Sozialprodukt von 100 auf 70 Prozentgefallen war, der durchschnittliche reale Mindestlohn sogarvon 100 auf 21 Prozent! Es bleibt die Frage, wo die Diffe-renz geblieben ist! Aber auch in Ländern mit positivenWachstumsraten sind oft die Realeinkommen der Arbeit-leistenden abgesunken, während Schulden und Zinszahlun-

Page 518: Creutz - Das Geld-Syndrom

519

gen bis heute ständig angestiegen sind. Schon seit Jahren istdieser Strom der Zinsen, der vom Süden in den Nordenfließt, zwei- bis dreimal größer als alle rückzahlungsfreienHilfen, die wir diesen Ländern zukommen lassen.

Nicht ganz zu Unrecht sind wir Bürger in den reichenIndustrienationen stolz auf unsere Spenden, die wir für dieDritte Welt aufbringen. Rund 5 000 Millionen Dollar jähr-lich, von den Hilfsorganisationen eingesammelt, sind aucheine beachtliche Summe. Doch diese 5 000 Millionen Dol-lar reichen den armen Ländern gerade, um 14 Tage ihrenZinsverpflichtungen nachzukommen. In den übrigen 350Tagen im Jahr bleibt das Zusammenkratzen dieser Gelderihr eigenes Problem. Oder anders ausgedrückt: Die Spen-den, die von allen Hilfsorganisationen in einem Jahr zusam-mengebracht werden, sind nach 14 Tagen wieder bei uns.Aber keinesfalls wieder in den Taschen der Spender. Sielanden vielmehr auf den Konten der Geldgeber, derenErsparnisse als Kredite in den Süden weitergeleitet wur-den. Sie landen also bei denen, die bereits seit Jahren aufKosten des Südens ihre leistungslosen Zinserträge bezie-hen, was wiederum Anlass ist für weitere Spendenaktio-nen.

Wie kam es zur Verschuldung der Entwicklungs-länder?

Bei dem Verschuldungsverhältnis zwischen Nord und Südspielen drei Ausbeutungsfaktoren eine wichtige Rolle:

■ die Ausbeutung über ungerechte Austauschverhältnisse,■ die Ausbeutung über die Zinsströme,■ die Ausbeutung über zu niedrige Rohstoffpreise.

Page 519: Creutz - Das Geld-Syndrom

520

Dabei löst eins das andere aus: Weil wir, die reichen Län-der, über unseren Technologievorsprung für viele Indus-trieprodukte eine Monopolposition besitzen, konnten wirdurch immer höhere Güterpreise die Austauschverhältnis-se zu unseren Gunsten verändern. Weil wir für die Leistun-gen der Entwicklungsländer keine gerechten Preise zahlen,mussten sie für ihre dringend notwendigen Importe Kredi-te aufnehmen. Weil sie die Kreditzinsen mit Devisen bedie-nen mussten, waren sie zu immer größeren Exportanstren-gungen gezwungen. Und weil sie dabei mit anderen Dritte-Welt-Ländern in Konkurrenz standen, sanken die Preisefür die an uns gelieferten Rohstoffe und Agrarprodukte,was als ein weiterer Nutzen für uns zu Buche schlug.

Welche Folgen alle diese Gegebenheiten für die Austau-schergebnisse zwischen Nord und Süd hatten und immernoch haben, geht aus dem Fluss-Schema in Darstellung 80hervor.

Die entscheidenden Weichenstellungen, die diesen Leis-tungstausch für den Süden zu einem hohen Verlustgeschäftmachen und für den Norden zu einem Gewinn, sind mit denZiffern 1–3 gekennzeichnet.

Ziffer 1 steht für den Tatbestand, dass etwa die Hälftealler Sachkapitalien auf der Südhalbkugel direkt oder indi-rekt in den Händen des Nordens sind und die daraus flie-ßenden Renditen und Gewinne dem Süden als Einkommenverloren gehen.

Ziffer 2 zeigt, dass den schuldenbedingten Zinszahlun-gen des Südens, die der Norden ohne konkrete Gegenleis-tung erhält, nur geringere leistungs- und rückzahlungsfreieZahlungen an den Süden in Form von Entwicklungshilfegegenüberstehen.

Ziffer 3 weist auf den Tatbestand hin, dass die Menschenim Norden, aufgrund technologischer wie politischer Über-legenheiten, für gleiche Leistungen höhere Einkommen

Page 520: Creutz - Das Geld-Syndrom

521

Darstellung 80:

beanspruchen und in ihre Preise einrechnen können als dieMenschen im Süden.

Die Folgen dieser weitgehend versteckten Austauschver-lustekönnenvondenbetroffenenLändern letztlichnurdurchKreditaufnahmen ausgeglichen werden. Dieser Zwang zurVerschuldung wurde durch den mehrfachen Anstieg derZinssätze und Erdölpreise jeweils noch verschärft. Zwarkonnten einige Erdöl fördernde Entwicklungsländer aus denPreisanstiegen einen Vorteil ziehen (soweit er nicht von denMultis mitgenommen wurde!), umso mehr aber trafen dieseErhöhungen das Gros der übrigen Länder.

Page 521: Creutz - Das Geld-Syndrom

522

Verstärkt wurde dieser Verschuldungsdruck in den Zei-ten hoher Erdölpreise und Zinsen noch durch die sich imNorden und bei den reichen OPEC-Ländern ansammeln-den Einkommensüberschüsse, die nach Anlagen suchten.Da es sich bei dieser Rückführung der monetären Über-schüsse auch um eine gesamtwirtschaftliche Notwendigkeithandelt, wurde dieser Prozess, trotz seiner Probleme für dieSchuldnerländer, auch aus der Sicht der übernationalenGremien als positiv gewertet.

Welche Folgen hatten die Verschuldungen?

Nach Schätzungen von Insidern wurden höchstens ein Drit-tel der gesamten Kredite für irgendwelche Investitionenverwendet. Dabei floss ein großer Teil wiederum in äußerstfragwürdige Projekte. Das gilt nicht nur für Rüstungsgüter,sondern auch für Projekte, die sich oft als Fehlinvestitionenerwiesen und manchmal heute noch als halbfertige Ruinenin der Landschaft stehen. Die restlichen zwei Drittel derGesamtverschuldung resultieren dagegen aus Aufschul-dungen zur Bedienung der Altschulden. Das heißt, die Ent-wicklungsländer haben dieses Geld überhaupt nicht in dieHand bekommen. Es wurde lediglich innerhalb der westli-chen Banken von einem Konto auf ein anderes umgebuchtund der Schuldensumme zugeschlagen. Aber auch die sogenannte westliche Wirtschaftshilfe floss überwiegend insinnfremde Investitionen, vor allem in den Import von Waf-fen. Das zeigt die Darstellung 81 die 1990 in einer Zeit-schrift der Weltbank und des IWF veröffentlicht wurde.

Sicher kann man sagen, dass zum Schuldenmachenimmer zwei gehören und niemand die Entwicklungs- undSchwellenländer zur Kreditaufnahme zwingen konnte.Bedenkt man aber die ungerechten Austauschbedingun-

Page 522: Creutz - Das Geld-Syndrom

523

Darstellung 81:

gen, dann ist der Zwang zur Kreditaufnahme bereits daherabzuleiten. Hinzu kommt noch, dass diese Länder vielfachmit geweckten falschen Hoffnungen zu Kreditkäufen ver-führt wurden. Noch leichter war es, Diktatoren und korrup-te ›Demokraten‹ für Rüstungskäufe auf Pump zu gewin-nen. Da aber bei solchen Geschäften immer der erfahrene-re und damit überlegenere Partner die Verantwortungträgt, ist die Schuldfrage eigentlich klar: Der Norden hättediese Länder in diesem Maße niemals in die Verschuldungtreiben dürfen!

Page 523: Creutz - Das Geld-Syndrom

524

Ist Schuldenerlass der richtige Ausweg?

Die Forderung, zumindest den ärmsten Ländern dieSchulden zu erlassen, ist verständlich. Soweit es sich umStaatskredite handelt, ist das auch relativ leicht möglichund hin und wieder bereits geschehen. Bei den Bankkredi-ten, die den größten Teil der Dritte-Welt-Schulden ausma-chen, ist das schwieriger. Denn das Geld, das die Bankenverliehen haben, gehört ja nicht ihnen, sondern den Einle-gern. Der korrekte Weg wäre also, in Höhe der Schulden-verzichtssummen alle Guthabenkonten anteilig herabzu-setzen.

Diese Reduzierung beider Posten um den gleichenBetrag ist bei direkt vergebenen Krediten und Zahlungs-unfähigkeit des Kreditnehmers auch die Regel: Wer seinGeld einem leiht, der Pleite macht, ist seinen Anspruchlos. Das heißt, in diesen Fällen verschwindet mit denSchulden auch ein gleich hohes Geldvermögen aus derWelt. Den Banken ist diese Risikoumlage auf die Spareraber nicht gestattet. Die Folge ist, dass sie die Verlusteselbst auffangen müssen. Das tun sie durch entsprechendeRücklagenbildungen. Etwa zur Hälfte werden diese Rück-lagen durch erhöhte Zinsmargen aufgefüllt, die sie beiallen Kreditkunden abkassieren. Die Kreditkunden wie-derum legen sie zum größten Teil auf die Preise und damitdie Endverbraucher um. Die andere Hälfte der verlorenenKredite erhalten die Banken im Normalfall vom Finanz-amt zurück, da sie die Gesamtverluste bei der Steuer ab-setzen können.

Das heißt, bei einem Schuldenerlass durch die Bankenwerden nicht etwa die Geldeinleger zur Ader gelassen, diejahrelang die Zinsen aus der Dritten Welt kassiert habenund damit die eigentlichen Verursacher der Zahlungsunfä-higkeit sind. Vielmehr müssen für solche Schuldenerlasse,

Page 524: Creutz - Das Geld-Syndrom

525

ob von Banken oder Staaten großzügig gewährt, letztlichalle Bürger geradestehen. Dabei sind vor allem jene Bürgerdie Verlierer, die keine oder nur geringe Zinsvorteile ausden ganzen Kreditgewährungen gezogen haben. Und dassind im Normalfall die ärmeren.

Da auf diese heute gehandhabte Weise bei Schuldener-lassen also keine Geldvermögen verschwinden, eskaliertdie Gesamtverschuldung in der Welt ungebremst weiter.Für die entlasteten Schuldner müssen nur möglichst raschneue gefunden werden.

Im Übrigen hat ein Schuldenerlass durch Banken zurFolge, dass das entlastete Land – ähnlich wie ein Kreditneh-mer in der Wirtschaft – als zahlungsunfähig erklärt wird.Damit ist das Land nicht nur mit einem Makel gekenn-zeichnet, es hat auch weniger Chancen, erneut Kredite zubekommen, und wenn, dann nur zu höheren Zinsen.

Was sollte statt des Schuldenerlasses geschehen?

Mit dem Schuldenmachen ist es wie mit dem Trinken: Pro-blematisch wird beides erst mit der Höhe der Prozente.Nicht das Schuldenmachen an sich ist darum die Ursachedes Übels, sondern der Tatbestand, dass dieses Schulden-machen mit Zinszahlungen verbunden ist.

Der konstruktivere Weg zur Lösung des Schuldenpro-blems ist darum nicht ein Erlass der Schulden, sondern dasAbsenken der Zinsen. Damit werden Schulden für die Kre-ditnehmer nicht nur tragbarer, sondern auch eher rückzahl-bar. Außerdem verlangsamt sich mit sinkenden Zinssätzendas Wachstum der Geldvermögen und damit der Zwang zurständigen Verschuldungsausweitung.

Bei niedrigeren Zinsen, die die Schulden tragbarer ma-chen, würden beide Seiten – Bank und Schuldner – auch

Page 525: Creutz - Das Geld-Syndrom

526

ihr Gesicht bewahren können. Bezogen auf die Verschul-dung des Südens hieße das, dass kein Land als zahlungsun-fähig erklärt zu werden brauchte. Außerdem ginge mit sin-kenden Zinsen bei allen Schulden der Ausbeutungsgradzurück. Weiterhin wären die Banken der schwierigen Ent-scheidung enthoben, welchem Land und welchem Schuld-ner sie in welcher Höhe Schulden erlassen, Entscheidun-gen, die zweifellos mit neuen Ungerechtigkeiten verbun-den sind. So würden durch einen Zinserlass jene Länderals ehrliche Dumme im Regen stehen, die bislang ihrenZinsverpflichtungen unter oft schweren Opfern nachge-kommen sind.

Weiterhin würden allgemeine Zinssenkungen Spannun-gen zwischen den Banken und Bankenzusammenbrüchevermeiden. Denn bei Schuldenstreichungen werden dieBanken, aufgrund ihres unterschiedlichen Engagements inden Entwicklungsländern, auch von unterschiedlich hohenVerlusten getroffen. Außerdem bedeutet ein Schuldener-lass die Abschreibung einer großen Summe auf einenSchlag. Zinssenkungen oder Zinserlasse verteilen sichdagegen mit kleinen Summen auf viele Jahre und werdenletzten Endes von den Sparern durch Absenkung der Gut-habenzinsen aufgefangen. Der vormalige Präsident derInternationalen Vereinigung für Natürliche Wirtschafts-ordnung (INWO), der Schweizer Werner Rosenberger, hatdarum schon Anfang der 90er Jahre der weltweiten Kam-pagne »Erlassjahr 2000«, die sich vor allem 1999 bei demKölner Wirtschaftsgipfel für die Entschuldung der ärmstenLänder eingesetzt hat, eine »Aktion Nullzins 2000« gegen-übergestellt.

Page 526: Creutz - Das Geld-Syndrom

527

Welche Folgen hätten sinkende Zinsen?

Mit jedem Prozentpunkt, um den Zinsen sinken, gehen diezinsbedingten Einkommenumschichtungen von der Arbeitzum Besitz, also von arm zu reich, zurück. Damit verringertsich die Ungerechtigkeit, die Hauptursache der sozialenund damit wiederum der politischen Spannungen. DieserAbbau ist die entscheidende Voraussetzung für den Frie-den in der Welt.

Mit sinkenden Zinsen geht auch der Investitions- undVerschuldungszwang zurück. Damit wiederum verringertsich der Wachstumszwang und die Notwendigkeit jener›Reinigungskrisen‹, mit denen heute – ob in Rezessionenoder Kriegen – die zinsdrückenden Kapitalanhäufungen abund zu verringert werden müssen. Kurz: Es verschwindendie entscheidenden Ursachen, die die Staaten heute dazuzwingen, das Spiel der Überrüstung mitzumachen oder garbewusst zu betreiben.

In einer Welt, in der die Staaten nicht mehr aus wirt-schaftlichen Gründen auf Rüstung oder Krieg angewiesensind, könnte sich vieles positiv verändern. Zum Beispielwäre es möglich, endlich Schluss zu machen mit der Dop-pelmoral in unserem Rechtssystem. Denn während dieStaaten ihren Bürgern das Faustrecht schon vor langer Zeitgenommen und Mord als schlimmstes Verbrechen einge-stuft haben, nehmen sie dieses Recht für sich selbst weiter-hin unreflektiert in Anspruch. Dabei bezieht sich diesesRecht nicht nur auf das Umbringen gegnerischer Soldaten,sondern auch auf den Massenmord an der Zivilbevölke-rung. Darüber hinaus beanspruchen die Staaten sogar dasRecht, ihre eigenen Bürger gegen deren Willen zur Ausfüh-rung dieser Verbrechen zu zwingen, in Bürgerkriegen häu-fig sogar an den eigenen Frauen und Kindern. Und dasgeschieht tagtäglich in Größenordnungen, die die Verbre-

Page 527: Creutz - Das Geld-Syndrom

528

chen aller Gangster und Sadisten, ja selbst der gesamtenMafia, zu Bagatellen werden lassen. Und diejenigen, die beidiesen Morden besonders erfolgreich sind, werden sogarals Helden mit Orden und Ehrenzeichen geschmückt odermit hohen Renten belohnt, selbst in Europa und in Län-dern, die sich christlich nennen!

Würden in den Ländern die Macht ausübenden Befug-nisse auf die Polizeigewalt reduziert, könnte auch im Straf-recht mit derartigen Widersprüchen aufgeräumt werden.Denn während Beihilfe zum Diebstahl als Delikt geahndetwird, geht Beihilfe zum Mord und Massenmord, die heutevon jedem Waffenfabrikanten geleistet wird, noch straffreiaus.

Wie das Geld, dürften Waffen nur noch mit staatlicherLizenz produziert werden und nur in dem für die Polizeierforderlichen Umfang. Jede Eigenproduktion würde – wiebeim Falschgeld – schärfstens verfolgt.

»Jede Waffe, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff,das vom Stapel läuft, jede abgefeuerte Rakete verkör-pert im Grunde einen Diebstahl an jenen, die hungernund nicht ernährt, oder an jenen, die frieren und nichtgekleidet werden.«

Dies hat kein Geringerer als Dwight D. Eisenhower, Welt-kriegsgeneral und Präsident der USA in den 50er Jahren,von sich gegeben!

Und wie sich die geldbezogenen Wirkungen in fatalerWeise zur Gewalt aufschaukeln, geht aus dem Flussschemain der Darstellung 82 hervor.

Page 528: Creutz - Das Geld-Syndrom

529

Darstellung 82:

Page 529: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 530: Creutz - Das Geld-Syndrom

Teil V

Überwindung derFehlstrukturen–Wege zu einerkrisenfreienWirtschaft

Page 531: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 532: Creutz - Das Geld-Syndrom

533

32. Kapitel

Von den Symptomen zu denKorrekturen

»Unsere demokratische Ordnungund das bisherige Finanz- und Geld-wesen können nicht mehr zusammenbestehen bleiben. Eines muss demanderen den Weg frei geben.«Vinvent C. Vickers*

* britischer Großindustrieller, von 1910–1919 Gouverneur der Bank vonEngland, »Wirtschaft als Drangsal«, 1938

Wahrscheinlich käme kaum jemand auf die Idee, gegen dasanhaltende Baumsterben durch eine Vergesellschaftungder Forstwirtschaft oder alternative Waldbauernbetriebevorzugehen. Im Bereich der Wirtschaft und hier spezielldes Geldsystems glauben jedoch allzu viele, die sich hierimmer deutlicher abzeichnenden Probleme durch Verstaat-lichung der Banken, mehr Mitbestimmung bei der Kredit-vergabe oder alternative Betriebsformen überwinden zukönnen.

Erkennend, dass irgendetwas mit dem Geld nichtstimmt, wollen andere durch lokale Ersatzgeld-Ausgaben,geldlose Verrechnungsringe usw. den Problemen entgehen.Noch Radikalere möchten – das Kind mit dem Bad aus-schüttend – gleich das gesamte Geld abschaffen. Wiederandere meinen, der Mensch müsste sich ändern, oder dasgesamte System, was immer auch darunter verstandenwird.

Page 533: Creutz - Das Geld-Syndrom

534

Wo müssen die Änderungen ansetzen?

In der nachfolgenden Darstellung 83 sind noch einmal dieEntwicklungen der Inflations- und Zinssätze in Deutsch-land wiedergegeben und zwar mit ihren vierteljährlichenVeränderungsraten von 1960 bis Mitte 2000. Zusätzlichmarkiert ist dabei die 6-Prozent-Linie, die man bis in die90er Jahre als eine Art »magische Untergrenze« für denKapitalmarktzins ansehen konnte.

Darstellung 83:

Aus dieser Darstellung gehen die entscheidenden Sympto-me hervor, die es zu überwinden gilt: Einmal die dauerndenSchwankungen der Geldkaufkraft, u. a. verantwortlich fürdie extremen Zinsausschläge und damit die auf Dauer zer-störerischen Wechselbäder zwischen Aufschwung und Re-

Page 534: Creutz - Das Geld-Syndrom

535

zession. Zum Zweiten der sich ständig im positiven Bereichbewegende Kapitalmarktzins, verantwortlich für die Über-entwicklung der Geldvermögen und Schulden mit ihrennegativen Folgen im sozialen, ökonomischen und ökologi-schen Bereich.

Aus dieser Eingrenzung ergeben sich auch die Ansätzezu einer Korrektur:

1. Die Kaufkraft unseres Geldes muss (endlich!) stabil ge-halten werden. Die Nachfrage muss dem Angebot ent-sprechen, die Geldmenge der notwendigen Nachfrage.

2. Der Zins muss den Marktkräften genauso unterstelltwerden wie alle anderen Preise und Knappheitsgewinne.Er muss mit der Sättigung der Märkte gegen Null herun-tergehen.

Um diese Forderungen erfüllen zu können, bedarf es meh-rerer Voraussetzungen:

■ Das Geld muss allen anderen öffentlichen Einrichtun-gen rechtlich gleichgestellt werden, um den Missbrauchals Spekulationsmittel einzudämmen.

■ Das Geld muss neben dem Annahmezwang mit einemWeitergabezwang verbunden werden, damit über denverstetigenden Geldumlauf die Menge steuerbar wird.

■ Geld und Guthaben müssen präzise unterschieden, dieGiralgeldbestände ggfs. dem Kreditpotential der Ban-ken entzogen werden, damit die gesamten Nachfrage-bzw. Zahlungsmittel kontrollierbar werden.

Page 535: Creutz - Das Geld-Syndrom

536

Was kennzeichnet öffentliche Einrichtungen?

Öffentliche Einrichtungen sind dadurch gekennzeichnet,dass jeder Bürger sie unter gleichen Voraussetzungen nut-zen, aber niemand sie blockieren darf. Denn mit jeder Blo-ckade einer öffentlichen Einrichtung werden anderezwangsläufig an deren Nutzung gehindert. Das gilt z. B. fürjeden, der seinen Wagen nach Beendigung der Fahrt auf derFahrbahn stehen lässt oder sich in einer Telefonzelle nachdem Anruf häuslich einrichtet.

Öffentliche Einrichtungen sind außerdem dadurch ge-kennzeichnet, dass sie niemals gleichzeitig privates Eigen-tum sein oder als solches rechtlich behandelt werden kön-nen. Denn nichts kann zwei Herren dienen, ohne dassdaraus Probleme entstehen. Ein weiteres Merkmal öffentli-cher Einrichtungen besteht darin, dass ihre Nutzung direktoder indirekt mit Kosten verbunden ist.

Überprüft man daraufhin das von den Notenbanken her-ausgegebene Geld, so gilt es in den meisten Ländern als»das alleinige unbeschränkte gesetzliche Zahlungsmittel«.Diese Einstufung und viele andere Indizien bestätigenzweifelsfrei, dass es sich bei dem heute vom Staat bzw. derdafür eingesetzten Notenbank herausgegebenen Geld umeine öffentliche Einrichtung handelt. Trotzdem wird derGeldschein gleichzeitig als privates Eigentum gesehen.Erklärt wird dieser Widerspruch mit der Einstufung desGeldes als ›bewegliche Sache‹. An beweglichen Sachenaber wird – wie die deutsche Bundesbank das einmal erläu-terte – »nach § 929 BGB Eigentum begründet«. Derjenige,der das alleinige gesetzliche Zahlungsmittel in die Handbekommt, ist also nicht nur Nutzer dieser Einrichtung, son-dern er wird sogar ihr Eigentümer. Das heißt, nicht nur dermit dem Geldschein dokumentierte Anspruch an denMarkt ist Eigentum des Geldempfängers, sondern auch der

Page 536: Creutz - Das Geld-Syndrom

537

Schein selbst. Und »da der Eigentümer mit den ihm gehö-renden Sachen grundsätzlich nach Belieben verfahrenkann (§ 903 BGB)«, bestätigte die Deutsche Bundesbank,»ist er . . . auch nicht gehindert, in seinem Eigentum stehen-de Banknoten und Münzen . . . unbrauchbar zu machen«.Dass er, nachdem ihm das Recht zur Vernichtung zugespro-chen wird, das Geld dem Kreislauf beliebig lange entziehendarf, steht wohl gar nicht erst zur Debatte.

Was ist die Folge der heutigen Rechtslage?

Die Folge dieser Einordnung des Geldes als privates Eigen-tum ist, dass jeder Wirtschaftsteilnehmer das Recht hat,den Geldkreislauf zu unterbrechen und damit die Konjunk-tur zu stören. Unter dieser irrealen Bedingung erwartetman von den Notenbanken, dass sie die Geldmenge kauf-kraftstabil steuern!

Man stelle sich einmal vor, die Bahnverwaltung würdeden Güterverkehr nach dem gleichen Modell regeln wie dieGeldverwaltungen den Geldverkehr: Wer bei der Bahn zuGütertransporten einen Waggon benutzt – zweifelsfreiauch eine ›bewegliche Sache‹ – hätte das Recht, ihn beimBe- und Entladen beliebig lange an der Rampe festzuhal-ten und damit andere an der Nutzung zu hindern. Ganzgewiss hätte die Bahnverwaltung mit der Steuerung desGüterverkehrs ähnliche Schwierigkeiten, wie die ›Geldver-waltungen‹ – also die Notenbanken – heute mit der Steue-rung des Geldes: Mal würden dem Verkehr viele Waggonsentzogen und die Bahnverwaltung wäre (mit Verzögerung)gezwungen, zusätzliche in den Verkehr zu geben. Mal gäbees zu viele Waggons auf den Schienen und die Bahnverwal-tung müsste versuchen, sie aus dem Verkehr zu ziehen oderzusätzliche Umgehungsgleise zu verlegen, usw.

Page 537: Creutz - Das Geld-Syndrom

538

Mit der Einstufung des Geldes als gleichzeitig privatesund öffentliches Gut wird jedoch nicht nur der Geldkreis-lauf strapaziert, sondern auch unser normales Rechtsemp-finden. Denn während der Blockierer einer öffentlichenEinrichtung im Allgemeinen mit Sanktionen rechnen muss,ist das beim Geld umgekehrt. Hier wird das gemeinschafts-schädigende Verhalten nicht mit Strafgebühren belegt, son-dern die Aufgabe dieses Verhaltens mit einer Prämiebelohnt. Und deren Höhe kann der Blockierer sogar nochselbst bestimmen!

Überträgt man diese Methode auf den Straßenverkehr,dann bliebe der Blockierer einer Fahrbahn nicht nur unge-schoren, sondern die an der Weiterfahrt gehinderten Auto-fahrer müssten ihm zur Freigabe der Fahrbahn sogar eineZahlung anbieten, deren Höhe ihm angemessen erscheint.Und wenn sich die Blockierungen häuften, dann müsstendie Straßenbauverwaltungen eben die Straßen verbreiternund vermehren, so wie die Notenbanken das mit der Geld-menge tun.

Warum braucht unser Geld einen Weitergabe-zwang?

Unser heutiges Geld ist nicht nur das alleinige gesetzlicheZahlungsmittel, sondern es untersteht in den meisten Län-dern auch einem Annahmezwang. Wer gegenüber einemanderen eine Forderung hat, ist also verpflichtet, die jewei-lige Währung dafür anzunehmen. Das heißt, er kann wedereine andere Währung fordern noch irgendeine andereGegenleistung. Dabei ist dieser Annahmezwang eigentlichüberflüssig, denn bekanntlich nimmt jeder gerne Geld fürdas, was er abgeben möchte. Fast alle sind sogar bemüht,ihre Leistungen in Form von Gütern oder Arbeit möglichst

Page 538: Creutz - Das Geld-Syndrom

539

schnell gegen dieses universale Zahlungsmittel einzutau-schen.

Der an das Geld gekoppelte Annahmezwang ist alsoüberflüssig. Sinn hat er allenfalls, wenn der Staat das Gelddurch Inflation ruiniert. Doch in solchen Situationen ist derAnnahmezwang kaum noch durchsetzbar. Wie wir zur Zeitin den Staaten mit hohen Inflationsraten erleben, kann mandann die Menschen von der Flucht in harte Währungenoder in den Tauschhandel nicht abhalten.

Das Gegenteil vom Annahmezwang, ein Weitergabe-zwang, der bei unserem Geld dringend erforderlich wäre,fehlt seltsamerweise. Denn so gerne jeder Geld annimmt,so ungern gibt er es wieder her. Nimmt man jedoch Geldlieber an, als man es weitergibt, muss es zu Stockungen undStörungen im Geldkreislauf kommen. Vergleichbar ist dasmit einer Straßenverkehrsordnung, die den Autofahrerzwar dazu verpflichtet, die öffentlichen Straßen zu benut-zen, ihn aber nicht dazu zwingt, sie auch wieder freizuge-ben.

Es liegt auf der Hand, dass jede Notenbank in ihrer Auf-gabe, die Stabilität zu wahren, überfordert sein muss, solan-ge die Rahmenbedingungen für den Umgang mit Geld aufdie beschriebene Weise unzulänglich bzw. falsch program-miert sind. Das gilt auch für den Tatbestand, dass Geldsowohl als Tauschmittel als auch als Wertaufbewahrungs-mittel betrachtet wird. Der deutsche Wirtschaftswissen-schaftler Wilhelm Hankel hat auf diese Problematik einmalhingewiesen:

»Die Doppelrolle des Geldes als Tauschmittel für denGüterkauf und alternativ dazu als Wertaufbewahrungs-mittel für die Vermögensbildung ist in jeder Marktwirt-schaft für Überraschungen gut. Geld ist also kein pro-duktions- und beschäftigungsneutraler ›Schleier‹, son-

Page 539: Creutz - Das Geld-Syndrom

540

dern die ständig tickende ›Zeitbombe‹, die den markt-wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen gesamt-wirtschaftlichem Angebot und gesamtwirtschaftlicherNachfrage auseinanderreißen kann.«

Um die schwerwiegenden Folgen dieser Doppelfunktion we-nigstens zu minimieren, lockt bzw. treibt man das zurückge-haltene Geld heute mit Zins bzw. Inflation in den Kreislaufzurück. Man versucht also, einen groben Fehler in der Geld-funktionsordnung durch destruktive Mittel zu beheben.

Was versteht man unter einer Geldumlaufsiche-rung?

Selbstverständlich ist Geld zwischen Empfang und Wieder-ausgabe immer auch ein ›Wertaufbewahrungsmittel‹. DieseFunktion darf dem Geld auch nicht genommen werden.Vielmehr geht es darum, den Rhythmus zwischen Geld-empfang und -ausgabe nicht durch längerfristige und vorallem schwankende Geldzurückhaltungen zu unterbrechen.Denn diese längerfristigen Geldzurückhaltungen unterlau-fen nicht nur die Geldmengensteuerung der Notenbanken,sondern lösen gravierende Störungen des Wirtschaftskreis-laufs aus. Außerdem verhindern sie durch Verknappung desKreditangebots ein marktgerechtes Absinken der Zinsen.Genau hier, bei der Möglichkeit, Geld ungestraft zurückzu-halten, liegt der Grund, warum der Kapitalmarktzins auchdann noch in positiven Größen bleibt, wenn die Wirtschafts-entwicklung gegen Null tendiert.

Da dieses gemeinschaftsschädigende Verhalten derGeldzurückhaltung nicht durch Verbote aus der Welt zuschaffen ist, muss es mit Hilfe von ›Geldhalte-‹ oder ›Nut-zungsgebühren‹ abgebaut werden. So wie der Autofahrer

Page 540: Creutz - Das Geld-Syndrom

541

die Fahrbahn freigibt um nicht mit Strafgebühren belangtzu werden, und der Waggonbenutzer den Waggon entlädt,um kein ›Standgeld‹ bezahlen zu müssen, so wird auch derGeldhalter überschüssige Kaufkraft freigeben, wenn dieZurückhaltung mit Kosten belastet wird. Die Vermeidungdieser Kosten ist natürlich nicht nur durch Geldausgebenmöglich, sondern auch durch Geldeinzahlung bei der Bank,also durch leihweise Überlassung an einen anderen.

Warum ist eine wirksame Umlaufsicherung not-wendig?

Nur wenn es den Notenbanken gelingt, durch einen verste-tigten Umlauf die herausgegebene Geldmenge mit dernachfragenden in Deckung zu bringen, ist Kaufkraftstabili-tät erreichbar.

Auf den Umlauf des Geldes können die Notenbankenjedoch heute nur indirekt Einfluss nehmen, nämlich durchdas Lockmittel Zins oder die Peitsche Inflation. Diese indi-rekten und zum Teil auf Psychologie aufbauenden Eingriffesind jedoch in ihrer Wirkung weder zeitlich noch umfang-mäßig kalkulier- und berechenbar. Die heutigen Bemühun-gen der Notenbanken zur Stabilisierung des Geldumlaufsund damit der Geldkaufkraft sind darum zum Scheiternverurteilt, so vielschichtig und kompliziert sie auch sind. Sieähneln dem Versuch eines Autofahrers, der seinen Wagenbei schlechter Sicht auf der Fahrbahnmitte halten will unddie Abweichungen erst bemerkt, wenn er bereits auf denRandstreifen geraten ist. Wirken die Steuerkorrekturenaußerdem erst mit schwankenden Verzögerungen undnimmt auch noch die Fahrgeschwindigkeit ständig zu, kannes ihm nur zufällig gelingen, das Fahrzeug einige Zeit aufder Fahrbahnmitte zu halten.

Page 541: Creutz - Das Geld-Syndrom

542

Natürlich fürchtet der Fahrer ein Abweichen in denGegenverkehr noch mehr als den unbefestigten Randstrei-fen. Genauso fürchten die Notenbanken ein Abdriften derKaufkraft in die Deflation mehr als das Ausweichen in dieInflation, auch wenn sie bei den Korrekturen riskieren,immer mehr ins Schleudern zu geraten.

Wirkt sich eine konstruktive Umlaufsicherungauch auf den ›Geldstreik‹ aus?

Das Verhalten von Menschen wird entscheidend von denVor- und Nachteilen beeinflusst, die damit verbunden sind.Bezogen auf das Geld: Bei steigenden Zins- und Inflations-sätzen nimmt die Bereitschaft zu, anderen überschüssigeEinkommen leihweise zu überlassen, bei sinkenden Sätzennimmt sie ab.

Diese Wirkungen gehen ebenfalls aus Darstellung 83(S. 534) hervor: Der Zins am Kapitalmarkt steigt zwar mitder Inflation auf und ab, sein Absinken verlangsamt sichjedoch mit der Annäherung an die markierte Untergrenzevon sechs Prozent. Selbst wenn die Inflation ›in den Kellergeht‹, wie beispielsweise 1986, blieb er in Deutschland bis-her an dieser Marke hängen. Erst in den 90er Jahren kam eszum ersten Mal zu einer deutlichen Unterschreitung. Ursa-che des ›Hängenbleibens‹ der Zinsen bei der Grenze vonvier bis sechs Prozent ist die nachlassende Wirkung derheutigen Umlaufsicherungsmittel in solchen Situationen:Die Inflation fällt als Peitsche völlig aus und das LockmittelZins ist nicht mehr groß genug, um den Geldhalter zur lang-fristigen Geldfreigabe zu bewegen.

Eine ständig gleichmäßig wirksame Umlaufsicherungwürde dagegen einen gleich bleibenden Druck ausüben,unabhängig von der Zinshöhe. Sie würde also nicht nur die

Page 542: Creutz - Das Geld-Syndrom

543

Geldmenge steuerbar machen, sondern auch dafür sorgen,dass Angebot und Nachfrage die heutige Zinsuntergrenzevon etwa 4 bis 6 Prozent durchbrechen können. Das heißt,der heute an dieser Grenze eintretende ›Geldstreik‹ könn-te verhindert werden.

Mit einer solchen konstruktiven Umlaufsicherung würdesich also die Inflation überwinden und der Zins senken las-sen. Mit sinkenden Zinsen käme es über weitere Investitio-nen schließlich zu einer Sättigung der Märkte und zu einemNachlassen des unnatürlichen Wachstumszwangs.

Zu diesen partiellen Sättigungsprozessen bedarf es je-doch keiner Leistungssteigerung. Denn dafür könnten,nach Wegfall des zinsbedingten Wachstumszwangs, die freiwerdenden Kapazitäten aus den inhumanen Produktions-bereichen eingesetzt werden, die heute nur zur rentablenBindung des weiter wuchernden Kapitals erforderlich sind,von der Rüstung über die Raumfahrt bin hin zu denRamschproduktionen und Reklameorgien.

Beispiele für zinsunabhängige Umlaufsicherun-gen – von den Brakteaten bis Wörgl

Erinnern wir uns an die im 5. Kapitel beschriebene Brakte-atenzeit im Hochmittelalter. Die Beständigkeit des Geld-umlaufs und damit der wirtschaftlichen Konjunktur wurdedamals durch regelmäßige bzw. überraschende Umtausch-aktionen des gesamten gültigen Geldes erreicht, bei denender Münzherr jeweils einen festen Anteil von 20 oder 25Prozent als ›Schlagschatz‹ oder ›Prägesteuer‹ einbehielt.Die Folge war, dass kaum jemand Geld ansammelte, denndas zu tragende Verlustrisiko war umso höher, je mehrGeld man jeweils in der Hand behielt. Der natürliche›Joker‹-Vorteil des Geldes (Dieter Suhr) gegenüber den

Page 543: Creutz - Das Geld-Syndrom

544

einzutauschenden Gütern, wurde also durch eine Art›Schwarzer Peter‹ kompensiert. Um diesen dem Geldanhaftenden Nachteil möglichst klein zu halten, war manwahrscheinlich sogar bereit, sein übriges Geld auch ohneAufschlag zu verleihen.

Ein anderes historisches Beispiel, dessen Wirkungengenauer dokumentiert sind, ist das so genannte »Wundervon Wörgl« in der Rezession der 30er Jahre. Aufgrund desdeflationären Preisverfalls und des ›Geldmangels‹ als Folgeder Geldumlaufstockungen, erlahmte damals überall dieWirtschaft. In der Tiroler Gemeinde Wörgl, einem Eisen-bahnknotenpunkt zwischen Kufstein und Innsbruck, ver-suchte der dortige sozialdemokratische BürgermeisterUnterguggenberger die Ursachen der Stagnation undArbeitslosigkeit und damit der leeren Gemeindekassen zuergründen. Schließlich wurde er bei dem deutsch-argentini-schen Sozial- und Geldreformer Silvio Gesell fündig. Indessen Hauptwerk »Die natürliche Wirtschaftsordnung«fand er die Zusammenhänge zwischen Geldumlaufstörun-gen und Wirtschaftskrise dargelegt.

Unterguggenberger verstand, dass dem Geld ›Beine ge-macht‹ werden musste. Die von ihm herausgegebenen›Arbeitsbestätigungsscheine‹, für die er im gleichen UmfangSchillinge bei der lokalen Bank hinterlegte, waren deshalbmit einem ›Umlaufmotor‹ versehen, der ihre Zurückhaltungmit Nachteilen verband. Wie Darstellung 84 zeigt, waren aufden Scheinen zwölf Felder, die monatlich mit einer Marke zubekleben waren, wenn der Nennwert erhalten bleiben sollte.Da jeder die Kosten der Klebemarke in Höhe von einemProzent des Nennwertes sparen wollte, gab man die Scheinemöglichst im gleichen Rhythmus wieder aus, in dem man sieeinnahm: Die Wirtschaft belebte sich, in die Gemeindekassefloss wieder Geld, und während ringsherum die Arbeitslosig-keit weiter anstieg, ging sie in Wörgl deutlich zurück.

Page 544: Creutz - Das Geld-Syndrom

545

Darstellung 84:

»Das Wirtschaftswunder von Wörgl« erregte weltweitesAufsehen. Der spätere französische MinisterpräsidentDaladier fuhr in die Tiroler Stadt und berichtete ausführ-lich im französischen Parlament darüber. Der amerika-nische Wirtschaftswissenschaftler Irving Fisher schickteeinen Assistenten dort hin, hielt das Modell zur Überwin-dung der US-Rezession für geeignet und bezeichnete sichselbst als »bescheidenen Schüler Silvio Gesells«. Doch alsmehrere hundert Bürgermeister Österreichs das WörglerModell nachahmen wollten, wurde es von der National-bank in Wien verboten. Sie betrachtete (mit Recht) die›Arbeitsbestätigungsscheine‹ als Geld und sah sich in ihrerAutonomie gefährdet.

Zum 50. Jahrestag dieses Wörgler Experimentes brachtedie Monatszeitung des Österreichischen Gewerkschafts-bundes »Arbeit & Wirtschaft« im März 1983 noch einmaleinen ausführlichen Bericht. Darin hieß es unter ande-rem:

Page 545: Creutz - Das Geld-Syndrom

546

Unterguggenberger hatte nichtdie Absicht, in Österreich eineneue Währung einzuführen oderdie Nationalbank in ihren Rechtenzu schmälern. Was er aber wollte,ist ihm für die Spanne von 14 Mo-naten gelungen: Mit Herz und Ver-stand hat er in die kleine Gemein-de, in der er jeden kannte, in derHunderte seiner Eisenbahnerkol-legen lebten und hungerten, einenHoffnungsschimmer getragen. Erhat ermöglicht, dass Familien sichwieder satt essen konnten, dassSchuhe und Kleider wieder einmalinstand gesetzt, dringende Schul-den teilweise abgezahlt werdenkonnten und dass aus einem ver-wahrlosten Winkel eine gepflegtekleine Stadt wurde.

Was heißt Nachfrage-, was Kreditpotential?

Wie die Einkommenzahlungen werden auch die Nachfra-gevorgänge heute sowohl mit Bargeld als auch mit derÜbertragung von Sichtguthaben (›Giralgeld‹) vorgenom-men. Beide Bestände sind also die Nachfrage- bzw. Zah-lungsmittel, mit denen der Markt geräumt wird. Die Sum-me dieser Nachfragemittel ist also das Potential, das zurErlangung eines stabilen Preisniveaus auf das Angebotabgestimmt werden muss. Umschichtungen zwischen Bar-geld und Giralgeld ändern nichts an der Größe diesesNachfragepotentials. Mit der Einzahlung von Geld auf daseigene Girokonto nimmt der Bestand darauf nur im glei-chen Umfang zu, wie der Bestand des gehaltenen Bargeldesabnimmt.

Im Gegensatz zum Nachfragepotential, das alleine vonden Notenbanken vergrößert werden kann, resultiert das

Page 546: Creutz - Das Geld-Syndrom

547

Kreditpotential in einer Volkswirtschaft aus den Einkomm-mensüberschüssen der Wirtschaftsteilnehmer, die sie ande-ren leihweise zur Verfügung stellen, ob direkt oder über dieBanken. Das Kreditpotential der Banken ist also identischmit den bei ihnen gebildeten Guthaben der Wirtschaftsteil-nehmer, zuzüglich anderer Formen von Geldaufnahmenbeim Publikum, von Schuldverschreibungen bis zu Aufsto-ckungen des Eigenkapitals.

Da die Banken auch die Sichtguthaben als Kreditpoten-tial betrachten, kommt es hier zu einer Überschneidungzwischen Nachfrage- und Kreditpotential, wie die Darstel-lung 85 mit annähernden Größen zeigt.

Darstellung 85:

Diese Überschneidung scheint auf den ersten Blick eineDoppelnutzung wiederzugeben. Doch es handelt sich umeine Nacheinanderbenutzung. Das heißt, die Bank kann dieSichteinlage des Kunden nur so lange für Kreditvergaben

Page 547: Creutz - Das Geld-Syndrom

548

nutzen, wie der Einleger nicht selbst über den Betrag ver-fügt. Wohl aber kommt es durch diese Zwischennutzung zueiner Effektivitätssteigerung. Denn während ein in bargehaltener Geldbetrag zwischen Annahme und Ausgabeungenutzt in Kassetten, Schreibtischschubladen oder Brief-taschen schlummert, wird der unbar gehaltene Bestandzwischenzeitlich in der Wirtschaft eingesetzt.

Diese Effektivitätssteigerung, die sich über die Auswei-tung des Kreditpotentials ergibt, ist jedoch ein einmaligerVorgang, der sich nur mit den Verschiebungen der Zah-lungsgewohnheiten von bar zu unbar ergibt. Diese Steige-rung der Effektivität im unbaren Bereich kann jedochdurch einen Rückgang der Bargeldmenge ausgeglichenwerden bzw. gleicht sich selbsttätig aus. Das hat sich z. B. beider Umstellung der Bargeld-Lohnzahlungen auf Konten-übertragungen in Deutschland zwischen 1950 und 1970gezeigt: Während die Bargeldmenge, gemessen am jeweili-gen Sozialprodukt, um rund zwei Prozent zurückging, nah-men die Sichtguthabenbestände nur um rund ein Prozentdes BSP zu.

Welche sonstigen Wirkungen haben die Verän-derungen der Zahlungsgewohnheiten?

Die Banken erhalten mit der zunehmenden Nutzung unba-rer Zahlungen eine zusätzliche Möglichkeit zur Kreditver-gabe und können mit den daraus resultierenden Einnah-men einen Teil der Kosten des relativ teuren Giroverkehrsabdecken. Außerdem werden sie durch den Rückgang derBargeldmenge von den damit verbundenen Refinanzie-rungskosten entlastet, müssen also weniger Zinsen an dieNotenbank bezahlen.

Aber auch für die Gesamtwirtschaft hat der unbare Zah-

Page 548: Creutz - Das Geld-Syndrom

549

lungsverkehr Vorteile, die als Einsparungen der Transakti-onskosten und Zeiteinsparungen zu Buche schlagen.

Problematisch ist allerdings, dass der Einfluss der Noten-banken auf die Sichtguthabenbestände, im Unterschiedzum Bargeld, nur ein indirekter ist. Außerdem kann esdurch größere Umschichtungen von normalen Bankeinla-gen auf die Sichtguthaben zu einem Anstieg der Liquiditätin den Händen der Guthabenbesitzer kommen. SolcheSchwankungen der Geldhaltungen, die auch beim Bargeldzu registrieren sind, treten vor allem in Zeiten sich verän-dernder Zins- und Inflationsraten auf (siehe Kapitel 10).Auch wenn diese spekulativen Umschichtungen innerhalbder Geldbestände nur zu einem geringen Teil in die Nach-frage gehen, bildet sich hier ein Unsicherheitspotential, dasdie Stabilitätspolitik der Notenbanken erschwert. Das giltvor allem für eine überproportionale Zunahme der Bar-geldhaltung, die durch den Rückgang der Kreditgewäh-rungsmöglichkeiten zu einem plötzlichen Rückgang dervorbeschriebenen Effizienzsteigerung führen kann. Daseigentliche Problem hängt also weniger mit den meist kon-tinuierlich verlaufenden Veränderungen der Zahlungsge-wohnheiten zusammen als mit der plötzlichen Zu- oderAbnahme der Bargeldkassen. Es wäre darum sinnvoll, übereine Trennung des unbaren Zahlungsverkehrs von den all-gemeinen Kreditgeschäften nachzudenken. Ähnlich wievor rund hundert Jahren die von den Geschäftsbanken her-ausgegebenen Banknoten von den Notenbanken als offi-zielles Geld übernommen wurden, könnte das auch heutemit der Übernahme des von den Geschäftsbanken her-ausgegebenen Giralgeldes geschehen. Mit dieser klarenTrennung zwischen Nachfrage- und Kreditpotential, die inder Darstellung 86 wiedergegeben ist, würde sich darüberhinaus auch eine klare Trennlinie zwischen den Aufgabenund Verantwortlichkeiten der Notenbanken und der Ge-

Page 549: Creutz - Das Geld-Syndrom

550

schäftsbanken ergeben. Außerdem könnte auf all jeneMischgrößen aus Geld und Guthaben verzichtet werden,die heute unter den verschiedensten Geld- und Geldmen-genbegriffen die Köpfe verwirren.

Darstellung 86:

Wer kann die Rechtsordnung des Geldeskorrigieren?

Die Aufrechterhaltung einer Demokratie auf der Grundla-ge eines undemokratischen Geldwesens, kann auf Dauernicht möglich sein. Das bestätigt auch der in Kehl lehrendeVerwaltungsjurist Roland Geitmann:

»Das vom Staat als Tauschmittel und Wertmesser aus-gegebene Geld sollte zwischen den Wirtschaftsteilneh-mern neutral vermitteln, es begünstigt jedoch denGeldbesitzer und widerspricht dadurch zentralen Prin-

Page 550: Creutz - Das Geld-Syndrom

551

zipien unserer Verfassung, insbesondere den Frei-heitsrechten, dem Gleichheitssatz, dem Eigentums-recht, dem sozialen Rechtsstaat und dem Ziel desgesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts.«

Zur Korrektur unserer Geld-Rechtsordnung sind deshalbals Erstes die Juristen gefragt, vor allem die der Bundes-bank. Denn die Doppelfunktion des Geldes, sowohl alsöffentliche Einrichtung als auch privates Eigentum, mussgeändert werden, wenn wir es mit dem Bemühen, unserGeld und mit ihm unsere Volkswirtschaften stabil zu hal-ten, ernst meinen.

Der Verfassungsrechtler Dieter Suhr hat bereits in den80er Jahren in seinen Veröffentlichungen mehrfach auf dieVerfassungswidrigkeit unseres Geldes hingewiesen. Vorallem darauf, dass unser Geld kein neutrales Tauschmittelist, sondern ein gravierend parteiliches Medium, da es fürdenjenigen, der Geld übrig hat, mit einem Mehrwert ver-bunden ist, den andere erarbeiten müssen. Die Überprü-fung unserer Geldordnung aus rechtlicher Sicht ist alsogrundlegender Natur.

Als Folge dieses Fehlers verschiebt sich in den Länderndie Macht immer stärker von der Politik zum Geld. Undeine wirklich freie und soziale Marktwirtschaft kann es solange nicht geben, wie sich das wichtigste Medium, dasGeld, den Kräften des Marktes entziehen und die Scherezwischen Arbeit und Besitz ständig ausweiten kann.

Page 551: Creutz - Das Geld-Syndrom

552

33. Kapitel

Die Auswirkungen derKorrekturen

»Ein in die Natur integriertes Geldkann wegen des ›Rostens‹ nicht mehrohne Nachteil für den Inhaber ausdem Wirtschaftskreislauf zurückge-zogen werden, sondern es muss sichden Märkten als Tauschmittel zurVerfügung stellen, auch wenn es nichtmehr wie bisher mit Zins und Zinses-zins ›angemessen bedient‹ wird. DasGeld wird also verteilungsneutral.«Werner Onken*

* Ökonom, Redakteur der »Zeitschrift für Sozialökonomie«, in »Gerech-tes Geld – Gerechte Welt«, 1991

Was bewirkt die Rückhaltegebühr?

Die Umwandlung des privaten Eigentumsrechts in einBesitz- und Nutzungsrecht schafft die Voraussetzung zurEinführung einer entsprechenden Geldnutzungsgebühr.

Da diese Nutzungs- oder Rückhaltegebühr auf die Geld-haltung einen gleich bleibenden Druck ausübt, bedarf eszur Umlaufsicherung des Geldes in der Wirtschaft keinesständig positiven Zinses mehr und schon gar nicht einerInflation. Aufgrund dieses gleich bleibenden Freigabed-rucks auf überschüssiges Geld dürfte die heutige ›magischeUnter-

Page 552: Creutz - Das Geld-Syndrom

553

grenze‹ des Kapitalmarktzinses sehr schnell durchbrochenwerden. Denn das Zurückhalten von Geld ist dann nichtnur mit dem Verzicht auf Zinsen verbunden, sondern mitkonkreten Kosten. Als Folge wird der Guthabenzins beiausgeglichener Angebots- und Nachfragesituation amKapitalmarkt im Endeffekt um Null pendeln, die Kredit-zinsen um die Größe der Bankmarge darüber liegen. Miteinem Zins um Null aber hätten wir ein »neutrales Geld«(Dieter Suhr), das nur noch dienende Funktionen in derWirtschaft ausüben kann, keine herrschenden mehr.

Was wären die konkreten Folgen der Trennungzwischen Nachfrage- und Kreditpotential für dieNotenbanken?

Da das Verrechnungs- oder Giralgeld nur durch Umwand-lung aus Bargeld entstehen kann und gegenüber den ande-ren Guthabengrößen klar abgegrenzt ist, haben die Noten-banken das gesamte Nachfragepotential im Griff und unterständiger Kontrolle.

Da alle Geldhalter – auch die Banken – aufgrund derGeldhaltegebühren ihre Bestände an den tatsächlichenMarktbedürfnissen orientieren, kommt es außerdem zueiner deutlichen Reduzierung des Nachfragepotentials undschließlich zu einer Übereinstimmung mit dem Angebot.Anders ausgedrückt: Die Summe der herausgegebenenGeldmenge wird mit der nachfragenden identisch. Damitwiederum wird die Kaufkraftstabilität erreichbar. Einwir-kungen der Notenbanken auf die Zinshöhe als Hilfsmittelder Mengensteuerung erübrigen sich. Die Zinsbildung istallein Sache des Marktes, so wie die Stabilität der Kaufkraftallein Sache der Notenbanken ist.

Page 553: Creutz - Das Geld-Syndrom

554

Die Notenbanken brauchen also nur aktiv zu werden,wenn sich das Preisniveau verändert. Ein Ansteigen desPreisniveaus signalisiert immer ein Zuviel an Geld, einAbsinken des Preisniveaus ein Zuwenig. Da durch dieUmlaufsicherung Geldmenge und Nachfrage gekoppeltsind, ohne Leerlauf und Zeitverzögerung, ergibt sich überdie Stabilhaltung des Preisniveaus automatisch auch dierichtige Geldmengenanpassung an eine zunehmende (oderabnehmende) Wirtschaftsleistung. Spekulative Vorausbe-rechnungen der Geldmenge mit Hilfe komplizierter Erfas-sungen der verschiedendsten statistischen Daten, mitdenen trotzdem keine Stabilitätssicherheit zu erreichen ist,erübrigen sich. Vor allem, weil sich die inaktiven und inihren Reaktionen unberechenbaren Geldansammlungenim In- und Ausland automatisch abbauen werden.

Die Inumlaufsetzung zusätzlich erforderlicher Kaufkraftkönnte am einfachsten über eine Geldausgabe an den Staaterfolgen, ähnlich wie das heute im Allgemeinen mit denGewinnüberschüssen der Notenbanken geschieht. Dieseszusätzlich ausgegebene Geld müsste vom Staat umge-hend für Projekte ausgegeben werden, die bislang an Fi-nanzierungskosten gescheitert sind. Damit würde gewähr-leistet, dass das zusätzliche Geld auch nachfragewirksamwird.

Zeigt ein ansteigendes Preisniveau ein Zuviel an Kauf-kraft an, dann wird der Staat zur Rückgabe von Geld ver-anlasst und damit zu einer Reduzierung seiner Ausgaben.Geldausgabe und -rückzug könnte ggfs. über An- undVerkauf unverzinster aber jederzeit kündbarer Schuld-verschreibungen erfolgen. Der heutige umständliche, unge-naue und zeitraubende indirekte Weg der Geldmengen-steuerung über die Geschäftsbanken mit Hilfe ständigerLeitzinsveränderungen, würde völlig überflüssig.

Page 554: Creutz - Das Geld-Syndrom

555

Was ändert sich für die Geschäftsbanken?

Auch für die Geschäftsbanken würden sich durch die Tren-nung des Geld- und Guthabenbereichs klare Verhältnisseergeben. Sie sind einmal für die Abwicklung des baren undunbaren Zahlungsverkehr zuständig, zum anderen für dieWeitergabe überschüssiger Einkommen als Kredite in dieWirtschaft.

Da die Banken die Kosten des unbaren Zahlungsver-kehrs nicht mehr mit Zinserträgen aus der Ausleihung derSichtguthaben finanzieren können, müssen sie diese denKunden direkt in Rechnung stellen. Werden diese Kostennicht mehr auf die Buchungsvorgänge umgelegt, sondernauf die gehaltenen Giralgeldbestände, reduzieren sich auchdiese – wie beim Bargeld – auf das notwendige Optimum.Ob die Giralgeldbestände darüber hinaus noch mit einerUmlaufsicherungsgebühr belegt werden müssten, würdedie Praxis ergeben.

Auch die Dienstleistungen im Bargeldbereich solltensich die Banken nach dem Verursacherprinzip – ähnlich wieheute beim Sortentausch – über Provisionen bezahlen las-sen. Mit solchen Gebühren für die Bargeldein- und -aus-zahlungen können die Banken auch die Kosten abdecken,die sie ihrerseits der Notenbank als Geldhaltegebühr fürdie Bestände in der Kasse und ihre Reserven in Zentral-bankgeld bezahlen müssen.

Bundesbank und Geschäftsbanken haben im Wesentli-chen also nur noch Berührungspunkte im Bereich derGeldversorgung. Umgekehrt ist die Kreditvergabe an dieWirtschaft nur noch Sache der Geschäftsbanken und alleinan der Größe der Ersparnisse orientiert. Die Zu- undAbnahme dieser Bestände ist ohne jeden Einfluss auf dasNachfragepotential.

Page 555: Creutz - Das Geld-Syndrom

556

Ergibt sich im Bargeld- oder Giralgeldbestand eines Wirt-schaftsteilnehmers ein Überschuss, dann wird er ihn zurKostenminimierung auf ein Guthabenkonto übertragen.Damit vergrößert sich das Kreditpotential der Banken undgleichzeitig ihr Kassenbestand an Zentralbankgeld, dasindirekt über die Kredite wieder in den Kreislauf zurück-fließt. Hebt ein Sparer sein Guthaben ab, muss die Bank ingleicher Höhe die Kreditgewährungen reduzieren.

Alle Kreditgewährungen sind damit immer gedeckt. IhreRückzahlung, wie die Risikovorsorge ist allein Sache derBanken. Ebenso die Einrichtung aller erforderlichengemeinschaftlichen Absicherungs- und Clearingstellen.Die Notenbanken haben mit diesen Vorgängen – abgese-hen von der Überwachung ihrer Ordnungsmäßigkeit –direkt nichts zu tun und dürfen auch nicht mit ›frischemGeld‹ einspringen.

Wie der Zins, muss auch die Regulierung der Wechsel-kurse den Märkten überlassen werden. Die Notenbankenhaben nur dafür zu sorgen, dass der freie Devisen- undKapitalverkehr mit dem von ihnen herausgegebenen Geldnicht spekulativ missbraucht werden kann.

Wie bilden sich nach der Geldordnungsreformdie Zinsen?

In der Darstellung 12 wurde bereits gezeigt, dass der Gut-habenzins sich heute aus drei Teilen zusammensetzt: DemGrundzins (Liquiditätsprämie), einem Knappheits- undeinem Inflationsaufschlag.

Die Liquiditätsprämie wird durch die Umlaufsiche-rungsgebühr gewissermaßen neutralisiert und verschwin-det weitgehend aus dem Zins. Mit der zunehmend präziserwerdenden Geldmengensteuerung baut sich auch der Infla-

Page 556: Creutz - Das Geld-Syndrom

557

tionsanteil im Zins ab. Was dann noch als schwankende Grö-ße übrig bleibt, ist der Knappheitsaufschlag. Aufgrund desDrucks auf die Freigabe des Geldes, sinkt auch dieser Zins-anteil mit den Sättigungen am Kapitalmarkt gegen Null. Inanzustrebenden ausgeglichenen Konjunkturlagen dürfte derGuthabenzins dann um diese Marke pendeln.

Natürlich gilt dieses Pendeln um Null nicht für alle Gut-habenzinsen gleichermaßen. Wie die Darstellung 87 alsSchema zeigt, wird es vielmehr – genauso wie heute – auchnach der Reform, je nach Marktlage und Einlagedauer,eine ›Zinstreppe‹ geben.

Darstellung 87:

Die heutige nur im positiven Bereich liegende Abtreppungwird also immer mehr nach unten sinken und sich schließ-lich weitgehend unter Null bewegen. Geringe positive Zin-

Page 557: Creutz - Das Geld-Syndrom

558

sen wird es höchstens noch für langfristige Geldüberlassun-gen geben. Die kurzfristigen Ersparnisse werden dagegenmit Negativzinsen belastet sein. Somit besteht auch hier einSog zur Umbuchung auf längerfristige Anlagen.

Natürlich bedeutet ein Guthabenzins um Null keine kos-tenfreien Kredite! Der Kreditnehmer wird weiterhin mitden Bankvermittlungskosten belastet, mit denen auch dasKreditrisiko abgedeckt wird. Die Annahme, dass bei einemNullzins alle Welt Kredite aufnimmt, ist also unbegründet.Außerdem wird auch auch bei Zinsen um Null die Bank aufdie entsprechenden Sicherheiten achten. Und käme es tat-sächlich zu einem Run auf Kredite, dann würde sich natür-lich wieder ein positiver Knappheits- und damit Guthaben-und Kreditzins bilden. Im Übrigen hat das Beispiel Japangezeigt, dass auch bei einem Nullzins nur dann Kredite auf-genommen werden, wenn die damit getätigte InvestitionGewinn verspricht.

Wie könnte man dem Geld Beine machen?

Wenn Geld gleichmäßig in Umlauf bleiben soll, muss esunter einem gleich bleibenden Umlaufdruck stehen. Mitdiesem Umlaufdruck wird der Vorteil des Geldes gegen-über den Waren und der Arbeit kompensiert bzw. neutrali-siert.

Man kann das wieder mit einem Straßenverkehrs-Ver-gleich verdeutlichen: Wenn die Strafgebühren für das Par-ken auf der Fahrbahn in ihrer Höhe ständig schwanken, istauch das Ergebnis schwankend: Bei höheren Gebührenklappt der ›Fahrzeugumlauf‹ auf den Straßen, bei zu niedri-gen nehmen die Behinderungen des Verkehrs durch abge-stellte Fahrzeuge zu. Auch hier kann nur mit gleich bleiben-den Gebühren ein gleich bleibendes Verhalten erreicht

Page 558: Creutz - Das Geld-Syndrom

559

werden. Dabei müssen die Gebühren mindestens so hochsein, dass die Vorteile des Parkens auf der Fahrbahn (kurzeWege, bequemes Einsteigen usw.) aufgehoben werden.

Die Einführung solcher Gebühren ist beim Giralgeld –falls die bankinternen Gebühren nicht genügen – äußersteinfach. Hier kann die Notenbank durch die Geschäftsban-ken bestandsbezogene Geldhaltekosten abbuchen lassen,z. B. in Höhe von jeweils einem halben oder einem Prozentpro Monat. Das heißt, alle Giralgeldbestände werden prak-tisch mit einem Negativzins von 6 bzw. 12 Prozent im Jahrbelastet. Mit dieser Belastung würde erreicht, dass dieliquiden Bestände auf den Girokonten den ausgabebezoge-nen Notwendigkeiten angepasst bleiben. ÜberschüssigeBestände würden auf normale Bankguthaben übertragenund könnten damit anderen Wirtschaftsteilnehmern zurVerfügung gestellt werden. Für Zahlungsvorgänge undUmbuchungen innerhalb des Banken- und Finanzwesens,z. B. für Käufe an den Börsen usw., könnte man ggfs. spezi-elle bankinterne Möglichkeiten schaffen, die den normalenGeldkreislauf nicht berühren.

Relativ einfach wäre es auch, wenn sich statt des Bargel-des die vorausbezahlten Geldkarten durchsetzen würden,bei denen man über Chip oder Magnetstreifen eine zeitbe-zogene Wertabbuchung einbauen könnte. Beim heutigenBargeld ist die Sache mit der Umlaufsicherung dagegenschwieriger. Hier gibt es keine direkte Möglichkeit, dieBestände bei den Wirtschaftsteilnehmern zu erfassen undzu belasten. Das ist auch gut so, denn mit ›gläsernenTaschen‹ wären wir Diktaturen Orwell’scher Prägung nocheher ausgeliefert. Nicht die Freiheit der Geldnutzung gilt eszu beschneiden, sondern lediglich seinen Missbrauch.

Page 559: Creutz - Das Geld-Syndrom

560

Welche praktischen Möglichkeiten bestehenbeim Bargeld?

Der regelmäßige Einzug des gesamten Geldes mit einemUmtauschabschlag wie im Hochmittelalter steht nicht zurDebatte. Er wäre viel zu kompliziert, aufwendig und markt-störend. Auch ein Klebe- oder Stempelgeld wie in Wörglwäre eine relativ aufwendige Sache, obwohl heute eineAbstempelung an Automaten durchaus denkbar wäre. Vorallem wenn man berücksichtigt, dass sich die derzeitigeGeldscheinmenge bei einer kontinuierlichen Nutzung aufein Bruchteil reduzieren würde. Außerdem muss man imAuge haben, dass auch heute bereits jährlich etwa ein Drittelaller Geldscheine wegen Verschmutzungen und Beschädi-gungen aus dem Verkehr gezogen und gegen neue Scheineumgetauscht wird. Diese notwendige Umtauschhäufigkeitwürde sich nach Einführung einer Umlaufsicherung durchdie verringerte Geldscheinmenge und den höheren Abnut-zungsgrad sogar noch erhöhen. Im Übrigen ist für die Um-laufsicherung keinesfalls ein Gesamteintausch erforderlich.Man könnte auch alle Geldscheine mit großen Buchstabenoder Zahlen in drei oder vier Serien unterteilen, von denenjeweils nur eine Serie zum Umtausch aufgerufen wird. Oderman könnte eine einzelne Notengröße aufrufen, was ohneÄnderung der heutigen Geldscheine jederzeit einzuführenist. Noch einfacher und wirkungsvoller wäre eine regelmäßi-ge Auslosung nach dem Lottokugelprinzip z. B. an jedemSamstag oder einmal im Monat. Dabei könnte man denGeldscheinkugeln so viele Blindkugeln beifügen, dass es nurrelativ selten zum Umtausch einer Geldscheingröße kommt,aber die Verlustmöglichkeit immer in Erinnerung gehaltenwird. Außerdem könnte man für die größeren Stückelun-gen, in denen das Geld am häufigsten gehortet wird, mehre-re Kugeln in die Trommel geben.

Page 560: Creutz - Das Geld-Syndrom

561

Eine solche Umtauschaktion erscheint vielleicht auf-wändig und schwierig. Sie ist jedoch viel einfacher als dieheutigen Lottoausspielungen, die sogar mehrmals in derWoche stattfinden. Denn der zum Umtausch aufgerufeneGeldschein kann mit dem festgelegten Abschlag überall inZahlung gegeben werden und verschwindet über die Ban-ken sehr rasch aus dem Verkehr. Die neu herausgegebenenScheine würden sich dann durch Farbe und Gestaltungdeutlich unterscheiden, zweckmäßigerweise auch in denMaßen, womit die alten Scheine sich beim Bündeln heraus-heben würden. Rechtlich ist ein solcher Umtausch in man-chen Ländern heute schon möglich. So heißt es z. B. imGesetz der Deutschen Bundesbank, Abs. 2 Par. 14: »DieDeutsche Bundesbank kann Noten zur Einziehung aufru-fen. Aufgerufene Noten werden nach Ablauf der beim Auf-ruf bestimmten Umtauschfrist ungültig.«

Hilfreich wäre es in diesem Zusammenhang, wenn man –wie z. B. in Deutschland noch bis vor gut zehn Jahren üblich– die Geldscheine mit einem aufklärenden Aufdruck verse-hen würde, der nicht nur die Geldfälschung mit Konse-quenzen bedroht. Schon Ende der 80er Jahre haben dieTeilnehmer eines Geldseminars an der Katholischen Aka-demie in Trier einen solchen erweiterten Vorschlag für das›Kleingedruckte‹ ausgearbeitet, der auf S. 562 wiedergege-ben ist.

Möglicherweise würde schon eine solche Ankündigungauf den Geldscheinen eine ähnliche Wirkung haben wie diein einer Schweizer Gemeinde, unzulässiges Parken mit 200Franken, im Wiederholungsfall mit 1 000 Franken zubestrafen: Fahrbahnen und Bürgersteige blieben frei vonabgestellten Fahrzeugen ohne aufwändige Kontrollen undInstallierung von Pollern, Blumenkübeln und anderen Hin-dernissen.

Genügt jedoch der Aufdruck auf den Geldscheinen

Page 561: Creutz - Das Geld-Syndrom

562

nicht, dürfte ein einmal durchgeführter Umtauschaufrufmit einem deutlichen Abschlag, beispielsweise für einender größeren Scheine, lange Wirkung haben. Mit einer sol-chen Maßnahme könnten auch die ›Auswanderungen‹ desGeldes minimiert werden, die heute, vor allem in inflations-trächtigen Ländern, als Ersparnisse gehortet oder alsZweitwährung genutzt wird.

Page 562: Creutz - Das Geld-Syndrom

563

Was sagt die Wirtschaftswissenschaft zur Frageder Umlaufsicherung?

Sieht man von den Veröffentlichungen Felix G. Binn’s ab,(1932 bis 1986) und den Büchern des in Berlin lehrendenBernd Senf, findet man in der Literatur nach 1950 kaumeinmal eine Veröffentlichung eines Wirtschaftswissen-schaflers zu dem Themenkomplex Umlaufsicherung.

Der Amerikaner Friedman hat mit seiner ›ChicagoerSchule‹ zwar die Bedeutung der Geldmenge für die Stabil-haltung der Währungen wieder in den Vordergrundgestellt, sich mit der Frage der Umlaufsicherung jedochkaum befasst. Binn hat dessen Theorie darum als »naivenMonetarismus« bezeichnet.

Fündig wird man in Sachen Umlaufsicherung jedoch inder ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts, z. B. beiIrving Fisher, der dem Versuch von Wörgl große Bedeutungzugemessen und 1933 geschrieben hat, das umlaufgesicherteGeld – von Gesell als »Freigeld« bezeichnet – »könnte derbeste Regulator der Umlaufgeschwindigkeit des Geldessein, die der verwirrendste Faktor in der Stabilisierung desPreisniveaus ist«.

Besonders intensiv hat sich auch John Maynard Keynesin seinem Hauptwerk, »Allgemeine Theorie der Beschäfti-gung, des Zinses und des Geldes«, mit den Anregungen Ge-sells befasst und ihm mehrere Seiten gewidmet. Auch wennKeynes die Theorie Gesells für unvollständig hielt, weil dar-in der Liquiditätsvorteil des Geldes nicht genügend beachtetsei, ist er mit ihm im Ansatz und Ziel weitgehend einig. Ähn-lich wie Gesell sieht er in der Überlegenheit des Geldes überalle Waren ein Problem und schreibt in seinem Buch:

»Jene Reformatoren, die in der Erzeugung künstlicherDurchhaltekosten des Geldes ein Heilmittel gesucht

Page 563: Creutz - Das Geld-Syndrom

564

haben, zum Beispiel durch das Erfordernis periodi-scher Abstempelungen der gesetzlichen Zahlungsmit-tel zu vorgeschriebenen Gebühren, sind somit auf derrichtigen Spur gewesen; und der praktische Wert ihrerVorschläge verdient, erwogen zu werden . . . Der hin-ter dem gestempelten Geld liegende Gedanke istgesund.«

Während Silvio Gesell von ›rostenden Banknoten‹ undRudolf Steiner von ›alterndem Geld‹ gesprochen hat – siewollten das Geld den Eigenschaften der Güter anpassen –hat Keynes den Begriff ›Durchhaltekosten‹ (carrying costs)in die Diskussion eingebracht. Dabei hatte er nicht nur dasanzustrebende Gleichgewicht zwischen Geld und Güternim Blick, sondern beachtete auch die Folgen solcher Durch-haltekosten für die Kapitalrendite. Keynes erkannte, dassein Geld, zum Angebot gezwungen wie die Güter und diemenschliche Arbeit, enorme positive Wirkungen habenwürde:

»Wenn ich Recht habe mit meiner Annahme, dass esverhältnismäßig leicht sein sollte, Kapitalgüter soreichlich zu machen, dass die Grenzleistungsfähigkeitdes Kapitals null ist, mag dies der vernünftigste Wegsein, um allmählich die verschiedenen anstößigen For-men des Kapitalismus loszuwerden. Denn ein wenigÜberlegung wird zeigen, was für gewaltige gesell-schaftliche Veränderungen sich aus einem allmähli-chen Verschwinden eines Verdienstsatzes auf ange-häuftem Reichtum ergeben würden. Es würde einemMenschen immer noch freistehen, sein verdientes Ein-kommen anzuhäufen, mit der Absicht, es an einemspäteren Zeitpunkt auszugeben. Aber seine Anhäu-fung würde nicht wachsen.« (S. 185)

Page 564: Creutz - Das Geld-Syndrom

565

An anderer Stelle seines Buches nennt er die sozialen Aus-wirkungen noch deutlicher beim Namen:

»Obschon dieser Zustand nun sehr wohl mit einemgewissen Maß von Individualismus vereinbar wäre,würde er doch den sanften Tod des Rentiers bedeutenund folglich den sanften Tod der sich steigerndenUnterdrückungsmacht des Kapitalisten, den Knapp-heitswert des Kapitals auszubeuten . . . Ich betrachtedaher die Rentnerseite des Kapitalismus als eine vor-übergehende Phase, die verschwinden wird, wenn sieihre Leistung vollbracht hat.« (S. 317)

Die ›Leistung‹, die das Zins tragende Kapital zu erfüllenhat, ist die der Überwindung der Knappheit an Produk-tionsstätten und Gütern, mit der sich ebenfalls die Knapp-heitszinsen und Renditen gegen Null abbauen würden,wenn dem Geld selbst die Möglichkeit zur Verknappunggenommen würde.

Mit der Durchbrechung des ›Geldstreiks‹ bzw. der›Liquiditätsfalle‹, wie Keynes das nannte, gehen jedochnicht nur die Zinsen und Kapitalrenditen zurück und damitdie sich heute aufbauenden sozialen Spannungen, auch derÜberschuldungsdruck baut sich ab und damit der Zwang zueinem ständigen Wirtschaftswachstum.

Was sagen die heutigen Ökonomen, Banker undPolitiker zu den Reformvorschlägen?

Diese Frage wird mir bei Vorträgen immer wieder gestellt.Sie ist selbstverständlich nicht pauschal zu beantworten.Spricht man mit Wirtschaftsprofessoren über die Geldpro-blematik, dann hat man oft den Eindruck, es ist ihnen pein-

Page 565: Creutz - Das Geld-Syndrom

566

lich, mit solchen realwirtschaftlichen Zusammenhängenkonfrontiert zu werden. Sie scheinen sich im Elfenbeinturmihrer Theorien wohler zu fühlen und begeistern sich fürkomplizierte mathematische Formeln, bei denen die Wirk-lichkeit häufig auf der Strecke bleibt.

Ein namhafter Wirtschaftswissenschaftler hat zum Bei-spiel auf die sozialen Folgen unseres Geldsystems mit derAntwort reagiert, dass dies eine ethische Frage sei, mit dersie in ihrer Wissenschaft nichts zu tun hätten. Andere nichtminder namhafte Ökonomen sehen – wie bereits in den ers-ten Kapiteln dieses Buches zitiert – im Auf und Ab derKonjunkturen, bis hin zu Rezessionen und Depressionen,letztlich natürliche und damit unvermeidbare Abläufe, dieman eben hinnehmen müsse. Und auch im Zins sehen sieüberwiegend kein Problem oder gehen über das Themahinweg. Selbst wenn man auf die engen Beziehungen zwi-schen Zins und Beschäftigung hinweist, die aus den Dar-stellungen 76 bis 78 hervorgehen, streiten sie eine Wechsel-wirkung ab oder bezeichnen sie als rein zufällig.

Auf die Geldproblematik angesprochene Politiker fragen– falls überhaupt interessiert – ihre Fachberater, die durch-weg mit ihrem Hochschulwissen abwinken. Schon MaxPlanck hat einmal gesagt, dass grundlegend neue Erkennt-nisse in der Wissenschaft erst über zwei Generationen hin-weg umzusetzen seien. Denn nicht nur die Generation derlehrenden Professoren müsse ausgestorben sein, sondernauch die der Studenten, die bei ihnen gelernt haben.

Sieht man von Ausnahmen ab, sind sich auch die Bank-und Börsenfachleute über die Konsequenzen der Zinswirt-schaft überwiegend nicht im Klaren. Und die Notenbankersind mit ihren vielfältigen und komplizierten Steuerungs-versuchen von Geldmenge, Zins und Inflation offenbarausgelastet.

Am ehesten begreifen Physiker, Mathematiker und Inge-

Page 566: Creutz - Das Geld-Syndrom

567

nieure die Brisanz im monetären Bereich. Einmal sind sienicht theoretisch vorbelastet und blockiert. Zum anderenist ihnen die Gefährlichkeit und letztendliche Unmöglich-keit aller dauernd wachsenden Prozesse bewusst, vor allem,wenn sie auch noch einer exponentiellen Beschleunigungunterliegen. So hat der technische Direktor der Stadtbetrie-be Linz/Österreich, Erhard Glötzl, die wichtigsten Tatbe-stände sogar als »Hauptsätze der Volkswirtschaftslehre«zusammengefasst, von denen z. B. der zweite lautet:

»Die Gesamtheit der Guthaben und die Gesamtheitder Schulden nehmen in einem geschlossenen Geld-und Wirtschaftssystem der bestehenden Art stets zu.Sie können nur durch unerwünschte Ausnahmezus-tände wie Depressionen, Krieg, Hyperinflation oderWährungsreform abgebaut werden.«

Was ein Umdenken in der Frage Geld bringen könnte, gehtaus dem Kasten N hervor, in dem die real existierendeMarktwirtschaft einmal einer kapitalismusfreien gegen-übergestellt wird.

Kasten N:Vergleich zwischen einer Marktwirtschaft ohne und mitUmlaufsicherung

real existierendeMarktwirtschaft ohneUmlaufsicherung

umlaufgesicherte kapi-talismusfreie Markt-wirtschaft

Konjunktur: schwankt mit Zins undInflation

stabilisiert sich aufBedarfsniveau

Beschäftigung: Tendenz zum Abbauvon Arbeitsplätzen,Druck auf Löhne

Vollbeschäftigung beiflexibler Arbeitszeitmöglich

Page 567: Creutz - Das Geld-Syndrom

568

real existierendeMarktwirtschaft ohneUmlaufsicherung

umlaufgesicherte kapi-talismusfreie Markt-wirtschaft

Zinshöhe: schwankt mit Inflationund Spekulation, gehtnicht gegen Null bzw.bewirkt Deflation

schwankt mit Knapp-heit und geht mitMarktsättigung gegenNull

stabile Kaufkraft: nur ansatzweise undvorübergehenderreichbar

durch gleich bleiben-den Umlauf gesi-chert

Geldvermögen: Überwachstum durchZinseszinseffekt

nur durch Arbeitsleis-tung möglich

Verschuldung: Überwachstum wieGeldvermögen

geht tendentiellzurück

soziale Sicherheit: Rückgang mit Kapital-wachstum und -an-spruch

gesichert durch Vor-rang der Arbeit vorKapital

Umwelt: durch Wachstums-zwang gefährdet

Wachstum möglich,aber nicht notwendig

Kann ein Land allein mit der Geldordnungs-reform beginnen?

Jedes Land, das eine eigene Währung hat, bestimmt derenStabilität und damit seine Konjunkturentwicklung selbst.Wäre es anders, würden wir in aller Welt die gleichen Infla-tions- und Zinssätze und die gleichen Leistungsergebnissehaben. Selbst innerhalb der EG klafften beispielsweise dieInflations- und Zinssätze zeitweise bis zum Zwei- und Drei-fachen auseinander. Deshalb könnte in einem Land auchdann die Inflation einmal bei Null und der Zins entspre-

Page 568: Creutz - Das Geld-Syndrom

569

chend niedrig gehalten werden, wenn das in den anderenLändern nicht der Fall ist.

Die Schweiz ist bekanntlich seit Jahrzehnten das Landmit den niedrigsten Zinsen in Europa und trotzdem hat esdort nie an Kapital gefehlt. Das Gleiche gilt für Japan. Undselbst Zinshöhen im Bereich der heutigen Deflationsgefah-ren sind positiv, wenn man den Geldstreik durch eineUmlaufsicherung verhindert. Denn unter dieser Bedingungmacht jeder Prozentpunkt geringerer Inflations- und Zins-sätze ein Land wirtschaftlich stabiler und gesünder. Unddas gilt auch für einen Zins um Null. Außerdem bieten Län-der mit niedrigen Zinsen günstige Standortbedingungen,ähnlich wie Länder mit niedrigen Löhnen oder Steuern.Das heißt, spekulatives Kapital (das alle Volkswirtschaftenbelastet) würde möglicherweise ins Ausland gehen. Investi-ves Kapital aber (das alleine den Volkswirtschaften nützt)würde ins Land kommen. Außerdem setzen Investoren auflangfristige Sicherheit, auch in Bezug auf politische Stabili-tät. Diese aber nimmt mit sinkenden Inflations- und Zinsra-ten zu.

So wie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts die Noten-banken jenen folgten, die sich von der Goldbindung befrei-ten, werden sie auch sehr rasch denjenigen folgen, die Infla-tion und Umlaufstörungen des Geldes durch geeigneteMaßnahmen überwinden.

Page 569: Creutz - Das Geld-Syndrom

570

34. Kapitel

Diverse Gedanken undEinwände zur Geldreform

»Will die demokratische Politik über-haupt noch steuernd eingreifen, dannmuss sie bei der Einsicht ansetzen,dass uns gar keine andere Wahl mehrbleibt, als unser politisches Denkenund Handeln radikal zu verän-dern . . .Und nicht zuletzt mehren sichdie Anzeichen, dass wir über unserGeld- und Zinssystem nachdenkenmüssen, weil dessen ›Reziprozitätsde-fizite‹ und exponentiell symmetrie-zerstörende Wirkung immer offenba-rer wird.«Prof. Dr. Jürgen Borchert*

* Sozialrichter, in: Sozialstaat unter Druck, »Zeitschrift für Sozialreform«1/94

Muss sich der Mensch ändern?

Wenn von Ausbeutung und Gewalt, von Umweltzerstörungund Kriegen die Rede ist, dann wird zur Überwindung die-ser Probleme sehr oft eine Änderung des Menschen gefor-dert. Diese Forderung ist in Einzelfällen sicher häufigberechtigt und wünschenswert, aber im Hinblick auf dieGesamtheit aller Menschen wirklichkeitsfern. Im Übrigenist es immer eine Anmaßung, wenn jemand zu wissen

Page 570: Creutz - Das Geld-Syndrom

571

glaubt, wohin sich andere Menschen oder die Menschheitentwickeln sollen.

Auch der Kommunismus hat von einem anderen Men-schen geträumt, ohne dass die 70jährige Umerziehung inder UdSSR zu entsprechenden Erfolgen geführt hätte. Undselbst die christlichen Kirchen haben dieses Ziel in 2000Jahren nicht erreicht. Im Gegenteil: Misst man die heutigenKirchen und Christen an jenen der ersten Jahrhunderte,dann kann man im praktischen Verhalten der Gläubigenwie auch der Institutionen eher eine moralisch-ethischeRückentwicklung konstatieren. Zu Änderungen kann esjedoch kommen, wenn der Mensch durch Informationenund Wissen sein Bewusstsein erweitert. Die Erfahrunglehrt uns außerdem, dass Rücksichtslosigkeit und Gewaltim menschlichen Zusammenleben umso eher schwinden, jegerechter die Strukturen einer Gesellschaft sind.

Umgekehrt nehmen Rücksichtslosigkeit und Gewalt mitder Verschlechterung wirtschaftlicher und sozialer Bedin-gungen zu. Wenn also in vielen Ländern die Menschenaggressiver und gewalttätiger werden und schließlich sogaraufeinander schießen, ist das nicht die Folge einer morali-schen Verrohung der Menschen. Es ist vielmehr fast immerdie Folge verschlechterter Rahmenbedingungen, vonArbeitslosigkeit, Verelendung und sozialem Abstieg, vorallem wenn diesen Entwicklungen auf der anderen Seiteein zunehmender Reichtum gegenübersteht. Deshalb mussman bei allen Problementwicklungen untersuchen, ob sieauf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind oderauf sachliche Fehlstrukturen.

Häufen sich z. B. auf einer Kreuzung die Unfälle, dannkann das auf eine Zunahme des leichtfertigen Fahrverhal-tens zurückgehen oder auf einen Fehler in der Ampelschal-tung. Im ersten Fall müsste man zweifellos auf die Men-schen einwirken und mehr Vor- und Rücksicht anmahnen.

Page 571: Creutz - Das Geld-Syndrom

572

Beim Vorliegen eines steuerungstechnischen Fehlers ist esdagegen einfacher und wirkungsvoller, die Ampelanlage zureparieren. Das heißt, sachbezogene Fehler bedürfen auchsachbezogener Korrekturen. Das schreibt sinngemäß auchWalter Eucken in seinen »Grundsätzen der Wirtschaftspo-litik«:

»Eine ethische Besserung des Menschen kann dieSchäden der Ordnung nicht beseitigen . . . Die Ge-samtordnung sollte so sein, dass sie den Menschen dasLeben nach ethischen Prinzipien ermöglicht.«

Falsch ist es auch, bei Problemen in der Wirtschaft denEigennutz der Menschen anzuklagen. Denn in einer wirk-lich freien Marktwirtschaft kann jeder seinen Eigennutznur verwirklichen, wenn sein Tun gleichzeitig einem ande-ren nützt. Schon Proudhon hat diese Gegenseitigkeit, diejeder Markt zur Grundlage hat, als Voraussetzung derGerechtigkeit bezeichnet. So wie das Christentum, bezo-gen auf das Zusammenleben, die Eigenliebe als Maßstabfür die Nächstenliebe nennt (»Liebe Deinen Nächsten wiedich selbst«), so sollten wir, bezogen auf das Wirtschaftsle-ben, den Eigennutzen als Maßstab für den Nächstennutzenakzeptieren.

Werden mit einer Geldreform die Spekulationeneingedämmt?

Auch die weltweit zunehmenden Spekulationsexzesse sindnicht dem Fehlverhalten der Menschen anzulasten. Viel-mehr sind sie letztlich wiederum die Folge jener monetärenFehlstrukturen, die heute bei Minderheiten in der Welt zuimmer größeren Einkommensüberschüssen und Vermö-

Page 572: Creutz - Das Geld-Syndrom

573

genskonzentrationen führen. Außerdem sind sie die Folgefalsch verstandener Vorstellungen eines freiheitlichenGeld- und Kapitalverkehrs. Diese Vermögensbestände und-konzentrationen würden zwar mit sinkenden Zinsen lang-samer wachsen als bisher. Andererseits ist jedoch zubefürchten, dass bei sinkenden Zinsen noch mehr Über-schussmilliarden versuchen werden, im Bereich spekulati-ver Anlagen Gewinne zu erwirtschaften.

Einzudämmen ist dieser Missbrauch des freien Kapital-verkehrs auf einfache Weise: Man braucht nur jede Trans-aktion mit einer umsatzbezogenen Gebühr zu belegen,deren Höhe die kurzfristigen Gewinnmöglichkeiten über-steigt. Konkret: Bringt der Transfer eines Geldbetrags vonbeispielsweise 1 000 Dollar einen Gewinn von 12 % im Jahr(= 120 Dollar), dann würde eine Gebühr von zehn Dollar(also ein Prozent) den Transfer erst nach 30 Tagen in dieGewinnzone bringen. Selbst eine Gebühr von einem Dollar(also ein Promille bezogen auf die Transfersumme!) würdealle Transaktionen unter drei Tagen zu Verlustgeschäftenmachen. Für langfristige Anleger dagegen wäre eine solcheGebühr kein Hinderungsgrund zum Einsatz ihrer Mittel,denn sie würde mit der Länge der Transferzeiten immerbedeutungsloser.

Mit einer solchen Spekulationsabgabe auf alle geldbezo-genen Transaktionen würden die Anleger in längerfristigeEngagements gedrängt, was nach den Gesetzen des Mark-tes auf die Zinshöhe drückt. Und da eine Geldzurückhal-tung ebenfalls mit Gebühren belastet ist, fällt die Möglich-keit weg, durch Geldrückzug vom Markt die Kreditnehmerweiter zu höheren Zinszahlungen zu zwingen.

Diese die Spekulationsexzesse bremsenden Transakti-onsgebühren hat der US-Nobelpreisträger James Tobinschon vor Jahren vorgeschlagen. Nach seinen Ermittlungenwürden die daraus resultierenden Erträge auch schon bei

Page 573: Creutz - Das Geld-Syndrom

574

ganz geringen Sätzen rechnerisch zur Behebung der größ-ten Notlagen in der Welt ausreichen, ein Nebeneffekt, derein weiterer Grund sein sollte, eine solche Abgabe einzu-führen.

Die immer wieder zu hörende Behauptung, dass eine sol-che Transaktionssteuer nur mit Beteiligung aller Markt-und Börsenplätze in der Welt realisierbar wäre, einschließ-lich der Steuer- und Anlageparadiese von Liechtenstein biszu den Bahamas, ist nicht stichhaltig. Denn wenn sich diegroßen Industrienationen in der Sache einig sind und den inihren Grenzen tätigen Banken den Verkehr mit diesen Off-Shore-Zentren und Steuerparadiesen bei Strafe untersa-gen, werden diese sehr schnell ausgetrocknet sein.

Ist eine Flucht in Gold und andere Sachwerte zubefürchten?

Als Einwand gegen eine Geldreform wird in den volkswirt-schafltichen Lehrbüchern immer wieder ein spekulativesUmsteigen aus Geldanlagen in Gold, Schmuck, Kunstwer-ke, Antiquitäten o. ä. angeführt. Selbst Keynes ist in seinembereits genannten Hauptwerk diesem Denkfehler unterle-gen. Denn in Wirklichkeit ist der Erwerb bzw. die Ersparnisin solchen dauerhaften Gütern für die Wirtschaft ohne jedenegative Folge. Hier findet im Sekundärkreislauf bereitseinmal erworbener Güter immer nur ein Austausch statt,bei dem ein vorhandenes Gut gegen Geld in andere Händewechselt. Die im Primärkreislauf vorhandenen Geld- undGütermengen bleiben davon unbeeinträchtigt. Und alsZahlungsmittelersatz sind die genannten Wertobjekteebenso wenig geeignet, wie sich damit von anderen Zinsenerpressen lässt.

Im Übrigen wäre eine solche Flucht aus den Geldüber-

Page 574: Creutz - Das Geld-Syndrom

575

schüssen in Kunstwerke sehr zu begrüßen, da sie sicherauch lebenden Künstlern zugute käme. Außerdem würdedamit dafür gesorgt, dass »Geld aus den Kassen ohneBedarf in die Kassen mit Bedarf« fließen (Dieter Suhr) unddamit direkt in den Wirtschaftskreislauf, statt – wie sonstder Fall – über zusätzliche zinsbelastete Kredite.

Wird es eine Flucht in den Boden geben?

Anders als bei einer Flucht des Geldes in Gold, Kunst undAntiquitäten, wäre die in das Bodeneigentum problema-tisch. Denn der Boden ist als unvermehrbares Gut ebenfallsmit Zinseinnahmen verbunden, auch als Bodenrentebezeichnet. Und da alles Leben und Wirtschaften auf dasNaturgut Boden angewiesen ist, würde eine Zunahme derspekulativen Bodenkäufe die Preise und damit auch dieBelastungen durch die Bodenrente in die Höhe treiben. BeiEinführung einer Geldumlaufsicherung müsste darumrelativ bald auch eine Bodenreform angegangen und dieBodenspekulation unterbunden werden.

Die Notwendigkeit dieser Reform des Bodenrechtesergibt sich jedoch auch aus dem Tatbestand, dass der Boden– wie Licht, Luft und Wasser – ein Geschenk der Natur undkein von Menschen produziertes Gut ist. Auf diese unver-mehrbaren Güter aber, die mit der Zahl der Menschen inder Welt immer knapper und damit wertvoller werden,haben alle gleichermaßen einen Anspruch. Das heutigerömische Eigentumsrecht an Boden und Bodenschätzen,muss angesichts der zunehmenden Knappheit sowieso wie-der in ein Nutzungsrecht zurückverwandelt werden, durchdas jeder gleichermaßen, ob direkt oder indirekt, an denErträgen des Bodens beteiligt wird. Nur mit einer solchenBodenreform, die jedem Menschen auf der Welt gleiches

Page 575: Creutz - Das Geld-Syndrom

576

Recht zugesteht, wird der Frieden in der Welt gesichertwerden können.

Ein solches Gemeinschaftsrecht am Boden ist in ver-schiedenen Regionen der Welt noch heute gültig und warauch in Europa bis ins späte Mittelalter die Regel. Dasheißt, Boden darf – wie damals der Fall – nur als Lehen inlangfristigen Nutzungs- und Erbbauverträgen vergebenwerden. Die daraus resultierenden Pachtzahlungen wieder-um stehen allen Menschen gleichermaßen zu, wobei sichdieser Anspruch letztlich sogar auf alle Menschen dieserErde beziehen muss, nicht auf die zufällig dort Wohnendenund damit leistungslos Bevorzugten. Privates Bodeneigen-tum ist im Prinzip genauso absurd wie Privateigentum anLuft oder Wasser, auch wenn wir uns über Jahrhundertedaran gewöhnt haben.

Was ist in Sachen Boden zu tun?

Für die Umsetzung einer solchen Bodenreform gibt es eineganze Reihe praktikabler Modelle und Ansätze. Das in BadBoll ansässige und im Buchanhang angeführte »Seminarfür freiheitliche Ordnung« hat hierzu eine Reihe von Auf-sätzen und auch Musterverträgen ausgearbeitet.

Ein erster praktischer Schritt in die richtige Richtungwäre ein grundsätzliches Verbot des Verkaufs aller Boden-flächen, die sich noch im gemeinschaftlichen bzw. öffentli-chen Besitz befinden. Dieser Boden dürfte zukünftig nurnoch in Erbpacht bzw. als Baurecht vergeben werden.Außerdem sind die meist vorhandenen Vorkaufsrechte derGemeinden zur Regel zu machen.

Die Neutralisierung der heutigen bodenbezogenenUngerechtigkeiten ist aber auch ohne Rückkauf möglich,nämlich durch eine Besteuerung des Bodens, deren Höhe

Page 576: Creutz - Das Geld-Syndrom

577

den heutigen Bodenrenten entspricht. Diese Besteuerungist in den meisten Ländern bereits vorhanden, fasst abersachlich ungerechtfertigt – wie in Deutschland die Grund-steuer – häufig die Gebäude mit ein. Mit einer Konzentrati-on dieser Steuer auf den Boden, würden auch die spekula-tiven Bodenhortungen und Baulücken reduziert und einDruck auf die Preise entstehen, womit sich notwendigeRückkäufe durch die Gemeinden erleichtern würden.

In welcher Größenordnung die Gemeinden und mitihnen die Bürger von einer solchen Reform profitierenwürden, machen einige Beispiele deutlich: Hätten z. B. dieStadtväter in Zürich im 19. Jahrhundert das Gebiet der frü-heren Wallanlagen nicht verkauft, sondern nur verpachtet,dann könnten mit den heute daraus fließenden Pachtein-nahmen die gesamten öffentlichen Kosten der Stadt bestrit-ten werden! Ähnliche Verluste für die Bürger fallen heuteauch im Zusammenhang mit öffentlichen Infrastruktur-maßnahmen immer wieder an. So sind z. B. im Zusammen-hang mit dem Bau des neuen Münchener Flughafens – lautBerechnungen von Wolfram Engels, Ökonom und Heraus-geber der deutschen Zeitschrift »Wirtschaftswoche« – dieBauern zwischen München und Erding leistungslos um ins-gesamt rund 30 Mrd. DM reicher geworden. Und die Bo-denpreissteigerungen in Berlin, ausgelöst durch die Erklä-rung zur Hauptstadt und der Ankündigung des Regie-rungsumzugs, wurden auf eine Größenordnung geschätzt,die in etwa den Gesamtkosten dieses Umzugs einschließ-lich aller notwendigen Neubauvorhaben entspricht! Wäh-rend heute bei Wertminderungen durch öffentliche Maß-nahmen die Betroffenen häufig Entschädigungszahlungenerhalten, fließen die damit ausgelösten Wertsteigerungenstatt an die Allgemeinheit, immer noch weitgehend in dieprivaten Taschen einer besitzenden Minderheit.

Page 577: Creutz - Das Geld-Syndrom

578

Was ist mit der Kapitalflucht bei sinkendenZinsen?

Wenn jemand eine Produktionsanlage in ein anderes Landschafft und damit dort weiterproduziert, liegt zweifelsfreieine ›Kapitalflucht‹ vor. Denn dabei hat das andere Landnicht nur einen Zugewinn durch das dorthin verlagerteSachkapital, sondern auch durch die damit verbundeneProduktion. Diesen realen Gewinnen steht im Ursprungs-land ein ebenso hoher Verlust gegenüber. Wenn jedochjemand einen Koffer voll Geld ins Ausland schafft und dorteinschließt, hat das den gleichen negativen Effekt wie eineHortung im Inland. Will er dagegen mit dem Geld im Aus-land etwas anfangen, dann muss er es zuerst gegen die dortgültige Währung umtauschen. Das heißt, wenn z. B. jemandaus dem Euro-Raum seine Ersparnisse in den USA anlegenoder dort investieren möchte, dann braucht er einenTauschpartner, der ihm für seine Euros Dollar gibt. Ganzgleich, ob dieser Tauschvorgang direkt zwischen zwei Per-sonen abläuft oder über eine Bank, ob in bar oder über eineGuthabenübertragung – es findet also immer nur ein Aus-tausch statt. Und so wie der Europäer nun seine erworbe-nen Dollar in den USA anlegen oder ausgeben kann, so derAmerikaner die erhaltenen Euro letztlich nur im Euroland.Es werden also jeweils nur die Verfügungsrechte über Geldausgetauscht, das jedoch selbst – im Gegensatz zu der ein-gangs genannten Produktionsanlage – jeweils in dem ihmzugehörigen Wirtschaftsraum verbleibt. Und benutzt derAmerikaner die eingetauschten Euro statt für zinsbringen-de Geldeinlagen für Käufe oder Investitionen, dann kommtdas Geld sogar direkt und ohne Umweg über zinsbelasteteKredite in den Kreislauf zurück.

Es gibt also im Geldbereich keine ›Kapitalflucht‹, die imInland zu Verlusten führen kann. Schon gar nicht ist davon

Page 578: Creutz - Das Geld-Syndrom

579

zu reden, wenn jemand zur Umgehung der Zinsversteue-rung sein Geld im Koffer nach Luxemburg oder in ein ande-res Steuerparadies bringt. Denn dort wieder eingezahlt,steht sein Guthaben der Euro-Wirtschaft als Kreditpoten-tial genauso zur Verfügung wie vor der Abhebung seinKonto im Herkunftsland. Und das für den Transport be-nutzte Bargeld ist ebenfalls nach spätestens zwei Tagenwieder bei einer Zweigstelle der Zentralbank, oft noch mitderen Original-Banderolen verpackt, mit denen es abge-hoben wurde. Was uns dabei verloren geht, ist allein diehintergangene Steuerzahlung.

Geldflucht in Steuerparadiese führt also ebenso wenig zuVeränderungen der Geldmenge wie die Umtauschvorgän-ge zwischen Währungen. Solche Umtauschvorgänge kön-nen allenfalls durch die verstärkte Nachfrage nach Devisenzu entsprechenden Wechselkursanstiegen führen. DieserKursanstieg für die begehrte Währung bremst dann dieÜbernachfrage wieder ab. Zu Schieflagen kann es nur dannkommen, wenn die Wechselkurse nicht mehr den normalenMarktgesetzen unterliegen und von Spekulationsmassenmissbräuchlich überrollt werden.

Führt eine Umlaufsicherung zu einerWachstumseuphorie?

Oft wird befürchtet, dass eine solche Umlaufsicherung überdie Zinssenkung zu mehr Verbrauch und damit Wirt-schaftswachstum führt. Verbrauchen (= Ausgeben) kannman jedoch immer nur im Umfang seiner Einkommen.Diese Einkommen vergrößern sich bei sinkenden Zinsennicht, sondern sie werden nur verlagert. Sinkt beispielswei-se die Miete einer Wohnung aufgrund halbierter Hypothe-kenzinssätze um 200 Euro oder Dollar, dann hat zwar der

Page 579: Creutz - Das Geld-Syndrom

580

Mieter in dieser Höhe mehr Geld zur Verfügung, der Ver-mieter jedoch entsprechend weniger. Weil die Arbeitleis-tenden (Unternehmer, Arbeitnehmer) bei sinkenden Zins-sätzen über mehr Kaufkraft verfügen, benötigen sie auchweniger Kredite. Und weil sich bei den Geldhaltern dieZinsgutschriften verringern, geht auch der Verschuldungs-zwang zurück.

Da die Arbeitleistenden bei niedrigeren Zinsen wenigerfür Dritte arbeiten müssen, können sie zwar mehr konsu-mieren. Sie können aber auch, bei Wahrung ihres bisheri-gen Wohlstands, ihre Arbeitszeit in dem Umfang reduzie-ren, in dem sie bislang die Zinsen in der Miete und in allenanderen Preisen verdienen mussten. Das heißt: Nicht mehrdas Kapital bestimmt wachstumserzwingend den Umfangder zu erbringenden Leistungen, sondern die Arbeitleisten-den selbst.

»Erst auf der Basis eines störungsfreien Geldkreis-laufs lässt sich auch eine störungsfreie Kreislaufwirt-schaft etablieren, in der nicht mehr das destruktivePrinzip des exponentielles Wachstums, sondern daskonstruktive Prinzip des dynamischen Gleichgewichtsgilt«,

schreibt der in Hamburg lehrende Wirtschaftsgeograf Eck-hard Grimmel in seinem 1993 erschienenen Buch »Kreis-läufe und Kreislaufstörungen der Erde«.

Auch die Vermutung, dass es bei niedrigen Zinsen zumassenweisen Kreditaufnahmen kommt, ist irrig. Wie wirheute in Japan erleben, werden dort selbst bei Niedrigst-Zinssatz so lange keine Investitionen getätigt, wie derMarkt keine zusätzlichen Absatzmöglichkeiten erwartenlässt.

Page 580: Creutz - Das Geld-Syndrom

581

Ist der Euro eine Lösung?

Wenn eine Sache im Kleinen nicht funktioniert, kann eineVergrößerung kaum bessere Ergebnisse bringen. Das giltauch für die Ausweitung einer Währung auf einen größerenWirkungsraum bzw. die Zusammenfassung mehrerer Wäh-rungen. Werden dabei ›kranke‹ und ›gesunde‹ Währungenzusammengepackt, besteht sogar, wie bei faulen und gesun-den Äpfeln, die Gefahr der Ansteckung.

Im Maastricht-Vertrag, Grundlage der Zusammenfas-sung europäischer Einzelwährungen in eine Währungsge-meinschaft, sind darum Kriterien festgeschrieben, die einesolche negative Ansteckung möglichst vermeiden sollen.Das betrifft sowohl die Entwicklung der Inflations- undZinssätze als auch des Wirtschaftswachstums und derStaatsverschuldung, deren Größen bzw. Entwicklungenhalbwegs angeglichen sein sollen. Allerdings hat man dieseKriterien bereits beim Zusammenschluss der ersten elfLänder großzügig ausgelegt. Das gilt vor allem für dieStaatsverschuldung, die eigentlich nicht über 60 Prozentdes BIP liegen sollte, aber z. B. in Belgien und Italien fastbei der doppelten Höhe lag. Wie und bis wann diese Länderje auf den vorgeschriebenen Satz kommen sollen, steht inden Sternen. Noch fragwürdiger dürfte die Beachtung die-ser Kriterien im Hinblick auf die Aufnahmen weiterer Län-der sein, vor allem aus Osteuropa. Es kommt also beimEuro keinesfalls nur zu einer Vereinigung gleich stabilerWährungen, sondern eher um mehr oder weniger starkeoder schwache. Selbst die weitgehende Übernahme desModells der Deutschen Bundesbank für die EuropäischeZentralbank ist keine Garantie für Stabilität, wie die Infla-tionsquoten in Deutschland während der letzten 50 Jahregezeigt haben.

Selbst wenn dieser ›Geleitzug‹ der elf Länder seit der

Page 581: Creutz - Das Geld-Syndrom

582

nominellen Einführung des Euro Anfang 1999 relativ dichtaufgeschlossen fährt, sagt das noch nicht viel über die wei-tere Entwicklung aus. Vor allem sagt es nichts über die Ver-gleichbarkeit der Wirtschaftsleistungen aus, die hinter derGemeinschaftswährung stehen. Auch Länder mit schwä-cheren Wirtschaftsleistungen konnten bisher ein relativ sta-biles Geld haben. Und sie konnten auch ohne Schwierigkei-ten mit allen anderen Ländern Handel treiben und ggfs.auch Vollbeschäftigung erreichen, solange die Wechselkur-se halbwegs den Gegebenheiten in den Ländern entspra-chen bzw. die Unterschiede ausglichen. Wird aber Ländernunterschiedlicher Leistungsfähigkeit und unterschiedlicherSozialstrukturen eine gemeinsame Währung übergestülpt,sind finanzielle Ausgleichzahlungen auf Dauer kaum ver-meidbar. Wenn auch direkt nicht vergleichbar, hat die DM-Einführung in den ostdeutschen Ländern doch einige die-ser Schwierigkeiten deutlich werden lassen.

Die Einführung des Euro hat sicherlich auch ihre positi-ven Seiten, die sich keinesfalls nur auf die eingespartenGeldumtauschkosten bei grenzüberschreitenden Reisenbeschränken. Bezogen auf die in diesem Buch dargelegtenmonetären Probleme, bedeutet die Euro-Einführung aller-dings keinerlei Fortschritt. Eher wird es schwieriger sein, dieerstarrten Strukturen unserer Währungsordnungen aufzulo-ckern und einer Reform zuzuführen. Es sei denn, den Regio-nen in Europa werden größere Freiheiten eingeräumt, z. B.auch im Hinblick auf regionale Zahlungssysteme.

Sind Geldhaltekosten und Inflation vergleichbar?

Gegen die Vorschläge einer grundlegenden Reform unse-rer Währungen wird häufig der Einwand gebracht, dasseine Geldhalte- oder Geldnutzungsgebühr von fünf Pro-

Page 582: Creutz - Das Geld-Syndrom

583

zent in der Wirkung nichts anderes sei als eine dosierteInflation in gleicher Höhe, beide würden das Geld in Bewe-gung bringen. Letzteres trifft natürlich zu. Trotzdem gibt eswesentliche Unterschiede zwischen diesen beiden Umlauf-sicherungen, sowohl in ihrer Wirkung als auch ihren Fol-gen.

– Geldhaltekosten beziehen sich nur auf die Nachfrage-mittel, Bargeld und Giralgeld. Inflationen wirken sichauch auf die vielmals größeren Geldvermögen aus.

– Geldhaltekosten treiben überschüssiges Geld in die Ban-ken und vergrößern das Kreditangebot. Inflationen trei-ben überschüssiges Geld in den Konsum oder zu Fehlin-vestitionen und heizen das Wirtschaftswachstum an.

– Geldhaltekosten bewirken eine Stabilisierung der Geld-kaufkraft und damit des Preisniveaus. Inflationen bewir-ken dagegen ständige Preisveränderungen und Irritatio-nen im Gefüge aller Geldbeziehungen, vor allem allerBe- und Verrechnungen.

– Geldhaltekosten ermöglichen nicht nur Kaufkraftstabili-tät, sondern drücken nach und nach die Zinsen gegenNull. Inflationen treiben die Zinsen hoch, einschließlichihrer negativen Folgen.

– Geldhaltekosten fließen aus den Kassen der Geldhalterin die des Staates und damit der Allgemeinheit zu. Dievielmals höheren Inflations- und Zinskosten müssen vonder Allgemeinheit getragen werden und kommen priva-ten Minderheiten zu Gute.

– Geldhaltekosten können mit einer festen Größe einge-plant und erhoben werden. Inflationen lassen sich ineiner festen Größe weder berechnen noch erreichen.

Sicher kann man die negativen Folgen von Inflationendurch eine indexierte Anhebung aller Preise, Löhne, Steu-

Page 583: Creutz - Das Geld-Syndrom

584

ern, Geldguthaben und Verbindlichkeiten weitgehend aus-gleichen. Diese Maßnahmen erfordern aber einen unge-heuren Arbeitsaufwand, der in der Praxis kaum zu koor-dinieren und zu kontrollieren ist. Wie die Erfahrung zeigt,haben solche Indexierungen außerdem einen Trend zuinflationären Selbstbeschleunigungen. Dagegen betrifftdie Einziehung von Durchhaltekosten auf das Geld nurzwei relativ geringe Bestandsgrößen, nämlich Bar- und evtl.Giralgeld. Außerdem sind diese Größen leicht zu kon-trollieren und die praktische Handhabung des Einzugs ist– gemessen an dem Aufwand der Inflationsanpassungen –wesentlich einfacher.

Page 584: Creutz - Das Geld-Syndrom

585

35. Kapitel

Tauschringe und andereAlternativen

»Die ›Befreiung der Marktwirtschaftvom Kapitalismus‹ ist nicht ein utopi-sches Ziel; die zentrale Fehlstelle inunserer Selbstorganisation ist längsterkannt: die schrankenlose Macht desGeldes, dem auf Erden alles offen ste-hen soll, während es den Menschen,die es nicht besitzen, mehr und mehran Freiheit nimmt.«Peter Kafka*

* Astrophysiker am Max-Planck-Institut, Garching, »Süddeutsche Zei-tung« vom 16. 8. 1995

Erkennt man ein Problem, so möchte man es auch aktivangehen. Dafür gibt es meist zwei Möglichkeiten: DurchAufklärung der Öffentlichkeit oder durch Veränderung dereigenen Verhaltensweisen. Diese Zweigleisigkeit ist z. B. imBereich der Ernährung, des Verkehrs, des Energiever-brauchs wie auch fast aller Umweltfragen möglich. Andersist es bei Problemen, die mit öffentlichen Einrichtungenverbunden sind, wie z. B. das Steuersystem, das Militär oderdie Währung. Hier ist eine Veränderung nur auf der öffent-lichen Ebene und damit durch Aufklärung möglich, es seidenn, man kann sich diesen Einrichtungen entziehen. Dasaber ist, bezogen auf den Währungsraum in dem man lebt,nur sehr schwer zu realisieren.

Da jedoch immer mehr Menschen, überwiegend intuitiv,

Page 585: Creutz - Das Geld-Syndrom

586

die Problematik des bestehenden Geldsystems erkennen,versuchen sie zumindest einen partiellen Ausstieg. Daslässt sich durch einen direkten Tausch von Leistungengegen Leistungen, vor allem mit Hilfe so genannter Tausch-oder Verrechnungsringe, auch ermöglichen. Diese Tau-schringe schießen seit gut zehn Jahren in aller Welt wie Pil-ze aus dem Boden.

Wie funktionieren Tauschringe?

In einer Tauschring-Gemeinschaft kann jeder jedem eineLeistung erbringen, die der Empfänger nicht direkt durcheine Gegenleistung ausgleichen muss. Vielmehr erhält derLeistungserbringer eine Gutschrift, die er bei jedem anderenTauschringmitglied einlösen kann. Der Leistungsempfängererhält umgekehrt eine Lastschrift, die er durch Leistungsein-bringungen innerhalb des Tauschrings ausgleichen kann.Guthaben- und Defizitbestände in einem Tauschring sindalso immer gleich hoch und in der Saldierung stets Null.Genau betrachtet handelt es sich also um gar keinen Tausch,sondern um wechselseitige Leistungsverrechnungen inner-halb eines bestimmten Teilnehmerkreises. Da es innerhalbdieser Kreise keinen einklagbaren Rechtstitel gibt, sind dieÜberziehungen zum Schutz von Missbrauch fast immer aufrelativ begrenzte Beträge beschränkt. Damit sind natürlichauch die Objekte eingegrenzt, die sich in den Tauschringenfinanzieren lassen.

Solche Tausch- bzw. Verrechnungsringe gibt es in derWirtschaft schon seit langem, bekannt unter dem NamenBarter-Clubs. Mitglieder dieser professionell gemanagtenClubs sind Unternehmen und Gewerbetreibende, die sichin der Praxis auf Verrechnungsbasis gegenseitig zeitbe-grenzte Warenkredite einräumen. In vielen Barter-Clubs

Page 586: Creutz - Das Geld-Syndrom

587

werden auch direkte, meist von der Clubleitung organisier-te Tausch- oder Dreiecksgeschäfte abgewickelt. In diesenFällen finanzieren sich die Organisationen vor allem überVermittlungsprovisionen. Ansonsten werden nicht uner-hebliche Eintritts- bzw. Mitgliedsbeiträge verlangt, die sichmanchmal auch am Umsatz der Unternehmen orientieren.Wegen dieser hohen Vermittlungs- bzw. Transaktionskos-ten haben sich diese Bartergeschäfte bislang auch nur fürgrößere Unternehmen und Tauschobjekte als lohnenderwiesen.

Für Privathaushalte, bei denen die eingebrachten bzw.nachgefragten Einzelleistungen eine relativ geringe Höhehaben, sind die mit der Organisation verbundenen Kostenunverhältnismäßig hoch. Weitere Nachteile resultieren ausder meist geringen Teilnehmerzahl, ihrer räumlichen Streu-ung und des insgesamt meist unzureichenden Angebots-spektrums. Hinzu kommt noch ein relativ hoher Informati-onsaufwand. Aus all diesen Gründen sind solche Tausch-bzw. Verrechnungsringe bisher auch nur auf kommunaleroder regional überschaubarer Ebene erfolgreich, vor allemin abgelegenen Gegenden. Andere wiederum funktionie-ren nur, solange die Verwaltungs- und Organisationsarbei-ten von Mitgliedern ehrenamtlich übernommen werden.Bei bezahlten Kräften ergibt sich das Problem, dass sie min-destens einen Teil ihres Gehalts in der öffentlichen Wäh-rung erhalten müssen, was entsprechende Mitgliederbei-träge in dieser Währung erfordert.

Positiv zu werten sind auf jeden Fall die sozialen Kontak-te und die Kenntnisse wirtschaftlicher Zusammenhänge,die durch solche Ringe vermittelt werden, vor allem auch,wenn sie die monetären Fragen mitbehandeln. Leider istdas oft erhoffte Ziel, gesellschaftliche Randgruppen undvor allem Arbeitslose zu integrieren und für die Mitarbeitzu motivieren, bisher nur begrenzt erfolgreich gewesen.

Page 587: Creutz - Das Geld-Syndrom

588

Kann man über Tauschringe auch Geld in Um-lauf setzen?

Klammern wir die Frage der Zulassung von Privatgeld ein-mal aus, dann wäre eine Inumlaufsetzung von Geld in Tau-schringen durchaus möglich und sinnvoll. Denn damitkönnten innerhalb des Tauschrings die hohen Informati-ons- und Transaktionskosten wie auch der Verwaltungsauf-wand erheblich verringert werden. – Wie wäre das prak-tisch möglich?

Bekanntlich erhält A, der in einem Tauschring für B eineLeistung erbringt, ein entsprechendes Guthaben, das er beijedem Tauschringmitglied einlösen kann. Für B entsteht um-gekehrt eine gleich hohe Verpflichtung zur Nachleistung.Die Tauschringleitung könnte nun – bei Einverständnis allerMitglieder – das Guthaben von A gegen die Hergabe vonLeistungsbestätigungs-Scheinen in weitergebbaren Stücke-lungen auflösen. Diese weitergebbaren Geld- oder Gutschei-ne wären also durch die Vorleistung von A ebenso gedecktwie durch die noch offene Nachleistungspflicht von B.

In dem Umfang, wie diese Leistungsbestätigungsscheinevon der Tauschringzentrale ausgegeben und von den Teil-nehmern akzeptiert werden, würden sich allerdings die bis-her nachvollzieh- und kontrollierbaren Vorgänge innerhalbdes Ringes wieder in anonyme Beziehungen verwandeln.

Mit Einführung dieser Geld- oder Gutscheine wäre esdann auch möglich, angesammelte Geldscheine bei derZentrale als Ersparnis zu hinterlegen, die von der Zentralezwischenzeitlich an andere als Kredite vergeben würden.Mit diesen Geldscheinen und den evtl. Kreditvergabenwürden allerdings nicht nur komplizierte Rechts- undGarantiefragen akut, sondern auch das Problem der Kreis-laufunterbrechungen. Außerdem käme es sehr schnell zuTauschvorgängen zwischen den Geldscheinen im Tausch-

Page 588: Creutz - Das Geld-Syndrom

589

ring und der normalen Währung, und damit zwangsläufig zueinem Wechselkurs. Dabei würden sich die Nachteile derTauschringwährung, vor allem die eingegrenzte Verwen-dungsmöglichkeit und die relativ hohen Transaktionskos-ten, als Kursabschlag abzeichnen. Das würde besonders beiden Tauschringen deutlich, die sich mit dem Wert ihrer Ver-rechnungseinheiten – gleichgültig wie sie auch immer hei-ßen mögen – an die normale Währung angelehnt haben.

Da sich solche Wertverluste für das Ansehen der Tau-schringwährung und das Verhalten der Teilnehmer nachtei-lig auswirken, hat das älteste und wahrscheinlich auch größ-te Tausch- bzw. Verrechnungssystem, der schweizerischeWIR-Wirtschaftsring, die Einführung eigener Geldzeichensehr rasch wieder eingestellt.

Der WIR-Wirtschaftsring in der Schweiz

Der unter dem Kürzel WIR bekannte Wirtschaftsring in derSchweiz, wurde bereits 1934, also in der großen Rezession,als normaler Verrechnungsring von Mitgliedern der anGesell orientierten Geldreformbewegung gegründet.Obwohl anfangs die Guthabenbestände nach dem KonzeptGesells mit einem Umlaufsicherungsabschlag versehenwaren, wurden als Mitglieder nur Gewerbetreibende undHandwerker aufgenommen, also keine Privathaushalte.Nach einer schwankenden Entwicklung und einem Tief-punkt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs hatte der RingEnde der 90er Jahre – längst von allen Geldreformideengelöst – fast 70 000 Mitglieder. Vor allem in den Hochzins-und Flautezeiten der letzten Jahrzehnte hatte er einen gro-ßen Zulauf. Die Kreditbedingungen für Hypothekenzinsenvon 1,75 und Kontokorrentzinsen von 2,5 bis 3,5 Prozentwaren dann besonders verlockend.

Page 589: Creutz - Das Geld-Syndrom

590

Natürlich sind diese günstigen Konditionen nur möglich,weil die Leistungserbringer für ihre Guthaben keine Zin-sen erhalten. Diese entgangenen Zinsen sind für die Leis-tenden aber nur einer der Nachteile. Noch problematischerist, dass sie ihre WIR-Guthaben oft nur schwer umsetzenkönnen, weil sie – trotz der relativ großen Mitgliederzahlen– nicht immer das Angebot vorfinden, das sie gerade brau-chen. Ein besonderes Manko ist dabei der Tatbestand, dasssie mit dem WIR-Geld weder Steuern noch Löhne nochVersicherungszahlungen leisten können. Die Illiquidität inden für diese Zahlungen notwendigen Schweizer Frankenwird dann zur Falle. Denn ein Umtausch gegen die Landes-währung ist im WIR-Ring nicht möglich und ein Verkaufder WIR-Guthaben nach der Satzung nicht erlaubt. Des-halb werden WIR-Guthaben oft mit großen Abschlägenanonym in Tageszeitungen angeboten. »Marktüblich sindzur Zeit Einschläge von bis zu 30 Prozent bei Verkauf gegenFranken«, berichtete die »Berner Zeitung« am 11. 9. 1992. –Der Vorteil niedriger Zinsen wird also am Ende der Kettemanchmal teuer bezahlt.

Die Schwierigkeit, im WIR-Ring Guthaben abzusetzen,spiegelt sich auch in den geringen Umschlaghäufigkeitendes WIR-Geldes wider. Bei ähnlich hohen Kontobeständenwurden die WIR-Konten z. B. im Jahr 1990 nur dreimal um-geschlagen, während die Umschlagshäufigkeit der Postgiro-konten bei 154 lag. Noch gravierender klafften die Umsatz-größen auseinander, die beim Postgiro fast 1 100mal größerwaren als beim WIR. Es dürfte also seine Gründe haben,dass sich das WIR-Geld-System, trotz fast 70jähriger Praxis,nicht deutlicher durchgesetzt hat und jetzt sogar der WIR-Ring in WIR-Bank umbenannt wurde, mit normalen Kredit-geschäften in Schweizer Franken.

Page 590: Creutz - Das Geld-Syndrom

591

Was ist mit den Zinsen bei Verrechnungsringenund anderen Alternativmodellen?

Der Tatbestand, dass es in Tauschringen im Allgemeinenkeine Guthaben- und Kreditzinsen gibt, wird oft als ent-scheidender Vorteil herausgestellt. Häufig ist das sogar derAnlass ihrer Gründung. Manche Tauschringe werben sogardamit, dass sie jedem Teilnehmer einen zinslosen Kredit ineiner bestimmten Höhe einräumen. In Wirklichkeit aberwird dieser Kredit in Form eines Warenkredits (Lieferungbei verspätetem Ausgleich) bei jedem Verrechnungsvor-gang von den jeweiligen Leistungseinbringern eingeräumt,also nicht von der Tauschringorganisation.

Der Vorteil für die Nachfrager, zinslose Warenkredite zuerhalten, schlägt also immer auch als Nachteil für die Leis-tenden zu Buche, die auf Zinsen für ihr Guthaben verzich-ten müssen.

Verrechnungsringe sind darum für Kreditnehmer undGuthabenüberzieher vorteilhaft, für Vorleistende und Gut-habenbesitzer von Nachteil. Auch Barter-Clubs müssensich deshalb durch entsprechende Maßnahmen gegen Tritt-brettfahrer schützen, die auf Kosten anderer Zinsen sparenwollen. Dies geschieht nicht nur mit Limitsetzungen beiden Überziehungen, sondern auch durch Vorschriften,diese nach einem bestimmten Zeitraum, z. B. einem Jahr,durch Zahlungen in normaler Währung auszugleichen.Trotzdem können in den Barter-Clubs und vor allem imWIR-Ring Einzelne auf Kosten der Allgemeinheit erhebli-che Vorteile herausholen. Dazu ein Beispiel: Ein Unter-nehmer, der in einem Barter-Club einen Warenkredit füreine Produktionsanlage erhält, spart bis zu seiner Gegen-leistung bzw. der Ausgleichszahlung, auf jeden Fall die sonstfälligen Zinsen. Das heißt, er kann mit Hilfe der zinsfreierworbenen Produktionsanlage auf dem normalen Markt

Page 591: Creutz - Das Geld-Syndrom

592

entweder die Preise der Konkurrenten unterbieten oderhöhere Gewinne erwirtschaften. Und das, ohne eigeneLeistungen in den Ring eingebracht zu haben.

Noch größer können die Vorteile sein, wenn ein Unter-nehmer eine Produktionsanlage mit Hilfe eines Kredits derWIR-Genossenschaft erwirbt. Dort ist er überhaupt nichtzu entsprechenden Gegenleistungen gezwungen, sondernnur zur Zahlung der extrem niedrigen Zinsen, die praktischden sonst üblichen Bankvermittlungs- und Risikokostenentsprechen. Erst wenn der Kredit fällig wird, muss erinnerhalb des WIR-Ringes Leistungen anbieten underbringen, um mit den Einkünften die Tilgung in WIR-Geldvornehmen zu können. Doch auch das ist noch nicht einmalnötig, da er sich – wenn auch offiziell verboten – das nötigeWIR-Geld anonym mit Schweizer Franken und fast immereinem deutlichen Abschlag kaufen kann. Und der Verkäu-fer, von dem er dieses WIR-Geld unter Preis erwirbt, könn-te möglicherweise sogar der Lieferant jener Produktions-anlage sein, der immer noch auf seinem WIR-Guthabensitzt. Im Extremfall hat er also für das mit der Lieferung derProduktionsanlage erworbene WIR-Guthaben nicht nurkeine Zinsen erhalten, sondern er muss es wegen Zahlungs-engpässen möglicherweise jetzt auch noch mit Verlust ver-kaufen!

Noch ungerechter wird das Ganze, wenn Tauschringe –das Gesell’sche Schwundgeld missverstehend – die benach-teiligten Guthaben sogar noch mit Geldhaltekosten belas-ten, wie das in einigen Fällen praktiziert worden ist. Einegerechte und funktionierende Umlaufsicherung müsste inTauschringen jedoch beide Seiten gleichermaßen treffen.Das heißt, Guthaben- und Defizitbesitzer müssten beidedurch Bestandsgebühren unter Umlaufdruck gesetzt undzum Ausgleich angehalten werden.

Ähnliche Ungleichgewichte wie bei vielen Tauschringen

Page 592: Creutz - Das Geld-Syndrom

593

ergeben sich auch bei manchen privaten Unterstützungsge-meinschaften, die z. B. als Kunden einem Ökobauern zins-losen Kredit gewähren. Auch dieses an sich positive Tun istinnerhalb eines ansonsten unveränderten Systems mitUngerechtigkeiten bzw. Wettbewerbsverzerrungen ver-bunden. Denn entweder kann der Geförderte am Markthöhere Gewinne als seine Mitbewerber erzielen oder erkann sie preislich unterbieten.

So gut manche Tausch-, Verrechungs- und Unterstüt-zungssysteme auch immer gemeint und gedacht sind undmöglicherweise auch eine Zeit lang funktionieren, dieUngerechtigkeiten und Nachteile unseres allgemeinenWährungssystems sind damit kaum zu überwinden.

Was ist mit alternativen Geldsystemen?

Neben Tausch- und Verrechnungsringen kommen heuteauch immer häufiger privat organisierte Geldemissionenins Gespräch. Bernhard Lietaer, der in seinem Buch »DasGeld der Zukunft« weltweit 2 600 Tauschringe addiert hat,stellt eine ganze Reihe solcher privaten Geldausgaben vor.Er bezeichnet sie als »komplementäre« also ergänzendeWährungen zu den gegebenen staatlichen, deren Bestandin der gegebenen Form er für nicht veränderbar hält. Aller-dings spricht er auch von Geld, wenn Konsumläden Rabatt-marken oder Fluggesellschaften Vielfliegerbons ausgeben,da sie ebenfalls – wenn auch eingegrenzt – als Zahlungsmit-tel weitergegeben werden könnten.

Abgesehen davon, dass eine Ausgabe von privatem Geldin den meisten Ländern an der Genehmigung durch diezuständigen Notenbanken scheitern dürfte, sind die Vortei-le solcher komplementären Währungen für die Normalbür-ger nur schwer zu erkennen. Ein Geschäft sind sie jedoch

Page 593: Creutz - Das Geld-Syndrom

594

auf jeden Fall für den Emittenten, der sich – wenn derMarkt die Scheine akzeptiert – als Erstzahler oder -käuferdamit bereichern kann. Das zumindest, wenn keine Einlö-sungspflicht in die offizielle Währung zu einem bestimmtenSatz besteht bzw. durchsetzbar ist. Aber auch darüberhinaus ist zu fragen, welche Wirkungen zusätzliche Wäh-rungen überhaupt haben können.

Da jedes zusätzliche Geld allenfalls nur zum Teil auchzusätzliche Nachfrage und Produktion auslöst, muss eszuerst einmal für das gesamte vorhandene Geld inflationäreWirkungen haben. Weiterhin wird sich – auch wenn dasneue Geld anfangs mit dem Wert der vorhandenen Wäh-rung gleichgestellt wird – sehr bald ein Wechselkursgefälleausbilden, das sich im Allgemeinen zu Ungunsten der neuenWährung auswirkt. Weil nicht jeder jede Währung akzeptie-ren wird, ist man oft zum Geldwechseln gezwungen, womitgewerbliche Geldwechsler jeweils ihre Provisionen kassie-ren. Außerdem tun sich für Spekulanten neue Möglichkei-ten auf, das Unwissen anderer auszunutzen usw.

Die Hoffnung, mit solchen Komplementärwährungenwürden sich die Probleme der staatlichen Geldsysteme ver-bessern, scheint mir fehl am Platze. Sie widersprechenaußerdem den Tendenzen, die Zahl der Währungen mög-lichst zu verringern, um den Umgang mit Geld zu vereinfa-chen, wie das z. B. in Europa bereits der Fall ist.

Geht man von der Erwartung eines großen Crashs unse-res Welt-Geldsystems aus, dann könnten solche Erfahrun-gen und die Gewöhnung an privat emittierte Geldsystemefür die Zeit danach natürlich hilfreich sein. Ähnlich wie eshilfreich gewesen wäre, wenn die Passagiere auf der Titanicangesichts der Eisberge angefangen hätten, sich aus denBetten ihrer Kabinen Rettungsflöße zu bauen. Aber imHinblick auf die damit verbundenen geringen Rettungs-chancen würde ich es immer noch für sinnvoller halten, zur

Page 594: Creutz - Das Geld-Syndrom

595

Vermeidung einer solchen Katastrophe, auf den Kurs desSchiffes einzuwirken.

Können alternative Banken weiterhelfen?

Sieht man von der Bankmarge ab, belasten alle Bankenihre Kredite in dem Umfang mit Zinsen, wie sie den Geld-gebern Zinsen zahlen müssen. Als Aufschlag rechnen siedann noch ihre Vermittlungskosten hinzu.

Mit niedrigeren Zinsen können Banken also nur in demMaß Kredite vergeben, wie die Geldgeber auf Zinsen ver-zichten. Auch hier resultiert also der Vorteil des Kreditneh-mers aus einem Verzicht des Sparers. Nur wenn alle Sparerauf Zinsen verzichten würden, käme auch allen Normal-verbrauchern der Zinsverzicht in Form sinkender Preisezugute.

Untersucht man die Gegebenheiten bei den alternativenBanken, dann stellt man fest, dass die Bereitschaft zur zins-losen Hergabe von Geld auch bei dieser aufgeschlossenenSparerkundschaft äußerst gering ist. Selbst bei der anthro-posophischen GLS-Bank in Deutschland sind zinsverzich-tende Geldgeber nur eine Minderheit. Die deutsche Öko-Bank hatte sogar immer größere Schwierigkeiten, zur Auf-stockung des Eigenkapitals – wie das bei der Gründungnoch der Fall gewesen war – von Idealisten zinsfrei Geld zuerhalten. Entsprechend waren die Kredit-Zinssätze kaumgünstiger als bei den übrigen Banken.

Bedenkt man, dass diese alternativen Banken bisher nureinen ganz geringen Marktanteil erobern konnten, wird dieBegrenztheit der von diesen Banken ausgehenden Refor-mansätze nachvollziehbar. So hatte die deutsche Ökobankim Jahr 1999 mit einer Bilanzsumme von 380 Millionen erstein 30 000stel (= 0,0033 %!) des gesamten Geschäftsvolu-

Page 595: Creutz - Das Geld-Syndrom

596

mens aller deutschen Banken in Höhe von 11 800 Mrd. DMerreicht. Selbst wenn es 1 000 solcher alternativen Bankengeben würde, hätten sie gerade drei Prozent des gesamtenBankgeschäftsvolumens in der Hand.

Ein Vorteil der alternativen Banken ist zweifellos, dassdie Sparer über die Kreditvergabe in bestimmte Förde-rungsbereiche mit entscheiden können, manchmal sogarobjektbezogen. Aber auch auf diese Weise kommt es nurbedingt zu zusätzlichen Förderungen. Denn die Kreditver-gabekriterien der Öko-Bank, vor allem bezüglich der Risi-koabsicherung, entsprechen jenen aller Banken. Das heißt,die Kreditnehmer der Öko- oder Umweltbanken würden inder Mehrzahl aller Fälle auch bei ihren heimischen Kredit-instituten Geld zu ähnlichen Konditionen erhalten. Bes-timmte positive Förderungsbereiche, die sich sonst im Grosder Bankengeschäfte verlieren, werden durch die Alterna-tivbanken nur sichtbarer zusammengefasst. Die Masse derübrigen Kredite, ob für die Rüstung oder andere Industrie-bereiche, wird durch diese Konzentration jedoch nichtreduziert. Und dass solche Banken auch nicht vor Pleitensicher sind, hat sich 1999 bei der deutschen Öko-Bankgezeigt, die auf Grund einiger größerer Kreditausfälle vorder Zahlungsunfähigkeit stand.

Was ist mit den Umwelt- und Ethikfonds?

Auch diese speziellen Fonds schießen inzwischen überallaus dem Boden und fast jede große Bank bemüht sich, mitsolchen Einrichtungen das kritische Publikum im eigenenHaus zu halten. Oft werden sogar bei diesen Fonds beson-ders hohe Renditen versprochen. Trotzdem gilt für dieseso genannten ›Ethik-‹ oder ›Grüne Fonds‹ dasselbe, wasauch für alle anderen zutrifft. In allzu vielen Fällen dienen

Page 596: Creutz - Das Geld-Syndrom

597

sie in erster Linie dazu, die Gewissen der Anleger zu beru-higen.

Vor diesem Hintergrund sind auch die Bezeichnungen zuhinterfragen, mit denen sich diese Banken schmücken.Denn solange Bankeinlagen mit Zinseinnahmen und damitder Ausbeutung anderer verbunden sind, können sie nie alsethisch bezeichnet werden. Und solange die Verzinsung derEinlagen zu erhöhter Verschuldung in der Wirtschaftzwingt und damit auch zu erhöhtem Wirtschaftswachstum,ist auch die Verbindung von Einlagen mit ›Grün‹ unange-bracht.

Ähnlich, wie sich niemand an den eigenen Haaren ausdem Sumpf ziehen kann, gibt es auch keinen Trick, sichinnerhalb des gegebenen Systems dem Zinsproblem zu ent-ziehen, es sei denn wiederum nur auf Kosten anderer. Wohlaber können die Tauschring- und Alternativbanken durchThematisierung und Diskussionen dazu beitragen, ihreKunden in Sachen Geld bewusster und sachkundiger zumachen. Das geschieht heute vor allem in solchen Tausch-ringen, in denen Anhänger von Silvio Gesell tätig sind, vondem John Maynard Keynes bereits 1936 schrieb: »Ich glau-be, dass die Zukunft mehr vom Geiste Gesells als von jenemvon Marx lernen wird.«

Page 597: Creutz - Das Geld-Syndrom

598

36. Kapitel

Eine abschließendeZusammenfassung

»Ohne Reformen hin zu einer neuenForm des Wirtschaftens, bei der esnicht mehr normal ist, dass Teileunserer Gesellschaft, große Teile derWeltbevölkerung sowie unsereUmwelt auf der Strecke bleiben, wirdFanatismus als Ventil von Angst sichweiter verbreiten, egal ob mit politi-schen, rassistischen, religiösen oderanderen Etiketten.«Volker Freystedt*

* Sozialpädagoge, München 2000

Wie in diesem Buch ausführlich dargelegt, hängen die Pro-bleme im Geldbereich hauptsächlich mit zwei Überent-wicklungen zusammen: Den Überentwicklungen der Geld-menge, die zur Inflation führen, sowie den Überentwick-lungen der Geldvermögen (bedingt vor allem durch diedauernd positiven Zinssätze), die zur Überschuldung undeinem ständigen Wachstumsdruck führen, mit der Folgeimmer größerer sozialer und ökologischer Spannungen.Diese Überentwicklungen wiederum hängen im Grundemit simpel erscheinenden Tatbeständen zusammen. ZumBeispiel dem Tatbestand, dass der private Halter des öf-fentlichen Tauschmittels daraus einen zeitbezogenenGewinn ziehen kann, während auf der anderen Seite derprivate Halter eines Tauschgutes, für dessen Absatz das

Page 598: Creutz - Das Geld-Syndrom

599

Geld erfunden wurde, einen zeitbezogenen Verlust in Kaufnehmen muss. Die zunehmend problematischer werdendeGesamtsituation in unseren Volkswirtschaften ist alsoweniger die Folge überzogener Ansprüche der Bürger anden Sozialstaat, als die der zunehmenden Ansprüche desKapitals an das Sozialprodukt.

Um diese Entwicklungen und Überentwicklungen abzu-bauen, muss die Geldmenge kontrollierbar und der Umlaufverstetigt werden. Beides ist durch eine konstruktive Um-laufsicherung zu erreichen, die die heutigen Umlaufsiche-rungsmittel Zins und Inflation überflüssig macht. Dazuwiederum müssen drei Widersprüchlichkeiten überwundenwerden:

1. bezogen auf die Rechtslage des Geldes: der Wider-spruch zwischen öffentlichem und privatem Eigentum,

2. bezogen auf die Geldfunktionen: der Widerspruch zwi-schen Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel,

3. bezogen auf die Geldbegriffe: der Widerspruch zwi-schen Geld und Guthaben.

Der erste und dritte Widerspruch verhindern heute einekonkrete Geldmengensteuerung und damit die Überwin-dung von Inflation und Deflation. Der erste und zweiteWiderspruch verhindern eine marktgerechte Absenkungder Zinsen und damit den Abbau der Geldvermögens- undVerschuldungseskalationen sowie der daraus resultieren-den ungerechten Umverteilungen des Volkseinkommens.

Die Folgen dieser Fehlstrukturen sind Fehlentwicklun-gen schwerwiegender Natur. Sie zeichnen sich als zuneh-mende und immer weniger beherrschbare soziale, ökono-mische und ökologische Störungen ab, die schließlich inZerstörungen enden müssen.

Page 599: Creutz - Das Geld-Syndrom

600

Warum kommen wir unter die Räder?

In der zweiteiligen Grafik sind die Gesamtzusammenhängezwischen Geld und Gesellschaft noch einmal als ineinandergreifendes Rädersystem dargestellt. In Darstellung 88a istder monetäre Bereich wiedergegeben und in Darstellung88b der realwirtschaftliche. Schnittpunkt beider Bereicheist die Wirtschaft, die wegen der Aufteilung der Darstellungzweimal abgebildet ist.

Im monetären Bereich haben wir es mit einem Kreislauf zutun (1), der sich selbst immer mehr hochschaukelt: Mit derVerschuldung (links oben) nehmen aufgrund der damit ver-bundenen Zinsen die Belastungen der Wirtschaft zu undmit diesen wiederum die Zinserträge des Geldkapitals. Dadas Gros der Zinserträge auf den Konten stehen bleibt, ver-größern sich bei jedem Kreislauf, auch ohne weitere Neuer-sparnisse, die Geldvermögen und damit wiederum derZwang zur Höherverschuldung usw.

In der Sprache der Kybernetiker haben wir es bei unse-rem Geldsystem mit einem ›positiv rückgekoppelten Regel-kreis‹ zu tun, einem Regelkreis, der sich aus sich selbst her-aus beschleunigt. Vergleichbar ist das mit einem Motor, derbei steigenden Drehzahlen noch mehr Sprit ansaugt unddamit die Drehzahlen weiter steigert, oder einem Heizungs-thermostaten, der das Ventil bei steigenden Raumtempera-turen weiter öffnet, statt schließt. Dauerhaft funktionieren-de technische wie natürliche Regelkreise sind deshalb›negativ rückgekoppelt‹, das heißt, auftretende Überent-wicklungen bremsen sich selbst ab.

Page 600: Creutz - Das Geld-Syndrom

601

Darstellung 88a:

In Darstellung 88b sind die Folgen des monetären Über-wachstums, ausgehend von jenen in der Wirtschaft, in zweiHalbkreisen aufgezeigt. Der obere (2) gibt die ökono-misch-sozialen Auswirkungen wieder, der untere (3) dieökologischen.

Gehen wir zuerst dem oberen Halbkreis nach:Die ständig zunehmenden Ansprüche des Geldkapitals

an die (nicht so rasch steigende) Leistung der Wirtschaftführen zu einer Verringerung des Restanteils, der für dieArbeitleistenden übrig bleibt. Das heißt, die Einkommen

Page 601: Creutz - Das Geld-Syndrom

602

der Unternehmer und/oder der Arbeitnehmer müssenzwangsläufig mit der Überentwicklung der Geldvermögenund Schulden sinken. Die Folgen sind Nachfrage- und Inves-titionsrückgänge und schließlich zunehmende Firmenplei-ten und Arbeitslosigkeit. Auf Dauer und mit jedem Kon-junktureinbruch zunehmend, werden die sozialen Spannun-gen unerträglicher. Am Ende drohen Unruhen, Gewalt undAufstände bis hin zu Bürgerkriegen oder Weltkriegen.

Darstellung 88b:

Vermeidbar ist die Einkommensminderung der Arbeitleis-tenden nur, wenn man – wie der Halbkreis 3 wiedergibt –

Page 602: Creutz - Das Geld-Syndrom

603

das Sozialprodukt ständig vergrößert. Das muss mindes-tens um jenen Anteil geschehen, den das Kapital von Jahrzu Jahr mehr beansprucht. Soll die gegebene Verteilungsre-lation zwischen Kapital und Arbeit beibehalten werden,muss sogar das prozentuale Wirtschaftswachstum dem desGeldkapitals entsprechen. Eine solche dauernde Leis-tungssteigerung vergrößert jedoch sowohl den Ressourcen-verbrauch als auch die Umweltzerstörung. Dieser ›Aus-weg‹ aus der sozial-ökonomischen Krise führt alsobeschleunigt in die ökologische. Damit wiederum drohennicht nur Umweltkatastrophen, sondern auf Dauer auchgewaltsame Auseinandersetzungen um die knapper wer-denden Ressourcen.

Wo ist der Hebel anzusetzen?

Wie diese zusammenfassende Darstellung zeigt, gehen dieentscheidenden Probleme vom Überwachstum der Geld-vermögen aus. Für die Politiker ergibt sich daraus eineZwickmühle: Werden die wachsenden Geldvermögen nichtüber Kredite in die Wirtschaft zurückgeschleust, kommt eszu einer deflationären Rezession. Führt man die wachsen-den Geldvermögen in den Wirtschaftskreislauf zurück,kommt es zur Überschuldung und als Folge zu einem öko-nomisch-sozialen oder einem ökologischen Kollaps. In derWirklichkeit läuft die Entwicklung auf beides hinaus: Dersoziale Kollaps ist unausweichlich, weil das Wirtschafts-wachstum nicht im Tempo der Geldvermögenszunahmegesteigert werden kann. Der ökologische Kollaps ist unaus-weichlich, weil die Umwelt ein ständiges Wirtschaftswachs-tum nicht verkraftet, schon gar nicht bei gleichzeitigerBevölkerungszunahme auf unserem Planeten.

Dieses sich zu einem ›Geld-Syndrom‹ anhäufende Bün-

Page 603: Creutz - Das Geld-Syndrom

604

del problematischer Symptome im monetären Umfeld,lässt sich nur an einem einzigen Punkt nachhaltig verän-dern, nämlich an der Zinshöhe: Durch eine Absenkung derZinssätze lässt das Überwachstum der Geldvermögen nachund damit der weitere Verschuldungszwang. Mit nachlas-sender Verschuldung und sinkenden Zinssätzen reduziertsich die Verarmung der Arbeitleistenden und damit wieder-um der Zwang zum Wachstum.

Unser Geld, so wie es heute ist, zerstört die Welt! Ganzsicher wird eine Korrektur der Fehlstrukturen nicht alleProbleme aus der Welt schaffen können. Es werden nochgenügend übrig bleiben. So z. B. die noch zu lösendeBodenfrage, ein gerechter Familien-Lastenausgleich, dieEinführung wirklich greifender Umweltsteuern und man-che andere. Doch ohne diese Korrektur im Geldbereichwerden die problematischen Entwicklungen in aller Weltaus einfachen mathematischen Gründen mit jedem Tagdramatischer. Denn erst dann, wenn die Zinsansprüchedes Kapitals die Wachstumsrate unterschreiten, kann derÜberschuldungs- und Wachstumsdruck zurückgehen unddie Verarmung der Arbeitleistenden gestoppt werden. Underst dann, wenn jeder Leistende ein Anrecht auf den vollenLohn für seine Arbeit hat, kommen wir zu einer gerechtenWelt, die Voraussetzung ist für eine friedliche Zukunft.

Page 604: Creutz - Das Geld-Syndrom

605

Literatur

Andres, Fritz, Zur Reform der Grundsteuer – Zum Problemder Bodenverfügbarkeit – Der Boden ein Kapitalgut?,Fragen der Freiheit Nr. 250, Bad Boll 1999

Andres, Fritz, Bodenverteilung und Frieden, Stadtentwick-lung und Ökologie, Fragen der Freiheit Nr. 254, Bad Boll2000

Bartsch, Günter, Die NWO-Bewegung Silvio Gesells – Ge-schichtlicher Grundriß 1891–1992/93, Lütjenburg 1994

Batra, Ravi, Die große Rezession von 1990, München 1988Benjes, Hermann, Wer hat Angst vor Silvio Gesell?, Bicken-

bach 1996Bethmann, Johann Philipp von, Die Zinskatastrophe,

Königstein 1983Binn, Felix, Arbeit, Geldordnung, Staatsfinanzen, Lütjen-

burg 1983Binswanger, Hans-Christoph, Geld und Natur, Stuttgart

1991Boettcher, Horst, Mühlsteine – Staatsschulden – Zinslasten,

Bad Soden 1994Bastian, Till, Abschied vom Untergang – Essay über die Idi-

otie des Wachstums und die Rückkehr zum ökologischenMaß, Frankfurt 1996

Börger, Renate, Kapitalismus im Fieberwahn, München2001

Creutz, Helmut, Bauen, Wohnen, Mieten – Welche Rollespielt das Geld?, St. Georgen 1990

Creutz, Helmut, Wir brauchen ein anderes Steuersystem –Entwurf einer Alternative, Aachen 1996

Creutz, Helmut, Die Kassen sind leer – wo ist das Geldgeblieben?, IG Medien Forum, Nr. 6–7/1996

Creutz, Helmut, Warum stößt der Sozialstaat an seine Gren-zen?, Contraste, 10 und 11/1999

Page 605: Creutz - Das Geld-Syndrom

606

Creutz, Helmut, Die Welt im Börsenfieber und Schuldentau-mel – Folgen und Hintergründe, Sozialismus, 12/1999

Creutz, Helmut, Vermögens- und Einkommensverteilung ineiner kapitalistischen Wirtschaft und danach, Fragen derFreiheit Nr. 254, Bad Boll 2000

Creutz, Helmut, Geldschöpfung durch Geschäftsbanken –Theorie oder Wirklichkeit?, Zeitschrift für Sozialökono-mie (ZfSÖ) Nr. 108, Lütjenburg 1996

dito, Die Verschuldung in Deutschland, ZfSÖ Nr. 111,1996

dito, Bündnis für Arbeit – Ein wichtiger Partner fehlt amTisch, ZfSÖ Nr. 121, 1999

Creutz, Suhr, Onken, Wachstum bis zur Krise, St. Georgen1990

Deiß, Wilfried, Noch mehr Demokratie wagen, Frankfurt2000

Drewermann, Eugen, Jesus von Nazareth – Befreiung zumFrieden (Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon),Düsseldorf 1996

Drewermann, Creutz, Kennedy, Geld entmachten – Vorträ-ge zum Perspektivenkongress in Düsseldorf 1999, INWO-D 2000

Douthwaite/Diefenbacher, Jenseits der Globalisierung –Handbuch für lokales Wirtschaften, Mainz 1998

Deutsche Bundesbank, Die Geldpolitik der Bundesbank,Frankfurt 1995

Faber, Eberhard von, Die Zeit verstehen, Zukunft meistern –Strategien für einen dauerhaften Fortschritt, Bonn 1998

Fischbeck, Hans-Jürgen, Bedingungen für Nachhaltigkeitund Gerechtigkeit der Wirtschaft, Zeitschrift für Sozial-ökonomie Nr. 100, 1994

Fisher, Irving, Feste Währung – Zur Entwicklungsgeschichteder Idee, Leipzig (1937)

Freystedt, Volker, Was würden Sie ändern, wenn Sie Politi-

Page 606: Creutz - Das Geld-Syndrom

607

ker wären?, in: »Ungehaltene Reden mündiger Bürger«,Hrsg: Hildegard Hamm-Brücher, München 1999

Freystedt, Volker, Geld oder Leben – Zu den Risiken undNebenwirkungen unseres Geldsystems, Connection Nr. 5und 6/2000

Geitmann, Roland, Damit Geld dient und nicht regiert –Einführung, Christen für gerechte Wirtschaftsordnung(CGW), Berlin 1998

Geitmann, Roland, Anregungen für eine gerechte Wirt-schaftsordnung im 21. Jahrhundert, Fragen der FreiheitNr. 254, Bad Boll 2000

George, Susan, Sie sterben an unserem Geld, Reinbek 1988Gesell, Silvio, Die natürliche Wirtschaftsordnung (Gesam-

melte Werke Band 11), Lütjenburg 1991Glötzl, Erhard, Das Wechselfieber der Volkswirtschaften –

Anamnese und Diagnose, Geld statt Arbeit, Wien 1999Godschalk, Hugo, Die geldlose Wirtschaft – Vom Tempel-

tausch zum Barter-Club, Berlin 1986Grimmel, Eckhard, Kreisläufe und Kreislaufstörungen der

Erde, Reinbek 1993Gude, Jörg, Gesells Natürliche Wirtschaftsordnung in der

Kritik von Franz Oppenheimer, Zeitschrift für Sozial-ökonomie Nr. 116, 1998

Hankel, Wilhelm, John Maynard Keynes, München 1986Hankel, Wilhelm, Vorsicht unser Geld – Jeder sein eigener

Banker, München 1989Hannich, Günter, Sprengstoff Geld – Wie das Zinssystem

unsere Welt zerstört, Eigenverlag 1998Heinrichs, Johannes, Sprung aus dem Teufelskreis – Logik

des Sozialen und Natürliche Wirtschaftslehre, Wien 1997Hoffmann, Johannes, Gefährdet die Geldunordnung die

soziale Marktwirtschaft und die demokratische Grund-ordnung?, Zeitschrift für Sozialökonomie Nr. 102/1031994

Page 607: Creutz - Das Geld-Syndrom

608

Hüwe, Josef, Das Ringen um die Vollendung der sozialenMarktwirtschaft, Fragen der Freiheit Nr. 223, Bad Boll1993

Internationale Vereinigung für natürliche Wirtschaftsord-nung (INWO), Die Zukunft der Ökonomie – Eine Denk-schrift an die Wirtschaftswissenschaftler, Lütjenburg 1984

dito, Gerechtes Geld – gerechte Welt, Wege aus Wachstums-zwang und Schuldenkatastrophe, Lütjenburg 1992

dito, Zukunftsfähige Wirtschaft – 12 Beiträge zur 4. Interna-tionalen Tagung in Bern, INWO-Schweiz, Aarau 1995

dito, Zukunftsfähige Gesellschaft – 7 Beiträge zur 5. Interna-tionalen Tagung in Wien, INWO-Schweiz, Aarau 1999

Issing, Otmar, Einführung in die Geldtheorie, München1995

Jenetzky, Johannes, Abgaben als Instrument ökologischerZielsetzungen, in Umweltplanung, Umweltrecht undUmweltbewußtsein, in: Ludwigsburger Hochschulschrif-ten 1990

Jenner, Gero, Das Ende des Kapitalismus – Triumph oderKollaps eines Wirtschaftssystems?, Frankfurt 1999

Kafka, Peter, Gegen den Untergang – Schöpfungsprinzipund globale Beschleunigungskrise, München Wien 1994

Kennedy, Margrit, Geld ohne Zinsen und Inflation – EinTauschmittel das jedem dient, München 1991

Keynes, John Maynard, Allgemeine Theorie der Beschäfti-gung, des Zinses und des Geldes, Berlin 1936

Knauer, Peter, Wer bezahlt den Jokervorteil? Vorschlag zurbesseren Nutzung des Geldes, Die neue Gesellschaft –Frankfurter Hefte, Nr. 1/89

Kühn, Hans, 5000 Jahre Kapitalismus – Prinzip, Entstehung,Folgen eines Ordnungssystems, St. Georgen 1990

Lang, Thomas, Geld und Zins als monetäre Ursachen desWirtschaftswachstums, Lütjenburg 1998

Lietaer, Bernard, Das Geld der Zukunft – Über die destruk-

Page 608: Creutz - Das Geld-Syndrom

609

tive Wirkung des existierenden Geldsystems und die Ent-wicklung von Komplementärwährungen, Riemann,München 1999

Löhr, Dirk, Zins und Wirtschaftswachstum – Zu den mone-tären Voraussetzungen einer ökologischen Kreislaufwirt-schaft, Zeitschrift für Sozialökonomie Nr. 79, Lütjenburg1988

Löhr/Jenetzky, Neutrale Liquidität – Zur Theorie und prak-tischen Umsetzung, Frankfurt 1996

Loen, Ernst van (Hrsg.), Johannes Kleinhappl – ChristlicheWirtschaftsethik, Wien 1991

Martin, Paul C., Aufwärts ohne Ende, München 1991Martin, Paul C., Der Kapitalismus – Ein System das funktio-

niert, München 1991Mayer, Lothar, Ein System siegt sich zu Tode – Zur Unver-

söhnbarkeit von Ökologie und Ökonomie, Frankfurt 1991Mittelstaedt, Robert, Das Geld und seine Glaubwürdigkeit,

Alternative 2000, Nr. 34, 2000Moeves, Günther, Verlierer und Verleiher – Die Überschüs-

se fordern Opfer, Der Architekt Nr. 11, 1997Olah, Norbert, Zahlungsnetzwerk Münchner – Umset-

zungsstudie zum Bürgerbegehren, Düsseldorf/Kempten1999

Onken, Werner, Ein vergessenes Kapitel der Wirtschaftsge-schichte: Schwanenkirchen, Wörgl und andere Freigeld-experimente, Zeitschrift für Sozialökonomie 57/58, Lüt-jenburg 1983

Onken, Werner (Hrsg.), Perspektiven einer ökologischenÖkonomie, Lütjenburg, 1993

Onken, Werner, 1492–1992, 500 Jahre Mord, Landraub undAusbeutung in Lateinamerika, Zeitschrift für Sozialöko-nomie Nr. 94, 1992

Onken, Werner, Modellversuche mit sozialpflichtigemBoden und Geld, Lütjenburg 1997

Page 609: Creutz - Das Geld-Syndrom

610

Onken, Werner, Silvio Gesell und die Natürliche Wirt-schaftsordnung – Eine Einführung in Leben und Werk,Lütjenburg 1999

Onken, Werner, Frieden schaffen durch soziale Gerechtig-keit, Verlag für Sozialökonomie, Lütjenburg 2000

Onken/Bartsch, Natürliche Wirtschaftsordnung unter demHakenkreuz – Anpassung und Widerstand, Verlag fürSozialökonomie, Lütjenburg 1997

Otto, Georg, Warum der Marxismus scheitern musste –Basis eines Sozialismus in Freiheit, Rhade 1991

Otani, Yoshito, Ausweg Band Nr. 4, Ursprung und Lösungdes Geldproblems, Hamburg 1981

Penserot, Fritz, Auf dem Wege zur freiheitlichen Wirt-schafts-Ordnung, X. Teil, John Maynard Keynes, Fragender Freiheit Nr. 252, Bad Boll 1999

Pfannschmidt, Martin, Vergessener Faktor Boden, Lütjen-burg 1990

Probst, Jürgen, Fehlentwicklungen einer Zinswirtschaft –Ein Ausflug durch das Ausgeblendete, Hannover1998

Popp, Klaus, Zinswahnsinn – die Vereinbarkeit von Sozialis-mus, Liberalismus und Ökologie – Das Ende von Wachs-tumszwang und Ausbeutung, Frankfurt 1997

Rams/Ehrentreich, Arbeitslosigkeit – wie kann sie überwun-den werden?, Lütjenburg 1996

Reuter, Norbert, Wachstumseuphorie und Verteilungsreali-tät – Wirtschaftspolitische Leitbilder zwischen Gesternund Morgen, Marburg 1998

Rosch, Hoffmann, Homolka, Ethische Geldanlagen – Kapi-tal auf neuen Wegen, Frankfurt 1992

Rosenberger, Werner, Die Welt im Umbruch – Entwurfeiner nachkapitalistischen Wirtschaftsordnung, INWO-Schweiz, Aarau 1991

Rosenberger, Werner, Boden – Nutzen statt besitzen, Plädo-

Page 610: Creutz - Das Geld-Syndrom

611

yer für ein nachkapitalistisches Bodenrecht, INWO-Schweiz, Aarau 1997

Rosenbohm, Elimar, Überlegungen zu einer modernenWirtschafts- und Währungsordnung in der DDR, Lütjen-burg 1990

Samuelsen/Nordhaus, Volkswirtschaftslehre, Grundlagender Makro- und Mikroökonomie, Köln 1987

Schleisiek, Klaus-Peter, Übliche Einwände gegen die frei-wirtschaftliche Reform mit Entgegnungen, Aachen 1998

Schmitt, Klaus, Silvio Gesell – »Marx« der Anarchisten? –Texte zur Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalis-mus, Berlin 1989

Schulz, Reinhold, Menschenrecht oder Untergang, Hanno-ver 1985

Seminar für freiheitliche Ordnung, Die Ordnung der Kul-tur, des Staates und der Wirtschaft für die Gegenwart – sie-ben Thesen, Bad Boll 1981

Senf, Bernd, Der Nebel um das Geld – ein Aufklarungsbuch,Lütjenburg 1996

Senft, Gerhard, Weder Kapitalismus noch Kommunismus –Silvio Gesell und das libertäre Modell der Freiwirtschaft,Berlin 1990

Suhr, Dieter, Geld ohne Mehrwert – Entlastung der Markt-wirtschaft von monetären Transaktionskosten, Frankfurt1983

Suhr, Dieter, Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalis-mus, Berlin 1986

Suhr, Dieter, Gleiche Freiheit – Allgemeine Grundlagen undReziprozitätsdefizite in der Geldwirtschaft, Augsburg1988

Suhr, Dieter, Alterndes Geld – Das Konzept Rudolf Steinersaus geldtheoretischer Sicht, Schaffhausen 1988

Suhr, Dieter, Kapitalismus als monetäres Syndrom, Frank-furt 1988

Page 611: Creutz - Das Geld-Syndrom

612

Suhr, Dieter, The Capitalistic Cost-Benefit Structure ofMoney – An Analysis of Money’s Structural Nonneutralityand its Effects on the Economy, Frankfurt/New York 1998

Timm, Uwe, Herrschaftsfreie Wirtschaft – Arbeitslosigkeitkein unabwendbares Schicksal, Contraste, Juni 97

Timm, Uwe, Geld regiert die Welt, espero, Febr. 1997Vogel, Gesima, Aufbruch in eine neue Welt – Die Vergesell-

schaftung der Existenzmittel Boden und Geld, Hamburg1991

Walker, Karl, Neue Europäische Währungsordnung –Indexwährung, flexible Wechselkurse, Europa-Mark,Lauff bei Nürnberg 1962

Walker, Karl, Das Weltwährungssystem – Eine Kritik an dentheoretischen Grundlagen und ein Entwurf zur Reform,Lütjenburg 1978

Walker, Karl, Das Buchgeld, Heidelberg 1952Walker, Karl, Die Technik der Umlaufsicherung des Geldes,

Heidelberg 1952Walker, Karl, Ausgewählte Werke, Lütjenburg 1995Walker, Karl, Das Geld in der Geschichte, Zürich 1999Weitkamp, Hans, Das Hochmittelalter – ein Geschenk des

Geldwesens, St.Georgen 1993Wendnagel, Wera, Die Frauenfrage in der männlichen Öko-

nomie, Zeitschrift für Sozialökonomie Nr. 118, 1998Werner, Hans-Joachim, Geschichte der Freiwirtschaftsbe-

wegung, 100 Jahre Kampf für eine Marktwirtschaft ohneKapitalismus, Münster 1989

Winkler, Ernst: Theorie der natürlichen Wirtschaftsord-nung, Heidelberg 1952

Zinn, Georg, Wie Reichtum Armut schafft – Verschwen-dung, Arbeitslosigkeit und Mangel, Köln 1998

Zinn, Georg, Die Wirtschaftskrise, Wachstum oder Stagnati-on – Zum ökonomischen Grundproblem reifer Volkswirt-schaften, Mannheim 1994

Page 612: Creutz - Das Geld-Syndrom

613

Anschriften von Vereinigungen und Initiativenzum Thema Geld und Bodenreform:

Christen für gerechte Wirtschaftsordnung e. V. / CGW,Geschäftsstelle: Rudloffweg 12, D–14195 Berlin

Equilibrismus e. V. – Das sozialökologische Wirtschaftskon-zept, Geschäftsstelle: Andreestr. 6, D–80634 München

Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung e. V./INWODeutschland, Geschäftsstelle: Max-Bock-Straße 55, D–60320 Frankfurt

Initiative für Natürliche Wirtschaftsordnung / INWO-Schweiz, Geschäftsstelle: Postfach: CH–5001 Aarau

Initiative für gerechte Wirtschaftsordnung / INWO-Austria,Geschäftsstelle: Staudingergasse 11, A–1200 Wien

INWO-D Infobüro: Klaus Popp, Blasiusstr. 63, D–40221Düsseldorf

Seminar für freiheitliche Ordnung e. V. / SffO, Geschäfts-stelle: Badstraße 35, D–73087

Sozialwissenschaftliche Gesellschaft e. V. / SG, Geschäfts-stelle: Postfach 1550, D–33145 Northeim

Stiftung für Reform der Geld- und Bodenordnung,Geschäftsstelle: Pinnaudamm 4, D–25421 Pinneberg

Achtung: Internet-Portal zur Geld- und Bodenreformbe-wegung: www.inwo.de, sowie: www.geldreform.net

Anschriften von Zeitschriften:

Alternative 2000 – Zeitschrift für neues Denken in Politikund Gesellschaft, Redaktion: Gänseberg 11, D–31079Eberholzen

Der Dritte Weg – Zeitschrift für die natürliche Wirtschafts-ordnung, Redaktion: Rappenbergstraße 64, D–91757Treuchtlingen

Page 613: Creutz - Das Geld-Syndrom

614

Evolution – Zur Neugestaltung von Wirtschaft, Politik undUmweltbeziehungen, Redaktion: Postfach, CH–5001Aarau

Fragen der Freiheit – Beiträge zur freiheitlichen Ordnungvon Kultur, Staat und Wirtschaft, Redaktion: Badstraße35, D–73087 Boll

Zeitschrift für Sozialökonomie – Hrsg. Stiftung für Reformder Geld- und Bodenordnung und der Sozialwissen-schaftlichen Gesellschaft, Redaktion: Steenkamp 7, D–26316 Varel

Page 614: Creutz - Das Geld-Syndrom

615

Personenregister

Abbe, Ernst 163 f.Adenauer, Konrad 506Alexander II., Papst 112Aquin, Thomas von 30Aristoteles 111

Barth, Karl 516Batra, Ravi 309Bendikt XIV., Papst 113Bethmann 29Biedenkopf, Kurt 279Binn, Felix G. 563Binswanger, Hans Christoph

176 f., 428, 434Bodin, J. 30Bombach, Gottfried 321,

452Bonifatius VIII., Papst

114Borchert, Jürgen 570Brandt, Willy 162Brecht, Bertolt 407Bregger, Klaus E. 172Breit, Ernst 392Bush, George 264 f.

Camdessus 448Churchill, Sir Winston 33Clemens IX., Papst 114Clinton, Bill 264Cornfield, Bernie 349

Daladier, Eduard 70, 545Drewermann, Eugen 138

Ehmke, Horst 479Ehrenberg 438Ehrlicher, Werner 53Eilers, Eckard 410Eisenhower, Dwight D. 507, 528Emminger, Ottmar 188Ende, Michael 171, 392, 504Engels, Friedrich 124, 456Engels, Wolfram 177, 385, 577Esambert, Bernhard 371Eucken, Walter 572

Fabricius, Hans 504Fels, Gerhard 134Fisher, Irving 83, 545, 563Freystedt, Volker 598Friderichs 420Friedman 563

Gates, Bill 305, 356Geitmann, Roland 550George, Susan 163, 517Gesell, Silvio 104, 128, 450, 457,

544 f., 563 f., 589, 592, 596Gillies, Peter 181, 462, 482Glötzl, Erhard 225, 567Godschalk, Hugo 174, 312Goodfriend, Marvin 450

Page 615: Creutz - Das Geld-Syndrom

616

Gorbatschow, Michail 457,464

Gregor von Nyssa 112Grimmel, Eckard 580

Hankel, Wilhelm 352, 435, 539Hartmann, Wendelin 242Hauff, Volker 420, 422Haußmann, Heinrich 145 f.Helmstädter, Ernst 441Hesse, Helmut 135Hitler, Adolf 438Hussein, Saddam 512 ff.Hüwe, Joseph 292

Issing, Ottmar 30, 60, 243, 248,270

Jenetzky, Johannes 422Jenner, Gero 493Jochimsen, Reimund 322

Kafka, Peter 585Kennedy, Margrit 146Keynes, John Maynard 115, 127,

176 f., 180, 223, 248, 435, 450,490, 492, 510, 563 ff., 574, 596

Klasen, Karl 211Knauer, Peter S. J. 377Kohl, Helmut 266Konfuzius 27Kopernikus, Nikolaus 179Kopper, Hilmar 173 f.Kronawitter, Georg 390

Lenin 455Leutwiler, Fritz 180, 183, 480Lietaer, Bernhard 593

Lincoln, Abraham 504Lothar I. 112Luther 437Lütje, F. 30Lykurg 118

Martin, Paul C. 253Marx, Karl 124, 326, 456, 596Miegel 385Mierheim 385Möller, Alex 515

Naumann, Friedrich 112Nietzsche, Friedrich 30

Onken, Werner 552Overhaus, Manfred 321

Paster, Adolf 503Planck, Max 566Platon 30Pohl, Rüdiger 291Pol Pot 455Proudhon 572

Quandt 346 f., 356

Reagan, Ronald 91, 264 ff.Reifner, Udo 91 f.Rosenberger, Werner 282, 526Runde, Ortwin 400

Samuelson, Paul A. 212, 214 f.Schalck-Golodkowski 278Scherhorn, Gerhard 466Schiller, Karl 179Schirmer, Dietrich 178Schlesinger, Helmut 199

Page 616: Creutz - Das Geld-Syndrom

617

Schmeljow, Nikolai 451Schmölders, G. 30Senjur, Marjan 458Silva, Luis Ignacio 517Smith, Adam 270Soros, George 369Späth, Lothar 280Stein, Lorenz von 270Steiner, Rudolf 564Struensee, Karl August von 270Suhr, Dieter 39, 156, 551, 543,

553, 575Syrus, Publ. 30Szallies, Rüdiger 307

Thatcher, Margret 489Thurow, Lester C. 305Tietmeyer, Hans 286, 371Tobin, James 373, 573Tolstoi, L. 30

Ude, Johannes 112Unterguggenberger 544, 546

Vickers, Vincent C. 533Vogelsang, Karl von 112

Wallich, Henry C. 188Wedemeier 515Weder, Hansjürg 340Weitkamp, Hans 118Weizsäcker, Ernst Ulrich von

498Weizsäcker, Robert K. von 169Wichmann von Magdeburg,

Erzbischof 119Wicke 385Winkler, Ernst 504

Zimmer, Carl 280Zinn, Karl-Georg 311

Page 617: Creutz - Das Geld-Syndrom
Page 618: Creutz - Das Geld-Syndrom

619

Sachregister

AEG 476 ff.Aktien 293 f., 351–363Aktienbestände 353–356Aktienspekulationen 351 ff., 363Alterssicherung 500 ff.Annahmezwang 21, 34, 535,

538 f.Arbeit 38 f., 159 ff., 164 f., 167,

603Arbeitslosigkeit 81, 92, 181 f.,

190, 223, 448, 466–492, 499Arbeitszeitverkürzung 172,

469 f., 472Armut 138, 178, 393–397–, Wechselbeziehungen zwischen

Reichtum und 395–406Ausgabenerhöhung 191Ausland, Geldbestände im 42,

44, 200 f.Auslandsverschuldung 254, 257,

458, 462

Bank, Geldumlauf bei Zwi-schenschaltung einer 74

Bankeinlagen, Umschichtungvon 549

–, Fehlbenennungen der 33Banken 32, 61 f., 73 f., 83–108,

232–235–, alternative 595 f.–, Hauptaufgaben der 87 ff.

–, Kredite der 99 f.–, Macht der 89–93–, Zinserträge und -aufwendun-

gen der 135 ff., 312 ff.Bankenzusammenbrüche 91,

437, 449Bankguthaben 27, 29, 55, 58, 64,Bankmarge 125 ff., 129 f., 135,

151, 174, 312Bargeld 29, 33, 35, 38, 41 ff., 47 f.,

58 f., 61 f., 64, 68, 86 ff., 98 f.,100, 106, 134, 208, 214, 216,218, 243, 546, 555 f., 559 ff.,583 f.

Bargeldhaltung 117, 549Bargeldmenge 37, 41 ff., 51, 59,

61, 64, 66 f., 73 f., 106, 199,204, 215 ff., 244, 548

Barter-Clubs 586 f., 591Beschäftigungsschwankungen

466–476–, kurzfristige 467 f.–, langfristige 467–474–, mittelfristige 467, 474 ff.Bezahlen 67 f.BMW 356Bodenreform 575 ff.Börsen 349 ff., 357–361, 364–367,

373, 496Börsengeschäfte, Zunahme der

66

Page 619: Creutz - Das Geld-Syndrom

620

Börsengrößen 357–361Brakteaten 118–122, 543Bruttoeinkommen, Aufteilung

der 161Bruttosozialprodukt (BSP)

34, 41, 44 f., 64 ff., 86, 117,160, 168, 203 ff., 207, 258 ff.,271, 283 f., 296 f., 313 f., 316,323, 327, 333, 357, 401 f.,423, 427, 429, 444, 485, 599,603

Buchgeld 29, 55

Clearingbestände 100, 102

Daimler-Benz 478 f.defecit-spending 490Deflation 197 f., 206, 447, 449,

542, 599Deregulierung 499 f.Derivate 365 ff.Destabilisierung, monetäre 458Deutsche Bundesbank 29, 32, 42,

66, 88, 93 ff., 98, 106, 108,134 f., 153, 182, 188, 196 f.,199 f., 203, 207, 209, 212,214 ff., 218, 220, 222, 226 f.,229, 236, 242, 246, 269, 286,293, 304, 306, 312, 536 f., 561,581

Deutschland 41 f., 44, 46 f., 49,51, 64, 86, 88, 92, 101 f., 131 f.,134, 149, 159, 201, 247, 254,256–259, 266 f., 271 f., 300,305 f., 313, 322 f., 333, 341, 353,355 f., 359, 392, 396–399,403 ff., 416, 431, 437, 487, 489,494, 501, 507, 534, 581

Devisen, Ankauf von 48 f.–, Hortung von 461Dienstleistungen 429 f.Diskontzins 131, 226, 228Doppelphänomen 57Dritte Welt 255, 517, 519 f., 514Durchhaltekosten (carrying

costs) 564

E-Cash 31 ff.Eigenkapitalverzinsung 123, 313Einkommen 60, 80 f., 87, 97, 157,

170, 189, 261 f., 381, 386, 393,398, 402, 424, 472 f., 579, 601

–, leistungslose 113, 125, 378, 495–, ungerechte 116, 377 f.–, verfügbare 395 ff., 398, 404Einkommens- und Verbrauchs-

stichprobe 300 ff.Einnahmen-Ausgabenrechnung

123Einrichtungen, öffentliche 20,

51 f., 535–538, 551, 585Einzelpreisveränderungen,

marktbedingte 191 f.Eisengeld 118Entwertung, inflationäre 41, 152,

271, 458Entwicklungsländer 253 f., 257,

266, 518–523–, Schuldenerlass für die 524 ff.–, Verschuldung der 519–523Ersparnisbildungen, Folgen von

75 ff.Euro 43 ff., 46, 98, 102, 133, 232,

322, 581 f.Euroländer, Bargeldmengen in

den 43

Page 620: Creutz - Das Geld-Syndrom

621

–, Inflationsentwicklung in den186 f.

–, Verschuldung der 273 ff.Europäische Union, Armut in

der 394 f.Europäische Zentralbank

(EZB) 30, 32, 55, 60, 83, 95,98, 103 f., 106, 108, 133, 186,215, 218, 228–232, 246, 581

Europäisches System der Zen-tralbanken (ESZB) 43, 93,95

Fehlstrukturen, monetäre 19,572, 598–604

Forderungsausgleich 37Fremdkapitalverzinsung 123Fristentransformation 137, 152

G7-Länder, Geldvermögen derPrivathaushalte in den 299

–, Konsumentenschulden in den282 f.

–, Verschuldung der 271 ff.Geld 19 ff., 27 ff., 31 f., 34–41,

51 f., 55 ff., 63, 66 f., 69, 115,144 f., 171–174, 189, 212, 215 f.,242, 292, 351, 362, 423, 456,497, 535 f., 599

–, Bedeutung von 21 ff.–, Definition von 28 ff., 34 f.–, Eigentümer von 20, 51 f.,

537 f., 551, 599–, Nutzungszwecke von 35 f.–, Überlegenheit von 38 f., 111,

115, 145–, Widersprüchlichkeiten von

20 f., 27, 599

Geld- und Währungsbereich,Bedeutung des 22

Geldbasis 33, 86, 106Geldbegriffe 27–52Geldhortung 68, 199–210, 450Geldkarten 31 f., 559Geldkreislauf 35 f., 70–82, 114,

120, 537 ff.–, Unterbrechung des 35 f., 113,

448Geldmangel 77, 197 f., 202, 206,

544Geldmenge 27, 29, 33 f., 47 ff.,

53 f., 56, 60, 64, 71 f., 77, 82, 99,103, 105 f., 131, 180, 184,201 ff., 209, 212–220, 223, 226,232, 236, 242 ff., 293, 543, 554,599

Geldmenge M0 86Geldmenge M1 33, 66, 106,

208 f., 215, 218Geldmenge M2 33, 242Geldmenge M3 33, 106, 215,

217 f., 242Geldmenge, Überentwicklung

der 598Geldmengenausweitung 47 ff.,

51, 105, 190, 192, 195, 214, 221,480

Geldmengenregulierung 48,103 f., 214 f., 459

Geldmengensteuerung 42, 47 f.,101, 106 f., 198, 210, 211–224,227, 461, 554, 556, 599

Geldmengenverminderung 438Geldmengenziele 105Geldnutzungsgebühr 552 f.,

582 ff.

Page 621: Creutz - Das Geld-Syndrom

622

Geldrechtsordnung, Korrekturder 550 f.

Geldreform, Auswirkungen der552–569

–, Einwände zur 570–584–, Zinsbildung nach der 556 ff.Geldsammelstellen 67Geldschöpfung 103, 118, 225,

236–249–, multiple 238 ff., 243Geldstreik 449, 505, 542 f., 565,

569Geldsystem, Korrektur des

533–551Geldsysteme, alternative

593 ff.Geldüberhang 454 f., 463Geldumlauf 34, 46 f., 70–82,

95 ff., 103 f., 116, 120, 190,211–224, 446, 459, 541

Geldumtausch, innerdeutscher64, 464 f.

Geldverknappung 113 f., 116,122, 129, 145, 154 f., 438, 447

Geldverleih 35 f., 53 f., 63, 70 ff.,76 ff., 113, 115, 176

Geldvermögen 56 f., 61, 82, 87,91, 124, 148, 159, 173, 288,292–311 ff., 314, 348, 379, 398,401 f., 424, 426 f., 430, 432, 439,472, 479, 498

–, private 298 ff., 307–, Überentwicklung der 292–311,

598, 602 ff.Geldvermögensarten 294, 301Geldverruf 119, 121Geldwertstabilität 179 f., 184Geldzurückhaltungen 73, 116 ff.,

155, 190, 447, 450, 456, 496,509, 540 f., 553, 573

Gesamtpreisveränderungen,geldmengenbedingte 191

Gesamtrechnung, volkswirt-schaftliche (VGR) 314

Gesamtverschuldung 194,258–262, 319, 333

Geschäftsbanken 83 f., 99, 101,104,131, 134, 225, 549 f.,554 f.

–, Geldschöpfung durch die236–249

Gesellschaft, Zusammenhängezwischen Geld und 600 ff.

Gewalt, Geldzerstörung und457

Gewinne 79, 122 f., 144, 598Giralgeld 29, 35, 57, 60, 62, 68,

86, 243, 546, 549, 553, 555 f.,559, 583 f.

Girokonten 29, 34, 41, 60, 68,88 f.,

Globalisierung 497–501Gold- und Silbergeld 40, 51Golfkrieg 510–514Größen, Entwicklung monetärer

65Güter 38 ff., 115, 155, 192, 363,

456, 538Guthaben 33, 53–58, 62 f., 69,

71 f., 77, 81, 87, 215 f., 242,292 f., 535, 599

–, Geld und 53–69Guthabenübertragung 37, 58 f.,

61, 73 f., 88Guthabenzins 58, 127, 152, 553,

556, 558

Page 622: Creutz - Das Geld-Syndrom

623

Habenzins 125, 127, 129Hochzinsphasen 341, 399, 444 f.,

476, 478 ff., 482, 487, 492Hyperinflationen 183, 186, 223

Industrienationen, Inflation inden 183–187

Inflation 27, 97, 179–198, 323,363, 379, 446, 448, 453, 458,481, 539–543, 568, 582 f., 598 f.

–, importierte 49, 193–, Zinserhöhung bei 195 ff.Inflationsaufschlag 128, 556Inflationsausgleich 126 f., 193,

379Inflationsentwicklung- und

erwartung 151, 153 f.Inflationspotenzial 202, 207Inflationsrate 127, 191, 193,

202 f., 215, 223, 442, 569Inlandsverschuldung 254, 257Internet, Zahlungen im 31 ff.

Japan 91 f., 131, 149, 198, 264,271, 284, 291, 300, 353, 355 f.,436, 449, 558, 569, 580

Jugoslawien 66, 457 f.

Kapital 123, 142, 159–162, 164 f.,167, 189, 216, 432, 439, 495 f.,498 ff., 507, 516, 569, 580, 603 f.

Kapitalflucht 578 f.Kapitalisierung 496Kapitalismus 178, 439 f., 493,

495 ff., 499 f., 585Kapitalkosten 142 f., 158 f.Kapitalmarktzins 134, 163, 534 f.,

540, 542,

Kapitalrendite 508, 564 f.Kapitalverkehr, Freizügigkeit

des 351, 372 ff.Kapitalvernichtung 503, 509 f.,

511Kaufkraft 21, 32, 38, 40 f., 54 f.,

87 f., 126, 161, 181, 189, 192,213, 216, 244, 308, 318, 535,542, 580

Kaufkraftstabilität 93 ff., 99,104 f., 152, 186, 213, 215, 226,541, 553, 583

Kaufkraftverlust, inflationsbe-dingter 379 f., 455

Knappheitsaufschlag 128, 556 f.Knappheitsgewinne 39, 124, 144,

535Knappheitspreis 39, 145, 174 f.Konjunktureinbrüche 81, 369,

399, 440–444, 490 ff., 503 f., 602Konsumentenkredite 282–286,

341 ff.Konten, Zahlungsabwicklungen

über 59Kredite 48, 55, 63 ff., 66 f., 87,

98 ff., 244 f., 269, 308, 430Kreditkarten 27, 31, 35Kreditpotenzial 62, 74, 99, 233,

546–550, 553, 579Kreditschöpfung 237–241Kreditzins 129Kriege 189, 405, 416 ff., 437 f.,

504–508, 510–514, 527Kurseinbrüche 351 f., 362, 364 f.Kursschwankungen 362 ff.

Lebenshaltungsindex 191Leihgebühren 114 f.

Page 623: Creutz - Das Geld-Syndrom

624

Leistungen 28, 34 ff., 40, 80 f., 87,115, 139, 144, 180 f., 184, 189,192, 456, 580

Leistungstausch 28, 36Leitzinsen 131 ff., 135, 152, 226,

228, 480 f., 554–, Erhöhung der 97, 135, 152Liberalisierung 495, 499 f.Liquidität 33, 144, 176, 234, 549Liquiditätshaltungen, spekulati-

ve 202 f.Liquiditätsprämie 128, 556Liquiditätssteuerung 228 ff.Liquiditätsvorteil 115, 563Lohnerhöhungen 192 ff.Lombardzins 133, 226, 228

Maastricht-Vertrag 581Marktwirtschaft 453, 493 ff., 496,

567 f., 585–, freie 493, 495 f., 551, 572–, soziale 494 ff., 551Marktzins, Einfluss der Noten-

banken auf den 133 ff.Mehrwert 27, 122, 551Mehrwertsteuer 142, 157 ff.,

339Mengentender 230 f.Microsoft 356Mindestreserven 86, 98, 100–103,

131, 214, 246 f.Mindestreserveregelungen, län-

derspezifische 101Mindestreservesätze, Verände-

rungen der 102Monetäre Finanzinstitute

(MFIs) 84, 231Münzgeld 29, 41 f., 50

Nachfrage 38, 54, 77, 80 f., 87,144, 154, 189 f., 191 f., 198,210, 448, 450, 453, 490, 502,554

–, Angebot und 33, 36, 104, 128,143, 151, 155, 175, 180, 184,189 f., 213, 363, 449, 493, 535,543, 553

–, Kreislaufmodell mit direkterund kreditfinanzierter 80

Nachfragepotential 546 f., 549 f.,553, 555

Nachkriegsinflationen 185Nachsparleistung 54, 63Nennwert 40, 50, 544Nettoersparnis 82Nettogeldvermögen 299, 301 f.,

304Neue Armut 392–406Nichtbanken 83, 86, 88, 106, 134,

215Nominalzins 125Notenbanken 33, 37 f., 47–51,

55, 63 f., 67 f., 83 f., 93, 95 ff.,98 ff., 100 f., 103–108, 131,134, 154, 181, 186, 188, 190 f.,193, 195, 197 f., 201, 210,212 f., 215, 220–226, 228,293, 480 f., 539, 541 f., 549,553 f.

–, Aufgaben der 93 f.–, Geldmengenziele der 105–, Geldschöpfung durch die

225–235Notenbankgewinne 107 f.Nullwachstum 172, 417, 425Nullzins 163, 172, 175, 425, 526,

553, 557 f., 569, 583

Page 624: Creutz - Das Geld-Syndrom

625

Ökosteuern 433 f.Ostblockstaaten, Auslandsver-

schuldung der 275–279–, Zinsprobleme in den 459–462

Papiergeld 41 f., 49, 186, 202Pensionssatz 227Planwirtschaften 451–465Preise 142 ff., 157, 159, 162, 174,

189, 191, 338, 380, 390, 453,471, 535

Preisniveau 27, 191, 454, 554, 583–, steigendes 181, 185, 223, 454,

554Primär- und Sekundärphänome-

ne 56Privatschulden 280, 282–286,

302, 341 f.Profit 27, 122Publikum 83, 86

Quellenbesteuerung 209

Realwirtschaft, Aktienspekulati-on und 361 f.

Realzins 125, 127Referenzgröße M3 215Refinanzierung 132 f., 230,

235 ff., 548Refinanzierungssätze 228 f.Reichtum 178, 393–397, 571Reinigungskrisen 509 f., 518, 527Rendite 27, 122, 500Rentabilitätsgrenze, Überschrei-

tung der 127Rezessionen 310, 504, 509, 527,

603Risikoprämie 444

Rüstung 504 ff., 508 f., 511, 522 f.,527

Rüstungskonversion 515 f.

Sachkapital 495Sachleistungen 37 f.Sachvermögen 124, 159, 313,

326, 331–334, 337, 398, 402,424, 496

Sachwerte, Flucht in 574 f.Schattenwirtschaft 199Schecks 27, 31, 35, 37 f.Schenkungen 35 f., 71, 75, 87Schneeballeffekt 362 f.Schrift, Vergleich von Sprache

und 56 f.Schulden 53 f., 63, 71 ff., 77 ff.,

81 f., 91, 173, 256, 280, 282,302, 308, 312 ff., 427, 439, 602

–, Überentwicklung der 253–263Schuldenerlass 524 ff.Schuldenüberwindung 280,

287–291Schwarze Märkte 455, 460Schweiz 51, 130 f., 226, 305, 329,

380, 392, 569, 589Schweizerische Nationalbank

106, 180, 207, 209Siemens 350, 477, 479Sicherungsfonds 92, 392, 64Sichtguthaben 29, 34 f., 57 ff.,

60 ff., 64, 66, 68 f., 86, 88, 106,203, 216, 237, 243 f., 546 f.,549

Sollzins 125, 127, 152Spannungen, soziale 82, 111, 183,

309, 424, 494, 598, 602Sparen 67 f.

Page 625: Creutz - Das Geld-Syndrom

626

Spekulationen 348–374, 572 ff.Spitzenrefinanzierung 233, 235Spitzenrefinanzierungssatz 229Staatsverschuldungen 79, 92,

264–279, 440, 581

Tauschmittel 21, 28, 113, 115,171, 174, 539, 550 f., 599

Tauschringe 585–589, 591 ff.Tendersatz 230 ff.Teufelskreis, monetärer 308Tilgungen 71 ff., 290 f.Tilgungsvorgänge 71 ff.Transaktionen, bargeldlose

233Transaktionsgebühr 573 f.

Überalterung 501Überlassungen, leihweise 54 f.,

68, 77 f., 134, 242, 541Übernacht- und Innertagkredite

232, 235Überschuldung 282, 287 f.,

293Überschuss 122 f.Übertragungen 68Umlaufsicherung 97, 99, 104,

198, 224, 450, 540–543, 552,554, 557–560, 563 ff., 567 ff.,575, 579, 583, 599

–, zinsunabhängige 543–546Umschichtungen, spekulative 62,

549Umverteilung, zinsbedingte

141 f., 149, 156–178, 173, 382,388, 391

Umwelt- und Ethikfonds 596 f.Umweltzerstörung 428–434, 603

Unternachfrage 447Unternehmen, verschuldete

476 ff.Unternehmensschulden 280 ff.Unternehmenssektor, Zins-

größen im 326–339US-Dollar 32, 42, 46, 108, 300,

305USA 49, 91, 151, 201, 256, 258,

264 f., 271, 284, 323, 341, 344,353 ff., 359, 361, 365, 403, 405,487 ff., 513 f.

Verfügungen, girale 68Verluste 123, 598Vermögenseinkommen 169Vermögensverteilung 298 ff.,

305 f., 382 ff., 386Volkswirtschaften 21, 36, 46, 54,

61, 77, 79, 82 f., 87, 91, 98,116, 149, 184, 194, 202, 309,314, 319, 327, 332, 348, 405,430, 446, 484, 547, 551, 569,599

Vollbeschäftigung 471VW 350

Wachstum, exponentielles 21,146, 409 ff., 414, 423

Wachstumsabläufe 408 ff.Wachstumsförderung, staatliche

431 f.Wachstumsraten 413, 415, 485,

604Wachstumsregeln 407 f., 412 f.,

422, 438Wachstumszwang, zinsbedingter

177, 423–427, 543

Page 626: Creutz - Das Geld-Syndrom

627

Währung, stabile 180, 182 ff.,481

–, private 32Währungsreform 46, 437, 469Währungssicherung 94 ff.Währungsspekulationen 368 ff.Währungsumstellung 44 f.Warenkorb 191 f.Wechselkredite 131 f.Wechselkurse 94, 101, 367–370,

460, 463, 556, 579Wechselkursspekulationen

367–370Weichwährungsländer 200Weitergabezwang 21, 535, 538 f.Wertaufbewahrungsmittel 36,

539 f., 599Wertpapier-Pensionsgeschäfte

133Wertschöpfung 168, 280 f., 327Wiedervereinigung 64, 66, 271,

319, 390, 464 f.WIR-Wirtschaftsring 589–592Wirtschaft, Geldversorgung der

63, 93 f., 96, 99, 225–232–, Kreditversorgung der 63, 98 f.,

225, 555–, unbarer Zahlungs- und Ver-

rechnungsverkehr in der88

Wirtschaftsentwicklung 415 ff.,428, 540

Wirtschaftskrisen 435–450Wirtschaftsleistung 54, 64, 66, 82,

87, 160, 165, 167, 226, 282, 402,415, 427 f., 438 f., 490, 498, 554

Wirtschaftssektoren 168, 257,295 f., 314

Wirtschaftsteilnehmer, Ein-kommensüberschüsse der98 f., 547

Wirtschaftswachstum 47, 79, 82,104, 134, 172, 268, 273, 282,398, 402 f., 413–434, 485, 494,498, 503, 507, 565, 579, 583,603

–, Umweltfolgen durch das428–434, 439

Wirtschaftswunder 149, 468Wirtschaftswunder von Wörgl

543–546Wohnungswirtschaft, Zinsans-

ziege in der 329 ff., 380

Zahlungs- und Tilgungsvorgän-ge, Geldumlauf mit 73

Zahlungs- und Verleihvorgänge,Geldumlauf mit 72

Zahlungsgewohnheiten, Verän-derung der 60, 62, 548 ff.

Zahlungshilfsmittel 31Zahlungsmittel 20, 32 f., 34 f., 37,

55, 61, 66, 106, 115, 216, 457,546, 593

–, gesetzliches 20, 30, 34, 115,536, 538

Zahlungsunfähigkeit 77, 127,235, 288, 349, 465

Zeit, Geld und 171–174Zeiten, zinsfreie 118 f.Zentralbanken 42, 62 f., 83 f.,

93 f., 96, 98 f., 107, 131, 134,225 f.

Zentralbankgeldguthaben 33,59, 86, 98 f., 100, 102, 106, 131,134, 556

Page 627: Creutz - Das Geld-Syndrom

Zentralbankgeldmenge(ZBGM) 86, 209, 214, 216,218 f., 230, 233 ff., 236

Zentralbankkredite 98Zero-Bonds 150Zins-Minimum 145Zinsanspruch 78 f., 164Zinsbegriffe 124 ff.Zinsbesteuerung 170 f.Zinsen 21, 27, 39, 50, 58, 79, 82,

99 f., 111–118, 120, 122–178,189, 193 ff., 307 f., 312–347,380 f., 403, 423 f., 427, 432,444 ff., 450, 453, 474 ff., 502,505 f., 508 f., 518, 541, 543, 569,599

–, Absenkung der 525 ff.–, Arbeitslosigkeit bei fallenden

482–492–, Aufgaben der 116 ff.–, Geldaufnahmen mit 79–, Konjunktur und 444–448–, langfristige von Industrielän-

dern 130–, sinkende 118, 124, 145, 151 f.,

163, 202, 573, 578 ff.–, steigende 118, 127, 151, 167,

260, 316, 323–, versteckte 142 f., 158, 336–339

–, Zwang zum Wachstum durch424 f.

Zinseszins 145, 148, 151, 423Zinseszinseffekt 21, 78, 145 ff.,

149, 249, 307, 424Zinshöhe 151 f., 604Zinslasten, private 340–347,

381 f., 385–391–, staatliche 318–325–, unternehmerische 326–332Zinsproblem 111–114Zinssätze 126, 130 f., 153 ff.,

162, 168, 228, 231, 442, 476,484 f.,

–, sinkende 604–, steigende 162 f., 193, 323,

445Zinssatzschwankungen 152 ff.,

312, 315, 318, 330, 442, 484Zinsschwankungen 152 ff.,

444Zinsströme, Überentwicklung

der 312–325Zinsstromgrößen, Veränderung

der 314–318Zinstender 230Zinsverbot 113, 177 f.Zinswirtschaft 496Zwischentauschmittel 28, 36