Crossmedia Storywelten Change Management...Vorwort Neue Erzählformen, Social Media,...

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Markus Kaiser (Herausgeber) Crossmedia Storywelten Change Management

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Markus Kaiser (Herausgeber)

Crossmedia Storywelten Change Management

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Markus Kaiser (Herausgeber)Innovation in den Medien

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ISBN 978-3-9815512-0-4

©Verlag Dr. Gabriele Hooffacker/MedienCampus Bayern e.V., München 2013Alle Rechte vorbehalten.Lektorat: Prof. Dr. Gabriele HooffackerUmschlaggestaltung: Markus Keller, SchongauSatz: Markus Keller, SchongauDruck: MEOX Druck GmbH, MünchenUmschlagbilder: Julius Kramer, Brigitte Aiblinger, Thinkstock

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Markus Kaiser (Herausgeber)

Crossmedia Storywelten Change Management

Verlag Dr. Gabriele HooffackerEdition MedienCampus Bayern

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Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort (Markus Kaiser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

1. Wandel der Medienwelt als Basis für Innovationen (Arnold Picot, Stefan Hopf, Rahild Neuburger) . . . . . . . . . . 11

2. Warum crossmedial arbeiten? (Markus Behmer/Holger Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24Interview mit Robert Arsenschek (Markus Behmer) . . . . . . 39Interview mit Stephan Kirchner und Gerhard Kockert (Holger Müller) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42

3. Journalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

3.1. Transmediales Arbeiten (Christian Jakubetz) . . . . . . . . . . . . . 45Interview mit Marco Maier (Markus Kaiser) . . . . . . . . . . . . . . 54

3.2. Neue Erzählformen (Markus Kaiser) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56Interview mit Stefan Plöchinger (Markus Kaiser) . . . . . . . . 67

3.3. Social Media (Harald Baumer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69Interview mit Thomas Müller (Harald Baumer) . . . . . . . . . . 80

3.4. Datenjournalismus (Bernd Oswald) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82Interview mit Mirko Lorenz (Bernd Oswald) . . . . . . . . . . . . . . 90

3.5. Crossmediale Live-Berichterstattung(Lisa Sonnabend / Daniel Fiene) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97Interview mit Christoph Neuberger (Lisa Sonnabend) . . . 109

3.6. Medienethik in Zeiten der sozialen Netzwerke (Harald Baumer) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

4. Film, Games, Mobile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

4.1. Storywelten (Jörg Ihle) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

4.2. Vernetztes Erzählen mit einfachen Mitteln (Egbert van Wyngaarden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131

4.3. Monetarisierung im Mobile-Bereich (Franziska Baur) . . . 143Interview mit Christopher Kassulke (Franziska Baur) . . . . 156

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Innovation in den Medien

5. Unternehmensführung und Methodenkompetenz 159

5.1. Change Management (Josef Wissinger) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159

5.2. Life-Balance (Andreas Bohnert) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170Interview mit Gesina Stärz (Andreas Bohnert) . . . . . . . . . . . 183

5.3. Kreativitätstechniken (Veronika Alz) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185

6. Aus- und Fortbildung (Markus Kaiser) . . . . . . . . . . . . . . . . . 195

Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

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VorwortNeue Erzählformen, Social Media, Live-Berichterstattung, Datenjournalismus,Begleitung des Nutzers rund um die Uhrauf verschiedenen Medienkanälen: ImJournalismus setzen sich immer mehrInnovationen durch. Multimedia, Cross-media, Transmedia – diese Schlagwortetreffen aber nicht nur auf den Redak-teur und Reporter bei Zeitungen, im Ra-dio und im Fernsehen zu, der sich umnon-fiktionale Erzählweisen kümmert. Auch im fiktionalen Bereichenwachsen Film, Games, Buch und Social Media immer stärker zusam-men. Bevor das Drehbuch geschrieben wird, wird eine ganze Storywelterschaffen.Große Flaggschiffe, wie Burda, ProSiebenSat1 oder der SüddeutscheVerlag mit der Süddeutschen Zeitung, sind häufig Vorreiter und testen die technischen Möglichkeiten bis an ihre Grenzen aus. Aufeinige konkrete Beispiele wird in diesem Buch immer wieder Bezuggenommen. Kleinere und mittelständische Medienunternehmen ha-ben es aus personellen und finanziellen Gründen schwerer, sich andie rasanten Entwicklungen im Medienbereich anzupassen. Was auf-wändig und anstrengend klingt, muss es aber nicht sein.Um aufzuzeigen, wie auch Landkreisredaktionen mit nur zwei bisdrei Journalisten, lokale Fernseh- und Hörfunksender und Website-Betreiber crossmedial arbeiten können, haben im Juli 2013 der MedienCampus Bayern, der Bayerische Rundfunk, die BayerischeLandeszentrale für neue Medien, der Verband Bayerischer Zeitungs-verleger und die BayMS die „Fachtagung Crossmedia“ in Nürnbergunter dem Dach des Mediennetzwerk Bayern veranstaltet. Auf derFachtagung haben erfahrene Medienmacher Praxiskonzepte für Print,Radio und Fernsehen vorgestellt: Schnell und leicht umsetzbar sinddie vorgestellten Tools und Ideen, und sie kosten auch nicht zu viel.Die Fachtagung richtete sich insbesondere an Ressort- und Redak -tionsleiter sowie deren Stellvertreter, Programmkoordinatoren, On-line-Chefs, Chefredakteure und Chefs vom Dienst von lokalen und

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Vorwort

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regionalen Medien. In Workshops wurden passgenau für Print, Radio,Fernsehen und Online Praxiskonzepte mit den erfahrenen Expertenerarbeitet.Aus der Überlegung, wie wir die Tagung dokumentieren können, istein crossmediales Projekt entstanden: zum einen Videos mit denKernthesen der Referenten, zum anderen dieses Buch. Die Videosüber Transmedia, Live-Berichterstattung, Datenjournalismus und Social Media, die von Susanne Dauer, Christina Karl, Birgit Loidl undJudith Rückert produziert worden sind, finden Sie auf dem YouTube-Channel des MedienWiki (www.youtube.de/medienwiki) und im MedienWiki des MedienCampus Bayern (www.medienwiki.org). DasBuch halten Sie gerade in Ihren Händen.Die Dokumentation der Tagung finden Sie insbesondere im zweitenund dritten Kapitel. Für das Buch wollten wir das Thema grundlegenderfassen und Hintergründe erklären, was in dieser Tiefe auf einer Tagung nicht möglich ist. Deshalb freuen wir uns sehr, dass wir Prof.Dr. Arnold Picot, Stefan Hopf und Dr. Rahild Neuburger dafür ge-winnen konnten, in einem einführenden Kapitel über den „Wandelder Medienwelt als Basis für Innovationen“ zu schreiben. Im zweitenKapitel zeigen Prof. Dr. Markus Behmer und Holger Müller auf, warum es sich überhaupt lohnt, crossmedial zu arbeiten. Im drittenKapitel geht es um Transmediales Arbeiten (Christian Jakubetz), neueErzählformen (Markus Kaiser), Social Media (Harald Baumer), Daten-journalismus (Bernd Oswald), Live-Berichterstattung (Lisa Sonn-abend/Daniel Fiene) und praktische medienethische Überlegungen(Harald Baumer).Um die fiktionalen und non-fiktionalen Inhalten in diesem Buch zusammenzubringen und – wie etwa bei der Monetarisierung im Mobile-Bereich (Franziska Baur) – voneinander lernen zu können,haben wir das vierte Kapitel „Film, Games und Mobile“ zusammen-gestellt. Neben den Geschäftsmodellen im Mobile-Bereich geht es umStorywelten (Jörg Ihle) und Vernetztes Erzählen mit einfachen Mit-teln (Prof. Egbert van Wyngaarden).Das fünfte Kapitel widmet sich dem Bereich Unternehmensführungund Methodenkompetenz. Um neue crossmediale Arbeitsformen inMedienunternehmen einzuführen, bedarf es eines Change Manage-ment, auf das Josef Wissinger in seinem Beitrag eingeht. Damit der

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Innovation in den Medien

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Reporter als „eierlegende Wollmilchsau“, wie er häufig beschriebenwird, wenn er fotografiert, den Bericht schreibt und auch nochein Video dreht, nicht zwangsläufig auf ein Burnout zusteuert, beschreibt Andreas Bohnert Möglichkeiten für eine Life-Balance.Veronika Alz nennt schließlich Kreativitätstechniken, wie Innova-tionen in Redaktionen, Filmstudios und bei Gamedesignern erleich-tert werden können.Wie sich Journalisten oder Filmemacher cross- und transmedial wei-terbilden können, darum geht es im sechsten Kapitel. Der Medien-Campus Bayern, der Dachverband für die Medienaus- und -fortbil-dung in Bayern, hat dazu unter seinen 89 Mitgliedern erhoben, welcheAngebote es gibt (www.mediencampus.de). Wir haben uns bemüht,mit diesem Buch ein möglichst praxisorientiertes Werk herauszubrin-gen, das Ihnen hilft, Innovationen in den Medien bei sich selbst auchumzusetzen. Nach den meisten Kapiteln folgt deshalb ein Interviewmit einem Praktiker.Ein herzlicher Dank gilt allen Autorinnen und Autoren, unserer Lek-torin Prof. Dr. Gabriele Hooffacker und den Mitgliedern der Cross-media-Arbeitsgruppe Bayern, die aus Christian Jakubetz, Prof. Dr.Markus Behmer, Prof. Dr. Ralf Hohlfeld und Markus Kaiser, besteht.Außerdem möchte ich allen danken, die die „Fachtagung Crossmedia“im Juli 2013 in Nürnberg mit organisiert haben: Marcel Tuljus vonder BayMS, Stefan Sutor von der Bayerischen Landeszentrale fürneue Medien und Markus Riese vom Bayerischen Rundfunk.

Markus Kaiser

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Vorwort

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1. Wandel der Medienwelt als Basisfür Innovationen

Von Arnold Picot, Stefan Hopf und Rahild Neuburger

Vernetzung und Digitalisierung basieren auf anhaltenden exponen-tiellen Trends. Diese technischen Entwicklungen verändern bisher fürselbstverständlich gehaltene Grenzen wirtschaftlichen und sozialenHandelns. Dies führt zu neuen Herausforderungen; eröffnet aber auchChancen für Innovationen in sämtlichen Lebensbereichen. Technischsind dabei immer weniger Grenzen gesetzt; für die Durchsetzbarkeitdieser Innovationen relevant ist vielmehr die Frage, wie sich das Nut-zungsverhalten verändert und welche Bedürfnisse der Nutzer zukünf-tig hat. Beide Aspekte sollen im Folgenden auf der Basis konkreterStudienergebnisse vertieft werden.

Ausgangspunkt: Digitalisierung der MedienweltDie seit Jahren fortschreitende Digitalisierung durchdringt zuneh-mend sämtliche Lebensbereiche, seien es das private Umfeld und dieBewältigung des privaten Alltags, der berufliche Kontext und dieFormen des Arbeitens und Zusammenarbeitens, die Kommunikationund das soziale Miteinander sowie die Interaktion zwischen Gegen-ständen auf der Basis des Internet – das sog. Internet der Dinge. DieseEntwicklung erstaunt nicht vor dem Hintergrund der im Wesentlichendahinter stehenden technischen und ökonomischen Entwicklungender Informations- und Kommunikationstechniken, insbesondere derEntwicklung von Rechnerleistung, Bandbreiten der Datenübertragung,elektronischer Speichermedien: einer exponentiellen Leistungssteige-rung einerseits bei einem exponentiellen Kostenverfall andererseits.Abbildung 1 zeigt dies exemplarisch für das Beispiel Speicherkapa-zität auf. Als Folge setzt sich zunehmend eine informations- und kommunika-tionstechnische Infrastruktur durch, deren Konsequenzen vergleichbarsind mit denen der Industrialisierung oder davor zu beobachtendereinschneidender Entwicklungen. Nicht umsonst wird daher in diesem

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Wandel der Medienwelt

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Zusammenhang häufig auch von vierter industrieller Revolution ge-sprochen. Im Ergebnis entsteht neben der physischen Welt eine digi-tale Welt, deren kontinuierliche Weiterentwicklung nicht mehr auf-zuhalten ist und die neue Herausforderungen, aber auch erheblichePotenziale für Innovationen in sämtlichen Lebensbereichen eröffnet.Die Nutzung dieser Innovationen ist jedoch einerseits davon abhän-gig, ob der Zugang zur digitalen Welt vorhanden ist und auf welcheWeise die digitalen Angebote genutzt werden. Zum anderen solltendiese Innovationen mit zukünftigen Wünschen und Bedürfnissenstimmig sein, damit sie auch vom Nutzer als interessant wahrgenom-men und damit akzeptiert werden. Dies gilt insbesondere für den Be-reich der Medien, dessen Wandel schon lange in Literatur und Praxisintensiv diskutiert wird.1 Im Vordergrund steht dabei meist das Themader Substitution klassischer Medien, etwa Print, durch neue digitale,auf dem Internet basierende Medien. Dass dieses Thema sehr vielfacetten reicher ist, soll im Folgenden näher gezeigt werden. Dabeilässt sich durchaus erkennen: Der Wandel in der Medienwelt hat erstbegonnen.

Wandel im Nutzungsverhalten der MedienDie zentrale Basis-Technologie für den Zugang zu der digitalen Weltund damit auch zu innovativen Medienlösungen stellt das Internetdar. Die schon jetzt erfolgte Durchdringung sämtlicher Lebensberei-che durch das Internet sowie die Möglichkeiten des Internet könnten

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Innovation in den Medien

Abbildung 1: Leistungssteigerung und Preisentwicklung im Bereichder Speicherkapazität (vgl. http://en.wikipedia.org/wiki/Mark_Kryder;http://www.winhistory.de/downloads/downloads.htm#lit)

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eine exponentiell steigende Nutzung des Internets durch die Gesamt-bevölkerung erwarten lassen. In der Realität ist dem jedoch nichtganz so. Im Gegenteil – in Deutschland ist eine zunehmende Stagna-tion des Wachstums der Internetnutzung zu beobachten (vgl. Abbil-dung 2).

Abbildung 2: Internetnutzung in Deutschland im Jahresvergleich inProzent – Zuwachs in Prozentpunkten2

Würde sich die hier gezeigte Entwicklung so fortsetzen, wären erstim Jahr 2039 sämtliche Menschen in Deutschland „online“. Unab-hängig von der grundsätzlichen Frage, ob wirklich jeder online seinmuss bzw. auch wirklich davon profitiert, bleibt damit einem nichtgeringen Teil der Bevölkerung der Zugang zur wachsenden digitalenWelt und den hier entstehenden Innovationen verschlossen. Aberauch diejenigen, denen der Zugang prinzipiell möglich ist, nutzendiesen unterschiedlich. Sie reichen von denjenigen, die das Interneteher skeptisch und zurückhaltend nutzen bis hin zu denjenigen, dieständig online oder mobil sind. So identifiziert beispielsweise die aktuelle Zukunftsstudie des Münchner Kreis und seiner Partner3 ins-gesamt sechs typische Internet- bzw. IKT-Nutzertypen.4 Basis hierfürist eine Befragung von 7278 Nutzern in sechs Ländern (Deutschland,USA, Brasilien, China, Indien und Südkorea):

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Wandel der Medienwelt

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(1) Aktiver Web 2.0-Nutzer

Diese Nutzergruppe nimmt aktiv in sozialen Netzwerken und Forenoder Blogs teil, um mit Freunden und Bekannten in Kontakt zu blei-ben. Sie nutzt mobile Verbindungen dabei deutlich häufiger als Fest-netz-Internet. Beim Einkaufen werden traditionelle Ladengeschäftebevorzugt, da bei dieser Nutzergruppe eine ausgeprägte Furcht vorBetrügereien im Netz vorherrscht. Diese Gruppe ist tendenziell eherweiblich, im Schnitt 40 Jahre alt und überwiegend in den Alters-gruppen der 18- bis 34-Jährigen sowie der 35- bis 49-Jährigen zufinden.

(2) Pragmatischer Online-Shopper

Diese technologie-affine Nutzergruppe verwendet das Internet haupt-sächlich zum Einkaufen und ist nicht in sozialen Netzwerken oderForen und Blogs aktiv. Obwohl die Nutzergruppe beruflich deutlichhäufiger unterwegs ist als in den vergangenen Jahren, nutzt sie mobile Internetverbindungen wesentlich seltener als Festnetz-Inter-net. Diese Gruppe ist tendenziell eher männlich, im Schnitt 40 Jahrealt und überwiegend in der Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen zufinden.

(3) Sicherheitsorientierter Datenschützer

Diese Nutzergruppe gibt persönliche Daten ungern aus der Hand undforscht aktiv nach, was im Internet mit ihren Daten geschieht. NeueTechnologien erzeugen insgesamt wenig Interesse. Daher sind wedermobiles Internet noch Online-Shopping oder Web-2.0-Anwendungeninteressant und relevant für diese Gruppe. Diese Gruppe ist tenden-ziell eher weiblich, im Schnitt 43 Jahre alt und überwiegend in derAltersgruppe der über 50-Jährigen zu finden.

(4) Multiaktiver Mobilist

Diese Nutzergruppe ist beruflich aktiv, viel unterwegs und zeitlichgehetzt. Sie ist mit den neuen Technologien zwar vertraut, dennochsehnt sie sich mitunter nach den Zeiten zurück, in denen Technologienoch keine große Rolle gespielt hat. Die Grenze zwischen dem beruflichen und privaten Leben dieser Nutzergruppe verschwindet zusehends. Diese Gruppe ist tendenziell eher männlich, im Schnitt

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Innovation in den Medien

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35 Jahre alt und überwiegend in der Altersgruppe der 18- bis 34-Jährigen zu finden.

(5) Zukunftsorientierter Technologie-Enthusiast

Diese technologie-affine Nutzergruppe probiert immer die neuestentechnologischen Produkte aus, hat Spaß an diesen und kommuniziertproaktiv darüber in sozialen Netzwerken und Foren. Das Smartphonestellt dabei den Dreh- und Angelpunkt ihres Lebens dar. Häufig wirddiese Nutzergruppe auch von Freunden und Familie um Rat beineuen Technologieprodukten gefragt. Diese Gruppe ist tendenzielleher männlich, im Schnitt 38 Jahre alt und überwiegend in den Altersgruppen der 18- bis 34-Jährigen und der 35- bis 49-Jährigenzu finden.

(6) Genügsamer Traditionalist

Diese Nutzergruppe hat starke Sicherheitsbedenken, was die Online-Nutzung angeht und bevorzugt Technologieprodukte, die einfach zubedienen sind. Sie würde ein noch funktionierendes Technologie -produkt nicht durch ein aktuelleres ersetzen und ist noch stark inder analogen Welt verwurzelt. Diese Gruppe ist tendenziell eher weib-lich und überwiegend in der Altersgruppe der über 50-Jährigen zufinden.Die skizzierten Nutzergruppen nutzen nicht nur das Internet unter-schiedlich; sie stellen auch an die Aufmachung und Gestaltung vonGeräten und Inhalten unterschiedliche Anforderungen, die erheblichePotenziale für die Weiterentwicklung existierender und innovativerMedien eröffnen.

Wandel der Bedürfnisse Dies gilt umso mehr, wenn man die sich wandelnden Bedürfnisse undWünsche betrachtet, die diese Nutzergruppen an die Gestaltung zu-künftiger Medien stellen. Diese Frage wurde in der schon oben er-wähnten Zukunftsstudie des Münchner Kreis und seiner Partner5 fürden Medienbereich neben den Feldern Arbeit, Electronic Governmentund Mobilität aufgegriffen. Ziel war es dabei, auf der Basis einer in-ternationalen Befragung der schon angesprochenen 7278 Nutzern in

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Wandel der Medienwelt

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sechs Ländern sog. Bedürfnismuster und -defizite herauszuarbeiten,die konkrete Anhaltspunkte für zukünftige Prioritäten und Lösungs-ansätze erkennen lassen. Den Befragten wurden dabei ca. 200 un-terschiedliche Nutzenaspekte bezogen auf typische Situationen der Mediennutzung vorgelegt, die sie zunächst priorisieren sollten. Eineanschließende Verdichtung der Anforderungen durch eine Cluster-analyse ergab sog. Bedürfnismuster, die zukünftig sich weiterentwi-ckelnde oder entstehende konkrete Bedürfnisse aufzeigen. Diese Be-dürfnismuster6 sind nun zum einen jeweils für sich interessant, dasie konkrete Gestaltungspotenziale für innovative Lösungen im Me-dienbereich aufzeigen; zum anderen im internationalen Vergleich(vgl. Abbildung 3) sowie schließlich auch im Vergleich der befragtenAltersgruppen.

(1) Intelligent und selbstbestimmt

Zunächst wünschen sich die Nutzer ein Medium, das selbstbestimmtgestaltet werden kann und von intelligenten Technologien unterstütztwird. So ist den Nutzern beispielsweise wichtig, dass gelöschte oderverloren gegangene Daten problemlos wiederhergestellt werden kön-nen, auf alle Daten oder Inhalte der Vergangenheit zurückgegriffenwerden kann und dass die Medien vor allem personalisiert sind undMöglichkeiten der Mitgestaltung eröffnen. Im Vergleich zu den üb-rigen Bedürfnismustern war den Befragten dieses Bedürfnismusteram wichtigsten in typischen Situationen der Mediennutzung. Diesgilt insbesondere bei professionellen und zukunftsorientierten Inter-netnutzern. So finden sich hier gehäuft die oben skizzierten Nutzer-typen „Zukunftsorientierter Technologie-Enthusiast“ und „Multi -aktiver Mobilist“. Betrachtet man das Muster auf Altersebene, sindes vor allem die Jüngeren, die diese Lösung wünschen. So wäre dieserWunsch in 34 Prozent aller Mediennutzungssituationen ideal. Beiden 35- bis 49-Jährigen ist diese Anforderung hingegen in 28 Pro-zent, bei den über 50-Jährigen in 20 Prozent aller Situationen ideal.Im Ländervergleich zeigt sich, dass dieses Bedürfnismuster vor allemfür Nutzer aus China und Indien relevant ist.

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(2) Benutzerfreundlich und sicher

Eine ähnlich große Relevanz für die befragten Nutzer hat das zweiteBedürfnismuster – „Benutzerfreundlich und sicher“, das somit einweiteres zentrales Handlungsfeld für zukünftige innovative Medien-lösungen darstellt. In diesem Bedürfnismuster konkretisieren die Nut-zer den Wunsch nach einer Medienlösung, die einfach in der Hand-habung und intuitiv bedienbar ist. Es soll möglich sein, die Lösungvor dem Kauf zu testen und ohne Wartezeit zu nutzen. Wichtig sindden Nutzern zudem Eigenschaften wie „Augenfreundlichkeit“ und„geringes Gewicht“. Einen wichtigen Platz nehmen daneben auch Kriterien wie 100-prozentige Zuverlässigkeit und Stabilität sowie derWunsch nach Privatsphäre und Datenschutz ein. Zudem verlangendie Nutzer Schutz vor Datenmissbrauch, ein hohes Maß an Anony-mität und den Wunsch nach transparenter Kostenaufschlüsselung.Eine differenzierte Betrachtung zeigt, dass vor allem sicherheitsori-entierte und weniger technologieaffine Menschen dieses Bedürfnispräferieren. So finden sich hier vor dem Hintergrund der oben skiz-zierten Nutzertypen vor allem die Typen „Sicherheitsorientierter Datenschützer“ und „Bescheidener Traditionalist“. Bezogen auf dieAltersgruppe ist es vor allem die ältere Altersgruppe, die diese Lösungwünscht. So sehen die über 50-Jährigen in 36 Prozent der Medien-nutzungssituationen die Lösung als ideal an, während hingegen beiden 18- bis 34-Jährigen die Lösung in 22 Prozent und bei den 35-bis 49-Jährigen in 28 Prozent ideal wäre. Im Ländervergleich stehenvor allem Nutzer aus Deutschland und den USA vorne, während esin den übrigen Ländern einen vergleichsweise geringen Stellenwerteinnimmt.

(3) Relevante Informationen

Der Wunsch nach relevanten Inhalten und Medien, die strukturierteInformationen zur richtigen Zeit am richtigen Ort zur Verfügung stel-len, wird im dritten herauskristallisierten Bedürfnismuster „RelevanteInformationen“ deutlich. Relevanz, Vertrauen, umfassender und vertrauenswürdiger Informationsgehalt, zugeschnitten auf den eige-nen Informationsbedarf und Hintergrundwissen stehen primär imVordergrund. Dabei soll es möglich sein, sowohl eine Übersicht zurelevanten Inhalten zu bekommen, als auch Hintergründe zu einem

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Wandel der Medienwelt

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Thema zu erfahren oder erwünschte Inhalte auszublenden. Zur rich-tigen Zeit am richtigen Ort informiert zu werden sowie der Aspektdes Vergleichs alternativer Angebote verdeutlichen das Bedürfnisnach Aktualität. Bezogen auf die Altersgruppe wünscht insbesonderedie Altersgruppe der 35- bis 49-Jährigen diese Lösung. Dagegen istes sowohl bei den jüngeren als auch bei den älteren Altersgruppennicht an erster Stelle. Dabei handelt es sich eher um Nutzer des Typen„Pragmatischer Online-Shopper“ und „Zukunftsorientierter Techno-logie-Enthusiast“. Im Ländervergleich sind kaum nennenswerte Unterschiede zu erkennen.

(4) Interaktives Socializing

Stand im oben thematisierten Bedürfnismuster der Zugang zu rele-vanten Informationen im Vordergrund, fokussiert das vierte Bedürf-nismuster „Interaktives Socializing“ die Möglichkeit des In-Kontakt-Tretens mit anderen Personen und des interaktiven Informationsaus-tausches mit Spaßfaktor. Der Wunsch nach Unterhaltung, Austauschund Kontakt steht hier genauso im Vordergrund wie Vernetzung, aktive Mitgestaltung und vor allem Spaß und Aufregung. In diesemBedürfnis haben die Nutzer somit den Wunsch nach einer Medien -lösung, die es ihnen ermöglicht, mit anderen Personen in Kontakt zutreten und sich mit diesen auszutauschen. Im Vordergrund stehendabei der Gemeinschaftsgedanke und das Verbundensein mit Familieund Freunden. Zudem haben die Nutzer das Bedürfnis, mittels dieserLösung neue Leute kennenzulernen und andere live an ihren Erleb-nissen teilhaben zu lassen. Dabei ist es den Nutzern wichtig, selbstaktiv zu sein und beispielsweise eigene Inhalte einstellen zu können.Stärker differenziert zeigt sich, dass dieses Bedürfnismuster vor allemfür den „Aktiven Web 2.0-Nutzer“ und den „Multiaktiven Mobilisten“von Bedeutung ist. Bezogen auf die Altersebene sind es vor allem die18- bis 34-Jährigen, die diese Lösung wünschen, während mit zu-nehmendem Alter das Interesse nachlässt. Im internationalen Ver-gleich sind keine größeren Differenzen in der Präferenz erkennbar.

(5) Alles für alle und überall

Ein im internationalen Vergleich und im Altersvergleich fast einheit-liches Bild ergibt sich dagegen bei dem fünften und letzten Bedürf-

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nismuster – „alles für alle und überall“. Dieses Bedürfnismuster ver-deutlicht den Wunsch nach einer universellen Nutzbarkeit in Kom-bination mit interessanten Inhalten. Konkret zeigt sich dies zum einen in Anforderungen wie z. B., dass es sich jeder leisten kann unddass es jederzeit und überall (auch im Flugzeug und ohne Akku!) verfügbar ist; zum anderen in dem Wunsch nach relevanten Infor-mationen, Meinungen und Ratschlägen, die personalisiert und themenorientiert automatisch zur Verfügung gestellt werden und helfen, den Alltag besser zu bewerkstelligen und die reale Welt besserzu verstehen. Stärker differenziert zeigt sich, dass das vorliegendeBedürfnismuster vor allem für den Typen „Aktiver Web 2.0-Nutzer“interessant ist. Auf Altersebene und im Ländervergleich zeigen sichdagegen nur geringe Unterschiede.

Abbildung 3: Bedürfnismuster nach AltersgruppenQuelle: Münchner Kreis et al., Innovationsfelder der digitalen Welt –Bedürfnisse von übermorgen, 2013, S. 222

Wandel der Medienwelt – ImplikationenBetrachtet man die skizzierten Bedürfnismuster im Gesamtzusam-menhang, fällt zunächst auf, dass es sich mitunter nicht unbedingtum neue Bedürfnisschemata handelt. So wird beispielsweise derWunsch nach einem aktiven Part, Datenschutz, Personalisierung, Ver-fügbarkeit, Relevanz, Austausch und Interaktivität wiederholt im Zu-sammenhang mit der zukünftigen Mediennutzung thematisiert. Auch

Bedürfnismuster nach Altersgruppen

Intelligent und Benutzerfreund- Relevante Interaktives Alles für alle selbstbestimmt lich und sicher Informationen Socializing und überall

18 – 34 34 % 22 % 14 % 16 % 14 %

35 – 49 28 % 28 % 20 % 14 % 11 %

50+ 20 % 36 % 18 % 13 % 13 %

Basis: Alle zum Themenfeld Medien Befragten (Online-Bevölkerung 18 – 70 Jahre);Gesamt: 18 – 34 Jahre n = 633; 35 – 49 Jahre n = 535; 50+ Jahre n = 505

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Wandel der Medienwelt

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Kriterien wie Benutzerfreundlichkeit und Sicherheit sind schon langebekannt. Stellt man die in der Studie herauskristallisierten Bedürf-nisse und Anforderungen jedoch den tatsächlichen Funktionalitätenverschiedener existierender Anwendungen gegenüber, zeigt sich einetwas anderes Bild.7 So ist in den Augen der in der Studie auch danach befragten Nutzer keines der Anforderungsprofile durch exis-tierende Systeme und Anwendungen erfüllt. Im Gegenteil – bei sämt-lichen Bedürfnismustern wird deutlich, dass existierende Anwendun-gen und Systeme unterschiedlich stark ausbau- und verbesserungs-fähig sind. So zeigt sich beispielsweise bezogen auf das oben als erstes skizzierteBedürfnismuster „Intelligent und selbstbestimmt“, dass zumindest einTeil der Wünsche heute schon vor allem von sozialen Netzwerkenerfüllt werden, während anderen Anwendungen wie z. B. Suchma-schinen, Videoportalen im Internet oder Smart TV die Realisierbarkeitdieser Bedürfnisse noch eher weniger zugetraut wird. Interessant istdies insbesondere in Bezug auf Smart TV, das in der Wahrnehmungder Nutzer noch nicht als alternative Medienform aufgefasst und ein-geordnet wird. Hier zeigt sich möglicherweise ein konkretes Gestal-tungspotenzial für innovative Weiterentwicklungen. In Bezug auf dasBedürfnismuster „Benutzerfreundlich und sicher“ zeigt sich in ähn-licher Weise, dass Anwendungen wie soziale Netzwerke oder Fern-sehen die Kriterien eher erfüllen als andere bekannte Medien. Bzgl.des Bedürfnismusters „Relevante Informationen“ wird deutlich, dassvor allem Suchmaschinen und soziale Netzwerke hier die wesent -lichen Anforderungen erfüllen; andere existierende Lösungen wiez. B. Fernsehen oder Smart TV jedoch größere Gestaltungspotenzialeeröffnen. Hinsichtlich des Bedürfnismusters „Interaktives Sozializing“liegt es nahe, dass vor allem soziale Netzwerke die Anforderungenweitgehend erfüllen, während andere Medien, denen eher die one-to-many-Kommunikation zugrunde liegt, hier eindeutige Schwächenzeigen. Gerade in der Weiterentwicklung von sozialen Netzwerkenkönnte hier somit eine echte Alternative liegen. Einen hohen Erfül-lungsgrad durch soziale Netzwerke sehen die Nutzer auch bzgl. desBedürfnismusters „Alles für alle und überall“. Andere Anwendungenwie Suchmaschinen, Internetblogs oder Fernsehen erscheinen hiereher weniger interessant.

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Innovation in den Medien

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Betrachtet man nun die verschiedenen Nutzertypen und die skizzier-ten Bedürfnismuster einerseits sowie den von den Nutzern wahrge-nommenen Realisierungsgrad durch existierende Medien andererseits,werden neben Benutzerfreundlichkeit, Datenschutz und Vertrauen aufdie Herkunft bzw. den Urheber der Informationen insbesondere zweiwesentliche Trends deutlich: der Wunsch nach Personalisierung undaktiver Gestaltung sowie soziale Netzwerke und Fernsehen als „klas-sische Medien“, denen von den Nutzern gegenwärtig viele der ge-wünschten Funktionalitäten zugetraut werden. Bzgl. sozialer Netz-werke bestätigt sich dieser Trend übrigens auch in den übrigen in derStudie untersuchten Feldern Arbeit, Mobilität und Electronic Govern-ment. Soziale Netzwerke scheinen auch für die Erfüllung der sich hierjeweils herauskristallisierten Bedürfnismuster eine zunehmend inte-ressante Infrastruktur darzustellen. Möglicherweise bildet sich zukünf-tig eine ganz neuartige Form von sozialem Netzwerk heraus, das ver-schiedene „klassische“ Anwendungen nutzerorientiert integriert. Aber auch das klassische Fernsehen wird die skizzierten Bedürfnis-muster noch stärker umsetzen können, wenn das „PersonalisierteFernsehen“ zunehmend Realität wird. Diese Funktionalität, die ins-besondere dem oben angesprochenen Bedürfnismuster „Intelligentund Selbstbestimmt“, aber auch zum Teil anderen Bedürfnismusternentspricht, bietet Nutzern die Möglichkeit, individuelle Wünsche undInteressen bei der Fernsehnutzung umzusetzen. So hilft es dem Nutzer,ein zu jeder Zeit und an jedem Ort auf ihn zugeschnittenes Angebotan Fernsehprogrammen zu finden und zu nutzen. Indem es zudemlernt, welche Sendungen den Nutzer interessieren, schlägt es situa -tions-, aufgaben- und kontextbezogen Fernsehsendungen vor, dieden Nutzer interessieren könnten. Der Zugang ist einfach, verpassteSendungen lassen sich auch später anschauen und Empfehlungenvon Freunden und anderen Nutzern lassen sich nutzen. Es wird deut-lich: die wesentlichen oben angesprochenen Wünsche nach Selbst-bestimmung, Personalisierung, individueller Relevanz und Interaktionlassen sich so realisieren. Technologisch sind einige der angesprochenen Optionen – insbeson-dere bei den IP-basierten TV-Services – bereits verfügbar, werdenaber derzeit eher von einer besonders technologieaffinen Avantgardegenutzt. So zeigte sich in einer wiederum international angelegten

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Wandel der Medienwelt

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Befragung von ca. 7231 Nutzern eine höhere Präferenz bei Befragtenaus China und Korea, während sich die übrigen Nutzer nicht sehr eu-phorisch zeigten.8 Insgesamt gingen die Befragten jedoch davon aus,dass dieses Zukunftsbild ab 2016 realisiert wird.

FazitDie zu beobachtende zunehmende informations- und kommunikati-onstechnische Durchdringung sämtlicher Lebensbereiche veränderteinerseits das Nutzungsverhalten des Internets und neuer Medien; an-dererseits entstehen neue Bedürfnismuster, die erhebliche Potenzialefür innovative Weiterentwicklungen oder Neuerungen eröffnen. ImMittelpunkt steht dabei der Wunsch nach Selbstbestimmung und so-zialer Interaktion einerseits sowie nach personalisierter Relevanz undAuthentizität der Inhalte andererseits. Existierende klassische und digitale Medien scheinen zukünftig sich herausbildende Bedürfnis-strukturen nur zum Teil zu erfüllen, so dass sich hier Potenziale fürinnovative Lösungen eröffnen. Diese betreffen sowohl die Gestaltungder Geräte und Anwendungen als auch vor allem die Gestaltung, dieAufmachung und den Zugriff auf Inhalte. Aus heutiger Sicht mög -licherweise konkret ausbaufähige Ansätze scheinen dabei in derWeiter entwicklung bzw. Ergänzung sozialer Netzwerke sowie desFernsehens zu liegen; sicherlich werden sich aber auch ganz neue,disruptive Anwendungen herausbilden, an die heute noch niemanddenkt. Veränderungen im Nutzerverhalten wie auch die skizzierten Bedürf-nismuster verändern jedoch nicht nur die Medienwelt. Sie stellen auchneuartige Herausforderungen an den Umgang mit ihnen. Dies betrifftweniger den technischen Umgang als vielmehr den organisatorischenUmgang. Denn insbesondere Anforderungen wie Selbstbestimmung,aktive Gestaltung und Interaktion erfordern Kompetenzen, die in derklassischen konsumorientierten Radio-, Fernseh- und Printwelt we-niger erforderlich waren. Zum einen werden hier vorgegebene Struk-turen und Restriktionen, die zum Teil als Leitplanken oder Orientie-rungshilfen des Alltags durchaus positiv empfunden wurden – wiebeispielsweise die tägliche Heute-Sendung um 19 Uhr, der Tatort amSonntagabend oder auch die Sportschau am Samstagabend – aufge-

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löst. An ihre Stelle treten enorme Freiheiten in der zeitlichen, räum -lichen und inhaltlichen Nutzung, mit denen der Einzelne umgehenlernen muss. Zum andern wandelt sich der Medien-Konsument nochstärker zum „Prosumenten“ von Contents, wodurch neuartige Orien-tierungspunkte insbesondere bei der Rezeption von Inhalten erforder-lich sind. Vorstellbar wären z. B. ein Gütesiegel oder andere Bewer-tungskriterien, die Qualität und Glaubwürdigkeit bescheinigen, wasja vor dem Hintergrund der in diesem Beitrag skizzierten Bedürfnissedurchaus vom Nutzer gewünscht wird. Derartige Lern- und Wand-lungsprozesse stellen sicherlich selbst wichtige Innovationen in derMedienwelt dar, die vor dem Hintergrund des starken Wandels in derMedienwelt ebenfalls näher zu betrachten sind.

1 vgl. hierzu Picot, Arnold, Schrape, Klaus, Burgelman, Jean-Claude, Silverstone, Roger: E-Merging Media – Kommunikation und Medienwirtschaft der Zukunft,Berlin 2004

2 vgl. D21 Digital Index, 2013, S. 18ff., sowie www.initiatived21.de3 vgl. Münchner Kreis et al. (Hrsg.), Innovationsfelder der digitalen Welt –

Bedürfnisse von übermorgen, München 2013 oder auch www.zukunft-ikt.de4 vgl. Münchner Kreis et al., 2013, S. 78 ff.5 vgl. Münchner Kreis et al., 2013 bzw. www.zukunft-ikt.de6 vgl. Münchner Kreis et al., 2013, S. 182 ff. sowie www.zukunft-ikt.de7 vgl. Münchner Kreis et al., 2013, S. 182 ff. sowie www.zukunft-ikt.de8 vgl. hierzu Münchner Kreis et al., Zukunftsbilder der digitalen Welt – Nutzer -

perspektiven im internationalen Vergleich, 2011 oder auch www.zukunft-ikt.de

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Wandel der Medienwelt

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2. Warum crossmedial arbeiten? Von Markus Behmer/Holger Müller

Warum sollten Journalisten und Redaktionen crossmedial arbeiten?Weil man, so eine erste Antwort, bestimmte Zielgruppen am bestenerreichen kann – oder für bestimmte Themen interessieren kann, um-fassender informieren kann, in einen Dialog mit den Lesern, Hörernoder Usern treten kann –, wenn man die Inhalte über mehrere Kanäleanbietet, diese Kanäle aufeinander abstimmt, sie systematisch kreuztund das gesamte Informationspaket auf die Nutzung mit digitalenEndgeräten hin abstellt.

Vernetzte LebensweltenDer Ausgangspunkt ist ein altes, seit den 1970er Jahren fast infla-tionär gebrauchtes Schlagwort, nämlich Konvergenz oder vielmehrder Aspekt der technischen Konvergenz. Gemeint ist damit „das Zusammenwachsen unterschiedlicher Anwendungen und Endgeräteder Individual- und Massenkommunikation zu einer einzigen tech-nologischen Plattform. Im Zentrum steht dabei die technische Ver-schmelzung von Hörfunkempfänger, Fernsehgerät, Telefon und In-ternet-PC in einem Multifunktionsgerät“, so Frank Marcinkowski inder 2013 erschienen neuesten Auflage des „Lexikon Kommunikation-und Medienwissenschaft“.1

Noch 2006, in der ersten Auflage des Lexikons meinte Marcinkowski:„Ob sich freilich die technisch mögliche Entwicklung gegenüber densoziokulturell geprägten Nutzungsgewohnheiten durchsetzt, ist eineweithin offene Frage.“2

Heute, nur sieben Jahre später, ist diese Frage nicht mehr wirklichoffen. Insbesondere für jüngere Menschen ist es bereits völlig alltäg-lich, das Smartphone oder den Tablet-PC als Multimedia-Tool zu benutzen. Via Facebook bekommen sie von ihren Freunden oder über„gelikte“ Seiten auch Hinweise auf aktuelle Ereignisse und erste Informationen, mit einem Klick landen sie auf der Newsseite vonspiegel.de, sueddeutsche.de, bild.de oder bei der Tagesschau-App, wosie auch Bewegtbilder sehen. Wenn sie das Thema stärker interessiert,

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lesen sie vielleicht sogar einen Kommentar oder eine Hintergrund-geschichte, die primär für Print geschrieben worden war, schauensich ein Video auf YouTube an oder nutzen den Livestream einesFernsehsenders. Dann tauschen sie sich ihrerseits wieder mit ihrenPeers auf Facebook aus, rufen den besten Freund oder die Freundinan oder senden eine Message via WhatsApp, hinterlassen eventuellauch einen Kommentar in einem Online-Forum.Generell ist der Markt für Mobilgeräte in Deutschland in den letztenJahren kontinuierlich gewachsen. Wie die ARD/ZDF-Onlinestudie2013 zeigt, nutzen heute 45 Prozent der Nutzer ihr Smartphone fürden Internetzugang. Im Jahr 2008 lag diese Zahl bei gerade mal vierProzent.3 Immerhin 16 Prozent der User nutzen dafür inzwischen Tablet-PCs. Geräte wie das iPad oder das Samsung Galaxy ersetzendabei in allen Altersgruppen immer mehr die Heim-PCs, währendSmartphones vor allem von den 14- bis 29-Jährigen dazu genutztwerden, unterwegs auf dem Laufenden zu bleiben.4 Ihre wichtigsteInformationsquelle für das aktuelle Zeitgeschehen in Politik, Wirt-schaft und Kultur ist dabei Facebook. Zu diesem Ergebnis kommt dieAnfang September 2013 von der Bayerischen Landeszentrale für NeueMedien vorgestellte Studie „Relevanz der Medien für die Meinungs-bildung“. In dieser Altersgruppe hat generell das Internet mit 49 Pro-zent das Fernsehen mit 26 Prozent als wichtigstes Medium zur Infor-mations- und Meinungsbildung abgelöst. Tageszeitungen werden beidieser Frage nur noch von 13,6 Prozent der Jugendlichen genannt.5

Eine Möglichkeit für Verlage und Medienhäuser, die internetaffinenZielgruppen zu erreichen und an sich zu binden, sind eigene Appli-kationen. In der aktuellen ARD/ZDF-Onlinestudie sind Nachrichten-Apps mit 20 Prozent die am häufigsten genutzten Tablet-Apps, ge-folgt von sozialen Netzwerken mit 13 und Spieleanwendungen mitelf Prozent.6 Die Vorteile für Nutzer und Journalisten liegen auf derHand: Tablets haben größere Displays als Smartphones, sie habenleistungsstärkere Prozessoren und werden meist Zuhause oder imBüro eingesetzt – größere Datenmengen sind im Vergleich zur mo-bilen Nutzung kein Problem. Dadurch bieten sich Apps für eine auf-wändigere Aufbereitung von Inhalten an. Die Entwicklungskostenstellen allerdings im Moment gerade für viele kleinere Medienunter-nehmen eine Hürde dar.

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Warum crossmedial arbeiten?

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Will man als Journalist die „Generation Facebook“ erreichen, bleibtalso kaum ein anderer Weg, als ihren Kommunikationsgewohnheitenentgegenzukommen – und Informationen eben crossmedial anzubie-ten. Der „point of no return“, so meint dann auch Christian Jakubetzin seinem vielzitierten Einführungsbuch zu Crossmedia, „ist längstüberschritten“.7 Will man generelle Aufmerksamkeit erzielen, mussman künftig wohl mindestens auch im Netz präsent sein. Und Auf-merksamkeit war stets und ist weiterhin die wichtigste publizistische„Währung“ im Journalismus.

Schlagwort CrossmediaAber was ist eigentlich genau mit Crossmedia gemeint? Der Begriffwird längst ebenso inflationär und unscharf angeführt wie der derKonvergenz. Oft wird er gleichsam synonym gebraucht mit Multi-media oder Trimedialität – und beschreibt vor allem das Anbietenvon Inhalten sowohl im Print und/oder Fernsehen und/oder Hörfunkund im Internet, doch sollte crossmediales Publizieren mehr beinhal-ten als die Reproduktion bestimmter Angebote in unterschiedlichenKanälen in Form eines „more of the same“. Der Eichstätter Journalistikprofessor Klaus Meier beschreibt beispiels-weise den Wesensgehalt von Crossmedia auf drei verschiedenen Ebe-nen: Da ist zunächst (1) „das ,Kreuzen der Medien‘ in der Organisa-tion eines Medienunternehmens“ in Form eines integriertenNewsrooms, in dem die verschiedenen Plattformen Print, Radio,Fernsehen und Internet sowie mobile Kommunikation nicht mehr se-pariert bedient werden, sondern übergreifende Konzepte gemeinsam,in Teamarbeit, entwickelt werden. Dann ist da (2) „das ‚Kreuzen derMedien‘ in der Veröffentlichung eines journalistischen Themas“, in-dem „Themen vielfältig geplant, recherchiert und auf verschiedenenPlattformen in unterschiedlichen Versionen jeweils plattformspezi-fisch veröffentlicht werden“. So ergibt sich (mindestens im Idealfall)ein komplexes „Story-Telling über technische Mediengrenzen hin-weg“. Schließlich bedeutet Crossmedia auch (3) „das ‚Kreuzen der Medien‘ auf einer einzigen Plattform – dem Internet“; der Online-Auftritt wird schließlich, unter gezielter Nutzung seiner Hyper -medialität, zur „zentralen Drehscheibe für Text, Bild, Video und

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Audio“, die hier vernetzt – eben konvergent – angeboten werden. Sowerden „neue Darstellungsformen, Erzählweisen und Möglichkeitender Inszenierung von Inhalten“ geschaffen.8

Crossmedia bedeutet also eine komplexe Strategie, die, will man sieumfassend umsetzen, Medienunternehmen und einzelne Journalisten,die gewohnt waren, in einem Medium zu denken, vor große, ständigneue Herausforderungen stellt. Nicht die technischen, wirtschaft -lichen, strukturellen, publizistisch-strategischen oder arbeitsökono-mischen Fragestellungen und Probleme, die damit verbunden sind,sollen allerdings hier behandelt werden, sondern insbesondere dieinhaltlichen Möglichkeiten. Zurück also zur Ausgangsfrage: Wozucrossmedial arbeiten?

Der Mehrwert vernetzter Inhalte – BeispieleWas crossmediales Storytelling, was die Vernetzung verschiedenermedialer Angebotsmöglichkeiten unter Einbezug auch beispielsweisevon direkter Interaktion mit den Lesern, Hörern, Sehern oder Usern,kurz: den Nutzern, leisten kann, das soll im Folgenden exemplarischanhand weniger Beispiele dargestellt werden. Gehen wir dazu zu-nächst weit zurück in die Geschichte – genau 200 Jahre.

Vergangenes vergegenwärtigen

Im Herbst 1813 war vor den Toren Leipzigs die größte Truppenan-sammlung aufgezogen, die es je gegeben hatte. Vom 16. bis zum 18.Oktober kämpften die preußischen, sächsischen und russischen Trup-pen gegen Napoleons Armee und besiegten sie. 90.000 Soldaten waren getötet worden: die Leipziger Völkerschlacht. Wie kann man die Dramatik jener fernen Tage und ihre zeitgeschicht-liche Bedeutung heute möglichst vielen möglichst anschaulich ver-mitteln, wie auch Empathie mit den Menschen von damals schaffen?Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) hat sich dafür ein aufwändigesKonzept überlegt, in dem Fernsehen, Radio und Internet intensiv „ge-kreuzt“ werden – mit einer eigens dafür eingerichteten Website alscrossmedialem Herzstück: www.mdr.de/voelkerschlacht. Über die gesamte Dauer der damaligen Schlacht gibt es eine Quasi-Liveberichterstattung: Im Netz kann man den Ereignissen mittels

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eines „Live“-Tickers folgen, es gibt Nachrichtensendungen im Stil derTagesschau mit „Live“-Schaltungen nach Paris und Moskau. Dazukann man animierte Infografiken über den Schlachtverlauf ansehen,kann eine Lesung aus dem Roman „1813-Kriegsfeuer“ von SabineEbert anhören, bekommt Hintergrundinformationen zum historischenGeschehen oder über Begriffe wie Muskete, Tornister und andereAusrüstungsgegenstände der damaligen Soldaten, findet eine um-fangreiche Liste von Veranstaltungen rund um das „VölkerschlachtJubiläum“, Links zu anderen Sites, eine kleine Bildergalerie zur „Völ-kerschlacht in der Kunst“. Gleichzeitig gibt es eine 14-teilige Serieim MDR-Fernsehen und diverse Sendungen im Hörfunk – die alleauch in der Mediathek über die Website abzurufen sind. Nur wirklichinteraktiv ist das beeindruckend umfangreiche und crossmediale An-gebot nicht – es findet sich keine Kommentarfunktion oder Ähnli-ches. Zum Mitmachen gibt nur es den Hinweis auf ein Quiz, das imFernsehen läuft und für das man sich als Kandidat bewerben kann.

Die Leipziger Völkerschlacht alscrossmediales „Liveberichterstat-tungs“-Projekt.Screenshot vonwww.mdr.de/ voelkerschlacht(08.09.2013).

Gegenwart „begreifbarer“ machen

Krieg war gestern – Krieg ist heute. Kaum jemand wird wirklichnachvollziehen können, was aktuell in Syrien vor sich geht, kaumjemand umfassend verstehen, wer hier genau welche Interessen ver-tritt, wo exakt die Konfliktlinien liegen, welche Ursachen der Eska-lation zu Grunde liegen. Kaum jemand wird sich anmaßen könneneinzuschätzen, welche Folgen bestimmte Handlungsoptionen gege-

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benenfalls haben können, kaum jemand wirklich mitfühlen können,wie es den Vertriebenen, den in Aleppo, Homs oder Damaskus Aus-harrenden geht. Die Medien haben hier die kaum zufriedenstellend lösbare Aufgabe,das Unbegreifliche verständlicher zu machen, Komplexität zu redu-zieren, ohne sie zu übersimplifizieren, Empathie zu schaffen, ohnezu einseitig zu berichten, zu informieren, ohne noch eigene Korres-pondenten im Lande zu haben oder die Verlässlichkeit der Quellenexakt einschätzen zu können. Was tun? Korrespondentenberichte (sofern noch zu schreiben) können Hintergründe beleuchten, Repor-tagen Einzelschicksale nahe bringen, Kommentare versuchen, Zu-sammenhänge zu umreißen, YouTube-Videos Authentizität mindes-tens suggerieren. Ein schlüssiges Gesamtbild ergeben diese Informa-tions-Bruchstücke kaum – wenn sie denn überhaupt noch ein breitesPublikum erreichen. Stellt man verschiedene Augenzeugenberichte im Internet zusam-men, gibt dazu Informationen über deren Zustandekommen, ver-sucht, über Infografiken Interessenskonstellationen, Konfliktverläufe,Fluchtwege und Daten zu vermitteln, bietet dazu Fotos von verschie-denen Orten, Videos, deren Entstehung man problematisiert, Essaysvon Experten über Hintergründe, O-Töne von Betroffenen, Links aufdie Berichterstattung anderer Medien und eine chronologische Zu-sammenstellung der eigenen Berichterstattung etc., so kann sich einumfassenderes Bild ergeben. Vieles in dieser Richtung bietet zum Beispiel das Online-Portal derZeit (www.zeit.de/politik/ausland) im Zusammenspiel auch mit derBerichterstattung in der Wochenzeitung selbst – mit umfangreicherHintergrundberichterstattung, Kommentaren, Blog-Posts des Korres-pondenten Ulrich Ladurner, Fotostrecken etwa über syrische Flücht-linge, Webangebote, die oft auch umfangreich von Usern kommen-tiert werden (ähnlich gut ist die Berichterstattung auch bei www. sueddeuschte.de). International setzt hier – wie oft im Bereich descrossmedialen Journalismus – der britische Guardian Maßstäbe.

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Syrien-Berichterstattung aufder Website des Guardian.Screenshot von www.thegu-ardian.com/world/syria(08.09.2013)

Weniger crossmedial, aber in sehr guter Verbindung von Print undOnline informiert die Bundeszentrale für politische Bildung über denSyrienkonflikt – so mit einer Sondernummer ihrer Zeitschrift AusPolitik und Zeitgeschichte (Nr. 8/2013) und dem damit verbundenenoder „gekreuzten“ Webauftritt www.bpb.de/apuz/155105/syrien.

Hintergründe zum Syrien-Konflikt. Screenshot vonwww.bpb.de/apuz/155105/syrien (08.09.2013)

Abstraktes veranschaulichen

Die Aufmerksamkeit der Internetnutzer ist ein rares Gut. Redaktionenmüssen also in ihrer Berichterstattung einen Mehrwert bieten, der

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über die Nachrichten und Berichte hinausgeht. Leser und Nutzer erwarten heutzutage Hintergrundgeschichten, eine Einordnung derimmer größeren Datenflut. Eine Möglichkeit dafür bietet der Daten-journalismus, das heißt die Sammlung, Aufbereitung, Kontextuali-sierung und Veröffentlichung von statistischen Daten. Die Süddeut-sche Zeitung setzt mit ihren Datenjournalismus-Projekten momentanim deutschsprachigen Internet Maßstäbe. Ein Beispiel dafür ist derEuropa-Atlas auf http://www.sueddeutsche.de/app/wirtschaft/euro-paatlas, der von Maximilian Salcher im Rahmen seiner Bachelor -arbeit an der Hochschule Augsburg programmiert wurde.

Europa-Atlas. Darstellungder Bevölkerungsdichte und vieler anderer Daten in den einzelnen Staaten.Screenshot von www.sueddeutsche.de/app/wirtschaft/europaatlas/(08.09.2013).

Basis für den Atlas sind Daten, die das Statistische Amt der Europäi-schen Union (Eurostat) regelmäßig im Regionen-Jahrbuch veröffent-licht. Auf einer interaktiven Karte kann der Nutzer aus acht verschie-denen Themengebieten wählen: Bevölkerung, Arbeit und Wohlstand,Bildung und Forschung, Online, Verkehr, Gesundheit, Tourismus,Landwirtschaft. Diese Oberbegriffe sind weiter aufgeschlüsselt; bei-spielsweise findet man unter Arbeit und Wohlstand statistische An-gaben zu Einkommen, Bruttoinlandsprodukt und Arbeitslosigkeit. DieDaten liegen jeweils für Staaten, Länder und Regionen vor, außerdemkönnen die Nutzer über einen Zeitstrahl langfristige Entwicklungenbeobachten. Auch andere Medien, wie zum Beispiel wiederum die Zeit Online,bauen ihre Aktivitäten im Bereich Datenjournalismus aus. Im Data-

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Blog (http://blog.zeit.de/open-data) werden unter dem Motto „OffeneDaten – offene Gesellschaft“ regelmäßig neue Datenjournalismus-Projekte vorgestellt.

Lokales mitgestaltbar machen

Kaum etwas ist relevanter für den Leser oder User als seine unmit-telbare Umgebung. Das Hamburger Abendblatt hat sich dieses Inte-resses angenommen, bietet hyperlokalen Service und bezieht das Publikum aktiv mit ein. Drei Monate lang testeten im Herbst 2012rund 150 Reporter alle 8100 Straßen der Hansestadt. Sie katalogi-sierten, fotografierten und bewerteten sie nach zehn Kategorien –vom Zustand der Straße über die Wohnqualität, den Freizeitwertund den Einkaufsmöglichkeiten bis hin zu Sauberkeit, Lärm und Fa-milienfreundlichkeit. Dafür gab es dann jeweils zwischen null und

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Straßentest des HamburgerAbendblatts – zum Beispieldie Sternschanze. Screenshot von www.abend-blatt.de/hamburg/hamburgs-strassen/article109730102/Sternschanze.html(08.09.2013)

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fünf Sterne. Die Ergebnisse sind über eine Suchmaske mit Daten -bank anbindung gut auf der Homepage erschlossen, mit Kurzzusam-menfassungen, Fotos, Kommentaren und Links zum Stadtplan undzu Artikeln, in denen die Straße oder das Stadtviertel vorkommen.In der Zeitung selbst wurde umfassend darüber berichtet, und die Le-ser waren aufgefordert, auch selbst Bewertungen abzugeben und sichmit Tipps zu beteiligen. So entstand ein kompletter Straßenratgeber,der auch weiter gepflegt wird: http://www.abendblatt.de/strassentest.Von der Konrad-Adenauer-Stiftung wurde das crossmediale Stadt-Konzept des Abendblatts dann auch mit dem Deutschen Lokaljour-nalismuspreis ausgezeichnet.

Den User live dabei sein lassen

Die Live-Berichterstattung von Sportereignissen, politischen Ver -anstaltungen, Kriegen und Katastrophen war über Jahrzehnte ein Alleinstellungsmerkmal von Radio und Fernsehen. Inzwischen wagensich aber auch die Online-Seiten von überregionalen Zeitungen undNachrichtenmagazinen an Echtzeitjournalismus. In der Regel kom-mentieren dabei Online-Redakteure ein Ereignis im Twitter-Stil: Maximal 140 Zeichen pro Post, zeitlich wird der Ablauf des Gesche-hens nachgezeichnet. Die Herausforderung für Journalisten bei dieserbesonderen Form der Berichterstattung besteht darin, die Balancezwischen Aktualität und Relevanz der Information zu finden. Beispielfür gute Live-Kommentare sind die Liveticker zur Bundesliga aufSpiegel Online, die in Zusammenarbeit mit dem Kicker entstehen.Der Kommentar beschränkt sich auf die wichtigsten Spielzüge undEreignisse, direkt daneben befindet sich der Live-Fanblock, in demdie aktuellen Tweets zum Spiel zusammengefasst werden.

Live-Kommentar zur Partie1. FC Nürnberg – FC Augs-burg. Screenshot vonwww.spiegel.de/sport/fuss-ball/fussball-live-1-bundes-liga-liveticker-spielplan-statistik-a-842988.html(Ausschnitt) (08.09.2013).

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Auch für politische Ereignisse wird diese Form des Echtzeitjourna-lismus immer häufiger genutzt. Der britische Guardian hat beispiels-weise die Sitzungstage der Leveson-Kommission, in der die illegalenAbhöraktionen britischer Zeitungen aus dem Verlagshaus von RupertMurdoch parlamentarisch untersucht wurden, live kommentiert. DieRedakteure haben hierbei neben den aktuellen Ereignissen immerwieder auch Zusammenfassungen gepostet, Tweets von Redakteurenaus dem Sitzungssaal eingebaut oder auf Archivmaterial verwiesen.Der Leser hatte dadurch einen echten Mehrwert: Neben der eigent -lichen Nachricht haben die Guardian-Redakteure das Geschehen eingeordnet und wichtige Hintergrundinformationen geliefert.

Miterleben ermöglichen – Veränderung anstoßen

Crossmedialer Journalismus kann auch hervorragend geeignet sein,ferne Lebenswelten anschaulich zu machen und zum Beispiel dieExistenzbedingungen von Menschen in der sogenannten „DrittenWelt“ nahezubringen. Manche Nichtregierungsorganisationen nutzendiese neuen medialen Möglichkeiten hervorragend, machen mittelsdigitalem Storytelling auf ihre eigene Arbeit aufmerksam, könnendamit auch Unterstützung generieren und in längerer Hinsicht ge-gebenenfalls dazu beitragen, Veränderungen herbeizuführen.Ein sehr gutes Beispiel dafür ist das Online-Projekt www.urbansur-vivors.org der Ärzte ohne Grenzen. Auf der Website kann man sichauf eine virtuelle Reise durch sieben Slums unter anderem in Guate-mala, Bangladesch und Südafrika begeben, in denen die Ärzteorga-nisation Gesundheitsprojekte betreibt. Mit Texten und Videos, Bild-strecken, Interviews und Statistiken leitet die Homepage durch dieWohngegenden der Ärmsten, macht abstrakte Probleme wie fehlen-des Trinkwasser konkret, ermöglicht Empathie und bietet umfassendeEinordnung. Andere Journalisten können hier recherchieren, andereMedien können darauf verlinken, User können kommentieren undfinden Angebote, sich über Spenden konkret zu engagieren.

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Authentische Eindrücke ausSlums. Screenshot vonwww.urbansurvivors.org(08.09.2013).

Ähnlich auch die Homepage www.voiceofkibera.org, auf der, betreutebenfalls von einer NGO, Einwohner Kiberas vom Alltagsleben in ihrer Township der kenianischen Hauptstadt Nairobi berichten. Sofinden sich hier täglich kurze Textmeldungen, Blogposts, Fotos undkleine Videos der Citizen Reporter, die etwa zu Wahlzeiten hervor -ragend externe Medienberichte ergänzen können.9

Crossmedialer Bürger -journalismus aus demTownship. Screenshot von www.voiceofkibera.org(08.09.2013).

Qualitätsjournalismus in Zeiten der KonvergenzKonflikte von einst zum heutigen Miterleben, Konflikte von heutebesser verstehen, Daten durchdringen, Ansätze finden, die lokaleWelt mitzugestalten und ferne Lebenswelten positiv zu verändern,live partizipieren und sich in andere hineinversetzen können – diePotenziale, die crossmediales Publizieren bieten kann, sind, wiedie obigen Beispiele schlaglichtartig illustrieren sollten, vielfältig.Und wenn die Inhalte und die medialen Präsentationsformen gut

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auf einander abgestimmt werden, eben sinnvoll „gekreuzt“ sind, bietet es mehr als nur ein multimediales Nebeneinander von Text,(Bewegt-)Bild und Wort. Genutzt werden die vielfältigen Möglichkeiten heute aber oft nochnicht. Das hat auch gute Gründe. Der Aufwand, crossmedial zu den-ken und zu handeln, ist sehr groß. Der Redaktionsalltag bietet dafüroft kaum Zeit, die Redaktionsstrukturen sind oft noch zu wenig da-raufhin angelegt, die Innovationskosten sind teils schwer absehbar,die Finanzierung gerade von Onlinejournalismus immer noch unklar– und auch beim Publikum ist es längst nicht so, dass aufwendigeund innovative crossmediale Projekte, dass überhaupt Qualitätsjour-nalismus im Internet die ihnen und ihm zu wünschende Aufmerk-samkeit findet (geschweige denn die notwendigen Erlöse erzielt). Zwar stellt der Passauer Kommunikationswissenschaftler und Cross-media-Experte Ralf Hohlfeld fest: „Medienkonvergenz ist aus Nutzersicht schick, bequem und in einer zunehmend mobilen Gesell-schaft lebensweltlich opportun. Der Rezipient profitiert. Aus medien-und aufmerksamkeitsökonomischer Perspektive sind die Konvergenzder Kommunikationsplattformen und die Vervielfältigung der Aus-spielungskanäle ebenso rational wie zwingend erforderlich. Der Medienunternehmer profitiert.“10 Doch mahnt er auch, dass der„schleichende Fusionsprozess“ für die Journalisten, die ihre Allein-stellung als Produzenten nachrichtlicher und sonstiger journalis -tischer Inhalte mehr und mehr verlieren, „schlicht eine Katastrophe“sein könne: „Der Journalist verliert.“11

Das muss allerdings nicht so sein. Gerade um in den Zeiten des medialen Überangebots von Inhalten, Informationen, Meinungen,Bildern und Tönen den Überblick behalten zu können, ist die profes-sionelle Sichtung, Selektion und Aufbereitung, gerade auch die cross-mediale Gestaltung, notwendiger denn je. Nur muss sie sich auchökonomisch tragen. Hier ist nicht der Platz, um auf alle diese Zusammenhänge und Pro-bleme näher einzugehen. Festgestellt sei aber noch, dass die neuenmedialen Möglichkeiten bei allen Risiken auch für die Journalistengroße Chancen eröffnen. „Wie oft beispielsweise kann man die Ge-staltung von völlig neuen Inhalten und völlig neuen Medien aktivmitgestalten?“,12 fragt Christian Jakubetz.

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Doch dürften es die Gestalter crossmedialer Inhalte dann nicht bei„uninspirierter Pixelschubserei“13 belassen, bei einem kaum aufeinan-der abgestimmten Nebeneinander mehrmedialer Inhalte. Vielmehrsollten die Journalisten, so mahnt der Medienjournalist Thomas Schu-ler an, zum Beispiel „Online auf alle relevanten Quellen verlinken undden Kontext nachvollziehbar machen, in dem die Geschichte steht“.14

„Das Internet ist anders“, so konstatierten 15 der meistbeachtetendeutschen Onlinejournalisten und Blogger 2009 in einem „Internet-Manifest“ als erste von 17 Thesen: „Es schafft andere Öffentlichkei-ten, andere Austauschverhältnisse und andere Kulturtechniken. DieMedien müssen ihre Arbeitsweise der technologischen Realität an-passen, statt sie zu ignorieren oder zu bekämpfen. Sie haben diePflicht, auf Basis der zur Verfügung stehenden Technik den bestmög-lichen Journalismus zu entwickeln – das schließt neue journalistischeProdukte und Methoden mit ein.“15

Dies ist auch als Plädoyer für eine intensive Nutzung crossmedialerMöglichkeiten zu verstehen. Wie hier schlaglichtartig gezeigt, gibtes viele Beispiele, in denen diese Möglichkeiten vorbildlich genutztwerden.Warum also crossmedial arbeiten? Weil es sich lohnt. Weil wir ge-sellschaftlich zeitgemäße Formen medialer Realitätsvermittlung brau-chen. Weil es ein Publikum gibt, das sie auch intensiv zu nutzen bereit sein sollte. Weil es für die Journalisten als Gestalter dieserneuen Formen eine spannende und wichtige Herausforderung ist. Bleibt zu hoffen, dass sich auch die ökonomischen Rahmenbedin-gungen des Marktes dafür besser entwickeln.

Weiterführende LiteraturHohlfeld, Ralf et al. (Hrsg.): Crossmedia. Wer bleibt auf der Strecke? Berlin: Lit 2010.Hooffacker, Gabriele: Online-Journalismus. Texten und Konzipieren für das Internet.

Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis. München: Econ 3. Aufl. 2010.Jakubetz, Christian: Crossmedia. Konstanz: UVK 2. Aufl. 2011.Jakubetz, Christian/Langer, Ulrike/Hohlfeld, Ralf (Hrsg.): Universalcode. Journalis-

mus im digitalen Zeitalter. München: Euryclia 2011.Netzwerk Recherche (Hrsg.): Online-Journalismus. Zukunftspfade und Sackgassen

(nr-Werkstatt, Nr. 18). Hamburg: o. Verl. 2011.

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1 Frank Marcinkowski: Medienkonvergenz. In: Günter Bentele/Hans-BerndBrosius/Ottfried Jarren (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissen-schaft. Wiesbaden: VS-Verlag ²2013, S. 211.

2 Frank Marcinkowski: Konvergenz. In: Günter Bentele/Hans-Bernd Brosius/OttfriedJarren (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Wiesbaden:VS-Verlag 2006, S. 140.

3 Birgit van Eimeren: „Always on“ – Smartphone, Tablet & Co. als neue Taktgeber imNetz. Ergebnisse der ARD/ZDF-Onlinestudie 2013. In: Media Perspektiven, Nr. 7-8/2013, S. 386-390, hier S. 386

4 Ebd. S. 3875 BLM: Relevanz der Medien für die Meinungsbildung. Empirische Grundlagen zum

MedienVielfaltsMonitor der BLM. Online: http://www.blm.de/apps/document-base/data/pdf1/BLM_MedienVielfaltsMonitor_1_Halbjahr_2013.pdf (zuletzt auf-gerufen am 08.09.2013)

6 Van Eimeren 2013, S. 3897 Christian Jakubetz: Crossmedia. Konstanz: UVK ²2011, S. 12.8 Klaus Meier/Vanessa Giese/Tobias Schweigmann: Das ‚Kreuzen’ der Medien. Das

Konzept des crossmedialen Labors. In: Beatrice Dernbach/Wiebke Loosen (Hrsg.):Didaktik der Journalistik. Konzepte, Methoden und Beispiele aus der Journalis-tenausbildung. Wiesbaden: Springer VS 2012, S. 311-322, hier S. 311f.

9 Die „Urban Survivors“, „Voice of Kibera“ und rund 450 weitere Beispiele für denEinsatz digitaler, crossmedialer Anwendungen und Innovationen aus dem Be-reich der sozialen weltweiten Partnerschaft hat die Organisation betterplace labzusammengestellt – siehe http://www.betterplace-lab.org. Ausgewählte „Cases“werden auch vorgestellt in betterplace lab (Hrsg.): Trendreport 2013. Berlin: o.Verl. 2013.

10 Ralf Hohlfeld: Publizistische Qualität in neuen Öffentlichkeiten. Crossmedia alsHerausforderung für die Verbindung einer Theorie publizistischer Qualität miteiner Theorie publizistischer Innovation. In: Ralf Hohlfeld et al. (Hrsg.): Cross-media. Wer bleibt auf der Strecke? Berlin: Lit 2010, S. 20-36, hier S. 21.

11 Ebd.12 Jabubetz 2011, S. 12.13 Christian Jakubetz: Die Hausaufgaben schon gemacht? In: Message, Nr. 2/2013, S.

58-60, hier S. 58.14 Thomas Schuler: Ungenutzte Möglichkeiten. In: Message, Nr. 2/2013, S. 50-53,

hier S. 53.15 Markus Beckedahl et al.: Internet-Manifest. Online unter www.internet-

manifest.de (zuletzt aufgerufen am 08.09.2013).

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Interview mit Robert Arsenschek(Markus Behmer)

Neue Töne auf der medialenKlaviaturDr. Robert Arsenschek ist Chefreporterdes Münchner Merkur. Gleichzeitig ister Dozent an der Deutschen Journalis-tenschule (DJS), der Akademie derBayerischen Presse (ABP) und dem In-stitut zur Förderung des publizistischenNachwuchses (ifp). Neben und nachseinem Studium der Geschichte, Ger-manistik und Philosophie in Münchenarbeitete er mehrere Jahre für die Süddeutsche Zeitung, dann dieFrankfurter Allgemeine Zeitung. Seit 2002 ist er Redakteur beimMünchner Merkur, wo er auch für die Volontärsausbildung zuständigist.

In welcher Weise wird in Ihrer Redaktion crossmedial gearbeitet?

Wir stellen uns in Redaktionskonferenzen oder in kleiner Rundeständig die Frage: Bei welchem Thema macht eine crossmediale Er-weiterung Sinn? Man sollte ja auf einem zusätzlichen Kanal auchjournalistischen Mehrwert liefern – und sich nicht nur selbst kopie-ren. Also prüfen die Zeitungsleute und die Onliner gemeinsam: Sol-len wir zum Print-Artikel noch eine Bilderstrecke ins Netz stellen?Bieten wir unseren Lesern ein Internet-Voting zu einem Thema an– und greifen das Ergebnis dann im Print wieder auf? Hilft uns einLive-Ticker weiter? Schicken wir auch einen VJ zum Termin – undweisen auf das Video in der Zeitung hin? Wie binden wir die sozia-len Netzwerke ein? Für aufwändigere crossmediale Projekte, etwadatenjournalistische oder Audio-Slideshows, fehlen uns allerdingsmeist die Kapazitäten.

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Warum crossmedial arbeiten?

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Was und wen wollen Sie damit erreichen?

Mit crossmedialen Angeboten sprechen wir neue, vor allem jüngereZielgruppen an, die wir über Print kaum erreichen. Indem wir meh-rere Verbreitungskanäle nutzen, binden wir derzeit mehr Menschendenn je an die Marke „Merkur“. Es gibt ja keine Medienkrise, im Gegenteil – wohl aber eine Medienfinanzierungskrise.

Können Sie uns ein Beispiel für ein konkretes crossmedialesProjekt schildern?

Vor einiger Zeit stießen wir auf 500 alte Fotos, die ein Mann in Süd-frankreich gefunden hatte. Sie zeigen den Häftlingsalltag in einemKriegsgefangenenlager in Murnau – sehr spektakuläre Bilder. Wirwollten wissen, was genau auf den Fotos zu sehen ist, und baten unsere Leser zunächst in einem großen Print-Beitrag um Hinweise. Parallel dazu machten wir alle Bilder im Internet zugänglich mit derMöglichkeit, Kommentare dazu abzugeben. Zudem verlinkten wir dasalles mit einem seltenen historischen Film, der den Vormarsch derAmerikaner auf Murnau und die Befreiung des Lagers aus US-Sichtzeigt – also die Gegenperspektive. Wir bekamen daraufhin viele Hinweise aus aller Welt, die uns halfen, die Bildinhalte besser einzu-ordnen. Und am Ende konnten wir unsere Ergebnisse in weiterenPrint-Artikeln verwerten.

Worin sehen Sie persönlich einen spezifischen Mehrwertder Vernetzung von Print und Online?

Die mediale Klaviatur wird dadurch erweitert, das finde ich sehr in-spirierend: Wir können jetzt auf viel mehr Tasten spielen, der Klangwird dadurch voller und facettenreicher. Klar: Man muss auf den zu-sätzlichen Tasten viel üben. Aber plötzlich kann man ganz neue Töneanschlagen – und Geschichten ganz anders erzählen.

Was für Probleme gibt es eventuell?

Die Anforderungen an crossmedial arbeitende Journalisten sind sehrhoch – nicht nur in technischer Hinsicht. Man muss ein feines Gespürfür die verschiedenen Kanäle entwickeln. Was auf dem einem zündet,taugt für den anderen oft nicht. Online kann man boulevardeskerauftreten, Geschichten stärker zuspitzen, man bedient ja auch ein

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anderes Publikum als in der gedruckten Tageszeitung. Da kann esschon schwierig werden, das alles noch unter das Dach einer einzigenmedialen Marke zu bekommen.

Gibt es ein größeres Projekt, das Sie gerne crossmedial umsetzen würden?

Mich fasziniert, wie kreativ die „New York Times“ speziell designteAnimationen einsetzt, um schwierige Geschichten anschaulich zu er-zählen. Das halte ich für einen vielversprechenden Weg, um denMenschen, die heute die Medien viel ungeduldiger nutzen als früher,komplexe Themen etwa aus Politik und Wirtschaft nahe zu bringen.

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Interview mit Stephan Kirchnerund Gerhard Kockert(Holger Müller)

Stephan Kirchner (Hörfunk, Online) und Gerhard Kockert (TV) leitengemeinsam das Aktualitätenzentrum – kurz: AktZent – im StudioFranken des Bayerischen Rundfunks. Seit September 2012 arbeitendort die aktuellen Redaktionen von Hörfunk, Fernsehen und Onlinein einem Newsroom zusammen.

Was war für den BR der Anstoß, mit dem AktZent ein tri mediales Sendezentrum aufzubauen?

Stephan Kirchner: Am Anfang hatten wir kein mehrmediales Zen-trum geplant. Die aktuelle Fernsehredaktion ist mit der Zeit zu großgeworden und war deshalb außerhalb des Geländes untergebracht.Wir haben ein neues Gebäude geplant, und dann waren es Redak-teure, die gesagt haben: Wir wollen mehrmedial arbeiten. Wir machen doch den ganzen Tag das gleiche, Fernsehen, Online, Hör-funk, warum setzen wir uns nicht zusammen und koordinieren dasbesser?Gerhard Kockert: Die Kontakte zwischen Hörfunk und Fernsehen wa-ren von je her sehr eng. Außerdem macht es in einem Großraumbüromit Newsroom auch keinen Sinn, weiter so zu arbeiten wie bisher.

Der Newsroom ist das Nervenzentrum hier im AktZent.Wie funktioniert das redaktionelle Zusammenspiel zwischenHörfunk, Fernsehen und Online?

Kockert: Die Vorbereitung ist sehr komplex. Wir haben einen gemein-samen Vorplanungstisch, an dem ein Radiovorplaner und ein Fern-sehvorplaner sitzen, außerdem der so genannte Sendungsonliner.Diese drei Vorbereiter planen eine Woche voraus und wägen ab,wo sich die drei Medien ergänzen können. Bei aktuellen Ereignissenzeigen sich oft die Grenzen der trimedialen Zusammenarbeit.

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Spontan auf aktuelle Ereignisse zu reagieren, ist also schwierig?

Kirchner: Es ist eine Herausforderung, weil der Reflex des einzelnenJournalisten immer noch ist, jetzt renne ich da raus und arbeite esab. Natürlich müssen wir zum Beispiel sofort einen Aufsager für B5aktuell rausbekommen, aber wir versuchen dann, nicht planlos alleKapazitäten einzusetzen. Nach den ersten Berichten stecken wir ab,wie groß das Thema ist, welche Facetten und Recherchebereiche unsnoch einfallen. Entsprechend verteilen wir die Aufgaben und führensie später wieder zusammen. Davon profitieren wir vor allem in denFolgetagen.

Sind dann letzten Endes ein Fernsehteam und ein Hörfunk redakteur vor Ort?

Kirchner: Jeder braucht ein Grundverständnis für das andere Medium,entsprechend haben wir unsere Mitarbeiter auch geschult. Wir setzendarauf, die Aufnahmen und Inhalte, die vor Ort entstehen, auszutau-schen. Aber wir glauben nicht an den mit Kamera, Mikrofon und Fo-toapparat behängten Reporter, der dann in kürzester Zeit alles perfektabarbeitet. Es kommt natürlich auf das Ereignis an: Wenn zum Bei-spiel ein Gustl Mollath freigelassen wird, dann brauchen wir eine un-wahrscheinliche Manpower vor Ort. Die Rechercheergebnisse bündelnwir dann, um Arbeit zu sparen und schlagkräftiger zu werden. Kockert: Eine Ergänzung noch, die Bedürfnisse der einzelnen Berei-che werden vom Neswdesk aus gesteuert. Dann bringt zum Beispielein Fernsehteam auch noch zusätzliche O-Töne für den Hörfunk mit.

Findet die Zusammenarbeit hauptsächlich auf der Produk tions seite statt, oder setzen Sie auch auf cross -mediales Story telling?

Kockert: Crossmediales Storytelling funktioniert je nach Thema malmehr, mal weniger gut. Es bringt nichts, am Abend inhaltlich denRadiobeitrag vom Mittag zu wiederholen – nur eben bebildert. Es istalso wichtig, die Dramaturgie des Ereignisses zu berücksichtigen. Inder Regel ist es einfacher, zu einem Ereignis den Tag über die Hintergründe zu sammeln, und auf der Onlineebene den Sack zuzu-machen.

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Kirchner: Wir sind jetzt ein Jahr hier, durchlaufen also einen Lern-prozess. Wir sammeln Erfahrungen, auch was das mehrmediale Sto-rytelling betrifft. Mehrmediales Storytelling ist mehr! Wenn wir unszum Beispiel den letzten Jahresrückblick anschauen, dort haben wirdie Themen des Jahres 2012 zuerst online präsentiert. Dann habenwir die Nutzer nach ihrem Feedback gefragt, ihren eigenen Themen– auch privaten Dingen. Daraus kann wirklich etwas entstehen, dasist mehrmediales Storytelling.

Wo sehen Sie im AktZent noch weiteres Potenzial,was möchten Sie verbessern?

Kirchner: Wir sind permanent dran, wir begleiten unser Team auchdurch Fortbildungsangebote. Was wir zum Beispiel im Herbst oderim nächsten Jahr üben wollen, ist tatsächlich mehrmediales Story-telling. Oder Stichwort „Information overload“: Wir wollen denWorkflow im Newsroom verbessern, damit der Informationsfluss fürden Einzelnen nicht zu viel wird, aber doch jeder die Informationenbekommt, die er braucht. Außerdem wollen wir im Bereich Onlinemit Mobile Reporting nachlegen, was zum Beispiel Videos mit demSmartphone angeht.Kockert: Die Einbindung des Webs und der sozialen Medien ist eineBaustelle, auf der wir noch mehr machen könnten. Für die Franken-schau aktuell stoßen wir jetzt einen Prozess an, in dem es auch da-rum geht, attraktive Inhalte für soziale Medien zu entwickeln. Au-ßerdem geht es um die Frage, wie die Rückmeldungen aus den Netz-werken in das lineare Programm einfließen können. Oder welcheMöglichkeiten es gibt, im Netz Inhalte vorab zu publizieren.

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3. Journalismus

3.1. Transmediales Arbeiten Von Christian Jakubetz

Der Weg ist das Medium

Bei flüchtiger Betrachtung könnte man glauben, im Journalismuswürden sich die Buzzwords momentan nur so aneinander reihen unddas eine das andere einfach ablösen, bei weitgehend gleichem Inhalt.Es ist noch nicht lange her, da sprach alle Welt von „Crossmedia“.Das Vernetzen von Inhalten und Plattformen sei schlichtweg die Zu-kunft des Journalismus, sagten sogar solche, die es normalerweisemit dem digitalen Journalismus gar nicht so sehr haben. Kaum wardieser Begriff im Vokabular der breiten Masse verankert, kam auchschon wieder der nächste: Transmedia soll es jetzt richten. Trans -media, Crossmedia – gibt es da überhaupt irgendwelche Unter-schiede? Oder ist das ein griffigeres, schöneres Wort, das aber beinahedas selbe meint wie Crossmedia? Oder handelt es sich womöglich nurum eine sehr akademische Unterscheidung, über die sich Journalis-mus-Professoren auseinander setzen können, die aber für die täglicheArbeit von Journalisten keine relevante Bedeutung hat?Die Antwort ist einfach, verblüffend einfach sogar. Und dennochauf den ersten Blick irritierend: Zwar gehen die Begriffe Crossmediaund Transmedia von ähnlichen Grundlagen aus, Vernetzung ist beibeiden Arbeitsweisen das Prinzip. Man macht also als Journalistdurchaus ähnliche Dinge, tut aber dennoch etwas grundlegend an-deres. Die zugrunde liegende Denkweise und auch das Resultat ha-ben nicht sehr viel miteinander zu tun, weil transmediales Arbeitennicht nur weiter geht als die crossmediale Ausrichtung. Es liegt eineandere Haltung dahinter, man könnte auch sagen: Möglicherweiseist transmediales Arbeiten das, was in einer gar nicht so weit ent-fernten Zeit die Zukunft und die Standard-Arbeitsweise des Jour-nalismus sein werden.

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Journalismus

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Über Unterschiede und Gemeinsamkeiten

Was haben Crossmedia und transmediales Arbeiten gemeinsam? Woliegen die Unterschiede? Zunächst: Journalismus der Zukunft istzwingend vernetzt und spielt sich auf mehreren Plattformen ab. Nichteinmal die verstockteste Analog-Redaktion würde heute noch negie-ren, dass neben der Zeitung oder dem Sender auch wenigstens eineWebseite und eine Präsenz in sozialen Netzwerken unverzichtbarsind. Wer richtig crossmedial arbeiten will, wird im Regelfall mehrtun müssen, als nur einen Hinweis auf eine neue Ausgabe, einen Artikel oder ein Stück zu posten. Crossmedia bedeutet: Inhalte aufmindestens zwei Plattformen anzubieten, nicht einfach als reines Duplikat, sondern mit Mehrinhalt und Mehrwert. Das klassische Beispiel: Man veröffentlicht einen Text zu einer Veranstaltung in derZeitung und bietet ergänzend dazu ein Video zum selben Thema(aber mit anderem Inhalt) auf der Webseite an. Das ist kein Selbst-zweck, sondern im Idealfall eine Ausnutzung der Stärken eines Kanals. Simpel gesagt: Manches funktioniert als Lesestück optimal,anderes wiederum eher als Video. Die Kunst des Journalisten ist esin diesem Fall also, die jeweiligen Stärken des Kanals zu identifizie-ren und Inhalte so zu verteilen, dass sie für den Nutzer optimal zurGeltung kommen. Insgesamt aber sind diese Inhalte eine abgeschlos-sene Einheit, so wie beispielsweise in der Zeitung ein Text und eindazugehörender Infokasten (nur dass der Infokasten heute eben auchein Video sein kann, sinnbildlich gesprochen).

Transmediales Arbeiten findet zwar ebenfalls auf verschiedenen Ka-nälen statt, und auch dort ist Vernetzung wie immer im digitalenJournalismus sehr zu empfehlen. Tatsächlich aber ist die grund -legende Idee eine andere: Nicht einen Inhalt auf verschiedene Kanälezu packen, sondern stattdessen die fortlaufende Präsenz eines Jour-nalisten, einer Redaktion auf allen relevanten Kanälen. Im Mittel-punkt steht also nicht ein singulärer Inhalt, sondern eine Person, eineRedaktion ein Label. Im Kern zusammengefasst: Während ein cross-mediales Produkt ggf. gezielt darauf setzt, dass sich das kompletteThema erst nach Besuch aller Plattformen erschließt, ist bei trans-medialem Arbeiten die zwingende Voraussetzung, dass jeglicher Inhalt auf dem jeweiligen Kanal alleine überlebensfähig sein muss.

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Einfacher gesagt: Wer transmedial über den Tag hinweg arbeitet, ver-öffentlicht ein stimmiges Ganzes, ohne dass man das Ganze betrach-ten muss, um es zu verstehen. Das klingt erst einmal so komplex wiewidersinnig, ist aber einfach zu verstehen, wenn man einen Blick aufdie – zugegeben – wenigen Beispiele wirft, die es bisher in der jour-nalistischen Praxis gibt.

Die Idee „Transmedia“

Fassen wir also nochmal zusammen: Was macht das Prinzip destransmedialen Arbeitens aus, warum ist Transmedia eben doch etwasganz anderes als Crossmedia?

Medien definieren sich als vielkanaliges System, das seinen Kanal•den Gegebenheiten entsprechend wähltTransmediale Konzepte begleiten den Nutzer durch den Tag und•über die Plattformen. Ein Thema löst sich also auf und wird amEnde wieder zusammengefügt.Die Summe der Einzelteile ergibt das Ganze•Die diversen Kanäle sind nicht mehr nur Ergänzung, sondern füh-•ren ein integriertes Eigenleben. Sie bestehen in erster Linie ausJournalismus und Kommunikation und sind keinesfalls Marketing-Tools für den eigentlichen „Hauptkanal“.

Das Beispiel „Rundshow”

Im Frühjahr 2012 startete der Bayerische Rundfunk ein ungewöhn -liches Experiment: eine Fernsehsendung, die alles Mögliche seindurfte, nur keine klassische TV-Sendung. Dabei ging es weniger da-rum, auf dem Schirm Dinge zu tun, die unkonventionell sind, es gingauch nicht darum, ein TV-Format zu entwickeln, das zwar anders,aber im Endeffekt dann eben doch nur Fernsehen war. Der Gedankewar ein anderer: ein journalistisches Projekt, das (bildlich gespro-chen) 24 Stunden am Tag für seine User da ist und für das alle Kanälegleich bedeutend sind. Für das ein einzelner 140-Zeichen-Tweet die-selbe Bedeutung hat wie die abendliche 30-Minuten-Sendung (späterdann in der letzten Sendewoche 45 Minuten). Und schließlich eines,das Journalismus auch als einen Prozess permanenter Kommunika-tion mit dem Nutzer versteht.

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Journalismus

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Wenn jetzt aber zwar vernetzt und über die Plattformen hinweg erzählt wird, was genau ist dann anders als bei crossmedialem Ar-beiten? Im Blog terribleminds.com heißt es dazu sehr treffend:The current and straightest-forwardest (not a word) definition oftransmedia is when you take a single story or storyworld and breakit apart like hard toffee so that each of its pieces can live across multiple formats.

Das ist natürlich keine wissenschaftliche Definition, wohl aber eine,die die transmediale Sache auf den Punkt bringt. Und eine, die zeigt,wo nun der Unterschied zu crossmedialem Arbeiten liegt: Crossmediaversucht zwingend, Dinge, die auf zwei oder mehreren Kanälen pas-sieren, zusammenzubringen. Transmediales Arbeiten hingegen istfast das Gegenteil: Man löst einen Plot, eine Geschichte, ein Themain viele kleine Einzelteile auf, um sie womöglich erst ganz am Endezu einem Großen und Ganzen zusammenzufügen.

Bei der „Rundshow” war das tatsächlich die prägende Idee: Man star-tet früh morgens mit einem Erzählstrang (beispielsweise: Twitter),bleibt den ganzen Tag über auf den verschiedenen Kanälen präsent– und hat dann am Abend im Zuge der Sendung Zeit und Gelegen-heit, die Dinge des Tages fertig zu betrachten. Wenn man so will,dann war die abendliche TV-Sendung die Summe der transmedialenEinzelteile, die Conclusio eines Tages, die Bilanz, das Fazit, die Zu-sammenfassung vieler einzelner Erzählstränge.Das klingt erst einmal banal, wenig erstrebenswert, kaum realisier-bar und nicht wirklich journalistisch. Was soll daran stringent undspannend sein, wenn man morgens auf Twitter irgendwas zu erzäh-len beginnt, das dann auf Facebook fortführt, man ein paar GoogleHangouts dazwischen schaltet und am Abend schließlich daraus eineTV-Sendung macht? Wenn es denn so wäre, müsste man das fürUnfug halten. Tatsächlich ist transmediales Arbeiten nur dann sinn-voll, wenn man nicht einfach drauflos produziert, sondern einen in-haltlichen Plan hat. Bei der „Rundshow“ war das der Fall – ein ge-meinsames Thema wurde wahlweise am Morgen definiert oder ge-meinsam mit dem User gefunden, um es dann über den Tag hinwegüber die verschiedenen Kanäle hinweg weiterzuentwickeln. In einemständigen Wechselspiel zwischen Usern und Redaktion wurden diese

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Themen ergänzt, diskutiert, ohne allerdings nur dann verstandenwerden zu können, wenn man die Inhalte auf allen Plattformen ver-folgt hat.

Warum transmedial arbeiten?

Man hat Twitter, man hat Facebook, Google, Instagram, Blogs, klas-sische Webseiten, es gibt Videos, Audios, multimediale Erzählformen,stationäre High-End-Rechner, Tablets und Smartphones – die Palettesowohl der Geräte als auch der journalistischen Darstellungsformenhat inzwischen Dimensionen erreicht, die noch vor zehn Jahren un-denkbar waren. Damit einher geht zwangsweise, dass es eine einheit-liche oder auch noch mehrheitlich zu definierende Form der Medien-nutzung nicht (mehr) gibt. Es ist also schon einmal alleine der reinePragmatismus, sich der verschiedenen Plattformen zu bedienen. EineZeitung wird selbst ihr angestammtes Publikum nicht mehr aus-schließlich über den Kanal Zeitung erwischen; ein TV-Sender hatsehr viel mehr Chancen auf Reichweite und Relevanz, wenn er nichtnur im TV präsent ist. Das mag man grundsätzlich bedauern oder auch nicht, sicher istaber: Wir werden unserem Publikum nicht mehr vorschreiben kön-nen, wo und wann und wie es Inhalte zu nutzen hat. Wenn man sowill, ist also transmediales Arbeiten die Zukunft des journalistischenArbeitens. Nicht als Selbstzweck, weil es etwas so schönes Neuesgibt. Sondern weil uns die Fragmentierung von Märkten und Kanä-len gar keine andere Wahl lässt, als uns dort zu bewegen, wo dieNutzer sind.Die Idee ist also inzwischen eine andere: Der Weg ist das Ziel. DerWeg ist, um das etwas weiterzuführen, auch das Medium. Dass zudiesem Weg, diesem Ziel und diesem Medium auch die Kommunika-tion mit dem Nutzer mehr denn je gehört, darf man mehr denn jenicht vergessen.

Dreiklangsdimensionen

Medien sind immer noch weitgehend eindimensional. Zwar gibt esbeispielsweise beim TV inzwischen Ansätze von Social TV und Second Screen. Und bei vielen Zeitungen ist crossmediales Arbeiteninzwischen Standard. Tatsächlich wäre es eine völlig neue Heran -

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gehensweise in der Medien-Produktion, Inhalte von Anfang nachfolgenden Kriterien herzustellen:

Transmedialität•Mobilität•Transparenz•Partizipation•Interaktion•Dokumentation•

Transmediale Medienproduktion ist also ein permanenter Prozess,work in progress und eine Umkehrung der bisherigen Idee, einen In-halt in einem geschlossenen Prozess für einen ganz bestimmten Zeit-punkt herzustellen, um ihn dann, um eine Rundfunk-Formulierungzu verwenden, zu versenden.

Welche Kanäle transmediales Arbeiten braucht – und was sieleisten sollen

Was also könnte ein konkretes Konzept für transmediales Arbeitenbeinhalten? Was müssten Kanäle leisten, welche bräuchte man über-haupt? Und was soll dort passieren?Die Geschichte des Themas wird transmedial, transparent und dau-erhaft erzählt. Dazu bedient sich das Projekt aller erdenklichen Platt-formen, die je nach situativer Eignung herangezogen werden. DasLabel der Redaktion/des Journalisten ist dabei aber dauerhaftes Er-kennungsmerkmal auf allen Kanälen. Konkret werden folgende Ka-näle angeboten:

Facebook•YouTube•Vimeo•Twitter•Google Plus•Foursquare•Blog•Website•

Dabei handelt es sich nur um den Versuch einer konkreten Veran-schaulichung. Ob man sich dann tatsächlich für Facebook oder Twit-ter entscheidet, wird jeder im Einzelfall für sich entscheiden müssen.

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Und ob man nicht in ein oder zwei Jahren von Dingen reden wird,die hier erst gar nicht aufgelistet sind, darf als gesichert gelten.Erst durch diese transmediale Herangehensweise können die grund-sätzlichen Ideen von Transparenz, Partizipation, Interaktion und Dokumentation so verwirklicht werden, dass sie am Ende eine stim-mige und stringente Einheit mit dem Endprodukt ergeben.Zu beachten ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Begriff„Endprodukt“ nur eingeschränkt richtig ist. Das Projekt endet nichtmit der Publikation, sondern wird idealerweise vor allem auf den so-zialen Netzwerken und den anderen Onlinekanälen fortgeführt.

Was, wie, wo – und vor allem: warum?

Bei der Verwendung der sozialen Kanäle geht es nur eingeschränktum das Annoncieren neuer Inhalte. Die sozialen Netzwerke sind le-diglich am Rande auch ein Vetriebskanal. In erster Linie dienen siedazu, eine Community aufzubauen, in der die Inhalte kontrovers dis-kutiert und idealerweise auch gemeinsam entwickelt werden. Gege-gebenfalls kann dies auch soweit gehen, dass Rohfassungen onlineund zur Diskussion gestellt werden. Die Redaktion behält dabei striktdie Entscheidungshoheit. Es geht also nicht darum, die Nutzer zu un-mittelbaren Entscheidungsträgern zu machen.Die Videokanäle (YouTube und Vimeo) haben mehrere Funktionen.Dort kann

der Nutzer Rohmaterial einsehen, das während der Entstehungs-•geschichte gedreht wird, es begutachten, kritisieren, Anregungenzur Verwendung geben,der Nutzer regelmäßig mit der Redaktion über Google Hangouts in•Kontakt treten und an virtuellen Redaktionskonferenzen teilnehmen,der Nutzer über Hangouts mit Protagonisten des Films kommuni-•zieren,ein Videoblog/Vodcast eingerichtet werden,•usergeneriertes Material hochgeladen werden,•Material zur Einbindung in eigene Projekte/Webseiten verwendet•werden.

In den Location-Based-Services (LBS) wie Foursquare gibt die Re-daktion jeweils ihren Standort bekannt, kann dort Tipps hinterlassenund gegebenenfalls auch spontane Treffen vereinbaren. Die LBS-

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Statusmeldungen werden aus Gründen der Reichweite auch in densozialen Netzwerken publiziert.Interaktive und multimediale Storytelling-Tools wie Klynt werden da -zu verwendet, dass der User neben der linearen Erzählform auch seineeigene Geschichte nach Gusto zusammenstellen bzw. erleben kann.Die Formate sollen kein geschlossenes Projekt sein, an dessen Endeirgendwann mal ein fertiges Produkt steht. Stattdessen soll es seineeigene Entstehung in Beinahe-Echtzeit dokumentieren. Neben denobligatorischen Social-Media-Kanälen (Twitter, Facebook, GooglePlus) sollen dabei beispielsweise ein Audio-Podcast und eine multi-mediale Timeline als begleitende Kanäle dienen. Die Webseite zum Projekt wird die zentrale Sammelstelle aller Mate-ralien des Projekts. Dort sind Videos, Audios, Texte, Termine und alles andere rund um das Projekt zu finden. Sie ist die Stelle, an derdas ganze Projekt zusammenwächst. Sie hat dokumentarischen Cha-rakter, weil sie die einzige Stelle ist, die den gesamten Inhalt und dengesamten Weg des Projekts nachzeichnet.

Kompetenzen: Was Journalisten können sollten

Die Debatte existiert, seit es das Internet gibt: Züchten wir uns nichtallmählich eine Generation von Journalisten heran, die alles so einbisschen und nichts wirklich gut kann? Wenn man plötzlich eineganze Masse von Dingen tun soll, bleibt dann nicht zwangsläufig dieKlasse auf der Strecke? Bevor man eine solche Debatte (die ohnediesnicht zu sehr viel führen wird) überhaupt beginnt, sollte man sichüber eines im Klaren sein: Niemand ist in der Lage, jeden Kanalgleich gut zu bedienen und jede Darstellungsform perfekt zu beherr-schen. Es ist auch weitgehend sinnlos, einen begnadeten Texter mitwenig Spaß am Bewegtbild plötzlich mit Gewalt zum Videofilmerumfunktionieren zu wollen. Wohl aber braucht ein Journalist im di-gitalen Zeitalter wenigstens Grundkenntnisse, um auch die Dinge zumachen, die vielleicht nicht gerade seine bevorzugten sind. Erbraucht sie nicht nur, um wenigstens einfache Inhalte auf einem ihmfremden Kanal erstellen zu können. Er benötigt sie vor allem, um eintransmediales Verständnis entwickeln zu können. Um zu wissen, wasda überhaupt passiert, in diesem permanenten Kommunikations- undProduktionsprozess. Und um einschätzen zu können, was andere,

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beispielsweise seine Kollegen, können und leisten müssten, um diesenProzess am Laufen zu halten. Weniger abstrakt gesagt: Wenn es bei-spielsweise darum geht, ein Video zu einem Thema zu produzieren,dann muss man nicht zwingend dieses Video komplett selbst erstellenkönnen. Wohl aber muss man die Anforderungen an ein gutes Videound den Produktionsaufwand einschätzen können, will man zum ei-nen die Kollegen vernünftig briefen und zum anderen ein transme-diales Projekt überhaupt organisieren können. Das gilt für alle an-deren Kanäle genauso, sogar für so einen vermeintlich simplen Kanalwie Twitter: Wer nicht weiß, wie Twitter funktioniert (im Sinne von:wie Twitter tickt), wird dort nicht reüssieren können.Es geht also keineswegs darum, die viel zu oft zitierte „eierlegendeWollmilchsau“ zu werden oder auszubilden. Transmediales Arbeitenist eine Kopf- und Einstellungssache. Transmediales Arbeiten erfor-dert natürlich handwerkliches Können. Wichtiger sind aber: konzep-tionelles Denken, Bereitschaft zu Offenheit und Kommunikation.Transmediales Arbeiten und der vor allem in Großbritannien und denUSA propagierte „open journalism“ gehören sehr nahe zueinander.

Wie geht�es weiter?

Natürlich wird es Skeptiker geben, die das Thema „Transmedia“ abtunals neuen Hype, der sich schnell wieder erledigt haben wird. Es wirdauch die Kritik geben, dass Transmedia lediglich ein neuer Begriffsei, der substanziell nichts Neues biete. Tatsächlich aber laufen indieser Arbeitsweise Trends wie Fäden zusammen, die vorher eher loseund ungeordnet auf dem Tisch lagen. Man wusste, dass die medialeZukunft irgendwie multimedial sein müsste und es nicht ausreicht,sich auf einen Kanal zu beschränken. Man bekam eine Ahnung da-von, dass sich Journalismus vor allem vernetzen müsse, weswegenman von „Crossmedia” sprach. Soziale Netzwerke, mobile Plattfor-men, Interaktion, Echtzeitjournalismus, Datenjournalismus – all daskam in den letzten Jahren als neue Darstellunsgformen und Anfor-derungen an Journalisten hinzu. Wie eine Art Puzzle, bei dem mehrund mehr Einzelteile auf den Tisch geworfen wurden.Gut möglich, dass transmediales Arbeiten in den nächsten Jahren zudem Bild wird, das sich aus diesen vielen kleinen Teilen zwingendergibt.

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Journalismus

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Interview mit Marco Maier(Markus Kaiser)

Arbeiten für Radio, Lokalfernsehen,Anzeigenblatt und Online: Im Funk-haus Aschaffenburg wird aus einemcrossmedialen Newsroom für alle Me-dien produziert. Marco Maier ist Chef-redakteur von Radio Primavera, RadioGalaxy, main.tv, PrimaSonntag undprimavera24.de im Funkhaus Aschaf-fenburg. In dieser Form ist seine cross-mediale Redaktion fast einmalig.

Herr Maier, warum haben Sie sämtliche Medien in IhremFunkhaus integriert?

Als 2009 der Standort von TV touring aufgelöst und ins Funkhausintegriert worden war, hat es einige Zeit noch ein Nebeneinander derverschiedenen Medien gegeben. Wir haben aber schnell gemerkt, dasswir Synergieeffekte, crossmediale Effekte erzielen können. Der zweiteSchritt war deshalb, neu zu strukturieren, damit es nicht nur ökono-mische Vorteile bietet, sondern auch, was die Qualität betrifft. Daswar ein langer Prozess, der zwei Jahre gedauert hat. Inzwischen haben wir das crossmediale Denken und Schaffen optimiert. Es bleibtaber ein ständiger Lernprozess, da wir eine hohe Personalfluktuationhaben, nicht zuletzt weil unsere rundum ausgebildeten Journalistenwoanders gute Stellen erhalten.

Den Begriff der „eierlegenden Wollmilchsau“ können Siedann vermutlich nicht mehr hören, oder?

Es ist faktisch richtig, dass wir diese haben – aber nicht ab dem erstenTag. Es ist nicht so, dass ein Jungvolontär auf einen Termin geht, einen Beitrag fürs Radio macht, den Text für das Anzeigenblattschreibt, einen Beitrag für Online verfasst und ein Foto schießt. Das

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ist nicht das, was wir von unserem Nachwuchs ab dem ersten Tagverlangen. Sie erhalten zunächst eine Spezialisierung und sollen zumBeispiel optimieren, wie man Fernsehbeiträge macht, einen roten Faden in den Beitrag bringt, die richtigen Protagonisten wählt oderwie sie die Geschichte möglichst einfach erzählen. Erst der zweiteSchritt ist dann zu schauen, ob es im TV-Beitrag gute O-Töne gibt,um einen Radiobeitrag oder eine Radionachricht zu machen. So entwickelt sich langsam ein Verständnis, aus einem FernsehbeitragAudios für Hörfunk zur Verfügung zu stellen.

Wer für mehrere Medien gleichzeitig arbeitet, macht auchmehr Fehler.

Wir haben aber ein Kontrollsystem, bevor wir unsere Inhalte demHörer, Zuschauer oder User liefern. Diese Hürde – bestehend aus er-fahrenen Redakteuren an den Schlüsselstellen der Redaktion – ist fürdie Qualitätssicherung natürlich wichtig. Wir führen diese stetsdurch. Außerdem werden unsere Volontäre intensiv mit zusätzlicheninternen und externen Workshops und Seminaren ausgebildet: Wirhaben außerdem das Volontariat 2009 auf 36 Monate ausgedehnt,Minimum sind zwei Jahre. Wir müssen natürlich bei allen Mitarbei-tern immer schauen, dass wir sie up to date halten, gerade auch wastechnisches Know How angeht. Crossmediales Arbeiten ist ein stän-diger Prozess. Es ist sehr wichtig, stetig darauf zu achten, dass dieRedaktion keinen Scheuklappen-Blick bekommt.

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3.2. Neue ErzählformenVon Markus Kaiser

Vom Text zu Video

Lassen Sie uns kurz zurückgehen in die 1990-er Jahre. Nach erstenVersuchen mit dem neuen Medium bestanden Internetangebote vonTages zeitungen oft aus den komplett selben Texten, die auch imPrintprodukt erschienen. Teilweise wurden diese Texte sogar auto-matisiert über Nacht vom Print-Redaktionssystem ins Internet ex-portiert: mit Reportage-Einstiegssätzen als Teaser und Überschriften,denen die im Netz deutlich wichtiger gewordenen Keywords fehlten.Die Leser konnten die Texte ohne den Kontext der konkreten Zei-tungsseite manchmal überhaupt nicht verstehen. Wenn Bilder bei denTexten standen, war es manchmal schon etwas Besonderes. Und fürviele User dauerte es zu Zeiten des analogen Modems besonderslange, bis sich die Seite mit Foto bei ihm zu Hause am Rechner auf-gebaut hatte. Der Ausgangspunkt des redaktionellen Internetangebotswar eindeutig textbasiert.Erst durch größere Bandbreiten wurden Fotos immer wichtiger undauch größer. Hinzu kam zunächst die Möglichkeit, den Usern Bilder-galerien zu präsentieren. Die Fotografen freuten sich, schließlichkonnten sie so nicht nur ein Foto pro Termin in der Zeitung platzie-ren, sondern den Lohn ihrer harten Arbeit im Netz ernten. Die Verlagefreuten sich über besonders viele Klicks, da in der Anfangszeit desInternets weniger die Visits und Unique User als die Page Impressionsdie „digitale Währung“ bei den Anzeigenkunden waren. Der journa-listische Wert der Bilder spielte häufig deshalb eine untergeordneteRolle (wenngleich Medienethiker, aber auch Praktiker wie Stefan Plö-chinger von sueddeutsche.de – zum Beispiel beim Bombenanschlagin Boston – sich für einen verantwortungsbewussten Umgang mitBilderstrecken aussprachen). Auf vielen Websites entstand ein eigenes„Ressort“, das „Bildergalerien“ oder „Fotostrecken“ getauft wurde.Besonders beliebt waren Bilder von Verkehrsunfällen, unabhängigvon journalistischen Nachrichtenfaktoren. Wichtiger war der Klick-faktor. Kleinere Verkehrsunfälle mit Blechschaden auf Nebenstraßenwurden genauso angeklickt wie Unfälle, aus denen kilometerlange

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Staus auf Autobahnen resultierten – schließlich, so die Argumenta-tion, gab es für Letzteres nicht nur ein Sensations-, sondern einNachrichteninteresse der User.Der nächste Schritt waren Videos. Mit höheren Bandbreiten ändertesich auch die Internetnutzung insbesondere der jüngeren Nutzer. Bewegtbild war im Trend. Entweder erhielten Print- oder Hörfunk-redakteure eine Videokamera auf den Termin mit, oder bei größe-ren Medien wurden eigenständige Videoteams aufgebaut. Die Jour -nalisten (teils auch Fotografen) versuchten, das Fernsehen zu kopie-ren. Die Online-Videos hätten genauso gut im Lokal-TV gesendetwerden können. Fast immer waren die Videos in der Anfangszeitohne inhaltliche Abstimmung mit dem Text zum selben Thema(bei manchen Medien – wie Spiegel online – wäre dies auch garnicht möglich gewesen, da sie die Videos größtenteils von derNachrichten agentur Reuters bezogen hatten). Natürlich wurde auchhier wieder ein eigenes „Ressort“ („Videos“) in die Navigation auf-genommen.

„Der Westen“ setzt noch heute auf Ressorts wie „Videos“, „Forum“oder „Themenseiten“. Welche Themen User dahinter erwarten, bleibtim Verborgenen.

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Dadurch kam es auf manchen Nachrichten-Homepages vor, dass demAufmacher aus Text und Bild (nehmen wir als Beispiel das Oktober-fest in München) Meldungen aus anderen Ressorts über die Bundes-tagswahl und den Heimsieg des FC Bayern München folgten. Danachgab es auf der Homepage im Ressort „Bildergalerien“ unter anderemeine Galerie zum Münchner Oktoberfest. Es folgten weitere Meldun-gen über die Weltpolitik und Kitas im Lokalen, bis der User das dritteMal im Ressort „Videos“ auf das Münchner Oktoberfest stieß. Ge-nauso, als ob der Leser sich in erster Linie getrennt für Audio, Videooder Text und nicht für ein Thema interessiert. Hier wäre es ein bes-serer Service für den User gewesen, die drei Beiträge über das Okto-berfest zu bündeln. Schließlich interessiert er sich für das Oktoberfest,den FC Bayern München oder die Bundestagswahl. Eigene Ressortszu „Bildergalerien“ und zu „Videos“ ergeben dadurch keinen Sinn,höchstens als zusätzliche Archivfunktion.

Crossmedial oder transmedial?

Die meisten Medien haben dies inzwischen auch erkannt und bün-deln die Themen. Das Video, die Bildergalerie, der Podcast oder die(interaktive) Grafik zum selben Thema stehen beisammen, womöglichsogar mit den neuesten Tweets zu diesem Thema und den Kommen-taren der User (eigene Foren auf Nachrichten-Internetseiten, die nichtan die einzelnen Artikel angebunden sind, waren anders als bei nichttagesaktuellen Service- und Verbraucherseiten á la „frag-mutti.de“oder „gute-frage.net“ schon sehr früh gescheitert). Auf einen Blickerhält der User einen Überblick über alle redaktionellen Angebote einer Website zu einem bestimmten Thema. Was nur noch nicht Stan-dard ist, dass die einzelnen Beiträge aufeinander abgestimmt sind.So erhält der User oftmals im Video dieselben Informationen wie imText, in der Bildergalerie werden ebenfalls redundante Neuigkeitenwiedergegeben.Der User erhält ein Thema, das ähnlich oder gleich recherchiert wor-den ist, in verschiedenen Medienformaten ähnlich aufbereitet. Diesist der einzige Vorteil. Wer den Teaser liest, das Video schaut unddann einen kurzen Blick auf den Text wirft (oder umgekehrt), lang-weilt sich schnell – schließlich erfährt er dann zum dritten Mal, dassder FC Bayern München durch Tore von Mario Mandzukic und

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Franck Ribery Hannover 96 mit 2:0 besiegt hat. Die Chance bestehtdarin, alles aufeinander abzustimmen und Informationen nicht über-all zu wiederholen.Allerdings – und dies ist ein anderer als Christian Jakubetz’ trans-medialer Ansatz aus Kapitel 3.1. (aber kein Widerspruch!) – könnendann die einzelnen Beiträge zum Teil nicht mehr für sich alleine ste-hen. Ansonsten blieben zu viele Fragen beim User offen. Beim trans-medialen Ansatz gehen wir davon aus, wie ein User von einerMedien marke den ganzen Tag über auf verschiedenen Kanälen be-gleitet werden kann. Ort- und zeitunabhängige Konzepte sind hierwichtig. Beim crossmedialen (bzw. multimedialen) Storytelling gehenwir von einem fixen Zeitpunkt und Ort aus, an dem sich der User ge-rade befindet, die Redaktion versucht, das aktuelle Angebot für ihnzu optimieren. Beide Herangehensweisen haben ihre Berechtigungund sollten sich in der Planung einer Redaktion ergänzen. Zudemmüssen natürlich – außer in abstrakten, idealtypischen Betrachtun-gen – auch die Ausgangsbedingungen bei einem Medium immer mitbedacht werden.

Crossmediales Storytelling

Was diese neuen journalistischen Erzählformen, das crossmediale(bzw. multimediale) Storytelling betrifft, gibt es zwei verschiedeneEbenen, die beide ihre Berechtigung haben. Keine ist besser oderschlechter. Differenziert werden kann hier aber nach dem Aufwandfür den Redakteur.

Die verschiedenen Beiträge sind aufeinander abgestimmt. Sie•sind für sich aber abgeschlossen. Es werden bewusst mehrereGeschichten rund um ein Thema erzählt. Auf redundante In-formationen wird (weitgehend) verzichtet.Es gibt nur einen einzigen Beitrag, der aus multimedialen Ele-•menten besteht.

Verschiedene aufeinander abgestimmte Beiträge: Entscheidend isthier die Planung vor der Veranstaltung, der Pressekonferenz, der Re-cherche des selbst überlegten Themas bzw. bei unvorhersehbaren(Natur-)Ereignissen nach der ersten Eilmeldung und vor der weiterenRecherche. Vor Ort auf dem Termin ist es in der Regel zu spät. Je auf-

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wändiger die Formen (zum Beispiel beim Datenjournalismus), destofrühzeitiger muss geplant werden und desto mehr Redakteure werdenvor Ort und in der Redaktion benötigt (einfache Ansätze funktionie-ren auch für Einzelkämpfer). So können unterschiedliche Geschichtenin den jeweils abgeschlossenen Beiträgen erzählt werden. Es könnenunterschiedliche Protagonisten auftauchen, völlig andere Herange-hensweisen gewählt werden, ganz andere journalistische Darstel-lungsformen. Der Nutzer soll über das Thema möglichst breit infor-miert werden, verschiedenste Gesichtspunkte kennenlernen, und diejeweiligen Stärken des einzelnen Mediums können vom Journalistenausgespielt werden. Es geht hier eben nicht darum, dasselbe Thema,denselben Protagonisten, dieselbe Kernthese in verschiedenen For-maten von Audio, Video, Bildergalerien und Text mehrfach gleichzu erzählen. Es geht darum, ein Oberthema möglichst differenziertvon verschiedenen Seiten zu beleuchten: eine Art multimediales Dos-sier anzufertigen.Ein Beispiel: In der Redaktionskonferenz wird die Berichterstattungüber das erste Wochenende des Oktoberfests geplant. In einem Text-basierten Porträt wird die Inhaberin des ältesten Zuckerwatte-Standsvorgestellt. Ein Video gibt einen Überblick über den Besucheransturmauf dem gesamten Gelände (nur hier wird dann auch passend zumInhalt die Gesamtbesucherzahl genannt). Der Anstich des ersten Fas-ses Bier und die dort anwesenden Promis sind in einer Bildergaleriezu sehen. Eine Karte visualisiert die besten Möglichkeiten, nach demWiesn-Besuch mit öffentlichen Verkehrsmitteln wieder nach Hausezu kommen. Alle Beiträge zusammen ergeben dann ein rundes Bildvom ersten Oktoberfest-Wochenende, ohne dass der User durch sichwiederholende Informationen gelangweilt wird.Im genannten Oktoberfest-Beispiel müssen nicht alle Beiträge gleich-zeitig online freigeschalten werden. Es können Stück für Stück neuehinzukommen, gegebenenfalls ältere sogar wieder verschwinden. DieRedaktion sollte hier in Paketen denken und den gesamten Tagesab-lauf im Blick haben (spätestens hier fließen die transmedialen Über-legungen wieder mit ein). So wichtig die ursprüngliche Planung ist,so flexibel sollte die Redaktion dann auch reagieren: Sind die Klick-zahlen der Leser enttäuschend? Überholt die Aktualität die Planungen(gab es zum Beispiel eine größere Schlägerei auf dem Oktoberfest)?

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Ein wichtiger Aspekt ist die Sprache: jugendlich, formell, ironischoder bürokratisch. Medien, die sich wie NEON, 11Freunde, Landlustoder die Toast-Show auf NRJ Nürnberg an eine bestimmte Zielgruppewenden, können die Sprache ihrer Leser oder Hörer sprechen. Da-durch entsteht keine Kluft, wie bei manch gestelzt formulierter Mel-dung im Politikressort, wo für alle Alters- und Zielgruppen formuliertwerden muss. Es geht hier nicht darum, sich anzubiedern. Es gehtaber wohl darum, sich zu überlegen, ob der Sprachduktus über dieverschiedenen Beiträge gleich oder bewusst anders sein soll, weil imVideo beispielsweise ein Comedian die Ereignisse bewusst spaßhaftkommentiert.

Ein Beitrag mit multimedialen Elementen: Dies lässt sich selbst inkleineren Landkreisredaktionen und bei Ein-Frequenz-Wellen imHörfunk relativ einfach umsetzen. Es geht hier nicht darum, übereine Pressekonferenz einen Text zu schreiben, gleichzeitig die Video-kamera aufs Podium zu halten und mit den O-Tönen aus dem Videoanschließend noch einen Audiobeitrag zu produzieren (die häufigkritisierte „eierlegende Wollmilchsau“). Niemand muss fürchten, dasser nach dieser Pressekonferenz zunächst den Bericht schreiben, danndas Video und den Radiobeitrag stundenlang schneiden muss. Auchgeht es eben anders als im soeben beschriebenen Bereich nicht da-rum, mehrere aufeinander abgestimmte Beiträge zu produzieren. Esgeht um einen einzigen, der sich aber der Chancen und Vorteile derverschiedenen Medienbereiche bedient.Dieser Beitrag kann nach heutigem Stand nur im Internet angebotenwerden – das Digitalradio und revolutionäre moderne Drucktechni-ken wie bei Harry Potters „The Daily Prophet“, an denen längst ge-forscht wird, können dieses Monopol allerdings aufweichen. Damitgemeint ist neben PCs explizit auch auf Laptops, Tablets undSmartphones – und künftig womöglich Brillen (Google Glasses) undUhren. Natürlich kann der Einwand kommen, als Tageszeitungs -redakteur oder als Fernsehreporter muss ich dann doch zwei Beiträgeschreiben bzw. produzieren. Es handelt sich allerdings hier nicht umzwei komplett verschiedene Beiträge. Der Bericht, das Feature, dasPorträt oder die Reportage wird online oder auf dem Tablet allerdingsangereichert durch die zusätzlichen Multimedia-Elemente.

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Die Ursprünge dieser Form crossmedialen Storytellings stammen ausder Blogosphäre; in Weblogs wurden erstmals Texte zum Beispieldurch Videos oder Podcasts unterbrochen (oftmals nicht selbst ge-machte, sondern fremde, die nur eingebunden wurden). Anders herumkann natürlich auch ein Video mit Zusatzinformationen angereichertwerden. Hier spielt das Mutter-Medium weiterhin eine große Rolle:Von dessen Möglichkeiten ausgehend gibt es Ergänzungen. Das heißt,die Online-Redaktion einer Tageszeitung muss keinen perfektenVideo beitrag abliefern, aber gewisse Sequenzen zumindest einbauen.Auf einer Lokal-TV-Website wird wiederum niemand eine professio-nell geschriebene Grimme-Preis-verdächtige Reportage erwarten, aberdoch ergänzende Informationen in Textform.

Beispiele

Konkrete Beispiele, wie Redaktionen einen Beitrag mit multimedialenElementen sinnvoll gestalten können bzw. dies bereits umgesetzt haben (dies ist je nach personellen und finanziellen Ressourcen na-türlich skalierbar):

In einem Porträt über einen Callboy hat sueddeutsche.de an den•jeweils passenden Stellen Videosequenzen aus dem Recherche -interview eingebaut. Der Fließtext des Porträts wurde dadurch unterbrochen. Leser konnten sich so von dem Menschen einen bes-seren Eindruck verschaffen, als wenn ihnen dieser nur in Textformbeschrieben worden wäre.Ein Amateurfilmer hatte die Bombenexplosion im Münchner Stadt-•teil Schwabing im August 2012 gefilmt. Sueddeutsche.de hat dieseSequenz in seine Berichterstattung eingebunden.In der Berichterstattung über eine Landtagswahl werden nicht die•Prozentpunkte im Detail im Text wiedergegeben. Statt dessen wirdeine Grafik mit den Ergebnissen eingeblendet. Von den Wahlpartysgibt es jeweils kurze Sequenzen, die die Freude bzw. Enttäuschungder jeweiligen Parteien zeigen. Es wird auf die jeweiligen Stärkengeachtet: Analyse in Textform, Emotionen im Video.

Diese Beispiele zeigen, dass oftmals keine professionellen Videobei-träge nötig sind, um dem User einen Mehrwert zu bieten. Nötig sindaber natürlich – sofern möglich – professionelle Videosequenzen. Die

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absurde Vorgabe, für Videoaufnahmen kein Stativ zu verwenden(auch für das iPhone gibt es kostengünstige) oder diese sogar bewusstzu verwackeln, damit diese authentischer wirken, wird der Nutzernatürlich nicht goutieren. Sind aber von einem Ereignis keine ande-ren Aufnahmen vorhanden, sind diese besser als nichts. Dennochsollte natürlich die bestmögliche Qualität angestrebt werden.Insbesondere in die journalistische Darstellungsform Feature lassensich Videosequenzen oder (interaktive) Grafiken gut einbauen.Schließlich geht es in einem Feature darum, eine These zu belegenanhand von Expertenbefragungen, Statistiken, Beispielen oder Szenen. Beim Feature sind alle Elemente erlaubt. Deshalb lässt sichdas klassische Print-Feature problemlos zu einem multimedialen Feature ausbauen. Ebenso verhält es sich bei einer Nachricht oder einem Bericht.Bei einer Reportage muss der Journalist abwägen, was ihm wichtigererscheint: Dem Leser die Möglichkeit zu geben, das Beschriebeneauch audiovisuell sofort an den jeweiligen Stellen abgespielt zu be-kommen. Oder der rote Faden eines spannenden Features, der durcheinen zu hohen Multimedia-Mix womöglich verloren geht.Bei einem Porträt bietet es sich an (was schon seit Jahrzehnten imPrint üblich ist) Bilder immer an den entsprechenden Textstellen zuplatzieren, an denen sie passen: Jugendbilder, wenn es um die Kin-derzeit des Bürgermeisters geht. Ein Foto jubelnd mit der nach obengestreckten Faust, wenn es um den vergangenen Wahlsieg geht. EinBild mit Bürgern, wenn beschrieben wird, wie bürgernah er sich umdie Probleme Einzelner kümmert. Ergänzen lassen sich Text und Bilder natürlich auch mit Videosequenzen. Aus kaum einem multi-medialen Porträt über Edmund Stoiber, den früheren bayerischenMinister präsidenten, ist wohl der O-Ton aus der legendären Trans -rapid-Rede wegzudenken. Immer nur Sequenzen, eben nicht notwen-digerweise ein ganzer zusätzlicher Beitrag. Auch eine Infografik überdie Entwicklung seines Vermögens in einem Bill-Gates-Porträt istvorstellbar. Und im Gedächtnis geblieben ist der Spiegel-Artikel überBILD-Chefredakteur Kai Diekmanns und seine Zeit im Silicon Valley.In der Tablet-Version konnte man durch eine Animation mitverfol-gen, wie er sich optisch vom gegelten BILD-Chef zum Internet-Nerdmit Vollbart verändert hat.

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Elemente für neue Erzählformen

Dies sind nur einige Beispiele, welche Möglichkeiten sich bereits undkünftig den Redaktionen bieten, ihre Rechercheergebnisse mutimedialbzw. crossmedial aufzubereiten. Selbstverständlich darf mit gegensei-tigen Hinweisen weiterhin auch crossmedial gedacht werden (unteranderem durch QR-Codes). Aus welchem Baukasten sich Journalistenfür ihre Beiträge bedienen können, zeigt nachfolgende Übersicht:

Text•Foto bzw. Bildergalerien (auch Audio-Slideshows)•Karikaturen•Comics•Audio (Podcast)•Video (Vodcast)•(interaktive) Grafiken und Animationen•Hyperlinks•Umfragen und Bewertungen (zum Beispiel mit Sternen)•Social Media mit Weblog und Wikis (siehe Kapitel 3.3)•Datenjournalismus (siehe Kapitel 3.4)•Live-Berichterstattung (siehe Kapitel 3.5)•Land- bzw. Straßenkarten (Maps)•…•

Diese Aufzählung ist nicht vollständig. Dank der fortschreitendentechnischen Entwicklung werden sich die Möglichkeiten ständig er-weitern. Wichtig ist für Redaktionen, hier am Ball zu bleiben, aberbei all den sich bereits in der Entwicklung befindlichen weiteren zuerwartetenden Quantensprüngen (Augmented Reality, Internet derDinge etc.) sich nicht abschrecken zu lassen. Ein kleiner Schritt (siehedas Video zur Bombenexplosion in Schwabing) kann beim Userschon zu einer großen positiven Resonanz führen.Einige der oben beschriebenen neuen Möglichkeiten werden in dennächsten Kapiteln vorgestellt. Andere Elemente sind altbekannt. Ent-scheidend wird sein, künftig den richtigen Mix zu finden, sich je nachSituation aus dem Baukasten die passenden Formen herauszugreifenund diese miteinander zu kombinieren. Was banal klingt, findet imredaktionellen Alltag jedoch häufig noch nicht statt.

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Es muss ein Umdenken einsetzen. Es darf nicht mehr die Frage in derRedaktionssitzung gestellt werden: „Über welches Thema könntenwir denn heute noch unser Video drehen?“ Oder gar: „Wozu könntenwir heute einen Liveticker machen?“ Dieses Denken in Ausspiel -kanälen sollte der Vergangenheit angehören. Vielmehr sollte themen-zentriert überlegt werden: Wie lässt sich diese Geschichte am bestenerzählen? Welche Tools aus meinem Baukasten brauche ich, um demKunden meine These am plausibelsten (und manchmal auch unter-haltsamsten) zu belegen?Idealtypisch sollte dies der einzige Grund sein, warum man sich bei-spielsweise für einen geschriebenen Text, eine Audio-Slideshow (ein-facher zu produzieren als ein Video, bei Nutzern dennoch sehr beliebt) und einen Link zum Veranstalter eines Konzerts entscheidet.In der Praxis spielen natürlich die Fertigkeiten der Redaktion (sieheKapitel 6 „Aus- und Fortbildung“) und die zeitlichen Ressourcen eineentscheidende Rolle. Wer crossmedial arbeiten möchte, muss aberdoch nicht gleich mit den Königsdisziplinen anfangen und sicham „Zugmonitor“ von sueddeutsche.de oder der Bundestagswahl- Berichterstattung von Spiegel online orientieren.Ernst nehmen sollte man, wenn einzelne Formate vom User nicht ge-nutzt werden – aber nicht daraus sofort den Schluss ziehen, dass erdiese nicht schätzt. Womöglich liegt es daran, dass er dies von seinerHeimatzeitung oder seinem Lokalradio einfach noch nicht gewohntist. Vielleicht ist die Verbindung zwischen den Elementen zu komplexzu finden und muss ihm besser erklärt werden. Vielleicht hat der Userdoch das Gefühl, nach dem Lesen des Teasers bereits über das Wich-tigste informiert zu sein. Dennoch wird es Unterschiede geben, vorallem nach Altersgruppen: Wie schon der Readerscan bei Tageszei-tungen von Carlo Imboden gezeigt hatte, spielen Bilder für ein jün-geres Zielpublikum eine größere Rolle. Jugendliche nutzen verstärktals erste Anlaufstelle im Internet inzwischen YouTube statt Suchma-schinen wie Google. Dies heißt aber nicht, dass die anderen Elementenicht genutzt werden, wenn diese gut aufbereitet und verbundensind. Imboden hat beispielsweise nicht herausgefunden, dass sich Jugendliche nur Bilder anschauen und keine Texte lesen. Der Reader -scan brachte vielmehr hervor, dass jüngere Leser über Bilder in einThema hineingezogen werden, um dann einen Text zu lesen.

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Wie ausgeführt, können auch kleinere Elemente (und dies muss jaauch nicht bei jedem Thema sein) schon zu einem großen Mehrwertführen. Es geht schließlich für einen Journalisten nicht darum, einperfektes Projekt abzuliefern, mit dem er einen Crossmedia-Journa-listenpreis gewinnt. Es geht darum, möglichst nah am Leser, Hörer,Zuschauer zu sein und ihm das zu bieten, wie er sich die Informa -tionsvermittlung zu eben diesem Thema intuitiv wünschen würde.Oder ihn sogar mit etwas zu überraschen, das er nicht jeden Tag be-kommt. Und das ohne Perfektionismus – mit einfachen Methoden,die für Blogger oft schon zum Standard gehören.

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Interview mit Stefan Plöchinger(Markus Kaiser)

Seit Stefan Plöchinger im Dezember2010 die Chefredaktion von sueddeut-sche.de übernommen hat, gilt die Web-site als eine der Vorreiter des digitalenJournalismus. Insbesondere im BereichDatenjournalismus setzte Plöchingermit dem „Zugmonitor“ Maßstäbe.

Welche neuen Erzählformen spielen bei sueddeutsche.dedie größte Rolle?

Datenjournalismus, interaktive Formen, neue Videoformate, zuletztLeserbeteiligung am Rechercheprozess – wir finden solche neuen An-sätze insgesamt spannend und entscheiden uns für jene, die zu einemThema passen. Die größte, beste, schönste Erzählform gibt es nichtgenerell, sondern immer nur für das jeweilige Sujet, und deshalbmüssen wir unseren Horizont auf ziemlich viele neue Möglichkeitenerweitern.

Gibt es Dinge, die Sie ausprobiert haben, die nicht funktioniert haben?

Manche Geschichten kommen bei den Lesern besser an als andere –und das ist nicht immer leicht vorherzusehen. Gescheitert sind wirbisher an einer Kombination aus repräsentativer Umfrage und Auf-bereitung der Ergebnisse in einem Animationsvideo – einfach weilschon die Umfrage viel zu teuer war. Die Idee war super, sprengteaber den Rahmen um ein Vielfaches.

Wie wichtig ist Vorausplanung, um eine optimale News-Website anbieten zu können? Wichtiger als ganz spontanauf aktuelle Ereignisse zu reagieren?

Aktuell zu sein, ist unsere Existenzberechtigung. Mehr als aktuell zusein, nämlich originell, macht uns einzigartig. Originell kann nur

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sein, wer sich Zeit nimmt, um Einzigartiges zu konzipieren. Und dasgeht nur, wenn man richtig klug und langfristig plant. Wir sind dasogar in längeren Zyklen als die Zeitung aufgestellt, weil unsere grö-ßeren Projekte schon technisch einen extremen Vorlauf von einigenMonaten brauchen.

Was verstehen Sie unter dem Begriff Blattmachen im Netz?Warum haben Sie gerade aus der analogen Welt diesen Begriff übernommen?

Jeder weiß beim Begriff Blattmachen sofort, worum es geht: einenText gut an die Leser zu bringen, mit einer tollen Optik und einerschönen Überschrift-Vorspann-Kombination, die einen reinzieht,eventuell noch durch andere Elemente. Man könnte es theoretischauch Sitemachen nennen, aber dann hätten wir noch einen dengli-schen Begriff mehr in unserer Sprache, und danach stand mir nichtder Sinn, als ich die ersten Vorträge über das Thema gehalten habe.

Online-Medien wie sueddeutsche.de haben mit der Süddeutschen Zeitung eine Mutter. Wie frei bzw. eingeengtsind Sie bei neuen Erzählformen/crossmedialen Ansätzen, indem Sie darauf achten müssen, dass dies jeweils zur Markepasst?

Frei. Weil die SZ eine sehr freie Zeitung ist – und wir eh nichts täten,was unsere Marke beschädigt.

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3.3. Social MediaVon Harald Baumer

Elf Gründe, warum Social Media und Bloggen für Journalistenunverzichtbar sind

Vor wenigen Monaten, während des TV-Duells zwischen Angela Mer-kel und Peer Steinbrück, ist es wieder einmal geschehen. Da rief einaltgedienter Tageszeitungsjournalist im Pressezentrum des StudiosAdlershof quer über die Tische hinweg, er sei nicht bei Facebook unddenke auch gar nicht daran, dies zu ändern. Danach gefragt hatteihn übrigens keiner.Solche Szenen sind nicht die Regel, aber man kann sie in BerlinerKorrespondentenkreisen immer wieder mal erleben. Da wird es alseine Art Qualitätsmerkmal betrachtet, den größtmöglichen Abstandzu Social Media zu halten. Das Twittern gilt als unsinnig und über-flüssig. Es raube Zeit für wertvolle andere journalistische Aktivitäten,heißt es. Regierungssprecher Steffen Seibert zog sich den Zorn etli-cher Mitglieder der Bundespressekonferenz zu, als er im Jahre 2011zu twittern begann. Er ließ sich trotzdem nicht davon abhalten undhat inzwischen weit über 100.000 Follower.Warum diese Feindschaft zu Social Media? Alle Welt tummelt sichschon bei Facebook, Twitter, Google+, Pinterest und in diversen an-deren Netzwerken. Selbst die Mitglieder der bayerischen Friseur -innung lassen sich inzwischen regelmäßig darin schulen, um neueKunden zu gewinnen. Und ausgerechnet unter den Menschen, derenBeruf die Kommunikation ist, nämlich unter den Journalistinnen undJournalisten, zeigen sich viele vergleichsweise reserviert. Wenn einFriseur Zeit hat, einen Twitter-Account zu betreiben, dann sollte esdoch eigentlich auch einem Redakteur möglich sein. Zumal es, wiespäter im Text nachzulesen sein wird, gar nicht so schwer ist, SocialMedia in seinen Tagesablauf einzufügen.Das besonders Interessante: Es sind bei Weitem nicht immer die äl-teren, kurz vor dem Ruhestand stehenden Journalisten, die sich ver-weigern. Im Gegenteil, unter ihnen gibt es sogar manche durchausaufgeschlossenen Redakteure, die sich zum Beispiel gezielt ein Blogzulegen, um darin nach ihrem Ausstieg aus der Redaktion weiterhin

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publizistisch tätig sein zu können. Eher erschreckend ist das Verhal-ten vieler Journalistinnen und Journalisten im Alter zwischen 20 und40. Sie nutzen – zum Beispiel – Facebook intensiv privat, tauschensich dort mit ihren Freunden aus, denken aber nicht daran, die groß-artigen Recherche-, Diskussions- und Distributionsmöglichkeitenauch dienstlich einzusetzen. Das ist so, als ob man privat im Porscheunterwegs wäre und ansonsten die Meinung vertritt, dienstlich reicheauch die Geschwindigkeit einer Fahrradrikscha aus.Es gibt wohl kaum eine journalistische Tätigkeit, die man nicht sinn-voll mit Social Media begleiten könnte. Der Blattmacher lässt seineLeser (und nicht nur sie) am Entstehen einer Zeitung oder Zeitschriftteilnehmen, fragt sie vielleicht sogar, welche Themen sie gerne amnächsten Tag lesen würden. Der Reporter nimmt sie live an dieSchauplätze mit, die er gerade besucht – und macht damit Appetitauf seine große Geschichte am nächsten Tag. Der Experte kann etli-chen Stoff, den er in seinem Medium nicht mehr unterbringt, einemFachpublikum via Weblog präsentieren.

In diesem Beitrag geht es nicht darum, wie sich ganze Redaktionenoder Sendeanstalten bei Social Media aufstellen könnten. Einen Ein-druck davon vermittelt das anschließende Interview mit Thomas Mül-ler, dem Abteilungsleiter Jugend beim Bayerischen Rundfunk. Hiersteht hingegen der einzelne Journalist im Mittelpunkt, egal in wel-cher Funktion. Wie kann er Social Media einsetzen, ohne dabei seineanderen Aufgaben zu vernachlässigen? Wie kann er von den einzel-nen Maßnahmen profitieren? Grundlage der Überlegungen sindmeine Erfahrungen als Hauptstadtkorrespondent der NürnbergerNachrichten – mit zwei Weblogs und diversen Accounts bei sozialenNetzwerken, unter anderem als @inderhauptstadt bei Twitter.

Eins: Social Media als Recherchetool

Selbst wenn man gar kein Interesse hat, sich in sozialen Netzwerkenaktiv auf irgendeine Weise zu äußern, so kann man als Journalistheute nicht mehr auf sie verzichten. Denn die anderen tun es. DieSchauspieler, Politiker, Rocksänger und Wirtschaftsbosse, über diewir täglich berichten, melden sich zunehmend über Twitter und Face -book zu Wort. Und zwar nicht nur mit Belanglosigkeiten, sondern

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immer häufiger mit Exklusivmeldungen, die sonst auf keinem ande-ren Kanal verbreitet werden. Oder zumindest nicht so schnell.Ein gutes Beispiel dafür war ein Tweet des CDU-Politikers Peter Alt-maier vom Januar 2012. Abgesendet um 00.31 Uhr. Altmaier warwochenlang in den Talkshows ein tapferer Verteidiger des in dieSchusslinie geratenen Bundespräsidenten Christian Wulff gewesen –bis hin zur Selbstverleugnung. Und dann schickte er kurz vor demSchlafengehen den berühmt gewordenen Tweet in die Welt, in demer „Christian“ bittet, seine Anwälte „an die Leine“ zu legen und di-verse Fragen öffentlich zu beantworten (siehe Abbildung). Das warein erstes, noch vergleichsweise freundliches Abrücken vom Bundes-präsidenten, der dann wenige Wochen später auch zurücktrat. Werals Journalist den Twitter-Account von Peter Altmaier verfolgte, derkonnte noch in der Nacht die öffentliche Nachricht an „Christian“nachlesen und musste nicht warten, bis dann irgendwann am nächs-ten Tag die Nachrichtenagenturen darauf eingingen.Ebenfalls für großes Aufsehen sorgte eine Äußerung des SPD-Vor-sitzenden Sigmar Gabriel von einer Reise in den Nahen Osten. Erbrach ein Tabu, indem er die Lebensumstände von Palästinensern inHebron mit denen in einem „Apartheid-Regime“ verglich (siehe Ab-bildung). Das sah der diplomatische Sprachcode so nicht vor. DochGabriel, bekannt für seine spontanen Postings, hatte schon auf Sen-den gedrückt und konnte die Äußerung nicht mehr zurückholen.

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An beiden Beispielen ist zu bemerken: Politiker (und andere Promisebenso) äußern sich in sozialen Netzwerken häufig vergleichsweiseauthentisch, unverfälscht von den Pressestäben, die sonst jede For-mulierung drei Mal wenden und am Ende die Brisanz aus vielen Ori-ginalzitaten heraus nehmen. Auch das ist – derzeit noch – ein großerVorteil von Twitter, Facebook und Google+. Und keiner soll bitte alsArgument dagegen anführen, dass sich in den sozialen Netzwerkenauch jede Menge PR-Sätze und Belanglosigkeiten finden. Das stimmtzwar, ist aber bei den klassischen Pressemitteilungen nicht anders.

Zwei: Das Grundrauschen

Im vorigen Kapitel ging es um einzelne, ganz besonders heraus -gehobene Äußerungen, die man als Rechercheergebnisse aus den so-zialen Netzwerken herausfischen kann. Das ist sicher der spektaku-lärste Effekt. Es gibt aber auch noch ein anderes, deutlich unauffäl-ligeres Phänomen. Und zwar das, was ich das Grundrauschen nenne.Hier spielt die einzelne Meldung keine Rolle, sondern unser Augen-merk gilt der Gesamtheit der Nachrichten einer bestimmten Gruppe.

Dafür eignet sich vor allemTwitter besonders gut. Hierkann der Nutzer getrennteListen bilden, die nur dieTweets der von ihm ausge-wählten Accounts zeigen.Der Vorteil: Man wird durchnichts abgelenkt und sieht –zum Beispiel – nur dieTweets der Abgeordnetender FDP-Bundestagsfraktionoder der twitternden Bür-germeister von Rheinland-Pfalz oder der SPD-Vor-standsmitglieder. Die Ab -bildung zeigt einen Auszugaus einer von mir zu -sammengestellten Politiker-Liste.

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Ein, zwei Blicke auf eine solche Liste reichen aus, um zu zeigen, wo-rüber diese besonders markierte Gruppe im Moment diskutiert, wiesie tickt. Das ist häufig ziemlich banal, kann sich aber in kritischenMomenten (Krise in der FDP, Gebietsreform in Rheinland-Pfalz) ausjournalistischer Sicht besonders lohnen. Denn eines dürfen wirnich vergessen: Immer mehr Entscheidungsträger sind in sozialenNetzwerken aktiv. 86 Prozent der Bundestagsabgeordneten hatten imFebruar 2013 mindestens ein Profil, etliche sogar zwei oder mehr.Rekordhalter ist Facebook (76 Prozent), gefolgt von Twitter (50 Pro-zent). Und es werden täglich mehr.1

Drei: Zusätzliche Sendekanäle

Welcher Journalist kennt das nicht: Er hat große Mengen an Materialzu einem bestimmten Thema recherchiert und bringt nur einenBruchteil in seiner Zeitung bzw. Zeitschrift unter. Oder schlimmsten-falls sogar gar nichts davon, weil ihm andere, wichtigere Themenden Platz wegnehmen. Dieses Problem existiert für den Blogger nicht: Er publiziert, sovieler will und so oft er will, ohne dass er irgendwo an Grenzen stoßenwürde. Ein Weblog ist schnell angelegt, das geht mithilfe bestimmterAnbieter wie Wordpress oder tumblr bereits binnen einer Stunde. Unddann kann der Autor sofort mit dem ersten Beitrag starten. Ohne dasser einen Cent dafür hätte investieren müssen.

Blogs müssen nicht immergleich aussehen. Sie könnenganz unterschiedliche Ziel-richtungen haben. Ein Sach-Blog kann dazu dienen, dasPublikum mit den neuestenFachinformationen zu versor-gen – egal, ob Bienenzucht,Gemeinderat oder Windener-gie. Ein Autoren-Blog ermög-licht es einem breiten Pub -likum, den Journalisten beiseiner alltäglichen Arbeit zubegleiten. Ich selbst lasse in

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meinem Korrrespondenten-Blog „Unser Mann in Berlin“ meine Leserimmer wieder hinter die Kulissen blicken. So etwa an dem Tag, alsich das Kantinenessen unserer Bundestagsabgeordneten am eigenenLeib testete (siehe Abbildung).

Vier: Immer und überall präsent

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass sich der Zeitungsredakteur inerster Linie den Zeitungskäufern verpflichtet fühlt, denn die finan-zieren schließlich seinen Arbeitsplatz. Deswegen haben sie einen Anspruch auf die besten Texte, die exklusivsten Informationen, diegelungensten Fotos. Das bedeutet aber nicht, dass man sich auf diesemeist geografisch beschränkte Gruppe (z. B. die Leserschaft einer Regionalzeitung) beschränken muss. Social Media ermöglicht esJournalisten, auch noch der kleinsten Lokalzeitung in Deutschland,weltweit präsent zu sein. Gerade die virale Verbreitung von Inhalten über Retweeten und Teilen kann einem Journalisten ein interessantes Zweitpublikum ver-schaffen. Dieses Publikum zahlt zwar im ersten Moment kein Geldfür die Informationen, doch bis zu diesem Punkt ist es nicht weit.Wenn zum Beispiel über soziale Netzwerke Links zur Website bzw.zum Blog gepostet werden, dann kommen die vermehrten Zugriffeden dortigen Werbeeinnahmen zugute. Warum soll ich überhaupt auf ein größtmögliches Publikum hinar-beiten, zum Beispiel bei Twitter? Eine Frage, die sich eigentlich vonselbst beantwortet, denn was könnte ein Journalist anderes wollen,als möglichst viele Menschen zu erreichen. Umgekehrt hilft dannja auch eine größere Zahl von Followern zu besseren Recherche -möglichkeiten. All diese Menschen kann man befragen bzw. um Hilfebitten, wenn Informationen eingeholt werden müssen.Abgesehen davon sind Blogs und soziale Netzwerke, wenn sie pro-fessionell gemacht sind, die beste Visitenkarte eines Journalisten. Je-der kann sich zu jeder Zeit über seine Arbeiten, seine Themengebieteinformieren. Früher musste man dazu Zeitungsarchive bemühen. Nunkann sich auch ein Gesprächspartner fernab des Verbreitungsgebieteseiner Zeitung oder Zeitschrift eine persönliche Vorstellung von einemJournalisten machen.

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Fünf: Themen testen

Seien wir ehrlich: Journalisten wissen zwar ziemlich oft, aber längstnicht immer, was die interessantesten Themen des Tages sind undwie man sie am besten darbietet. Manchmal schadet es nicht, auf diezu hören, die uns dann am Ende unser Produkt abkaufen sollen. Daswar niemals so einfach wie mit Social Media.Es reicht bereits, die Diskussionen auf Facebook und Twitter auf-merksam zu verfolgen, um ein Gespür für die Befindlichkeiten unse-res Publikums zu erhalten. Bewegt im Moment eher die Euro-Kriseoder der Mindestlohn die Gemüter? Finden es die Menschen wirklichspannend, wenn der „Tatort“ am Sonntagabend wieder mal eine Mischung aus Mord, Menschenhandel, Waffenschmuggel und Geld-fälschung darstellt? Wie sehr geht meinem Publikum das Regen -wetter auf die Nerven?

Es gibt aber auch noch eine andere, weit aktivere Seite des Themen-Testens. Da nutzt der Journalist gezielt seine Ressourcen in den so-zialen Netzwerken, stellt von sich aus Fragen an das Publikum. Ichhabe das zum Beispiel einmal getan, als mir auffiel, dass es in derdeutschen Sprache keine passende Übersetzung für das Wort „Whist-leblower“ gibt. Via Twitter, Facebook und Google+ wollte ich erstenswissen, ob das die Follower/Freunde interessiert. Über 50 Reaktionen

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(Likes, Antworten, Retweets) waren als Antwort mehr als deutlich.Zweitens bat ich um Vorschläge, wie man „Whistleblower“ überset-zen könnte. Daraus wiederum wurde ein Blogbeitrag, in dem ich diegesammelten Ideen vorstellte. Mikroblogging (Twitter) und Makro-blogging (Weblog) ergänzten sich gegenseitig (siehe Abbildungen).

Sechs: Der Leser sitzt mit am Tisch

Es ist einer der faszinierends-ten Aspekte des Journalisten-lebens: Wir treffen Minister,Schlagerstars und Spitzen -köche. Manchmal sogar allean einem Tag. Wir haben Zu-gang zu (fast) jedem Men-schen, den wir sprechen wol-len. Wer schon längere Zeit inunserem Beruf tätig ist, demfällt dieses Privileg oft garnicht mehr auf. Aber unsereLeser registrieren es durchausund wären manchmal auchgerne dabei. Sie wollen mit-reden.

Mit Social Media ist das ziemlich einfach möglich. Binnen kürzesterZeit und ohne technischen Aufwand kann man als Journalist seinPublikum einbeziehen. Ein Beispiel aus meiner Berufspraxis: Ichweiß, dass ich am nächsten Tag ein Interview mit dem FDP-Frak -tionsvorsitzenden Rainer Brüderle führen werde. Gerade stelle ichmeinen Fragenkatalog zusammen. Zeitgleich poste ich bei Twitterund Facebook das Angebot, mir Fragen zuzusenden, von denen ichdann einige im Namen der Follower und Freunde stellen werde. Undtatsächlich treffen Fragen ein, die mein Interview bereichern. As-pekte, die mir nicht auf Anhieb eingefallen sind.

Sieben: Social Media im Tagesverlauf

Von denen, die in sozialen Netzwerken nicht aktiv sind, kommt häu-fig als erste Frage: „Wie soll ich auch noch dafür Zeit organisieren?

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Ich habe ja sowieso schon genug zu tun.“ Klar, die Verhältnisse sindheute fast nirgendwo mehr so, dass es Journalisten langweilig würde.Die meisten schaffen gerade mal ihr Tagespensum.Im Zusammenhang mit Social Media wird allerdings eines übersehen:Diese Netzwerke sind in den seltensten Fällen etwas, das man als ein-zelner Redakteur oder als Korrespondent eine Stunde lang am Stückbetreiben muss. Twitter und Facebook lassen sich gut in den Tages-ablauf einfügen.Aus zehn mal fünf Minuten für Social Media während eines Arbeits-tages kann so durchaus ein gepflegter Auftritt werden. Es gehtja nicht darum, dass der einzelne Journalist wie eine Agentur oderein Redaktionsauftritt alle paar Minuten etwas sendet. Solch eineEmsigkeit wird von genervten Followern manchmal sogar mit demEntfolgen gestraft.

Acht: Öffentliches Notizbuch

Das ist zugegebenermaßen ein Experiment, das ich erst zwei, dreiMal gewagt habe. Ich habe – völlig untypisch für einen Journalisten– meinen Notizblock zu Hause gelassen und statt dessen alles, wasich sonst mit dem Stift aufgeschrieben hätte, zeitgleich getwittert.Also: Beobachtungen, Zitate, Gedanken. Das entspricht dann aller-dings von einer Veranstaltung durchaus schon mal 20 bis 40 Tweetsbinnen einer Stunde und muss aus Gründen der Follower-Schonung(siehe Punkt sieben) die Ausnahme bleiben.Das Spannende an dieser Methode: Hier haben wir es mit Transparenzin ihrer reinsten Form zu tun. Der Leser kann zunächst – live, wenner mag – dem Journalisten in sein Notizbuch blicken und kann dannam selben Tag im Blog oder am Tag darauf im Zeitungstext nachver-folgen, was nun eigentlich aus diesen Aufzeichnungen geworden ist.

Neun: Rohstoff statt Endprodukt

Ein journalistisches Missverständnis der sozialen Netzwerke ist es,von jedem eilig dahingeschriebenen Satz, von jeder Bemerkung zuerwarten, dass sie für die Ewigkeit gelten müssen. Der Wahrheitsan-spruch bleibt selbstverständlich auch hier erhalten, aber es handeltsich – zum Beispiel – bei Tweets häufig um spontane, vielleicht auchzusammenhanglos erscheinende Beobachtungen.

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Erst in einem späteren journalistischen Text fügen sie sich zu einemGesamtbild zusammen. Insofern ergänzt sich auch beides, dasschnelle Posting und der elaborierte, längere Beitrag. Was das einekann, das kann das andere nicht. Wir erzählen deswegen unserenLesern/Followern/Freunden nicht ständig dasselbe, sondern holenihn mit seinem Informationsbedarf jeweils dort ab, wo er sich be-findet.Zum Versuchscharakter von Social Media gehört es auch, jedes neueNetzwerk zumindest einmal für kurze Zeit auf seine journalistischeNutzbarkeit zu testen. Ein Account ist schnell eröffnet, aber auchschnell wieder geschlossen, wenn er sich als wirkungslos erweist.Den Mut dazu sollte man allerdings auch haben, denn nichts istschlimmer als z. B. ein „Dornröschen-Blog“, in dem schon seit Mo-naten nichts mehr publiziert wird.

Zehn: Aus jedem Kanal das Optimale herausholen

Es ist schade, dass manche Journalisten alle sozialen Netzwerke übereinen Kamm scheren. Überall werden dieselben Postings veröffent-licht – egal, ob sie zum jeweiligen Kanal passen oder nicht. Das nervtdie Empfänger, die mit unerwünschten Informationen überflutet wer-den, und es bringt auch dem Sender nichts.Ich selbst habe die Erfahrung gemacht, dass harte, nachrichtliche Inhalte bei Twitter eine raschere Verbreitung finden als bei Facebook.Und dass bei Facebook besser vertiefte Diskussionen zu einem Themamöglich sind. Pinterest empfiehlt sich zum Beispiel für einen Blogger,der seine Beiträge häufig mit attraktiven Fotos illustriert. So kommter zu optisch orientierten Usern, die sonst kaum den Weg zu ihm ge-funden hätten.

Elf: Den Anschluss nicht verlieren

Selbst wenn alle bisher genannten Argumente zugunsten von SocialMedia nicht zugkräftig wären, an einem letzten Argument kommenwir als Journalisten nicht vorbei: Wir dürfen diese Art der Massen-kommunikation nicht anderen überlassen. Wenn wir auch in Zukunft diejenigen sein wollen, die in unserer Ge-sellschaft die maßgeblichen Geschichten erzählen, die eine gemein-same Diskussionsplattform für alle zur Verfügung stellen, dann müs-

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sen wir uns auch der entsprechenden Methoden bedienen. Selbst dieGroßeltern-Generation ist inzwischen bei Facebook vertreten. DerPapst twittert. Und viele Journalisten verweigern sich!Die Politik führt es uns vor, wie man Massenkommunikation in so-zialen Netzwerken organisiert. Allen voran ein Mann wie BarackObama. Der amerikanische Präsident hat über 36 Millionen Follower(Stand: Anfang September 2013), seine Frau Michelle wird – ohnejedes Amt – von fünf Millionen Menschen bei Twitter verfolgt. InDeutschland ist alles viel bescheidener. Da zählt Umweltminister Peter Altmaier mit 50.000 Followern schon zu den Social-Media- Giganten.Erkennbar ist aber auch bei uns eines: Die Politiker, vom Gemeinderatbis zum Bundesminister, versuchen sich ihre eigenen Kommunika -tionskanäle zu schaffen, auf denen sie ihre Botschaften ohne die störende Zwischenstufe des Journalismus los werden können. Dasgelingt ihnen inzwischen gar nicht so schlecht, wie die Zugriffszahlenbeweisen. Ähnlich ist es bei den führenden Fußballklubs und bei dengroßen Unternehmen der Wirtschaft, die inzwischen auf allen denk-baren Kanälen (bis hin zum eigenen Fernsehsender) senden.Genau dem müssen aber wir Journalisten entgegen wirken. Indemwir zeigen, dass wir die besseren Stoffe haben, dass wir weit packen-der erzählen können als irgendein Social-Media-Referent in einerParteizentrale. Und dass wir – vor allem – aus einer unabhängigen,überparteilichen Position heraus berichten. Wenn wir das schaffenund endlich auch einmal vernünftige Finanzierungsmethoden ent-wickeln (manche Wohnzimmer-Blogger machen uns das schon vor),dann muss uns um unsere Zukunft nicht bange sein.

1 Zahlen aus www.polisphere.eu/blog/martin-fuchs-86-prozent-der-bundestagsabge-ordneten-nutzen-social-media-eine-bestandsaufnahme-zum-beginn-des-wahl-jahres-2013/

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Interview mit Thomas Müller(Harald Baumer)

„Neues ausprobieren, auch mal scheitern“ Thomas Müller stellt gewissermaßendas Gegenmodell zum gerade beschrie-benen Alltag eines Korrespondentendar. Er leitet seit November 2012 denProgrammbereich Jugend beim Bayeri-schen Rundfunk, der junge Angebote imRadio, Fernsehen und Online vereint.Zuvor war er bei Apple für den Aufbauvon iTunes in Deutschland, Österreichund der Schweiz sowie in Asien zu-ständig. Wir fragten ihn, wie man einganzes Programm auf soziale Netz-werke einstellt.

Läuft Social Media den linearen Programmen den Rang ab?Werden wir irgendwann alle nur noch twitternde, facebookende Journalisten sein?

Zur Zeit habe ich keine Angst vor der Konkurrenz von Social Media– schlichtweg, weil ich Social Media nicht als eigenständiges Mediumsehe, eher als Distributionsweg. Social Media ist toll, um zu teasen,schnell die Highlights mitzubekommen oder um spontan Position zubeziehen – um Teil eines Universums zu sein, in dem man sich ver-ortet fühlt. Die Halbwertszeit ist überschaubar, großer Kontext istkaum zu vermitteln und letztlich schränkt die Einfachheit gewisserPlattformen auch die Darstellungsmöglichkeiten ein. Was sich tat-sächlich verändert sind die Abläufe, wie journalistische Inhalte ge-neriert werden – und dass man sich schon von vorne herein Gedan-ken über die Verbreitungsmöglichkeiten machen sollte.

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Welche kleineren, weniger bekannten Social-Media-Kanälehalten Sie für interessant? Könnten Sie zwei, drei Beispielemit den jeweiligen Zielgruppen nennen?

Sich abseits von Facebook und Twitter zu engagieren, ist zunächstmal ein Risiko: Wird die Plattform erfolgreich, erreiche ich da meinPublikum besser als auf anderen? Für uns bedeutet das im Zweifels-fall erst einmal zusätzliche Arbeit – aber eben auch die Chance,rechtzeitig sich zu positionieren und Nischen zu besetzen, die manspäter nur schwer für sich erobern könnte. Für uns ist beispielsweiseinteressant, die Social-Media-Komponenten von Streamingplattfor-men zu nutzen. Zunächst ist beispielsweise Spotify oder Deezer einnatürlicher Konkurrent eines jeden Radios – schließlich können dieUser nur eine Quelle gleichzeitig abhören. Wir verlängern unsere musikjournalistischen Inhalte, beispielsweisedie Rubrik „Soundschublade“ oder „Lieblingsplatten“, bieten unserenHörern weiterführende Informationen und hoffen natürlich, unserProfil zu schärfen und über diese Inhalte auch neue Zielgruppen zuerreichen.

Sie haben beim BR die Programme unter Ihrer Verantwortung ja ziemlich umgekrempelt und sind damitsehr erfolgreich. Wie hat man sich die Strukturen undden Tagesablauf vorzustellen im Vergleich zu dem, was früher einmal Rundfunk war?

Zum einen ist die Zahl der Onliner in der Redaktion beachtlich, ge-rade auch im Vergleich zu anderen Wellen im Haus oder bei privatenAnbietern. Zum anderen mussten wir die Workflows entsprechendanpassen – sprich: vernünftige Vorläufe, gute Absprachen und eineordentliche Vernetzung der gesamten Redaktion. Nicht zuletzt funk-tioniert das bei uns gut, weil die Kollegen in der Onlinewelt durchund durch zu Hause sind – und viele in mehr als nur einem medialenBereich bei uns arbeiten. Und schließlich gehört auch die entsprechende Motivation dazu, neueDinge auszuprobieren, zu scheitern und auch mal ungeplant etwasAufregendes zu generieren.

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3.4. Datenjournalismus Von Bernd Oswald

Als Wikileaks 2010 zigtausende Datensätze des US-Militärs aus Af-ghanistan und Iran veröffentlichte, war das nicht die Geburtsstundedes Datenjournalismus, aber in jedem Fall ein Katalysator. Große undrenommierte Medien wie der Guardian, die New York Times und derSpiegel analysierten die hunderttausenden Datensätze und machtenso das Ausmaß der Opfer transparent – aufgeschlüsselt nach (US-) Soldaten, Zivilisten oder Aufständischen. Vor allem der Guardian tatsich hier mit seiner interaktiven Zeitleiste, den Erklärvideos und derMöglichkeit, die Daten herunterzuladen, hervor. Ein noch größeresAusmaß hatten 2013 die Offshore-Leaks. Medien aus knapp 50 Län-dern taten sich hier zusammen, um die 2,5 Millionen Dokumente miteinem Datenvolumen von 260 Gigabyte auszuwerten. Die beiden Bei-spiele zeigen: Datenjournalismus ist investigative Recherche. Hierwaren jeweils zig Journalisten, Programmierer und Designer mona-telang damit beschäftigt, die riesigen Datensätze zu strukturieren, zubereinigen, zu analysieren, die jeweilige Geschichte zu finden, zuschreiben und optisch aufzubereiten. Ist Datenjournalismus also nuretwas für Medientanker mit jeder Menge Manpower? Mitnichten! Da-tenjournalismus kann auch im Kleinen, im Lokalen betrieben werden.Daten haben den Vorteil, dass sie in der Regel skalierbar sind, sichder Fokus also auf sehr spezifische Fragen oder Orte legen lässt.

Was ist Datenjournalismus?

Datenjournalismus ist keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Schon1821 hat der Guardian eine Tabelle veröffentlicht, in der die Kostenpro Schüler an den Schulen von Manchester dokumentiert wurden.1952 sprach man erstmals vom Computer Assisted Reporting, als derFernsehsender CBS mit einem frühen Computer den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl richtig vorhersagte. Der amerikanische Jour-nalist und Journalismus-Professor Philip Meyer führte in den Sieb-zigern den Begriff „precision journalism“ ein und plädierte für sozi-alwissenschaftliche Methoden auch im Journalismus. Auch dieanimierte Wetterkarte im Fernsehen oder Börsenkurse sind Daten-journalismus, wenn man so will. Die reine Wiedergabe von Statisti-

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ken wie Wahl- oder Meinungsumfragen oder Sporttabellen sind nochkein Datenjournalismus. Dazu gehört in jedem Fall die aktive jour-nalistische Auseinandersetzung mit einem Datensatz: Entweder mitdem Ziel, eine These mit Hilfe von Datenmaterial zu untermauern.Oder offen an einen vermeintlich interessanten Datensatz heranzu-gehen und mit journalistischen Kriterien nach einer Geschichte inden Daten zu suchen. Die Aufbereitung der Befunde ist dann eine weitere Weggabelung:Manche Redaktionen begnügen sich damit, ihre Erkenntnisse in Artikelform weiterzutransportieren. Es ist jedoch ein klarer Trend erkennbar, die spannendsten Ergebnisse auch optisch ansprechendaufzubereiten.Lorenz Matzat, einer der führenden Datenjournalisten in Deutsch-land, definiert den Begriff so: „Datenjournalismus setzt auf Daten-sätze nicht nur als Recherchequelle, sondern macht die Daten zumzentralen Gegenstand der Geschichte und deren Präsentation. Dabeiliegt er in der Schnittmenge von drei Bereichen: erstens visuellerJournalismus oder Infografiken, zweitens multimediales und inter-aktives Storytelling und drittens investigativer Journalismus“,schreibt Lorenz Matzat in seinem Blog www.datenjournalist.de.Ambitioniert gemachter Datenjournalismus bringt viele Vorteile:Journalisten können Geschichten anhand von Datenmaterial belegen,Informationen strukturieren, Relevanz in Themen bringen und neueAnsätze für die Art, Geschichten zu erzählen, sprich fürs Storytelling,gewinnen. Beim Publikum wächst das Verständnis für das Wie undWarum eines Sachverhalts. Bei interaktiven Grafiken können sie zudem selbst bestimmen, wie tief sie in ein Thema einsteigen, undambitionierte Nutzer haben immer die Möglichkeit, die Daten selbstherunterzuladen und eigene Interpretationen von offiziellen Datenvorzunehmen.

Daten finden: Was können Datensätze sein?

Wer an Daten denkt, denkt vielleicht als erstes an Zahlen. Und in derTat sind es oft Zahlen, die im Mittelpunkt von datenjournalistischenAnwendungen stehen: Die Zugverspätungen beim Zugmonitor derSZ, die Opferzahlen bei den Afghanistan War Logs oder die Ein -kommenszahlen beim Zensus. Doch all diese Zahlen gewinnen ihre

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Bedeutung erst im Zusammenhang mit anderen Daten: geographi-sche Angaben, Zeiträumen oder Beziehungen zwischen Menschen.Wenn man Informationen über Personen sammeln will, gibt es jedeMengen von Daten, die – je nach Thema und Erkenntnisinteresse –interessant sein können, hier am Beispiel von Wirtschaftsthemen illustriert:

Namen•Adressen•Telefonnummern•Handelsregistereinträge•Bankverbindungen•Schufa-Auskunft•Gerichtsurteile (bzw. Aktenzeichen davon)•Verträge•öffentliche Aufträge•

Auch Verbindungen von Personen können relevant für eine Daten-geschichte sein:

standesamtliche Daten über Heirat und/oder Scheidung •Verwandte (die Frau eines amerikanischen Gerichtsmediziners pos-•tete auf Facebook Fotos von Fernreisen, während ihr Mann sichseine angeblich nicht in Anspruch genommenen Urlaubsansprücheauszahlen ließ) Freunde•Geschäftspartner•Mittelsmänner bzw. -frauen•Bevollmächtigte•

Natürlich ist es hier reizvoll und praktisch, mit Daten zu arbeiten,die online erhältlich sind – oder einer Redaktion auf anonymemWege zugespielt worden sind – wie die Festplatte, aus der Offshore-leaks wurde. Es wird jedoch auch immer Fälle geben, in denen Datennur in Papierform vorliegen. Hier ist dann eine (OCR-)Software ge-fragt, die diese Dokumente digitalisiert.

Wo finde ich Datensätze?

Datensätze gibt es wie Sand am Meer. Immer mehr Institutionen stel-len maschinenlesbare Datensätze zur Verfügung. An erster Stelle sind

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öffentliche Einrichtungen zu nennen. Immer mehr Ministerien, Ämterund Behörden stellen Statistiken auf ihren Webseiten online. Beson-ders ergiebig ist die Website des Statistischen Bundesamtes: www.de-statis.de. Hier veröffentlicht der Bund z. B. Einwohner-, Arbeits losen-oder Exportstatistiken. Die Statistischen Ämter der Bundesländer sindeine weitere lohnende Fundgrube.Zensusdaten – also Statistiken zu verschiedensten Merkmalen derBevölkerung – werden in fast jedem Staat und von überstaatlichenOrganisationen wie der EU erhoben. Im März 2013 hat die Süddeut-sche Zeitung aufwändig die EU-Zensusdaten ausgewertet und visua-lisiert: http://www.sueddeutsche.de/thema/Europa-Atlas. Eine Sammlung von Datenbanken und -katalogen aller deutscherVerwaltungsebenen ist unter www.govdata.de zu finden. In Deutsch-land gibt es eine starke Open Data Bewegung, deren erklärtes Ziel esist, mehr staatliche Daten öffentlich zu machen. Vor allem die OpenKnowledge Foundation Deutschland (OKF DE) ist hier zu nennen, dieauf www.offenedaten.de Links zu Datenkatalogen sammelt. Die OKFDE betreibt auch die Website www.fragdenstaat.de, auf der (Antwor-ten auf) Anfragen versammelt sind, die interessierte Bürger aufgrunddes Anspruches aus dem Informationsfreiheitsgesetz an staatlicheStellen gerichtet haben. Auf europäischer Ebene wäre www.ask-theeu.org das entsprechende Pendant. Obwohl es in jüngster Zeit Fortschritte gab, hinkt Deutschland mitder Datentransparenz noch hinter den USA (www.data.gov) oderGroßbritannien hinterher. Möglicherweise ist auch das ein Grund,warum Journalisten in diesen Ländern mit dem Datenjournalismusschon weiter sind. Weitere öffentliche Quellen wären UN-Datenban-ken (http://data.un.org/) oder Amtsblätter der EU (http://eur-lex.europa.eu/JOIndex.do?ihmlang=de) oder von Regierungen.Wenn man einen konkreten Datensatz sucht und den auf der Websiteder zuständigen Behörde nicht findet, kann auch ein Anruf helfen:Auf Nachfrage werden die gewünschten Daten in der Regel auch be-reitgestellt, so sie vorhanden (weil erhoben worden) sind. Manchmal geht es noch viel einfacher – mit einer erweiterten Google -Suche. Auf die Eingabe „Langzeitarbeitslose filetype:xls“ spuckt Google alle Excel-Dokumente aus, in deren Metadaten das Wort„Langzeitarbeitslose“ vorkommt. Es kann auch hilfreich sein, die

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Suche auf eine bestimmte Website zu beschränken, z. B. „site:bun-desregierung.de“. Google bietet auch ein publicdata directory an (www.google.com/pu-blicdata/directory). Nicht zu vergessen sind wissenschaftliche oderUni-Webseiten. Auch NGOs erheben immer häufiger eigene Daten. Fortgeschrittene Datenjournalisten bzw. Programmierer können sichein ganz mächtiges Werkzeug basteln: Einen „Scraper“, d.h. ein Pro-gramm, das Daten strukturiert aus einer Website ausliest. In diesemFall kann das Team von www.scraperwiki.com weiterhelfen.

Daten bereinigen

Es gibt hunderte Dateiformate, der beste Freund des Datenjournalis-ten ist ein maschinenlesbares Format, am liebsten also .xls oder .csv.Diese Formate lassen sich in Tabellenkalkulationsprogrammen öff-nen, am häufigsten werden Microsoft Excel, Google Spreadsheetsoder LibreOffice verwendet. Noch häufiger verbreitet sind pdf-Dokumente, die bequem für denDownload sind, dem ambitionierten Datenjournalisten aber erst malnicht viel weiterhelfen, weil sie eben nicht maschinenlesbar bzw.kompatibel mit Tabellenkalkulationsprogrammen sind. Auch in einem solchen Fall kann eine OCR-Software helfen, die pdf in xlsverwandelt (im großen Stil hat das lanacion.com.ar/data mit Reise-ausgaben-pdfs argentinischer Senatoren gemacht). Ein praktischesWebtool hierfür ist https://www.pdftoexcelonline.com/.Ist dieser Schritt geschafft und liegen alle Daten in xls vor, gilt es,die Struktur der Daten zu überprüfen bzw. herzustellen. Ganz grobgesagt geht es hier um Reihen und Spalten. Jede Reihe stellt einenFall dar, die einzelnen Spalten die Attribute zu diesem Fall. Es ist ungemein wichtig, dass man eine einheitliche Struktur in sei-nem Datensatz hat, dass zu jeder Reihe auch alle Spalten einen Werthaben. Wo das nicht der Fall ist, ist es am besten, die fehlenden oderinkonsistenten Daten zu recherchieren – oder wenn möglich sie ab-zuleiten oder auszurechnen. Nur im Notfall sollte man die fehlendenDatenfelder löschen. Dennoch sind fast immer nicht alle Spalten für eine Geschichte rele-vant. Um den Fokus zu schärfen und auch die optische Aufbereitungnicht zu sehr zu zerfasern, hilft es, einige irrelevante Datenspalten

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zu löschen. Mitteilen heißt auswählen – auch im Datenjournalismus.Vorher sollte man aber in jedem Fall die unveränderte Originaldateiabspeichern. Auch eine einheitliche sprachliche Bezeichnung ist wichtig. Unter-schiedliche Schreibweisen desselben Ortes sollten vereinheitlicht wer-den. Dateneinzigartigkeit ist eminent wichtig fürs Funktionieren einerData-Website: Es kann sein, dass es zwei „Rainer Obermeier“ gibt,die am gleichen Tag verhaftet wurden. Das muss dann über andereAttribute wie Ort oder Festnahmegrund unterschieden werden.

Daten hinterfragen

Hand in Hand mit der Datenbereinigung geht das Hinterfragen derDaten oder „Interviewing the Data“, wie es Derek Willis, Entwicklerbei der New York Times, formuliert. Natürlich muss man sich auchbei Datensätzen fragen: Woher kommen sie? Wer hat die Daten er-hoben? In wessen Auftrag? Welches Interesse könnte dahinter stecken? Was steht drin? Und was steht nicht drin? Wie war die Methodik bei der Erhebung? Welche Antwortmöglichkeiten gab es?(Und welche nicht?) Allein die Kategorisierung von Daten kann oftsehr irreführend sein. Versuchen Sie immer den Kontakt zu der Person herzustellen, die für die Datenerhebung zuständig ist. BeimStatistischen Bundesamt steht immer ein Ansprechpartner dabei. Wodas nicht der Fall ist: Haken Sie nach! Versuchen Sie, die Daten anhand anderer Quellen gegenzuchecken.Wenn es zum gleichen Thema komplett unterschiedliche Zahlen gibt,sollten die Alarmglocken schrillen. Derek Willis zufolge machen Datenrecherche und das Hinterfragen von Datensätzen 75 Prozentder Zeit eines datenjournalistischen Projekts aus.

Durch Filtern Geschichten finden

Bei der Analyse von Datensätzen gibt es immer zwei zentrale Fragen: Was ist die Geschichte? 1.Warum ist das so?2.

Die Nadel im Heuhaufen findet man durch Filtern. Anfangen solltenman mit groben Filtern und dann Schritt für Schritt immer speziellereFragen stellen. Zum Beispiel: „Wie viele tödliche Jagdopfer mit Kopf-verletzung unter 21 Jahren gibt es?“ Je mehr Attribute man filtert,

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desto weniger Treffer erhält man, so lange, bis man die Nadel im Heu-haufen gefunden hat. Wenn man nach einer sauberen Daten recherche,-bereinigung und -analyse einen interessanten Befund hat, kann mansich in weiteren Geschichten auf das WARUM konzentrieren.

Geschichten visualisieren

Wenn sich aus der Datenanalyse ein Ansatzpunkt für eine Geschichtegefunden hat, gibt es verschiedene Möglichkeiten, diese Geschichtezu erzählen. Das kann zum einen ein ganz normaler Text sein, indem das Ungewöhnliche geschildert wird, angereichert durch Zitatevon Betroffenen oder Verantwortlichen. Trotzdem hat man Daten-journalismus betrieben. Immer häufiger gehen Redaktionen aber noch einen Schritt weiterund versuchen, ihre Geschichte zu visualisieren. Ein Bild sagt mehrals 1000 Worte, heißt es und dieses Prinzip lässt sich auch auf denDatenjournalismus übertragen: Eine Grafik sagt mehr als 1000 Worte,eine interaktive Grafik zumal. In beiden Fällen ist es wichtig, dass die Visualisierung nicht über-frachtet und nicht zu kleinteilig ist: weder durch die visualisierte Da-tenmenge noch durch die Beschriftung oder Erklärung. Streng ge-nommen sollte es gar keiner Erklärung oder Gebrauchsanweisungbedürfen. Gute Grafiken kommen mit einer schlanken Legende aus.Gutes Design ist intuitiv. Für einfache Grafiken ist der Datawrappereine gute Wahl (www.datawrapper.de). Hier kann man in vier Schrit-ten (Daten hochladen, Prüfen und Beschreiben, Visualisieren, Veröf-fentlichen und Einbetten) ansehnliche Grafiken erstellen. Bei interaktiven Grafiken bietet es sich an, auf der Startseite eineEntwicklung oder einen Trend zu zeigen, z.B. die Entwicklung vongefallenen US-Soldaten in den letzten zehn Jahren. Von der Start-oder Übersichtsseite aus sollte es dann möglich sein, tiefer einzu -steigen. Die Washington Post hat z.B. in „Faces of Fallen“ (http:// apps.washingtonpost.com/national/fallen/) die Gesichter von gefal-lenen US-Soldaten auf der Übersichtsseite ins Zentrum gestellt. Mankann jedes Gesicht anklicken und kommt dann auf eine Detailseite,die weitergehende Informationen zu dem/der Gefallenen anbietet:Einheit, Einsatzort, Todesursache etc. (Attribute). Von jedem Einzelfallführt wieder ein Link zurück auf die Übersichtsseite.

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Bevor man sich groß ans Programmieren macht, hilft es ungemein,den Aufbau der Anwendung auf Papier zu skizzieren. Hier kann manschnell feststellen, ob die Struktur zu umständlich ist und wie vieleKlicks man braucht, um jede angebotene Information zu erreichen. Es gibt unheimlich viel Visualisierungssoftware und -Tools, die hiernicht im Einzelnen geschildert werden können. Eine Aufzählungnützlicher Visualisierungstools samt kurzer Erläuterung gibt es imData Journalism Handbook: http://datajournalismhandbook.org/1.0/ en/delivering_data_7.html

Publizieren

Die datengetriebene Geschichte ist nun also fertig ausgewertet, visua -lisiert – und jetzt wird sie noch veröffentlicht. Das kann herkömmlichin der Zeitung sein, mit Hintergrundbericht und zugehöriger Daten-grafik. Immer öfter wird jedoch das Internet der Publikationskanalder Wahl sein: Nur hier funktionierten interaktive Anwendungen, beidenen der Nutzer selbst bestimmt, wie tief er in unsere (durch Datenuntermauerte) Geschichte einsteigt. Nirgendwo lässt sich ein daten-journalistisches Projekt besser herunterladen, teilen und von Nutzernmit weiteren Anregungen versehen. Wenn es richtig geplant ist,funktioniert das sogar auf mobilen Geräten. Da Daten fast nur noch in digitaler Form erhoben werden, hat derDatenjournalismus eine große Zukunft. Für Journalisten ist er einegroße Chance, sich wieder zu emanzipieren, z. B. von PR-gesteuertenZahlen. Daten haben – wenn sie richtig ausgewertet werden – einehohe Beweisfunktion, d.h. Journalisten können ihre Geschichten mitDaten untermauern. Wenn solche (investigative) Recherchen dannnoch ansprechend und verständlich visualisiert werden, könnenJournalisten und Medienmarken viel Vertrauen zurückgewinnen undLeser an ihre Marke binden.

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Interview mit Mirko Lorenz(Bernd Oswald)

„Durch Zuspitzen und Verdichten einen Aha-Effekt erzielen!“Informationsarchitekt Mirko Lorenz (www.mirkolorenz.com) zähltzu den führenden Datenjournalisten in Deutschland und hat den Datawrapper mitentwickelt. Wir sprachen mit Lorenz über den drin-genden Bedarf nach gründlicher Recherche, Aha-Erlebnisse beim Nutzer und warum es so schwierig ist, deutsche Manager von Inno-vationen zu überzeugen.

Computer sind ja schon lange Hilfsmittel für Journalisten,was ist so neu am Datenjournalismus?

Das stimmt. Tatsächlich ist Datenjournalismus an sich nicht neu. Inden USA hat der Blick auf Zahlen und Daten bereits eine lange Tra-dition, bereits seit den 60er Jahren. Der Journalist Philip Meyer hatbereits 1970 ein Buch mit dem Titel „Precision Journalism“ veröf-fentlicht, das dann 1978 noch mal überarbeitet und neu aufgelegtwurde. Er plädierte schon damals für einen sorgsamen Umgang mitZahlen und Statistiken. Der ein oder andere Pulitzer-Preis wurdeschon für Datenjournalismus vergeben. Aber: Solche Spezialisten, die mit komplexer Software und Daten-banken umgehen konnten, sind nach wie vor Exoten. Eigentlichkönnte heute jede Redaktion mit Daten wichtige Beiträge leisten. Esgibt mehr Daten, mehr Werkeuge und – angesichts der weltweitenVernetzung in fast allen Gesellschaftsbereichen – viel, viel mehr ver-fügbare Daten. Das ist der Kern: Jeder Journalist kann heute auf vielmehr Zahlen zugreifen und Werkzeuge für Prüfung und Visualisie-rung nutzen. Vielleicht sollte ich hinzufügen: „könnte“. Hier setzt „data-driven journalism“, daten-getriebener Journalismusan: Kritisch, sorgsam mit Daten, ihrer Glaubwürdigkeit, Genauigkeitumgehen. Treffende, einsichtsvolle Visualisierungen nutzen, geradebei abstrakten Themen, die aber den Lebensalltag von vielen Men-schen betreffen. Hier bietet sich die Chance, publizistisch wichtige

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Themen für Gesellschaft, Wirtschaft und Politik in den Redaktionenzu bearbeiten. Ich glaube, dass schon jetzt jeder deutlich spürt, dass ohne Daten-analyse oft nur die halbe oder schlimmer noch die falsche Geschichteerzählt wird. Angesichts jüngster Datenskandale, der starken Nutzungpersönlicher Daten aufgrund des Internets, ausgefuchsten Datenana-lysen im Marketing wäre es ein Durchbruch, wenn Journalisten ihrenLesern all das genau, richtig und visuell verständlich erklären. Daherist das Thema nicht neu, aber die Relevanz hat stark zugenommen,der Bedarf ist gestiegen.

Daten sammeln, filtern, visualisieren, eine Geschichte darausveröffentlichen – Sie sehen Datenjournalismus als Prozess,in dem mit jeder Etappe der Mehrwert für den Nutzersteigt. Unter welchen Voraussetzungen ist das der Fall?

Gerade richtig gute Visualisierungen täuschen über das dazu not-wendige Handwerk hinweg – das sieht so einfach aus, ist es abernicht. Ohne Quellenkenntnisse, genaue Überprüfung der Modelle so-wie Know-how zu den Unterschieden korrekter und völlig sinnloserGrafiken gelingt der Arbeitsprozess nicht. Datenjournalismus kann in jeder Stufe für Mehrwert sorgen: ZumBeispiel durch Offenlegung völlig falscher Studien und Statistiken,allein das ist schon ein weites Feld. Dazu muss man nur mal allesnachrechnen, prüfen und nachhaken. Oft gibt es abstruse Fehler. Bis-her werden gut aufbereitete Zahlenwerke in fast allen Redaktionenentweder durchgewunken oder ignoriert – die PR-Experten wissendas. Bei der Visualisierung kommt es auf Beachtung der Regeln an – waswird richtig, was wird falsch wahrgenommen? Für viele Redakteureist die Tatsache, dass eine Tortengrafik nicht mehr als drei Werte ent-halten sollte, eine Neuigkeit. Oft sogar eine, über die man dann nochlang und breit debattieren muss. In Seminaren mit Volontären ist aber immer eine oder ein Teilnehmer,der das Potenzial sofort sieht. Die kommen dann später und sagen:„Das ist doch ganz klar die Zukunft, mit Texten allein kommt mandie nächsten dreißig Jahre nicht über die Runden. Wie komme ichda rein?“

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Welche dieser Etappen ist tendenziell die aufwändigste –und warum?

Es geht tatsächlich um die gute Abfolge der Einzelschritte. Ich würdedas mit guten Texten vergleichen: Eine Reportage wird doch dannbesser, wenn ich vor Ort war und genau hingesehen habe. Wenn ichErfahrung mitbringe, um die Nebensächlichkeiten fallen zu lassenund den Kern finde. Wenn man an den richtigen Worten feilt, bis eskaum noch besser geht. Die Einzelschritte im Datenjournalismus bauen aufeinander auf. Esgeht um eine an der Realität orientierte Zuspitzung und Verdichtung,die dann ab einem bestimmten Qualitätspunkt für ein Aha-Erlebnisbeim Betrachter sorgt. Also gar nicht so weit weg ist von besondersguten Texten, Bildern, Videos. Mit Betonung auf „besonders gut“. Aufwändig ist es, hier die richtige Balance zu finden, sich nicht zuverzetteln und aus den hier vermischten Berufs- und Know-how-Fel-dern die für den Journalismus wichtigen Aspekte heraus zu lösen.Das ist im Moment so schwierig, weil kaum jemand alles kann unddaher kein klares Berufsbild möglich ist.

Wie muss man vorgehen, um in großen Datensätzen –oder sogar mehreren – eine relevante journalistische Geschichte zu finden?

Amanda Cox von der „New York Times“, eine weltweit akzeptierteMeisterin in diesem Feld, sammelt erst mal die Daten und packtdann in manchen Fällen hunderte von Einzelentwürfen in ein PDF,das sie sich danach mehrfach anschaut. Erst allmählich schält sichdann aus der Fülle des Materials der entscheidende Punkt heraus.Das geht übrigens sowohl mit wenigen Werten als auch ganz vielenaus großen Datensätzen. Entscheidend ist immer die Antwort aufdie Frage: Was sehe ich da? Und welche neue Erkenntnis steckt dafür den Leser drin?Um das konkreter zu machen: Ein herausragendes Beispiel ist die vonAmanda Cox erstellte, interaktive Grafik „The Jobless Rate for Peoplelike you“. Sie zeigt, dass die durchschnittliche Arbeitslosigkeit ebennur der Durchschnitt ist – und dass für bestimmte Gruppen der Be-völkerung hohe Unterschiede bestehen. Das ist der Aha-Moment.Egal wann und wo ich die Grafik zeige, alle setzen schnell die Filter

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nach ihrem eigenen Lebensstatus und schauen gebannt auf das Er-gebnis. Das ist der Punkt.

Welche Fähigkeiten braucht eine Redaktion, um ein datenjournalistisches Projekt stemmen zu können?

Neulich gab es ein schönes Zitat: „Große Datensätze brauchen einBudget, kleine Datensätze nur eine Haltung.“ Aus Gründen der Verein -fachung schlagen wir eine Dreiteilung vor: Eine Datengeschichte wirdvon einem Redakteur erstellt und enthält als führendes Element überdem Text eine treffende Visualisierung. Ein Daten-Special untersuchteinen Zusammenhang, ein Thema in der Tiefe. Auch das können Jour-nalisten anschieben, je nach Art des Projekts mit Unterstützung durcheinen Designer oder eine Vorlage sowie einem Programmierer. Pro-grammierende Journalisten sind die große Ausnahme, das lässt sichlernen – verlangt aber nach sehr hoher Disziplin und Ausdauer. Daherglaube ich, dass flexibel zusammenarbeitende Teams aus Journalisten,Designern und Programmierern die produktivste Lösung sind.

Datenjournalismus ist – wie so viele journalistische Innovationen – in anderen Ländern weiter gediehen alsin Deutschland. Worauf führen Sie das zurück?

Ich glaube, zum einen resultiert das aus einem immer wieder auftau-chenden Muster, zum anderen stimmt die Aussage nur zum Teil. InDeutschland werden gerade große Umbrüche immer erst länger be-obachtet. Ist das ein Strohfeuer oder nachhaltig? Bevor dieser Nach-weis nicht erbracht wurde, kann man bei deutschen Managern nichtsbewegen – innerhalb und außerhalb der Medienbranche. Zum anderen, so viel mehr aktive Datenjournalisten gibt es anderswoauch nicht. Richtig ist, dass beispielsweise der erfolgreiche „GuardianData Blog“ und das mittlerweile große Team der „New York Times“die Spitze markieren. Aber auch in Frankreich, Argentinien und vie-len anderen Ländern formen sich Gruppen. Es ist zwar nervig, dass die Akzeptanz hier in Deutschland ganz lang-sam wächst, doch wenn es immer weitere Belege, Beispiele und Ent-hüllungen rund um Daten gibt, wird das schon werden. Danach er-warte ich, dass gerade in Deutschland dieses Thema mit einem Willenzur Genauigkeit und Perfektion betrieben wird. Hoffen wir mal.

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Welche datenjournalistischen Projekte aus Deutschland gefallen Ihnen am besten und warum?

Ich bewundere die Kreativität und Energie von Open Data City. Ichschätze die Offenheit und Experimentierfreude bei Zeit Online undsueddeutsche.de. Dort sind Interesse, Offenheit, aber auch Unterstüt-zung durch die Chefs einfach schon weiter gediehen. Die von OpenData City und Zeit Online veröffentlichte „Vorrats-Daten-App“ überHandydaten war – auch international – eine Glanzleistung, die bisheute aktuell ist.

Wo kann man Datenjournalismus am besten lernen?Selbst learning by doing oder können Sie bestimmte Kurseempfehlen?

Es gibt immer mehr Kurse an Akademien. Hinzu kommen Einfüh-rungskurse im Internet, allerdings nur in Englisch. Wer sich wirklichinteressiert, findet eine Vielzahl von Einstiegsmöglichkeiten. Ich ratezur Spezialisierung entlang eigener Stärken und Interessen. Ein Jour-nalist kann zum Beispiel zum absoluten Zahlenrechercheur werdenund zugleich auf Insider-Niveau die Modelle für die Sammlung vonZahlen kennen. Ich würde also Spezialisierung empfehlen, dann gehtes meiner Meinung nach rasch weiter.

Sie haben mit Nicolas Kayser-Bril und Gregor Aisch zusammen den Datawrapper entwickelt. Welche Resonanzhat er seit dem Start 2012 gefunden?

Um eine für uns wichtige Zahl zu nennen: Im Mai 2013 haben wir dieMarke von 10 Millionen Aufrufen von mit Datawrapper erzeugten Dia-grammen übersprungen. Ende August ist diese Zahl schon auf rund22 Millionen gestiegen. Das ist viel mehr, als wir je gedacht hätten. Wir wollten am Anfang vor zwei Jahren eigentlich nur eine Lückeschließen: Es gibt so viele, leistungsfähige Software-Bibliotheken fürVisualisierungen, doch für die Nutzung muss man mit Code umgehenkönnen oder Code lesen können. Die öffentliche Beta-Version warschon Anfang 2012 aus dem Stand recht erfolgreich, mit über einerMillion Besuchen auf Diagrammen, die mit dem Tool erstellt und ein-gebettet wurden. Doch da hat es noch sechs Monate gedauert, biswir so weit waren.

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Als Gregor Aisch dann die komplette Überarbeitung hin zu Version1.0 übernommen hat, sind die Zahlen durch die Decke gegangen. DieNutzungszahlen steigen seit der Veröffentlichung im November 2012von Monat zu Monat. Wir haben mittlerweile knapp 4.000 angemel-dete Nutzer aus aller Welt, pro Monat zählen wir rund fünf MillionenBesuche auf Charts, die mit Datawrapper erstellt wurden. Wobei mansagen muss: Das hat natürlich damit zu tun, dass die Diagramme aufgroßen Medienseiten eingebettet werden. Doch das war ja unser Ziel.Und das ist die für uns eigentlich relevante Resonanz: Aktuell nutzenin vielen Ländern die dort führenden Zeitungen den Datawrapper,oft bereits in angepasster Form mit eigenem Layout. Dazu zählengroße Namen wie Der Standard, die NZZ, Helsinki Sannomat,Le Monde, L‘Equipe, Liberation in Frankreich und insbesondere derbritische Guardian. Darauf sind wir sehr stolz. In Deutschland geht es etwas langsamer. Die Dortmunder Ruhr Nach-richten sind ein Vorreiter, mittlerweile gibt es aber auch beim Spiegelden ein oder anderen Einsatz. Aber wie gesagt, ich glaube und hoffe,wir können auch die Zurückhaltung hier überwinden, weil die Qua-lität immer besser wird.

Demnächst soll die Version 2.0 des Datawrapper an denStart gehen. Welche neue Features wird er an Bord haben?

Wir haben seit November 2012 Schritt für Schritt die Qualität, denSoftwarekern und die Struktur bearbeitet, maßgeblich verdanken wirden heutigen Stand Gregor Aisch. Ende August haben wir bereitsVersion 1.5 veröffentlicht, haben dabei aber vor allem auf den Soft-warekern geachtet und alles noch einmal gestrafft. Neu ist jetzt einemodulare Struktur des Datawrapper. Das klingt für Nicht-Technikernicht nach einem so großen Schritt, ist aber enorm wichtig, um künf-tig flexibel alle möglichen Zusatzmodule einzubinden – für dieDaten eingabe, die Datenvisualisierung und zusätzliche Abläufe nachder Publikation. Wir bereiten uns für Ende 2013 und die Zukunft auf drei Data -wrapper-Versionen vor: Public, die bisher bekannte, öffentliche undkostenlose Version. Dann die Community-Version, hier wollen wirmehr Entwickler für das Open-Source-Tool aktivieren, trainieren undso die Nutzungsbasis verbreiten. Und zusätzlich Datawrapper Pro,

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eine professionelle, von uns installierte, gepflegte und auf Wunscherweiterbare Lösung für Medien mit besonders hohen Nutzungszah-len und besonderen Anforderungen. Die Pro Version wird uns hof-fentlich helfen, die Entwicklung des Werkzeugs über die nächstenJahre zu sichern. Bisher lässt sich das ganz gut an, erste Kunden ha-ben wir schon gewonnen. Alle aus dem Ausland, natürlich.Version 2.0 wird dann vor allem bei den Visualisierungsvariantenein großer Schritt, so dass der Datawrapper dann hoffentlich auchjede deutsche Zeitungsredaktion endgültig überzeugt. Wir sind ver-halten optimistisch und ackern einfach weiter.

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3.5. Crossmediale Live-Berichterstattung Von Lisa Sonnabend/Daniel Fiene

Live-Berichterstattung im Journalismus ist nichts Neues – im Gegen-teil. Bereits 1925 sprach erstmals ein Reporter einen Livekommentarzu einem Fußballspiel zwischen Preußen Münster und Arminia Bie-lefeld im Radio. Als Neil Armstrong dann 1969 den ersten Schrittauf den Mond setzte, schauten Millionen Zuschauer in Echtzeit zu.Auch seit es das Internet gibt, wurde von Anfang an live berichtet.Bei großen Ereignissen wie Bundestagswahlen werden seit vielenJahren die Zwischenergebnisse aus den Landratsämtern sofort onlinegestellt und erste Stimmen zum Wahlausgang übermittelt. SchießtLionel Messi ein Tor, wird das Ergebnis auf vielen Internetseiten inEchtzeit angepasst. Neu ist jedoch: Seit gut zwei Jahren hat die Live-Berichterstattung im Netz zugenommen, sie etabliert sich – und sieprofessionalisiert sich.Als am 11. März 2011 in Japan die Erde bebte und es zur Nuklear -katastrophe in Fukushima kam, begleiteten in Deutschland zahlreicheOnline-Medien in Echtzeit die Ereignisse – und das mehrere Tagelang. Seitdem waren Online-Magazine beim Rücktritt von Bundes-präsident Christian Wulff live dabei, sie haben über die Proteste inÄgypten oder Tunesien in Echtzeit berichtet oder bei der Oscar-Ver-leihung in Los Angeles den Leser sofort mitgeteilt, wer die begehrteTrophäe gewonnen hat oder wer bei der Kleiderwahl daneben gegrif-fen hat.Als US-Präsident Barack Obama am 18. Juni 2013 Berlin besuchte,schickten Spiegel Online, Süddeutsche.de, Focus Online oder Zeit On-line zahlreiche Reporter zu verschiedenen Orten in der Hauptstadt.Die Online-Journalisten meldeten, sobald Bundeskanzlerin AngelaMerkel Obama die Hand reichte, sobald der US-Präsident sein Jackettauszog oder dem Publikum zuwinkte. Manchen waren das ein paarzu viele Banalitäten, doch feststeht: Live-Berichterstattung ist ausdem modernen Journalismus nicht mehr wegzudenken. Dem Leserreicht es nicht mehr zu warten, bis die Tagesschau beginnt oder dieZeitung im Briefkasten liegt. Er will bereits am PC an seinem Ar-beitsplatz oder auf dem Smartphone in der U-Bahn erfahren, wie derLauf der Dinge gerade ist.

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Im Folgenden soll deswegen das Phänomen Live-Berichterstattunggenauer betrachtet werden – und das aus Sicht der Praxis. Wannmacht Live-Berichterstattung in einer Redaktion Sinn? Was gilt esfür Online-Journalisten zu beachten? Welche Gefahren birgt derEchtzeit-Journalismus? Im letzten Kapitel werden ausführlich Toolsfür die Live-Berichterstattung vorgestellt, die sich im journalistischenAlltag bewährt haben.

Formen der Live-Berichterstattung

Live-Berichterstattung bei deutschen Online-Medien hat viele Na-men. Die einen nennen Echtzeit-Berichte Liveticker, andere schlichtTicker, oder sie sprechen vom Liveblog oder Newsblog. Auch twitternüber Ereignisse oder Entwicklungen ist oft Echtzeit-Journalismus.Live-Berichterstattung verbraucht viele Ressourcen, birgt Gefahren,wenn die Nachrichtenlage schwer zu überschauen ist, und kann denLeser ermüden, wenn sie zu oft eingesetzt wird. Deswegen sollte eineRedaktion sich stets genau überlegen, wann Echtzeit-JournalismusSinn macht und lohnt. Wann wird in deutschen Online-Medien liveberichtet? Es lassen sich verschiedene Formen unterscheiden.

Entwicklung bei Großlagen. Es passiert nicht jeden Tag, doch espassiert sicherlich mindestens einmal pro Woche: Es gibt ein Ereig-nis, das die Nachrichtenlage dominiert – sei es eine Naturkatastro-phe, die Wahl des US-Präsidenten oder der Konflikt in Syrien. In derKantine, im Gespräch mit Freunden oder beim Telefonat mit den El-tern heißt es: Hast du schon gehört? Gibt es etwas Neues? Online-Medien setzen bei diesen Großlagen oft Live-Berichterstattung ein,das Fernsehen ändert nur in Ausnahmefällen sein Programm wiedem Anschlag auf das World Trade Center oder bei Landtags- oderBundestagswahlen.Bei diesen großen Nachrichtenlagen ist oft kein Reporter vor Ort. Inder Redaktion werden Meldungen von Nachrichtenagenturen ausge-wertet, andere Nachrichtenangebote gescannt, auf Twitter, Facebook,YouTube oder in Blogs nach verlässlichen Stimmen gesucht.Drei Beispiele: Spiegel Online begleitete etwa die Wiederwahl Obamasim November 2012 in Echtzeit, Süddeutsche.de berichtete tagelangüber das Hochwasser in Deutschland im Juni 2013 in einem Liveblog,

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Focus Online beschrieb die aktuelle Lage bei den Protesten in Ägyp-ten in einem Live-Ticker.

Entwicklungen vor Ort. Ab und an kommt es vor, dass es in demOrt, in dem die Redaktion sitzt, zu einer Großlage kommt und dieBevölkerung auf Informationen dringt, so dass eine Live-Bericht -erstattung sinnvoll ist. Münchner Online-Medien berichteten etwalive, als im August 2012 in Schwabing eine Fliegerbombe gefundenwurde und gesprengt werden musste. Sie waren im Gerichtssaal undvor dem Justizgebäude dabei, als am 6. Mai 2013 der NSU-Prozessam Oberlandesgericht München begann.Die Live-Berichterstattung ist hier eine andere, da Reporter vor Ortgeschickt werden können, sie per Laptop, Smartphone oder TelefoneInformationen und Eindrücke an die Redaktion durchgeben. Es kön-nen Fotos und Videos eingebaut werden. Das bedeutet allerdingsauch: Der Personalaufwand wird um ein vielfaches höher.

Zeitlich begrenzte Ereignisse. Online-Medien setzen Live-Bericht -erstattung oft auch dann ein, wenn ein Ereignis ansteht, das nur einebegrenzte Zeit lang dauert und von dem auszugehen ist, dass es eingroßes Leserinteresse hervorruft. Findet der European Songconteststatt, begleiten Redakteure den Gesangswettberwerb live und schil-dern ihre Eindrücke. Wenn die Uefa in Nyon die nächsten Begegnun-gen der Champions League auslost, geben Sportredakteure erste Ein-schätzungen und analysieren die Chancen der deutschen Vereine.Werden die Politiker auf dem Münchner Nockherberg derbleckt, wer-den die besten Sprüche aus der Fastenpredigt beinahe in Echtzeitübermittelt und die Reaktionen der beleidigten Politiker beschrieben.Diese Form der Live-Berichterstattung dauert meist nur eine kurzeZeitspanne lang. Oft sieht der Internet-User diese zeitlich begrenztenEreignisse auch gleichzeitig im Fernsehen an und erwartet von denOnline-Journalisten nun eine Einschätzung des Geschehens, klugeGe danken oder er will durch humorvolle Beiträge unterhalten wer-den.Im Gegensatz zu Entwicklungen, die sich über einen Tag lang hin-ziehen, geht es hier hektischer zu: Der Leser will sofort informiertwerden, wie viele Punkte der deutsche Vertreter beim Songcontestbekommen hat oder gegen wen Borussia Dortmund antreten muss.

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Für die Journalisten bedeutet dies: Die Hektik ist größer, die Vorbe-reitung muss gründlich sein.

Planbare versus nicht planbare Live-Berichterstattung. Unterschie-den werden kann auch in planbare und nicht planbare Live-Bericht-erstattung. Steht die Bundestagswahl an, kann eine Redaktion sichim Vorfeld genau überlegen, welcher Redakteur zu welcher Partei ge-schickt werden soll, wie die Zwischenstände aus dem Landratsamteingebunden werden können, welchen Politikern oder Meinungsfüh-rern es lohnt, auf Twitter und Facebook zu folgen, welche andereOnlineseiten beobachtet werden sollten etc. Oft jedoch tritt ein Er-eignis unerwartet ein. Eine Redaktion muss dann schnell reagierenund die Aufgaben verteilen.

Live-Berichterstattung in der Praxis

Das Problem in vielen Online-Redaktionen ist natürlich die klammePersonalsituation. Die Crux: Live-Berichterstattung verbraucht vieleKapazitäten. Wird eine Meldung zu einem Thema verfasst, reicht inder Regel ein Autor und ein Gegenleser. Wird entschieden, zu einemThema ein Live-Blog zu machen, ist deutlich mehr Personal gebun-den. Wer übernimmt die Koordination? Wer kann kleinere Recher-chen von der Redaktion aus tätigen? Wer scannt die Nachrichten-agenturen, Twitter und andere Websites? Wer wird gegebenenfallsvor Ort geschickt? Wer passt die Überschrift, den Teaser oder denVorspann an, wenn eine neue Wendung eintritt? Und bleiben dannüberhaupt noch genug Personen übrig, die sich um die restlichenThemen des Tages kümmern können?Live-Berichterstattung kann nicht nur die Redaktion ermüden, son-dern auch den Leser. Auch wenn ausreichend Kapazitäten vorhandenwären, würde es keinen Sinn machen, jedes Thema mittels Live- Berichterstattung abzudecken. Mehr als ein Live-Blog sollte nur aneinem Tag, an dem außergewöhnlich viel los ist, auf der Webseite zufinden sein, da es dem Leser ja mehr Zeit und Konzentration verlangt,als wenn er eine zusammenfassende Meldung liest. Er ist nur bereit,Ereignisse live zu verfolgen, wenn er merkt, hier geschehen relevanteEntwicklungen.Bei der Live-Berichterstattung spielen nicht nur die Reporter, die vor

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Ort geschickt werden, oder die Journalisten, die von der Redaktionaus recherchieren und schreiben, eine große Rolle, sondern auch derKoordinator (auch Regisseur genannt). Bei ihm laufen die Informa-tionen zusammen, er redigiert die Beiträge, entscheidet, was veröf-fentlicht wird, oder gibt Anweisungen, was noch recherchiert werdensollte. Falls ein Reporter nur per Telefon Informationen zukommenlassen kann, muss er dessen Beiträge formulieren. Der Koordinatorsteht in der Regel unter mindestens genauso großem Zeitdruck wiedie Autoren.Bei der Live-Berichterstattung passiert es ja immer wieder, dass Re-dakteure von einem Ereignis überrascht werden, dass es sich um einnicht planbares Ereignis handelt. Redaktionen können sich jedochauch auf solche Live-Ereignisse vorbereiten. Für Journalisten ist essinnvoll, schon ehe der Ernstfall eintritt, Netzwerke für ihre Spezial-gebiete aufzubauen. Ein Redakteur für Auslandspolitik sollte nichterst, wenn eine Großlage ansteht, damit beginnen, sich Listen mitTwitteraccounts, Facebookseiten oder Blogs zu Ägypten, der Türkeioder Syrien anzulegen, sondern idealerweise dies schon einmal in einer ruhigen Minute im Vorfeld getan haben, um nicht überraschtzu werden und bei Null anzufangen, wenn ein Ernstfall eintritt.Wichtig bei der Live-Berichterstattung ist auch, dass die entspre-chende Technik vorhanden ist. Besitzt der Reporter ein Smartphoneoder kann ihm eines aus der Redaktion geliehen werden? Sind dieScribble-Live-App oder andere Tools, die benötigt werden, bereitsauf dem Handy installiert? Reicht der Akku? Auch Laptops und Ka-meras sollten immer bereit liegen und aufgeladen sein, damit nichtwertvolle Zeit verloren geht, bis der Redakteur vor Ort ist, oder erzwischenzeitlich pausieren muss, um eine Steckdose aufzutreiben.

Gefahren der Live-Berichterstattung

Unter Zeitdruck passieren Fehler – und da bei der Live-Berichterstat-tung der Zeitdruck besonders hoch ist, besteht die Gefahr, dass besonders viele Fauxpas passieren. Der häufigste, aber auch am we-nigsten problematische Fehler ist natürlich der Rechtschreibfehler. Inder Live-Berichterstattung lassen sich Flüchtigkeitsfehler oder Buch-stabendreher nicht vermeiden. Um diese zu minimieren, sollte jedochunbedingt das Vier-Augen-Prinzip angewendet werden. Im Idealfall

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ist sogar eine Person nur zum Redigieren abgestellt, was jedoch ausKapazitätsgründen oft nicht möglich ist und auch aus technischenGründen schwierig, da bei vielen Live-Tools nur ein Nutzer gleich-zeitig eingeloggt sein darf.Weit problematischer als Rechtschreibfehler sind Recherchefehler. Daoft wenig Zeit bleibt, Dinge zu überprüfen oder nachzuschlagen, ge-langen falsche Informationen auf die Webseite. Hier sollte gelten: ImZweifelsfall lieber ein bisschen langsamer, dafür richtig. Wer nurglaubt zu wissen, wie sich der türkische Außenminister Ahmed Da-vutoglu buchstabiert, sollte sich die zehn Sekunden Zeit nehmen, dieSchreibweise zu prüfen.Bei Live-Berichterstattung über Großlagen herrscht oft eine Quellen-lage, die ungewiss ist oder nur schwer zu überschauen. Wie vieleMenschen nehmen nun an der Demonstration in Ägypten teil? EineNachrichtenagentur schreibt von 50.000, eine andere von 90.000 unddie Polizei spricht von lediglich 30.000. Auf die Schnelle lässt sichoft nicht klären, wer Recht hat. Es kann auch nicht gewartet werden,bis die offizielle Zahl am Abend bekanntgegeben wird. Hier gilt: demLeser immer größtmögliche Transparenz bieten und in diesem Falledie verschiedenen Quellen nennen und beschreiben, dass die Lagehöchst unübersichtlich ist derzeit.Das gleiche gilt für plötzliche Wendungen eines Ereignisses. Es kannbeispielsweise passieren, dass es erst heißt, ein Geiselnehmer habesieben Menschen in seiner Gewalt. Später wird die Zahl jedoch kor-rigiert, es handle sich doch nur um vier Geiseln. Hier gilt: Offen mitden falschen Angaben umgehen. Wenn die falschen Zahlen korrigiertwerden, immer einen Hinweis dazuschreiben, dass zuvor andere Zah-len genannt wurden, da die Nachrichtenlage eine andere war. DerLeser wird diese Offenheit verstehen, die Transparenz anerkennen,und die Glaubwürdigkeit der Redaktion steigt.

Live-Berichterstattung als Selbstmarketing-Tool

Es muss nicht immer für ein Online-Medium live berichtet werden.Auch für freie Journalisten kann Live-Berichterstattung durchausSinn machen. Nimmt ein Freier beispielsweise an einer Pressekonfe-renz teil oder ist er bei einer Hochwasserkatastrophe vor Ort, kann erüber Twitter erste Zitate, kurze Schilderungen oder Einschätzungen

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live verbreiten. Online-Redaktionen greifen Twitter-Zitate von Kolle-gen oft auf, wenn sie einen ersten O-Ton oder eine erste Stimme be-nötigen. Der freie Journalist erhöht dadurch seine Bekanntheit undlenkt Aufmerksamkeit auf sein Tun. Dadurch ist es auch möglich, dassder Freie einen Auftrag erhält. Denn falls eine Redaktion keinen ei-genen Reporter beispielsweise beim Hochwasser in Passau vor Ort hat,wird sie über Twitter aufmerksam gemacht: „Oho, der Kollege ist jadort, bei ihm könnten wir eine Reportage zum Thema bestellen.“

Live-Ticker-Werkzeuge für den Live-Einsatz

Storify erstellt kostenlos Live-Ticker für die Homepage und ist einAggregator für Social-Media-Inhalte. Die angelegten Ticker könnenim eigenen Profil auf Storify.com abgerufen werden. Sie lassen sichaber auch sehr einfach in einen eigenen Artikel integrieren. Das typische Storify besteht aus einer Überschrift, einem Teaser, und esfolgen die kuratierten Inhalte von Facebook, Twitter, Instagram, You-Tube und anderen sozialen Netzwerken.Der Reporter kann über das Web oder über eine App sein Storify be-arbeiten. Dabei sieht er vor sich einen zweigeteilten Bildschirm. Inder linken Hälfte gibt es das Storify und in der rechten Hälfte eineSuchmaschine für die sozialen Netzwerke. Die gefundenen Inhaltekönnen einfach von rechts nach links in das Storify gezogen werden.Zwischen den Inhalten können Text und Links ergänzt werden, umdie Inhalte einzuordnen. Storify eignet sich gut, um die Social-Media-Aktivitäten rund umein Event zusammenzufassen. So können die Inhalte sowohl von denVeranstaltern als auch den prominenten Gästen, aber auch von denZuschauern auf einer Ebene zusammengefasst werden. Das schafftein neues Gemeinschaftsgefühl. Ein Beispiel ist das Storify vom Radiosender 1LIVE zur Aktion „Eine Nacht in Aachen“ (http://bit.ly/ 14xL0yE). Hier finden die Leser Inhalte von den Radiomoderatoren,den Musik-Acts und von den Hörern. Storify eignet sich aber auch rund um aktuelle Nachrichtenlagenoder Breaking-News, denn es kann laufend aktualisiert werden. Al-lerdings müssen die Leser per Hand den Artikel neu laden, um neueInhalte sehen zu können. Ein Beispiel für diesen Einsatz ist bei denRuhr Nachrichten rund um ein Unwetter im Herbst 2011 zu finden

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(http://bit.ly/1avGSln). Auch Nachrichten-Themen, die sich überTage oder Wochen weiterentwickeln, lassen sich sehr gut als Zeit-leiste in einem Storify darstellen. Ein Beispiel ist bei der FrankfurterRundschau finden. Dort gibt es ein Storify zur Affäre Wullf (http:// bit.ly/ 19znDmE).ScribbleLive: Scribble Live ist ein Werkzeug für Live-Blogs und Live-Ticker. Hier können Reporter und Redaktionen sehr einfach Live-Ti-cker erstellen und diese auch mobil befüllen. Scribble Live lässt sichgut mit anderen Redaktionssystemen kombinieren und hält auch ei-nem großen Leseransturm stand. Allerdings eignet sich Scribble Liveeher für große Redaktionen, da die Anschaffung nicht ganz günstigist. Preise gibt es auf Anfrage. Scribble Live gilt als Referenzangebotin diesem Bereich.

Tools für Twitter

Hootsuite. Unter hootsuite.com lässt sich eine persönliche Kommu-nikationszentrale einrichten. Nicht nur Twitter, sondern auch anderesoziale Netzwerke wie Facebook lassen sich mit diesem Dienst steu-ern. Es lässt sich sogar auch mit dem kostenlosen Tarif sehr gut arbeiten. In vielen Fällen sollte dieser ausreichen, da bis zu fünf unterschiedliche Profile hinzugefügt werden können. Selbst wer nurein Twitter-Profil zum persönlichen Hootsuite-Account hinzufügt,kann im Live-Einsatz profitieren.Das Hauptstandbein von Hootsuite ist die Webseite, sodass sich vonunterschiedlichen Rechnern die voreingestellte Kommunikations -zentrale aufrufen lässt. Es gibt aber auch mobile Apps für Android,iPhone und iPad. Auf Hootsuite lassen sich verschiedene Registerkarten anlegen, diesich für unterschiedliche Kontexte zusammenstellen lassen. Jede die-ser Registerkarten lassen sich mit unterschiedlichen Inhaltsspaltenbestücken: Einkommende Tweets von einem Twitter-Account, die Reaktionen auf einen bestimmten Twitter-Account, eine Schlüssel-wort-Suche unter allen Tweets. Es lohnt sich, neben einer Standard-Registerkarte auch Registerkartenfür bestimmte Live-Ereignisse anzulegen. Wird ein bestimmtes Eventbetreut oder betreut man eine Live-Sendung, ist es gut, sich Suchan-fragen auf die Medienmarke, die Gäste und das Thema vorab einzu-

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stellen. Es ist ratsam, direkt Personen zu folgen, die für ein Engage-ment rund um das Thema bekannt sind. Wer sich solch eine Kommu-nikationszentrale rund um ein Live-Event vorbereitet, hat es im Mo-ment der Live-Berichterstattung leichter, den Überblick zu behalten.Unter Hootsuite lassen sich auch Inhalte planen. Tweets für Twitteroder Status-Updates für Facebook-Profile oder Facebook-Seiten las-sen sich terminieren und werden dann durch den Dienst pünktlichin dem sozialen Netzwerk veröffentlicht. Tweetbot (http://tapbots.com/software/tweetbot/) ist eine sehr guteTwitter-App für das iPhone, iPad und Mac OS X. Zwar kostet die Appum die drei Euro, sie bietet aber mehr Funktionen als die normaleTwitter-App. Es können mehrere Accounts benutzt werden, und ein-zelne Nutzer und Themen können temporär ausgeblendet werden. Solässt sich rund um einen Live-Einsatz Unnötiges ausblenden.

Tools fürs Foto

Instagram: Was Twitter für kurze Texte ist, ist Instagram für Fotos.Instagram (http://instagr.am/) ist eine kostenlose Android & iPhone-App mit einer riesigen Community (über 30 Millionen). Das BeispielRheinstagram (http://www.rheinstagram.de/) von der Rhein-Zeitungzeigt, welche Interaktionsmöglichkeiten mit Lesern und Zuschauernentstehen können („die visuelle Erweiterung des Facebook-Kommen-tars“). Medienmarken können zudem einen eigenen Kanal auf Instagram starten und Fotos von eigenen Events posten. Leser undZuschauer können der Medienmarke auf Instagram „folgen“ und bekommen mehr mit. Als Reporter-Foto-App ist Instagram wenigergeeignet. Instagram gehört mittlerweile zu Facebook.Photoshop Express: Wenig bekannt sind die kostenlosen Apps vonPhotoshop. Wer mit Photoshop am Computer arbeitet, wird sich auchrund um die Smartphone-Version zurecht finden. Die App steht fürAndroid (http://www.photoshop.com/products/mobile/express/an-droid), aber auch für das iPhone und iPad (http://www.photo shop.com / products/mobile/express/ios) zur Verfügung. Diese Appeignet sich sehr gut für den Live-Einsatz und ist eine ordentliche Al-ternative, um Fotos nachträglich zu bearbeiten und zu verschicken.Snapseed (http://www.snapseed.com/de/) ist ein hervorragenderFoto-Editor für iOS-Geräte. Die Fotos können mit vielen Filtern und

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Funktionen bearbeitet und direkt im Netz veröffentlicht oder perE-Mail verschickt werden. Auf dem iPad ist die App wegen der Bild-schirmgröße einfacher zu bedienen und ist hierfür auch als App desJahres 2011 für den Bereich Fotografie ausgezeichnet worden. Mitt-lerweile ist Snapseed von Google aufgekauft worden.

Video-Tools

Vine (https://vine.co) ist ein soziales Video-Netzwerk, welches vonden Machern von Twitter produziert worden ist und deswegen engmit dem Kurznachrichtendienst verknüpft ist. Auf Vine lassen sich16-sekündige Videos veröffentlichen und anschließend kommentie-ren und teilen. Die Videos können aus mehreren Sequenzen bestehen,die aber in einem Rutsch aufgezeichnet werden. Spiegel-Online- Kolumnist Sascha Lobo erklärt das Prinzip von Vine in diesem Bei-spielvideo: https://vine.co/v/bnQZtvAXvWt.Die Videos lassen sich auch in Webseiten einbinden, weswegen einigeJournalisten bei Einsätzen nicht nur Fotos mitbringen, sondern auchVine-Videos. Diese lockern die Artikel auf und bieten noch einenganz neuen Zugang zum Geschehen. iMovie ist das Hausprogramm von Apple. Wer iMovie für den Mackennt, wird mit diesem Programm sehr schnell zurecht kommen. Eshat zwar mehr als 60 MB, ist dafür aber auch mit viel Zusatzmaterialbepackt. Die App kostet um die vier Euro.1st Video von Vericoder: Die 1st Video App von Vericorder(http://bit.ly/qoX4ce) ist derzeit die Referenz-App, was Video-Schnittauf dem iPhone angeht. Es lassen sich auch Mehr-Spuren-Audio -beiträge und Audio-Slideshows erstellen. Die Ergebnisse können zuSoundcloud oder YouTube exportiert oder in in der Library des iPhones abgelegt werden. Die App kostet rund sieben Euro. Es gibtauch eine komfortablere iPad-App, die aber etwas mehr kostet.

Audio-Tools

Soundcloud: Unter Soundcloud.com ist das YouTube fü� r Sounds zufinden. Redaktionen können nicht nur Sounds hochladen und denschönen Webplayer in Artikel einbetten, Reporter können auch diekostenlose App nutzen, um Aufsager oder O-Töne hochzuladen. Diesekönnen direkt öffentlich gemacht werden oder intern fu� r bestimmte

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andere Nutzer freigeschaltet werden. Die App gibt es für Android undiOS.Pocket WavePad: WavePad ist ein kostenloser Audio-Editor für iOS,der auch MP3 unterstützt (http://bit.ly/fRIohs). Die Dateien könnenper E-Mail oder FTP verschickt werden. Zwar setzt die App nur aufeine Spur, bietet aber dafür alle wichtigen Funktionen eines Schnitt-programms.

Experimentelle Darstellungsformen

Foursquare ist ein geo-basiertes soziales Netzwerk. Nutzer checkenan Orten ein und verraten so ihren Freunden, wo sie sich befinden.Beliebte Orte werden angezeigt und können kommentiert werden. Soergibt sich eine Live-Karte, was gerade in einer Stadt angesagt ist.Auch Journalisten und Redaktionen können Foursquare nutzen. Siekönnen sich bei Live-Events einchecken und die eigenen Followerinformieren, dass sie dabei sind und so auf eigene Angebote rundum die Berichterstattung hinweisen. timeline.js: Diese kleine Java-Script-Bibliothek (http://timeline.verite. co/) macht visuell-ansprechende Zeitleisten auf Webseiten möglich.Das Projekt ist von Journalisten und Programmierern umgesetzt wor-den. Wer timeline.js nutzen möchte, braucht keine Programmierkennt-nisse. Als Grundlage dient eine Tabelle der Google-Cloud-Office-Lö-sung Docs. In der Tabelle werden die Zeitpunkte, Texte und weiter-führende Videos oder Links hinterlegt. Das Skript bedient sich live anden Inhalten und stellt diese im Web dar. Jede Zeitleiste erhält eineneigenen Code, der einfach auf der Webseite integriert werden muss.

Android vs. iPhone und iPad

Beim Thema mobile Berichterstattung stellt sich regelmäßig dieFrage, welches Smartphone-System sich besser eignet. In diesem Ka-pitel liegt der Schwerpunkt auf Apps für iPhone und iPad. Dies hathistorische Gründe. Die mobilen Geräte von Apple haben in der Ver-gangenheit durch ihre bessere Hardware-Ausstattung gepunktet. DieKamera und das Mikrofon lierferten bis dato bessere Ergebnisse alsbei Android-Modellen. Aus diesem Grund haben auch Entwickler viel mehr Zeit in die Ent-wicklung für Lösungen für die iOS-Welt gesetzt. Entwickler stehen

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in der Android-Umgebung zudem vor einem Problem: Selbst wennsie eine sehr gute App entwickeln, können sie die Arbeitsergebnissequalitativ kaum überwachen: Android läuft auf den unterschiedlichs-ten Smartphones von unterschiedlichen Herstellern. Diese bauen unterschiedliche Kameras und unterschiedliche Mikrofone ein. Eineverlässliche Empfehlung für Android-Apps ist deswegen schwierig.Aktuell ist aber feststellbar, dass es auch neuere Android-Modellegibt, die mit einer vergleichbaren oder gar besseren Hardware-Aus-stattung als das iPhone auf dem Markt erschienen sind. In wenigenJahren könnte sich die Hardware so angeglichen haben, dass das beschriebene Problem nicht mehr so stark ins Gewicht fällt und dieSysteme vergleichbarer werden.

Zubehör

iRic Mic: iRic liefert verschiedene Lösungen, die für bessere Audio-aufnahmen beim iPhone und iPad sorgen. Es gibt für rund 30 Euroeinen Vorverstärker, an dem sich ein klassiches Reportermikrofon an-schließen lässt. Es gibt auch eine Lösung mit einem richtigen Mikro-fon (http://bit.ly/KS8yza). Im Gegensatz zum eingebauten iPhone-Mikrofon schluckt es sehr viele Geräusche aus der Umgebung, sodassder Einsatz in entsprechenden Umgebungen Sinn macht. Es ist be-sonders gut für Video-Interviews geeignet.Prompter Smartgrip Mobile: Dieser Halter für das iPhone (http:// bit.ly/17KxBSP) macht ruhige Bild-Aufnahmen möglich. Die Formelist einfach: Ein stabiles Video wird als qualitativ hochwertiges Videowahrgenommen! Wackelbilder stören. Der Halter kostet rund 80 Euro.

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Interview mit Christoph Neuberger(Lisa Sonnabend)

Live – die Beschleunigung des JournalismusProfessor Christoph Neuberger, Kom-munikationswissenschaftler an derLudwig-Maximilians-Universität Mün-chen, über die Rolle der „Live-Bericht-erstattung“ in Online-Medien(Foto: Atelier Dagmar Ossig, Münster)

Warum wird Live-Berichterstattung für Online-Medienimmer wichtiger?

Ganz einfach: Weil Online-Medien „live“ zulassen. Im Unterschiedzu Live-TV und -Radio ist es meistens ein Dabeisein in Schriftform.Der neue Mobiljournalismus wird die Entwicklung weiter forcieren. 

Wie verändert die Online-Live-Berichterstattung den Journalismus?

Sie ist ein weiterer Schritt zur Beschleunigung des Journalismus. DasPotenzial des Internets wird damit einseitig genutzt. Es ist wichtig,nicht dem Rausch der Geschwindigkeit zu erliegen. Der Liveberichtsollte auch Stoff zum Nachlesen sein. Das Internet bietet die einma-lige Chance, die verschiedenen Zeitschichten zu verbinden: die Ge-genwart mit dem Vergangenen des Vortags und der Vorwoche – bishin zur historischen Einordnung. 

Wie geht es weiter mit der Live-Berichterstattung?Welchem Formate/Entwicklungen sind denkbar?

Der rasend tippende Reporter wird eine eigene Disziplin werden. DerLive-Bericht muss einerseits die Spannung des Augenblicks vermit-teln, andererseits aber auch schon den Zusammenhang herstellen. Ersollte sich nicht mit der platten Wiedergabe des Offensichtlichen be-gnügen, sondern er kann auch eine erzählerische Qualität haben und

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eine bestimmte Haltung ausdrücken – wie die Spielberichte der „11Freunde“. Neben der eigenen Darstellung sollten auch Nutzerkom-mentare und der Nachrichtenfluss in den sozialen Medien eingebun-den werden. 

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3.6. Medienethik in Zeiten der sozialen Netzwerke Von Harald Baumer

„Ich Tarzan, Du Jane“: Fünf neue Regeln der Medienethik inZeiten der sozialen Netzwerke

Zunächst mal die gute Nachricht: Die Grundwerte unseres Berufeshaben sich in den zurückliegenden 100 Jahren nicht geändert, undsie werden das wohl auch in den nächsten 100 Jahren nicht tun. Manmuss als Journalist, wenn man Social Media betreibt, in medienethi-scher Hinsicht keineswegs komplett umdenken. Das, was 1925 fürden Reporter Egon Erwin Kisch beim Prager Tagblatt galt, gilt imPrinzip auch für den twitternden Redakteur des Jahres 2013.So lange Menschen berufsmäßig Nachrichten verbreiten, Geschichtenerzählen und dabei den Anspruch erheben, die sie umgebende Weltin ihren Texten widerzuspiegeln, dürfen sie nicht lügen und sichnicht bestechen lassen. Sie sind an die Gebote der Wahrheit und derUnparteilichkeit gebunden. Sonst ruinieren sie ihren Ruf und damitgleichzeitig ihre Geschäftsgrundlage. Das gilt in vollem Umfang auchdann, wenn sich ein Journalist Social Media erschließt. Alles anderewäre ja auch höchst seltsam.Trotzdem zeichnen sich soziale Netzwerke durch eine ganze Reihevon Besonderheiten aus, die sich zwangsläufig auch auf die Medien-ethik auswirken. Und genau um diese Punkte soll es hier gehen. Nichtjeder Journalist, der in der analogen Welt seine Arbeit professionellund zuverlässig erledigt, tut das automatisch auch in der digitalenWelt, wenn er einfach so weiter macht und sich nicht auf die Gesetz-mäßigkeiten dieser neuen Umgebung einlässt. Ich will das an fünfKernpunkten und anschließenden Regeln darstellen.

Erstens: Journalisten und ihre Beziehungskisten

Nicht ohne Grund heißen die Menschen, mit denen man sich beiTwitter oder Facebook einlässt, „Follower“ oder sogar „Freunde“. Dasdarf, wer mag, gerne als albernes Wortgeklingel abtun. Nach demMotto: Kein Mensch kann 300 oder 3000 Freunde haben. Doch derAnspruch der sozialen Netzwerke auf etwas mehr als nur einen nüch-ternen Geschäftskontakt steht im Raum. Das zeigen schon die Rituale.

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Ich kann die Freundschaftsanfrage eines anderen ablehnen. Ich kannjemanden, der mich enttäuscht hat „entfolgen“ oder im schlimmstenFalle sogar „blocken“. Die Beziehungsmechanik spielt eine großeRolle in den Netzwerken. Der Journalist verliert, wenn er sich in Social Media begibt, seinenmanchmal durchaus noch vorhandenen Hoheitsanspruch. Er ist nichtmehr nur der Sender, dem andere zuhören, sondern er wird – sys-tembedingt – gleichzeitig zum Empfänger. Und zwar sehr viel mehr,als das in der klassischen Medienwelt durch Leserbriefe oder Anrufegeschieht.Das haben allerdings längst nicht alle Kommunikatoren verstanden.Sie wollen schlichtweg ihre Weisheiten und Kenntnisse (über die sieoft ja auch wirklich verfügen) unter das Volk bringen und sehen inTwitter und Facebook nichts anderes als eine digitale Vervielfäl -tigungsmaschine. Weder interessiert es sie, noch nehmen sie es in irgendeiner Form zur Kenntnis, wenn andere auf sie reagieren. Journalistische Berühmtheiten können sich das vielleicht erlauben,ihr Publikum so zu negieren. Der normale Journalist, zum Beispielim Lokalteil einer Zeitung, wird mit einem solchen Verhalten keinenerfolgreichen Account betreiben können. „Ich Tarzan, Du Jane“ –diese Unterordnung aus dem Urwald gilt in Social Media nicht, dawill auch Jane etwas zu sagen haben, und es darf nicht immer nurTarzan vorturnen.Social Media sollten entgegen der Vorstellung mancher Redaktionennicht in erster Linie Link-Distributoren sein, die Traffic auf die Web-site bzw. zu einem Blog lenken. Natürlich ist es der Wunsch von Jour-nalisten, ihre Freunde und Follower dorthin zu locken, wo deren An-wesenheit (über Werbung) zu Geld gemacht werden kann. Das istauch völlig legitim, denn professionelle Kommunikatoren müssen fürihre Leistung bezahlt werden. Diese Weiterleitung darf allerdingsnicht der einzige Zweck eines Accounts sein, denn der selbstbewussteFollower bemerkt die Absicht und wendet sich ab.Wer nicht wirklich interessiert ist an den Fragen und Anregungenvon anderen, der ist in den sozialen Netzwerken fehl am Platze. Denndie dort gepflegte Interaktivität meint mehr als nur ein pflicht -bewusstes, gelegentlich eingestreutes Frage-Antwort-Spiel. Nein, esgeht um einen grundlegenden Gesinnungswandel: Journalisten hören

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unmittelbar auf ihr Publikum. Was übrigens nicht damit zu verwech-seln ist, dass sie alles tun müssten, was ihr Publikum sagt.Dem Publikum zuhören, Anregungen aufnehmen – das bereichert diejournalistische Arbeit und schränkt sie nicht etwa ein. Auf dieseWeise kann man sich auch manche teuer bezahlte Evaluation sparen.Gute Journalisten haben das Gespräch mit den Lesern, Hörern undZuschauern schon immer gesucht. Neu ist daran, dass das Publikumsich inzwischen bei einem Journalisten nicht mehr nur per Brief oderper Anruf in der Telefonzentrale einer Redaktion melden kann. DerDraht ist ein sehr viel direkterer geworden.

Regel eins: Journalisten sind aufmerksam, wenn sich ihre Kon-taktpersonen in sozialen Netzen mit Lob, Kritik oder Fragen zuWort melden. Sie lassen das, was sie hier hören, wenn möglich,auch in ihre tägliche Arbeit einfließen.

Zweitens: Journalisten haben ein Gesicht

Wer Nachrichten und Berichte schreibt, der sollte dabei gemäß klas-sischer Definition als Autor in den Hintergrund treten. Es interessiertniemanden, ob ein solcher Text von einer Frau oder einem Mann,von einem jüngeren oder einem älteren Journalisten bearbeitetwurde. Entscheidend ist lediglich, ob die W-Fragen beantwortet unddie wichtigsten Fakten in logischer Reihenfolge abgehandelt werden.Bei anderen Darstellungsformen wie Reportage und Kommentarkommt die Persönlichkeit des Autors sehr viel stärker ins Spiel. DerLeser will wissen, was das für ein Mensch ist, der da stellvertetendfür ihn selbst ein Fußballspiel oder einen Parteitag besucht. Er willganz genau wissen, was der Journalist riecht, was er schmeckt, waser fühlt, was er sieht, welche Meinung er dazu hat.Erst recht gilt das bei Aktivitäten in sozialen Netzwerken. Facebookheißt nicht ohne Grund „Face“-Book. Es geht um menschliche Ge-sichter, also um Personen und Persönlichkeiten, die hier auftreten.Das erwarten die Nutzer letzten Endes auch von journalistischen Ak-teuren in sozialen Netzwerken. Solch ein Interesse des Publikums hatgar nichts mit einer Bloßstellung des Journalisten zu tun. Es geht le-diglich darum, Informationen einzubetten in persönlich gefärbte Be-obachtungen und Statements.

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Es kann frustrierend für einen bei Facebook aktiven Journalistensein, wenn er bemerkt, dass sein Blog-Beitrag über den Bau desneuen Berliner Flughafens vier Likes erhält, dass aber ein gleichzeitiggepostetes Porträtfoto, das ihn während der Besichtigung des Flug-hafengeländes mit einem Bauhelm auf dem Kopf zeigt, es auf stolze40 Likes bringt. Ist das nicht ein Zeichen für die Banalisierung, diedurch dieses Medium stattgefunden hat? Nicht unbedingt.Wenn die Personalisierung des Mediums geschickt eingesetzt wird,um auf diese Weise für die parallel gesendeten Inhalte zu werben,dann ist das nichts anderes als eine neue „Verkaufsmethode“ desJournalismus, also quasi eine Layoutveränderung. Und ganz so neuist die Personalisierung ja nun auch wieder nicht. Es gibt zum Bei-spiel etliche Regionalzeitungen in Deutschland, die Leitartikel undKommentare mit einem kleinen Foto des Autors versehen. Was istdas anderes als eine sehr bescheidene Vorstufe des Face-Book.

Regel zwei: Ein Journalist muss sich in sozialen Netzwerken mitdem vollen Namen und mit einem Foto als Person zu erkennengeben. Mikro- und Makroblogging im Internet leben genau vondieser Personalisierung. Die Botschaft darf gerne in Verbindungmit den Befindlichkeiten des Botschafters transportiert werden.

Drittens: Der Journalist hat fast immer Sprechstunde

Das ist ein besonders heikles Kapitel. Man könnte diese Überschrift soverstehen, als ob Journalisten mit einem Account bei einem sozialenNetzwerk rund um die Uhr erreichbar sein müssten, als ob sie über-haupt keinen Feierabend mehr haben dürften. Das ist damit – aus-drücklich! – nicht gemeint. Im Gegenteil: Ein solches Verhalten würdedie Qualität der journalistischen Arbeit auf Dauer schwer beeinträch-tigen, denn wer keine Pause mehr macht, der verliert seine Geistes-gegenwart, der leistet sich unnötige Fehler, der ist schnell verbrannt. Hier ist lediglich die Zeit gemeint, in der ein Journalist ohnehin, auchohne den Einfluss von Social Media, im Dienst wäre. Die Zeit also,während der er sich im Büro aufhält, einen Termin besucht oder dort-hin unterwegs ist. In der Vergangenheit war der Journalist währenddes größten Teils seines Arbeitstages nicht erreichbar, schon gar nichtfür seine Leser.

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Inzwischen gibt es die großartige Möglichkeit, via Smartphone oderLaptop eine „Standleitung“ zwischen dem Journalisten und seinemPublikum zu verlegen. Das stößt sicher auf praktische Grenzen:Ein Autor wird nicht in der Lage sein, einen Termin zu besuchen,aufmerksam zuzuhören und gleichzeitig auf 30 Fragen seiner Follower oder Freunde einzugehen. Aber die Zeit reicht allemal, um einen Blick auf die Timeline zu werfen und einen Eindruck davonzu erhalten, was das Publikum im Moment denkt bzw. wissenmöchte.Nochmal zur Klarstellung: Die große Kunst im Gebrauch von SocialMedia besteht darin, ein gutes Verhältnis zwischen dem Einschaltenund dem Ausschalten zu finden. Wer immer ausgeschaltet hat, derwird sich mit dem Ausüben unseres Berufes in Zukunft schwer tun.Wer immer eingeschaltet hat, dem fehlt die notwendige Zeit zum Be-obachten und zum Nachdenken.

Regel drei: Der Journalist des Social-Media-Zeitalters verliert denganzen Arbeitstag hinweg seine Accounts nicht aus dem Auge,er nimmt sich immer wieder mal ein paar Minuten Zeit dafür. Erdarf aber gerne auch ein, zwei Stunden offline sein, wenn es dieRecherchesituation erfordert. Aber das Prinzip lautet: online!

Viertens: 20-mal am Tag Redaktionsschluss

Klassischer Journalismus denkt in fertigen Produkten: Texte, Fotos,Grafiken. Sie müssen zu einem bestimmten Zeitpunkt (Redaktions-schluss) fertig sein, um die Herstellung des Gesamtprodukts nicht zugefährden. Der abschließende Charakter des einzelnen journalistischen Werksbestimmt unsere Arbeit. Wir feilen bis zum letzten Moment an einerReportage, fügen unter Umständen noch aktuelle Informationenhinzu und drücken dann im Moment „x“ auf die entscheidende Tasteunseres Rechners.Bei Social Media spielt dieser Aspekt eine untergeordnete Rolle. DieTimeline von Twitter hat keinen Anfang und kein Ende. Ich habe alsJournalist keine Frist, zu der ich spätestens einen (Mikro-)Text ab-schicken muss. Ja, noch mehr sogar: Das „Werk“ besteht häufig auseiner großen Summe von Einzelstücken.

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Journalisten müssen in sozialen Netzwerken den Mut zum Impro -visieren entwickeln. Nachdem es keinen „Fixpunkt“ der Veröffent -lichung gibt, ist während eines journalistischen Recherche- und Beobachtungsprozesses immer wieder aufs Neue zu entscheiden,wann die geeignete Zeit für ein Posting sein könnte. Mit dem Improvisieren ist es zwangsläufig auch verbunden, dassjournalistische Meldungen eine schnellere Verfallszeit haben. Dasssie von der Entwicklung der Ereignisse überholt werden. Damit müs-sen twitternde Reporter leben lernen. Das heißt natürlich nicht (siehedie Einleitung zu diesem Beitrag), dass wir ungeprüfte Gerüchte ver-breiten und journalistische Kontrollmechanismen außer Kraft setzendürfen. Es heißt lediglich, dass wir es akzeptieren, 20 Mal am TagRedaktionsschluss zu haben.

Regel vier: Twitter und Facebook haben ebenso wie Blogs einenstark interventionistischen Charakter. Die rasche Beobachtung,das Apercu sind ihre Stärken. Journalisten müssen sich im Netzvom Gedanken des „fertigen“ Werks verabschieden, weil sie sonstnicht in der Lage sind, den Bedürfnissen des Web gerecht zu wer-den.

Fünftens: Die neue Demut der Journalisten

Wir Journalisten waren über lange Zeit hinweg und sind es größten-teils auch immer noch: die Gatekeeper. Das heißt: Wir entscheiden,welche Informationen an eine breite Öffentlichkeit gelangen und wel-che nicht. Andererseits gilt aber auch: Der Wichtigkeitsvorsprung,den Journalisten über ihre angestammten Medien haben, verliert inden sozialen Netzwerken schnell an Bedeutung. Manch professioneller Journalist erlebt in den ersten Wochen beiTwitter oder Facebook zu seiner großen Überraschung, dass ihm dieMassen nicht einfach so zulaufen, nur weil er für eine bestimmte Zeitung oder Zeitschrift arbeitet, sondern dass er mit attraktiven In-halten in Vorleistung gehen muss. Da kann es durchaus geschehen,dass ein Gymnasiast aus Köln oder eine Hausfrau und Mutter ausHamburg in den Netzwerken auf mehr Interesse stoßen als der haupt-amtliche Informations- und Meinungsverbreiter. Weil sie über dasschreiben, was der Konsument wissen möchte.

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Richtig verstanden lernt also der Journalist die Grundtugend der Demut kennen. Leser/Hörer/Zuschauer in sozialen Netzwerken wollenjeden Tag aufs Neue erobert werden. Sie kennen kein Abo. Wir kehren also in gewisser Weise mit Social Media zu den Anfängen desJournalismus zurück, in der unser Beruf noch nicht über große Distributionsapparate verfügte.

Regel fünf: Der Journalist des Social-Media-Zeitalters muss da-mit leben, dass er nicht mehr der einzige und häufig auch nichtmehr der quantitativ stärkste Kommunikator ist. Er hat gleich-berechtigte Partner der Welt-Deutung erfahren, mit denen er imkonstanten Wettbewerb steht. Den hat er mutig anzunehmen,statt trotzig auf alten Vorrechten zu bestehen.

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4. Film, Games, Mobile

4.1. Storywelten Von Jörg Ihle

Storyworlds oder Storywelten ist ein Begriff, der in der heutigen Medienlandschaft immer häufiger verwendet wird. Im Grunde ist erselbsterklärend, er beschreibt Welten, in denen Geschichten statt -finden können. Doch wenn es an das Erschaffen einer Welt geht, andas nicht-lineare Geschichtenerzählen, dann merkt man schnell, dassman es mit einer sehr komplexen und ungewohnten Thematik zu tunhat. Komplex, da man, wie der Name schon besagt, komplette Weltenerschafft, ungewohnt, da wir aus einer Tradition des linearen Ge-schichtenerzählens kommen und daher meist in Charakteren, Plotsund Storys denken.Die Weltgeschichte ist voll von Storywelten, von den Sagen der altenGriechen und Ägypter über die Legenden um König Arthus, die Nibelungen und Grimms Märchen bis hin zu den modernen Mythenwie Star Wars oder Herr der Ringe. Storywelten sind dabei nicht nurfiktiv, sondern umgeben uns auch im Alltag: in der Bundesliga, derPolitik, der Werbung, aber auch im Glauben, erfüllen doch religiöseHeiligenschriften alle Kriterien einer Storywelt. Es liegt wohl in der Natur des Menschen, Welten erschaffen zu wol-len, um in diesen Abenteuer, Sehnsüchte, Wünsche und Träume er-leben zu können, die wir in unserer wahren, zwar wunderbaren aberauch furchteinflösenden Realität, oft nicht zu leben wagen. Erschaf-fene Welten sind aber nicht nur ein Ort der Zuflucht und des Eska-pismus, sondern auch ein notwendiges Mittel der Abstraktion für denKünstler, der durch die Distanzierung und Kreativität auf unterhalt-same und unscheinbare Art Inhalte vermitteln kann. Denn Storywel-ten können, wenn sie hochwertig und authentisch sind, ein Spielplatzfür die Seele sein, ein Ort, an dem unsere innere Welt der Gefühleund Bedürfnisse auf die sich ständig verändernde äußere Welt derUmstände treffen kann. Ein Ort, an dem Mythen, Sagen, Helden undLegenden geboren werden können.

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Als Autor für narrative Stoffe erschafft man automatisch immer wie-der neue Welten. Dabei fokussiert man sich nicht direkt auf die Welt,sondern auf das Geschichtenerzählen, auf die Charaktere, den Plot,die Story und bastelt dann, vielmehr entdeckt im Schreibprozess dieWelt drum herum. Oft bedarf dies einer Menge Recherche oder Krea-tivität, denn als Autor muss man seine Welt, in der man erzählt, in-und auswendig kennen, um nicht in Klischees und Unwahrheiten zuverfallen. Ein Großteil dieser Welt bleibt dem Leser oder Zuschaueroft unerschlossen, das bedeutet aber keineswegs, dass er unwichtigist. Im narrativen Erzählen, vor allem beim Film, kennt ein Autorbeispielsweise viele weitere Details der Backstory und der Charaktere,als im fertigen Script übrigbleiben. Das führt dazu, dass die Charak-tere authentischer werden, sich wie echte Menschen anfühlen unddaher Inhalte glaubwürdiger vermitteln können. Dasselbe Prinzip giltauch für das Weltenbauen. Je besser man eine Welt definiert, umsoauthentischer wirkt sie. Auch wenn viele Details, wie beim Eisberg,unter der Oberfläche versteckt sind, tragen sie jedoch den Teil, deroffenbart wird.

Das Bild des Eisbergs verdeutlicht das Verhältnis zwischen der Story,dem, was man erfährt, und der Storywelt, das, worin sie stattfindet.Eine Storywelt ist immer viel größer als die Geschichte, die in ihr er-zählt wird. Sie ist die 90 Prozent des Inhalts, der unter der Oberfläche

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Film, Games, Mobile

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versteckt ist. Um ein Script von ca. 120 Seiten zu schreiben, ist esfür einen Drehbuchautor üblich, mindestens 1000 Seiten zu füllen,bis alles authentisch und homogen ist, bis der Autor seine Welt wieseine Westentasche kennt.Wie wertvoll die versteckten 90 Prozent sein können, hat auchHolly wood entdeckt. Nicht nur der spektakuläre Disney-Star WarsDeal, bei dem die Storywelt von George Lucas für 8 Milliarden Dol-lar verkauft wurde, bestätigt das Potenzial einer Welt, auch die Tat-sache, dass es nun ganze Abteilungen bei den großen Agenturen inLos Angeles gibt, die sich darauf spezialisieren, aus vorhandenenWerken, Storywelten zu extrahieren, um diese für andere Werke aus-zuwerten. Etwas, was man aus der Comicwelt schon seit Jahrzehntenkennt, hat nun bei jeglicher Art von Inhalten Hochkonjunktur. Dieswirft zunehmend viele rechtliche Fragen nach dem Urheberrecht auf,welches die WGA (Writers Guild of America) im Moment für ihreAutoren klärt. So entwickeln die großen Hollywood-Studios nichtnur filmische Stoffe, sondern bauen ganze Welten, da diese in vie-lerlei Formaten ausgewertet werden können, aber auch gleichzeitigImmersion und Partizipation ermöglichen, was wiederum an dieMarke bindet.Das Entstehen von Storywelten ist heute also nicht mehr nur ein Bei-produkt des Geschichtenerzählens, sondern ein eigener Geschäfts-zweig, der losgelöst von der Story unter anderem Hintergründe, Re-geln, Bewohner, Settings und Konflikte definiert. Im Bereich Gamesist dies schon seit langem Praxis, da Spiele nur begrenzte Erzähl-möglichkeiten haben, dennoch aber komplexe Welten abbilden kön-nen. So wird die Welt u.a. durch das Design und seine Bewohner ver-mittelt, erzählt seine Geschichte durch die zahllosen Details, die alleauf einer Weltenidee bauen. Schließlich ist Storytelling nicht nur eineAngelegenheit des Plots und der Charaktere, sondern jedes Element,jede Fassade, jeder Baum, jede Textur, jede Requisite erzählt ebensoeine Geschichte und trägt somit zu einer koheränten Welt bei.Games bzw. die Gamification von Inhalten sind auch mitverantwort-lich für die steigende Wichtigkeit von Storywelten. Vor allem aberTransmedia, welches Geschichten einer Welt in verschiedenen For-maten erzählt, benötigt eine Storywelt, da diese die Grundlage desErzählens bietet.

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Denn Transmedia bedeutet Geschichtenerzählen in verschiedenen De-rivaten, wobei diese jedoch alle unabhängig voneinander konsumiertwerden können. Erlebt man sie aber als Ganzes, erschließt sich einemeine komplexere Welt. Am einfachsten lässt sich dies am Beispiel vonKrieg der Sterne erklären: Star Wars kann man heutzutage u.a. alsGame, Buch, Film oder der Fernsehserie konsumieren und muss dabeidas jeweils andere Format gar nicht kennen, um ein erfüllendes Erlebnis zu haben. Kennt man jedoch nicht nur die Fernsehserie, sondern auch die Filme, so gewinnen die Geschichten an Tiefe undBedeutung und erschließen größere Zusammenhänge. Transmediabedeutet nicht, dass man immer dieselbe Geschichte nur in einemanderen Format erzählt (Franchising), sondern dass jedes Format eineeigene Geschichte erzählt, die aus der selben Storywelt schöpft. Zusammengesetzt ergeben die Geschichten ein umfassenderes Er -zählen.

Weltenbibeln

Um den Kanon einer Welt zu wahren, sodass auch verschiedene Au-toren in verschiedenen Derivaten darauf zurückgreifen können, mussein klares Regelwerk definiert werden. Dieses Nachschlagewerk nenntman Worldbible oder Weltenbibel und legt alle notwendigen Defini-tionen fest, welche den Bestand der Welt definieren. Weltenbibeln

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können durchaus komplexe Dokumente sein, je nachdem wie um-fangreich die Welt ist. Im Falle von Star Wars, einem Universum, dasmittlerweile eine Zeitspanne von über 20.000 Jahren erzählt, bedarfes bereits mehrerer Personen, die über den Kanon wachen. Andere,kleinere Welten, lassen sich da schon in nur wenigen Seiten umfas-senden Dokumenten festhalten.

Die Komplexität einer Welt hängt stark von ihrem Konzept ab. Istdas Konzept archetypisch wie bei Pac-Man – es gibt keine großenEreignisse, keine umfangreichen Backstories und nur wenige Figurenund Regeln – so lässt sich die Weltenbibel in nur ein paar Seiten zu-sammenfassen. Aber gerade das Beispiel Pac-Man oder auch das ak-tuell erfolgreiche Spiel Angry Birds sind gute Beispiele für die Wich-tigkeit ausgeklügelter Storywelten, vor allem wenn einfache Spielein narrative Formate übertragen werden sollen, wie es einst mit Pac-Man geschah und nun mit Angry Birds geschieht. Denn hat der Er-finder dieser Welt keine eigene Weltenbibel geschrieben, muss dieseim Nachhinein extrahiert bzw. erfunden werden, was oft viel Zeitkostet und somit am Höhepunkt der Popularität einer Marke vorbei-schrammen kann. Im Falle von Pac-Man hat es geklappt, und dieMarke Angry Birds scheint auch groß genug geworden zu sein, umdie Dauer, bis der Hollywoodspielfilm herauskommt, überstehen zukönnen. Doch verpassen kleinere Brands hier oft den Anschluss,

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wenn es darum geht, sie in ein anderes Format zu übertragen undkeine Weltenbibel besteht. Vor allem in Zeiten von Transmedia, indenen schon von Anfang an mit mehreren Derivaten konzipiert wird,muss eine Weltenbibel als Grundlage erschaffen werden und vorhan-den sein. Gleiches gilt für Games, bei denen nur durch den ständigenAbgleich zwischen Storywelt und Spielemechanik ein erfolgreichesErgebnis erzielt werden kann.In der Praxis zeigt sich immer wieder, dass der Entstehungsprozesseiner Welt im Dialog mit dem Format stattfinden muss, denn kom-plett losgelöstes Weltenbauen, ohne schon mindestens eine Auswer-tung zu kennen, kann am Ziel vorbeischießen: Man erschafft eineWelt, die nachher keinen der gewünschten Derivaten oder Formatengerecht wird. Denn Welten besitzen auch eine spektrale Qualität, wel-che sich rückwirkend auf die Komplexität einer Welt auswirkt. Mankann hierbei in drei Kategorien unterteilen: Archetypische Welten,Allegorische Welten und Mythische Welten.

Archetypische Welten sind, wie der Name schon besagt, auf Arche -typen reduziert, die aufgrund ihrer leichten Erkennbarkeit zwar nichterklärt werden müssen, allerdings auch oft nur schwer zu erweiternund nur bedingt für narrative Auswertungen geeignet sind. Denn dieStärke einer archetypischen Welt liegt in ihrer Einfachheit, welchewiederum zu simplistisch für ein Geschichtsformat sein kann. Dahergibt es nur wenige Beispiele von archetypischen Welten, die überhaupt

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eine transmediale Auswertung erfahren haben. In den oben genanntenBeispielen ist dies auch nur der extremen Popularität der Marke ge-schuldet und nicht unbedingt der Verwertbarkeit des Inhalts.So bleibt zu vermerken, dass nicht jedes Format wie zum Beispiel einArcade Game auch gleichzeitig einen tollen Langspielfilm macht. Da-her sollte man nicht in die Falle tappen und bei der Entwicklung eines kleinen Spiels epische Weltenbibeln ausarbeiten, die dann oftdaran scheitern, dass sie versuchen, abstrakte Spielmechaniken durchnarrative Logik zu erklären. Nicht jedes Projekt eignet sich für Trans-media, und daher muss auch nicht jedes Projekt eine umfangreicheStorywelt zur Grundlage haben, die über Archetypen hinausgeht.Allegorische Welten zeichnen sich im Gegensatz zu ArchetypischenWelten durch komplexere Konflikte und Themeninhalte aus. Arche-typische Welten können buchstäblich von nichts handeln, wohingegensich Allegorische Welten symbolisch mit einer übergeordneten Ideebzw. Thema auseinandersetzen. Dadurch erfahren diese Welten Tiefeund Bedeutung, sind jedoch gleichzeitig auf einen bestimmten The-menkreis reduziert. Das Beispiel Jurassic Park verdeutlicht, dass esbei dem Konzept des Dinosaurierklonens immer um die Auseinander-setzung mit der ethischen Frage der Genmanipulation geht. JurassicPark ist daher eine moderne Frankenstein-Geschichte, eine Allegorie,welche die Frage nach dem „Gottspielen“ stellt und auch beantwortet.Wenn man nun die Welten von beispielsweise Die Tribute von Panemoder auch Twilight untersucht, so zeigt sich, dass diese Welten auf-grund des Konzeptes an ein Thema gebunden sind und daher nur begrenzt ausgewertet werden können. Denn hat man das Thema vonallen Seiten beleuchtet, wie in Twilight die Frage nach der Unsterb-lichkeit der Liebe, so gibt es nichts wirklich Neues mehr in diesemUniversum zu entdecken. Es bleibt daher bei ein paar Büchern oderFilmen. Die Weltenbibeln für solche Welten sind aufgrund der komplexerenKonflikte und Charaktere sowie der Themen und Backstories viel um-fangreicher als die der Archetypischen Welten. Man muss mehr erklären, Zusammenhänge darstellen, Ereignisse temporal festlegen(Timeline) und Hintergründe beleuchten. Eine Arbeit, die jeder Roman- oder Drehbuchautor kennt und die in dokumentarischenFormaten als Recherche betrieben wird.

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Mythische Welten

Zuletzt gibt es noch die Mythischen Welten, die sich im Gegensatzzu Allegorischen Welten nicht nur mit einem Themenkomplex aus-einandersetzen, sondern sich vielen oder gar allen großen Fragen derSinnhaftigkeit oder Erfüllbarkeit des Lebens stellen. Wie der Mythos,so sind diese Welten ein Spiegel der Psyche, aus dem sich die Spiel-regeln des Lebens ableiten lassen und Antworten auf die großen Mys-terien gefunden werden können. Daher fallen auch religiöse Schriftenunter diese Kategorie. Mythische Welten zeichnen sich durch spiri-tuelle oder philosophische Inhalte aus, sind meist episch dimensio-niert, beliebig erweiterbar und vielseitig interpretierbar. Am moder-nen Mythos Star Wars kann man erkennen, wie ansprechend auchheute noch mythische Welten sind und welch großes Verlangen nachbedeutsamen Inhalten herrscht. Teilweise verdrängen moderne undpopuläre Mythen sogar religiöse Inhalte, die aufgrund ihrer histori-schen Verhaftung für junge Menschen nur schwer zugänglich underfahrbar sind. Komplexe Mythische Welten sind eine Spielwiese fürzeitlose Inhalte, in denen Konflikte und Fragen des modernen Men-schen neu entdeckt und thematisiert werden können.Das Erschaffen einer Mythischen Welt ist ein sehr umfrangreicherProzess. Wie wir von Tolkien und Lucas wissen, kann es Jahre, garüber ein Jahrzehnt dauern, bis eine solche Welt zum Funktionierengebracht wird. Am Ende, bei erfolgreichem Abschluss, ist die Be -lohnung sehr groß, doch ist das Erbauen einer so komplexen Welt hohem Einsatz und Entbehrung geschuldet.Überambitionierte Produzenten oder Autoren seien daher gemahnt,„mal kurz“ eine Star-Wars-Welt bauen zu wollen. Um eine MythischeWelt erschaffen zu können, bedarf es nicht nur viel Zeit und Einsatz,sondern auch eines grundlegenden Verständnisses von Mythen, Ar-chetypen und Geschichte. Weltenbauen wie Geschichten erzählen,setzt nicht nur Kreativität und Inspiration voraus, sondern auch einTalent und Gespür für die Wechselwirkungen und Ereignisse, die ei-nen eigenen Kosmos definieren. Die Summe vieler Einfälle baut nochkeine funktionierende Welt, eine Welt bedarf einer inneren Logik undKausalität.

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Storywelten bauen

Wenn man vor der Aufgabe steht, eine Storyworld zu bauen, welchefür ein bestimmtes Format funktioneren soll und darüberhinaus auchtransmedial ausgewertet werden soll, so empfiehlt es sich, zunächsteinmal die sechs Hauptelemente einer Welt zu definieren.

Diese sechs Elemente setzen sich aus Konzept, Setting, Genre, Be-wohner, Regeln und Konflikt (YinYang) zusammen. Konzept be-schreibt ein Schlüsselereignis, welches die Voraussetzungen in derWelt maßgeblich verändert. Am Beispiel von Jurassic Park wäre esdas Ereignis, dass Menschen Saurier klonen können, im Falle vonSpiderman ist es die Tatsache, dass Peter Parker von einer Spinne ge-bissen wird und sich verwandelt. Das Schlüsselereignis markiert diewichtigste Veränderung innerhalb der Welt. Mit der Frage „was wärewenn“ lassen sich Konzepte am besten finden. Setting setzt sich aus einer temporalen wie geographischen Kompo-nente zusammen. Wann und wo spielt die Welt? Liegt sie in der Ver-gangenheit in einer weit, weit entfernten Galaxie? Oder spielt sie aufeiner unentdeckten Insel in den dreißiger Jahren (King Kong)? Ganzgleich wie man das Setting definiert, es muss sich konsequent durchalle Derivate durchziehen.Das Gleiche gilt auch für Genre. Wird das Genre einmal festgelegt,gilt es für alle Derivate der Welt. Genre kann aus einer Mischformvieler Genres bestehen, wie heute sehr üblich oder eines der vielenSubgenres sein. Kombiniert man jedoch zwei Welten, die jeweils ver-schiedene Genres haben, so entsteht eine neue Storywelt mit mögli-

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cherweise eigenem Genre. Als beispielsweise in den 80ziger JahrenIndiana Jones mit den Muppets vermischt wurde, entstand eine Zei-chentrickserie, die sowohl Action-Abenteuer als auch Komödie war.

Die Bewohner einer Storywelt können sehr unterschiedlich sein, vonsprechenden Spielzeugen hin zu Superhelden, Dinosauriern, Zombies,Werwölfen oder tanzenden Pinguinen. Sie bevölkern das Universum,geben der Welt eine emotionale Erfahrbarkeit. Ebenso gelten auchsignifikante Objekte, Pflanzen (man denke nur an die Fauna vonAvatar) oder jeder Gegenstand, der Emotionen transportieren kann,als Bewohner.Die Bewohner sind es auch, die der Welt eine gesellschaftliche Struk-tur verleihen und somit Konflikte auf drei Ebenen ermöglichen.

Auf der untersten Ebene stehen die persönlichen Konflikte und derKonflikt mit der Umwelt. Diese Bewohner sind personifiziert, sindalso vorhandene Charaktere, welche durch ihre Konflikte Emotionenausdrücken. Im Falle von Star Wars würden hier z.B. Luke Skywalkerauf der einen Seite und Darth Vader auf der anderen stehen.Auf der mittleren Ebene geht es um kulturelle, politische oder wirt-schaftliche Konflikte. Hier steht nicht das Individuum im Vorder-grund, sondern die Gemeinschaft, der Zusammenschluss von Inte-ressen. Im Falle von Star Wars IV-VI wären es hier die Rebellen unddas Imperium.Die oberste Ebene gibt der Welt noch eine spirituelle Dimension. Hiertreten Philosophien, Ideologien und Glauben in Konflikt. Am Beispielvon Star Wars stehen sich hier die Glaubenskonzepte der Jedi undder Sith gegenüber.

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Eine Welt, die alle drei Ebenen bedient, kommt einem Abbild der Rea-lität sehr nah und bietet daher ein sehr immersives Erlebnis. Fernerlädt eine Welt, die sich auch mit den großen Fragen der Existenz be-schäftigt, nicht nur zur Unterhaltung ein, sondern auch zur persön-lichen Auseinandersetzung mit der eigenen Weltanschauung. So be-geben sich Fans einer solchen Welt nicht nur zum Vergnügen oderaus Eskapismus in diese Welt, sondern auch, weil sie dort unter an-derem Fragen auf Antworten erhalten, die sie im alltäglichen Lebennicht finden.Zum Konflikt sei noch angemerkt, dass er, wie im Yin-und-Yang-Symbol dargestellt, nicht nur reine Konfrontation bedeutet, sonderneine Dualität darstellt, die beide Polaritäten braucht, um eine Einheitzu ergeben. Eine Welt strebt immer nach Ausgleich, so muss jederPol seinen Gegenpol haben. Hinzu kommt, dass immer ein Teil deseinen auch im anderen existiert. Wieder am Beispiel von Star Wars:Die dunkle Seite der Macht lebt nicht nur in Darth Vader, auch Lukehat sie in sich, verfällt ihr aber nicht, so wie Vader am Ende sichauch dem Guten in ihm wieder hingibt.Die Regeln einer Storywelt bestimmen alle Gesetzmäßigkeiten einesUniversums. Dabei wird in zwei Kategorien unterschieden: 1. Natur-gesetze und 2. Themen und Werte. Erstere umfassen alle Erklärungenfür die physikalischen und magischen Bestimmungen. Letztere gebeneiner Welt ihre Werthaftigkeit, Moral und Ethik. Das Thema bzw. dieThemen einer Welt müssen über alle Derivate konstant bleiben, sonstverletzten sie den Kanon. So siegt in Star Wars der Glaube an einehöhere Macht immer gegen die Technik, so hat das Klonen von Sau-riern in Jurassic Park immer negative Folgen.

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Beim Erschaffen einer Welt empfiehlt es sich, erst die sechs Elementeeiner Storywelt zu definieren. Dabei kann man mit jedem der Ele-mente beginnen und dann in beliebiger Reihenfolge alle weiteren definieren. Wenn man eine Welt pitcht bzw. kommunizieren will, bie-tet es sich immer an, erst das Konzept als Überbau vorzustellen. Sovermittelt man zunächst einmal, was besonders und anders an derWelt ist. Danach machen dann Setting, Genre, Konflikte und Ein-wohner mehr Sinn. Bombardiert man beim Pitchen einer Welt denZuhörer gleich mit Details, verliert dieser schnell den Überblick überdas Universum und findet sich nicht darin zurecht.

Ferner hilft die frühe Festlegung des Konzeptes auch dabei, die Größeund Komplexität des Universums einschätzen zu können. Denn Kon-zepte haben eine orbitale Anziehungskraft. Wie Planeten, die um dieSonne kreisen, kreisen Storys um das Konzept. Manche Konzepte,wie z.B. Jurassic Park oder King Kong, erlauben nur wenige Storys,bevor sie anfangen, sich inhaltlich zu wiederholen. Dies liegt daran,dass diese Konzepte (Menschen klonen Saurier, Riesenaffe überlebtauf vergessener Insel) nicht viele Variationen zulassen. Bei Star Warshingegen, dessen Konzept schlicht „Krieg im Weltall“ ist, bieten sichzahllose Inhalte an, die immer wieder aufs Neue interessant gestaltetwerden können. Vor allem, da alle drei Konfliktebenen gleichermaßenbedient werden und somit emotionale wie gesellschaftliche und auchgeistliche Themen behandelt werden können.

Ein aktuelles Erfolgsmodell, das die Wichtigkeit von Storywelten un-terstreicht, kommt aus dem Hause Lego. 2004 stand das Unternehmenam Rande der Pleite, bis durch viele Änderungen ein wundersamerWiederaufstieg gelang. Einen großen Anteil dieses Aufschwungs ver-dankt das Unternehmen den Storywelten, die es zum Teil selber ent-wickelte (Bionicle, Ninjago, Chima) oder einkaufte (Star Wars, Herrder Ringe, Harry Potter). Lego erkannte, dass sie nur bunte Bauklötzeverkaufen können, wenn sie dazu auch spannende Inhalte liefern.Inhalte, die auch in anderen Medien ausgewertet werden können undsomit die Marke aufwerten und cross-promoten. Der Plan ging auf.Heute ist Lego nicht nur Spielzeugfabrikant, sondern entwickelt auchsehr erfolgreich Videospiele, Brettspiele, Freizeitparks, Fernsehserien,Comics, Merchandisung und Online Content. Lego versteht sich heute

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nicht nur als Hersteller, sondern auch als transmedialer Geschichten-erzähler und Weltenbauer.Wie anfangs beschrieben, sind Storywelten nichts Neues. Es gibt sieschon seit Jahrtausenden, mal erzählen sie Heldensagen, mal be-schreiben sie die Entstehung der Welt, mal erzählen sie vom Lebennach dem Tode. An Faszination haben sie alle nicht verloren, da esaufregend bleibt, in sie einzutauchen, ihre Abenteuer zu erleben unddabei die eigene Fantasie anzuregen. Und genau das ist es, was eineerfolgreiche Storywelt ausmacht: Es macht Spaß, in sie einzutauchen,sie mitzugestalten, sich dort mit Gleichgesinnten zu treffen. Vor allemin der heutigen Zeit, in der Immersion und Partizipation immer wich-tiger werden, sind Storywelten als Grundlage unumgänglich.

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4.2. Vernetztes Erzählen mit einfachen Mitteln Von Egbert van Wyngaarden

Ein Publikum zu erreichen, ist heute leichter und zugleich schwierigerdenn je. Wie kann man mit einem Projekt auf allen Kanälen präsentsein und welche technische Plattformen unterstützen die neue Artdes Erzählens, die das notwendig macht?

Storytelling als Nutzererfahrung

Es gibt keinen Medienbereich, der nicht von der digitalen Revolutionund dem Internet verändert wird. Egal, ob man einen Artikel odereinen Roman publiziert, ein Videospiel oder einen Film gestaltet, einen Song veröffentlicht oder eine Werbekampagne durchführt: manmuss sein Unterfangen medienübergreifend darstellen und vermark-ten – und von vornherein so konzipieren, dass das möglich ist. Dabei ist es wichtig, strukturiert vorzugehen und eine Art aufbauendeLogik zu verfolgen. Das Publikum soll immer wieder etwas Neues zuentdecken haben. Da die Menschen die Medien zunehmend mobil,sozial, interaktiv und kreativ nutzen, müssen sie auf das Angebotauch Einfluss nehmen können. Es ist die Kunst, Freiräume dafür zuschaffen und die Leute zur aktiven Teilnahme anzuregen. Medienmacher, die sich vorher vielleicht noch damit begnügen konn-ten, in einem getrennten und geschützten Raum ihre Produkte her-zustellen, müssen sich heute als Geschichtenerzähler begreifen undauf Augenhöhe mit ihrem Publikum agieren. Eine Rückkehr zum Lagerfeuer, wo alle im Kreis zusammensitzen und jeder seine Stimmeerheben kann. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von „Liquid Content“.Es bezeichnet das, was im digitalen Zeitalter aus einer Geschichtewird. Sie löst sich von einzelnen Medien und einem einzigen Erzählerab und „verflüssigt“ sich. Die Story steht nicht mehr fest, sie hat kei-nen Anfang und kein Ende mehr. Liquid Content wird erzählt, indemer erfahren wird, und verändert sich mit jeder Erfahrung1. Ob das auch funktioniert? Gewiss. Die New York Times setzte neulichmit der interaktiven Reportage Snow Fall neue Maßstäbe in der Jour-nalistik2. Die als digitale Schnitzeljagd gestaltete Marketingkampagne

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Why So Serious bescherte dem Batman-Film The Dark Knight einender stärksten Kinostarts der Filmgeschichte3. Fernsehserien wie Lostund True Blood verlängern ihre Handlungsstränge schon längst inandere Medien4. Und die Coca Cola Company setzt auf eine „Liquid& Linked Content“-Strategie, um mithilfe der eigenen Kunden seineZuckerwässer zu bewerben5.

Multimedia, Transmedia, Crossmedia – Alles nur Wörter? Vernetztes Erzählen, so sollten wir das, was wir heute machen,nennen. Erzähler und Publikum stehen im ständigen Austausch,ergänzen sich, tauschen manchmal die Rollen. Die Mediennutzer(die man auch als „Prosumenten“ oder „Erlebende“ bezeichnenkann) schließen sich untereinander zusammen und bilden Com-munitys. Auch die Geräte, mit denen wir uns Zugang zu den Me-dien verschaffen, sind miteinander verbunden. Was bedeutendiese Phänomene fürs Geschichtenerzählen und für die Medien-produktion? Ein Modewort der 90er war Multimedia. Es bezeichnete die Kom-bination von verschiedenen medialen Inhalten (Text, Fotografie,Grafik, Animation, Audio und Video usw.), die mithilfe digitalerTechnologien aufbereitet und interaktiv zugänglich gemachtwerden6. Moderne Physik interaktiv erleben hieß damals ein sol-ches Projekt. Die neueren Begriffe Trans- und Crossmedia beschreiben die sys-tematische Verbreitung von Inhalten über unterschiedliche Me-dien und Plattformen hinweg. Der transmediale Ansatz setzt dabei auf eigenständige, wenn-gleich thematisch verwandte Auswertungen, die unabhängig voneinander konsumiert werden können7. Das Star Wars-Universum,das Filme, TV-Serien, Romane, Comics, Spiele, Merchandisingund jede Menge Fan-Content umfasst, ist eine transmediale Pro-duktwelt, die seit Jahrzehnten gewinnbringend betrieben wird. Crossmediales Erzählen findet statt, wenn Inhalte so aufbereitetund präsentiert werden, dass sie erst in ihren wechselseitigen Be-zügen ein bedeutungsvolles Gesamtbild ergeben8. Oft sind sieeinzeln nicht verwertbar. Die britische Zeitung The Guardian

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zeigt beispielhaft, wie mehrere Plattformen – Printausgabe, Web-seite, App – mit gegenseitig verstärkender Wirkung eingesetztwerden können. Beide Herangehensweisen schöpfen aus, was wir Erzählweltennennen. Eine Erzählwelt ist ein narrativer Rahmen, in dem eineVielzahl von Blickwinkeln und Geschichten möglich ist und des-sen Inhalt weit über die einzelnen Auswertungen hinausreicht.Das Publikum und die Art, wie es die Medien nutzt, werden ernstgenommen. Kommunikation, Dialog und Interaktion spielen einewichtige Rolle9. Da die verschiedenen Branchen unter Transmedia und Crossme-dia nicht immer dasselbe verstehen, ziehen wir den Begriff „Ver-netztes Erzählen“ vor. So oder so: es geht darum, dem Publikumintensivere Medienerfahrungen zu bieten. Die Menschen sollenin Geschichten eintauchen und sich aktiv mit einem Thema aus-einandersetzen können. Immersion, eben.

Konzeptionelle Ansätze: Warum, Wie, Was

Unsere Medienlandschaft wird immer komplexer, und die Möglich-keiten, Projekte medien- und plattformübergreifend zu gestalten, sindschier unbegrenzt. Wo also anfangen? Und wo aufhören? Nach wel-chen Kriterien soll man entscheiden, welche Inhalte wohin kommen?Das ist gar nicht so einfach. Der „Goldene Kreis“ von Simon Sinekkann uns helfen, eine Richtschnur zu finden. Sinek beschreibt in seinem Buch Start With Why10, wie große Füh-rungspersönlichkeiten und Firmen ihr Publikum bzw. ihre Kundenbegeistern. Sie tun das, indem sie in erster Linie eine Vision zumAusdruck bringen, die ihr Handeln motiviert. Mit diesem „Warum“soll sich die Gefolgschaft identifizieren. Die Umsetzung der Vision –das „Wie“ – und die konkreten Ergebnisse – das „Was“ – kommenan zweiter bzw. dritter Stelle. Diese drei Prinzipien, die zusammenden Goldenen Kreis bilden, können bei der Konzeption von vernetz-ten Erzählungen sehr hilfreich sein. Was Sinek das „Warum“ nennt, ist im digitalen Storytelling dasThema. Es ist der Leitgedanke, der die Vision des Erzählers ausdrucktund begründet, warum man sich mit dem Projekt auseinandersetzen

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soll. Das Thema muss das Zielpublikum etwas angehen und im Ideal -fall eine konkrete Bedeutung für seine Lebenswirklichkeit haben. Es ist nicht immer leicht, die „Warum“-Frage zu beantworten. Aberwenn die Kernidee nicht klar ist oder kein Mensch anspricht, ist esunmöglich, eine kohärente und ansprechende Erzählung zu gestalten. Die „Wie“-Frage bezieht sich auf die Welt, in der das Projekt ange-siedelt ist. Es handelt sich dabei um alle Elemente, die das Themanarrativ greifbar machen: Ansiedelung in Zeit und Raum, Settingund Milieu, inhaltliche Aspekte wie Vorgeschichte, Ereignisse undWerte. Es geht um Figuren und Figurenkonstellationen, um Blick-winkel, Erzählerperspektiven, Plots. Auch Look und Design bis hinzu Markenzeichen mit Wiedererkennungswert, wie das allgegenwär-tige Laserschwert von Star Wars, gehören dazu. Diese Elemente bilden zusammen die Erzählwelt (auf Englisch: Story -world) und das Grundlagendokument, in dem sie festgehalten wer-den, nennt sich die Bibel (Storyworld Bible) (siehe Kapitel „Story -welten“). Erzählwelten sind lange nicht nur fiktional. So macht esim Hinblick auf eine Auswertung auf multiplen Plattformen durchausSinn, auch dokumentarische und journalistische Projekte als Erzähl-welten zu begreifen. Bei der „Was“-Frage wird das alles dann konkret. Hier steht die Nut-zererfahrung im Vordergrund. Was soll das Zielpublikum erleben11?Welche erzählerische Inhalte gibt es, was findet als Event oder Auf-trag an die Fans in der Realität statt? Wie können die Leute mit derErzählwelt interagieren, z.B. in Form eines Spiels, und welchen Ein-fluss können sie durch ihre Partizipation auf sie ausüben? Die Nutzererfahrung lässt sich als mediale Reise (User Journey) be-schreiben, wobei sich verschiedene Stufen des Engagements und derNutzerbindung unterscheiden lassen. Wie erfährt das Publikum überdas Projekt? Was stachelt seine Neugier weiter an? Was ist das wich-tigste Erlebnis und wie lassen sich die Begeisterung und der Wunschnach Teilnahme der Mediennutzer kanalisieren? Auch gilt es, die Medienarchitektur zu definieren. Welche Inhaltepassen am besten zu welchem Medium? Über welche Einstiegstore(Rabbit Holes) kann der User in die Erzählwelt einsteigen und wiewird er von Plattform zu Plattform geführt?

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Praktische Ansätze: Sammeln, Spielen, Testen

Der narrative Bogen liegt beim vernetzten Erzählen nicht genau fest.Es gibt in den meisten Fällen zwar eine Erzählinstanz, die ordnendeingreifen und dramaturgisch strukturieren kann, aber diese bestimmt nicht alles. Andere Erzähler, oft die User, mischen mit12.Die Story gehorcht der Logik einer Datenbank, die über verschiedeneInterfaces individuell, nonlinear und nicht-chronologisch erschlossenwerden kann. Jeder User beschäftigt sich je nach Persönlichkeit, Temperament, Vorlieben und Interessen auf seine eigene Art mit dem Content. Dasheißt nicht, dass alle Mediennutzer komplett unterschiedliche Erfah-rungen machen müssen. Es geht eher darum, ihnen ein Gefühl vonFreiheit und Spontaneität zu vermitteln. Die User sollen sich emo-tional angesprochen fühlen und vergessen, welches Medium sie ge-rade nutzen13.

Wie baut man eine vernetzte Erzählung praktisch auf? In einem ersten Schritt muss man die Leitidee noch einmal genauausloten. Welche Aspekte sind mit dem zentralen Thema verbunden?Welche Assoziationen ruft es auf? Einfache Brainstorming- undMindmap-Techniken können dabei unterstützen14. Jeder Einfall istein möglicher Kristallisationspunkt für weiterführende Ideen. Auch lohnt es sich zu schauen, welches Material zum Thema schonvorhanden ist. Gibt es konkrete Elemente wie Texte, Grafiken, Fotos,Audiodateien, Videoclips, Landkarten oder Stadtpläne, Objekte usw.,welche die Leitidee oder Teilaspekte davon zum Ausdruck bringen?Diese Herangehensweise macht es möglich, eine Fülle an Inhalten zugenerieren und zu verstehen, wie das Material über verschiedene Medien und Plattformen hinweg verteilt werden kann. Im zweiten Schritt legt man die Bezüge zwischen den Inhalten fest.Wie bei den Sätzen einer Datenbank werden die einzelnen Elementemit Metadaten versehen, die es möglich machen, sie nach thema -tischen, formalen oder chronologischen Kriterien zu ordnen. Die Metadaten bestimmen, wie der User später mit dem Material intera-gieren wird. Indem man die Beziehungen zwischen den Datensätzen definiert(oder es sogar den Usern überlässt, das zu tun), entsteht der Rahmen,

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in dem die Erzählung stattfindet. Es handelt sich um eine offeneStruktur, die durch ihren interaktiven Charakter einladend und fes-selnd wirken kann. Auf Storyboards kann man die Verknüpfungen zwischen den verschiedenen Inhalten bildlich darstellen15. Storyboards sind auchhilfreich, um die Verteilung des Materials je nach Zeitpunkt und Dis-tributionskanal zu visualisieren und die Wege des Nutzers bei derNavigation zu veranschaulichen. Im dritten Schritt geht’s ans „Rapid Prototyping“. Man baut einfacheModelle von User-Interfaces wie Webseiten und Apps, um sie in einem frühen Stadium testen, verbessern und zur Not verwerfen zukönnen. Solche Prototypen lassen sich leicht mit Keynote oderPowerPoint herstellen16. Bei dieser interaktiven Art des Erzählens gilt: das Interface ist dieGeschichte. Eine besondere Herausforderung besteht darin, auf unerwartetes Nut-zerverhalten Rücksicht zu nehmen. Egal wie sorgfaltig man konzi-piert, plant und testet – es ist quasi unmöglich zu wissen, was dieUser letztendlich tun werden. Vernetzt erzählen heißt daher auch:improvisieren. Was eine lineare von einer nonlinearen Geschichteunterscheidet, ist eben das Unerwartete.

Fallstudie: EinsteinsEin Musterbeispiel des vernetzten Erzählens

Die Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt hat im Sommer2013 das Magazin Einsteins realisiert17. Zum Titelthema„Schwarz Weiß“ stellten die Studierenden des Bachelor-Studien-gangs Journalistik crossmediale Beiträge für Print, TV und Onlineher.Das Magazin umfasste eine Webseite und Profile in den sozialenMedien, eine Fernsehsendung und eine Printausgabe. „Ich betrachte Crossmedia als die Zukunft der Medien“, sagt Frie-derike Herrmann, die das Projekt als Professorin für Journalistikund Kommunikationswissenschaft begleitete.Einsteins sollte die jungen Journalisten einerseits mit den Eigenheiten und Workflows der verschiedenen Medien vertraut

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machen und ihnen andererseits die Möglichkeit geben, plattform-übergreifende Erzählungen reflektiert und spielerisch auszu -probieren. „Crossmediales Arbeiten lernt man nicht einfach über die Medien -nutzung“, sagt Herrmann. „Die Studierenden müssen da hinein -wachsen.“Zu diesem Zweck wurden Redaktionen gebildet, deren Mitgliederzu gleicher Zeit auch thematischen Gruppen angehörten. Print,Online und TV existierten in dieser Matrixorganisation nicht nebeneinander, sondern ergänzten sich in einem integrierten Arbeitsprozess.„Man kann mehr Spektren von einem Thema abbilden, als wennman nur ein Medium nutzt“, sagt Herrmann dazu. So könne einThema wie Farbblindheit im Internet visuell mit Bildern, im Printinformativ mit Hintergründen und im Fernsehen emotional inForm einer Reportage erfahrbar gemacht werden. „Die Studieren-den lernen dadurch begreifen, wie die Medien zusammenspielen.“ Über einen Ideenwettbewerb wurde auch das Publikum in dieGestaltung des Magazins mit einbezogen. Einsteins gibt es am Eichstätter Journalistik-Studiengang seit1991. Die Edition 2012 zum Thema „Heimat“ wurde zum erstenMal crossmedial gestaltet und bekam dafür den EuropeanNewspaper Award in der Kategorie Bestes Studentenprojekt.

Die Umsetzung: Werkzeuge und technische Plattformen

Wie nie zuvor wird das Erzählen heute von der Technik unterstützt.Transmedia-Vorreiter Lance Weiler spricht diesbezüglich sogar von„technology based storytelling“18. Die Möglichkeiten sind so viel -fältig und verlockend, dass man das Wichtigste leicht aus den Augenverliert: die Geschichte. Nur mit einer starken, gut erzählten Geschichte (und ist sie noch so einfach) kann man die Menschen erreichen. Trotzdem hilft es, als Erzähler zu wissen, was die Technik hergibt.Wer versteht, wie man digitale Medieninhalte generiert, verknüpftund präsentiert, tut sich leichter, eine passende Form und eine zeit-gemäße Publikumsansprache zu finden. Die Wahl der Werkzeuge soll

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aber von den Anforderungen des Projektes abhängig sein, nicht um-gekehrt. Grundlegende Überlegungen dabei sind, wie vorher schon erwähnt,welche Erfahrung die Mediennutzer machen sollen und mit welchemGrad der Interaktion. Kommen bloß eine oder mehrere Plattformenzum Einsatz? Wo nutzt das Zielpublikum die Medien und gibt esCommunitys, die in das Projekt mit eingebunden werden können,um die nötige Reichweite zu generieren? Zuerst einige Basics. Mit den Webseiten, die jeder kennt, kann manbereits Inhalte multimedial präsentieren und interaktiv gestalten. Solassen sich über Twitter und Facebook Romane oder Serien erzäh-len,19, 20 und Tumblr kann eine Storytelling-Plattform sein21. Einfache Geschichten mit Bildern erzählen kann man mit Storybird,das auch für Gruppenarbeit geeignet ist22. Eine nicht weniger effek-tive Darstellungsform bieten Audioslideshows, die man mit Film-schnittprogrammen herstellen kann23. Ein Tool, um Informationen ansprechend zu visualisieren, istInfogr.am24. Mit der Applikation Thinglink können Videos, Soundsund Texte in Fotos eingebunden und dadurch interaktive, klickbareBilder hergestellt werden25. Nonlineare Filme mit verzweigten Hand-lungssträngen lassen sich in wenigen Griffen über interaktive Schalt-flächen auf YouTube realisieren26. Wer digitale Echtzeit-Geschichten erzählen will, kann mit den Kura-tierungstools Storify oder Zeega arbeiten27, 28. Auf diesen Webseitenkann der User Inhalte aus den sozialen Medien neu zusammenstellen,mit zusätzlichen Text-, Video- und Bildelementen anreichern undz.B. als Webdoku präsentieren. Zeega und Storify eignen sich auchfür gemeinschaftliche Erzählprojekte.Mobile Endgerate wie Smartphones und Tablets ermöglichen orts -bezogene Erzählungen, Games und Apps, die mit personalisiertenGoogle Maps29 oder Programmen wie das zahlungspflichtige7 Scenes30 bzw. das sich noch in der Betaphase befindliche mvabl 31

hergestellt werden können. Augmented Reality, die computergestützte Erweiterung der Realitäts-wahrnehmung, lässt sich auch für narrative Zwecke und Gaming ver-wenden. Mit Scvngr 32, Metaio33, Layar 34 oder RidesTV 35 kann manBilder und Videos mit Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten

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überlagern. Die Interaktion zwischen der digitalen und der physi-schen Welt, deren Schnittstelle meist das Smartphone ist, eröffnetspannende erzählerische Perspektiven.Raffiniert, aber auch komplexer in der Handhabung, sind die Erzähl-tools Conducttr und Klynt, oder auch Storyplanet36 und Galahad 37,mit denen sich ausgewachsene Webdokus und Marketingkampagnenproduzieren lassen. Sie sind kostenpflichtig und erfordern, obwohlsie sich als unkomplizierte Werkzeuge für Geschichtenerzähler be-werben, oft die nötigen Programmierkenntnisse. Diese Containerprogramme können auch für trans- und crossmedialeProjekte eingesetzt werden, wobei der technische Zusammenschlussder verschiedenen Plattformen (gerade wenn Fernsehinhalte im Spielsind), nicht immer möglich ist. Beim crossmedialen Magazin Ein-steins wurde daher auf sie verzichtet. Es kamen nur die Publishing-Tools zum Einsatz, die auch monomedial sinnvoll waren.

Vernetzes Erzählen mit Conducttr und Klynt

ConducttrDie „pervasive entertainment platform“ Conducttr wird seit 2010vom Transmedia-Experten Robert Pratten betrieben38. Sie machtes möglich, interaktive Erzählungen unter Einbindung der sozia-len Medien zu realisieren. „Storytelling und Marketing wachsen immer enger zusammen“,sagt Pratten. „Geschichtenerzähler müssen sich überlegen, wie sieihr Publikum ansprechen und einbinden. Conducttr hilft dabei.“Multimediale Story-Elemente können auf der Plattform je nachDistributionsweg und -Zeitpunkt orchestriert werden. Dabei lassen sie sich sowohl mit Game-Tasks als auch mit Marketing-funktionen verbinden. Durch die Wechselwirkung zwischen derGeschichte und den sozialen Medien machen die User ebensopersönliche wie vernetzte Medienerfahrungen. Conducttr wirddaher auch von Community Managern genutzt.Conducttr ist html5-fähig und für mobile Anwendungen geeig-net. Eine Lizenz kostet 500 Euro im Jahr. Beispiele von Projekten, die mithilfe von Conducttr umgesetztwurden, sind The Roswell Experience39, die interaktive Webserie

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Ruby Skye PI 40 und die Bildungsinitiative Cosmic Voyage Enter-prises41. Hierzulande kommt die Plattform u.a. an der HochschuleDarmstadt zum Einsatz.

KlyntKlynt wird von der Pariser Produktionsfirma Honkytonk Films,einem Pionier im Bereich des interaktiven Dokumentarfilms, ent-wickelt42. „Die Idee für Klynt ging aus unserer eigenen Produk -tionstätigkeit hervor“, sagt Maria Gemayel, Projektleiterin beiHonkytonk Films. „Wir wollten interaktive Dokus machen, unddie vorhandenen Tools reichten dafür einfach nicht aus.“Zielgruppe sind Journalisten und Filmemacher, die marktfähigeWebdokus produzieren wollen, ohne dafür eigene Software -lösungen programmieren zu müssen.Im interaktiven Schnittprogramm kann man Videos, Ton, Fotosund andere Dateien miteinander verknüpfen und in verzweigteErzählungen umwandeln. Die Einarbeitung in die Software kostetetwa einen Tag. Klynt, das 2010 gelauncht wurde, funktioniert seit Anfang 2013auf html5-Basis. Das Programm kostet in einer Einzellizenz füreinen Rechner 150 Euro bzw. 500 Euro für die Premiumversion. Vorzeigeprojekte sind Iranorama43, Les Voyageurs (Die Reisen-den)44 und Versailles, l’autre visite (Versailles, der andere Be-such)45. Das Programm wird in Deutschland u.a. von der Deut-schen Welle benutzt.

Conducttr und Klynt sind wirkungsmächtige Tools. Was sie aberniemals ersetzen können, sind Talent, Ideenreichtum und dra-maturgisches Gespür. Wo die richtige Balance zwischen Interak-tivität und Linearität liegt, wird immer eine Entscheidung desErzählers bleiben.

Himmel & Hölle. Die digitalen Medien funktionieren wie ein Hüpf-spiel, das von allen Beteiligten – Erzählern und Publikum – Geschickund Einsatz fordert. Die Kunst des vernetzten Erzählens erlaubt es denMediennutzern, sorglos von Plattform zu Plattform zu springen undThemen, Figuren und Geschichten intensiv und interaktiv zu erleben.

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Es ist eine große Chance, in einer Zeit zu leben, in der diese neuenFormen des Storytellings gerade entstehen. Wir sollten diese Chancemit der größtmöglichen Experimentierlust aufgreifen. 1 Horx, M. (Hrsg.) (2011): Liquid Content. In: Trend Update, Nr. 12. Kehlheim:

Zukunftsinstitut, S. 24. 2 Snow Fall: www.nytimes.com/projects/2012/snow-fall.3 Why So Serious: www.youtube.com/watch?v=TqBuc7wR614.4 Vgl. Olek, D. (2013): Lost und die Zukunft des Fernsehens: Die Veränderung des se-

riellen Erzählens im Zeitalter von Media Convergence. Stuttgart: Ibidem Verlag.5 Coca Cola Liquid & Linked Content Strategie, siehe:

www.youtube.com/watch?v=LerdMmWjU_E.6 Issing, L. J. & Klimsa, P. (Hrsg.) (2002): Information und Lernen mit Multimedia

und Internet. Weinheim: Beltz, S. 3.7 Vid. Jenkins, H. (2007): Transmedia Storytelling 101. Persönlicher Blog des Autors,

http://henryjenkins.org/2007/03/transmedia_storytelling_101.html, abgerufenam 30.08.2013.

8 Vid. Mahrdt, N. (2009): Crossmedia. Wiesbaden: GWV Fachverlage GmbH, S. 17 ff. 9 Vid. Jakubetz, C. (2008): Crossmedia. Konstanz: UVK Verlagsgesellschaft mbH, S. 31.10 Simon, S. (2009): Start With Why. New York: Penguin Group. 11 Pratten, R. (2011): Getting Started in Transmedia Storytelling. Als PDF verfügbar

auf www.transmediastoryteller.com, abgerufen am 15.01.2012. Seite 52 ff.12 Siehe im Bereich Fernsehen Projekte wie Wer ist Thomas Müller (WDR 2013),

www.wer-ist-thomas-mueller.de, oder Everyday Rebellion (ORF/ZDF/ARTE2013), www.everydayrebellion.com.

13 Vid. De Leeuw, I (2012). Secrets of Interactive Filmmaking. The Creators ProjectBlog, http://thecreatorsproject.vice.com/blog/vincent-morisset-discloses-the- secrets-of-interactive-filmmaking, abgerufen am 30.08.2013.

14 Für Mindmapping siehe z.B. iMindMap von Thinkbuzan, http://thinkbuzan.com.Stift und Papier sind aber genauso hilfreich.

15 Storyboards können u.a. mit Indigo Studio (www.infragistics.com/products/in-digo-studio) hergestellt werden. Aber auch hier sind Stift und Papier nach wievor einfache, effiziente und billige Werkzeuge.

16 Siehe z.B. Keynotopia, www.youtube.com/watch?v=JZUsk5b_bNQ. WeiterführendeRapid Prototyping-Tools sind u.a. Balsamiq (http://balsamiq.com), Webzap(http://webzap.uiparade.com) und, eher für erfahrene Programmierer, Bootstrap(http://getbootstrap.com/2.3.2).

17 Einsteins 2013: http://einsteins-magazin.de/2013.18 Interview mit Lance Weiler in: https://vimeo.com/19167285, abgerufen am

30.08.2013.19 Beispiel Twitter-Roman: Sutler, http://bit.ly/14A6K7I, abgerufen am 30.08.2013. 20 Beispiel Facebook-Serie: 60 Sekunden, www.facebook.com/60secondes, abgerufen

am 30.08.2013.21 Beispiel Tumblr-Erzählung: Storyboard, http://storyboard.tumblr.com, abgerufen

am 30.08.2013.22 Storybird: http://storybird.com. Für ein Beispiel siehe: Have you caught it yet,

http://storybird.com/books/have-you-caught-it-yet, abgerufen am 30.08.2013.

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23 Für Audioslideshows siehe z.B. die Berlinfolgen von 2470 Media (hergestellt mitFinal Cut Pro), http://berlinfolgen.2470media.eu, abgerufen am 30.08.2013.

24 Infogr.am: http://infogr.am. Für Beispiele, siehe dort. 25 Zu Thinglink (www.thinglink.com), siehe Anonym (2013): Interaktive Geschichten

mit Fotos erzählen in: Fokus Online, 16.06.2013. Artikel abgerufen am 30.08.2013.26 Beispiel Interaktives Youtube-Video: Choose a different ending,

http://bit.ly/1fIOiyK, abgerufen am 30.08.2013. Eine Anleitung findet sich unter:www.youtube.com/watch?v=5S2gWaySCEA.

27 Zum Arbeiten mit Storify siehe: http://storify.com/tour. Beispiel eines „Storifys“:Lebenswelten: Here’s my Story (Bayerischer Rundfunk 2012),http://bit.ly/14AoMXH, abgerufen am 30.08.2013.

28 Für eine Anleitung zu Zeega siehe http://zeega.com. Beispiel eines „Zeegas“: Map-ping Main Street, www.mappingmainstreet.org, abgerufen am 30.08.2013.

29 Storytelling mit Google Maps, siehe: www.manace.ca/Assets/Documents/Storytel-ling+With+Google+Maps.pdf, abgerufen am 30.08.2013.

30 7Scenes: http://7scenes.com. Ein Beispielprojekt ist Best Scene In Town,http://7scenes.com/projects/best-scene-in-town, abgerufen am 30.08.2013.

31 mvabl: www.mvabl.com/index.php. Für ein Beispiel, siehe das Urban ChroniclesProject, http://digitaldebris.info/urban-chronicles, abgerufen am 30.08.2013.

32 Svngr: www.scvngr.com. Für ein Beispiel, siehe die Buffalo Wild Wings Kampa-gne, http://mashable.com/2011/06/01/scvngr-buffalo-wild-wings-campaign, ab-gerufen am 30.08.2013.

33 Metaio: www.metaio.com. Ein Vorzeigeprojekt ist Streetpainting 3D,http://www.streetpainting3d.com, abgerufen am 30.08.2013.

34 Layar: www.layar.com. Die Applikation kommt u.a. in einem Zusatzmodul desSpiels Snowboard Hero zum Einsatz, http://engt.co/17hD7vk, abgerufen am30.08.2013.

35 RidesTV, http://rides.tv. Mit Rides wurde z.B. das Drama Meridian gestaltet,http://rides.tv/meridian, abgerufen am 30.08.2013.

36 Storyplanet: www.storyplanet.com. Siehe auch das Beispiel 20 Years of Witness,www.witness.org.

37 Galahad: www.theshadowgang.com. Als Vorzeigeprojekt gilt Go Bzrk,http://gobzrk.com.

38 Conducttr / Transmedia Storyteller: http://www.tstoryteller.com. 39 Fallstudie zu The Roswell Experience: http://de.slideshare.net/ZenFilms/roswell-

case-study, abgerufen am 30.08.2013. 40 Ruby Skye PI (Story2.OH 2011), http://rubyskyepi.com. 41 Fallstudie zu Cosmic Voyage Enterprises:

http://www.slideshare.net/ZenFilms/transmedia-in-education, abgerufen am30.08.2013.

42 Klynt: www.klynt.net.43 Iranorama (France24 2013), http://webdoc.france24.com/iranorama-1/#INTRO-

DUCTION44 Les Voyageurs (Médecins du Monde 2013), http://lesvoyageurs.medecinsdu-

monde.org/#Prehome.45 Versailles, l’autre visite (TV5 2013), www.tv5.org/cms/chaine-francophone/cultu-

res/p-24817-Versailles.htm#Accueil.

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4.3. Monetarisierung im Mobile-Bereich Von Franziska Baur

Der Trend hin zu mobilen Endgeräten wird immer deutlicher. Mitt-lerweile besitzen 40 Prozent der Deutschen ein Smartphone, undauch Tablet-PCs werden immer beliebter. Wie rasant die Verbreitungvon mobilen Endgeräten an Fahrt gewonnen hat, lässt sich geradean den Verkaufszahlen des Jahres 2013 ablesen. Diese zeigen, dasssich in diesem Jahr 23 Prozent mehr Deutsche ein Smartphone ge-kauft haben als im Vorjahr.1

Für viele ist das Smartphone nicht mehr aus ihrem Leben wegzuden-ken. Es begleitet sie 24 Stunden am Tag: beim Aufstehen, dem Wegin die Arbeit, beim Lernen, Joggen, U-Bahn-Fahren, abends auf derCouch, im Restaurant oder in der Bar. Der mobile Alleskönner umgibtsie ständig und zu jeder Tages- und Nachtzeit, im Privat- und Be-rufsleben. Sie werden längst nicht mehr nur zum Telefonieren oderSMS Schreiben genutzt. Mit ihnen wird im Internet gesurft, es wer-den Videos angesehen, Fotos gemacht oder die Wegbeschreibung perGPS nachgeschaut. Und für alle anderen Lebenslagen, für die dasSmartphone selbst keine Funktion vorinstalliert hat, wird eine Appheruntergeladen. Die kleinen Miniprogramme erleichtern es Touris-ten, sich in einer fremden Stadt zu orientieren und dabei die schöns-ten Sehenswürdigkeiten zu finden, sie messen beim Sport den Pulsoder den Verbrauch an Kilokalorien, zeigen Verbindungen des öffentlichen Nahverkehrs an oder lassen das Smartphone zu einerTaschenlampe werden. Aus über 700.0002 Apps können die Nutzermittlerweile wählen, und täglich kommen neue hinzu. Herunterge-laden und genutzt werden die Apps von den Nutzern nur allzu gerne.Das lässt sich auch an Zahlen ablesen: Laut Bundesverband Infor-mationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e.V. (kurz:BITKOM) wurden 2012 mehr als 1,7 Milliarden Miniprogramme inDeutschland heruntergeladen. Im Vergleich zum Vorjahr ist das einWachstum von 80 Prozent3. Es verbreiten sich also nicht nur die mo-bilen Endgeräte, sondern auch die dafür entwickelten Minipro-gramme rasant. Mit dieser Entwicklung geht auch eine Veränderung der Mediennut-zug einher. Um sich über aktuelle Geschehnisse, die Zugverbindung

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oder das Wetter zu informieren, werden Apps auf dem Smartphoneoder dem Tablet-PC genutzt. Andere Medien, wie etwa Zeitungenund Zeitschriften, werden weniger genutzt und verlieren dadurch anReichweite. Trotz steigender Beliebtheit der Apps hat sich daraus bis-lang jedoch noch kein finanziell starker Markt entwickelt. Viele Appswerden kostenlos zum Download angeboten. Eine nennenswerte Ein-nahmequelle sind die Miniprogramme selbst also noch nicht. Daherstellt sich für viele Softwareentwickler, Content-Anbieter, wie etwaVerlage oder Telekommunikationsanbieter, und auch für die Werbe-wirtschaft die Frage, wie sie auf diesem neu entstehenden Markt Ein-nahmen generieren können. Darüber hinaus stellt sich die ganzgrundsätzliche Frage, wie Produkte oder sogar Geschäftsmodelle kon-zipiert sein müssen, um auf dem Mobile-Markt erfolgreich zu sein.Viele Fragen scheinen auf diesem jungen Gebiet noch ungeklärt. Grundsätzlich wird von drei Optionen ausgegangen, mit denen imMobile-Bereich Geld verdient werden kann: Mit Werbung und Spon-soring; mit direkten Verkaufserlösen wie etwa Abonnements oderdem einmaligen Kauf von Apps; oder mit Mobile-Commerce, alsodem Einkauf über das Smartphone oder den Tablet-PC.

Wachsendens Potenzial für die Werbeindustrie

An den wachsenden Verkaufszahlen von mobilen Endgeräten ist bereits jetzt schon abzulesen, dass dieser Bereich ein großes Werbe-potenzial mit sich bringt. Nicht nur weil die Geräte selbst sich ver-breiten, sondern auch, weil dadurch unzählige Lebensbereiche mitbeeinflusst werden. Durch sie verändert sich die Mediennutzung, dasKommunikationsverhalten und auch die Einkaufs- und Freizeitge-wohnheiten. Gerade für die Werbeindustrie ist der Mobile-Bereichdaher ein lukrativer Markt. Denn innerhalb dieses Wandels sind diemobilen Endgeräte derjenige Kommunikations- und Werbekanal, derdie Nutzer und potenziellen Konsumenten rund um die Uhr erreicht.Zusätzlich zu den bisherigen Werbeplattformen, bestehend aus denvier großen Säulen Print, Radio, TV und Online, kommt nun der Mobile-Bereich als fünfte Säule hinzu. Mit mobilen Endgeräten können einerseits eine hohe Werbeaufmerk-samkeit und hohe Klickraten generiert und andererseits eine werbe-relevante Zielgruppe angesprochen werden. Laut einer Statistik von

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Adello Deutschland, einer Niederlassung des gleichnamigen Schwei-zer Mobile-Advertising-Vermarkters, werden Werbeeinblendungenauf mobilen Endgeräten von Nutzern besser wahrgenommen als imOnlinebereich. Auf dem Smartphone oder dem Tablet-PC werdendemnach 19 Prozent der Werbeeinblendungen bewusst gesehen, imOnlinebereich lediglich 4,2 Prozent. Dieses Ergebnis kann sicherlichauch damit erklärt werden, dass sich das Auge des Nutzers mittler-weile an die Werbung im Onlineangebot gewöhnt hat. Es ist bereitsdarin trainiert, gewisse Werbungen auszublenden. Im Mobile-Bereichhingegen ist das Auge noch aufmerksam und nimmt Werbeeinblen-dungen besser wahr. Darüber hinaus erzielt die Werbung im Mobile-Bereich auch wesentlich höhere Klickraten. Und es wird davon aus-gegangen, dass bei den Mobile-Nutzern eine höhere Kaufabsicht beziehungsweise Kaufbereitschaft besteht. Es wird angenommen,dass fast fünf Prozent der Nutzer auch eine Kaufabsicht haben, wennsie auf eine Mobile-Werbung klicken, im gesamten Onlinebereich liegen die Schätzungen bei 1,2 Prozent.4 Das Werbepotenzial im Mobile-Bereich scheint demnach höher zu sein als im Online-Bereich.Weitere Untersuchungen zeigen, dass über mobile Endgeräte attrak-tive Zielgruppen erreicht werden. Der MAC Mobile-Report 2013/01von der Fachgruppe Mobile des Bundesverband Digitale Wirtschafte.V. (BVDW) geht davon aus, dass mehr als zwei Drittel der Mobile-Nutzer der werberelevanten Altersklasse zwischen 20 und 49 Jahreangehören. Aber obwohl sich das Potenzial des Mobile-Bereichs bereits deutlicherkennen lässt und auch die Prognosen davon ausgehen, dass derMarkt, gerade in den kommenden Jahren deutlich wachsen wird, in-vestiert die Werbewirtschaft derzeit noch verhältnismäßig wenig Geldin diesen Bereich. Im vergangenen Jahr flossen in Deutschland lediglich knapp 62 Millionen Euro in Mobile Display Ads und MobileApps5. Zum Vergleich: Der Online-Vermarkterkreis im Bundesver-band Digitale Wirtschaft (OVK) prognostizierte allein für das Jahr2013 Werbeausgaben im Onlinebereich in Höhe von 7,18 MilliardenEuro.6 Ein enorm großer Unterschied, der sich aller Voraussicht nachin den kommenden Jahren jedoch annähern wird. Denn zahlreichePrognosen gehen davon aus, dass gerade der Mobile-Bereich der -jenige Werbemarkt sein wird, der in den kommenden Jahren deutlich

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anwachsen wird. Der MAC Mobile-Report 2013/01 des BVDW gehtdavon aus, dass im Vergleich zum Vorjahr die Bruttowerbeinvesti-tionen im Jahr 2013 in den Mobile-Werbemarkt um 70 Prozent an-wachsen werden. Demzufolge würden die bereits erwähnten Aus -gaben in Höhe von 62 Millionen Euro hoch gehen auf 105 MillionenEuro.7 Die Branchen, die derzeit am meisten in den Mobile-Bereichinvestieren, sind die Automobil-, Telekommunikations- und Dienst-leistungsbranche, wobei die Automobilbranche mit knapp 20 Prozentder Mobile-Werbeausgaben mit Abstand am meisten investiert.8

Da sich die gesamte Mobile-Branche jedoch nur international be-trachten lässt, lohnt ein Blick auf den US-amerikanischen Werbe-markt. Dabei zeigt sich, dass die Entwicklungen bereits wesentlichweiter fortgeschritten sind. Gerade der Mobile-Commerce ist hier wesentlich stärker verbreitet als in Deutschland.

Veränderte Mediennutzung

Wie wichtig es für die Werbewirtschaft jedoch ist, ihre Strategie fürden Mobile-Bereich an das Verhalten der Nutzer anzupassen, zeigteine weitere Studie aus den USA. Sie betrachtet die Mediennutzungder Verbraucher im Jahr 2012 und stellt fest, dass diese wesentlichmehr ihre mobilen Endgeräte nutzen, als etwa Printprodukte. Gemes-sen an der gesamten Zeitspanne, die Nutzer mit Medien verbringen,entfallen zwölf Prozent auf den Mobile-Bereich. Und es ist davonauszugehen, dass sich dieser Trend, hin zu einer stärkeren Nutzungmobiler Endgeräte weiter fortsetzen wird. Der Mobile-Bereich ist der-zeit der einzige, dem hinsichtlich der Nutzung Wachstumspotenzialzugeschrieben wird. Diesen Beobachtungen zur Mediennutzung derVerbraucher stellt die Statistik die Werbeinvestitionen des Jahres2012 gegenüber. Dabei zeigt sich, dass die Investitionen in den Mobile-Bereich derzeit noch niedrig sind. Lediglich drei Prozent dergesamten Werbeausgaben flossen demnach in die Werbung für mobile Endgeräte – was etwa vier Milliarden US-Dollar entspricht.Verglichen mit den investierten 31 Milliarden Dollar in Onlinewer-bung ein recht kleiner Anteil. Aus all diesen Entwicklungen lässt sich schlussfolgern, dass das Po-tenzial des Mobile-Bereichs gerade dabei ist, sich zu entfalten undzu etablieren. Die Werbewirtschaft wird dieser Entwicklung in den

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kommenden Jahren noch weiter nachgehen. Denn: Wenn Konsumen-ten ihre Aufmerksamkeit in den Mobile-Bereich verlagern, verschiebtsich damit auch deren Kaufkraft. Und auf sie ist die Werbewirtschaftausgerichtet.

Einnahmen generieren im Games-Bereich

Nun stellt sich jedoch die Frage, in welchem Mobile-Angebot oderin welche App es sich zu investieren lohnt. Eine Möglichkeit bietethier der Games-Bereich. Games sind heutzutage längst kein Nischen-geschäft mehr, wie noch vor knapp zehn Jahren. Und da grundsätz-lich davon ausgegangen wird, dass der Spieleranteil zukünftig weiterwächst, können über Mobile-Games auch zunehmend mehr Spielerund potenzielle Kunden erreicht werden. Spiele wie Angry Birds oderClouds&Sheep haben in den vergangenen Jahren gezeigt, wie vieleNutzer sie begeistern können und wie groß das Potenzial von Mobile-Games bereits ist. In den kommenden Jahren, so eine Prognose der Management- undTechnologieberatung Mücke, Sturm & Company, wird der Umsatz mitMobile-Games in Deutschland deutlich steigen. Dabei wird geradeder Freemium-Bereich – oder auch Free-to-play-Bereich genannt –eine erhebliche Rolle spielen.

Freemium-Spiele

Freemium-Spiele sind als kostenlose Apps konzipiert und finanzierensich meist über Werbung, daran anschließenden Mobile-Commerce– also Einkäufe, die über das Smartphone oder den Tablet-PC getätigtwerden – oder den Kauf von In-Game-Währung, also virtueller Spiel-Währung. Bei den kostenpflichtigen Spiele-Apps (Pay-per-Use) wirddavon ausgegangen, dass die Einnahmen zurückgehen werden. Dasgrößte Potenzial wird in Freemium-Spielen gesehen. In der Vergangenheit wurden Einnahmen mit Mobile-Games meistnur einmalig generiert und zwar beim Verkauf des Spiels. Mit diesemModell musste der Spieleentwickler stets Neukunden ansprechen, umsich finanzieren zu können. Der Kunde auf der anderen Seite hatteein Spiel, das weder weiterentwickelt noch upgedatet wurde. Mit denFreemium-Spielen kann der Spieleentwickler nun mit dem Einblen-den von Werbung kontinuierlich Umsatz generieren. Dem Spieler auf

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der anderen Seite wird ein gratis Spiel, in Form einer downloadbarenApp angeboten, die ständig überarbeitet und upgedatet wird. Im Gegenzug für diese kostenlose Leistung nimmt er in Kauf, Werbunganzusehen. Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit in Freemium-Spielen sind dieIn-Game-Verkäufe. Bei diesen kaufen sich die Spieler in einem, imSpiel integrierten Shop, virtuelle Spiel-Währung oder Zusatzinhalte.Diese ermöglicht es, etwa eine Ausrüstung oder eine besondere Fähigkeit für die eigene Spielfigur zu erwerben.Etwa seit dem Jahr 2010 setzt sich die Freemium-Variante von Mobile-Games verstärkt durch. Im Zuge dessen haben sich auch im-mer mehr Start-ups gegründet, die sich im Bereich Mobile-Werbungspezialisierten, dazu gehören etwa Millenialmedia, Chartboost, In-mobi oder Flurry und viele andere mehr. Einige dieser Start-ups sindmittlerweile von großen Firmen, wie etwa Google, übernommen wor-den, die deren Potenzial bereits frühzeitig erkannt haben. Zunächstweiteten viele Spieleentwickler ihr Angebot auf ein Paid- und eineFreemium-Variante aus. Als sich jedoch immer deutlicher abzeich-nete, dass in Zukunft mehr Umsatz mit Freemium-Spielen generiertwerden kann, stiegen immer mehr Anbieter auf diese Variante um,und der Bereich wuchs weiter an. Und seit Aufkommen desSmartphones erlebt die Branche einen enormen Aufschwung. Ange-bot und Nachfrage schnellten in die Höhe. In den USA wurden bereitsim ersten Halbjahr 2011 65 Prozent der Games-Einnahmen durchkostenlose Spiele gemacht.9

Beispiel HandyGames

Auch das unterfränkische Unternehmen HandyGames entschied sich2010 für den Freemium-Bereich. Einnahmen generierte es über Wer-bung und In-Game-Verkäufe. Heute zeigt sich, dass diese Strategiegerade im Games-Bereich durchaus erfolgreich läuft. Durchschnitt-lich, so der Firmenchef und Gründer Christopher Kassulke, registriertdas Unternehmen derzeit 150.000 Downloads täglich und jeder tausendste Download weltweit bei Google Play – mit dem Betriebs-system Android – ist ein Spiel von HandyGames.Im Wesentlichen funktioniert das Konzept wie folgt: HandyGamesbietet rund 20 aktuelle Spiele an, die von Anfang an als Freemium-

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Spiele konzipiert sind. „Man kann nicht in jedes beliebige Spiel Wer-bung erfolgreich platzieren. Es muss zum Gesamtkonzept passen. Nurso kann man erreichen, dass das Spiel bei den Nutzern ankommt undsie es mit einem hohen Kundenrating von mindestens vier von fünfSternen bewerten und es dadurch zu einem hohen Wiederspielwertkommt“, sagt Christopher Kassulke, Gründungsmitglied und Ge-schäftsführer von HandyGames. Gerade die Spielbewertung durchden Nutzer und die Frage, wie häufig er ein Spiel wieder spielt, sindfür den Freemium-Bereich wichtige Faktoren. Um in diesen beidenBereichen gut abzuschneiden und, um die Zufriedenheit des Spielerszu sichern, werden die Spiele von HandyGames ständig upgedatet,gewartet, weiterentwickelt und betreut. Aus Erfahrung wissen dieEntwickler, nur wenn das Spiel gut durchdacht ist, alle Spieloptionenfunktionieren und es zu keinen Komplikationen kommt, ist der Spie-ler zufrieden und spielt öfter. Und genau das ist das zu erreichendeZiel bei Freemium-Spielen, um auch für Werbekunden attraktiv zusein. Für die Werbeindustrie heißt das: Wird ein Spiel häufig gespielt,wird auch darin platzierte Werbung häufig gesehen, und die Reich-weite steigt. Spielt der Nutzer hingegen nur ein einziges Mal und istdanach möglicherweise unzufrieden, frustriert oder enttäuscht, ist ermit hoher Wahrscheinlichkeit als Spieler und damit auch als Werbe-rezipient verloren. Die In-Game-Käufe als Einnahmequelle sind eng gekoppelt mit dervirtuellen Spiel-Währung, auf der jedes Freemium-Spiel fußen sollte.Mit dem Verkauf von virtueller Spiel-Währung kann einerseits ansich Geld verdient werden. Andererseits können damit Anreize fürden Spieler geschaffen werden, sich Werbeeinblendungen anzusehen,beispielsweise wenn ihm als Gegenleistung ein gewisser Betrag anSpiel-Währung in Aussicht gestellt wird. Und auch für Werbung, diemit einer Art Belohnungssystem (Rewarded Actions/Rewarded Mo-ments) arbeitet, ist die Spiel-Währung ausschlaggebend. Auch wennein Spieler sich gegen jegliche Werbeeinblendungen im Spiel ent-scheiden möchte, spielt die In-Game-Währung eine Rolle. Dann hater die Möglichkeit, die Werbung auszuschalten – gegen die einmaligeZahlung eines Betrags von etwa zwei Euro. Bei In-Game-Käufen istebenso auf die Zufriedenheit der Spieler zu achten. Die Entwicklervon HandyGames haben festgestellt, dass dafür sowohl eine einfache

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Zahlungsabwicklung nötig ist, als auch die optische Einbettung desShops in die restliche Spielgrafik. Unterscheidet sich der Shop zu sehrvon der Gestaltung des restlichen Spiels oder gestaltet sich der Zahlungsvorgang zu kompliziert, besteht wiederum die Gefahr, denSpieler zu verlieren. Wie oft und an welcher Stelle Werbeeinblendungen möglich und sinn-voll sind, hängt stark vom jeweiligen Spiel ab. Ist das Spiel in unter-schiedliche Levels unterteilt, bietet sich eine längere Werbeeinblen-dung jeweils nach dem erfolgreichen Abschluss des Levels an, bevordas nächste startet. Bei Endlosspielen ist es schwieriger, eine Werbungeinzublenden, die den gesamten Bildschirm in Anspruch nimmt. Ge-gebenenfalls muss nach sinnvollen, aber nicht zu häufig getaktetenUnterbrechungsmöglichkeiten gesucht werden. HandyGames habe dieErfahrung gemacht, so Christopher Kassulke, dass bei Endlosspielendurchaus alle zehn Minuten ein Werbespot eingeblendet werdenkönne. Kleinere Werbeeinblendungen, wie etwa ein Werbebanner,werden bei HandyGames permanent eingeblendet, der Werbeinhaltwechselt alle 60 Sekunden. Diese Anzeigen erscheinen meist am Bildschirmrand und unterbrechen daher nicht das Spiel. Um heraus-zufinden, an welchen Stellen Werbeeinblendungen sinnvoll platziertwerden können, sind langfristige Optimierungs- und Controlling-Pro-zesse nötig. Zu Beginn des Jahres 2013 bot das Unternehmen HandyGames 350Millionen Werbeplätze in seinen Spielen an. Darunter Werbebannermit Textinhalt oder eingeblendete Grafiken am Bildschirmrand, bishin zu 60-sekündigen Videoclips. Selbstgesetztes Ziel des Familien-unternehmens ist es, in naher Zukunft diese Zahl auf eine MilliardeWerbeplätze zu erhöhen. Derzeit klicken durchschnittlich etwa zweiProzent der Spieler auf eingeblendete Werbung von HandyGames.„Das mag zunächst nach nicht sonderlich viel klingen. Der Online-Bereich würde sich jedoch freuen, wenn er eine so hohe Beteiligungs-rate verzeichnen könnte“, so Kassulke.

Varianten, um In-Game-Werbung zu platzieren

Videos: Wie bei der Fernsehwerbung auch, können Video-Werbe-spots in Mobile-Games eingeblendet werden. Allerdings ist daraufzu achten, dass das Spiel nicht zu sehr von der Werbung unterbro-

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chen wird. Die Platzierung der Videoclips muss vielmehr dem Spiel-fluss angepasst sein – beispielsweise am Ende eines Spiel-Levels. Hier,so die Erfahrung von Christopher Kassulke von HandyGames, akzep-tiert der Spieler die Werbeeinblendungen. Damit erhöht sich auch dieWahrscheinlichkeit, dass er den Werbespot tatsächlich ansieht undnicht, wenn dies möglich ist, wegklickt. Würde ein Werbespot plötz-lich während des Spielflusses aufpoppen, besteht die Gefahr, dass derSpieler verärgert ist, den Werbespot nicht ansieht und im schlimms-ten Fall das Spiel verlässt oder das Spiel gar nicht mehr spielt. Danngeht er jedoch sowohl den Spieleentwicklern als auch dem Werbe-kunden verloren. Im Prinzip sollte der Videoclip also wie eine Wer-bung im Radio oder Fernsehen platziert werden – an sinnvoll ausge-wählten Stellen. Das Prinzip ist das gleiche: Der Konsument siehtsich Werbung an, um das eigentliche Programm, bestehend aus Fil-men, Nachrichten, Radiobeiträgen oder Musik anhören zu können.Die Platzierung des Videos ist also ein wichtiges Kriterium, um er-folgreich die Zielgruppe zu erreichen. Ein weiterer, damit verbunde-ner Punkt ist der, einen Anreiz für den Spieler zu schaffen, sich dieWerbung tatsächlich anzusehen. Wie bereits erwähnt, ist es denkbar,dem Spieler einen Spielvorteil in Aussicht zu stellen, wenn er sicheinen Werbespot ansieht. Das kann etwa ein gewisser Betrag an In-Game-Währung sein. Wann derlei Optionen im Spiel angeboten wer-den, ist auszutesten. Die Entscheidung, wann ein Werbespot angese-hen wird, kann grundsätzlich aber auch dem Spieler selbst überlassenwerden. Er legt den Zeitpunkt fest, wann er den Spielfluss unterbre-chen und Werbeeinspielungen ansehen möchte – um anschließendeine Gutschrift der In-Game-Währung zu erhalten. Banner: Die derzeit am häufigsten verwendete Werbeeinblendung inMobile-Games ist die sogenannten Banner-Werbung. Diese Grafik-einblendung kann wiederum in statischer, animierter oder interakti-ver Form in das Spiel eingebunden werden. Sie alle funktionierenwie ein Hyperlink. Klickt der Spieler auf das Banner, wird er an denWerbeanbieter oder zu dem beworbenen Produkt weitergeleitet. Dasstatische Banner ist wie eine Art Werbeplakat mit Grafik und Werbe -text, das am Bildschirmrand eingeblendet wird oder sich gegebenen-falls auch über den gesamten Bildschirm legt. Das animierte Bannerbewegt sich darüber hinaus. Wird beispielsweise ein Softgetränk be-

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worben, könnten etwa Getränketropfen außen am Flaschenhals he-rabperlen, um das Getränk für den Spieler verlockender aussehen zulassen. Im Vergleich zu einer statischen Einblendung wird hier zudemdie Aufmerksamkeit für das Auge des Betrachters deutlich gesteigert.Das interaktive Banner ist eine weitere Fortführung der beiden bereitsgenannten Banner-Werbeformen. Diese versucht den Spieler direktanzusprechen und damit interaktiv in die Werbemaßnahme einzu-binden. Um beim bereits genannten Softgetränke-Beispiel zu bleiben,würde dies bedeuten: Die eingeblendete Getränkeflasche bewegt beziehungsweise wackelt so auffällig auf dem Bildschirm hin undher, dass sie den Spieler dazu anreizt, sie anzuklicken, um eine wei-tere Animation auszulösen. Dies könnte etwa das Aufspringen desFlaschenverschlusses sein. Ziel der Interaktion ist es, die Marke oderdas beworbene Produkt möglichst gut erinnerbar für den Spieler zumachen. Offer-Wall: Bei dieser Variante wird dem Spieler eine Übersicht überWerbeangebote und damit verbundene Spielvorteile geboten. Ausdieser Liste kann der Spieler selbst auswählen, ob und welches Wer-beangebot er annehmen möchte. Für das Ansehen eines Werbespotsoder das Installieren eines speziellen Webbrowsers kann er beispiels-weise einen gewissen Betrag an In-Game-Währung gutgeschriebenbekommen. Aus der Übersicht wird ersichtlich, welche Vorteile sichfür den Spieler ergeben können. Die Entscheidung, ob er dieses An-gebot annehmen möchte, steht ihm frei.Full-Screen Interstitial: Diese Werbeeinblendung deckt den gesam-ten Bildschirm ab. Nichts desto trotz ist sie in die grafische Optik desSpiels integriert. Im Hintergrund kann etwa transparent das Spielfelddurchscheinen. Dadurch soll der Spieler das Gefühl haben, sich im-mer noch im Spiel zu befinden und nicht auf einer externen Werbe-plattform. Ebenso wie der Videowerbespot wird auch der Full-ScreenInterstitial möglichst nach einem abgeschlossenen Level eingeblendetund nicht während des Spielflusses. Trueview: Eine neue Werbevariante ist die der Trueview-Anzeige.Sie ist bereits von YouTube bekannt. Im Mobile-Games-Bereich setztsie sich jedoch erst allmählich durch. Hier wird dem Spieler überlas-sen, ob er den eingeblendeten Werbespot ansehen möchte oder über-springen will. Fühlt sich der Spieler durch die Werbung gestört, kann

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er mit einem Klick den Werbespot abbrechen. Diese Option hat so-wohl für den Spieler als auch für den Werbekunden Vorteile. DerSpieler sieht nur dann Werbung, wenn er sich dazu entscheidet, undder Werbekunde wiederum zahlt nur dann für die Werbeeinblendun-gen, wenn diese tatsächlich auch angesehen werden.

Weitere Trends

Rewarded Actions: Diese Werbemaßnahmen basieren auf einem Be-lohnungssystem. Teilweise werden sie auch als Rewarded Momentsbezeichnet. Immer wenn ein Spieler ein Level oder eine schwierigeAufgabe im Spiel gemeistert hat, wird er belohnt. Unmittelbar nachdem Erfolg wird ihm zu seiner Leistung gratuliert – und zwar voneinem Werbekunden, beispielsweise dem Netzanbieter. Als Anerken-nung schenkt dieser dem Spieler einen gewissen Betrag an In-Game-Währung. Durch diese direkte Ansprache und das Geschenk wirbtder Netzanbieter für sich selbst. Game tie-ins: Bei dieser Variante werden zwei bestehende Markenmiteinander verbunden: Zum Beispiel ein bestehendes und bereitsetabliertes Spiel mit einer bestehenden Marke, etwa aus dem Comic-Bereich. Dies bietet sich beispielsweise dann an, wenn ein neuer Comic-Film beworben werden soll. In einer erweiterten Version desbereits etablierten Mobile-Games kann die Comic-Figur miteinge-bunden werden. So dass nun nicht mehr eine unbekannte Hauptfigurdurch das Spiel führt, sondern die Comic-Figur, ausgestattet mit ihrentypischen Requisiten und Charaktereigenschaften. Diese Cross-Pro-motion bietet beiden involvierten Partnern die Chance, ihr Produktbekannter zu machen. Im Falle des hier genannten Beispiels also dasSpiel beziehungsweise den Comic-Film. Denn: Die Fans des Comic-Films werden auf das Spiel aufmerksam und die bereits aktiven Spie-ler auf den neuen Film. Bei dieser Variante wird das Spiel selbst andie Wünsche des Werbekunden angepasst. Die Werbung ist kein separates Element mehr, sondern Teil des Spielinhalts geworden. Branded-Games: Ebenso wie bei den Game tie-ins wird auch bei denBranded-Games das Spiel selbst zur Werbemaßnahme. Es wird ex-plizit ein neues und eigenständiges Werbespiel konzipiert, entworfenund programmiert. Dieses soll eine gewisse Marke (engl. Brand) oderein Produkt bewerben. Der gesamte Spielaufbau und -ablauf ist in

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Optik, Inhalt und zu erreichendem Ziel auf die definierte Zielgruppedes Werbekunden ausgerichtet. Spieleentwickler können hier anGrenzen stoßen, beispielsweise dann, wenn das Spiel eng an das zubewerbende Produkt gebunden ist. Darüber hinaus ist zu überlegen,wie sinnvoll eine solche Option hinsichtlich der Werbereichweite istund ob über diese Variante tatsächlich Neukunden angesprochenwerden. Nicht zu unterschätzen ist zudem, wie viel Know-how undErfahrung hinter der Entwicklung eines Freemium-Spiels für den Mobile-Bereich steckt und dass die Arbeit mit dem Entwickeln undProgrammieren längst nicht abgeschlossen ist. Gerade bei Freemium-Spielen ist es ungemein wichtig, das Spiel bekannt zu machen undvon zufriedenen Spielern gute Bewertungen zu erhalten. Stuft derSpieler das Branded-Game letztendlich als unattraktiv oder langwei-lig ein, kann sich die Werbemaßnahme auch negativ auf die Markeoder das Produkt auswirken. Sinnvoller kann es daher sein, auf bestehende Games-Infrastruktur und eine bestehende Spielerschaftzurückzugreifen, um Werbung zu platzieren. Radiowerbung: Ebenso wie im Radioprogramm, kann auch in einMobile-Game ein hörbarer Werbespot oder tatsächlich ein Radiower-bespot eingebaut werden. Wiederum nach einem Level könnte diesereingespielt werden und den Spieler anschließend dazu auffordern,das Handy, Smartphone oder Tablet zu schütteln, um mehr Informa-tionen zu erhalten. Mit dieser Schüttel-Bewegung wird der Spielerautomatisch zur Werbeplattform des Produktanbieters weitergeleitet.

Chance eines neuen Marktes

Ob und welche der genannten Werbeideen sich durchsetzen werden,bleibt abzuwarten. Deutlich ist jedoch, dass es zahlreiche einfallsrei-che Ideen und Variationen gibt, um im Mobile-Bereich Geld zu ver-dienen. Die Tatsache, dass die meisten Apps gratis angeboten werden,muss noch lange nicht bedeuten, dass sich über sie keine Einnahmengenerieren lassen können. Für viele Beteiligte bedeutet das jedochwiederum, dass sie die Möglichkeiten im Mobile-Bereich besser ken-nenlernen sollten. Dazu gehört es auch, die Zielgruppe besser zu erfassen, die über mobile Endgeräte zu erreichen ist; deren Medien-nutzugs-, Kommunikations-, Einkaufs-, und Freizeitverhalten. Obin einem Mobile-Game integriert oder in einer anderen App, der

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Mobile-Bereich kann vielen Sektoren eine Werbeplattform bieten –und zwar nicht nur für branchennahe Sektoren. Es kann beispiels-weise eine Möglichkeit sein, um Nachwuchskräfte und Auszubildendefür Betriebe zu gewinnen. Denn: Gerade junge Menschen bewegensich immer mehr in der mobilen und nicht in der analogen Print-Welt. Über das Smartphone sind sie also wesentlich einfacher zu er-reichen, als über eine Zeitungsannonce. Aber auch für Zeitungen undVerlage selbst können im Mobile-Bereich Einnahmequellen entste-hen. Der britische Guardian10 beispielsweise bietet seinen Lesern mitt-lerweile zwei App-Varianten an. Eine kostenlose, in der Werbungenthalten ist und eine kostenpflichtige Version für 69 Pence, also inetwa 0,80 Euro, pro Monat. In dieser ist keine Werbung eingeblendet.Die Nutzer können frei wählen, für welche Variante sie sich entschei-den möchten. Es scheint fast so, als würde die Werbung auf mobilen Endgerätendie Werbebranche, zumindest bis zu einem gewissen Grad, revolu-tionieren. Sie bringt nicht nur alle bisherigen Werbekanäle zusam-men, sondern sie belebt die Branche auch mit neuen, innovativenIdeen.

1 http://www.mediabiz.de/games/news/26-mio-verkaufte-smartphones-in-deutsch-land-2013/337741?NL=gmd&uid=m24069&ausg=20130909&lpos=InV_1

2 http://www.mopo.de/nachrichten/kostenlos-und-praktisch-die-besten-gratis-apps-fuers-smartphone,5067140,21431040.html

3 http://www.mediabiz.de/games/news/bitkom-app-nachfrage-steigt-sprunghaft/331184

4 http://de.adello.com/portfolio_1/online-vs-mobile/5 http://www.adzine.de/de/site/artikel/8429/mobile-marketing/2013/04/2013-105-

millionen-euro-mobile-werbevolumen6 http://de.statista.com/statistik/daten/studie/71809/umfrage/entwicklung-der-on-

line-werbeausgaben-in-deutschland/7 http://www.adzine.de/de/site/artikel/8429/mobile-marketing/2013/04/2013-105-

millionen-euro-mobile-werbevolumen8 http://www.adzine.de/de/site/artikel/8429/mobile-marketing/2013/04/2013-105-

millionen-euro-mobile-werbevolumen9 http://t3n.de/news/free-apps-vs-paid-apps-womit-lasst-mehr-geld-verdienen-

319808/10 http://www.mobilemarketingmagazine.co.uk/content/guardian-offers-ad-free-

option-android-and-adds-ads-ios

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Interview mit Christopher Kassulke(Franziska Baur)

Christopher Kassulke ist CEO vonHandyGames. Sein Unternehmen inGiebelstadt bei Würzburg erwirtschaftetseinen Umsatz insbesondere durch mo-bile Nutzung der Spiele.

Herr Kassulke, werden Mobile-Endgeräte bereits hinreichend als Werbeplattform erkannt?

Vor drei Jahren hat die Werbeindustrie den Markt noch unterschätzt.Mittlerweile hat sich das geändert und sie hat sein Potenzial erkannt.Gerade Analysen und Statistiken aus dem englischsprachigen Raumzeigen, wie rasant der Werbemarkt im Mobile-Bereich in den letztenJahren gewachsen ist und dass diese Entwicklung noch längst nichtzu Ende ist. Immer mehr Menschen haben ein Smartphone oder einen Tablet-PC, und genau sie gilt es für die Werbeindustrie zu er-reichen. Unklar ist für viele allerdings noch, wie sie sich sinnvoll indiesen Werbemarkt einklinken können. Ihnen fehlt noch die richtigeStrategie.

Wie müsste eine solche Strategie für werbetreibende Unternehmen aussehen?

Im Prinzip sollten sie zwei Punkte berücksichtigen: Zum einen solltensie den Mobile-Bereich nicht als kleinen Bruder des Onlinemarktesbetrachten und demensprechend wenig investieren. Der Werbemarktim Mobile-Bereich stellt mittlerweile eine eigene Werbesäule nebenPrint-, Radio-, TV- und Onlinewerbung dar. Und gegenüber dem Onlinemarkt hat er ein weitaus größeres Potenzial. Zum anderen istes für Firmen bei weitem nicht immer zielführend, ein eigenes Wer-bespiel zu entwickeln, um sich oder ein Produkt bekannter zu

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machen. Denn das beste Werbespiel nutzt nichts, wenn es nicht bekannt ist und gespielt wird. Daher ist es sinnvoller, Werbung inbereits etablierten Spielen zu platzieren. Außerdem muss ein Spielstets weiterentwickelt oder upgedatet werden.

Wie schätzen Sie, wird sich der Werbemarkt im Games-Bereich in den kommenden Jahren entwickeln?

Ich gehe davon aus, dass der Freemium-Bereich weiterhin starkwachsen wird. Denn mit kostenlosen Spielen lässt sich die größteReichweite erzielen, die Hemmschwelle ein neues Spiel auszuprobie-ren, ist extrem gering. Wichtig ist es, Barrieren abzubauen, um einbreites Publikum anzusprechen. Aus Erfahrung wissen wir, dass etwa98 Prozent der Nutzer kein Geld ausgeben wollen, um auf demSmartphone oder dem Tablet-PC ein Spiel zu spielen. Also bieten wirihnen ein kostenloses Spiel an und binden Werbung mit ein. So wirdniemand von vornherein ausgeschlossen, und für den Werbekundenkann eine große Zielgruppe erreicht werden. Da wir mit diesem An-gebot sehr viele Nutzer erreichen, steigt auch die Werbeklickrate.Auch wenn sich nur 20 von 1000 Spielern von einer Werbung ange-sprochen fühlen und sie bewusst anklicken, ergibt das eine guteQuote. Im Onlinebereich träumt man von solchen guten Klickraten.

Wie, schätzen Sie, wird sich der Werbemarkt im Mobile-Bereich weiter entwickeln?

Gerade im Moment, im Jahr 2013, stehen wir am Beginn eines neuengoldenen Zeitalters. 2010 war es ein kleines Wagnis, als wir alsHandyGames uns dazu entschieden haben, uns auf den Freemium-Bereich zu konzentrieren und unsere Spiele größtenteils durch Wer-bung zu finanzieren. In den Jahren danach haben es uns jedoch immer mehr Firmen gleich getan. Mittlerweile bestätigen unsereUmsatzzahlen diesen Schritt und zeigen, dass sich auf diesem Wegdurchaus erfolgreich Geld verdienen lässt. Internationale Prognosengehen derzeit davon aus, dass der Werbeumsatz im Mobile-Bereichbis zum Jahr 2016 weiterhin stark steigen wird. Dieser Anstiegkönnte jedoch deutlich zulasten des Print- und des TV-Werbe -marktes gehen. Die Werbeausgaben werden sich der Mediennutzunganpassen.

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Stellen die unterschiedlichen Betriebssysteme, wie Androidoder iOS, ein Problem für die technische Umsetzung dar?

Sie stellen eine Herausforderung dar, aber kein Problem. Schon beimProgrammieren achten wir darauf, dass die Spiele mit allen Betriebs-systemen beziehungsweise Plattformen kompatibel sind. Und genaudas ist entscheidend. Wenn wir ein Spiel programmieren, das bei-spielsweise nur mit dem Android-Betriebssystem funktioniert, danngehen uns alle potenziellen Spieler verloren, die ein Gerät von Applemit dem iOS-Betriebssystem verwenden. Und wenn wir uns an dieMasse richten wollen, dann ist es essenziell, alle zu erreichen, die einmobiles Endgerät verwenden, egal von welchem Hersteller.

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5. Unternehmensführung und Methodenkompetenz

5.1. Change Management Von Josef Wissinger

Was ist Veränderung für Sie?Was geht Ihnen bei dieser Frage durch den Kopf?Nehmen Sie sich ruhig ein paar Sekunden Zeit, um darüber nachzu-denken.Ist es vielleicht, dass

Sie nicht den gewohnten Weg zur Arbeit gehen•Sie und Ihr Team eine neue Innovation im Unternehmen einführen•…•

Veränderung ist in unserer immer schnelleren und globalisierten Weltanscheinend ein dauerhafter Zustand geworden. Doch was bezeich-nen wir wirklich als Veränderung und was ist nur die normale Ent-wicklung? Wann geht es los, oder besser mit was geht es los?

Am Anfang stehen immer Auslöser, die ganz unterschiedlicher Natursein können.

Quelle: Capgemini Consulting Studie Change Management Studie 2008 (2008), S.14

Welche werden in den kommenden drei Jahren bis 2010 die häufigstenUrsachen für Veränderungen in Ihrem Unternehmen sein?*

Restrukturierung/Reorganisation 49 %

Wachstumsinitiativen 38 %

Veränderte Unternehmensstrategie 33 %

Kostensenkungsprogramme/„Rightsizing“ 32 %

Veränderte Marktstrategie/Kundenansprache 32 %

Mergers & Acquisitions 21 %

Externe Veränderungen 17 %

IT-Innovationen 17 %

KVP/sonstige Verbesserungen 16 %

Internationalisierung 15 %

Technik-Innovationen 10 %

Veränderte Personalkonzepte 9 %

*bis zu drei Nennungen

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Laut der Capgemini-Consulting-Change-Management-Studie 2008sind Restrukturierungen bzw. Reorganisationen im Unternehmen diehäufigsten Ursachen für Veränderungen im Unternehmen.Bei der Befragung unter Personalverantwortlichen durch die Deut-sche Gesellschaft für Personalführung e.V. 2010 lag der Schwerpunktin der Strategischen Neuausrichtung des Unternehmens.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Personalführung e.V. PraxisPapier 1/2010 (2010), S. 9

Doch durch was kommen diese Ergebnisse zustande? Wie kommt eszu dem Bedarf an Veränderung? Was bringt ein Unternehmen undsomit die Mitarbeiter im Unternehmen so weit, diese Veränderungenanzustoßen? Am leichtesten kann man die Auslöser in drei Katego-rien einteilen:

Leidensdruck oder Krisen

Im überwiegenden Teil der Fälle sind ein gewisser Leidensdruck odersogar richtige Krisen oder Varianten davon ausschlaggebend für denAuslöser der Veränderung. Manche Experten sprechen von bis zu80 Prozent Veränderungen, die durch Druck von außen angestoßenwerden. Das heißt, die in den beiden Befragungen genannten Aus -löser kommen erst dadurch zustande, weil sie von außen erzwungenwurden.

Visionen

Ein weiterer Auslöser von Veränderungen sind Visionen. Diese Visionen kommen meist von innen. Heißt von der Organisation oder

Welchen Auslöser hatte dieser Change-Prozess? (n = 100)

Strategische Neuausrichtung 35 %

Organisatorische Veränderungen (z.B. Outsourcing,28 %

Insourching, Einführung Shared Service Center)

M & A (Fusion, Übernahme) 13 %

Sonstiger Auslöser 8 %

Turnaround, Sanierung 6 %

Regulatorische Veränderungsprozesse (z.B. gesetzl.5 %

Änderungen, neue Standards im Rechnungswesen)

Einführung technischer Innovationen 5 %

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von einzelnen Personen. Zum Beispiel Steve Jobs von Apple wurdeals ein solcher Visionär betitelt. Allerdings sind diese Ansätze alsAuslöser von Veränderungen bedeutend seltener. Hier schwanken dieZahlen bei kleiner 10 Prozent.

Einsicht

Und die dritte Kategorie ist die Einsicht. Heißt Menschen und Orga-nisationen kommen selber zu dem Entschluss, dass eine Veränderungeingeleitet werden muss.

Bevor wir uns weitere Gedanken über Veränderungen machen, wosie herkommen und wie wir damit umgehen, möchte ich ein gemein-sames Verständnis, was Veränderung bedeutet, schaffen.

Veränderung ist … „… Umstellen von etwas Gewohnten auf Unbekanntes, …“

Das heißt konkret, dass Veränderung immer den gesamten Menschenbetrifft und auch die gesamte Organisation / Unternehmen (nachMahlmann 1998, S. 78).Somit sind der Einzelne und die Organisation, in die er eingebettetist, nicht trennbar. Diese Erfahrung haben sicherlich schon viele ge-macht. Es ist auch nicht verwunderlich, denn jeder von uns gestaltetund lebt dies als ein Teil in der Firma/Organisation aktiv mit. Wenndie oben gemachte Aussage Ihre Zustimmung findet, gilt es somit,auch seine Konsequenzen im Rahmen der Durchführung und Beglei-tung von Veränderungen – Change Management – zu ziehen.

Klassisches Projekt versus Veränderungsprojekt

In Firmen wird immer schnell und gerne von Veränderungsprojektengesprochen. Doch wann ist ein Projekt „nur“ ein Projekt und wannsprechen wir von einem wirklichen Veränderungsprojekt?

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Quelle: nach ComTeam AG,Protokoll Change Management, 2008

Bei Projekten unterscheide ich zwischen zwei Typen. Dadurch lässtsich sehr deutlich und einfach die Unterschiedlichkeit darstellen. Zumeinen sind das Projekte, die jeder schon erlebt hat, und worüber esauch genügend Literatur gibt. Auch wenn klassische Projektmanage -mentdefinitionen von einmaligen Aufgaben ausgehen, ist der Anteilbei diesen Projekten an bereits Bekanntem und Vertrautem, auch andem, was berechenbar ist, relativ hoch. Hier spreche ich von soge-nannten Anwendungsprojekten. Diese kennzeichnet, dass sie nichtzum ersten Mal durchgeführt werden. Es ist viel Erfahrungswissenvorhanden und diese Anwendungsprojekte können sehr gut mit denklassischen Methoden des Projektmanagements erfolgreich durchge-führt werden.Die andere Art von Projekten ist dagegen anders als das bisher ge-wohnte und bekannte, eben ein Veränderungsprojekt. Vieles ist un-bekannt, es ist schwierig, klare Ziele zu setzen, bzw. der Versuch, Zielezu setzen, macht das Projekt nicht zu einem vertrauten Verfahren. Beidieser Form von Projekten spreche ich von Veränderungsprojekten.Als Beispiel hier kann man Projekte nennen wie Kulturwandel oderReorganisationen. Es zeichnet sie aus, dass Neuland entdeckt wird!Genau dieses „neue Land“ zu entdeckten, lässt die Betroffenen in derVeränderung bestimmte Phasen erleben und aufzeigen, wie kompe-tent sie sich dabei fühlen.

Welche Phasen durchleben wir in der Veränderung?

Phasen der Veränderung aus Sicht der Betroffenen und die dabeiwahrgenommene Kompetenz

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Quelle: nach Rosenstiel, Roth,Satir

Jeder Einzelne mag diese einzelnen Phasen unterschiedlich intensiverleben, doch im Rahmen von Veränderungen werden alle Phasendurchlebt. Ich möchte Ihnen an dieser Stelle nur eine kurze undknappe Darstellung der einzelnen Phasen geben.

0. Sorge, VorahnungEin komisches Gefühl, eine gewisse Vorahnung macht sich breit. ErsteGerüchte sind eventuell schon in den Kaffeeküchen unterwegs.

1. SchockMit der Bekanntmachung, dass es eine Veränderung geben wird, brei-tet sich Schock unter den Mitarbeitern aus. Die Nachricht der Verän-derung kommt überraschend. Unverständnis liegt bei vielen vor.

2. VerneinungÜber den ersten Schock hinweg entsteht eine kollegiale Verneinunggegenüber der angekündigten Veränderung. Viele Mitarbeiter wollensich auf gar keinen Fall verändern. Angst, dass die gewohnte Kulturund Strukturen verloren gehen, macht sich breit. Bei den meistenstehen die negativen Argumente, die mit der Veränderung in Verbin-dung gebracht werden, im Vordergrund. Ein häufiges Zitat ist in dieser Phase ist: „…bisher war ja alles gut,und funktioniert hat auch immer alles!“

3. EinsichtDie Einsicht macht sich bei den Mitarbeitern breit, dass die Verände-rung doch notwendig ist. Erste Veränderungen werden auch spürbarwahrgenommen.

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4. AkzeptanzÜber die Einsicht hinaus beginnen die Mitarbeiter, die Veränderungzu akzeptieren. Bisherige alte Gewohnheiten werden langsam aufge-geben und losgelassen.

5. AusprobierenJede und jeder einzelne probiert es für sich aus, mit dem Neuen klar-zukommen und versucht damit zu arbeiten. Erfolge, aber auch Miss-erfolge werden erlebt.

6. ErkenntnisDie Erkenntnis, dass die Veränderung doch ganz gut ist, tritt ein. Er-folgreiche Verhaltensweisen werden erkannt und eingeübt.7. IntegrationDie angestoßene Veränderung wird nicht mehr als Veränderungs -prozess wahrgenommen und ist vollkommen in den Alltag überge-gangen.

Wie bereits erwähnt, durchleben wir alle diese Phasen. Doch so un-terschiedlich wir sie erleben, so unterschiedlich gehen wir auchgrundsätzlich mit Veränderungen um. Auch diverse Widerstände, Höhen und Tiefen erlebt jeder von uns anders und äußert sie auchanders. Ja manche verlassen auch das Unternehmen, wenn es eineVeränderung gibt. Wie in vielem ist es auch hier schwierig, die Un-terschiedlichkeit von allen Menschen darzustellen. Anhand von vierausgewählten „Typen/Rollen“ möchte ich Ihnen einen Einblick geben.Obwohl mir bewusst ist, dass jede Vereinfachung und Typisierungoft fragwürdig ist, hilft es uns doch, Themen, Sorgen, Chancen oderauch Konflikte besprechbar zu machen. Deshalb verstehen Sie es bitteals Einstieg in einen Dialog. Die vier Rollen in Auszügen sind:

Innovatoren•Rahmengeber•Stabilisatoren•Indikatoren•

Quelle: Bereit zur Veränderung der Projektarbeit, Straub, Forchhammer, Brachinger-Franke, 2002

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Innovatoren

Jemand, der Innovator ist, wirkt bewusstauf Veränderungen und Weiterentwick-lung hin.Diese Menschen wollen nicht nur Ziele,sondern häufig auch Ideale verwirklichen.

Rahmengeber

Diesen Menschen ist sowohl Struktur alsauch die Organisation wichtig. Sie habenZusammenhänge und Strategien im Blick.

Stabilisatoren

Wer so handelt, möchte Bewährtes behal-ten und schützen. Sie sorgen dafür, dasseine gewisse „Erdung“ im Veränderungs-prozess erhalten bleibt.

Indikatoren

Menschen mit diesem Schwerpunkt sindoft diejenigen, die eine Art Integrations-funktion einnehmen. Sie nehmen auchStimmungen sehr sensibel wahr.

Bei den oben beschriebenen Rollen handelt es sich, wie schon er-wähnt, um Schwerpunkte, die da sind, und um Menschen, die Fä-higkeiten haben. Dieses Potenzial ist in allen Unternehmen vorhan-den, und diese Menschen sollten unbedingt in Veränderungsprozes-

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sen eingebaut werden. Damit dies für Sie und Ihr Unternehmen ge-staltbar wird, stelle ich Ihnen die aus meiner Sicht überzeugendsteVorgehensweise in einer sehr gekürzten Variante vor.

Vorgehen anhand folgender Arbeitsschritte in Veränderungsprozessen

Quelle: in Anlehnung ComTeam AG, Gmund am Tegernsee, 2008

Am anschaulichsten ist es, den gesamten Prozess und auch alle Teilprojekte für die Veränderung wie in diesem Bild als eine Art Uhrdarzustellen. Ich gehe nur auf die Hauptpunkte des Gesamtprozessesein, denn – wie schon erwähnt – sind Veränderungsprozesse sehr in-dividuell und erfordern eine Anpassung an jede Organisation unddie jeweiligen Menschen.Folgende Grundsätze ziehen sich durch das Gesamtmodell:

Der Gesamtprozess und alle Teilprojekte können nach dieser Bear-•beitungsstruktur gelöst werden.So viele wie möglich sollen in den Prozess miteinbezogen werden•Vieles geschieht parallel oder gleichzeitig. Das heißt, es gehört•dazu, dass möglichst früh schon das handelnde Lernen beginnt,während über andere Themen noch nachgedacht werden muss(Dies stellt der Verlauf des Innenkreises dar).

Ergebnis- Klärung &sicherung Konzeption

Lösungs-Umsetzung entwicklung

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Jedes Viertel ist in eine Art Dreischritt unterteilt:• Erster Schritt: öffnen und sammeln Zweiter Schritt: verdichten und auswählen Dritter Schritt: entscheiden (in der Regel findet dies im obersten

Entscheidungsgremium statt)

Erstes Viertel (von 1 Uhr bis 3 Uhr)

Ein Projekt steht und fällt mit den Menschen, daher ist es so wichtig,die Menschen miteinzubeziehen. Besonders in Veränderungsprojek-ten, bei denen es für jeden und jede um viel Unbekanntes geht, istdies umso wichtiger. Hier wird sich aufgestellt, orientiert und derGrundstein gelegt. In dieser Phase der Klärung und Konzeption werden sowohl die Rahmenbedingungen geklärt, Strukturen festgelegt und vor allemEntwürfe für die neue Wirklichkeit entwickelt. Auch hier wird schoneine erste Realisierung angestrebt, man kann sagen in einer ge -wissen Form des Experimentierens. So findet von Beginn an schon Lernen statt, und es wird begonnen, sich in kleinen Schritten zu verändern.

Zweites Viertel (von 4 Uhr bis 6 Uhr)

Jetzt gilt es, aus den bereits getätigten Erfahrungen und begonnenenersten Veränderungen die weiteren Lösungen zu modellieren und zukonkretisieren. Am Ende (6 Uhr) steht der Übergang in die Umsetzung.Doch bis dahin werden weitere Teilschritte unternommen. Das heißt,die ersten Pilotprojekte laufen und liefern die ersten Ergebnisse. DiesePhase ist sicherlich mit die turbulenteste, weil hier sehr viele Aktivi-täten gleichzeitig laufen, es viel Abstimmungsbedarf gibt und auchdie Stimmungen der Beteiligten stets wechseln. Hier wird allen klar,dass es ernst wird und dass tatsächlich etwas verändert wird.

Drittes Viertel (von 7 Uhr bis 9 Uhr)

Wer in dieses dritte Viertel eintritt, startet durch. Nun gilt es, allesbereits Erfahrene und Geplante umzusetzen, damit am Ende das mo-dellierte Zielbild der Veränderung steht und gelebt wird. Hier kommtdem Projekt zugute, dass es nicht mehr den einen großen Wurf gibt,sondern dass jeder Einzelne schon in mehreren kleinen Schritten

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einen Teil der Veränderung mitgegangen ist. Somit sind die weiterenSchritte eher kleine Schritte und nicht der große Sprung.

Viertes Viertel (von 10 Uhr bis 12 Uhr)

Veränderungen gehören begleitet, dieser Spruch bewahrheitet sichvor allem, wenn man das Ziel vermeintlich erreicht hat. Denn es gibtimmer Nachwehen und an vielen Stellen noch den Bedarf, Dinge zuklären. Doch wer macht das? Ist es noch das Kernteam oder sind esdie Führungskräfte? Damit die Fragen nicht im Sand verlaufen, giltes auch hier, den Übergang zu begleiten und zu sichern. Denn dienächste Veränderung wird kommen, und die Organisation hat vielesauf dem zurückgelegten Weg gelernt bzw. sehr gut gemacht. Solltedas nicht anerkannt werden? Neben dem offiziellen Startschuss fürdas Veränderungsprojekt ist es wichtig, dass man gemeinsam aucheinen Punkt setzt, das heißt, den Erfolg feiert und die Projektmitar-beiter entlastet.

Konkrete Erfolgsfaktoren für Change Management

Die Notwendigkeit für die Veränderung muss den Betroffenen klar•seinDie Klarheit über Sinn und Zweck der Veränderung muss kommu-•niziert werden mit einer Vision, wie die anzustrebende Zukunftsein sollDie Entscheider im Unternehmen müssen vorleben, von was die•Mitarbeiter betroffen sind, und eine eindeutige Orientierung bieten Kommunikation, die klar, offen und verständlich ist und vor allem•als Dialog angelegt ist!Partizipation von Anfang an. Am besten alle beteiligen•Erfahrungslernen durch möglichst frühzeitiges Umsetzen, dies•schafft auch erste ErfolgeStrukturen und Abläufe sollen für alle klar sein. Wie eine Art Leit-•planken, die die Betroffenen führen und mögliche Bestrebungenfür den Rückschritt erschwerenDie Veränderungen und Erfolge müssen schon recht früh sichtbar•gemacht werden, am besten auch messbarGenügend Ressourcen für Personal, Budget und Zeit werden be-•nötigt

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Innovation in den Medien

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Dies alles geht einher mit dem, dass hinter Veränderungsprozessendie drei Zieldimensionen Qualität, Akzeptanz und Integration erfülltsind. Somit wird die Verbindlichkeit erreicht, die zu einer erfolgrei-chen und nachhaltigen Umsetzung führt.

Zusammenfassend zeigt sich, dass Change Management viele Facet-ten hat. Denn im Wesentlichen geht es darum, die Komplexität zumanagen, zu vernetzen und das gesamte Know-how der Organisationzu nutzen. So gelingt es uns, die Veränderung aktiv und erfolgreichzu gestalten. Schließen möchte ich mit einem Zitat von Buddha:Nichts existiert, das von Dauer ist. Das einzig Dauerhafte ist die Ver-änderung. (Buddha)

Weiterführende LiteraturStraub, Walter G. / Forchhammer, Lorenz S. / Brachinger-Franke, Ludovica (2001):

Bereit zur Veränderung – UnWege der ProjektarbeitBate, Paul, München (1997): Cultural Change – Strategien zur Änderung der Unter-

nehmenskulturJost, Hans Rudolf, Hamburg/Zürich (1998): Der Change Navigator – Im Wandel

wachsenSimon, Fritz B. (2006): Change Management – Aufbau, Gemeinsam sind wir blöd!?

Die Intelligenz von Unternehmen, Managern und MärktenBalk, Henning / Kreibich, Rolf, Weinheim (1991): Evolutionäre Wege in die Zukunft

– Wie lassen sich komplexe Systeme managen?Change. Biehal, Franz; Karner, Günther, Neuwied (2000): Gratwanderung Change

Management – richtige und falsche Schritte im Large SystemDrees, Lang, Schöps (2010): Praxisleitfaden Projektmanagement: Tipps, Tools und

Tricks aus der Praxis für die PraxisSchein, Edgar (2000): Prozessberatung für die Organisation der ZukunftKönigswieser, Roswita; Cichy, Uwe; Jochum, Gerhard (Hrsg.) (2001): SIMsalabim –

Veränderung ist keine Zauberei – Systemisches Integrations-, ManagementLoebbert, Michael (2005): The Art of ChangeSenge, Peter M. (2000): The Dance of ChangeDoppler, Klaus / Fuhrmann, Helmut / Lebbe-Waschke, Brigitt / Voigt, Bert (2002):

Unternehmenswandel gegen Widerstände

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5.2. Life-Balance Von Andreas Bohnert

Am Ende der Leitung schimpft ein Kollege. Er ist wütend über eineverspätete Lieferung eines Beitrages. Währenddessen ploppen amBildschirm mehrere E–Mails auf. Und plötzlich steht noch der Chefin der Tür und gibt eine wichtige Information für den nächsten Tagweiter. Der Tagesplan ist nun komplett über Bord gegangen. Und dieKita schließt auch in 30 Minuten. Die Flut von Informationen, die Erledigung von mehreren Aufgabengleichzeitig und auch die Doppelbelastung durch Beruf und Familiebelasten immer mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gerade in Un-ternehmen der Medienbranche. Die Arbeitsunfähigkeitsfälle aufgrundpsychischer Belastungen haben zwischen 1997 und 2008 um 72,6Prozent zugenommen. Laut dem wissenschaftlichen Institut der AOKfallen im Mittel jährlich zwei Fehltage pro Mitarbeiter wegen psy-chischen Belastungen an. Das bedeutet für ein 100-Mitarbeiter-Un-ternehmen jährliche Kosten von 80.000 Euro.

Quelle: Wissenschaftliches Institut der AOK (WIdO), Fehlzeiten-Report 2009.

Ein möglicher Lösungsansatz für Führungskräfte und Mitarbeiterliegt in der Beachtung der 4 A’s. Das erste steht für Arbeitsklima.Zentral ist hier der Führungsstil zu sehen, der manchmal auch „psy-chotoxisch“ wirken kann.

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Ein weiterer reduzierender Faktor ist Autonomie. Hier stellt sich dieFrage, inwieweit ein Arbeitnehmer selbst bestimmen kann, wannbzw. in welchem Rhythmus er etwas erledigen kann. Hier gibt esnicht nur für kreative Berufe bereits Lösungsideen, sondern auch fürFertigungsprozesse am Fließband.Der dritte Antistressor heißt Anerkennung jeglicher Art. Wichtig isthier die Waagschale zwischen Anforderung und Belohnung. Für denMitarbeitenden heißt es, dass er die Zeit und das Engagement, die erin die Arbeit steckt, auch wieder herausbekommt. Und hier ist nichtnur das Gehalt gemeint, sondern auch Wertschätzung und Aufstiegs-chancen.Das vierte und für dieses Kapitel wichtigste A steht für Auszeiten.Eine regelmäßige Entspannung ist nicht nur für Sportler von hoherBedeutung. Gerade wenn der Job sehr stressig ist, sollte darauf ge-achtet werden, dass es wieder Phasen der Erholung wie Urlaub, Über-stundenabbau oder einen frühen Feierabend gibt.Bevor wir uns den konkreten Lösungsstrategien zuwenden, möchteich noch einen Blick auf die Auswirkungen dieser Belastungen aufdie Mitarbeitenden werfen. Im betrieblichen Alltag, aber auch im privaten Leben können zum einen im emotional-sozialen BereichVeränderungen bei Antrieb, Selbstvertrauen, Kritikfähigkeit oder Ent-scheidungsfähigkeit beobachtet werden. Im kognitiven Bereich kannes zu einer Verminderung der Wahrnehmung, der Konzentrations-und Merkfähigkeit kommen.Kurzfristig ist es für viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kein Pro-blem, solche Belastungen auszuhalten. Doch wenn eine bewusste Ge-gensteuerung fehlt und somit kein Ausgleich mehr geschaffen wer-den kann, können aus Belastungen, wie sie oben beschrieben wordensind, und die mehrmals in der Woche wiederkehren, schnell eine dau-erhafte Beanspruchung werden. Diese zeigen sich oft in psychischenund körperlichen Symptomen (Frühwarnzeichen!) wie z.B. gesteigerteReizbarkeit, erste Schlafprobleme oder auch Appetitlosigkeit. Men-schen, die dauerhaft in solchen Beanspruchungssituationen leben,brauchen somit zur Vermeidung der genannten Symptome Bewälti-gungsstrategien1. Und diese können in der Beachtung einer ausge-wogenen Life-Balance liegen.

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Was meint „Life-Balance“?

Die meisten haben den Begriff „Work-Life-Balance“ schon gehört.„Work-Life-Balance bedeutet eine neue, intelligente Verzahnung vonArbeits- und Privatleben vor dem Hintergrund einer veränderten undsich dynamisch verändernden Arbeits- und Lebenswelt.“2 Der Begriffimpliziert aber einen Gegensatz zwischen der Arbeit und dem (übri-gen) Leben. Dabei werde Arbeit nicht als Teil des Lebens gesehen,und als Gegenstück zur Erwerbsarbeit würden Freizeit, Familienarbeitund Nichtarbeit zusammengefasst, ohne diese zu unterscheiden. DieFrage der Balance kann unter verschiedenen Blickwinkeln betrachtetwerden, etwa auch als Balance zwischen Anstrengung und Erholungwährend der Arbeitszeit (Stichwort: Pausengestaltung). Daher möchteich hier dem Ausdruck „Life-Balance“ den Vorzug gegeben. Somitsoll die begriffliche Unschärfe vermieden werden. (Berufs-)Arbeit(„work“) ist ein Teil des Lebens („life“) und kann nicht abseits vomLeben stattfinden. Vor allem vor dem Hintergrund, dass immer mehrMenschen mehrere Berufstätigkeiten zur gleichen Zeit und Partner-schaft, Familie, soziale Aktivitäten, die Freizeit … in Balance haltensollen.

Trends der modernen Arbeitswelt

Aber welche Veränderungen in den Arbeits- und Lebenswelten vonMitarbeitenden stehen an? Die Gestaltung der modernen Arbeits -bedingungen und damit einer nachhaltigen und zukunftsfähigenLife-Balance wird jedoch nicht nur auf der betrieblichen Handlungs-ebene beeinflusst, sondern steht in einem übergeordneten Kontextsozio-ökonomischer Trends, die sich in vier Punkten zusammenfas-sen lassen:

Globalisierung•Demografischer Wandel•Neue Technologien•Wirtschaftlicher Strukturwandel•

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In Anlehnung an Bundesministerium Familie, Senioren,Frauen und Jugend:Work Life Balance. Motor für wirtschaft -liches Wachstum undgesellschaftliche Stabilität, Berlin 2005,S. 13

Diese Trends sind mitverantwortlich für die immer wieder in den Ver-öffentlichungen beschriebene Beschleunigung der Arbeitswelt. Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter in den Unternehmen leiden darunterund wissen manchmal nicht mehr, wie der berufliche Alltag mit denHerausforderungen des Privatlebens zu bewältigen sind.

Life-Balance konkret

Life-Balance-Maßnahmen umfassen einen weiten Bereich. Grob ein-geteilt können folgende Bereiche genannt werden:3

Flexible Arbeitszeiten (Teilzeitarbeit, Jahresarbeitszeit, •Job- Sharing, Vertrauensarbeitszeit ...)Flexibler Arbeitsort (Telearbeit)•Flexible Arbeitsorganisation•Kinderbetreuungsmaßnahmen (Tagespflege, Einrichtungen,• Notbetreuung, Babysitter ...)Unterstützung bei Hilfs- oder Pflegebedürftigkeit (Homecare-• Eldercare)Unterstützung für Berufsrückkehrer•Beratung zu Krisenthemen (Scheidung, Schulden, Mobilität,• Erziehung, Burnout ...)Haushaltsnahe Dienstleistungen (Bügelservice, Einkaufsdienste ...)•

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Angebote zur Stressvermeidung (Rückenschule, Yogakurse ...)•Gesundheitsmanagement (Gesundheitscheck, •Ernährungsberatung ...)Relocation-Service•

Life-Balance in den Lebensphasen

Die Thematik der Life-Balance hat für jeden Einzelnen, je nach Le-bensalter und Lebenssituation, andere Schwerpunkte. Hilfreich ist hierdas Modell der lebenszyklusorientierten Personalentwicklung nachGraf. Dabei geht es um die persönliche und berufliche Entwicklungvon Mitarbeitenden in Bezug auf ihren individuellen Lebenszyklus.Bei der Ausgestaltung der betrieblichen Personalentwicklung und so-mit auch bei der betrieblichen Life-Balance oder bei der Wahl von ge-eigneten Maßnahmen wird berücksichtigt, in welcher Lebensphasesich Mitarbeitende befinden. Der Grund dafür ist, dass sich Bedürf-nisse, Aufgabenstellungen und Potenziale ändern, je nachdem, in wel-cher Phase des Lebenszyklus sich Menschen befinden. Mit 20 Jahrensind andere Themen relevant und Möglichkeiten oder Kompetenzenvorhanden als mit 40 oder 60 Jahren. Demzufolge sind je nach Phaseauch andere Personalentwicklungsmaßnahmen effizient und effektiv.Aus der Sicht unseres Themas ist es sinnvoll, sich auf die Phase derberuflichen Einführung bis zur Phase der Sättigung zu beschränken.

In Anlehnung an Anita Graf „Lebenszyklusorientierte Personalent-wicklung“4

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Phase „Berufliche Einführung“

Nach der Berufswahl und der Ausbildung beginnt das eigentliche Be-rufsleben mit der Phase des beruflichen Einstiegs. Gekennzeichnetist diese Phase durch die berufliche Identitäts- und Rollenfindung,dem sog. Realitätsschock, der Erfahrung der eigenen Stärken undSchwächen und der höchsten körperlichen Belastbarkeit. Im privatenBereich stehen der Wunsch nach Beziehungsnetzen und die Entschei-dung z.B. für eine Familie im Vordergrund. Zwar werden in dieserPhase erst ca. 50 Prozent vom höchsten Leistungsniveau erreicht, allerdings mit starkem Aufwärtstrend und großem Potenzial. Ereig-nisse, die die Arbeitsleistung beeinflussen können, sind z.B. der Ab-schluss von zusätzlichen Qualifikationen wie Masterstudiengängenoder spezialisierenden Weiterbildungen.

In der Phase des beruflichen Einstiegs spielt die Vereinbarkeit vonberuflicher Tätigkeit mit Freizeitgestaltung und Hobbys, mit einerWeiterqualifizierung oder einem Studienabschluss und ggf. mit derFamiliengründung eine besondere Rolle. Zum Erreichen einer gutenLife-Balance können besonders in Berufsfeldern, in denen unregel-mäßige Arbeitszeiten vorherrschen, eine familienorientierte Dienst-plan- und Arbeitszeitgestaltung beitragen. Auch sollte es möglichsein, alternative Arbeitszeitmodelle, bezogen auf die verschiedenenLebensphasen, auszuprobieren und gegebenenfalls einzuführen. Bezüglich der gesundheitlichen Prävention und dem Erlernen vonpersönlichen Kompetenzen ist es bereits in dieser Lebensphase wich-tig, persönlich wirksame Techniken der Entspannung und Erholungzu erlernen. Dies kann vom Arbeitgeber im Bereich von Fort- undWeiterbildung (Fortbildung in Zeit- und Selbstmanagement, Stress-bewältigungstraining…) und durch ein darauf bezogenes Coachingdurch die Führungskraft erreicht werden.

Phase „Wachstum“

Der Verlauf führt nach der beruflichen Einführung über die indivi-duelle Laufbahn des Mitarbeiters in die Phase des Wachstums. Dabeisind Bewegungen innerhalb der Organisation grundsätzlich in dreiRichtungen möglich sind: vertikal, horizontal und radial (in Richtungzu mehr Einbezogensein bzw. Zentralität). Denkbare Laufbahnformen

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sind hier die Fach-, Projekt- und Führungslaufbahn. In der Wachs-tumsphase befinden sich Mitarbeiter auf ihrem Weg zum Karriere-kulminationspunkt. Personalentwicklungskonzepte vieler Unterneh-men konzentrieren sich auf diese Zielgruppe. Aber auch die Familiengründung ist in dieser Phase ein Thema. Fürdie jungen Familien stellen sich nun viele neue Fragen, wie sie z.B.die neuen Anforderungen mit den Kindern und ihre Arbeit unter ei-nen Hut bringen können. Wer geht in Elternzeit? Wie lange, ohnedie Karriere zu gefährden? Welche Nachteile habe(n) ich/wir durchdie Kinderbetreuungszeiten? Auf diese Frage sollten Unternehmen ihren Mitarbeiterinnen undMitarbeitern Antworten geben können, um sie auch über die Phasedes beruflichen Einstiegs und des Wachstums, in der ja auch in dieAus- und Weiterbildung investiert worden ist, an das Unternehmenzu binden.

Mögliche Maßnahmen zur Life-Balance können aus Sicht eines Un-ternehmens sein:

Langzeitarbeitskonten (z. B. 11/12-Modell)•Einführung von Vertrauensarbeitszeit•Arbeitsangebote während der Elternzeit (z. B. Teilzeit mit Home-• Office)Beratung und Vermittlung von Kinder-, Alten- und Krankenbe-•treuungsmöglichkeitenKita-Plätze in eigenen ortsnahen Einrichtungen (Kindergärten und•Hort)Notfallbetreuung bei Ausfall der Regelbetreuung•

Phase „Reife“

Die Phase der Reife folgt der Phase des Wachstums. Sie setzt oft imAlter von 40 bis 49 Jahren ein. Allgemein lässt sie sich nach folgen-den Kriterien beschreiben:

Biologische Leistungsfähigkeit: Aktive Maßnahmen zur Gesund-•heitserhaltungKognitive Leistungsfähigkeit: Respektierung der erreichten geisti-•gen Leistungsfähigkeit, Erfahrungswissen gewinnt an BedeutungBildungsschwerpunkte: Hohes organisatorisches, informelles Wissen•

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Berufliche Ziele/Orientierung: Wunsch nach weiterer Herausfor-•derung (z.B. besondere Projekte), Grenzen der eigenen Karriere er-kennenPrivate Interessen/Orientierung: Überprüfen der Lebensziele,•(schulpflichtige) Kinder, alternde Eltern und Angehörige

Im Verlaufe dieser Phase kann der Mitarbeiter unter Umständen dasPotenzial der Stelle voll ausgeschöpft haben. Mitarbeiterinnen undMitarbeiter haben dann ein Karriereplateau erreicht, wenn eine wei-tere Beförderung unwahrscheinlich ist, sie zu lange auf ihrer Positionverweilen und/oder ihre Tätigkeit keine Herausforderung und Lern-chance mehr darstellt. Andererseits bedeutet es auch, dass er seine Aufgabe und die damitverbundenen Anforderungen kennt und voll erfüllt. Die Stelle bietetkeine oder nur noch geringe Lernchancen und Herausforderungen.Wenn die Leistung abnimmt, gelangt der Mitarbeiter in die Phase derSättigung.In der betrieblichen Reifephase geht es darum, mit geeigneten Per-sonalentwicklungsmaßnahmen zu verhindern, dass die Leistung desMitarbeiters sinkt und er in die Phase der Sättigung gelangt (z.B. in-folge De-Motivation, Stress, gesundheitlicher Probleme, Veränderungder Arbeitsanforderungen).In der Phase der Reife spielt die Vereinbarkeit von Beruf und Familieeine besondere Rolle. Kinder haben meist das Kleinkindalter hintersich, und in der Zeit der Schulpflicht der Kinder kommen neue orga-nisatorische Aufgaben auf die Familien und somit die Mitarbeitendenzu. Auch die älter werdende Elterngeneration benötigt gegebenenfallsUnterstützung.

Die Erreichung von Life-Balance wird als eine Aufgabe der Bereit-stellung von Ressourcen betrachtet. Hier werden in der Literatur amhäufigsten Zeit, Geld und Entscheidungsspielräume genannt.

Phase „Sättigung“

Die Phase der Sättigung wird umschrieben mit dem Anglizismus„Disengagement“, was eigentlich Loslösung bedeutet. Eine Form derLösung, die eine emotionale Beteiligung möglichst meidet, im Sinneder Um- und Neuorientierung hin zum Ausscheiden aus dem Berufs-

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leben. Diese Phase umschreibt Mitarbeiter/innen im Alter von 50 bis60 Jahren, deren Wissen und Sachkompetenz im Laufe des Berufsle-bens eine hohe Routine entwickelte. Sie äußert sich in einem hohenGrad an eigenverantwortlichen Arbeiten. Die Professionalität undKompetenzen dieser Mitarbeiter/innengruppe sollte konstruktiv indie Entwicklung des Unternehmens einfließen.Noch verfügen wir nur über unterentwickelte Erklärungen, Deutun-gen und Perspektiven für diese Phase. Es erscheint dringlich, weilsich aktuell die Frage nach der Leistungsfähigkeit der Systeme so-zialer Sicherung und der Gestaltung einer Gesellschaft mit geänder-ten Altersproportionen stellt. Sie erzwingt die Auseinandersetzungmit der Frage nach den sozialen Normen von Verteilung, Beteiligungund Unterstützung. Modelle, die eine Garantie gleicher Beteiligungaller Gruppen vorsehen, geraten in zunehmendem Maße unter Druck,weil sie nicht finanzierbar, geschweige denn umsetzbar sind.

Konkrete Maßnahmen in dieser Phase können sein:Regelmäßige Zielvereinbarungsgespräche •Angebote zur Sozialberatung•Qualifizierungsangebote, um neue Impulse zu setzen•Möglichkeit, intern neue Aufgaben zu übernehmen (Projekte!)•Sabbaticals•Präventive Gesundheitsmaßnahmen zum Gesundheitserhalt •wie z. B.: spezifische Bewegungsangebote nach Aufgabengebiet Rückenschule Stressmanagementtraining Vorsorgeuntersuchungen

Die Pause

In meiner Arbeit als Coach kommen immer wieder Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter zu mir, die darüber berichten, dass sie ihre Arbeitnicht schaffen, auch wenn sie täglich deutlich über acht bis zehnStunden arbeiten. Oft kommt bei der Beschreibung eines typischenArbeitstages heraus, dass Betroffene wenig Pausen machen, manch-mal auch auf die Mittagspause verzichten. Extrem war ein Projekt-leiter, der von 7.00 Uhr bis um ca. 15.00 Uhr durchgearbeitet hatte

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(Mittagspause hieß, ein Brötchen vor dem PC zu essen) und sich dannerschöpfungsbedingt eine kurze Kaffeepause erlaubte. Seine Arbeits-leistung im Laufe des Tages nahm stetig ab, und er versuchte diesdurch eine verlängerte Arbeitszeit auszugleichen. Da er sich abernicht mehr aus diesem Tief vom Nachmittag erholte, schaffte er esnicht, den Leistungsabfall zu kompensieren, was er wiederum durcheine nochmals verlängerte Arbeitszeit auszugleichen versuchte. Die-ses Vorhaben funktionierte auch nicht, und so ging der Kreis weiter.Dies führt sehr kurzfristig zu einer tiefen Erschöpfung des Mitarbei-ters, die sich auch durch Durchschlafstörungen, Paarkonflikten undeiner allgemeinen Unzufriedenheit zeigte.Dieses kurze Fallbeispiel soll verdeutlichen, dass die Entspannungvon der Arbeit nicht nur in der Freizeit wichtig ist, sondern auch dieEntspannung während der Arbeitszeit. Eine Reihe von Studien in in-dustriellen Settings kommt zu dem Ergebnis, dass relativ regelmäßigeKurzpausen für die Verringerung der Ermüdung und die Steigerungder Produktivität von Vorteil sind. Eine frühe Feldstudie fand heraus,dass eine zehnminütige Pause pro Stunde effektiver war als eine 15-minütige Pause alle neunzig Minuten.5 Aktuelle Untersuchungen anPC-Arbeitsplätzen zeigen, dass kurze, häufige Pausen überwiegendvorteilhafter waren.Bezüglich der Verteilung der Pausen ist es aber am besten, wenn diePerson selbst fähig ist, die Pausen so zu regeln, dass sie den Zeitender subjektiven Ermüdung entsprechen. Strenge Pausenregelungengehen häufig mit einer Störung des Arbeitsflusses.Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Leistung von relativhäufigen Kurzpausen (bis zu 15 Minuten) profitiert und auch der Müdigkeit effektiv vorgebeugt werden kann. Idealerweise sollte esfür die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter möglich sein, die Pauseselbst zu bestimmen. Weiter ist noch die Gestaltung der Pause zu beachten. Wer in derPause einen Espresso mit einem Kollegen trinkt und dabei über dasgemeinsame Projekt spricht, macht eine qualitativ schlechte Pause.Er arbeitet ja doch wieder.Ziele von Pausen während der Arbeitszeit sind in der Regel „Energietanken“, „zur Ruhe kommen“, „etwas Anregendes machen“ oder „et-was Sinnvolles tun“. Auch der Begriff der aktiven Pause (im Sport ist

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das der Belastungswechsel) ist hier immer wieder zu hören. Es gilthier, etwas zu tun, bei dem man sich nicht mit der Arbeit beschäftigt,tatsächlich und mental.

Bei den oben beschriebenen Kurzpausen haben sich die Übungen derKinesiologie bzw. der Progressiven Muskelentspannung bewährt. Hiergibt es kurze Übungssequenzen, die einfach durchzuführen sind, auchim Büro oder im Auto und eine Länge von 15 Minuten auch nichtübersteigen. Aber auch eine Tischtennisplatte oder ein Kickertischkönnen hier eine einfache Lösung sein. Denn man kann nicht Kickerspielen und gleichzeitig an das nächste Projekt denken.

Life-Balance als Wettbewerbsvorteil

Welche Motive haben Unternehmen mit der Einführung von Life- Balance-Konzepten und haben sich die Life-Balance-Maßnahmen fürdas Unternehmen gelohnt? Bei mehreren Studien wird deutlich, dassder Arbeitsmarkttrend des demografischen Wandels hier im Vorder-grund steht. So zeigt eine Studie der europäischen MetropolregionNürnberg aus dem Jahr 2007, dass Unternehmen in hohem Maße dieMitarbeiterbindung im Fokus haben.

Die häufigsten Motive für Life-Balance-Konzepte6

Motiv Ergebnis*

Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen 96,6 %

Qualifizierte Mitarbeiter halten oder gewinnen 93,1 %

Mehr Zeitsouveränität für die Beschäftigten 75,9 %

Kosteneinsparungen durch geringere Fluktuation und niedrigeren Krankenstand 65,5%

Kosteneinsparung durch höhere Produktivität 27,6%

*Mehrfachnennung möglich

In der konkreten Umsetzung von Maßnahmen zeigt sich, dass hieralle Bereiche der klassischen Personalpolitik tangiert sind. AbsoluterSpitzenreiter bei den konkreten Gestaltungsmaßnahmen zur Arbeits-zeitflexibilisierung ist bei Befragungen häufig die Möglichkeit, alsMitarbeiter während der Elternzeit weiterhin im Unternehmen in Teil-

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zeit beschäftigt zu sein und die familienbedingte Arbeitszeitverkür-zung und Teilzeit mit flexiblen Stundenzahlen.Zusammenfassend zeigt sich, dass Life-Balance-Maßnahmen vor allem Auswirkungen auf die Mitarbeiterbindung haben, was in Zeitendes demografischen Wandels und des Fachkräftemangels ein hoher(auch finanziell) Gewinn für Unternehmen ist.

Die häufigsten praktizierten Life-Balance-Handlungsfelder7

Handlungsfelder Ergebnis*

Arbeitszeitgestaltung und -flexibilisierung 100,0 %

Arbeitsortflexibilisierung 82,8 %

Informations- und Kommunikationspolitik 100,0 %

Führungskräfteentwicklung 69,0 %

Personalentwicklung 93,1 %

Entgeltbestandteile und geldwerte Leistungen 100,0 %

Flankierender Service für Mitarbeiter und Familien 96,6 %

*Mehrfachnennung möglich

Weiterführende LiteraturBadura, Bernhard u.a.. (Hrsg.): Fehlzeitenreport 2009, Berlin Heidelberg, 2010Bundesministerium Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Work Life Balance: Motor

für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität, Berlin 2006Czurlok, Jenny (Hrsg.): Erfolgsfaktor Work Life Balance, Nürnberg 2007Graf, Anita: Lebenszyklusorientierte Personalentwicklung: Ein Ansatz für die Erhal-

tung und Förderung von Leistungsfähigkeit und -bereitschaft während des ge-samten betrieblichen Lebenszyklus, Berlin Heidelberg 2002

Graf, Otto: Über lohnendste Arbeitspausen bei geistiger Arbeit, Berlin 1922Kypta, Gabriele: Burnout erkennen, überwinden, vermeiden, Heidelberg, 3. Aufl.

2011

1 vgl. auch Vulnerabilitäts-Stress-Bewältigungs-Modell nach Nuechterlein und Daw-son (1984) in Hammer, Matthias u. Plößl, Irmgard: Irre verständlich, Bonn 2012,1. Auflage, S. 16

2 vgl. Bundesministerium Familie, Senioren, Frauen und Jugend: Work Life Balance.Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität, Berlin2005, S. 4

3 https://www.familienservice.de/web/pme-akademie/work-life-balance-massnah-men, abgerufen am 24.08.2013

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4 aus der Präsentation der Vielfalt als Chance: Strategien der Personalentwicklung imUmgang mit Änderungen der Altersstruktur eines Unternehmens, Oliver Büdel,Leiter Personal, DEKRA-Bank, 16.11.2007

5 http://www.stresscoach.at/biofeedback_grundlagen/artikel_kurzpausen.pdf, abge-rufen am 25.08.2013

6 vgl. http://familienbewusste-personalpolitik.de/fileadmin/fba/download/Pilotstudie_Erfolgsfaktor_Work_Life_Balance.pdf, abgerufen am 24.08.2013

7 vgl. http://familienbewusste-personalpolitik.de/fileadmin/fba/download/Pilotstudie_Erfolgsfaktor_Work_Life_Balance.pdf, abgerufen am 24.08.2013

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Interview mit Gesina Stärz(Andreas Bohnert)

Gesina Stärz ist als Schriftstellerin,freie Publizistin und Redakteurin in derMedienbranche seit vielen Jahren be-heimatet und beschäftigt sich als sys-temische Beraterin in eigener Praxismit dem Thema Life-Balance.

Welche Bedeutung hat das Thema „Life-Balance“ für Sie?

Life Balance ist für mich von existenzieller Bedeutung. Ohne Aus-gleich zwischen Anforderungen, Herausforderungen, Ruhe, Harmonieentsprechend meinem Lebensrhythmus könnte ich nicht in verschie-denen beruflichen Kontexten als Schriftstellerin, systemische Bera-terin unter anderem für Pflegeheime und Redakteurin agieren unddie geforderten Leistungen vollbringen. Durch Achtsamkeit in SachenLife-Balance verfüge ich über mehr Energie.

Welche Life-Balance-Maßnahmen wenden Sie für sich anund in welchen Situationen?

Life-Balance-Maßnahmen setzen voraus, dass ich eine gute Bezie-hung zu mir selbst habe, dass ich Zeichen von Erschöpfung soforterkenne und anerkenne. Wenn ich nach einem anstrengenden Gespräch, nach vielen Stunden konzentrierter Arbeit, Ermüdungs -erscheinungen spüre, dann frage ich mich, was mir gut tut, neueEnergie bringt. Das kann im Sommer 20 Minuten Schwimmen imSee sein, das kann ein Spaziergang sein, gern lege ich mich auch aufeine Parkbank und beobachte die vorbeiziehenden Wolken oder wiedie Blätter in den Baumwipfeln im Wind tanzen, schlafe einige Minuten. Einfach mal allein sein, die Natur genießen – das ist fürmich eine erfrischende Pause. Nach einem langen Arbeitstag kocheich am Abend gern und höre meine Lieblingsmusik, entspanne mit

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Achtsamkeitsmeditation, lese einen Krimi. Wenn ich viel sitze, denEindruck habe, dass meine Stimmung sinkt, dann bringt mir Joggenneue Energie; an trüben, kurzen Tagen mit wenig Licht ein Sauna-besuch am späten Abend. Auch Yoga hilft mir hier sehr.Gemeinsames Essen mit Freunden im Sommer bei einem Feuer imGarten oder im Winter eine Schneeschuhtour oder Langlaufen beiFlutlicht nach Feierabend und dann gemeinsames Abendessen in ei-ner Wirtschaft. Das Repertoire der Life-Balance-Maßnahmen ist großund gehört zu meinem Alltag. Ich trenne nicht zwischen Beruf undPrivatleben, sondern versuche ein Leben nach meinem Rhythmus zuleben. Jede Pause ist wie Urlaub. Wichtig dabei ist, im Hier und Jetztzu sein.

Woran merken Sie, wenn Sie das Thema „Life-Balance“ fürsich einen Moment außer Acht gelassen haben?

An körperlichen Symptomen wie Kopfschmerzen, Bluthochdruck,Müdigkeit, körperlicher Schlappheit, Konzentrationsschwäche, Mus-kelverspannungen und einer Körperhaltung, die sich jämmerlich anfühlt und sicher von anderen Menschen auch als solche wahr -genommen wird.

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5.3. Kreativitätstechniken Von Veronika Alz

Social Media, Print oder Rundfunk: Egal, welche Kanäle eine Redak-tion bedient – Ausgangspunkt für die tägliche Arbeit ist das Findeneines für das Publikum interessanten Themas. Ein häufiges Problemstellt dabei das erzielte Erzeugen von Ideen „auf Knopfdruck“ dar.Wie gelingt es, unter Zeitdruck und zu einem bestimmten ZeitpunktThemen zu finden, welche für das jeweilige Publikum interessant sindund wie kann man diese auf den verfügbaren Kanälen ansprechendpräsentieren? Eine Möglichkeit zur Ideenfindung stellt die Anwen-dung von Kreativitätstechniken dar.Kreativität ist definiert als „die Fähigkeit eines Individuums oder einer Gruppe, in phantasievoller und gestaltender Weise zu denkenund zu handeln“1. Jeder Mensch besitzt kreative Fertigkeiten, die auf-grund persönlicher Eigenschaften und verschiedener externer Ein-flüsse, wie beispielsweise räumliche und soziale Arbeitsbedingungen,unterschiedlich ausgeprägt sind. Kreativität kann man dabei fördernund strukturiert anwenden. Mit sogenannten Kreativitätstechnikenwurden in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedliche Methodenentwickelt, die es Einzelpersonen und Teams erlauben, kreatives Den-ken systematisch voranzutreiben und leicht verständlich anzuwen-den. Diese Techniken stellen auch für Redaktionen eine Möglichkeitdar, Ideen zu finden, welche auf den ersten Blick verborgen blieben.Mit der Anwendung von Kreativitätstechniken wird die Kreativitätangeregt, um völlig neue, noch nicht realisierte Lösungen zu finden.

Einsatzmöglichkeiten von Kreativitätstechniken

Allgemein gesprochen dienen Kreativitätstechniken dazu, Problemezu präzisieren und entsprechende Lösungsansätze zu finden. Die The-menfindung in der Redaktionssitzung ist jedoch nur ein Beispiel fürdie Einsatzmöglichkeit von Kreativtechniken. Steht ein Thema fest,können die Kreativmethoden beispielsweise auch spielend leicht aufdie Darstellung in den einzelnen Kanälen übertragen werden. Für Redaktionen können somit Antworten auf folgende exemplarischeFragestellungen gefunden werden:

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Wie kann die Wochenendbeilage neu konzipiert werden?Wie kann die Homepage ansprechender gestaltet werden?Zu welchem Thema soll in der Lokalredaktion eine neue Wochenseriegestartet werden?Wie kann das Thema XY zusätzlich zur Printausgabe auf der Inter-netseite der Zeitung verarbeitet werden? Was benötige ich hierfür undwer kann diese Aufgaben wie übernehmen?

Die verschiedenen Methoden (siehe Seite 187 „Die geeignete Methodefinden“) beschleunigen den Ideenfluss, indem sie die Teilnehmer dazumotivieren, geäußerte Ideen weiterzuentwickeln und sich dabei anfeste Regeln zu halten. Der Begriff der „Betriebsblindheit“ ist allgemein bekannt. Je mehrErfahrung man in einem gewissen Themengebiet hat, desto schwie-riger ist es oftmals, ein bereits bekanntes Thema unter einem neuenBlickwinkel zu betrachten und hieraus neue Ideen zu gewinnen.Durch Kreativmethoden werden Denkblockaden aufgelöst. Hierbeikann es sich um Wahrnehmungsblockaden wie Betriebsblindheithandeln. Aber auch emotionale Hemmnisse, wie die Angst davor,eine falsche Antwort zu geben, oder die Scheu, der Fantasie freienLauf zu lassen, können durch Kreativitätstechniken überwunden wer-den. Dies erlaubt den Anwendern die Suchrichtung zu erweitern undden Fokus nicht auf ausschließlich rationale Lösungen zu legen.Nicht selten ergeben sich durch das gemeinsame Reflektieren aus ab-wegigen Anfangsideen völlig neuartige Lösungsansätze.Kreativtechniken sind jedoch nicht nur für Gruppen geeignet. Zahl-reiche Methoden lassen sich auch von Einzelpersonen anwenden odererlauben es kleineren Gruppen von zwei bis drei Personen, neueHandlungsalternativen zu finden.

So unterschiedlich die Methoden sind, haben sie jedoch alle gemein-sam, dass es nicht wie bei mathematischen Verfahren das „einzigrichtige“ Ergebnis gibt. Vielmehr handelt es sich bei Kreativitätstech-niken um Heuristiken, aus deren Anwendung unterschiedliche Lösungsansätze von unterschiedlicher Qualität resultieren. Dies kannabhängig von der Fragestellung aber auch der Zusammensetzung derGruppe sein und stellt die zum Zeitpunkt der Durchführung optimaleLösung dar.

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Die geeignete Methode finden

Das Angebot an Kreativitätstechniken ist groß. Dabei ist jedoch nichtjede Methode auf jedes Problem oder in jedem Team anwendbar.Umso wichtiger ist es deshalb, neben der korrekten Durchführungdes Verfahrens zunächst eine geeignete Kreativmethode auszuwäh-len. Deshalb sollte sich jedes Team vorab über folgende Bedingungenim Klaren sein:

Größe der Gruppe: Wie groß ist die Redaktion? Wie viele Personensind an der Ideenfindung beteiligt? Erfolgt die Ideensammlung al-leine oder im Team?

Verfügbare Zeit: Gibt es feste Sitzungen, in denen regemäßig Ideengesammelt werden? Kann ein ganzer Tag für eine Teammaßnahmeeingeplant werden? Wie lange dauert die Redaktionssitzung?

Beziehung der Gruppenmitglieder zueinander: Kennen sich dieGruppenmitglieder bereits? Sind Führungskräfte anwesend? Gibt espersönliche Konflikte zwischen Gruppenmitgliedern?

Erfahrung mit Kreativtechniken: Haben einzelne Gruppenmitgliederbereits Kreativtechniken angewendet? Wie erfahren sind die Teilneh-mer bei Gruppen- oder Einzelarbeiten?

Problemkenntnis der Gruppenmitglieder: Setzt sich die Gruppe res-sortübergreifend zusammen? Wie viele „Fachleute“ gibt es?

Linneweh2 beschreibt die ideale Zusammensetzung eines Teams wiefolgt: Es besteht aus fünf bis sieben Teilnehmern, welche über un-terschiedliche Fachkenntnisse verfügen, und setzt sich somit mög-lichst heterogen zusammen. Soziale Spannungen sollen dabei ver-mieden werden. Es erweist sich nach Linneweh als hilfreich, wenndas Team ohne Druck durch Autoritäten arbeiten kann. AnwesendeFührungskräfte dürfen also keine beherrschende Rolle einnehmen.Teilnehmer, die sehr zurückgezogen oder dominant auftreten, sollendurch einen Moderator gedämpft oder aufgefordert werden. Es wirdoftmals beobachtet, dass sich äußert rational denkende Teilnehmerund spontane Charaktere gegenseitig positiv beeinflussen und denIdeenfluss besonders effektiv vorantreiben.Ob man sich für eine Methode im Team oder für eine Kreativitäts-technik entscheidet, welche durch eine Einzelperson ausgeführt wird,

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hängt nicht zuletzt von den Vor- und Nachteilen ab, welche Team-arbeit mit sich bringt. Durch den Austausch mit anderen Gruppen-mitgliedern können viele verschiedene Meinungen gehört werden,was Irrtümer und falsche Annahmen korrigiert und eine breitere In-formations- und Urteilsbasis als bei der Entscheidungsfindung durchEinzelne schafft. Die persönliche Meinung wird um andere Perspek-tiven erweitert und steigert somit die Kreativität der Lösungsansätze.Vom Team getroffene Entscheidungen erfahren darüber hinaus einehöhere Akzeptanz als von Einzelpersonen bestimmte Maßnahmen,fühlt sich doch das ganze Team in die Entscheidungsfindung invol-viert und somit auch stärker für die Ausführung der getroffenen Ent-scheidungen motiviert.Neben den bereits erwähnten persönlichen Konflikten zwischen ein-zelnen Teammitgliedern birgt Teamarbeit die Gefahr, dass Verant-wortlichkeiten nicht klar geregelt werden und Konkurrenzkämpfe in-nerhalb der Gruppe die Effektivität der Sitzungen negativ beeinflus-sen. Auch der organisatorische und zeitliche Aufwand ist oftmalshöher als bei Einzelpersonen: Einen Termin zu finden, an dem dieganze Redaktion verfügbar ist, gestaltet sich oft schwieriger als ge-dacht.Je nach Ausgestaltung der Teams existieren verschiedene passgenaueMethoden, welche in Abbildung 1 dargestellt sind.

Abbildung 1: Kreativitätstechniken im Überblick

6-3-5-Methode

Analogie-technik

Morpho -logischerKasten

Relevanz -baum -analyse

Anzahl der Teilnehmer

Einzelpersonen X X XGruppen X X X X

Verfügbare Zeitniedrig X Xhoch X X X X

Beziehung derGruppen mitglieder

fremd X X X Xeng X X X X

Erfahrung mit Krea -tivitätstechniken

niedrig X X X Xhoch X X X X

Anzahl der Fachleuteaus unterschied -lichen Gebieten

niedrig X X Xhoch X

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Intuitive Methoden

Um in möglichst kurzer Zeit eine hohe Anzahl an Ideen zu generie-ren, eignen sich sogenannte intuitive Methoden. Sie aktivieren un-bewusstes Wissen und motivieren die Teilnehmer dazu, altbekannteDenkweisen zu verlassen. Dabei geht es zunächst um die reineSammlung möglicher Ideen und Lösungsansätze, welche erst im Anschluss an die eigentliche Methode in eine logische Reihenfolgegebracht und bewertet werden. Die wohl bekannteste Methode ist dasBrainstorming, zu welchem zahlreiche Varianten existieren.

Die 6-3-5-MethodeAufbauend auf die Ergebnisse des Brainstormings wurde die 6-3-5-Methode entwickelt. Dabei erhalten sechs Teilnehmer ein Blatt miteiner Tabelle, welche jeweils drei Spalten und sechs Zeilen enthält.Jeder Teilnehmer füllt nun in einer vorgegebenen Zeit (empfohlenwerden maximal fünf Minuten pro Durchgang) die Spalten der erstenZeile mit drei von ihm gesponnenen Ideen. Das Blatt wird weiterge-geben und der folgende Teilnehmer versucht die vom Vorgänger no-tierten Vorschläge weiter auszuführen und eigene Ideen darauf auf-zubauen. Er notiert diese in der zweiten Zeile. So wandert das Blattreihum, bis es schließlich vom sechsten Teilnehmer vollständig aus-gefüllt wird. Die 6-3-5-Methode erlaubt es in relativ kurzer Zeit bis zu 108 Ideenzu sammeln (sechs Teilnehmer × drei Ideen × sechs Zeilen) und eindirektes Feedback auf geäußerte Gedanken zu erhalten. Allerdingsbirgt diese Technik die Gefahr von Redundanzen und starren Ablauf-mechanismen, welche die Kreativität durch mangelnde Interaktionzwischen den Teilnehmern einschränken können.

Die AnalogietechnikDie Analogietechnik wählt ein Merkmal der Aufgabenstellung undsucht nach Dingen oder Personen, welche dieses Attribut ebenfallsbesitzen. Lösungsmöglichkeiten entstehen so in einem völlig neuenBlickwinkel. Dabei geht man in vier Schritten vor:

Ein Merkmal der vorhandenen Fragestellung auswählen 1.Weitere Inhaber dieser Merkmale sammeln 2.Die Aufgabenstellung aus der Sicht dieser Inhaber lösen 3.Die Lösungen auf die Aufgabenstellung übertragen 4.

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Das genaue Vorgehen soll das Beispiel in Abbildung 2 verdeutlichen.

Abbildung 2: Beispiel für die Anwendung der Analogietechnik

Diskursive Methoden

Diskursive Methoden liefern weniger Ideen als intuitive Techniken.Der Prozess der Ideenfindung verläuft jedoch in logisch aufeinanderfolgenden, einzelnen Schritten. Durch die Zerlegung in kleinste As-pekte beschreiben solche Techniken eine Fragestellung vollständigund vermeiden Überschneidungen, wie sie beispielsweise bei der 6-3-5-Methode zu beobachten sind.

Morphologischer KastenGrundlage des Morphologischen Kastens ist eine mehrdimensionaleMatrix, in der zu allen vorab festgelegten Merkmalen verschiedeneAusprägungen gesucht werden. So erhält man eine Vielzahl an Kom-binationen, welche anschließend diskutiert und bewertet werden kön-nen. Das Vorgehen ist dabei wie folgt:

Voneinander unabhängige und realistische Merkmale festlegen1.Alle möglichen Ausprägungen eines Merkmals sammeln2.Systematisch oder intuitiv eine Ausprägung des Merkmals pro3.Zeile wählen

Mit den entstandenen Kombinationen können dann weitergehendeIdeen entwickelt werden. Wichtig ist dabei, dass man die Anzahl derMerkmale begrenzt, um die Übersichtlichkeit und einfache Bewertungzu gewährleisten. Außerdem besteht die Möglichkeit, besonders wich-

Fragestellung: „Wie kann unsere Mitarbeiterkantine verschönert werden?“

Merkmal auswählen „In unserer Kantine gibt es viele Sitzmöglichkeiten.“

Weitere Inhaber „In einem Kino gibt es ebenfalls viele Sitzmöglichkeiten.“

Sicht des Inhabers „Menschen sitzen dort gerne in bequemen Kinosesseln.“

Übertragung aufProblemstellung

„Man könnte die Kantine mit bequem gepolsterten Stühlen ausstatten, um dort den Aufenthalt angenehmer zu gestalten.“

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tig erscheinende Merkmale und Ausprägungen zu gewichten odereinzelne Merkmale wieder zu verwerfen.

Abbildung 3: Beispiel für die Anwendung des Morphologischen Kas-tens

RelevanzbaumanalyseDass Kreativitätstechniken nicht nur zur Ideengenerierung genutztwerden können, sondern auch die Frage nach der Verbreitung aufden einzelnen Kanälen beantworten können, wurde bereits erwähnt.Eine Methode, welche sich besonders für die Fragestellung eignet,wie diverse Kanäle mit Inhalt gefüllt werden können, ist die Rele-vanzbaumanalyse – nicht zuletzt, da diese auch zukunftsrelevanteEntwicklungsmöglichkeiten festhält. Das Vorgehen vollzieht sich infolgenden Schritten:

Fragestellung festlegen1.Beurteilungskriterien erfassen2.Auflistung von Merkmalen und Einordnung in eine Hierarchie 3.Auswertung und Analyse der Entscheidungsschritte4.

Fragestellung: Wie wollen wir unsere neue Wochenserie im Lokalteil gestalten?

Merkmal Attribut Attribut Attribut Attribut

Themen -komplex Kultur Sport

Persönlich -keiten

Brennpunkte

Artikelart Feature Porträt Interview Reportage

Zusätzliche Infos auf anderenKanälen

Fotostreckeauf Homepage

Gewinnspiel-aktion

Videobeitragim Regional-fernsehen

Hörfunk -beitrag im lokalen Radiosender

Umfang Ganze Seite Halbe SeiteWochenend-beilage

zwei Seiten

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Abb. 4: Beispiel für die Anwendung der Relevanzbaumanalyse

Es haben sich in den vergangenen Jahren auch Kombinationen ausintuitiven und diskursiven Elementen entwickelt. Da dieser Beitragnur einen grundlegenden Überblick über die Arbeit mit Kreativitäts-techniken geben soll, sei hierbei auf die nachstehenden Literatur-empfehlungen verwiesen.

Tipps für eine gelungene Kreativitätssitzung

Kreativitätssitzungen sind gerade für unerfahrene Teilnehmer an-fangs sehr ungewohnt, da sie mit den Techniken noch nicht vertrautund unter Umständen auch nicht gewohnt sind, auf den ersten Blickunlogisch erscheinende Ideen frei zu äußern. Um den Teilnehmerndie Scheu vor spontanen Äußerungen zu nehmen und die Effektivitätder Sitzung zu erhöhen, erweist es sich als hilfreich, die Sitzung be-reits im Vorfeld zu strukturieren und während des gesamten Ablaufseinige grobe Richtlinien zu beachten, die nicht nur für Kreativitäts-sitzungen, sondern auf eine Vielzahl von Meetings übertragbar sind.

Angenehme Arbeitsatmosphäre Gerade wenn Teilnehmer noch keine Erfahrung mit Kreativitätstech-niken aufweisen, ist es besonders wichtig, dass sie sich wohlfühlenund nicht durch störende externe Faktoren abgelenkt werden. Fixie-ren Sie beispielsweise den zeitlichen Rahmen und halten Sie diesen

Fragestellung

Kanäle

Plattformen

Beitragsarten

Ort

Benötigte Ressourcen

Wie können wir das Thema „Wahlkampf“streuen?

SozialeNetzwerke Website Print

Facebook Twitter

aus Bürogepostet

Live vorOrt

mobilesEndgerät Reporter

Status-meldung Bild Umfrage

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ein. Lassen Sie dabei keinen Zeitdruck aufkommen, sorgen Sie fürausreichend Pausen und vermeiden Sie, dass die Teilnehmer währendder Sitzung gestört werden.

Zunächst gilt: Quantität vor QualitätNotieren Sie möglichst viele Alternativen, ohne dabei sofort über de-ren Realisierbarkeit oder Abwegigkeit nachzudenken. Suchen Sienicht sofort nach der besten Lösung. Dies schränkt Ihre Kreativitätunbewusst ein und verursacht möglicherweise Denkblockaden. DieIdeen sollen zunächst ohne Bewertung oder Bewertung zwischen denTeilnehmern festgehalten werden. Eine Diskussion über die Umsetz-barkeit erfolgt erst nach Durchführung der Kreativmethode. Ideen-findung und Ideenbewertung sind strikt zu trennen.

ModeratorBestimmen Sie einen Moderator, der die Teilnehmer anleitet und denIdeenfluss durch Reizfragen in Gang hält. Er führt, wenn nötig, indas Problem ein, aktiviert zurückhaltende Teilnehmer und achtet da-rauf, dass sich die Gruppe nicht von der eigentlichen Fragestellungentfernt. Er darf keinesfalls manipulierend wirken oder die Ideen ineine bestimmte Richtung lenken.

VisualisierungVisualisieren Sie die geäußerten Gedanken. Sammeln Sie die Ideenbeispielsweise. an einer Metaplanwand, um alle Alternativen für dieTeilnehmer sichtbar zu machen. Stellen Sie, wenn möglich, Zusam-menhänge her, so dass die Gruppe am Ende der Ideensammlungnachvollziehen kann, wie sich einzelne Alternativen entwickelt haben. Diese Aufgabe sollte eine an der Diskussion unbeteiligte Per-son übernehmen und kann durch den Moderator erfolgen.

Protokoll anfertigenBestimmen Sie einen Protokollanten, welcher nicht an der Ideen-sammlung teilnimmt, sondern in einer neutralen Rolle den komplet-ten Ideenfluss nachvollziehbar niederschreibt. Dabei ist es wichtig,dass er über ausreichende Sachkenntnis und eine schnelle Auffas-sungsgabe verfügt. Er darf keine eigenen Bewertungen in das Proto-koll mit einfließen lassen, indem er beispielsweise in seinen AugenUnerhebliches nicht erfassen würde.

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Unternehmensführung und Methodenkompetenz

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Abb. 5: Ablauf einer Kreativitätssitzung

Einen stark vereinfachten Ablauf, welcher auf jede Kreativitätssit-zung – unabhängig von der gewählten Methode – angewendet wer-den kann, zeigt Abbildung 5. Die Auswahl der passenden Idee kannje nach Fragestellung durch unterschiedliche quantitative und qua-litative Methoden erfolgen. Gerade in kleinen Teams zeichnen sichim Laufe der Diskussion klare Favoriten ab.

Weiterführende LiteraturHiggins, James M./Wiese, Gerold G.: Innovationsmanagement – Kreativitätstechni-

ken für den unternehmerischen Erfolg, Berlin 1996Backerra, Hendrik/Malorny, Christian/Schwarz, Wolfgang: Kreativitätstechniken –

Kreative Prozesse anstoßen, Innovationen fördern; München 2007, 3. AuflageSchlicksupp, Helmut: Innovation, Kreativität und Ideenfindung, München 2004, 6.

AuflageScherer, Jiri/Brügger, Chris: Kreativitätstechniken – In 10 Schritten Ideen finden,

bewerten, umsetzen, Offenbach 2007, 3. Auflage

1 http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/82522/kreativitaet-v7.html, abgerufenam 02.09.2013

2 vgl. Linneweh, Klaus: Kreatives Denken, Rheinzabern 1994, 6. Auflage, S. 113 f.

1. Fragestellung definieren

2. Ideenfindung: Kreativitätstechnik anwenden

3. Bewertung der einzelnen Ideen

4. Entscheidung für eine Lösung und im NachgangHandlungsplan erstellen

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Innovation in den Medien

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6. Aus- und FortbildungVon Markus Kaiser

Während in zahlreichen Medienhäusern crossmediales Arbeitenlängst zum Alltag gehört, stellen sich manche kleinen und mittel-ständischen Unternehmen nur langsam auf die sich bereits und künf-tig bietenden Möglichkeiten ein. Dies reicht bis zum Extremfall, dasseine Landkreistageszeitung in Bayern noch überhaupt kein redaktio-nelles Internetangebot hat. „Wir machen auf Sie aufmerksam!“, stehtlediglich auf der Website. Die Zeitung „hilft Ihnen mit der richtigenAnzeige…“ Das Verbreitungsgebiet, Preislisten und Ansprechpartnerfür den Anzeigenverkauf werden genannt. Den User online überNeuigkeiten aus dem Verbreitungsgebiet zu informieren, überlassenVerlag und Redaktion in einem riesigen Verbreitungsgebiet komplettanderen mit der eingetretenen Folge, dass Außenredaktionen bereitsgeschlossen werden mussten.Zum Glück ist dieser Extremfall, sich dem Internet komplett zu ver-weigern, höchst selten. Häufiger kommt es noch vor, dass die Mög-lichkeiten bei weitem nicht ausgenutzt werden und die Online- Redaktion lediglich dazu dient, Printtexte ins Internet zu hieven oderdas Radioprogramm und die Vita der Moderatoren abzubilden. DerSchwarze Peter wird dabei immer wieder herumgereicht: Redakteure,Jüngere, aber auch Innovationen Aufgeschlossene kurz vor dem Ren-tenalter, klagen, dass der Verlag oder die Chefredaktion sie nichtcrossmedialer arbeiten lässt, dass nach wie vor das Ursprungsmediumhöchste Priorität habe, schließlich sei dies nach wie vor die Cashcow,durch die sämtliche Arbeitsplätze finanziert werden. Von Verlagsge-schäftsführern und Chefredakteuren hört man wiederum die Klagen,sie würden ja gerne crossmedialer arbeiten und Neues ausprobieren.Ihnen fehlten aber die dazu nötigen qualifizierten und motiviertenMitarbeiter.Hier kommt das Thema Aus- und Fortbildung ins Spiel. Akademienund Journalistenschulen haben auf den Trend längst reagiert undbieten neben den Klassikern, wie man eine Reportage oder ein Fea-ture schreibt und wie man Texte redigiert, Kurse in crossmedialemArbeiten an: von Video- und Datenjournalismus über Multimedia-

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Aus- und Fortbildung

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Storytelling, Facebook für Redaktionen und Tablet-Journalismus fürMagazine bis hin zu Mobile Reporting, Social TV und auch Online-Marketing. „Alles, was nach digital klingt, verkauft sich wie warmeSemmeln“, sagt beispielsweise Martin Kunz, Direktor der Akademieder Bayerischen Presse in München, in einem Feature im „MedienMagazin 2013/2014“ des MedienCampus Bayern (das „Medien Ma-gazin“ kann übrigens kostenfrei unter [email protected] an-gefordert werden). Nicht nur Volontäre und Jungredakteure besuch-ten die Kurse. „Die Zahl unserer Seminarbuchungen ist von 1700 auf2000 pro Jahr gewachsen“, erläutert Kunz von der ABP (www.a-b-p.de). Besonders gut liefen Kurse für Online schreiben, Webvideosdrehen oder Mobile Publishing. „Wir müssen teilweise während desJahres noch Kurse zusätzlich zum Jahresprogramm nachlegen.“Alleine in Bayern gibt es eine Vielzahl an Akademien, die Medien-schaffende für die Herausforderungen der Medienwelt fit machen:nicht nur im Bereich des Journalismus, sondern auch in der PublicRelations, im Bereich Film, Games und Transmedia oder in der Medientechnik. Ein Großteil dieser Einrichtungen ist Mitglied beimMedienCampus Bayern (www.mediencampus.de). Darunter ist bei-spielsweise die ARD.ZDF medienakademie (www.ard-zdf-medienaka-demie.de). Deren Spektrum reicht von Seminaren zum Programm -inhalt bis hin zu Produktion und Technik: „Smartphones, Tablets undwas man damit machen kann“, „MyRadio: digital, multimedial, imInternet“ oder „Digitales TV für Fernsehtechniker“ lauten Seminar -titel. Auch das im öffentlich-rechtlichen Rundfunk derzeitige Zau-berwort „trimedial“ taucht im Programm auf.Auf den Online-Journalismus und die Pressearbeit online spezialisierthat sich die Stiftung Journalistenakademie Dr. Hooffacker in Mün-chen (www.journalistenakademie.de). Ein Weiterbildungslehrgangwie „Online-Journalismus“ eröffnet Journalisten, die bislang nur we-nige Berührungspunkte zum Online-Bereich hatten, neue Berufsper-spektiven. Berufsbegleitend vermitteln der Lehrgang „Journalismuscrossmedial“ Crossmedia-Kenntnisse, der Lehrgang „Audio- und Videojournalismus“ Kompetenzen für Bewegtbild und Social Media.Das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp), die katholische Journalistenschule, bietet neben ihrem Stipendienpro-gramm eine Vielzahl an crossmedialen Seminaren auch für Externe

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Innovation in den Medien

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an (www.ifp-kma.de): Beispielsweise hat sie „Texten fürs Web –Crossmedial Arbeiten“, „Wenn aus Zahlen Storys werden – Einfüh-rung in den Datenjournalismus“, „Twitter als Journalist nutzen –Crossmedial Arbeiten“, „Mobile reporting – Crossmedial Arbeiten“und „Videojournalismus für Onliner – Crossmedial Arbeiten“ im ak-tuellen Seminarplan.Die Akademie des Deutschen Buchhandels in München hat über 100E-Publishing-Kurse jedes Jahr im Angebot (www.buchakademie.de).Daneben bietet sie Zertifikatskurse an, darunter sind die neu konzi-pierten zum Social-Media-Manager, SEO/SEA-Manager, Website-und Portal-Manager oder E-Learning-Projektmanager.Die Akademie für Neue Medien Kulmbach in Oberfranken hat unteranderem die Ausbildungen zum Broadcaster, zum Online-Journalis-ten und zum Videoreporter Crossmedia im Angebot (www.bayeri-sche-medienakademien.de).

Übersicht und Informationsquellen

Natürlich gibt es neben den oben genannten Akademien und Jour-nalistenschulen noch weitere Angebote in Bayern bzw. Deutschland.Eine komplette Übersicht zumindest innerhalb Bayerns findet sich imMedienWiki des MedienCampus Bayern unter http://www.medien-wiki.org/index.php/Crossmedia-Seminare_in_Bayern. Diese Übersichtwird von den dort aufgeführten Akademien ständig aktualisiert undauf dem neuesten Stand gehalten.Ein Überblick über die relevanten Aus- und Fortbildungseinrichtun-gen im Medienbereich mit den Kontaktdaten ist außerdem im „Me-dien Magazin“ des MedienCampus Bayern zu finden, das jährlich erscheint und kostenfrei angefordert werden kann (eine Mail [email protected] genügt). Auf den MEDIENTAGEN MÜNCHEN jeweils im Oktober stellen sichdie Aus- und Fortbildungseinrichtungen auf dem kostenfrei zugäng-lichen MedienCampus-Areal vor. Dort kann man sich einen gutenÜberblick über die neuesten Seminare verschaffen. Aber auch Fach-verlage, wie SpringerVS mit der im Journalismus bekannten „gelbenReihe“ und der Universitätsverlag Konstanz (UVK), stellen ihre Neu-erscheinungen und bisherigen Titel in diesem Bereich vor. Zudemsollen kostenfreie Kurz-Workshops (im Jahr 2013 zum Beispiel zu

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Aus- und Fortbildung

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Datenjournalismus und Tabletjournalismus) einen ersten Einblick ge-ben, und auf Panels und durch Vorträge wird über die verschiedens-ten Medienbereiche von Film, Games und Transmedia über Jour -nalismus, Medienmanagement und Medientechnik bis hin zur Buchbranche und Design ein Überblick über Trends gegeben (dasProgramm ist unter www.mediencampus.de zu finden).

Ausbildung

In der journalistischen Ausbildung gehört Crossmedia längst zumAlltag. Selbstverständlich bildet der Bayerische Rundfunk seine Vo-lontäre trimedial aus. „Unser Wunsch ist, dass unsere Volontäre vonden Redaktionen lernen, aber auch anders herum die Social-Media-Kompetenz und Web-Erfahrung aus der Ausbildung mit in die Praxishineintragen“, sagt Anja Miller, die Leiterin der Ausbildungsredak-tion im Interview mit dem „Medien Magazin“ des MedienCampusBayern. Ihre Volontäre werden für alle drei Kanäle (Hörfunk, Fern-sehen, Online) ausgebildet. „Wir brauchen keine Eier legende Woll-milchsau, die später alles alleine macht. Aber das Verständnis für dasjeweils andere Medium ist wichtig.“ Neu beim Bayerischen Rundfunksind zum Beispiel Mobile-reporting-Kurse und ein trimediales Plan-spiel, um zu lernen, wie man eine trimediale Einheit organisierenmuss und welche Schnittstellen es gibt. Zudem haben die Volontäreeinen eigenen Weblog (http://blog.br.de/volos).An Universitäten und Hochschulen für Angewandte Wissenschaftenspielt Crossmedia eine immer größere Rolle. Die Universität Passauhat erst jüngst ihren Neubau mit einem crossmedialen Newsroom ein-geweiht. Darin sollen auch crossmediale redaktionelle Abläufe simu-liert werden können. Auch die Universität Bamberg setzt an ihremneuen Standort des Instituts für Kommunikationswissenschaft ver-stärkt auf eine crossmediale Ausbildung. Das crossmediale Projekt„Einsteins“ an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadthat Prof. Egbert van Wyngaarden im Kapitel 4.2 „Vernetzes Erzählenmit einfachen Mitteln“ bereits beschrieben. In vielen Crossmedia- Seminaren arbeiten die Hochschulen auch mit Medienunternehmen zusammen: An der Technischen Hochschule Nürnberg entsteht im Bachelor-Studiengang Technikjournalismus beispielsweise eine cross-mediale Plattform goho.tv in Zusammenarbeit mit Müller Medien, ein

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hyperlokaler Fernsehsender für den Nürnberger Stadtteil Gostenhof,bei dem selbstverständlich Social Media eine bedeutende Rolle spielen.Im Bachelor-Studiengang Informationsmanagement und Unterneh-menskommunikation an der Hochschule Neu-Ulm ist sogar einer derdrei wählbaren Studienschwerpunkte „Crossmedialer Journalismus“.An der Deutschen Journalistenschule (DJS) und an der Burda-Jour-nalistenschule in München ist die crossmediale Ausrichtung weit fort-geschritten. In der Ausbildung geht es meist nicht in erster Linie darum, das Arbeiten mit zig verschiedenen Computerprogrammen zuerlernen, sondern um das crossmediale Denken und Planen: „Cross-mediales Denken zu trainieren, ist neben der Ausbildung für den klas-sischen Qualitätsjournalismus ein zentraler Ansatz für das DJS-Cur-riculum“1, sagt beispielsweise der frühere DJS-Leiter Ulrich Brenner.Eine vollständige Auflistung über die bayerischen Angebote an Jour-nalistenschulen, Akademien, Hochschulen und Universitäten gibt esim MedienWiki unter www.medienwiki.org.In den vergangenen Jahren hat sich die Journalistenausbildung im-mens verändert. Permanent stehen die Ausbildungspläne und Stu-dienordnungen auf dem Prüfstand. „Ziel ist es also nicht, die Jour-nalistenausbildung einmal an eine veränderte Arbeits- und Produk-tionsweise anzupassen und diesen neuen Status quo anschließenddauerhaft zu manifestieren. Vielmehr muss es dem Journalismus ge-lingen, mit einer professionellen Form des Innovationsmanagementsimmer wieder kontinuierlich neue Formen zu entwickeln und in denArbeitsablauf zu integrieren, die sich aus der Dynamik von Zeit,Raum, sozialem Wandel und Technikentwicklung ergeben werden“2,meint Prof. Dr. Sonja Kretzschmar. Dies bedeutet auch, dass Medien-unternehmen dauerhaft den Fokus auf Personalentwicklung legenmüssen, wenn sie von den Innovationen in den Medien nicht über-rollt werden wollen.

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Aus- und Fortbildung

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Weiterführende LiteraturKretzschmar, Sonja: Crossmediale Ausbildung. Verlierer und Gewinner, in: Hohlfeld,

Ralf/Müller, Philipp/Richter, Annekathrin/Zacher, Franziska (Hrsg.): Crossmedia.Wer bleibt auf der Strecke?, Berlin 2010.

Markett, Jochen: Die wichtigsten Schulen und Akademien, in: Jakubetz,Christian/Langer, Ulrike/Hohlfeld, Ralf (Hrsg.): Universalcode. Journalismus imdigitalen Zeitalter, München 2011.

„Medien Magazin 2013/2014“ des MedienCampus Bayern, München 2013.

1 Markett, Jochen: Die wichtigsten Schulen und Akademien, in: Jakubetz,Christian/Langer, Ulrike/Hohlfeld, Ralf (Hrsg.): Universalcode. Journalismus imdigitalen Zeitalter, München 2011: S. 459.

2 Kretzschmar, Sonja: Crossmediale Ausbildung. Verlierer und Gewinner, in: Hohl-feld, Ralf/Müller, Philipp/Richter, Annekathrin/Zacher, Franziska (Hrsg.): Cross-media. Wer bleibt auf der Strecke?, Berlin 2010: S. 47.

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Autorinnen und Autoren

VERONIKA ALZ, M. Sc., geb. 1986, Master in Betriebswirtschaftslehrean der Universität Regensburg. Projektmitarbeiterin für dasQualitätssiegel des MedienCampus Bayern. Spezialgebiete:Management und Führung, Produktmanagement.

HARALD BAUMER, Mag. Theol., geb. 1962, Leiter des Hauptstadt-büros der Nürnberger Nachrichten; Autor der Weblogs „UnserMann in Berlin“ und „Metropolkultur“; Lehrbeauftragter Universität Bamberg, Deutsche Richterakademie, Akademieder Bayerischen Presse, Universität Leipzig; Spezialgebiete:Medienethik, Interview, Reportage, Recherche, Bloggen.

FRANZISKA BAUR, M. A., geb. 1985, freie Journalistin für Nürnber-ger Zeitung, Bayerischer Rundfunk, MedienCampus Bayernund Goethe-Institut. Studium der Politikwissenschaft an derUniversität Wien (B.A.) und Medien-Ethik-Religion an derFriedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (M.A.).

DR. MARKUS BEHMER, geb. 1961, Professor für Kommunikations-wissenschaft an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Lehr-und Forschungsschwerpunkte: Journalismusforschung, aktu-elle Medienentwicklung, Mediengeschichte und internationaleKommunikationspolitik; Mitbegründer der Crossmedia-Ar-beitsgruppe Bayern.

ANDREAS BOHNERT, Dipl. Sozialpädagoge (FH), geb. 1973, Beraterund Trainer mit den Schwerpunkten psychische Gesundheit imUnternehmen, Führungskräfte- und Organisationsentwicklung,Leiter der Caritas Fachambulanz Miesbach, Lehraufträge an derKatholische Stiftungsfachhochschule u.a. zu den Themen Management, Organisationspsychologie und Suchtpräventionin Unternehmen.

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Autorinnen und Autoren

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DANIEL FIENE, geb. 1982, Redakteur, Düsseldorf, Studium der Ge-schichte und anschließend Volontariat bei Antenne Düssel-dorf. Seit 2009 dort Redakteur und Moderator. Seit 2004 mo-deriert er das Medienmagazin „Was mit Medien“. Zunächstbeim Münsteraner Campusradio Radio Q, seit 2012 bei DRa-dioWissen vom Deutschlandfunk. Ist auch als Medienjourna-list für verschiedene ARD-Hörfunkwellen und als Dozent tätig.Er twittert unter http://twitter.com/fiene.

STEFAN HOPF, M. Sc., geb. 1986, Mitarbeiter und Doktorand an derForschungsstelle für Information, Organisation und Manage-ment der Fakultät für Betriebswirtschaft an der Ludwig- Maximilians-Universität München; Spezialgebiete: Digitali-sierung, Veränderung von Arbeits- und Organisationsformen,Geschäftsmodelle, Innovation.

JÖRG IHLE, geb. 1974, Filmregiestudium am American Film Institute(AFI) in Los Angeles, Geschäftspartner Avatar EntertainmentGroup, LLC, Spielfilmautor, Regisseur, Co-Produzent. Autorbei Ubisoft für Videospiele (u.a. Siedler 7, Silent Hunter 5,Anno 1404), freiberuflicher Autor für Storywelten. Lehrauf-träge u. a. an der Filmakademie Baden-Württemberg, HFFKonrad Wolf, HFF München, Lazi Akademie, Games Lab Cologne, IFS Köln, Eucroma Kopenhagen, DHBW Ravensburg.Spezialgebiet: Storywelten für Games, Film, TV, Toys undTransmedia.

CHRISTIAN JAKUBETZ, geb. 1965, Journalist, Berater und Dozent;er war Redaktionsleiter bei diversen Tageszeitungen, beim ZDFund N24, danach Redaktionsdirektor von Kirch New Media,Bereichsleiter bei SevenOne Intermedia (ProSiebenSAT1);Buchveröffentlichungen u. a. „Crossmedia“ (Konstanz 2011)sowie gemeinsam mit Ulrike Langer und Prof. Dr. Ralf Hohl-feld „Universalcode“ (München 2011); Lehraufträge u. a. ander Universität Passau und an der Deutschen Journalisten-schule in München; Mitbegründer der Crossmedia-Arbeits-gruppe Bayern.

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Innovation in den Medien

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MARKUS KAISER, M. A., geb. 1978, Journalist und Geschäftsstellen-leiter des MedienCampus Bayern e. V., München. Spezialge-biete: Journalismus, Recherche, Crossmedia, Medienpolitik,neue Medienentwicklungen. Redakteur der „Nürnberger Zei-tung“ (Sport, Hochschule und Wissenschaft); Lehraufträge u.a.an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg,Technischen Hochschule Nürnberg Georg Simon Ohm undHochschule Ansbach; Herausgeber von „Special Interest“ (Ber-lin 2012) und „P-Seminar Medien“ (München 2013); Mitbe-gründer der Crossmedia-Arbeitsgruppe Bayern.

HOLGER MÜLLER, M. A., geb. 1977, wissenschaftlicher Mitarbeiteram Institut für Kommunikationswissenschaft der Otto-Fried-rich-Universität Bamberg. Schwerpunkte: Praktische Journa-listenausbildung, Hörfunkforschung und aktuelle Medienent-wicklungen. Zuvor freier Journalist und Moderator bei der Gemeinschaftsredaktion der bayerischen Lokalradios BLR.

DR. RAHILD NEUBURGER, geb. 1964, Akademische Oberrätin an derFakultät für Betriebswirtschaft der Ludwig-Maximilians-Uni-versität München und stellvertretende Geschäftsführerin desMünchner Kreis e.V.; Spezialgebiete: Digitalisierung, Neue Medien, Veränderung von Organisation und Führung sowieZukunft der Arbeit.

BERND OSWALD, Autor und Trainer für digitalen Journalismus(www.journalisten-training.de). Schreibt und lehrt u. a. überNetzkultur, Informationsmanagement, Social Media und Storytelling. Davor: Deutsche Journalistenschule, Journalis-tik-Studium, acht Jahre Redakteur bei sueddeutsche.de.

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Autorinnen und Autoren

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PROF. DR. DRES. h.c. ARNOLD PICOT, geb. 1944, Leiter der For-schungsstelle für Information, Organisation und Managementan der Fakultät für Betriebswirtschaft der Ludwig-Maximili-ans-Universität München und Vorsitzender des Vorstands desMünchner Kreis e.V.; Spezialgebiete: Digitalisierung, Neue Me-dien, Telekommunikation, Regulierung, Wechselbeziehungzwischen Information und Kommunikation und deren Aus-wirkungen auf Organisations- und Marktstrukturen, ökono-mische Theorien der Organisation.

LISA SONNABEND, M. A., geb. 1980, Redakteurin, München. Studiumder Kommunikationswissenschaften und anschließend Ausbil-dung an der Deutschen Journalistenschule. Seit 2008 Redak-teurin bei SZ.de, fünf Jahre im Ressort München/Bayern, mittlerweile im Sport. Betreiberin des Stadtblogs muenchen-blogger.de.

JOSEF WISSINGER, Dipl. Sozialpädagoge (FH), geb. 1972, Geschäfts-führer RKW Bayern, Rationalisierungs- und Innovationszen-trum der Bayerischen Wirtschaft e.V.; als Berater Begleitungvon mittelständischen Unternehmen mit den SchwerpunktenVeränderungsprozesse, Führungskräfte- und Organisations-entwicklung. Co-Autor Praxisleitfaden Projektmanagement:Tipps, Tools und Tricks aus der Praxis für die Praxis (HanserVerlag 2010).

EGBERT VAN WYNGAARDEN, Autor, Dramaturg und Professor fürDrehbuch und Kreatives Schreiben an der MHMK München.Über sein Büro für digitales Storytelling Transmedia Desk unterstützt er die Entwicklung innovativer Unterhaltungs -formate. Egbert van Wyngaarden ist Mitgründer und Vor-standsvorsitzender des interdisziplinären Netzwerks für Me-dienschaffende Transmedia Bayern e.V.

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Innovation in den Medien

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Google, Apple und Facebook haben die Medienwelt ver-ändert. Auch lokale und regionale Medienunternehmenmüssen sich massiv wandeln. Das Gute: Es entstehenneue Möglichkeiten, als Journalist zu arbeiten, seine Geschichten multimedial aufzubereiten und den Leser,Hörer sowie Zuschauer den ganzen Tag über zu be -gleiten. Datenjournalismus, Transmediales Arbeiten undLive-Berichterstattung sind nur einige Schlagworte. Imfiktionalen Bereich spielen Storywelten eine bedeutendeRolle: Wie lassen sich Film, Serie, Games und Buch ver-und die Nutzer einbinden? Das Buch gibt praxisorien-tierte Ratschläge. Auch Themen wie Change Manage-ment, Life Balance, Medienethik sowie Monetarisierungim Mobile-Bereich werden von den Autoren behandelt.

Markus Kaiser, geboren 1978 in Nürnberg,ist Journalist und Geschäftsstellenleiter desMedienCampus Bayern e.V., des Dachver-bands für die Medienaus- und -fortbildungin Bayern. Daneben lehrt er als Dozent anverschiedenen Hochschulen und Universi-

täten. Zudem ist er Mitgründer der Crossmedia-Arbeits-gruppe Bayern.

www.mediencampus.de

29,00 €