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Z um Jahresausklang wurde hierzulande noch einmal reichlich Verwirrung ge- stiftet. Da ist die große Koalition schon in Sachen Gesundheitsreform konfus genug, wird Bundespräsident Köhler in den Me- dien als „Rebell“ gefeiert, und macht ein Wort die Runde, mit dem viele erstmal we- nig anzufangen wußten: „Investivlohn“. Ganz genau so, und nicht etwa „Intensiv- lohn“, wie nicht nur die Tagesschau auf ih- rer Internetseite behauptete. Bei der in Parteien, Gewerkschaften und in der Presse vorgetragenen Debatte geht es jedoch keineswegs um eine etwai- ge Intensivierung von Gehältern, worun- ter man ja naiv allgemeine Lohnerhöhun- gen verstehen könnte, sondern vielmehr um Modelle, denen zufolge ArbeiterInnen dazu genötig werden sollen, einen Teil ih- res Lohnes zu investieren — nämlich in die Firma ihres Arbeitgebers. Sprich, nicht mehr die ganze Summe, sondern nur noch 90% oder 85% des Lohnes landen als Aus- zahlung auf dem Girokonto der Beschäf- tigten, der Rest wird in Form von Aktien, Anleihen oder dergleichen „angelegt“ — oder, anderen hübschen Ideen entspre- chend, der womöglich finanzklammen Firma gar als Darlehen zur Verfügung gestellt, mit der Aussicht, Zinsen zu kassieren. Na, immerhin et- was. Bundesrenegat Köhler, der per Interview den Investivlohn ins Gespräch brachte, sieht darin „mehr Ver- teilungsgerechtigkeit“. Schließlich seien die Einkünfte aus Kapitalvermögen in den letzten Jahren schneller gewachsen als die Löhne. Es sei nur recht und billig, die Mit- arbeiterInnen auch am Firmengewinn zu beteiligen. Mittels Investivlöhnen. Am be- sten gleich per Gesetz. Nun sind Investivlöhne nicht dasglei- che wie Gewinnbeteiligungen. Dafür muß die Firma erst einmal Gewinne erzielen. Ansonsten kann die Geschichte recht un- angenehm werden. Je nach Modell könn- ten solche am Unternehmen beteiligte Be- schäftigte schnell mit leeren Händen da- stehen; Aktien können bekannterweise rasch an Wert verlieren, zumal, wenn sie frei gehandelt werden. Und wie es um An- teile an Firmen bestellt ist, die Bankrott gehen und folglich keinen müden Heller mehr taugen, sollte sich spätestens seit dem großen Firmensterben in der IT-Bran- che Mitte der 1990er Jahre herumgespro- chen haben. Damals war es üblich, Aktien an Angestellte auszugeben. Alle Beteilig- ten glaubten, davon nur profitieren zu können. Die Chefs hatten loyale Mitarbei- terInnen, die sich mit ihnen und der Fir- ma verbunden fühlten und einen verhält- nismäßig geringen Grundlohn kosteten. Die Beschäftigten wiederum wähnten sich als Nutznießer aufstrebender, zukunfts- orientierter Jungunternehmen und dank der Aktienanteile quasi schon selbst als Geschäftsleute. Klar, daß der gewerk- schaftliche Orga- nisierungsgrad hier eher schwach ausfiel. Groß war dann der Kat- zenjam- mer, als sich das so perfekt ge- dachte Mo- dell als Pilotspiel entpuppte. Froh könnten andererseits jene sein, welche nicht auch noch Pech mit der juristischen Organisationsform „ihrer“ Fir- ma hatten, und dank der Geschäftsantei- le nun auch noch auf einem Berg Schul- den saßen. Auch wenn letzteres so erstmal noch nicht zu befürchten ist, wäre ein Investiv- lohn so oder so mit neuen Risiken ver- bunden, die auf die Beschäftigten abge- wälzt werden. Gerade davon versprechen sich Regierung und Kapital motiviertere ArbeiterInnen. Indem ihr Einkommen vom Firmengewinn abhängig gemacht wird, soll sichergestellt werden, daß sie sich wie von selbst in die Arbeit reinknien, weil das ja auch in ihrem eigenen Interesse ist. Selbstredend würde das dann wiederum zu mehr Firmenloyalität führen. Wer be- streikt schon ein Unternehmen, das ihm selbst gehört? Und das nun, so tagträu- men nicht wenige PolitikerInnen, würde den Standort Deutschland stärken und schließlich gar den Patriotismus fördern. Supi. Was aber hätten Arbeiterinnen und Ar- beiter vom Investivlohn? Außer dem frag- würdigen Nervenkitzel, nie so recht zu wissen, wie hoch der nächste Lohn aus- fällt, nicht unbedingt viel. Die wenigen ähnlichen solcher Modelle, die es dafür bisher in Deutschland gibt, täuschen meist. Bei Siemens, Daimler, BMW oder aber SAP han- delt es sich in der Regel um gesuchte Fachkräf- te, die eine besonders gute Ausgangslage auf dem Arbeitsmarkt haben und die mittels güstiger Konditio- nen gelockt bzw. gebunden wer- den sollen. Anders sieht es da bei- spielsweise schon beim Versiche- rungsunternehmen Allianz aus, wo für bestimmte Angestellte das Grundgehalt massiv gedrückt wurde zugunsten von ho- hen Provisionsanteilen. Und das könnte, so befürchten ExpertInnen, bei einem ge- nerell eingeführten Investivlohn heraus- kommen: Eine besondere Art des Kombi- lohns, bei dem nicht der Staat, sondern die Beschäftigten ihre eigenen Löhne be- zuschussen. Vor allem aber liefen Investivlöhne auf eine verschärfte Auseinanderdividierung der Arbeiter und Arbeiterinnen hinaus; Or- ganisierung und gewerkschaftliche Kämp- fe würden enorm erschwert. Die Stärke der Arbeiterklasse lag denn auch noch nie in ihrer Zerrüttetheit begründet. Genau die- se aber hätte ein wie auch immer geregel- ter Investivlohn zur Folge. Lassen wir uns nicht in die Irre führen. So wenig Rebellen Bundesverdienstkreuze verteilen, ersetzen Investivlöhne die gu- ten, alten Gewerkschaftsdiszplinen wie Lohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzung und Verbesserung der Arbeitsbedingun- gen. Die Wahrheit liegt eben nicht in der New Economy und ihrer frisch klingenden Begrifflichkeit, sondern ist ganz „old school“. Und das bedeutet Klassenkampf. Matthias Seiffert Direkte Aktion · Kornstr. 28-30 · 30167 Hannover Deutsche Post AG · PVSt · »Entgelt bezahlt« · VKZ H20318 Catwalk H20318 30. JG NR. 179 Januar/Februar 2007 1,50 EURO Sag Chef zu Dir ... oder etwa nicht? Vom Rätseln über „Investivlöhne“ Inhalt Betrieb und Gesellschaft Strategie der Nische . . . . . . . . . . . . . . .3 Solidarische Ökonomie zwischen Hoffnung und Illusion Die Ruhe vor dem Sturm? . . . . . . . . . . .4 Die EU-Dienstleistungsrichtlinie vor der Umsetzung Das Geschäft mit der Krankheit . . . . . . . . . . .4 Zur Arbeitssituation der Pflege in den Amper Kli- niken Dachau Kein Rausch ohne Kater . . . . . . . . . . . .5 Das Existenzgeld als neoliberale Mogel- packung Grenzen einreißen, um neue zu errichten . . . .6 Die neue „Bleiberechtsregelung“ der Innenministerkonferenz Diskussion Wo die Wege sich kreuzen... . . . . . . . . .7 Eine Erwiderung auf René Talbot Zeitlupe Wer ist hier der Boss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8 Kaum sonst wo auf der Welt sind Konzepte selbstverwalteter Betriebe so weit entwik- kelt wie in San Fransisco — mit unter- schiedlichen Erfahrungen. Globales Eine verrückte Idee . . . . . . . . . . . . . . . . .9 Schweden: SAC ruft 2,5 Millionen Arbeiter zum Generalstreik auf Spontaner Streik bei Volkswagen .10 Arbeitskämpfe in der Automobilindu- strie US-Army: Mit Taft-Hartley gegen Arbeiter . . . .10 Alle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will Alter Wein in neuen Schläuchen . . . .11 Italien hat zwar nunmehr eine neue Re- gierung, doch die Politik des Sozialab- baus bleibt die gleiche Die Masken sind gefallen . . . . . . . . . . . . . . . .12 Griechenland: Vergewaltigung im Paradies Hintergrund MWR: The sexiest rebellion ever . . . . . . . . .12-13 Über die Selbstorganisation eines Hau- fens ungebildeter, fauler, betrunkener Taugenichtse und die Rolle des Internets dabei Kultur Ein Denkmal für Louis Lingg (2) . . . . . . . . . . .14 „Die Bombe“ — Frank Harris' Klassiker über die Haymarket-Affäre wiedergele- sen UPTHEREPUBLIC . . . . . . . . . . . . . . . .15 Literatur und Medien im Spanischen Krieg (1936-1939) (Dank an Adi F. in Melbourne) Kauf Dich glücklich „Klassenkampf im Weltmaßstab: Faustregel gegen Standortkonkurrenz und Klassenspaltung“, so lautet der Hauptartikel dieser Broschüre. Er führt die bisherigen Untersuchungen zu „Syndikalismus — Geschichte und Perspektiven“ weiter in die Zukunft einer globalen Weltordnung und der damit nötigen internationalen Organisierung der ArbeiterInnenklasse. Unterfüttert wird dieser Artikel mit historischen Beiträgen zu der FAUD: ihrer Organisation, ihrer Stellung zu Betriebsräten, Kollektivverträgen und Streikkassen und ihrer Einstellung zur Frage der Anwendung revolutionärer Gewalt. 45 Seiten, DIN A 5, Preis: 2,50 Euro, zu bestellen über FAU-MAT: [email protected] Auf den Geschmack ge- kommen ... Im Dezember 2006 ist das Buch „Sechs Monate Streik bei Gate Gourmet“ von den Flying Pickets (Hrsg.) erschienen. Es fasst die Erfahrungen der Streiks bei Gate Gourmet in London-Heathrow und Düsseldorf zusammen. ISBN 3-935936-54-0, 264 S., für 12,00 Euro zu bestellen bei Syndikat-A D ie Entwicklung zur Gleichberechti- gung von Frau und Mann stockt. Im- mer noch ist die Diskriminierung nach dem biologischen Geschlecht auf dem Ar- beitsmarkt üblich. Rund 23% weniger Bruttolohn erhalten Frauen im Vergleich zu Männern. Das geht aus dem ersten von der Bundesregierung in Auftrag gegebe- nen Datenreport zur Gleichstellung von Männern und Frauen hervor. Verglichen wurden die Gehälter bei angenommener gleicher Arbeitszeit. Damit bildet Deutschland in einem Ranking mit anderen europäischen Län- dern im Bezug auf Lohndiskriminierung das traurige Schlusslicht (vgl. Grafik auf Seite 4). Nachdem in den letzten 50 Jah- ren die Lohnkluft langsam abnahm, ist dieser Prozess nun zum Stillstand ge- kommen. In Ostdeutschland hat sogar eine gegenläufige Entwicklung begon- nen, die ein erneutes Auseinandersche- ren der Einkommen von Frau und Mann zur Folge hat. Immerhin ergab sich im Bezug auf das Bildungsniveau inzwischen eine er- freuliche Wende. 40,6% der Frauen bis 30 Jahre hatten im Jahr 2004 Abitur, bei den Männern waren es lediglich 37,8%. Auch unter den Hochschulabsolventen und -absolventinnen herrscht inzwischen ge- schlechtliche Parität. Oberflächlich be- trachtet ließe sich aus dieser Entwick- lung die Hoffnung nähren, Gleichberech- tigung am Arbeitsmarkt ergäbe sich spä- testens mit dem vollständigen Eintritt dieser Generation ins Erwerbsleben. Da- gegen sprechen allerdings zu viele Fakto- ren: Die Ausbildungswahl fällt nach wie vor stark geschlechtsspezifisch aus. So hat sich an der Wertschätzung im ökono- mischen Sinne für klassische „Frauenar- beit“ (z.B. Kranken- oder Altenpflege) bis heute nichts geändert; sie wird ver- gleichsweise schlecht bezahlt, beruf- licher Aufstieg und damit steigende Ver- dienstmöglichkeiten sind nicht vorgese- hen. Frauen gelten als weniger produktiv, denn sie unterbrechen ihre Erwerbstätig- keit häufig für Jahre, meist zu Gunsten der Erziehung ihrer Kinder. In der Folge wird ihnen auf Grund mangelnder beruf- licher Erfahrung weniger Leistungsver- mögen unterstellt. Berufserfahrung in Form kontinuierlicher Vollerwerbstätig- keit hingegen wird belohnt – ein Vorteil für die Gehaltsschecks der Männer. Es sind mehrheitlich Männer, die über die berufliche Karriere von Frauen ent- scheiden. Für sie sind Frauen jedoch häu- fig ein unternehmerisches Risiko, denn in einem Alter, in dem Karriere z.B. durch Weiterqualifikation in den Unternehmen gefördert wird, kann man sich bei Frau nie sicher sein, ob sie sich am Ende nicht doch für Kind und Kegel entscheidet, ihre Flexibilität einbüßt und sich berufliche Qualifikationsmaßnahmen in den Augen der Entscheider als Fehlinvestitionen er- weisen. Hinzu kommen uralte Vorurteile und Rollenmuster, die dazu führen, dass Frauen in vielen Berufen weniger Lei- stung und Belastbarkeit zugetraut wird. Gesellschaftlich tief (abgrundtief!) verwurzelte Rollenmuster und eine tra- dierte Sicht auf die Familie sind letzt- endlich verantwortlich dafür, dass in Deutschland immer noch das klassische Ernährermodell dominiert. Sie erklären auch, warum sog. Frauenberufe schlecht entlohnt werden. So waren z.B. soziale Berufe, als sie zu Beginn des 20. Jahr- hunderts professionalisiert wurden und sich damit weg vom Ehrenamt entwickel- ten, nie als Ernährerberufe konzipiert. Es waren Berufe für Frauen, bis sie durch Heirat dem Ruf nach Heim und Herd folg- ten. Lohnarbeit als Stippvisite Fehlanzeige bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau 30 Jahre FAU! Im Februar 2007 wird die FAU 30 Jahre alt und ist damit die älteste libertäre Organisation in der BRD. Am 12./13.2.1977 kamen Delegierte von acht anarcho-syndikalistischen Gruppen mit insgesamt ca. 40 Mitgliedern zu einem ersten bundesweiten Treffen in Köln zusammen und gründeten die „Initiative für den Wiederaufbau der FAU(D)“. Auf dem zweiten Nationaltreffen in Köln am 8./9.10.1977 wurde „Initiative Freie Arbeiter Union“ (I-FAU) als vorläufiger Name der Organisation beschlossen und eine Gründungserklärung verabschiedet. Fortsetzung auf Seite 4

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Union-Paper "Direkte Aktion" (direct action) of the german anarcho-syndicalist Union "Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU-IAA).Member of International Workers Association. Nr. 179 - January-February 2007

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Zum Jahresausklang wurde hierzulandenoch einmal reichlich Verwirrung ge-

stiftet. Da ist die große Koalition schon inSachen Gesundheitsreform konfus genug,wird Bundespräsident Köhler in den Me-dien als „Rebell“ gefeiert, und macht einWort die Runde, mit dem viele erstmal we-nig anzufangen wußten: „Investivlohn“.Ganz genau so, und nicht etwa „Intensiv-lohn“, wie nicht nur die Tagesschau auf ih-rer Internetseite behauptete.

Bei der in Parteien, Gewerkschaftenund in der Presse vorgetragenen Debattegeht es jedoch keineswegs um eine etwai-ge Intensivierung von Gehältern, worun-ter man ja naiv allgemeine Lohnerhöhun-gen verstehen könnte, sondern vielmehrum Modelle, denen zufolge ArbeiterInnendazu genötig werden sollen, einen Teil ih-res Lohnes zu investieren — nämlich indie Firma ihres Arbeitgebers. Sprich, nichtmehr die ganze Summe, sondern nur noch90% oder 85% des Lohnes landen als Aus-zahlung auf dem Girokonto der Beschäf-tigten, der Rest wird in Form von Aktien,Anleihen oder dergleichen „angelegt“ —oder, anderen hübschen Ideen entspre-chend, der womöglich finanzklammenFirma gar als Darlehen zur Verfügunggestellt, mit der Aussicht, Zinsenzu kassieren. Na, immerhin et-was.

Bundesrenegat Köhler, derper Interview den Investivlohn insGespräch brachte, sieht darin „mehr Ver-teilungsgerechtigkeit“. Schließlich seiendie Einkünfte aus Kapitalvermögen in denletzten Jahren schneller gewachsen als dieLöhne. Es sei nur recht und billig, die Mit-arbeiterInnen auch am Firmengewinn zubeteiligen. Mittels Investivlöhnen. Am be-sten gleich per Gesetz.

Nun sind Investivlöhne nicht dasglei-che wie Gewinnbeteiligungen. Dafür mußdie Firma erst einmal Gewinne erzielen.Ansonsten kann die Geschichte recht un-angenehm werden. Je nach Modell könn-ten solche am Unternehmen beteiligte Be-schäftigte schnell mit leeren Händen da-stehen; Aktien können bekannterweiserasch an Wert verlieren, zumal, wenn siefrei gehandelt werden. Und wie es um An-teile an Firmen bestellt ist, die Bankrottgehen und folglich keinen müden Hellermehr taugen, sollte sich spätestens seitdem großen Firmensterben in der IT-Bran-

che Mitte der 1990er Jahre herumgespro-chen haben. Damals war es üblich, Aktienan Angestellte auszugeben. Alle Beteilig-ten glaubten, davon nur profitieren zukönnen. Die Chefs hatten loyale Mitarbei-terInnen, die sich mit ihnen und der Fir-ma verbunden fühlten und einen verhält-nismäßig geringen Grundlohn kosteten.Die Beschäftigten wiederum wähnten sichals Nutznießer aufstrebender, zukunfts-orientierter Jungunternehmen unddank der Aktienanteilequasi schon selbst alsGeschäftsleute. Klar,daß der gewerk-schaftliche Orga-nisierungsgradhier eherschwachausfiel.Großwar

dannder Kat-

zenjam-mer, als sich

das so perfekt ge-dachte Mo- dell als Pilotspielentpuppte. Froh könnten andererseits jenesein, welche nicht auch noch Pech mit derjuristischen Organisationsform „ihrer“ Fir-ma hatten, und dank der Geschäftsantei-le nun auch noch auf einem Berg Schul-den saßen.

Auch wenn letzteres so erstmal nochnicht zu befürchten ist, wäre ein Investiv-lohn so oder so mit neuen Risiken ver-bunden, die auf die Beschäftigten abge-wälzt werden. Gerade davon versprechensich Regierung und Kapital motiviertereArbeiterInnen. Indem ihr Einkommen vomFirmengewinn abhängig gemacht wird,soll sichergestellt werden, daß sie sich wievon selbst in die Arbeit reinknien, weil dasja auch in ihrem eigenen Interesse ist.Selbstredend würde das dann wiederum

zu mehr Firmenloyalität führen. Wer be-streikt schon ein Unternehmen, das ihmselbst gehört? Und das nun, so tagträu-men nicht wenige PolitikerInnen, würdeden Standort Deutschland stärken undschließlich gar den Patriotismus fördern.Supi.

Was aber hätten Arbeiterinnen und Ar-beiter vom Investivlohn? Außer dem frag-würdigen Nervenkitzel, nie so recht zuwissen, wie hoch der nächste Lohn aus-fällt, nicht unbedingt viel. Die wenigenähnlichen solcher Modelle, die es dafür

bisher in Deutschland gibt, täuschenmeist. Bei Siemens, Daimler,

BMW oder aber SAP han-delt es sich in der Regelum gesuchte Fachkräf-

te, die eine besondersgute Ausgangslage auf

dem Arbeitsmarkt haben unddie mittels güstiger Konditio-

nen gelockt bzw. gebunden wer-den sollen. Anders sieht es da bei-

spielsweise schon beim Versiche-rungsunternehmen Allianz aus, wo für

bestimmte Angestellte das Grundgehaltmassiv gedrückt wurde zugunsten von ho-hen Provisionsanteilen. Und das könnte,so befürchten ExpertInnen, bei einem ge-nerell eingeführten Investivlohn heraus-kommen: Eine besondere Art des Kombi-lohns, bei dem nicht der Staat, sonderndie Beschäftigten ihre eigenen Löhne be-zuschussen.

Vor allem aber liefen Investivlöhne aufeine verschärfte Auseinanderdividierungder Arbeiter und Arbeiterinnen hinaus; Or-ganisierung und gewerkschaftliche Kämp-fe würden enorm erschwert. Die Stärke derArbeiterklasse lag denn auch noch nie inihrer Zerrüttetheit begründet. Genau die-se aber hätte ein wie auch immer geregel-ter Investivlohn zur Folge.

Lassen wir uns nicht in die Irre führen.So wenig Rebellen Bundesverdienstkreuzeverteilen, ersetzen Investivlöhne die gu-ten, alten Gewerkschaftsdiszplinen wieLohnerhöhung, Arbeitszeitverkürzungund Verbesserung der Arbeitsbedingun-gen. Die Wahrheit liegt eben nicht in derNew Economy und ihrer frisch klingendenBegrifflichkeit, sondern ist ganz „oldschool“. Und das bedeutet Klassenkampf.

Matthias Seiffert

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Januar/Februar 2007 1,50 EURO

Sag Chef zu Dir... oder etwa nicht? Vom Rätseln über „Investivlöhne“

InhaltBetrieb und GesellschaftStrategie der Nische . . . . . . . . . . . . . . .3Solidarische Ökonomie zwischen Hoffnungund Illusion

Die Ruhe vor dem Sturm? . . . . . . . . . . .4Die EU-Dienstleistungsrichtlinie vor derUmsetzung

Das Geschäft mit der Krankheit . . . . . . . . . . .4Zur Arbeitssituation der Pflege in den Amper Kli-niken Dachau

Kein Rausch ohne Kater . . . . . . . . . . . .5Das Existenzgeld als neoliberale Mogel-packung

Grenzen einreißen, um neue zu errichten . . . .6Die neue „Bleiberechtsregelung“ derInnenministerkonferenz

DiskussionWo die Wege sich kreuzen... . . . . . . . . .7Eine Erwiderung auf René Talbot

ZeitlupeWer ist hier der Boss? . . . . . . . . . . . . . . . . . . .8Kaum sonst wo auf der Welt sind Konzepteselbstverwalteter Betriebe so weit entwik-kelt wie in San Fransisco — mit unter-schiedlichen Erfahrungen.

GlobalesEine verrückte Idee . . . . . . . . . . . . . . . . .9Schweden: SAC ruft 2,5 Millionen Arbeiterzum Generalstreik auf

Spontaner Streik bei Volkswagen .10Arbeitskämpfe in der Automobilindu-strie

US-Army: Mit Taft-Hartley gegen Arbeiter . . . .10Alle Räder stehen still, wenn Deinstarker Arm es will

Alter Wein in neuen Schläuchen . . . .11Italien hat zwar nunmehr eine neue Re-gierung, doch die Politik des Sozialab-baus bleibt die gleiche

Die Masken sind gefallen . . . . . . . . . . . . . . . .12Griechenland: Vergewaltigung im Paradies

HintergrundMWR: The sexiest rebellion ever . . . . . . . . .12-13Über die Selbstorganisation eines Hau-fens ungebildeter, fauler, betrunkenerTaugenichtse und die Rolle des Internetsdabei

KulturEin Denkmal für Louis Lingg (2) . . . . . . . . . . .14„Die Bombe“ — Frank Harris' Klassikerüber die Haymarket-Affäre wiedergele-sen

UPTHEREPUBLIC . . . . . . . . . . . . . . . .15Literatur und Medien im SpanischenKrieg (1936-1939)

(Dank an Adi F. in Melbourne)

Kauf Dich glücklich„Klassenkampf im Weltmaßstab:Faustregel gegenStandortkonkurrenz undKlassenspaltung“, so lautet derHauptartikel dieser Broschüre.Er führt die bisherigenUntersuchungen zu„Syndikalismus — Geschichteund Perspektiven“ weiter in dieZukunft einer globalenWeltordnung und der damitnötigen internationalenOrganisierung derArbeiterInnenklasse.Unterfüttert wird dieser Artikelmit historischen Beiträgen zuder FAUD: ihrer Organisation,ihrer Stellung zu Betriebsräten,Kollektivverträgen undStreikkassen und ihrerEinstellung zur Frage derAnwendung revolutionärerGewalt.

45 Seiten, DIN A 5, Preis: 2,50Euro, zu bestellen über FAU-MAT:[email protected]

Auf den Geschmack ge-kommen ...Im Dezember 2006 ist das Buch„Sechs Monate Streik bei GateGourmet“ von den Flying Pickets(Hrsg.) erschienen. Es fasst dieErfahrungen der Streiks bei GateGourmet in London-Heathrowund Düsseldorf zusammen.ISBN 3-935936-54-0, 264 S., für12,00 Euro zu bestellen beiSyndikat-A

Die Entwicklung zur Gleichberechti-gung von Frau und Mann stockt. Im-

mer noch ist die Diskriminierung nachdem biologischen Geschlecht auf dem Ar-beitsmarkt üblich. Rund 23% wenigerBruttolohn erhalten Frauen im Vergleichzu Männern. Das geht aus dem ersten vonder Bundesregierung in Auftrag gegebe-nen Datenreport zur Gleichstellung vonMännern und Frauen hervor. Verglichenwurden die Gehälter bei angenommenergleicher Arbeitszeit.

Damit bildet Deutschland in einemRanking mit anderen europäischen Län-dern im Bezug auf Lohndiskriminierungdas traurige Schlusslicht (vgl. Grafik aufSeite 4). Nachdem in den letzten 50 Jah-ren die Lohnkluft langsam abnahm, istdieser Prozess nun zum Stillstand ge-kommen. In Ostdeutschland hat sogareine gegenläufige Entwicklung begon-nen, die ein erneutes Auseinandersche-ren der Einkommen von Frau und Mannzur Folge hat.

Immerhin ergab sich im Bezug aufdas Bildungsniveau inzwischen eine er-freuliche Wende. 40,6% der Frauen bis 30Jahre hatten im Jahr 2004 Abitur, bei denMännern waren es lediglich 37,8%. Auchunter den Hochschulabsolventen und-absolventinnen herrscht inzwischen ge-

schlechtliche Parität. Oberflächlich be-trachtet ließe sich aus dieser Entwick-lung die Hoffnung nähren, Gleichberech-tigung am Arbeitsmarkt ergäbe sich spä-testens mit dem vollständigen Eintrittdieser Generation ins Erwerbsleben. Da-gegen sprechen allerdings zu viele Fakto-ren:

Die Ausbildungswahl fällt nach wievor stark geschlechtsspezifisch aus. Sohat sich an der Wertschätzung im ökono-mischen Sinne für klassische „Frauenar-beit“ (z.B. Kranken- oder Altenpflege) bisheute nichts geändert; sie wird ver-gleichsweise schlecht bezahlt, beruf-licher Aufstieg und damit steigende Ver-dienstmöglichkeiten sind nicht vorgese-hen.

Frauen gelten als weniger produktiv,denn sie unterbrechen ihre Erwerbstätig-keit häufig für Jahre, meist zu Gunstender Erziehung ihrer Kinder. In der Folgewird ihnen auf Grund mangelnder beruf-licher Erfahrung weniger Leistungsver-mögen unterstellt. Berufserfahrung inForm kontinuierlicher Vollerwerbstätig-keit hingegen wird belohnt – ein Vorteilfür die Gehaltsschecks der Männer.

Es sind mehrheitlich Männer, die überdie berufliche Karriere von Frauen ent-scheiden. Für sie sind Frauen jedoch häu-

fig ein unternehmerisches Risiko, dennin einem Alter, in dem Karriere z.B. durchWeiterqualifikation in den Unternehmengefördert wird, kann man sich bei Fraunie sicher sein, ob sie sich am Ende nichtdoch für Kind und Kegel entscheidet, ihreFlexibilität einbüßt und sich beruflicheQualifikationsmaßnahmen in den Augender Entscheider als Fehlinvestitionen er-weisen. Hinzu kommen uralte Vorurteileund Rollenmuster, die dazu führen, dassFrauen in vielen Berufen weniger Lei-stung und Belastbarkeit zugetraut wird.

Gesellschaftlich tief (abgrundtief!)verwurzelte Rollenmuster und eine tra-dierte Sicht auf die Familie sind letzt-endlich verantwortlich dafür, dass inDeutschland immer noch das klassischeErnährermodell dominiert. Sie erklärenauch, warum sog. Frauenberufe schlechtentlohnt werden. So waren z.B. sozialeBerufe, als sie zu Beginn des 20. Jahr-hunderts professionalisiert wurden undsich damit weg vom Ehrenamt entwickel-ten, nie als Ernährerberufe konzipiert. Eswaren Berufe für Frauen, bis sie durchHeirat dem Ruf nach Heim und Herd folg-ten.

Lohnarbeit als StippvisiteFehlanzeige bei der Gleichberechtigung von Mann und Frau

30 Jahre FAU!Im Februar 2007 wird die FAU 30Jahre alt und ist damit dieälteste libertäre Organisation inder BRD. Am 12./13.2.1977kamen Delegierte von achtanarcho-syndikalistischenGruppen mit insgesamt ca. 40Mitgliedern zu einem erstenbundesweiten Treffen in Kölnzusammen und gründeten die„Initiative für den Wiederaufbauder FAU(D)“. Auf dem zweitenNationaltreffen in Köln am8./9.10.1977 wurde „InitiativeFreie Arbeiter Union“ (I-FAU) alsvorläufiger Name derOrganisation beschlossen undeine Gründungserklärungverabschiedet.

Fortsetzung auf Seite 4

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Seite 2 Nr. 179 Januar/Februar 2007Intro

FFAAUU-TTiicckkeerr

Region Nord

Bremen . . . . . FAU-IAA Lokalföderation Bremen, Postfach 10 56 74,28056 Bremen, [email protected], www.fau-bremen.tk,www.bremer-aktion.tk, Tel. (0162) 38 29 46 7Syndikat der Lohnabhängigen und Erwerbslosen (SLE-

FAU), [email protected], c/o FAU BremenBielefeld . . . . c/o „Umweltzentrum“,August-Bebel-Str. 16,33602

Bielefeld, Treffen jeden 2. und 4. Di. im Monat, 19.30Uhr, [email protected], www.fau-bielefeld.de.vu

Flensburg . . . . c/o Infocafé, Hafermarkt 6, 24943 FlensburgHamburg . . . . FAU-IAA Hamburg, Fettstraße 23, 20357 Hamburg.

Offenes Treffen jeden Fr., 19.00 Uhr, [email protected], Tel.(040) 43 22 124

Hannover . . . . UJZ Korn, Kornstraße 28-30, 30167 Hannover. Treffenjeden Di. 21.00 Uhr, letzten Di. im Monat offener Abendab 20.00 Uhr, [email protected], Tiermedizinisches Syndikat,[email protected]

Kiel . . . . . . . . Kontakt über OG HamburgLübeck . . . . . . Kontakt über OG HamburgOsnabrück . . . FAU-IAA Osnabrück, Postfach 1925, 49009 Osnabrück,

Treffen: jeden Mo. 20:00 Uhr im Café „Mano Negra“, AlteMünze 12, [email protected]

Region West

Bochum . . . . . Kontakt über FAU Dortmund, [email protected], öffentlichesTreffen: Jeden dritten Do. im Monat ab 19.00 UhrThekenabend im Sozialen Zentrum Bochum, Rottstr. 31

Bonn . . . . . . . FAU-OG Bonn, Wolfstraße 10 (Hinterhaus), 53111 Bonn-Altstadt, Tel.: (0228) 90 93 171, E-Mail: [email protected],www.fau-bonn.de, OG-Treffen jeden Mi. 20.30 Uhr

Dortmund . . . . c/o „Langer August“, Braunschweiger Str.22, 44145Dortmund, Tel. : (0231) 86 30 105 (Anrufbeantworter),Fax: (0231) 86 30 101, [email protected]

Duisburg . . . . FAU Duisburg Lokalföderation, Querstr.38, 47178Duisburg, Schwarz-Roter Stammtisch: Jeden ersten Sa. imMonat um 20.00 Uhr im „Bürgerhof“, Sternbuschweg 97,47057 Duisburg, Info-Telefon und SMS: (0179) 325 86 48,[email protected], www.fau-duisburg.tk

Düsseldorf . . . FAU Düsseldorf, Allgemeines Syndikat, Postfach 10 2404, 40015 Düsseldorf, [email protected], Fax: (01212) 5 11029 174, Fon/SMS: (0179) 32 586 48,www.fau.org/ortsgruppen/duesseldorf oderwww.free.de/asti

Krefeld . . . . . (02151) 39 42 70Moers . . . . . . c/o „Barrikade“, Bismarckstr. 41a, 47443 Moers,

[email protected]ünster . . . . . FAU Münster, c/o Emma-Goldman-Zentrum, Dahlweg 64,

48153 Münster, [email protected],www.fau.org/ortsgruppen/muenster, offenes Treffen:jeden 1. und 3. Mi. im Monat 20.00 Uhr im Dahlweg 64,

Café Libertaire, mit Vortrag, Film etc.: jeden 2. und 4. Mi.im Monat 20.00 Uhr im Don Quijote, Scharnhorststr. 57

Region Ost

Altenburg . . . . [email protected] . . . . . . Straßburger Str. 38, 10405 Berlin, [email protected],Tel.:

(030) 287 008 04, www.fau.org/ortsgruppen/berlin,offenes Büro dienstags 16.00 - 20.00 Uhr (ab Februar:freitags)Allgemeines Syndikat, 2. und 4. Mi. im Monat 19.00 Uhr,Bildungssyndikat, 1. und 3. Mi. im Monat 20.00 Uhr,[email protected], 1. und 3. Do. im Monat 20.00 Uhr,[email protected] Berlin-Brandenburg, Treffen jeden letzten Do. imMonat 20.00 Uhr, [email protected] jeden 1. und 3. Do. ab 21.00 Uhr im Subversiv,Brunnenstr.7 /2.HH, Berlin-Mitte, U8 Rosenthaler Platz

Dresden . . . . . FAU Dresden, c/o Stadtteilladen, Rudolfstr. 7, 01097Dresden, offen: freitags 16.00 - 20.00 Uhr,[email protected]

Frankfurt/O. . FAU-IAA, c/o Backdoor, Rosa-Luxemburg-Str. 24, 15230Frankfurt/Oder, [email protected], www.fau-ffo.de.vu

Göttingen . . . FAU-IAA Göttingen, c/o Buchladen „Rote Straße“,Nikolaikirchhof 7, 37073 Göttingen

Gransee . . . . . FAU-IAA Ortsgruppe und GNLL/FAU Landwirtschaft Berlin-

Brandenburg, [email protected], c/o Th. Beckmann,Dorfstr. 13, 16775 Wolfsruh

Halle/Saale . . . c/o Infoladen Glimpflich, Ludwigstr. 37, 06110Halle/Saale, ebenfalls GNLL-KONTAKT

Leipzig . . . . . . c/o „Libelle“, Kolonnadenstr. 19, 04109 Leipzig.Präsenzzeit: mittwochs 17.00 - 18.00 Uhr,[email protected]

Magdeburg . . . FAU Magdeburg, [email protected], c/o „Blaue WeltArchiv“, Thiemstrasse 13, 39104 Magdeburg

Potsdam . . . . FAU Potsdam, Hermann-Elflein-Straße 32, 14467 Potsdam,Tel.: (0176) 29 55 01 00, [email protected],www.fau.org/ortsgruppen/potsdam, Treffen des ASyjeden 2. und 4. Mi. 18.00 Uhr, Präsenszeiten jedenDonnerstag 16-19 Uhr, FAU-Tresen jeden 2. und 4. Do. ab19.00 Uhr in der OLGA, Charlottenstraße 28 in Potsdam

Region Süd

Aschaffenburg Kontakt über Frankfurt/M.Dachau . . . . . Kontakt über MünchenDreieich . . . . . Kontakt über Frankfurt/M.Frankfurt/M. . c/o DFG/VK, Mühlgasse 13, 60486 Frankfurt/Main,

sonntags 19.00 Uhr, [email protected] . . . . . FAU-Ortsgruppe, c/o Infoladen Freiburg KTS, Baslerstr.

103, 79100 Freiburg, [email protected], Treffen jeden Mi.gegen 20.00 Uhr im autonomen Zentrum KTS

Gießen/Wetzlar FAU-Ortsgruppe und Bildungssyndikat, c/o „InfoladenGießen“, Alter Wetzlarer Weg 44, 35392 Gießen,[email protected], [email protected], www.ak44de.vu, jedenMo. 19.00 Uhr Treffen des Allgemeinen Syndikats und desBildungssyndikats, jeden 2. Mi. ab 21.00 UhrKneipenabend / Cafè Sabotage — offener Abend für alleInteressierten bei Musik und Bier im „Infoladen Gießen“

Lich . . . . . . . . FAU-Ortsgruppe, Postfach 1215, 35420 Lich,[email protected]

Mainz . . . . . . . Kontakt über Frankfurt/M.München . . . . Schwanthaler Str. 139 (Rg), 80339 München, (0173) 40 48

195, [email protected], www.faum.deAllgemeines Münchner Syndikat Erwerbsloser und

Lohnabhängiger (A.M.S.E.L), jeden Do. ab 19.31 Uhr in derSchwanthalerstraße 139 (Rg), www.fau-amsel.info.ms,[email protected], (0179) 72 06 614

Neustadt/W. . . FAU-Ortsgruppe, Postfach 2066, 76829 Landau,[email protected]

Nürnberg. . . . . [email protected]übingen . . . . c/o Infoladen „Grenzenlos“, Schellingstr. 6, 72072

TübingenWiesbaden . . . GNLL-KONTAKT, über Frankfurt/Main

Schweiz

FAU-CH . . . . . . Postfach 580, CH-8037 ZürichBern . . . . . . . FAU Bern, Quartiergasse 17, CH-3013 Bern,

[email protected]

Bundesweite Branchen-Koordinationen

Bildungssyndikate:[email protected], www.bildungssyndikat.deGNLL/FAU Landwirtschaft:Berlin-Brandenburg, über Gransee, [email protected]/FAU Naturkostindustrie: über Hamburg

Regionalkoordinationen

Nord: Hamburg | West: Düsseldorf ([email protected]) | Ost: Magdeburg |

Süd: Frankfurt/M.

Geschäftskommission der FAU-IAA

Freie ArbeiterInnen Union/IAA, Postfach 2043, 30020 Hannover, Germany,[email protected] Sekretariat der FAU-IAA

Freie ArbeiterInnen Union/IAA, Postfach 2043, 30020 Hannover, Germany,[email protected]

Internationale Arbeiter/Innen-Assoziation (IAA)

IAA/IWA/AIT-Sekretariat, Box 1977, Vika 0121, N - Oslo (Norge),[email protected], www.iwa-ait.org

Syndikate, Ortsgruppen und Kontakte der freien arbeiter/innen-Union (FAU-IAA)

+++ die FAU Bremen sammelt weiterhinInteressierte für eine FAU-Initiative in

Oldenburg und beteiligt sich außerdem amlokalen Chef-Duzen-Stammtisch. Bei

Interesse: [email protected] +++ die BremerOG hat auch eine neue Broschüre

herausgegeben: „Anarcho-Syndikalismus inOstpreußen“, zu beziehen über FAU-MAT

oder herunterzuladen unter www.fau-bremen.tk +++ der Termin des offenen

Treffens bzw. des Café Libertaire der OGMünster ändert sich ab Januar +++ vom 26.-

28. Januar 2007 findet das nächste Treffendes Ya-Basta-Netz in Tübingen statt, zu demalle Interessierten herzlich eingeladen sind.

Anmeldung unter [email protected], Infos unter http://www.ya-basta-netz.de.vu +++ aufgrund Zeit- und akuten

Mitgliedermangels löste sich die FAUKonstanz am 11.12.06 auf +++ die OG

Marburg in Gründung traf sich erstmals am9.12.06. Die Schwerpunkte der Arbeit des

geplanten Allgemeinen Syndikats liegen zurZeit im Bildungs- und Erwerbslosenbereich.

Das nächstes Treffen findet am 6.1.07gegen 13 Uhr im „Cafe am Grün“ statt, dazusind alle Interessierten herzlich eingeladen

+++ die Regionalkoordination West liegtjetzt in den Händen der FAU Düsseldorf. Dasnächste Regionaltreffen wird am 14.4.07 in

Dortmund stattfinden +++ Die OGDüsseldorf ist online wieder unter www.fau-

duesseldorf.org zu erreichen +++

ahreswechsel sind ja immer ein beliebter Anlass, Bilanz zu ziehen. Was also hat uns das letze Jahr gebracht, was ist im neu-en zu erwarten?

Eines der bedeutendsten Ereignisse 2006 war sicherlich die Fußball-Weltmeisterschaft, die wieder einmal in Deutschland ausge-richtet wurde. (War Deutschland eigentlich schon wieder an der Reihe, oder haben „wir“ uns vorgedrängelt?) Auf jeden Fall muss mananerkennen, dass die deutsche Nation die Gelegenheit für eine perfekte Inszenierung ihrer selbst genutzt hat. Vor allem die Massens-zenen waren wirklich gelungen. Das Volk volkte brav der Regie von Politik und Medien und spielte begeistert mit. Und so wurde aller-hand erreicht: Die Nationalflagge ist endlich wieder zum ganz alltäglichen Anblick geworden. Und man darf sich wieder trauen zu sa-gen: „Ich bin stolz auf mein Land.“ Das war ja anscheinend vielen schon immer ein dringendes Bedürfnis. Und während das Volk, be-dröhnt von der gesamtnationalen Freude, einmal alle Bedrängnisse des Alltags vergaß, war die Politik nicht untätig und nutzte diegünstige Gelegenheit.

So ist zum Beispiel das Ladenschlussgesetz auf einmal vom Tisch. Bald zwei Jahrzehnte nach der Einführung des „langen Don-nerstag“ und viele dünn geschnittene Salamischeiben später war es doch überraschend, wie schnell und unproblematisch das über dieBühne ging. Und so wurde uns als Konsumenten die Freiheit geschenkt, einkaufen zu gehen, wann immer wir wollen. Wer jetzt aberglaubt, der Politik gehe es darum, der Einwohnerschaft ihres Landes das Leben so bequem wie möglich zu gestalten, irrt sich gewal-tig: Selbst die alleinerziehende Mutter kann jetzt auch nach der Spätschicht noch schnell einkaufen und hat somit keinen Grund mehr,sich über schlechte Arbeitszeiten zu beklagen. Und überhaupt: Was man von den Beschäftigten im Einzelhandel verlangen kann, kön-nen auch die anderen nicht mehr verweigern.

Dass uns allen zwei Jahre Rentenbezug geklaut werden, ist anscheinend auch schon beschlossene Sache. An sich war es ja schoneine Frechheit, die Renten zu besteuern, aber man kann ja immer noch einen draufsetzen. Und nach der Erhöhung der Umsatzsteuerhaben nicht nur die Rentner nichts mehr zu lachen.

Dass der Druck auf die Arbeitslosen weiter erhöht wurde und weiterhin wird, ist schon selbstverständlich geworden. Das gleichegilt für den Abbau der klassischen Bürgerrechte auf dem Weg zum perfekten Überwachungsstaat. In technischer Hinsicht haben wirGeorge Orwells „1984“ ja schon weit zurückgelassen. Der „internationale Terrorismus“ tut als Vorwand beste Dienste. Und auch das hatdas letzte Jahr gebracht: Wir haben alle schon angefangen, uns an den Gedanken zu gewöhnen, potentielle Opfer von Anschlägen zusein. Und dass wir für die Ordnungspolitik dieser bedeutenden Nation, die „ihre Verantwortung nicht ignorieren kann“ (man könnteauch sagen: die ihre Möglichkeiten nicht ungenutzt lassen will), von deren Opfernhaftbar gemacht werden, spricht natürlich nicht gegen die Nation oder die Politi-tik, die sie betreibt ...

Kurz gesagt: Alles bleibt besser!Holger (Layout)

J

GenossInnen der USI und der FAU im Gespräch auf dem IAA-Kongress (siehe Seite 9)

Page 3: DA179

Seite 3Nr. 179Januar/Februar 2007 Betrieb und Gesellschaft

Als Erwerbslose hab ich ja bislang noch keineVision gehabt. Ich krepelte so vor mich hin. Biszu meinem Versuch, mit Einstiegsgeld des Job-centers zur Unternehmerin zu werden (um zu-mindest für einige Zeit diese braunen Briefevom JC nicht mehr zu bekommen). Die Sach-bearbeiterin fragte: Was ist Ihre Vision? Ichwusste nicht recht. Ich entschied mich für denHüpfburgen-Verleih. Etwas anderes läuft janicht.

Nun hatte ich diese Sache etwas ratlos angefangen, aber mit der Zeit vollzog sich eine selt-same Wandlung (es war zur Vollmond-Zeit). Ich mutierte geistig zur Unternehmerin. Ichbegann, „die Vision“ zu verstehen, die Vision als solche. Ich erkannte, dass sie eine geni-ale Lösung für die Tücken der sozialen Wirklichkeit darstellte. Erziehung, Transport, Kran-kenpflege, verarbeitendes Gewerbe und die ArbeiterInnen als solche – über all dem lagplötzlich so ein Grauschleier. Du willst einen gesicherten Arbeitsplatz bei mir, Weih-nachtsgeld? Du Erdenwurm – Dir fehlt der Sinn für Höheres. Du willst keine unbezahlteMehrarbeit leisten und zeigst auf mein Chefgehalt? Kannst Du eigentlich nur an Geld den-ken? Und was ist mit der Vision?Ich erkannte, dass es ganz wichtig für die Beschäftigten wäre, an meine Vision zu glau-ben – das würde ihnen bei der Mühsal ihres Daseins Erquickung verschaffen. Und ehrlich:Haben wir nicht alle heutzutage wieder ganz stark das Bedürfnis, an etwas zu glauben?Ich verdeutlichte den Leuten also meine Vision und verwendete hierfür unter anderem fol-

gende Worte: „Große Zukunft … Standort … Wachstum … Sozialvertrag … humanistischeMoral der Unternehmensspitze.“ Ganz klar: Man entdeckte bei mir wieder die Vorzüge desJenseits. Nach der schmählichen Schwächung der katholischen Religion hierzulande istder Glaube wiedererstanden, halleluja! Ich übernahm somit eine wahrhaft geistliche Ver-antwortung und gründete für meine Beschäftigten den Benediktinerorden Zur GoldenenGeißel.Denn die Vision zeichnet sich dadurch aus, dass sie der gegenwärtigen Wirklichkeit derBeschäftigten gänzlich widerspricht – dabei wird Mystik erzeugt. Sieh nicht auf Deine Mit-beschäftigten, sieh nach oben, nach oben! Du siehst nichts? Wunderbar, das ist der Be-weis für die geistige Reinheit der Vision! Übe Dich in Geduld, und die Vision wird es Dirspäter lohnen. Ich räum’ jetzt schon mal kräftig ab.Mein Unternehmen „Jump Inn – Globaler Hüpfburgenverleih“ lief eigentlich recht gut; nuretliche renitente Leute in der Belegschaft machten mir zu schaffen. Außerdem fanden mei-ne Hüpfburgen-Pächter in Ghana wenig Kundschaft, und die Dinger standen etwas tristauf dem karstigen Boden herum. Diesen Anblick fand ich selbst so unsinnig, dass ich zuden renitenten ArbeiterInnen meines Unternehmens überlief, in den Klassenkampf mit-einstieg und die Chefetage in meiner Person hinauswarf. Nach gelungener Revolte habenwir das Unternehmen ins Kollektiv verwandelt und sind dabei, die Ideen und Strukturender Produktion gründlich zu überarbeiten.Das Klima im Betrieb hat sich geändert. Beten für Solidarität, Tischerücken für ein Chef-gespräch – das ist doch ein Leben wie in der Gruft. Lasst frische Luft rein, GenossInnen.

Birgit

Kolumne Durruti

BERLIN(Wenn nicht anders angegeben:FAU-Lokal, Straßburger Str. 38)

Fr. 12. Jan, 20.00 UhrVortrag: Betriebe inArbeiterhandWelche Perspektiven bieten sichder Selbstverwaltung imKapitalismus?

Fr. 26. Jan., 20.00 UhrLesung: Kolumne DurrutiMarkus Liske, Spider u.a. lesenaus den gesammelten Beiträgender DA-Rubrik

Fr. 9. Feb., 20.00 UhrKulturabend: Alias TravenFilme, Texte und Musik von undüber den Schriftsteller undAnarchisten B. Traven

Do. 18 Jan., 25. Jan. und 1.Feb., immer 20.00 UhrOffene Uni Berlins, Haus 20,HU-Campus Nord, Philippstr. 13Pauken auf den BarrikadenVeranstaltungsreihe desBildungssyndikats Berlin zuGeschichte, Theorie und Praxisstudentischer Proteste

BIELEFELDMo. 29. Jan., 20.00 UhrCafé Parlando, Bremer Str. 59Autonomie oder BarbareiDie politische Philosophie vonCornelius Castoriadis.Veranstaltung mit Harald Wolf

MAGDEBURG(BUND, Olvenstedter Str. 10,Magdeburg-Stadtfeld)

Fr. 12. Jan., 19.00 UhrHeute bleibt die Kantine kalt!Der Flüchtlingswiderstand imAbschiebelager Blankenburg.Vortrag und Diskussion mit derAntirassismusinitiativeOldenburg

Fr. 19. Jan., 19.00 UhrGate Gourmet: Auf denGeschmack gekommenBuchvorstellung zu demlängsten Arbeitskampf derjüngeren dt. Geschichte

Fr. 9. Feb., 19.00 UhrAgit 883 — Bewegung, Revolte,Underground in Westberlin1969-72. Buchvorstellung mitMarkus Mohr und HartmutRübner

MÜNCHENSa. 13. Jan., 20.00 UhrKafe Marat, Thalkirchner Str. 104FAU-Solikonzert mit den RAWDEAL und MISSBRAUCH (Punk)sowie einer Reggaeband

MÜNSTER(Interkulturelles Zentrum „DonQuijote“, Scharnhorststr. 57)

Mi 10. Jan., 20.00 UhrFilm: Durruti in derspanischen RevolutionDokumentarilm von Paco Riosund Abel Paz

Mi. 24. Jan., 20.00 UhrCafé Libertaire: Eine kleineStreikgeschichteStreik als strukturelleArbeiterInnenmacht. Info undDiskussion

Mi. 28. Feb., 20.00 UhrCafé Libertaire: WiderstandweltweitEine kleine virtuelle Weltreise

Es scheint der Impuls nicht auszusterben,dass sich Menschen auf die Suche nach

einer Welt jenseits des Kapitalismus ma-chen. Dass der Weg dabei oftmals im Kreisverläuft, muss wohl in Kauf genommen wer-den. Das legt zumindest der Eindruck nahe,den der neuerliche Aufbruch im Zu-sammenhang mit dem Thema SolidarischeÖkonomie erweckt.

In diesem Zusammenhang fand am letz-ten November-Wochenende in Berlin derKongress zu „Solidarischer Ökonomie imglobalisierten Kapitalismus“ statt. Mit sei-nen 1.400 Teilnehmern offenbarte der Kon-gress ein überraschend hohes Interesse an

den Fragen alternativen Wirtschaftens. Ge-tragen und unterstützt wurde er von einembreiten Spektrum: von Attac zum Weltladen,von der Café-Libertad-Kooperative bis zurAG Bäuerliche Landwirtschaft; sogar derDGB Berlin-Brandenburg war mit von derPartie. Auf über 100 Veran-staltungen, zu denen Ver-treterInnen von Projektenaus der ganzen Welt geladenwaren, wurden die unter-schiedlichsten Fragen erör-tert. Neben Berichten vonselbstverwalteten Betriebenin Südamerika wurde eben-so über rechtliche Problemevon Genossenschaften inDeutschland aufgeklärt.

Auf den ersten Blicküberraschen der breiteUnterstützerkreis und diehohe Beteiligung umsomehr, als dass wohl nur we-nige ein klares Konzept mit „SolidarischerÖkonomie“ verbinden – geschweige eineeinheitliche Vorstellung davon haben. Auf

den zweiten Blick allerdings scheint geradein dieser Unklarheit das aufblühende Inter-esse am Thema begründet zu sein. Denn inmancher Hinsicht handelt es sich um auf-gewärmten Kaffee, teilweise recht wider-sprüchlicher Art, der da in den funkelndenKelch der Solidarischen Ökonomie einge-schüttet wurde und nun vielen wie ein Hoff-nungsschimmer erscheint.

Neue Soziale Marktwirtschaft –mal anders

Wenn von „Solidarischer Ökonomie“ dieRede ist, wird damit i.d.R. vage ein Spek-

trum alternativen Wirtschaftens umschrie-ben, in dem es nicht zu unrecht gewisseinterne Abgrenzungsstreitigkeiten gibt. Ge-meinwesen- und Genossenschaftsökonomiefinden sich in der Auf listung ebenso wiedie lokale Ökonomie oder gar die Economie

Sociale (hierzulandeeher und irrtümlichals „Solidarwirt-schaft“ bekannt). Ge-rade am Einbezug derletzteren Gattung wirddeutlich, weshalb dieKongressveranstalte-rInnen von einem gro-ßen Wirtschaftsektor„auch in Deutschland“zu sprechen wagen.Im Zusammenhangdes Kongresses wardeshalb auch vonselbstverwalteten Be-trieben, Tauschrin-

gen, fairem Handel, Wohnprojekten genau-so die Rede wie von „alten und neuen“ Ge-nossenschaften, sozialen Unternehmungen

und dergleichen. Gerade aber letztere Ty-pen, welche die mit Abstand größte Gruppein diesem Spektrum bilden, werfen ein selt-sames Licht auf die Angelegenheit.

Denn Genossenschaften, Gesellschaftenauf Gegenseitigkeit sowie Vereine und Stif-tungen haben, wie Geschichte und Gegen-wart zeigen, oftmals ein ver-schrobenes Verständnis vonSolidarität – nicht selten ste-hen sie für das Gegenteil.Viele davon sind meist selbstnichts anderes als manage-riell geführte Unternehmen.Selbst in der EU haben einigeRegierungen an ihnen einenNarren gefressen. Als Econo-mie Sociale, die weitestge-hend deckungsgleich mitdem Konzept vom Dritten Sektor ist, werdenderen marktgängige Potentiale zunehmendfür einen europäischen „Markt ohne Gren-zen“ nutzbar zu machen versucht. Vor allemim Zuge der weiteren Ökonomisierung derSozialpolitik sind in diesem Bereich dieÜbergänge zum Markt oftmals f ließend.

Eben diesen Bereich scheinen nun die„Solidarökonomen“ entdeckt zu haben.Zwar stehen diese einer Ökonomisierungdieses Bereichs unter neoliberalen Vorzei-chen ablehnend gegenüber, doch auch siesehen hier einen Hoffnungsträger für Ar-beitsplätze und soziale Sicherung, wo derKapitalismus immer mehr Lücken klaffenlässt. Tatsächlich förderte der Kongressauch haufenweise Appelle an die Regierun-gen zu Tage, doch bitte die Rahmenbedin-gungen zuschaffen, diefür eine Föde-rung diesesWirtschaftsbe-reiches nötigseien.

Und soscheint der Ein-druck dannauch nicht ab-wegig, dasshier eigentlich– wenn auch in modifizierter Form – ledig-lich etwas aufgekocht wird, was sich vonseiner Wesensart her Soziale Marktwirt-schaft nennt.

Insel oder Alternative oder ...

Diese Tendenz scheint andererseits mit ei-nem Anspruch zu kollidieren, der von nichtwenigen Beiteiligten des Kongresses mitge-tragen wurde, nämlich jenseits kapitalisti-scher Verhältnisse „offensiv eine andereÖkonomie auszubauen“. Für diesen Teil des

Spektrums steht weniger die Funktion alskapitalistischer Lückenbüßer im Vorder-grund als Konzepte der ökonomischen Be-freiung. Von revolutionär mag man zwarnicht sprechen, so doch aber vom emanzi-pativen oder transformatorischen Potential.Und wenn von Arbeiterselbstverwaltung,Dezentralität, Basisdemokratie, Solidaritätund Gleichberechtigung die Rede ist, dannfallen damit Schlagwörter, die dem Vokabu-lar des Syndikalismus nicht unbedingtfremd sind. Ohne Frage, was dabei im Gro-ben angestrebt wird, ist eine Ökonomie jen-seits der privatkapitalistischen wie auch

staatskommunisti-schen Ordnung. Esdrängt sich der Ver-dacht auf, dass mansich auch hier aufdie Suche nach demberüchtigten „Drit-ten Weg“ gemachthat.

Und hierin be-steht sowohl das Er-freuliche als auch

das Tragische zugleich. Denn wie richtigund wichtig auch diese Suche ist, es ist derewige Versuch, das Rad neu zu erfinden. ImGlauben, etwas „Neues“ zu wagen, steht dieDiskussion um Strategien zur Überwindungdes Kapitalismus wieder bei Null. Die vor-herrschenden Vorstellungen diesbezüglicherinnern zumindest gewaltig an die ge-scheiterten Ideen der alternativökonomi-schen Bewegung.

Denn sicherlich ist es notwendig, dieStrategien der jeweiligen Zeit anzupassen.Und ebenso ist es gewiss, dass der Aufbauvon selbstverwalteten Strukturen jederzeitgefördert werden muss. Solche Strukturenspielen eine wichtige emanzipatorische Rol-le, insofern als dass sie persönlichkeitsent-faltend und als illustrative Beispiele dienen

können. Nur darf man sich ebennicht der Illusion hingeben, dasssich mit ihnen als Mittel der Kapi-talismus „ablösen“ oder gar inner-lich zersetzen ließe. Dafür verträgtdieser nicht nur zuviele Nischen,oftmals weiß er sich dieser dannauch zu bemächtigen, wenn siesich zu „lohnenden Marktsegmen-ten“ ausgewachsen haben. Zer-setzt wird in der Nische oftmalsman selbst, sei es, weil man sichseine eigene Prekarität schafft, sei

es, weil man inmitten der umgebendenMauern selbst zum Pseudo-Unternehmendegeneriert.

Zu guter Letzt wird uns nur ein Kampf,der sich an der Realität der Masse der Lohn-abhängigen ausrichtet, die gewünschten Er-folge bringen – denn mal ehrlich, wer be-findet sich in der luxuriösen Lage (bzw. indem Umfeld), seine Zeit und Habe in denAufbau eigener Betriebe investieren zu kön-nen?

Holger Marcks

Strategie der NischeSolidarische Ökonomie zwischen Hoffnung und Illusion

„Der Kapitalismusverträgt nicht nurzuviele Nischen,

oftmals weiß er sichdieser dann auch zu

bemächtigen.“

„Die Diskussion umStrategien zur

Überwindung desKapitalismus stehtwieder bei Null.“

„Hier wirdeigentlich etwas

aufgekocht, was sichvon seiner

Wesensart herSoziale

Marktwirtschaftnennt.“

Page 4: DA179

Von 1991 bis heute hat sich die Zahl der er-werbstätigen Frauen zwar um 1,6 Mio. erhöht,jedoch nur, weil gleichzeitig 1,8 Mio. Frauen inTeilzeit arbeiten. Insbesondere bei Frauen mitKindern nimmt die Erwerbstätigkeit ab, wohin-gegen sie bei Männern, sobald Kinder im Haussind, steigt. So gilt mehrheitlich die alte Tradi-tion: Die Frau steigt tendenziell aus dem Jobaus und kümmert sich um die Kinder, der Mannverdient das Geld.

Placebo per Gesetz

Von diesem rückständigen Rollenverständnis istnicht nur der gesellschaftliche Diskurs um deut-sche Rabenmütter, die egoistisch allein ihren

Interessen folgen und verantwortlich gemachtwerden für das vom Aussterben bedrohte „deut-sche Volk“, sondern eine genauso rückständigeGesetzgebung durchdrungen, die beispielsweisedurch das Ehegattensplitting das Ja zur Ehe undalleinverdienende Ehemänner subventioniert,dazuverdienende Ehefrauen hingegen abstraftund ein Festhalten am alten Familienmodell na-hezu beschwört.

Angesichts gesellschaftlich derart tief ver-wurzelter Diskriminierung von Frauen handeltes sich bei dem unlängst verabschiedeten AGG(Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), dasu.a. die Schlechterstellung auf Grund des biolo-gischen Geschlechts untersagt, wohl kaum umein geeignetes Instrument zur Bekämpfung vonDiskriminierung. Das AGG ist eine Farce, die dasPapier, auf dem es geschrieben steht, nicht wertist, zumal das ursprünglich vorgesehene Kollek-

tivklagerecht, dass sich auch auf Ge-werkschaften bezog, gestrichen wurde(siehe §§§-Dschungel auf Seite 5).

Glücklicherweise ermöglicht ge-werkschaftliche Organisierung weitereund schlagkräftigere Maßnahmen alsdie der Klage. Sie ermöglicht fernab vonStaat und Politik einen Kampf für eman-zipatorische Prozesse, der allerdings so-wohl von Männern als auch von Frauengeführt werden muss. Profiteure einessolchen erfolgreichen Kampfes wären imEndeffekt beide Geschlechter: Frauenkönnten an ökonomischer Eigenstän-digkeit gewinnen, und Männer wärennicht mehr zwangsläufig verdammt zurVollzeitbeschäftigung.

Kerstin S. (FAU FfM)

Boykottkampagne gegen Studienge-bühren kommt ins Rollen

Die bundesweite Kampagne „Boykott für Bil-dung“ nimmt langsam Gestalt an. An vielen Uni-versitäten sprachen sich Vollversammlungen derStudierenden dafür aus, die Studiengebührenfür das Sommersemester 2007 nicht an die Uni,sondern auf ein Treuhandkonto zu überweisen.Abgelehnt wurde der Boykott nur in Göttingen.Dort stimmten rund 13% der Studierenden fürden Boykott (Wahlbeteiligung 17%). 15% wärennotwendig gewesen. Das „BasisdemokratischeBündnis“ warf dem konservativen AstA vor, imVorfeld widersprüchliche Informationen ver-breitet und wenig Engagement für die von ihmorganisierte Urabstimmung gezeigt zu haben.In Bonn stimmte eine Vollversammlung zwarfür einen Boykott, der linke AstA weigert sichallerdings, diesen Beschluss umzusetzen. DasRisiko für die Studierenden sei zu hoch. Nunwird ein Netzwerk aus Basisgruppen die Orga-nisation der Kampagne übenehmen, ohneAStA-Gelder. (FW)

Rote Karte für Stratmann

Am 15.12. wollte der niedersächsische Wissen-schaftsminister eine Eröffnungsrede auf einerVeranstaltung des Fachbereichs Kunst der Uni-versität Osnabrück halten. Über 100 Studieren-de fanden sich deshalb vor dem Kunstgebäudeein, um die Veranstaltung vor dem ungebetenenProvokateur zu schützen. Hierzu hatte im Vor-feld das Bildungssyndikat der FAU Osnabrückaufgerufen. Und tatsächlich sollte es Stratmanntrotz polizeilicher Hilfe nicht gelingen, die ge-schlossenen Ketten der Protestierenden zudurchbrechen, um das Gebäude zu betreten.Auf sein Angebot einer späteren Diskussionwurde von den Studierenden keinerlei Wert ge-legt. Zu gut war ihnen seine Aussage: „500 Eurosind nicht genug!“ noch in Erinnerung. Nachetwa einer halben Stunde gab der sichtlich ent-mutigte Minister auf und folgte der freund-lichen Empfehlung: „Hau ab!“. (BsyOs)

Wer im Glashaus sitzt ...

Kultusministerkonferenzen (KMK) stehen be-kanntermaßen nicht gerade für Treffen, auf de-nen für die Freiheit der SchülerInnen geplantund getüftelt wird. Vielmehr stehen sie für wei-tere Veränderungen im Bildungswesen, mit de-nen die Schule fit gemacht werden soll, ihrenZweck als Selektions-, Kontroll- und Diszipli-nierungsorgan im Sinne der Herrschendenmöglichst effektiv gerecht zu werden. Das jüng-ste Produkt der KMK bestätigt dies vortrefflich.Alle SchülerInnen sollen künftig, mit einerIdentifikationsnummer ausgestattet, in einersog. Schülerdatenbank erfasst werden. SozialeHerkunft sowie der komplette Bildungsverlaufsollen dadurch zentral abrufbar werden. Auchwenn es bis jetzt von offizieller Seite verneintwird, wäre es in Zukunft möglich, sämtlicheVorgänge in der Schule vollautomatisch zu ver-arbeiten und miteinander zu verknüpfen. Fra-gen, wer die Daten wann und warum abrufenkann, sowie einige weitere Punkte werden nochdiskutiert. Interessante Möglichkeiten, die sichda ergeben, die Schule flott für die gläserneZukunft zu machen. (Lila)

Seite 4 Nr. 179 Januar/Februar 2007Betrieb und Gesellschaft

Bildung &Widerstand

Fortsetzung „Lohnarbeit als Stippvisite“von Seite 1

Frauen in Voll-zeit

Zwischen 1991 und 2004verringerte sich die Anzahl

vollzeitbeschäftigter Frauenum 1,6 Mio.

Frauen in TeilzeitDie Anzahl

teilzeitbeschäftigter Frauendagegen stieg im selben

Zeitraum um 1,8 Mio. an.

Frauen und Mini-Jobs

2006 waren in den insges.6,8 Mio. Mini-Jobs zu drei

Vierteln Frauen tätig.

Flucht vor häus-licher Gewalt

Ca. 45.000 Frauen und derenKinder flüchten weiterhin pro

Jahr in bundesdeutscheFrauenhäuser.

Frauen als Ge-waltopfer von

PartnernMind. jede vierte Frau im

Alter von 16 bis 85 Jahrenmit Beziehungserfahrung hat

körperliche oder sexuelleÜbergriffe durch Partner ein-

oder mehrmals erlitten.

Weihnacht undkein Ende

Mit Weihnachten 2006 musstedas christl. Fest der Geburt

Jesu (erstmals 354) zum1653. Mal ertragen werden.Häusliche Konflikte nehmen

um diesen Zeitraumbesonders zu.

ZZaahhlleenn,, bbiittttee!!

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Am 15. November wurde sie endlich vom Eu-ropäischen Parlament verabschiedet, die

sog. Bolkestein-Richtlinie. Eigentlich sang- undklanglos nach all dem Trubel, den sie ursprüng-lich mal ausgelöst hat. Im Februar noch de-monstrierten mehrere tausend Gewerkschafterzusammen mit Attac und anderen Verbänden inStraßburg und anderen europäischen Städtengegen den Entwurf der Richtlinie. Unbeein-druckt von diesen massiven Protesten nahm dasEuropaparlament Ende Februar den Entwurf mitleichten Änderungen an. Ohne dass dies öf-fentlich groß wahrgenommen wurde, stimmteim Juli auch der Ministerrat für Wettbewerb zu.Von der Öffentlichkeit ebenfalls unbemerkt wur-de sie schließlich am 15. November endgültigangenommen. Die Mitgliedsstaaten müssen nuninnerhalb von drei Jahren die Regelungen innationales Recht umsetzen.

Ziel der Richtlinie ist es, so ein Informa-tionsbrief der SPD-Bundestagsfraktion, „alle inder EU noch bestehenden Hindernisse im grenz-überschreitenden Dienstleistungsverkehr zu be-seitigen, damit in der EU ansässige Unterneh-men ihre Dienstleistungen gemeinschaftsweitanbieten und erbringen können, ohne zusätzli-che Anforderungen des jeweiligen Mitglieds-staates erfüllen zu müssen.“ Schöner kann derSachverhalt kaum beschrieben werden. Es gehtalso darum, das Anbieten von Dienstleistungenin allen europäischen Staaten zu erleichtern.Was von den potenziellen Anbietern als Hinder-nis angesehen wird, liegt auf der Hand. Zu hoheLöhne, zu viel Arbeitnehmerrechte, zu viele Be-stimmungen, die die Sicherheit und die Ge-sundheit der Arbeitnehmer schützen sollen. Dasalles kostet zu viel Geld und zu viel Zeit, ver-hindert damit Wettbewerb und muss daher be-seitigt werden. Darum geht es eigentlich – vonAnfang an.

Ursprünglich war im Entwurf das sog. „Her-kunftslandprinzip“ vorgesehen, was meint, dass

für ein Unternehmen die Gesetze des Landesgelten, in dem es seinen Sitz hat. Dies hättehöchstwahrscheinlich zu einem rapiden Anstiegvon Briefkastenfirmen in Ländern wie Litauenoder Portugal geführt. In diesen Ländern gibt eskaum Arbeitnehmerschutzrechte und Tarifver-träge, dafür lange Arbeitszeiten und niedrigeLöhne. Firmen sind dort schnell gegründet, undschon werden in Deutschland, Italien oderFrankreich Leute angeworben, die zu den be-sagten miserablen Bedingungen des „Heimat-

landes“ der Firma schuften dürfen. Dies war ei-ner der Hauptkritikpunkte der Gewerkschaften.Über gute Kontakte zu den jeweiligen soziali-stischen und sozialdemokratischen Parteien dereinzelnen Mitgliedsstaaten wurde eine Ände-rung dieser Regelung durchgesetzt. Es soll nundas Arbeits- und das Tarifrecht des jeweiligen„Ziellandes“ gelten, des Landes also, in dem dieDienstleistung erbracht wird.

In fast allen Bereichen dürfen Anforderun-gen an Dienstleister aus anderen EU-Ländernaber nicht diskriminierend wirken, müssen ver-

hältnismäßig sein und der Sicherheit, Gesund-heit, dem Umweltschutz oder der öffentlichenOrdnung dienen. Ausgenommen sind Gesund-heitsdienstleistungen, aber nur solche, die nurvon reglementierten Gesundheitsberufen er-bracht werden dürfen. Gemeint sind damit fastausschließlich Ärzte und Heilpraktiker. Bei fastallen Berufen im Gesundheitswesen ist nämlichnur die Berufsbezeichnung (z.B. „Krankenpfle-ger“) geschützt, nicht aber die Ausübung be-stimmter Tätigkeiten.

Auch die Ausnahme der „nationalen Bil-dungssysteme“ besagt wenig, die Erwachse-nenbildung, Volkshochschulen und ähnlicheEinrichtungen zählen hierzu nämlich nicht. „So-zialdienstleistungen“ bilden ebenfalls eine Aus-nahme, aber nur im Zusammenhang mit Sozial-wohnungen, Kinderbetreuung und Unterstüt-zung bedürftiger Personen. Desgleichen„Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaft-lichen Interesse“. Zeitarbeit ist ebenfalls nichtgrundsätzlich ausgenommen, sondern nur die„Dienstleistung von Zeitarbeitsagenturen“.

Wie diese wenigen Beispiele zeigen (dieRichtlinie umfasst insg. 115 Seiten), dienensämtliche Vorschriften fast ausschließlich derDeregulierung des Dienstleistungssektors inganz Europa. Vorschriften sollen so aufgeweichtwerden, dass sie den Unternehmen möglichstviel Spielraum lassen, die Rechte von Arbeit-nehmern möglichst weit einschränken und un-lauterem Wettbewerb bis hin zum Betrug Türund Tor öffnen. Dass genau dies gewollt ist, istmehr als offensichtlich. Ziel und Zweck derDienstleistungsrichtlinie ist es, die Grundlagedafür zu schaffen, dass Unternehmen sich inganz Europa ohne Beschränkungen entfaltenkönnen. Die Umsetzung in nationales Rechtwird bis 2009 erfolgen. Dann geht es erst rich-tig los.

-bully-

Die Ruhe vor dem Sturm?Die EU-Dienstleistungsrichtlinie vor der Umsetzung

Bei der Übernahme der Kliniken in Dachauund Indersdorf 2005 wurde den Mitarbei-

terInnen durch den Konzern Rhön AG und dendamaligen Aufsichtsratsvorsitzenden H.J.Christmann mehrmals versichert: „Alles wirdbleiben, wie es ist“ bzw. „es wird zu keinem Stel-lenabbau kommen“.

Fakt aber ist, seit der Privatisierung der Kli-niken haben sich die Arbeitsbedingungen stetigverschlechtert:

Mittlerweile muss jede/r Beschäftigte miteinem befristeten Arbeitsvertrag um eine Ver-längerung ernsthaft bangen. In der Pflege wur-den auf jeder Station bereits Stellen gestrichen.Und das zu einem Zeitpunkt, an dem das Perso-nal durch hohe Belegungszahlen am Limit undimmer öfter darüber arbeitet. Da seit Septemberkeine Zivildienstleistenden mehr beschäftigtwerden, müssen nun sogar Krankentransportevom Pflegepersonal vorgenommen werden. Die-se Überlastungssituation hat dazu geführt, dassletztlich Auszubildende oft nur für einfache Ar-beiten „benutzt“ werden, so dass eine praktischeAusbildung faktisch nicht mehr stattfindet.

Doch kein Grund zur Besorgnis! Nach ihrem Ab-schluss werden sie sowieso nicht übernommen.

Gleichzeitig vermehren sich durch den na-hezu als Fließbandarbeit zu bezeichnenden Ar-beitsalltag die Überlastungsausfälle. Die kran-ken KollegInnen müssen vom Rest des Teamskompensiert werden, was sich wiederum in mas-siven Überstundenzahlen manifestiert. Das Per-sonal ist merklich demoralisiert. In dem Be-wusstsein, nur als Puffer für Einsparungen wahr-genommen zu werden und ständig vor neue voll-endete Tatsachen gestellt zu werden, wird allenimmer deutlicher, dass man ihnen ihr Recht auffreie Meinungsäußerung kategorisch abspricht.Um diesen Zustand aufrechtzuerhalten, wirdsich bemüht, kritische Stimmen im Keim zu er-sticken. So wurden z.B. Instanzen der Mitarbei-terInnen, wie der Betriebsrat und die sog. Ar-beitnehmervertretung im Aufsichtsrat, von Lei-tungspersonen zu unterwandern versucht – beizweiter Vertretung gar mit Erfolg.

Damit ist das Ende der Fahnenstange nochlange nicht erreicht: In den laufenden Verhand-lungen um einen Haustarifvertrag wird von der

Gegenseite nun angestrebt, durch Einsparun-gen und Kürzungen zu Lasten der Beschäftigteneine zusätzliche Kostensenkung herbeizufüh-ren. Diese Liste der Missstände ließe sich nochendlos fortsetzten.

Der moderne Anstrich der Amper KlinikenAG soll nach außen hin den kompromisslosen,die Bedürfnisse des Personals ignorierendenFührungsstil verdecken. Dies kommt einer Ver-höhnung eben jener gleich, die mit ihrer Ar-beitskraft die Klinik trotz existenzieller Mängelam Laufen halten. Die Forderungen nach einermenschenwürdigen Pflege sind schon lange imGelächter der Prozessoptimierer und Kostenein-sparer verhallt … bis es knallt!

SANITA / FAU Dachau

Das Syndikat für Gesundheits- und medizinischeBerufe (SANITA) der Lokalföderation Münchenwehrt sich zurzeit gegen den Stellenabbau beiden Amper Kliniken und die dortige Entrech-tung am Arbeitsplatz. Kontakt:[email protected].

Das Geschäft mit der KrankheitZur Arbeitssituation der Pflege in den Amper Kliniken Dachau

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Seite 5Nr. 179Januar/Februar 2007 Betrieb und Gesellschaft

Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG)

Die AusgangslageDie Bundesrepublik hatte durch die nicht ausreichende Umsetzung von EG-Richtli-nien zur Gleichbehandlung Vertragsverletzungen begangen. Ihr drohten dadurchZwangsgelder in unbegrenzter Höhe. Um das abzuwenden, war es unumgänglich,dass sie einen Gesetzesentwurf vorlegte. Von Einsicht kann somit keine Rede sein.Das Ziel des Gesetzes ist wie folgt in § 1 AGG definiert: „Ziel des Gesetzes ist, Be-nachteiligungen aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, desGeschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oderder sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen“.In dem folgenden, kurzen Überblick geht es nicht um die grundsätzliche Problematikvon Diskriminierung, sondern ausschließlich um arbeitsrechtliche Gesichtspunkte,die einer Kritik bedürfen.

Keine Gleichbehandlung bei der Kündigung?Schon bei § 2 (Anwendungsbereich) geht es unter Absatz 4 los mit fragwürdigen In-halten. Auf Wunsch des Bundesrats ist § 2 Abs. 4 AGG wie folgt gefasst worden:„(4) Für Kündigungen gelten ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinenund besonderen Kündigungsschutz.“Anmerkung:Eine Einschränkung dieses Schutzes ist europarechtlich unzulässig. Nach Art. 3 Abs. 1gilt die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000 für alle Personen in öffent-lichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf „... c)die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedin-gungen und des Arbeitsentgelts“.

Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder Weltanschau-ungAber auch § 9 AGG lässt da einiges an zukünftigen Problembereichen erahnen:„(1) Ungeachtet des § 8 [Zulässige unterschiedliche Behandlung wegen beruflicherAnforderungen] ist eine unterschiedliche Behandlung wegen der Religion oder derWeltanschauung bei der Beschäftigung durch Religionsgemeinschaften, die ihnenzugeordneten Einrichtungen ohne Rücksicht auf ihre Rechtsform oder durch Verei-nigungen, die sich die gemeinschaftliche Pflege einer Religion oder Weltanschau-ung zur Aufgabe machen, auch zulässig, wenn eine bestimmte Religion oder Welt-anschauung unter Beachtung des Selbstverständnisses der jeweiligen Religionsge-meinschaft oder Vereinigung im Hinblick auf ihr Selbstbestimmungsrecht oder nachder Art der Tätigkeit eine gerechtfertigte berufliche Anforderung darstellt.“Anmerkung:Dies trifft u.a. Ärzte, Krankenschwestern, sonstiges Pflegepersonal, Lehrer, Erzieher undMitarbeitende in kirchlichen oder weltanschaulichen Vereinen, karitativen Organisa-tionen.Wenn jedoch die Zugehörigkeit zu einer Religion oder Weltanschauung keine wesentli-che Voraussetzung für die Tätigkeit ist, kann der Rechtfertigungsgrund aus § 9 AGGnicht eingreifen. Wie die Gerichte Fälle dieser Art entscheiden werden, bleibt abzuwar-ten.

Klagerecht von Betriebsrat und GewerkschaftenIm Vorfeld des Gesetzgebungsverfahrens verlangte der Bundestag, dass das zusätz-liche „Klagerecht“ des Betriebsrats oder einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaftin § 17 Abs. 2 AGG ersatzlos zu streichen sei.Welch Geistes Kind aber Beamten und Politiker sind, lässt sich an folgender Forde-rung aufzeigen:Es müsse jede „Klage“ des Betriebsrats unzulässig sein, „die sich gegen ein Unter-nehmen richtet, für das das Betriebsverfassungsgesetz wegen zu geringer Beschäf-tigtenzahl nicht gilt“. Eine geistige Höchstleistung! Wo das Betriebsverfassungsge-setz nicht gilt (in Betrieben mit weniger als fünf Beschäftigten) gibt es sowieso kei-ne Betriebsräte.Durchgesetzt hat sich nun folgende gesetzliche Regelung in § 17 AGG (Soziale Ver-antwortung der Beteiligten):„(1) Tarifvertragsparteien, Arbeitgeber, Beschäftigte und deren Vertretungen sindaufgefordert, im Rahmen ihrer Aufgaben und Handlungsmöglichkeiten an der Ver-wirklichung des in § 1 genannten Ziels mitzuwirken.(2) In Betrieben, in denen die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 des Betriebs-verfassungsgesetzes vorliegen, können bei einem groben Verstoß des Arbeitgebersgegen Vorschriften aus diesem Abschnitt der Betriebsrat oder eine im Betrieb ver-tretene Gewerkschaft unter der Voraussetzung des § 23 Abs. 3 Satz 1 des Betriebs-verfassungsgesetzes die dort genannten Rechte gerichtlich geltend machen; § 23Abs. 3 Satz 2 bis 5 des Betriebsverfassungsgesetzes gilt entsprechend. Mit dem An-trag dürfen nicht Ansprüche des Benachteiligten geltend gemacht werden.“Anmerkung:Auch nach altem Recht und dem Entwurf war weder dem Betriebsrat noch der Gewerk-schaft das Recht eingeräumt, im arbeitsgerichtlichen Urteilsverfahren für Betriebsan-gehörige Entschädigungs- oder Schadensersatzansprüche einzuklagen (Verbandskla-gerecht). Mit dem letzten Satz wird noch einmal deutlich, dass nur im individuellenRechtsstreit Ansprüche geltend gemacht werden können. Darin liegt aber auch das Pro-blem.

Thersites

§§§-Dschungel

Ein Modebegriff hat in diesen Wochen in al-len politischen Lagern Konjunktur: das

Bedingungslose Grundeinkommen (BGE).Auf einmal scheinen sich alle einig. Der

Ministerpräsident von Thüringen, Althaus,hat das solidarischeBürgergeld für alle alseine der Antworten aufdie sogenannte Kriseder Arbeitsgesellschaftin die Diskussion ge-bracht. Der DrogeristGötz Werner, der vonbetrieblicher Interes-senvertretung in seinerFirma nichts hält, wirdplötzlich vom Außen-seiter, den mal gernemal in eine Talkshoweinlud, um ihr einen Hauch von Exotik zu ge-ben, zum vielgefragten Gesprächspartner. In-tellektuelle Kritiker der Arbeitsgesellschaft,wie der Buchautor Wolfgang Engler, sehensich ebenso bestätigt wie grüne Arbeits-marktpolitiker, die natürlich darauf hinwei-sen, dass sie Pioniere dieserIdee seien. Da verschmerzen siees schon, dass sie in der ak-tuellen Diskussion höchstens inFußnoten erwähnt werden.

Natürlich melden sich auchKritikerInnen des Existenzgel-des vehement zu Wort. Sie sindmeist in den beiden sozialde-mokratischen Parteien SPD undLinkspartei sowie den Gewerk-schaftsspitzen angesiedelt. IhreStellungnahmen sind oft nichtweit entfernt vom ressenti-mentgeladenen Ausspruch,dass wer nicht arbeiten will,auch nicht essen solle. Alleindass diese Parole wahlweise derBibel, Bebel oder Lenin zuge-schrieben wird, zeigt, wie tiefdas Ressentiment sitzt.

Doch aus den reaktionärenArgumenten der Existenzgeld-KritikerInnen sollten wir nichtschließen, dass das Konzept zuverteidigen sei. Dazu ist zunächst einmaleine Begriffsklärung nötig. Denn hinter denunterschiedlichen Begriffen wie negative Ein-kommenssteuer, Bürgergeld und Grundein-kommen stehen durchaus nicht die gleichenKonzepte, wie eine Existenzgeldkonferenz imJahr 1999 schon herausgearbeitet hat. Denunterschiedlichen Modellen ist dreierlei ge-meinsam:1. Es soll vom Staat an sämtliche Bürgerinnenund Bürgern ausgezahlt werden, vom Ärm-sten bis zum Reichsten; und zwar2. ohne Bedürftigkeitsprüfung — also ohnezu fragen, ob es als Schutz vor Armut benö-tigt wird oder ob ausreichendes Einkommenoder Vermögen vorhanden ist; sowie3. ohne Arbeitszwang — man soll also auchsagen können: ich will keine Lohnarbeit, mirreicht das BGE.

Hartz für Alle?

Doch die Unterschiede beginnen schon, wennes um die Höhe des Existenzgeldes geht. Zu-gespitzt formuliert, läuft es auf die Alterna-tive hinaus, ob das Grundeinkommen „HartzIV für alle“ ist oder ob die Menschen davonwirklich leben können. Das ist der Unter-schied ums Ganze. Wenn Jobber- und Er-werbslosengruppen von einem „ausreichen-den garantierten Mindesteinkommen für alleErwerbslosen ohne Bedürftigkeitsprüfung“reden und die Bundesarbeitsgemeinschaftder Erwerbslosen- und Sozialhilfeorganisa-tionen diesbezüglich nicht nur konkrete Zah-len nennen, sondern auch ihre Vorschlägepräzisieren, indem ein Existenzgeld für alleMenschen gefordert wird, das „den tatsäch-lichen Grundsicherungsbedarf in diesemLand deckt, ohne sie in niedrigst entlohnteJobs oder „gemeinnützige“ Pflichtarbeit zuzwingen“, dann wird der Pferdefuß bei deraktuellen Existenzgelddebatte erfasst:

Denn was würde nun passieren, wenn derStaat die Garantenpflicht für die armutsfesteExistenzsicherung aller Bürgerinnen undBürger übernehmen würde? Die Löhne wür-den vermutlich entsprechend gekürzt. Sie

wären dann ja nurnoch „Zuverdienst“zum BGE. Es gäbeüberhaupt keine Be-gründung mehr da-für, warum Arbeitge-ber existenzsichern-de Mindestlöhne be-zahlen sollten. Dafürist ja dann der Staatzuständig. Und waswürde dabei heraus-kommen? Kombilohnfür alle Beschäftigten

wäre gewissermaßen die logische Folge. DerArbeitgeber bräuchte ja nur noch den Teil desLohnes zu bezahlen, der über das Existenz-minimum hinausgeht. Das kann man wollenoder auch nicht. Aber das würde die faktischeWirkung auf das Lohnsystem sein, wenn die

Zuständigkeit für die Existenzsicherung derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer — unddamit gleichsam ein Teil der Lohnzahlungs-pflicht — vom Arbeitgeber auf den Staat über-geht, d.h. auf die SteuerzahlerInnen.

Das gleiche passiert bei allen Lohner-satzleistungen der So-zialversicherungen,also bei der Rente,beim ArbeitslosengeldI oder beim Kranken-geld. Soweit sie nichtgleich ganz abge-schafft werden sollen,werden alle Ansprücheunterhalb des Grund-einkommens überflüs-sig. Die Sozialversiche-rung schrumpft beiden Lohnersatzleistun-gen auf eine „auf-stockende Zusatzversi-cherung“. Existenzgeldzur Rettung des Kapi-talismus, möchte man meinen.

Nur so ist es zu erklären, dass CDU-naheStudien zu dem Schluss kommen, dass derStaat erheblich sparen würde,wenn das von Althaus favori-sierte Bürgergeldmodell ver-wirklicht und damit sämtlichebisherigen Sozialleistungenabgeschafft würden. Selbst derin dieser Frage viel vorsichti-ger argumentierende Götz Wer-ner antwortete in der Wochen-zeitung Freitag auf die Frage,wie das Ausland auf die Ein-führung seines Existenzgeld-modells reagieren würde, er-klärend:

„Es wäre tendenziell ge-zwungen, dasselbe zu tun, um

attraktiv zu bleiben. Denn mit einem Sy-stemwechsel würde Deutschland zu einem In-vestitionsparadies. Kein Unternehmen, dasheute die Arbeitsplätze ins Ausland verlegt,würde das noch machen, weil man nirgendsso produktiv arbeiten kann wie in Deutsch-land, mit den Menschen, mit dem Know How,mit der Infrastruktur.“ Ein Paradies für dieKonzerne wäre also ein Land mit seinem Mo-dell des Grundeinkommens. Das hindert dieVorbereiter eines Kongresses zum Grundein-kommen, der Mitte Dezember in Berlin statt-fand, allerdings nicht, eben jenen Götz Wer-ner als Stargast einzuladen.

Mal nüchtern betrachtet

Der Kunstprofessor Wolfgang Engler dagegensprach in einem Interview mit der Tageszei-tung deutlicher als sonst jemand aus, warumdas Existenzgeld auf einmal so im Trend ist:

„Heute steht das Recht auf Arbeit zwarnicht in der Verfassung, de facto besteht abereine Pflicht zur Arbeit. Das ist ein Wider-spruch, den man auf zweierlei Arten lösen

kann: Man kann die Ökonomierevolutionieren und die Produk-tionsmittel verstaatlichen — waswohl niemand will. Oder wir füh-ren das Bedingungslose Grund-einkommen ein und beseitigendie faktische Arbeitspflicht.“

Der gutbezahlte Kunstpro-fessor kann der Idee einer Revo-lutionierung der Ökonomienichts abgewinnen und schließtvon sich gleich auf alle. Docheine antikapitalistische Per-spektive müsste gerade hier an-setzen. Sie sollte weder denSchalmeienklängen der neolibe-ralen Existenzgeldbefürworte-rInnen noch den reformisti-schen ArbeitsethikerInnen derSozialdemokratie, gleich wel-cher Couleur, auf den Leim ge-hen. Die Alternative dazu ist dieOrganisierung des Kampfes derLohnabhängigen, Studierendenund Erwerbslosen für ihre For-

derungen nach einem schönen Leben. DemKampf um den Mindestlohn gebührt dabeieine Schlüsselstellung.

Jüngste Untersuchungen kommen immerwieder zu dem Schluss, dass selbst ein Voll-zeitjob immer weniger vor Armut schützt.

Stundenlöhne vonvier Euro und wenigersind keine Seltenheit.Der Kampf um einenMindestlohn kannaber nur dann eman-zipatorischen Gehaltentfalten, wenn ernicht den Parteibüro-kraten à la Müntefe-ring und Co. überlas-sen wird, sondern aufder Straße und in denBetrieben ausgetra-gen wird. Mal sehen,wie der sogenannteQuerdenker Götz Wer-ner reagiert, wenn die

MalocherInnen seiner Drogeriekette die Lä-den besetzen.

Peter Nowak

Kein Rausch ohne KaterDas Existenzgeld als neoliberale Mogelpackung

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„Wer nicht arbeiten will,soll auch nicht essen. Allein

dass diese Parolewahlweise der Bibel, Bebeloder Lenin zugeschriebenwird, zeigt, wie tief das

Ressentiment sitzt.“

„Eine antikapitalistischePerspektive sollte weder

den Schalmeienklängen derneoliberalen

Existenzgeldbefür-worterInnen noch den

reformistischenArbeitsethikerInnen der

Sozialdemokratie auf denLeim gehen.“

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Seite 6 Nr. 179 Januar/Februar 2007Betrieb und Gesellschaft

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Lars Sjunnesson:Ostberlin

DVD:Power and Terror

Noam Chomsky, Gesprächnach 9/11

CD:Soundtrack zur

sozialen Revolution

Aktuelle Überwachungs-trends

Hier ein paar Infos zu den neuestenstaatlichen Überwachungsmöglich-keiten – und ein paar simpleOrientierungspunkte, wie Du dich undvor allem Deine GenossInnen nicht inGefahr bringst.

Die Anti-Terror-Datei ...

Auch 2006 hielt der Trend zur Verwischungdemokratischer Trennlinien an. Die Anti-Terror-Datei ist eine gemeinsame Daten-bank der 37 deutschen Polizei-, Zoll- undGeheimdienstbehörden. Als Feigenblatt fürdie in der freiheitlich-demokratischenGrundordnung verankerte Trennung vonGeheimdiensten und Polizei dient die „ver-deckte Speicherung“. Das funktioniert so:1. Eine Polizistin befragt den Index derAnti-Terror-Datei nach einem Verdächtigen.2. Der für den Verdächtigen zuständigeSpion wird über die Anfrage benachrich-tigt.

3. Der Geheimagent informiert die Polizi-stin — über die Verdächtige, ihr Bankkon-to und Telefon sowie über ihren Chef, Ver-mieter, Vereine usw. Diese Kontakte gera-ten dadurch auch in Verdacht.

Eine richterliche Entscheidung über dieWeitergabe der Daten ist nicht nötig, fürVerfassungsfragen genügt sachbearbeiteri-sches Ermessen.

... und staatliche Rootkits

Rootkits sind Programme, die eine Fern-steuerung Deines Rechner durch Dritte er-möglichen, ohne dass Du es merkst. Davorkannst Du Deinen Rechner schützen.

Die heimliche Online-Durchsuchungvon Festplatten durch Strafverfolger undVerfassungsschutz ist bald erlaubt, der Etatdafür beträgt 132 Mio. Euro. Wie das genaufunktionieren soll, ist schleierhaft.Klar: Der Staat hat bessere Möglichkeitenals sonstwer, Dir Rootkits unterzujubeln.Bislang konntest Du halbwegs sicher sur-fen, wenn Du nur Deinen E-Mail-Providerübers Internet besucht und zwielichtige

Seiten strikt gemieden hast. Bald kann essein, dass Internetanbieter auf richterlicheAnweisung gezwungen werden, Deinen Da-tenverkehr durch einen Staatsserver zu lei-ten, der Deinen Rechner knacken soll.Denkbar ist auch, dass die großen ProviderHintertüren in ihre (überf lüssige) Zu-gangssoftware einbauen.Aber: Wenn Dein Rechner wirkungsvoll ge-schützt ist, dann hat auch der Staatsserverkeine Chance, bei Dir einzubrechen. Dasganze wäre also ein populistisches Windei,wenn nicht damit zu rechnen wäre, dassunvorsichtige/unwissende GenossInnenweiterhin mit unsicheren Rechnern durchsInternet browsen.

Lasst es mich so erklären: Wenn IhrAutofahren lernt, übt Ihr nicht nur schal-ten, lenken und Gas geben, sondern auchblinken, blicken und bremsen. Wenn IhrComputer braucht, solltet Ihr Euch heut-zutage nicht nur mit Office, E-Mail undSurfen beschäftigen. Auch wenn es keinenSpaß macht und Ihr nur so wenig wie nö-tig mit dem Rechner machen wollt – be-schäftigt Euch mit der Technik! Verwendet

eine Firewall. Benutzt Antivirussoftware.Verschlüsselt und verbergt Eure Daten. Hal-tet Euer System immer aktuell. UntersuchtEure Maschine regelmäßig nach Schadsoft-ware. Vermeidet Windows. Warum? Weil soviele Windows benutzen. Es gibt keine Tro-janer und Rootkits, die auf allen Systemenfunktionieren. Deshalb konzentrieren sichdie Hersteller auf das verbreitetste System.

Der Staat wird es nicht anders machen.Bei den hohen Kosten erwartet nicht nurdie Presse schnelle Erfolge. Diese könnenschnell erzielt werden, wenn GenossInnenmit dem verbreitetsten Betriebssystem un-gesichert durchs Netz schlingern.

Martin Hauptmann (FAU FfM)

Die Bundesregierung plant ein Gesetz, nachdem sämtliche Telefonate, E-Mails, Inter-netverbindungen usw. protokolliert werdensollen, völlig unabhängig von einem kon-kreten Verdacht auf eine Straftat. Dagegenwird eine Verfassungsbeschwerde vorberei-tet. Eine Beteiligung daran ist möglich:www.vorratsdatenspeicherung.de

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Abschiebung ist Folter, Abschiebung istMord — Bleiberecht für alle, jetzt sofort!“,

so lautet ein Slogan migrationspolitischer Ini-tiativen, der schon einige Jahre auf dem Buk-kel hat. Ende 2006 scheint sich ein Durch-bruch abzuzeichnen, zumindest wenn man of-fiziellen Verlautbarungen Glauben schenkenmag: Am 17. November beschloss die Innen-ministerkonferenz der Länder eine sog. „Blei-berechtsregelung“, um„ab sofort“ „Klarheit“, jaRechtssicherheit fürlangjährig geduldete Mi-grantInnen zu schaffen.

Damit, könnte manmeinen, ist nun auch die Bundesrepublik inder EUropäischen Normalität angekommen:Real existierende grenzüberschreitende Mi-gration trotz aller Restriktionsbestrebungenals Faktum anzuerkennen und das Damokles-schwert der Abschiebung aus dem Nackenzehntausender MigrantInnen zu nehmen, dasam seidenen Faden technischer oder humani-tärer Probleme bei der Ausweisung hängt. Demist freilich nicht so. Das „gesicherte Aufent-haltsrecht“ für knapp 200.000 Menschen, diehier mit einem Pass-Ersatz unterster Klasse ihrDasein fristen, ist nichts anderes als eine Dul-dung XL: Statt bisher sechs Monate gilt sienun maximal zwei Jahre. Die Hoffnungen inden Communities der Exilierten mögen großsein, die Zumutungen der Staatsmacht sindgrößer.

Zunächst einmal handelt es sich nicht umeine Regularisierung der Migration, sondernum eine Stichtagsregelung, die als einmaligekonzipiert ist. Wer zwei Jahre hier leben willohne die ständige Furcht, gewaltsam außerLandes gebracht zu werden, muss diesen Zu-stand mindestens sechs Jahre ertragen haben— dies trifft auf nicht mehr als ein Drittel zu.Letztlich werden schätzungsweise nur zehn bis25 Prozent der „Geduldeten“ in Genuss des Mi-nisterialerlasses kommen. Damit habe manschon „viel Gutes getan“, so der BerlinerInnensenator Körting (SPD); fragt sich nur für

wen! Der wesentliche Knackpunkt der Neure-gelung besteht darin, dass die Betroffenen vonSozialleistungen ausgeschlossen werden — ineinigen Bundesländern müssen die Betroffe-nen (wie ALG II-BezieherInnen) eine Einglie-derungsvereinbarung unterzeichnen. Nur werseinen Unterhalt selbständig bestreitet, hatAus-sicht

auf Bleiberecht — zu diesem Zwecke könnennach dem Willen der Innenminister auch meh-rere Beschäftigungsverhältnisse dienen. Der-zeit stehen ca. 20.000 der Betroffenen in Hun-

gerlohn und Trockenbrot, die übrigen habenbis 30. September 2007 Zeit, sich einen „Ar-beitgeber“ zu suchen. Nach zwei Jahren wirddann neu geprüft, ob die Kriterien „wirt-schaftlicher und sozialer Integration“ weiter-hin gegeben sind — die Betroffenen müssensich auf Wohl und Wehe dem Urteil des Ver-waltungsapparates aussetzen, wobei bedin-gungsloser Gehorsam ein weiteres Zugangs-

kriterium darstellt.

Vom Regen indie Traufe?

Wenigstens eine Grenze haben die Innenmini-ster niedergerissen: Die Vorrangprüfung fürden Zugang zum Arbeitsmarkt entfällt. Bisherhaben „Geduldete“ die allerdreckigsten, un-qualifizierten Arbeiten übernehmen müssen,die Arbeitsbedingungen spotten jeder Be-schreibung — gleichzeitig ist es aufgrund derVerunsicherung unter diesen ArbeiterInnensehr schwierig, auch nur Informationen zu er-langen und publik zu machen. Als Tagelöhnersichern „Geduldete“ z.B. den BILD-Straßen-verkauf in Leipzig ab: Bei jedem Wetter stehensie des nachts ohne Schutzkleidung auf derStraße; als Sonderselbständige bei einem Sub-unternehmen angestellt ist der eigentliche Ar-beitgeber von jeglicher Pflicht befreit; auf Pro-visionsbasis liegt der Stundenlohn bei nichtmehr als drei Euro; wer krank wird, besorgtselbst eine Aushilfe, um den eigenen Job nichtzu gefährden ... Diese prekären, von Willkürdominierten Arbeitsbedingungen wirken inhöchstem Maße einschüchternd, umso mehrals sie von rechtlicher Unsicherheit und (auchsprachlicher) Unkenntnis begleitet werden. Inden Bereichen Haushaltshilfe, Gastronomieund Reinigungsgewerbe sieht es sicherlichnicht anders aus. Es ist jedoch äußerst frag-lich, ob sich allein durch den freien Zugangzum Arbeitsmarkt an dieser Lage irgendetwasändert — weil das Aufenthaltsrecht an den Ar-beitsplatz gekoppelt und ein Bezug von Sozi-alleistungen ausgeschlossen ist, sind diese Ar-

beiterInnen leichter zu erpressen als andere.Von ihrer ökonomischen Situation her stehensie solange nicht besser da als „Illegale“, bissie Ansprüche auf ALG I erworben haben; le-diglich eine Polizeikontrolle hat für sie nichtmehr solch existenzielle Folgen. An dieserStelle sei bemerkt: Schätzungsweise bis zu 1,5Millionen Menschen leben und malochen „il-legal“ in der BRD (Stand: 2000) — die Krimi-nalisierung von ArbeiterInnen, die einfach nurnormal leben wollen, hält an, weil es für dieallermeisten keine Möglichkeit des legalenAufenthalts gibt. Das „Bleiberecht“ steht nurfür einen Bruchteil der MigrantInnen in Aus-sicht — der Beschluss der Innenministerkon-ferenz muss angesichts dieser Relation alsVerweigerung des Bleiberechts bezeichnetwerden. Zumal für die übrigen „Geduldeten“angekündigt ist, dass ihr Aufenthalt „konse-quent beendet werden“ müsse.

Mit dem klaren Ziel vor Augen, „Zuwande-rung in die Sozialsysteme“ zu vermeiden, wer-den mit der Bleiberechtsregelung die Rah-menbedingungen der Schattenwirtschaft fürTeile des offiziellen Arbeitsmarktes legalisiert.Dabei gehen die Minister soweit, dass Nicht-Er-werbsfähige (Kranke, Alte) vollends privat ver-sorgt oder aber ausgewiesen werden. Wir erle-ben also keinen „humanitären Fortschritt“,auch keinen „ersten Schritt“, wie einige Sozi-alverbände trotz aller Kritik meinten, sonderneine Segregation, die Verfestigung einer Dis-kriminierung auf dem Arbeitsmarkt, die wohlnur von kollektiven Kämpfen am Arbeitsplatzwird geschlossen werden können. Mit demHeraustreten aus der Unsichtbarkeit sind —für „Geduldete“ wie „Illegale“ — nach wie vorerhebliche Risiken verbunden; aber so wie esjetzt ist, kann es nicht bleiben, das ist kein Le-ben.

André Eisenstein (FAU Leipzig)

Ausführliche Informationen zum „Bleiberecht“z.B. auf der Seite www.fluechtlingsrat-ber-lin.de

Siehe auch:„Die Grenze im Inneren. Interview mit einemMigranten über Leben und Arbeit in der Illega-lität“, in: DA 177, Sept./Okt. 2006.„Siamo tutti Clandestini! Das EU-Migrationsre-gime als Laboratorium der Entrechtung“ in: DA178, Nov./Dez. 2006Literaturhinweis: B. Traven, „Das Totenschiff“(orig. 1926)

Grenzen einreißen, umneue zu errichten

Die neue „Bleiberechtsregelung“ der Innenministerkonferenz

Flüchtlingswiderstandgeht weiter

Nachdem dem der am 4. Oktoberbegonnene Flüchtlingsstreik im

Lager Blankenburg naheOldenburg, Teil der Zentralen

Aufnahme- undAusländerbehörde (ZAAB)

Oldenburg, am 31. Oktobervorläufig beendet wurde, traten

vom 21. November bis zum 3.Dezember auch einige

Flüchtlinge im AbschiebelagerBramsche-Hesepe bei Osnabrück

(einer Außenstelle der ZAABOldenburg) in einen

Kantinenstreik. Auch hier wurdeder Kampf der

LagerbewohnerInnen vonDemonstrationen und Aktionenwie z.B. einer Torblockade und

der nächtlichen Demontageeines Teil des Lagerzauns

begleitet. In beiden Fällenwurden Forderungen erhoben,die u.a. die Aushändigung vonBargeld (vor allem zur eigenen

Essenszubereitung), eineangemessene medizinische

Versorgung, eine menschlicheBehandlung durch das

Lagerpersonal und –weitergehend – die

Unterbringung in eigenenWohnungen zum Ziel haben.

Auch wenn die Streikseingestellt wurden, gehen die

Proteste weiter und werden dieOrganisierungsprozessevorangetrieben, um den

politischen Druck zu erhöhen.Da gerade das Land

Niedersachsen eine Vorreiterollebei der Lagerunterbringung

spielt und für eine bundesweiteÜbernahme des strengen

niedersächsischen Modells wirbt,ist der Widerstand in

Blankenburg und Bramsche-Hesepe umso wichtiger.

Unterstützt denFlüchtlingswiderstand! Macht

mit bei Aktionen oder spendet.Spendenkonto: Arbeitskreis

Dritte Welt e.V., Kto-Nr: 015 131337, BLZ: 280 501 00, LZO,

Verwendungszweck:Aktionstage.

Weitere und aktuelle Infos unter:www.nolager.de

Page 7: DA179

Seite 7Nr. 179Januar/Februar 2007 Diskussion

Mit Interesse haben wir(1) das Interviewmit René Talbot in der DA 178 gelesen.

Wir konnten dabei viele Übereinstimmungenfeststellen. Das gilt v.a. für die Darstellungder Notwendigkeit einer Selbstorganisierungvon Psychiatrieerfahrenen, aber auch demStellenwert, den er Vorsorgevollmachten undPatientenverfügungen beimisst. Zu einigenKernaussagen haben wir hingegen eine völ-lig andere Sichtweise.

In der Vergangenheit waren wir häufigerdamit konfrontiert, uns innerhalb der eige-nen Organisation, in unserem organisatori-schen Umfeld, aber auch unseren jeweiligenLebensbereichen mit Verhaltensweisen vonMenschen auseinandersetzen zu müssen, dieuns auf schwerwiegende Art und Weise vorGrenzen stellten. Seit drei Jahren beschäfti-gen wir uns deshalb intensiv mit der Proble-matik, wie eine Gesellschaft unseren Vor-stellungen nach mit verschiedensten Kon-fliktfeldern umgehen sollte. Einen Teil davonmacht genau der Bereich aus, den René Tal-bot anspricht.

Zentral bleiben für uns als Gewerkschaftdennoch zwei Ansatzpunkte: Zum einen ver-suchen wir, die Selbstorganisierung der Be-schäftigten in der Psychiatrie voranzutrei-ben, organisieren sich KollegInnen bei uns.Auf der anderen Seite geht es uns um dieFrage des staatlichen Zugriffs auf Menschen.Eine Selbstorganisierung Psychiatrieerfah-rener können wir nur begrüßen und unter-stützen. Konflikte zwischen diesen Gruppensind aufgrund unterschiedlicher Sichtwei-sen und Rollen, die sie in der Institutioneinnehmen, erstmal zwangsläufig. Ein Aus-spielen gegeneinander, worauf Talbots Pole-mik abzielt, zerstört und verhindert hinge-gen die Möglichkeit, eine notwendige Aus-einandersetzung zu führen.

Ganz normal

In erster Linie sehen wir in der Zwangspsy-chiatrie kein politisches Problem, sondernein gesellschaftliches. Es ist auch erstmalnicht von Belang, wie Einzelne zu Krank-heitsdiagnosen oder Psychopharmaka ste-hen. Tatsache ist, dass Menschen in Lebens-krisen geraten können, die mehr oder min-der stark ausgeprägt sind. Jede/r mag überganz unterschiedliche Kompensationsme-chanismen verfügen. Entscheidend ist, ob,zu welchem Zeitpunkt und wie ein Menschaufgefangen wird und es von der Person an-genommen wird, sobald sich Probleme auf-türmen, sich eine Krise anbahnt oder be-steht. Da liegt der Knackpunkt.

Eigene Anteile am Hineinmanövrieren inKrisen können nicht einfach ausgeblendetwerden. Meistens kommt da viel zusammen:wenn sich Entwicklungen zuspitzen, wennsich der Blick für die Dinge verengt, wenndie Gedanken über einem Problem kreisen,wenn Zusammenhänge hergestellt werden,die so nicht existieren, wenn Menschen an-fangen, ihr Umfeld offenbar grundlos anzu-feinden, sichtliche Qualen ausstehen undverängstigt wirken, ohne für Außenstehen-de ersichtliche Gründe auf etwas einreden,es anschreien, sich Kopfhörer aufzusetzenund doch nicht gegen die Stimme ankom-men, die zu ihnen spricht, die sie be-schimpft, erniedrigt, von ihnen Dinge ver-langt, sie bedroht(2). Ist das real? – Ja, fürdiejenigen, die es erleben, natürlich. Undfür Außenstehende? – Wirkt es bestenfallssonderlich und fremd.

Was aber, wenn dieser Mensch andere alsBedrohung wahrnimmt, sie nicht nur an-feindet, sich aus Angst in die Enge gedrängtfühlt und meint, er müsse sie abwehren, sieangreifen? Ist das „nerviges“ Verhalten, wiesich René Talbot ausdrückt? Spätestens dannsind andere Menschen mit betroffen. Unddamit muss in jeder Gesellschaft umgegan-gen werden.

Die „Notwendigkeit“ der Diagnostizie-rung einer Depression würden wir ebenso

wenig nur auf die protestantische Arbeitse-thik zurückführen; die Ursachen einer sol-chen Krise sind weitaus vielfältiger. In einerDepression steckt Aggression, nicht nur ge-gen sich selbst, sondern auch gegen andere(im Extremfalle bis zum, fälschlich so be-zeichneten, „erweiterten Suizid“). Die Dia-gnostizierung einer Krankheit, die an be-stimmten, übereinstimmenden Merkmalenfestgemacht wird, stellt sicherlich eine Ver-einfachung persönlicher und individuellganz unterschiedlich ausgeprägter Problemedar. Andererseits gibt es klare und überein-

stimmende Merkmale. Leidensdruck wird,egal, um welche Krise es sich handelt, deut-lich von den Betroffenen artikuliert. Und ineinem solchen Falle brauchen Menschen Hil-fe und Unterstützung.

Menschen sind nicht nur Opfer, sondernimmer auch Handelnde, mitunter gar Täte-rInnen(3). Eifersuchtswahn, das Auslebenvon Verschwörungstheorien, Gewalttaten ge-gen andere und sexuelle Gewalt gegenüberFrauen und Kindern sind Realität. Deshalbmüssen wir die Ursachen in der Gesellschaftbekämpfen, in der Gewaltverhältnisse imma-nent sind. Gerade die Darstellung der ge-sellschaftlichen Zusammenhänge, die zurEntstehung schwerwiegender Probleme inder Auseinandersetzung mit gesellschaft-lichen Strukturen, z.B. in der Familie, inPartnerbeziehungen, mit Schule, Beruf, Re-ligion, Armut, Isolation und sozialer Aus-grenzung, führen, haben wir im Interviewvermisst(4).

Die Ausgrenzungsfunktion der Stigmati-sierung „psychisch krank“ hat er dagegenklar benannt. Ängste vor einer wie auch im-mer gearteten „Andersartigkeit“ und uner-klärlichen Veränderungen im Verhalten spie-len unserer Ansicht nach dabei aber eineweitaus größere Rolle als das Herausbrechender Betroffenen aus dem gesellschaftlichenLeistungswahn. Das zeigt sich nicht zuletztim Niveau von Akzeptanz und Wertschätzungin Orten, in denen es den Psychiatrien ge-lungen ist, sich der Bevölkerung zu öffnen.

Hier sind Betroffene weitaus weniger in derAußenseiterposition, sondern gehören zur„Normalität“.

Vergleiche, wie sie René Talbot mit demZitat von Thomas Szasz anstellt, verbietensich hingegen von selbst, wenn er die heu-tige Funktion der Psychiatrie mit der indu-striellen Vernichtung der Jüdinnen und Ju-den in Nazi-Deutschland vergleicht. Die Ver-brechen der Nazis werden durch derartigeRelativierungen verharmlost! Hinter derStigmatisierung als „Jude“ stand der Ver-nichtungswille, nicht die bloße Ausgren-

zung. Im Gegensatz dazu werden Menschenin der heutigen Psychiatrie behandelt, um indiese Leistungsgesellschaft wieder integriertzu werden. Stigmatisierungen haben alsounterschiedliche Konsequenzen; das mussmitgedacht werden, bevor jemand derartigeVergleiche anstellt.

Abgeschottet?

Eine permanente Verwendung von Begriffenwie Zwangspsychiatrie oder gar die Diffa-mierung von Beschäftigten als „Folter-knechte“ impliziert, dass die Psychiatrie einOrt ist, der abgeschottet von der Außenweltexistiert, in dem Willkür, Sadismus undFreude an der Gewalt herrschen. Das ergibtein völlig verqueres Bild. Es gibt keinen an-deren Bereich im Gesundheitssystem, derdermaßen stark im Blickpunkt der Öffent-lichkeit steht.

In der Grauzone befinden sich hingegenalle übrigen Bereiche des Gesundheitssy-stems, in denen ebenso Zwangsmaßnahmenwie lebenserhaltende Maßnahmen oder etwaFreiheitseinschränkungen durch Bettgitterbzw. Fixierung ausgeübt werden, egal ob imRettungsdienst, in somatischen Kranken-häusern oder in Pflegeheimen. Die Empfeh-lung von René Talbot, sich als „Menschen-rechts-Achtsame“ dem psychiatrischen Sy-stem „ganz einfach durch die Versetzung aufeine nichtpsychiatrische Station“ entziehenzu können, ist deshalb denkbar ungeeignet.

Nicht in allen Psychiatrien, die wir ken-nen, haben Veränderungen in gleichem Aus-maße stattgefunden. Noch viel weniger fin-den sich überall die gleichen Ausgangsbe-dingungen, gerade auch was die eigentlicheZwangspsychiatrie betrifft(5). Dennoch kön-nen zumindest Tendenzen klar benannt wer-den:

Die Mehrzahl der Menschen begibt sichfreiwillig in Behandlung, nur ein Bruchteilwird geschlossen untergebracht(6) und da-von wiederum zwangsbehandelt(7). Richte-rInnen stimmen bei weitem nicht mehr allenvon ÄrztInnen beantragten Zwangsmaßnah-men zu. Immer mehr Psychiatrieerfahrenenutzen zudem Vorsorgevollmachten(8) undkönnen so Einf luss auf ihre Behandlungnehmen, treffen Behandlungsvereinbarun-gen.

Auch die Zusammensetzung des Perso-nals hat sich heute vielerorts grundlegendgewandelt, es sind keine Fleischer mehr, die

umsatteln und in die Psychiatrie gehen, umdann 30 Jahre bis zur Rente nach Muster Xzu arbeiten. Die Beschäftigten haben heuteandere Erwerbsbiographien, arbeiten dortnicht mehr, weil sie nichts Besseres gefun-den haben oder weil schon die halbe Familieseit Generationen dort arbeitet. Sie richtensich nicht ein. Die meisten kommen aus so-matischen Krankenhäusern oder Pflegeein-richtungen, sind qualifiziert, bringen Offen-heit und Initiativgeist, neue Wege auszu-probieren, mit. Tradierte Strukturen sind ih-nen ein Gräuel. Viele ÄrztInnen, die wir ken-nengelernt haben, sind heute mit antipsy-chiatrischen Positionen vertraut, die Bewe-gung ist nicht spurlos an ihnen vorüber ge-gangen. Vieles läuft heute unkonventionell,problemorientierter und geht weg von Stan-dardherangehensweisen vergangener Tage(9).

Ausblick

Eine Tendenz, die wir seit einigen Jahrenfeststellen, ist nicht das Weglaufen vor, son-dern die Flucht in die Psychiatrie! Durch dasZurückfahren öffentlicher Mittel, z.B. fürFrauenhäuser und Anlaufstellen für Nicht-sesshafte, Arbeitsmarktgesetze (Hartz) undGesundheitsreformen, aber auch dem rigi-den staatlichen Kurs gegen Flüchtlinge,drängen viele in die Psychiatrie, aus Angstvor Abschiebung, vor gewalttätigen Ange-hörigen bzw. Zwangsheirat, vor Hunger undKälte. Darauf müssen wir Antworten finden,womit wir wieder bei den gesellschaftlichenUrsachen wären.

Wir versuchen deshalb, solidarischeStrukturen zu entwickeln, die Menschen mitihren Problemen auffangen, die genanntenUrsachen aufheben. Wir halten die Psychia-trie in ihrer Größenordnung schlichtweg fürungeeignet, da sie den Menschen mit ihrenunterschiedlichen Problemen nicht gerechtwird und sich neue auftürmen. Dennochkommen Anlaufstellen, die Entlastung undSchutz für Betroffene und ihr Umfeld gleich-ermaßen bieten, auch in unseren gesell-schaftlichen Vorstellungen vor.

Sinn machen für uns in erster Linie abernur wohnortnahe Lösungen, die Menschennicht aus ihrer Umgebung herausreißen,sondern ihnen unter den Bedingungen di-rekt zur Seite stehen, mit denen sie sich aus-einandersetzen müssen und die zu Proble-men führen(10). Als positiv empfinden wirjetzt schon den verstärkten Ausbau von Fa-milientherapien, einer Form, die die Ange-hörigen mit einbezieht, die vor der Einwei-sung mit den PatientInnen zusammengelebthaben. Dies macht Sinn, da hier der eigent-liche „Drehtüreffekt“ der Psychiatrie ent-steht: Die Menschen werden sonst in ihr al-tes Umfeld entlassen, mit all den ungelöstenProblemen und der Destruktivität von (ge-sellschaftlichen) Bedingungen, die zu denProblemen und zur Einweisung geführt ha-ben.

Ebenso sinnvoll empfinden wir die Schu-lung der PatientInnen zu ihren Erkrankun-gen, damit sie Frühwarnsignale erkennenund eigenverantwortlich gegensteuern kön-nen.

Am Ende stehen wir aber dann doch vorder Frage, wie sich eine Gesellschaft dazuverhält, wenn Menschen aus einer Krise her-aus andere angreifen und darin fortfahren,weil Worte nicht mehr zu ihnen vordringen,sie die Kontrolle über sich und ihre Hand-lungen völlig verloren haben und jedwedesEingreifen vergeblich ist. Spätestens hierstoßen auch alle uns bisher bekannten Po-sitionen aus der Antipsychiatrie an ihreGrenze.

FAU Lokalföderation Hannover

Eine Dokumentation der bisherigen Diskus-sion um die Psychiatrie-Problematik und fol-gende Beiträge sind demnächst zu findenauf einer Unterseite auf www.fau.org.

Wo die Wege sich kreuzen...Eine Erwiderung auf René Talbot

Anmerkungen:(1) Psychiatrieerfahrene (mitZwangsbehandlung),Angehörige, FreundInnen,(ehem.) LebenspartnerInnen,Bekannte und Beschäftigte inder Psychiatrie bzw. mitAnbindung; i.d.R. Einnahmemehrerer Rollen.(2) Entwicklung einerparanoiden Schizophrenie.(3) Psychisch Erkrankte sindlaut Statistik insgesamt nichtgewalttätiger als dieDurchschnittsbevölkerung (3%Anteil an Gewalttaten),allerdings bei Differenzierungnach Erkrankungen: über 50%der durch psychisch Erkranktebegangenen Gewalttatenentfallen auf Menschen mitSchizophrenie (haben 10fachesRisiko zur Begehung vonGewalttaten im Vergleich zurGesamtbevölkerung, v.a. Männervon 20 bis 40 J. mitsystematisierten Wahn undlanger Krankheitsdauer ohneBehandlung).(4) Ausnahme:gesellschaftlicherLeistungsdruck.(5) Basis: Landesgesetze(PsychKG & MRV-Gesetz), imLändervergleich gravierendeUnterschiede; unterschiedlicheEntscheidungen von Gerichten,Strukturen und Leitlinien ineinzelnen Kliniken.(6) Zwangseinweisungen sindbundesweit unterschiedlich: 1-30% der Aufnahmen; häufigsteEinweisungsdiagnose: akuteSchizophrenie.(7) Fixierungen bei etwa 1-7%aller Aufnahmen; Zahl derZwangsmedikationen in etwagleich bzw. darunter.(8) Das Bundesministerium derJustiz wirbt selbst für PV undVoVo, nicht unbedingt aushumanistischen, sondern auchökonomischen Erwägungen(Betreuungsboom nachEinführung des neuenBetreuungsrechts 1992); Staatversucht, ihre Einrichtung ausKostengründen wiedereinzudämmen.(9) Nach Privatisierungenregelmäßig Rückentwicklungen;Tendenzen gehen schnell inRichtung Verwahr-Psychiatrie; eswird nicht auf Beziehungsarbeitgesetzt, sondern auf dieGewährleistung vonFunktionsabläufen; Folge davon:Steigerung der Dosierungen vonPsychopharmaka zu beobachten;Zusammensetzung des Personalsändert sich (billigere, wenigerqualifizierte Beschäftigte beisinkendem Personalschlüssel).(10) Die heutige Psychiatriekonzentriert sich auskapitalistisch-rationellenErwägungen in Großkliniken: Esist billiger, Fachpersonal undPatientInnen an einem Ort zukonzentrieren.

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Seite 8 Nr. 179 Januar/Februar 2007Zeitlupe

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San Francisco war schon immer ein bißchenanders als der Rest der Welt. So gilt der Bal-

lungsraum in Nordkalifornien nicht nur alsHauptstadt der Homosexuellenbewegung,sondern auch als Zentrum linker Ideen und al-ternativer Lebensformen. Ach, und bevor iches vergesse: Wer cool sein will, sage niemals„Frisco“, das tun nämlich nur Touristen. Rich-tig heißt die Stadt „Sanfran“, Betonung aufder ersten Silbe. Nur so am Rande.

Sanfran

Versuche, selbstverwaltete Betriebe aufzubau-en, haben hier eine besonders lange Geschich-te. Sie reichen bis zum Anfang des 19. Jahr-hunderts zurück. Die Arbeiterbewegung in der„Bay Area“, wie der Großraum rund um die dreiGroßstädte San Francisco, Berkeley und Oak-land genannt wird, ist traditionell militant undrevolutionär eingestellt. Und Kollektivbetriebehat es seitdem immer wieder gegeben. Bei denmeisten der großen, teilweise bis heute legen-dären und leider oft auch blutigen Streiks undArbeitskämpfen haben selbstverwaltete Be-triebe hier immer eine Rolle gespielt. Es gehörteben zum Konzept des revolutionären Syndi-kalismus, nicht nur auf Streiks, direkte Aktionund Sabotage zu setzen, sondern den „Betriebin Arbeiterhand“ ebenso als Element des revo-lutionären Klassenkampfs zu verstehen. Schonin den 1930ern gab es in Sanfran über 50selbstverwaltete Betriebe. Auf dem Höhepunktder Bewegung, um 1980, waren es mehr als150. Ansätze, selbstverwaltete Betriebe zu-sammenzuschließen und zu organisieren, fin-den sich seit Ende der 1960er. Und das in Grö-ßenordnungen, von denen deutsche autonomemakrobiotisch-vegane-Lebensentwurf-Rück-zugsgebiete nur verschämt träumen können.Schon Mitte der 70er Jahre war die Dichte anselbstverwalteten Betrieben so hoch, daß ei-nige AktivistInnen anfingen, von mehr zuträumen, nämlich von einem Verbund selbst-verwalteter Betriebe als Keimzelle einer neuen,besseren Gesellschaft. Daß man den Kapita-lismus aushebeln könnte, vielleicht mit einereigenen, internen Währung. Solche Ideenscheiterten. Geblieben ist ein neues Projekt,das sowohl kämpferischer als auch nüchternerausgerichtet ist als seine Vorgänger: NoBAWC.

Fire Your Boss

An die 40 Betriebe sind heute im „Network ofBay Area Cooperatives“, kurz NoBAWC zu-sammengeschlossen. Ausgesprochen klingtdas Kürzel wie „no boss“ — dieser Slogan istProgramm. Gemeinsamer Nenner der hier or-ganisierten Betriebe ist die Abwesenheit vonChefs. Die wirtschaftlichen und juristischenOrganisationsformen sind dagegen beinahe sovielfältig wie die Produkte und Dienstleistun-

gen, die sie anbieten.Die Bandbreite reicht von Buchhandlun-

gen, Fahrradgeschäften, Bioläden, Restau-rants über Galerien, Möbelhersteller, Bäcke-reien, Pizzerien bishin zu Kurierdiensten undHolzarbeitern. Dabei zählt kein Betrieb mehrals 200 Mitglieder. Neben dem anarchistischenBuchladen und Verlag „AK Press“ gehört „LustyLady“ zu den prominentesten Mitgliedern vonNoBAWC. Bei letzterem handelt es sich umnichts weniger als um die einzige Peepshowder Welt, die kollektiv betrieben wird.

Die selbstverwaltete Klinik in Berkeley, die

u.a. kostenlose Zahnbehandlungen für Men-schen ohne Krankenversicherung anbietet,verdeutlicht einen wesentlichen Gesichtspunktder Problematik rund um die Frage selbstver-walteter Betriebe. Die Klinik arbeitet nicht pro-fitabel. Das kann und soll auch nicht so sein.Ähnlich, wie andere Ärzte sich im Urlaub aufeigene Kosten in asiatischen oder afrikani-schen Ländern engagieren, bringen sich hierÄrzte unentgeltlich ein. Die dritte Welt vor derHaustür, sozusagen.

Vergleicht man NoBAWC von heute mit sei-nem Vorgängermodell von vor zehn Jahren, sofällt auf, daß das Projekt enorm geschrumpftist. Es fehlen nicht nur zahlreiche Buchläden,Imbisse, Kurierdienste, Taxiunternehmen, Ga-lerien und Speditionen, sondern auch Thea-ter, Kinos, eine Grundschule, eine High Schoolsowie ein College (und das sind nur Beispiele).Was all diese Projekte gemein hatten bzw. ha-ben, ist eine gute, vielleicht sogar schöne Ideemit dem Haken, daß man am Ende gar keinoder nur ein symbolisches Gehalt ausgezahltbekommt. Beim Geld hört eben nicht nur dieFreundschaft auf. Es markiert, ob wir wollenoder nicht, die Grenze zwischen Traum undWirklichkeit.

Ökonomische Realität

Das heutige Netzwerk NoBAWC legt denn auchseinen Schwerpunkt auf wirtschaftlich funk-tionierende Unternehmen, die den ArbeiterIn-nen selbst gehören. Es geht bei NoBAWC

schlicht um die Förderung alternativer Job-möglichkeiten ohne Chefgängelung, Entfrem-dung vom Produkt und größtmöglicher Mitbe-stimmung in allen den Betrieb betreffendenAngelegenheiten. „Workplace Democracy“heißt denn auch das Ziel, dem sich NoBAWCverschrieben hat. Das klingt nicht unbedingtrevolutionär. Und das hat seinen Grund.

Vereinfacht gesagt trennen sich selbstver-waltete Betriebe in der Bay Area in zwei Grup-pen, entsprechend ihrer rechtlichen Stellung.Auf der einen Seite gibt es die „Arbeiter-Ko-operativen“. Die ArbeiterInnen halten persön-

liche, individuelle Anteile am Betrieb, der voneinem gewählten Vorstand, Aufsichtsrat bzw.Management geleitet wird. Dem gegenüber ste-hen „Kollektivbetriebe“ ohne Vorstand. Hiergibt es kein persönliches Anteilseigentum,sondern das Unternehmen gehört abstrakt dendort Arbeitenden als ganzes kollektiv.

Zwiespältig wie die grundsätzliche Ein-schätzung gestaltet sich auch das Verhältnisvon Gewerkschaften zum NoBAWC. Auch indieser Frage ist es eine Angelegenheit desStandpunktes. Und das hat etwas zu tun mitder Klasse, aus der man kommt.

Kapital und Revolution

Wie John Curl, sowohl Mitglied der syndikali-stischen IWW als auch Veteran der Selbstver-waltungsbewegung in Sanfran, erklärt, reichtes nicht, „den Boss zu feuern. Wir müssen dieganze Kapitalistenklasse abschaffen, denn siebestimmt die Regeln des Marktes“. Und dieseRegeln gelten auch für Betriebe mit intern de-mokratischer Struktur. Auch sie sind gezwun-gen, ökonomisch mitzuhalten, wollen sie nichtpleite gehen. Das setzt Grenzen, z.B. auch beiLöhnen. Die Bereitschaft, zu niedrigeren Löh-nen als in der Branche üblich zu arbeiten, istbei selbstverwalteten Betrieben erfahrungsge-mäß hoch. Durch dieses als „Selbstausbeu-tung“ bekannte Phänomen schaden solche Be-triebe KollegInnen in der eigenen Branche,weil sie durch Konkurrenz und LohndumpingDruck auf die eigene Branche ausüben. „Viele

sahen den Preis der Freiheit in harter Arbeit beischlechter Bezahlung“, bringt Curl seine jahr-zehntelange Erfahrungen in selbstverwaltetenBetrieben im Großraum San Francisco auf denPunkt.

NoBAWC gehören aber auch Kollektivbe-triebe an, die einen klassenkämpferischen An-satz verfolgen. Dazu gehört etwa „NationalHome Cleaning Professionals“, ein selbstver-walteter Betrieb, der sich ausdrücklich aufFrauen lateinamerikanischer Herkunft kon-zentriert, um die „ökonomische und sozialeGleichstellung von lateinamerikanischen Ein-wanderInnen“ zu gewährleisten. Neben einerhalbwegs fairen Bezahlung gilt dem Betriebdie Verwendung von gesundheitlich und öko-logisch verträglichen Substanzen als wichti-ges Anliegen. Für uns mag das befremdlichklingen, erklärt sich aber leicht aus einem Pro-jekt, das von Betroffenen selbst und nicht vonGutmenschen mit schönen Ideen angestoßenwurde. Hier geht es in erster Linie darum, bes-sere Arbeitsbedingungen für Lohnabhängigezu schaffen. In diesem Fall mittels eines selbst-verwalteten Betriebs und nicht über die Ge-werkschaft. Und doch spielt die Gewerkschaftbei NoBAWC ein gewichtige Rolle.

Neben diversen Betrieben mit hohem ge-werkschaftlichen Organisationsgrad ist die lo-kale Gruppe der IWW selbst Mitglied von No-BWAC. Was auf den ersten Blick verwirrt, istnur die Konsequenz eines logischen Konzepts.Dank des Engagement der IWW orientieren sichdie in NoBWAWC zusammemngeschlossenenBetriebe an gewerkschaftlichen Standards, wieMindestlöhnen und Krankenversicherung (inden USA nicht selbstverständlich).

Auch nach mehr als 30 Jahren Erfahrung

in selbstverwalteten Betrieben wünscht sichJohn Curl noch immer keinen Chef. Vielmehrschätzt er es sehr, gemeinsam mit seinen Kol-legInnen bestimmen zu können, wie die Möbelaussehen, die sie schreinern, woher das Holzkommt, aus dem sie Tische und Stühle schnit-zen, und wem sie die Produkte zu welchemPreis feilbieten. Für eine freie Gesellschaftaber, das ist ihm schon lange klar, braucht esmehr als die Solidarität seiner KollegInnen.Dafür braucht es die ganze Klasse.

Matthias Seiffert

Wer ist hier der Boss?Kaum sonst wo auf der Welt sind Konzepte selbstverwalteter Betriebe so weit entwickelt wie in San Francisco

— mit unterschiedlichen Erfahrungen

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Seite 9Nr. 179Januar/Februar 2007 Globales

Diesmal hatten die konservativen Parteienin Schweden alles richtig gemacht.

Schon vor der Wahl zum Parlament im Sep-tember hatten die vier KoalitionsparteienCenterpartiet (Bauernpartei), Folkpartiet(Liberale), Kristdemokraterna (Christdemo-kraten) und Moderaterna (Konservative) lautund deutlich erklärt, wie Schweden besserzu führen sei: durch niedrigere Steuern, Kür-zungen im Kultur- und Pflegebereich, er-höhte Beiträge für die Arbeitslosenversiche-rungen und gleichzeitig Senkung des Ar-beitslosengeldes. Auch die Minister hattenangekündigt, was zu erwarten war. Die Kul-tusministerin, Cecilia Stegö Chiló (Modera-terna), musste schon nach zwei Wochen vonihrem Amt zurücktreten, weil es sichschlecht macht, wenn man als oberste Che-fin der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalt16 Jahre lang keine Fernsehgebüren bezahlthat. Nur ein paar Tage später folgte ihr dieWirtschaftsministerin, Maria Borelius (Mo-deraterna). Auch sie hatte vergessen, dieFernsehgebühren zu bezahlen. Außerdemkonnte ihre Putzfrau überhaupt keine Ar-beitslosenversicherung bezahlen, weil sieschwarz beschäftigt war. Und weil die Steu-er in Schweden so hoch ist, musste die Mini-sterin ihr Haus in Schweden über eine Firmaauf den Bahamas anmelden.

Dies alles hatte einige erfreulicheNebenwirkungen. Die geplanten Kürzungenim Kulturbereich kamen ins Stocken, und dieöffentlich-rechtlichen Fernsehsender beka-men die plötzlich allgemein gestiegene Be-reitschaft zum Gebührenzahlen zu spüren.

Was aber die geplanten Verschlechterun-gen bei den Arbeitslosenversicherungen be-trifft, war leider keine Gnade zu erwarten.Schon weniger als zwei Monate nach ihremWahlsieg hatten die Regierungsparteien [Mo-deraterna, Centerpartiet, Folkpartiet undKristdemokraterna] einen Vorschlag fertigausgearbeitet. Demnach soll die Beitragshö-he der heutigen Arbeitslosenversicherung(die von den Gewerkschaften verwaltetwird) von 100 auf 350 Kronen monatlich er-höht werden (ein Euro entspricht ca. 9,78Kronen), und die Möglichkeit, die Arbeitslo-senkassenbeiträge sowie die Gewerkschafts-beiträge von der Steuer abzusetzen, wird ge-strichen. Addiert man diese beiden Verände-rungen, ergeben sich für die ArbeitnehmerBelastungen, die dem fünffachen der frühe-ren Kosten entsprechen. Als extra Danke-schön an ihre Wähler bleibt für Unterneh-men natürlich weiterhin die Möglichkeit be-stehen, ihren Mitgliedsbeitrag für den Ar-beitgeberverband steuerlich abzusetzen.

Üblicherweise bekommen Arbeitslose80% ihres vorherigen Lohnes. Doch für die-se Leistungen gibt es eine vom Gesetzgeberfestgelegte Obergrenze, welche durch diejüngsten Maßnahmen stark gesenkt wurde.Für diejenigen, die arbeitslos werden, sinkt

nun der Tagessatz des Arbeitslosengeldes ummehr als 10%. Dies führt dazu, dass es sichfür immer weniger Arbeiter überhaupt lohnt,in eine Arbeitslosenkasse einzuzahlen.

In der LO (Landsorganisationen — ent-spricht dem DGB) haben schon jetzt einigegroße Gewerkschaften Zusatzversicherungenangeboten, und der Trend weist deutlich indiese Richtung. Natürlich ist es genau das,was die konservativen Parteien wollen. Denndurch diese Änderungen werden die Gewerk-schaften ihren noch starken Status verlie-ren.

Mit immer weiter sinkenden Mitglieds-zahlen verspielten die großen Gewerkschaf-ten am 15. November eine vielleicht letzteChance, irgendetwas gegen die Verschlech-terungen im Bereich der Arbeitslosenversi-cherungen zu tun. Die SAC (Sveriges Arbeta-res Centralorganisation), die kleine syndika-listische Gewerkschaft, hatte für diesen Tag,an dem das Parlament in Stockholm den Vor-schlag in erster Lesung beriet, zu einem po-litischen Streik aufgerufen. Nach schwedi-schem Verfahren muss jeder Streik von einerGewerkschaft mindestens sieben Tage vor-her offiziell beim Arbeitgeber angemeldetwerden. Für den „Generalstreik“ am 15. No-vember hat die SAC eine solche Anmeldungkurzerhand bei sämtlichen Arbeitgeberver-bänden eingereicht. Damit waren alle 2,5Mio. Arbeiter in Schweden, die nicht im Öf-fentlichen Dienst beschäftigt sind, legal zumStreik angemeldet.

Die Direkte Aktion sprach mit Torfi Mag-nusson, dem SAC-Koordinator dieses Streiks,der in Stockholm lebt.

- Du warst Koordinator des Streiks. Wasbedeutete das genau?

Ich habe die Aktivitäten zentral koordi-niert, zu den verschiedenen Treffen einbe-rufen und Infos an die LS [Lokala samorga-nisationer — Ortsgruppen der SAC, die ei-

gentlich die Gewerkschaft sind. Die SAC istnur die Föderation der verschiedenen LS,Anm. d. Red.] geschickt. Ich habe zugese-hen, dass Flugblätter und Infomaterial ge-druckt wurden und habe auch die Anmel-dung für den Streik eingereicht.

- Wisst Ihr schon, wie viele SAC-Mitglie-der überhaupt in den Streik getreten sind?

So genau wissen wir es nicht. Die LSmüssen sich nicht zurückmelden, aber wirglauben, dass 20-30 Ortsgruppen beteiligtwaren und vielleicht 1.500 Mitglieder. Wirwerden wahrscheinlich genaueres wissen,

wenn die LS Streikgelder einfordern. An denvon uns organisierten Demonstrationen undFlugblattverteilaktionen waren um die 6.000Menschen beteiligt.

- Die LO hat doch kurz vor dem Streik-tag ihre Mitglieder aufgefordert, sich nichtzu beteiligen, weil die Rechtslage angeb-lich nicht so klar gewesen sein soll. Aber inden schwedischen Zeitungen hat man lesenkönnen, dass das innerhalb der LO für Un-mut gesorgt hat. Wie hat sich das gezeigt?

Dass die LO nicht an einem Streik gegendie Verschlechterungen bei der Arbeitslo-senversicherung teilnehmen will, entsprichtganz ihrer Linie. Die Führung hat gesagt:Wenn man gewählt hat, muss man auch dieResultate akzeptieren. Aber es gibt 20 Lo-kalgruppen innerhalb der LO, die jetzt einenpolitischen Streik fordern. Leider schweigenaber auch ein paar tausend Lokalgruppen.

- Erzähl mal, wie es für die SAC möglichwar, sämtliche Arbeiter zum Streik aufzu-rufen, und wie Ihr auf die Idee gekommenseid?

Es ist eigentlich nicht so ganz abwegig.Wir sind 2003 von der Gewerkschaft für denÖffentlichen Dienst aufgefordert worden, zustreiken, und 2006 hat die Journalistenge-werkschaft auch so etwas ähnliches ge-macht. Es gibt in der schwedischen Gesetz-gebung nichts, was einen politischen Streik

verbietet. Ein politischer Streik hebt kurzfri-stig die Friedenspflicht der beteiligten Par-teien auf. Nur Angestellte im ÖffentlichenDienst dürfen nicht streiken. 2003 hat dasArbeitsgericht ein wichtiges Urteil gespro-chen, durch welches das Streikrecht allge-mein und insbesondere für die SAC ausge-weitet wurde. Aber klar, die Idee mit demGeneralstreik war natürlich ein bisschen ver-rückt. Andererseits wäre es sonst nie so eingroßes Ereignis geworden. Keinen Menschenhätte es bewegt, wenn nur unsere 7.000 Mit-glieder gestreikt hätten. Aber 2,5 Millionen… Da haben wir es schon geschafft, etwasloszutreten.

- Und wie haben die Leute reagiert?Die Aktivisten, die draußen auf der Stra-

ße Flugblätter verteilt haben, meinen, eineVeränderung im Vergleich zu früheren Streiksbemerkt zu haben. Leute haben interessier-ter gewirkt und Fragen gestellt. Die größteschwedische Zeitung, Aftonbladet, hat eineInternetumfrage durchgeführt, und 75% der120.000 Teilnehmer waren für den Streik.Gleichzeitig hat die Regierung bei den Wäh-lerumfragen 8% eingebüßt. Das ist in Schwe-den noch nie passiert, schon gar nicht sokurz nach einer Wahl.

- Kam es irgendwo vor, dass man richtigzu spüren bekommen hat, dass eine Firmabestreikt wurde?

Wie gesagt, wir haben noch nicht alleBerichte. Aber hier in Stockholm zum Bei-spiel gab es schon eingestellte U-Bahnfahr-ten. Und ich weiß auch, dass ein kleinesKino in Göteborg die Vorstellungen ein bis-schen später anfangen ließ und dem Publi-kum erklärt hat, worum es ging. Viele vonunseren Mitgliedern sind allein auf ihrem Ar-beitsplatz, und dann kann es natürlich dazukommen, dass jemand einzeln streikt und eskeine großen Auswirkungen auf den Ar-beitsablauf hat.

- Wie geht es jetzt innerhalb der SACweiter?

In erster Linie ist das eine Frage der LS.Viele Arbeitgeberorganisationen haben ihreMitglieder aufgehetzt, hart gegen die Strei-kenden vorzugehen. Einem Mitglied ist ge-kündigt worden, und ein paar anderen wur-den Ermahnungen erteilt. Wir haben schoneine Kampagne gegen eine Handyfirma ge-startet, wir werden da ein bisschen Druckmachen. Die haben unser Mitglied gekickt,weil er gestreikt hat mit der Begründung,seine Teilnahme am Streik wäre so gewesen,als ob er während der Arbeitszeit zu einemFußballspiel gegangen wäre. So etwas wirdaber nicht lange gutgehen.

Wir haben einen zentralen Bericht ge-schrieben, und eine neue Arbeitsgruppe hatschon mit den Vorbereitungen für den 20.Dezember begonnen. An diesem Tag sollnämlich das Parlament das Gesetz absegnen.Ob das klappen wird, ist aber nicht sicher.Die Regierung hat nur vier Stimmen mehr alsdie Opposition. Und ich könnte mir schonvorstellen, dass nicht alle so heiß daraufsind, wieder 8% ihrer Stimmen zu verlieren,oder dass vielleicht jetzt plötzlich sogar dieLO etwas tun wird.

Mattias Kåks

Eine verrückte IdeeSchweden: SAC ruft 2,5 Millionen Arbeiter zum Generalstreik auf

Dreizehn Sektionen trafen sich Anfang De-zember 2006 zum XXIII. Kongress der

Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation(IAA) in Manchester. Die 50 Delegierten warenin einer Jugendherberge im ehemaligen Arbei-terviertel Castlefield untergebracht. Dieser Ort,der einst die politische Haltung Friedrich En-gels verändert hatte, bildete die historischeKulisse für den Kongress der Anarchosyndika-listInnen.

Lange Debatten füllten die drei Kongress-tage bis zur letzten Minute. Ein erfolgreichesErgebnis dieses Kongresses war die Stärkungder lateinamerikanischen Sektionen. So kön-nen die Sektionen künftig so genannte Subse-kretariate zusammenstellen, die für einen Kon-tinent organisatorische Aufgaben übernehmenund die Kommunikation verbessern sollen.Darüber hinaus findet der nächste Kongress2008 in Brasilien bei der COB (Confederação

Operária Brasileira — Brasilianische Arbeitsfö-deration) statt.

Die serbische Sektion ASI (Anarho-sindi-kalisticka Inicijativa — Anarchosyndikalisti-sche Initiative) berichtete von den Protestender Studierenden gegen die geplante Einfüh-rung von Gebühren. In Belgrad sind Teile derUniversität besetzt, die AnarchosyndikalistIn-nen baten um finanzielle Unterstützung fürPlakate und Flugblätter, um die Proteste effi-zient fortsetzen zu können. Es kam zu einerspontanen Sammelaktion unter den Delegier-ten, so dass die ASI die Spenden gleich mit-nehmen konnte.

Die Delegierten diskutierten kontroversüber Charakter und Struktur der IAA.

Die jahrelang aufgeschobene so genannte„FAU-Frage“ konnte auch dieser Kongress nichtendgültig klären. Einige Sektionen kritisierten,dass Teile die FAU (Ortsgruppen oder einzelne

Mitglieder) Kontakte zu AnarchosyndikalistIn-nen außerhalb der IAA pflegen bzw. dass dieFAU offiziell in Verbindung mit der CNT Frank-reich (so genannte „Vignoles“) steht. Das wärein Ländern wie Spanien und Frankreich mit of-fiziell rivalisierenden Organisationen unsolida-risch gegenüber der jeweiligen IAA-Sektion, sodie Meinung der Delegierten. Die FAU beharr-te weiterhin darauf, Kontaktverbote zu igno-rieren und ihre Basis nicht an der Zusammen-arbeit mit anarchosyndikalistischen Organisa-tionen zu hindern, sei es bei der Unterstüt-zung von Arbeitskämpfen oder dem Austauschvon Erfahrungen. Zudem verwiesen die FAU-Delegierten auf die Autonomie der Ortsgrup-pen bzw. Mitglieder. Der Kongress beschlossdaraufhin, dass das Sekretariat der IAA dasMandat behält, die FAU bei einem Verstoß ge-gen das Kontaktverbot aus der IAA ausschlie-ßen zu können.

Die ASI übernahm zusammen mit der bri-tischen Sektion SolFed (Solidarity Federation)unter Zustimmung der Anwesenden das Sekre-tariat der IAA.

Darüber hinaus sprachen die Teilnehmer-Innen über ihre praktische Arbeit, Gewerk-schaftsstrategien sowie Unterschiede im euro-päischen Arbeitsrecht. Mögliche gemeinsameProjekte ergeben sich zum Beispiel auf dem Ge-biet der Zeit- und Leiharbeit oder bei Solidari-tätsaktionen für die ArbeiterInnen Kolumbiens.Des Weiteren startet die italienische SektionUSI (Unione Sindacale Italiana) unterstüt-zenswerte Projekte in Mittelamerika (u.a. Oa-xaca). Den sehr gelungenen organisatorischenRahmen inklusive professioneller Übersetzer-Innen gestaltete die SolFed, die bis auf denenglischen Nieselregen alles im Griff hatte.

Internationales Sekretariat der FAU

Lokale Gewerkschaftsstrategien im internationalen KlassenkampfXXIII. IAA-Kongress in Manchester

3. Anarchietage in Win-terthur (31. Januar —11. Februar 2007)Insgesamt zwölfVeranstaltungen zu Themen wieOpen-Source-Software oderMedienaktivismus,Demokratiekritik oder die„Evolution der Kooperation“decken ein breites Spektrumtraditioneller und aktuellerlibertärer Ansätze ab.Das genaue Programm derAnarchietage findet sich unterhttp://www.arachnia.ch/etomite/index.php?id=213.Organisatorin:Libertäre Aktion Winterthur(LAW)http://[email protected]

Schwedisches Parlamentbeschließt Kürzungenbei der Arbeitslosenver-sicherungAm 21. Dezember, einen Tagspäter als geplant, beschloss dasschwedische ParlamentKürzungen bei derArbeitslosenversicherung undeinen erhöhtenVersicherungsbeitrag.Damit ist der Klassenkampf,auch von oben, offen angesagt.Die einzige Rücknahme dervorgeschlagenenVerschlechterungen bestehtdarin, dass sie erst am 1. März inKraft treten und nicht wiezunächst geplant am 1. Januar.

Interview mit dem IAA-Sekretariat 2006Die britische Zeitung „Freedom“führte kurz vor dem Kongressnoch ein Interview mit demscheidenden IAA Sekretariat.Mehr: fau-duesseldorf.org

ASR: Glückwünsche zumIAA-Kongress 2006Neben Glückwunschen enthältdieser Artikel eine Darstellungder Situation in den USA und zuFragen der IAA und IWW.Mehr: fau-duesseldorf.org

Moa Norell, die Generalsekretärin der SAC, bei einer Rede am Streiktag (Foto: José Figueroa)

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Seite 10 Nr. 179 Januar/Februar 2007Globales

Nachruf — AntonioPedrazo Sánchez

Antonio sprach selten zu uns,und wenn, dann langsam und

wohlüberlegt. Und wir hingen anseinen Lippen, denn was er

sagte, traf oft den Nagel auf denKopf. Wir waren damals junge

Anarchos, Anfang zwanzig, aberhier sprach jemand, der über

sechzig war – ein „alter Mann“,der lächeln konnte und Weisheit

ausstrahlte.Das war in den Siebzigern, in

Deutschland, als sich die Exil-CNT anschickte, ihre Ideen auch

unter den „Gastarbeitern“ zuverbreiten. Antonio Pedrazo

Sánchez war selbstverständlichdabei. Denn er war schon immer

dabei. „Von Natur aus einÁcrata“, wie seine andalusischen

Genossen in ihrem Nachrufschrieben, war er, 1915 imsüdspanischen Manzanares

geboren, nach Bürgerkrieg undGefängnis in den frühen

Sechzigern mit seiner Familieauf der Suche nach Arbeit in

Deutschland angekommen. ImRhein-Main Gebiet aß er das

bittere Brot der Immigration,aber stolz und kein bißchen

resigniert. Wo immer es etwas zutun gab, fehlte er trotz seines

Alters nicht:Gewerkschaftsarbeit,

Demonstrationen, Unterstützungdes CNT-Magazins „impulso“,

ideelle Starthilfe für die jungeFAU. Praktische Solidarität eben,Hilfe mit Worten, mit Taten, mit

Geld und – mit Poesie … DennAntonio schrieb Verse, die

manchmal besser halfen als allesandere.

Im vergangenen Jahr ist Antonioim Alter von 90 Jahren in seiner

Heimat gestorben. An seinemGrab stand Jung und Alt und

sang die traditionsreiche CNT-Hymne „Negras Tormentas

agitan los Aires ...“ Möge unserverspäteter Nachruf ihm und den

Seinen zeigen, dass „derGenosse Pedrazo“ auch in

Deutschland nicht vergessenwurde.

(Horst Stowasser)

Anfang Dezember kam es in Brüssel zu ei-ner gewaltigen Demonstration gegen den

geplanten Stellenabbau von 4000 der 5800VW-Beschäftigten. 30.000 Menschen habengezeigt, dass das Ausspielen der weltweitenStandorte gegeneinander an seine Grenzenstößt.

Die traditionell kämpferische Belegschaftdes belgischen Volkswagenwerkes Forest inBrüssel legte nach der Radiomeldung über diebeabsichtigten Entlassungen spontan ihre Ar-beit nieder. Dienstreisende aus Deutschlandwurden aus dem Werk geleitet, die Direktionzog sich ebenfalls zurück. Sogleich wurdendie Tore verrammelt und Streikposten aufge-stellt.

Volkswagen zieht die Produktion des neu-en Golf ab, um, so die Argumentation, denbeiden verbleibenden Golf-Standorten inDeutschland die im Zukunftstarifvertrag fest-gelegte Beschäftigungssicherung bis 2011 ge-währleisten zu können. In Brüssel fallen da-für zusätzlich zu den 4000 Stellen bei Volks-wagen mindestens doppelt so viele Arbeits-plätze in der Zulieferindustrie weg. Nachdemvor zwei Jahren Renault ein Werk in Brüsselgeschlossen hatte, würde sich mit Volkswa-gen der letzte verbliebene große Arbeitgeberaus der Region mit zwölfprozentiger Arbeits-losenquote zurückziehen.

Standortpolitik fördert Tarifver-schlechterungen

Das Ausspielen von Standorten gegeneinan-

der ist fester Bestandteil der Firmenpolitikglobal agierender Automobilkonzerne. So sind

gerade im Zuge von Tarifverhandlungen Dro-hungen mit der Verlagerung der Produktionbzw. von Fahrzeugfertigungen üblich, um dieVerschlechterung der Arbeitsbedingungenleichter durchsetzen zu können. Letztere wer-den von den der Sozialpartnerschaft ver-pflichteten Gewerkschaften als zumutbareGegenleistung der ArbeitnehmerInnen für diein Aussicht gestellte Arbeitsplatzsicherunggebilligt. Eine unnachahmbare Kunst stelltdabei jedes Mal der Verkauf schlechterer Ta-rifabschlüsse durch die Gewerkschaftsfüh-rungen an die Belegschaften dar, die gerade-zu als „Meilensteine in der Geschichte der Ar-beiterbewegung“ gefeiert werden. Die Infor-mationsveranstaltungen der Betriebsräte dazuoffenbaren ihre nahezu schauspielerischenTalente.

Die Dynamik des Volkswagen-Konzernsauf internationaler Ebene stieg im letztenJahrzehnt immens an und richtete sich zumeinen am lokalen Absatzmarkt und den Pro-duktionskosten aus. Andererseits lassen sichauch Reaktionen auf das Verhalten der jewei-ligen Belegschaft erkennen. Zusammen mitden etablierten Gewerkschaften wurden Ar-beitskämpfe unterwandert, die Belegschaftengespalten und vermeintliche Rädelsführer ein-geschüchtert. Beispiele dafür sind die Streiksin den Volkswagenwerken Südafrika, Brasi-lien oder bei Seat in Barcelona. Im spanischenVolkswagenwerk Pamplona hingegen bildenbasisdemokratische Gewerkschaften kämp-

ferischer ArbeiterInnen eine klare Front gegendie Aufspaltungsversuche von Unterneh-mensleitung und sozialdemokratischen Ge-werkschaftsfunktionären. Langfristig ist dasUnternehmen versucht, diese Standorte auf-zugeben und neue Produktionen mit Arbei-terInnen aufzubauen, die nicht in revolutio-nären Gewerkschaften organisiert sind. Sodürfen beispielsweise in Pamplona nur Ar-beitnehmerInnen eingestellt werden, die Mit-glied in einer dem Unternehmen wohlgesinn-ten Gewerkschaft sind. Erst wenn jemand imArbeitsverhältnis steht, gibt es wieder dieMöglichkeit für einen Wechsel.

Situation hierzulande

An den deutschen Standorten der Automobil-industrie hat die zentralistische DGB-Gewerk-schaft IG Metall die Fäden in der Hand. Alter-native Betriebsräte werden vom Informa-tionsfluss und bei Entscheidungen ausge-schlossen, andere Gewerkschaften auf Be-triebsveranstaltungen verbal angegriffen,Nichtmitglieder belächelt bis gemobbt.Nichtsdestotrotz wächst der Unmut in den Be-legschaften ebenso wie die Austrittsrate ausden Einheitsgewerkschaften. Basisdemokra-tische Betriebsgruppen bilden sich bei Volks-wagen genauso wie bei Opel. Der letzte Streikim Opelwerk hat gezeigt, dass Unternehmenund Gewerkschaftsfunktionäre machtlos beider Ergreifung der Initiative durch die Arbei-terInnen zuschauen müssen. Meistens demo-ralisiert die durch Mainstream-Medien ge-prägte öffentliche Meinung das Selbstbe-

wusstsein der im Arbeitskampf befindlichenArbeiterInnen. Der Rückhalt in der Bevölke-rung wird heruntergespielt, Gewerkschafts-funktionäre übernehmen die Aktionen undbremsen ihre Dynamik aus.

Um es gar nicht erst soweit kommen zulassen, wird an einem Standort die Beleg-schaft im Vorfeld gespalten. In Wolfsburg gibtes neben den unterschiedlichen HaustarifenArbeitsverhältnisse bei eigens gegründetenTochtergesellschaften wie Autovision, WobAGoder Auto5000. Durch die unterschiedlichenArbeitszeiten und -löhne kommt es zu Riva-litäten innerhalb der Belegschaft. Darüberhinaus spielt der künstlich erzeugte Wettbe-werb zwischen den Schichten oder Teams,aber auch die Anfeindungen aufgrund ver-schiedener Vergünstigungen zwischen Ange-stellten, TechnikerInnen und FacharbeiterIn-nen eine große Rolle für die Unfähigkeit derArbeiterInnen, sich gemeinsam zu organisie-ren.

Dass es Perspektiven für einen gemeinsa-men und internationalen Kampf gibt, hat dieDemonstration in Brüssel gezeigt, an der Ar-beiterInnen europäischer Volkswagen-Stand-orte und anderer Automobilhersteller, ver-schiedene linke Gruppen, Angehörige sowiesich solidarisch zeigende Menschen teilnah-men. Der persönliche Kontakt der ArbeiterIn-nen untereinander sowie die revolutionäre ba-sisdemokratische Arbeit innerhalb der Betrie-be sind die wesentlichen Aufgaben im heuti-gen internationalen Klassenkampf.

faust (Allgemeines Syndikat Hannover)

Spontaner Streik bei VolkswagenArbeitskämpfe in der Automobilindustrie

Anti-Aging für die Anar-chie? Über die Chanceneines zeitgemäßen An-

archosyndikalismusIn der aktuellen Ausgabe sollte

eigentlich der erste Teil eineslängeren Essays von Horst

Stowasser erscheinen. Leiderhatten wir dafür an dieser Stelle

keinen Platz mehr. Der Essaywäre ein Vorabdruck aus seinem

neuen Buch gewesen, welchesim Januar 2007 bei Edition AV

erscheint (Titel: „Anti-Aging fürdie Anarchie? Das libertäre

Barcelona — 70 Jahre nach derspanischen Revolution“). Auf der

Seite der FAU Düsseldorf(www.fau-duesseldorf.org) ist er

in voller Länge nachzulesen.

Seit dem 05.10.06 befinden sich laut Fi-nancial Times Ltd ca. 17.000 ArbeiterIn-

nen der Goodyear Tire and Rubber Companyin den USA und Kanada im Streik. Laut Pres-semeldungen war der Auslöser die Ankündi-gung des Konzerns, ein Werk in Texas mithohem gewerkschaftlichem Organisations-

grad zu schließen, und der Plan, die Arbei-terInnen zukünftige Erhöhungen der Kostender Gesundheitsversorgung komplett tragenzu lassen. Seit Beginn des Streikes versuchtGoodyear die Produktion mit Angestellten,„salaried workers“1) und Zeitarbeitern auf-recht zu erhalten. Dabei gehen die Angaben

über die Effektivität dieser Maßnahmen weitauseinander. Laut Pressesprecher des Kon-zerns liegt die Produktion im Schnitt bei50% der normalen Produktion, im Werk inKansas, wo die Reifen des Humvee-LKWs2)

für das US-Militär produziert werden, garbei nahezu 100%. Dem Vorsitzenden des Mi-litärauschusses im Repräsentantenhaus,Duncan Hunter, zufolge hat der Streik dieProduktion allerdings um ca. 35% einbre-chen lassen, und laut Stahlarbeitergewerk-schaft USW (United Steelworkers) ist in denbestreikten Werken die Produktion um gan-ze 80% zurückgegangen. Bisher kostet derStreik den Konzern 30-35 Mio. USD an ope-rativem Gewinn. Trotzdem könnte Goodyearihn sogar als „cash-positiven Event“ verbu-chen, wenn der Streik zu früh abgebrochenwird, da die Lagerbestände nun verkauftwerden.

Wie die Deutsche Bank berichtet, stelleGoodyear gegenwärtig noch 10.500 Reifenfür den Humvee her, während das Militäraber monatlich 20.000 benötige. Pünktlichzum Solidaritätstag am 16. Dezember kamaus Kreisen der US-Army die Information,dass die Produktionsrückgänge schon dazugeführt hätten, dass nur noch Truppen im

aktuellen Einsatz mit Ersatzreifen versorgtwürden — und man, wenn es zu weiterenLieferproblemen käme und die kämpfendenTruppen beeinträchtigt würden, erwäge, dasTaft-Hartley-(Streikverbots-)Gesetz anzu-wenden, da der Goodyear-Streik die natio-nale Sicherheit der USA bedrohen würde.

Rudolf Mühland & Aswad

1) „Salaried workers“ bezieht sich auf Mit-arbeiter, die ein Festgehalt bekommen,gleich wieviel Stunden sie arbeiten. Das be-traf früher nur Manager und höhere Ange-stellte, wird aber jetzt auf ein viel breiteresSpektrum von Angestellten und Arbeiternangewendet. Teilweise geschieht das, umunbezahlte Überstunden aus den Leutenrauszupressen, aber auch, um sie künstlichals Vorarbeiter aufzuwerten, da diese nachder US-Gesetzgebung nicht bei den gewerk-schaftlich erreichten Lohnabschlüssen ein-bezogen werden.2) Diese LKW werden vom US-Militär u.a. imIrak und in Afghanistan eingesetzt. Außer-dem finden sie bei anderem militärischemEquipment (zum Beispiel bei Flugzeugen)Verwendung.

US-Army: Mit Taft-Hartley gegen ArbeiterAlle Räder stehen still, wenn Dein starker Arm es will

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Seite 11Nr. 179Januar/Februar 2007 Globales

Mit einiger Katerstimmung blicken wirhierzulande noch zurück auf die Ablö-

sung der Regierung Kohl durch Rot-Grün unddie bittere Pille, die die hiesige Arbeiterschaftvor allem durch Hartz IV, die Senkung der Re-allöhne sowie die immensen Erhöhungen derRenditen großer Konzerne zu schlucken be-kommen hat. Einen ähnlich enttäuschendenUmzug vom Regen in die Traufe haben nun —mit Antritt der Mitte-Links-Koalition um Ro-mano Prodi — die italienischen Arbeiterinnenund Arbeiter hinter sich.

Die italienischen Basisgewerkschaften lie-ßen sich von diesem Etikettenschwindel je-doch wenig beindrucken und riefen am 17. No-vember den Generalstreik aus.

So ähnlich die Situationen nach den Re-gierungswechseln in Deutschland und Italienvon Mitte-Rechts nach Mitte-Links teils auchsein mögen, so unterschiedlich sind sie dochzur gleichen Zeit. Oft wurde nach dem knap-pen Wahlsieg Prodis davon gesprochen, dassItalien nach der Wahl so gut wie in zwei Teile— Mitte bis extreme Rechte und Mitte bis ex-treme Linke — gespalten sei. Um die Verwir-rung in der öffentlichen Meinung zu noch ver-stärken, kommt hinzu, dass sich über all dieJahre unter dem Regime des Cavaliere Berlu-

sconi offensichtlich fast niemand in Italien of-fen dazu bekannte, eben diesen überhaupt je-mals gewählt zu haben, und dass die neue Re-gierung gleich mit einem Generalstreik der Ba-sisgewerkschaften in ihrem Amt begrüßt wur-de. Dies scheint um so ungewöhnlicher, da Ro-mano Prodi doch als Zugeständnis so geschicktdie Schlüsselposition des Präsidenten der ita-lienischen Deputiertenkammer mit dem ehe-maligen Linksgewerkschafter und vermeint-lichen Linksaussen seiner Koalition, FaustoBertinotti (Partito della Rifondazione Commu-nista), besetzt hat, der schon zu Oppositions-zeiten als Bindeglied zwischen der parlamen-tarischen und Teilen der ausserparlamentari-schen Opposition fungierte.

Um diese vermeintlich verworrene politi-sche Situation zu verstehen, empfielt es sich,einen Blick in die jüngste Geschichte Italienszu werfen. Denn: Für den einen oder die an-dere mag der Spruch, jede Partei — egal oblinks oder rechts — vertrete früher oder späterlediglich die eigenen Interessen, recht abge-droschen klingen; für Italien erweist er sich je-doch noch zutreffender als für die große Koa-lition in Deutschland.

So war einer der Gründe für die erste WahlBerlusconis eine Anzahl von Korruptionsskan-dalen und Spaltungen in der parlamentari-

schen Linken Italiens, sowie die Unfähigkeitebendieser, Lösungen für die Probleme der ar-beitenden Klassen in Zeiten eines entfessel-ten Kapitalismus zu bieten, und schnell wur-de der Ruf nach dem starken Mann laut. Dieparlamentarische Linke verstand es jedochauch nicht, nach der ersten Niederlage Berlu-sconis an Vertrauen zurück zu gewinnen, undder Cavaliere bekam seinen zweiten Auftritt,um die Probleme des Landes anzupacken.

Die Lösungsrezepte, die spätestens ab2001 ins Spiel gebracht wurden, dürften vie-len hierzulande wie „alte Bekannte“ in denOhren klingen: Flexibilisierung des gesamtenArbeitsmarktes, Förderung von Zeit- und Leih-arbeit sowie des Niedriglohnsektors, Arbeit aufAbruf, Senkung der Reallöhne und Heraufset-zung des Renteneintrittsalters, um nur einigeBeispiele zu nennen. Was hier die sog. Hartz-gesetze sind, wurde in Italien unter dem Na-men Legge Biagi (Biagi-Gesetz) verabschiedet,um Europa bis zum Jahr 2010 internationalwettbewerbsfähig zu machen. Was allerdingswenige wissen, ist, dass eben dieses Biagi-Ge-setz bereits von der Mitte-Links-Regierung vorBerlusconis Wiederwahl auf den Weg gebrachtwurde.

So verwundert es weit weniger, dass es —

auch wenn die drei großen italienischen Ge-werkschftsföderationen CGIL, CISL, UILstramm an der Seite der neuen Regierung ste-hen — an der Basis weiter gärt und beträcht-liche Teile der italienischen Arbeiterinnen undArbeiter der gesamten politischen Klasse mitArgwohn und Mißtrauen gegenüber stehen.

Also riefen die Basisgewerkschften COBAS,UniCobas, CUB und unsere anarchosyndikali-stische Schwestergewerkschaft USI-AIT am17.11. diesen Jahres einen gemeinsamen Ge-neralstreik für sichere und feste Arbeitsver-hältnisse, für das Recht auf ein lebenssi-cherndes Einkommen, für die Sicherung derRenten und gegen die Erhöhung des Renten-eintrittsalters, für die Sicherung des Sozial-staates und gegen den Ausverkauf des Sozial-wesens (öffentlicher Dienst, Krankenversor-gung etc.), gegen das Einfrieren der Reallöh-ne, gegen die neuen Haushaltspläne sowie fürdrastische Kürzungen des Etats für das italie-nische Militär und gegen die Beteiligung Ita-liens an den Kriegen dieser Welt aus.

Neben einer regen Beteiligung am Streik(italienweit etwa 1.500.000) gab es landesweitetwa 300 Demonstrationen (u.a. in Florenz,Ancona, Bari, Neapel, Bologna, Celle Ligure,Genua, Mailand). Allein in Mailand gelang es,10.000 Streikende auf die Straßen zu bringen.

So sehr der Technokrat und Europapoliti-ker Prodi von den anderen EU-Regierungenauch als Hoffnung für das Projekt 2010 ange-sehen werden mag, so schwer wird er es wohlin seinem eigenen Land haben. Denn was sichhierzulande lediglich als heiße Luft entpuppthat, ist jenseits der Alpen zwar ein später, aberumso heißerer Herbst geworden. Und wo sichhierzulande das Nichtstun in den Führungse-tagen der Zenralgewerkschaften in alter Tra-dition fortgesetzt hat, ist dort das dolce farniente zum politischen Statement geworden.

Lars Röhm

Alter Wein in neuen SchläuchenItalien hat zwar nunmehr eine neue Regierung, doch die Politik des

Sozialabbaus bleibt die gleichePolen: Demo gegen Gewerkschaftsdeal

Am 17. Dezember protestierten polnische AnarchistInnen vor der Hauptpost in Warschaugegen einen Deal der großen Gewerkschaften mit den Bossen. Im November war es in meh-reren Postzentren zu wilden Streiks gekommen, in deren Verlauf die ArbeiterInnen Lohn-erhöhunngen von rund 175,- Euro pro Monat, Achtstundenschichten und die Bezahlungder Überstunden gefordert hatten. Sofort stürzten sich mehrere Gewerkschaften auf dieSache und verwandelten den wilden Streik in einen gewerkschaftlich kontrollierten. Sieschlossen einen neuen Tarifvertrag ab, der Lohnerhöhungen von rund 25,- Euro pro Mo-nat vorsieht. Als großer Erfolg wurde eine jährliche Einmalzahlung von 150,- Euro verkauft.Dabei wurde dezent verschwiegen, dass es sich dabei lediglich um die Umwandlung vonbereits zuvor ausgegebenen Warengutscheinen in Geld handelte. Da die Geldleistung hö-her besteuert wird, haben die ArbeiterInnen unter dem Strich nun sogar weniger. Auch ananderen Punkten haben die Gewerkschaften Verschlechterungen ausgehandelt. Der Protestvor der Warschauer Hauptpost diente dazu, die Öffentlichkeit über die Machenschaften derGewerkschaften zu informieren und diejenigen KollegInnen zu unterstützen, die die neu-en Verträge nicht annehmen wollen.

Indien: Generalstreik in Kerbala und West-Bengalen

Mitte Dezember brachte ein Generalstreik in den beiden indischen Bundesstaaten Kerba-la und West-Bengalen das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen. Anlass für den Ge-neralstreik war der Protest gegen Privatisierungen, arbeiterfeindliche Arbeitsgesetze, stei-gende Preise und niedrige Löhne. Der öffentliche Nahverkehr stand still, Dutzende Flügewurden abgesagt, fast alle Züge blieben in den Depots und die meisten Banken und Ge-schäfte waren geschlossen. Es gab mehrere Demonstrationen; tausende von Polizisten wa-ren auf den Straßen. In vielen Callcentern, besonders denen, die für internationale Kun-den arbeiten, waren die ArbeiterInnen zuvor von den Bossen aufgefordert worden, dieNacht in den Firmen zu verbringen.

China: Streik im Safaripark

In Shenzen sind am 7. Dezember 400 ArbeiterInnen in einem Safaripark in den Streik fürbessere Löhne, gegen Entlassungen und gegen das korrupte Management getreten. Der Parkmusste schließen, nachdem zu Schichtbeginn kein einziger der Beschäftigten zur Arbeiterschienen war und sich stattdessen 100 als Streikposten vor dem Eingang postiert hat-ten. Am darauf folgenden Freitag griffen 70 Polizisten die ArbeiterInnen an, die zu hun-derten ein Sit-In abhielten und überall im Park Schilder anbrachten. Nachdem im Laufedes Jahres der Aktienkurs der Firma eingebrochen war, waren im Oktober 25 ArbeiterIn-nen entlassen worden, wurden Überstundenzuschläge gekürzt und Sozialversicherungs-prämien zurückgehalten. Die Situation explodierte, als bekannt wurde, dass gleichzeitigzehn Managern ihr Ausscheiden mit Abfindungen von jeweils rund 12.000,- Euro versüßtworden war.

Kanada: „Massenepidemie“ in Krankenhaus

Wegen eines Streikverbots kam es am 24. November in den Radiologien und Laboratorienvon fünf Krankenhäusern im kanadischen Cape Breton Distrikt zu einer „Massenepidemie“.125 ArbeiterInnen hatten sich an diesem Tag auf einen Schlag krank gemeldet. In den be-troffenen Krankenhäusern konnten weder Röntgen- noch Ultraschallaufnahmen gemachtwerden. Das Labour Relations Board des Bundesstaates Nova Scotia versuchte daraufhinvergeblich, die krank gemeldeten ArbeiterInnen per Verfügung zurück an die Arbeit zuzwingen. Angeblich handele es sich um ein „Sick-In“ und damit um eine Form wildenStreiks. Hintergrund der „Epidemie“ war eine Auseinandersetzung um Löhne, weil man denArbeiterInnen eine ausgehandelte Lohnerhöhung von 15% über drei Jahre verweigert hat-te.

Niederlande: Wilder Streik im Terminal

Mit einem wilden Streik haben Hafenarbeiter in Europas größtem Containerhafen, Rotter-dam, für einige Tage die Abfertigung durcheinander gebracht. Der Streik fand bei der Fir-ma „European Container Terminals“ (ECT) statt. Die Firma mit 2.000 Beschäftigten gehörtzur „Hutchinson Port Holdings“ mit Sitz in Hongkong. Der Ausstand richtete sich u.a. ge-gen immer unkalkulierbarere Arbeitszeiten und Arbeitshetze. Die Abfertigung der Contai-ner (normalerweise rund 70.000 pro Woche) bei ECT kam praktisch zum Stillstand. Der Ge-schäftsführer, Jan Westerhout, erklärte gegenüber der Presse, das man zwar versuche, dieBeladung der LKWs zu gewährleisten, dass man aber praktisch niemanden finde, der ar-beiten wolle. Er äußerte sich sehr erzürnt darüber, dass die Arbeiter sich nicht an eine Ver-einbarung halten wollten, die jüngst mit der Gewerkschaft ausgehandelt wurde und eineflexiblere Zeitplanung vorsah. „Man will im Hafen von Rotterdam das Wort Flexibilität nichthören“, sagte Westerhout, „das haben die anscheinend irgendwo tief in ihren Genen“. DieFührung der Gewerkschaft, welche die Vereinbarung abgeschlossen hatte, sagte, man wür-de den Streik nicht unterstützen, könne aber auch wenig dafür tun, ihn zu beenden.

USA: Erster wilder Streik bei Wal-Mart

Mitte Oktober kam es in einem Wal-Mart in Hialeah Garden im US-Bundesstaat Florida zumersten wilden Streik in der Geschichte des Konzerns. 200 ArbeiterInnen, nahezu die ge-samte Schicht, verließ das Einkaufszentrum um neun Uhr morgens. Anlass für den Streikist ein ganzes Bündel von Verschlechterungen, die die Konzernleitung durchsetzen woll-te. Dazu gehört u.a. die Reduzierung der Arbeitszeit für etliche Beschäftigte und die For-derung, dass die ArbeiterInnen 24 Stunden auf Abruf bereitstehen sollen und sofort zurArbeit zu erscheinen hätten, wenn ein Computerprogramm in der Wal-Mart-Zentrale dieSchichten und die individuellen Stundenaufteilungen berechnet und zusammengestellthat. Noch am Nachmittag standen rund 50 ArbeiterInnen vor den Eingängen und zeigtenhandgemalte Plakate, auf denen zu lesen stand: „Wal-Mart, wir sind Menschen und wir ver-langen Respekt!“ Zeitgleich mit dem Streik, zu dem keine Gewerkschaft aufgerufen hatte,wurde der Konzernleitung ein Fax mit Forderungen übermittelt, das von nahezu allen Ar-beiterInnen namentlich unterschrieben war. Nach ersten Informationen machte Wal-Martals Ergebnis des Streiks eine Reihe von Zugeständnissen, ein genaues Ergebnis ist uns aller-dings noch nicht bekannt. Wenige Tage nach dem Streik wurde Wal-Mart in einer anderenSache von einem Gericht zur Zahlung von 72 Millionen US-Dollar Schadenersatz für ent-gangene Pausen verurteilt, die ArbeiterInnen in Wal-Mart-Märkten in Philadelphia zwi-schen 1998 und 2006 nicht nehmen durften.

CNT-E soll 2,5 MillionenEuro erhaltenDie CNT-E soll während derersten Phase der Rückgabe deshistorischenGewerkschaftsvermögensendlich als Entschädigung2.458.925,70 Euro sowie dreiihrer ehemaligen Immobilienerhalten. Diesozialdemokratische UGT sollnach dem gleichen Beschluß desMinisterrates 148.961.233.84Euro und 26 Immobilienerhalten. Die CNT-E fühlt sichdurch dieses eklatanteMissverhältnis über den Tischgezogen.

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Alle nach Paris zurinternationalen syndi-kalistischen KonferenzI-07Nach den Industriekonferenzenin San Francisco (I-99) undEssen (I-02) ergreift nun diefranzösische CNT die Initiativeund lädt alle Organisationen,Gruppen, Netzwerke undAktivistInnen, die bereits an denvorangegangenen Konferenzenteilnahmen, sowie alle anderenInteressierten zum I-07 (vom28. April bis 1. Mai 2007) ein.Mehr in der DA 180.

Argentinien: DringendeSolidarität mit Telefon-arbeiterInnenDie TelefonarbeiterInnen vonBuenos Aires beanstanden seitlangem die Situation ihrerGenossInnen in denausgegliederten Betrieben, d.h.den von Telefónica und Telecombeauftragten Betrieben, diediverse für dieTelekommunikation notwendigeAufgaben durchführen. DieArbeiterInnen derausgegliederten Betriebe habennicht dieselben Rechte wie dieArbeiterInnen von Telefónicaund Telecom, obwohl sieAufgaben im selbenTätigkeitsbereich durchführen.Mehr: fau-duesseldorf.org

Das Erwachen des Klas-senkampfs in Bangla-deshIn Bangladesh setzt sich einimmer größer werdender Teilvon Arbeitern (Bauern ohneGrund und Boden, Fabrikarbeiterder Textilindustrie, LehrerInnen)für anständigeLebensbedingungen und fürsoziale Gerechtigkeit ein.Mehr: fau-duesseldorf.org

Demonstration in Ancona

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Seite 12 Nr. 179 Januar/Februar 2007Globales/Hintergrund

Eyal Rozenberg (Israel)Im August und September 2006reiste der israelische Anarchist

Eyal Rozenberg durch TeileEuropas und hielt — vor allem

auf Einladung diverser FAU-Ortsgruppen — auch in

Deutschland mehrere Vorträgeüber die Situation im Nahen

Osten und die Lageemanzipatorischer Bewegungendort. Obwohl in München keine

Veranstaltung zustande kam,hat die OG München die

Gelegenheit genutzt, um einInterview mit Eyal zu führen.

Mehr: fau-duesseldorf.org

Impel-Tom hat Aktivi-sten der Inicjatywa Pra-

cownica gefeuertDas Unternehmen Impel-Tom hat

drei Aktivisten der InicjatywaPracownica (ArbeiterInnen-

Initiative) gefeuert, weil sie vorGericht laut und offen über die

illegalen Aktivitäten desArbeitgebers gegenüber ihrer

Gewerkschaft gesprochen haben.Mehr: fau.org

Erklärung der CNT-E undder USI zu Oaxaca

Dokumentation der Erklärungender CNT-E und der USI zur

aktuellen Repressionswelle inOaxaca/Mexiko unter fau.org.

StudentInnenprotestein Serbien

Im Dezember blockiertenStudentInnen der Universität

von Belgrad mehrere Tage langdas Gebäude der

Philosophischen Fakultät. Einkurzer Überblick über die

StudentInnenproteste in Serbienund Analysen mit interessanten

Details werden späterherausgegeben.

Mehr: fau.org

Sonne, Meer, idyllische Buchten, Strand-tavernen, malerische Dörfer, Gastfreund-

schaft. Dass dieses Ideal aus dem Reisekata-log nicht für alle Fremden in GriechenlandGültigkeit besitzt, konnte dem aufmerksa-meren Teil der griechischen Bevölkerung inden letzten Jahren nicht verborgen bleiben.

Zu häufig waren die fremdenfeindlichenAusschreitungen ganzer Dorfgemeinschaf-ten, die mit vereintem Volkswillen die „drek-kigen Albaner“ oder „die klauenden Auslän-der“ aus ihren Dörfern verjagten. Zu breit derrassistische gesellschaftliche Konsens, derAusländer in gut — die bezahlenden Touri-stinnen — und schlecht — die Arbeitsmi-granten — einteilte. Wie ekelerregend undmanchmal lebensgefährlich das Gemisch ausRassismus, Sexismus, Patriarchat, Stolz undder Verteidigung der Dorfehre ist, welches inden abgelegeneren Regionen Griechenlandsbis heute überdauert hat, zeigen die Ereig-nisse der letzten zwei Monate in Amarynthos,einem Dorf auf der Insel Euböa.

Das Verbrechen

Während sich die Lehrer nach sechswöchi-gem erfolglosem Streik Mitte Oktober ge-schlagen geben (DA Nr. 176/178), gehen dieUniversitäts- und Schulbesetzungen gegendie geplante Bildungsreform der konservati-ven Regierung erst mal weiter. Auch dieSchule in Amarynthos ist zu dieser Zeit ver-barrikadiert. Während der Besetzung wirdeine 16-jährige Schülerin bulgarischer Ab-stammung von vier ihrer Mitschüler auf derSchultoilette vergewaltigt, vier Klassenka-meradinnen schauen zu und filmen die Tatmit ihren Handys. Die Mutter des Opfers er-stattet Anzeige, die Täter und ihre Eltern be-haupten, „die Hure ist doch eh mit jedem insBett“ und habe alles freiwillig mitgemacht. Esriecht nach Sex and Crime, das verkauft sichgut, und so belagern diverse Fernsehsenderdas Dorf. Unterbrochen von Live-Schaltun-gen ans Schultor finden Abend für AbendDiskussionsrunden so genannter Fachleuteim Fernsehen statt. Dort wird über „die Ge-walttätigkeit der Jugend“ oder „die sexuelleZügellosigkeit unserer Kinder“ schwadro-niert. Immer wieder dazwischengestreut an-gebliche Handyfilmchen mit Pornoaufnah-men.

Auf Grund der Pogromstimmung im Dorff lüchten Mutter und Tochter nach einigenTagen nach Athen. Staatspräsident Papouli-

as — ein ehemaliger antifaschistischer Wider-standskämpfer, der im Zweiten Weltkrieg zurZwangsarbeit nach Deutschland deportiertwurde — schaltet sich ein und spricht vonschlimmen rassistischen Auswüchsen, die inletzter Zeit sowohl in der griechischen Ge-sellschaft als auch in der Berichterstattungvon Teilen der Medien um sich greifen. Er ap-pelliert an alle, diesen Tendenzen entgegen-zuwirken, und erinnert speziell die Medienan ihre Verantwortung. Volkes Stimme jedochtendiert eindeutig in Richtung „Sexorgie“,nach dem Motto: „Die haben das doch alle sogewollt!“

Knüppel, Spaten, Hacken

Am 19. November demonstrieren ungefähr120 Frauen und Männer der anarchistischen

Bewegung in Amarynthos. Sie wollen ihrerWut über die Vergewaltigung sowie die fol-genden rassistischen und sexistischen Reak-tionen der griechischen Gesellschaft undgroßer Teile der Linken Ausdruck verleihen.Angriffsziel der Demonstration ist auch derscheinbare Konsens der Dorfgemeinschaft,die „in ihrer Gesamtheit das Verbrechen gut-heißt, indem sie die Täter schützt und dasOpfer zur Schuldigen macht“. Auf möglicheProvokationen der Dorfbevölkerung will mannicht eingehen. Die aus Thessaloniki undAthen mit zwei Bussen angereisten Demon-strantInnen verteilen Flugblätter, rufen undsprühen Parolen. Nach eigener Einschätzungsind die für den Stand der antipatriarchali-schen Diskussion in Griechenland — auchinnerhalb der Szene — durchaus revolutionärzu nennen. „In dieser Gesellschaft endet das

Patriarchat im Puff und beginnt in der Schu-le“ und bezogen auf die fremdenfeindliche„Ausländer (Fremde) raus“-Parole „Fremdesind nicht die Migranten, sondern die Verge-waltiger und ihre Unterstützer“, oder auchder alte feministische Slogan „Vergewaltigersind keine besondere Rasse, sondern ganznormale Männer!“ Das nationalistische Dorf-denkmal, das der „toten Helden“ gedenkt,die sich im Bürgerkrieg der „kommunisti-schen Gefahr“ entgegengestellt haben, wirdin ein „Denkmal der von griechischen Klein-bürgern ermordeten Migranten“ umgestaltet.

Ein Demonstrant berichtet: „Während dieParolen gesprüht wurden, nahmen die Pöbe-leien der Dorfbevölkerung zu.“ Diese bezie-hen sich jedoch nicht auf die Parolen, son-dern auf die Vergewaltigung an sich, überdie mittlerweile Sprüche in der ersten Person

Plural zu hören sind. „Gut, wie wir’s ihr ge-geben haben“ und „die hätten wir bis insRückenmark ficken sollen“. Während dieDemo weiterzieht, kommt es zu ersten kör-perlichen Angriffen. „Vor allem die Frauenwurden übelst beschimpft. Groß und Kleinstand auf den Balkonen, alle haben gepöbelt.Aber das war erst der Anfang.“

Kurz später wird bekannt, dass die Bus-se nicht mehr auf dem Parkplatz warten, son-dern aus dem Dorf gejagt wurden. „Mittler-weile beeilten wir uns, wegzukommen. Un-gefähr hundert Meter hinter dem Dorfaus-gang haben sich dann die ersten Dorfbewoh-ner gesammelt. Mit Knüppeln, Spaten, Hak-ken, Eisenketten und Spießen. Von weitemsah es aus wie eine parastaatliche Gruppe.Sie fingen an, Steine zu schmeißen, wir gin-gen weiter, und die Panik wurde langsam

größer. Dauernd flogen Steine, wir versuch-ten sie mit unseren Fahnen abzuwehren. DieMenge vor uns wurde ständig größer, die hin-ter uns kam langsam näher. Die Beschimp-fungen und Bedrohungen den Frauen gegen-über wurden immer ekelerregender.“

„Ihr kommt hier nicht lebend raus“

Die Steine f liegen aus immer kürzererDistanz, und die ersten DemonstrantInnenwerden am Kopf getroffen. Einer geht ohn-mächtig zu Boden. „Die Genossen haben ihnhochgezogen und mitgeschleppt, und dannfingen sie an, mit Knüppeln auf uns einzu-schlagen. Wir verteidigten uns so gut esging.“

Gespräche sind nicht möglich, es scheintkeine Chance zu geben, die völlig durchdre-henden Männer irgendwie zu beruhigen. „Diewollten Rache nehmen. Je mehr einer ver-suchte, sich zu verteidigen, desto wilder prü-gelten sie auf ihn ein.“ „Ihr kommt hier nichtlebend raus!“

Unter ständigen Schlägen und einem Ha-gel von Steinen — einzelne werden zu Bodengeschlagen und dann zusammengetreten —versuchen die GenossInnen zu entkommen.„Die ganze Demo rannte nur noch.“ Erst nachmehr als zwei Kilometern erreichen dieFlüchtenden die wartenden Busse, sie wer-den bis zuletzt verfolgt. Unter Flüchen undGebrüll fahren die Busse los, während nochdie Letzten hineinspringen. „Bald merktenwir, dass einige fehlten. Die wurden zumGlück von den Bullen aufgesammelt und spä-ter zu den Bussen gebracht. Der Alptraumwar vorbei. Wir waren alle total schockiertvon dieser mörderischen, vernichtenden Ra-serei.“

Von den 120 DemonstrantInnen sind amEnde des Tages über 60 mehr oder wenigerschwer verletzt. Platzwunden, Arm-, Schul-ter-, Handbrüche, Stauchungen. Es ist reinerZufall, dass niemand erschlagen wurde. DemGroßteil der griechischen Presse sind diemordlustigen Angriffe keine Meldung wert.Wenn in Randspalten doch über das widerli-che Geschehen berichtet wird, sind „anar-chistische Provokationen“ für die „Ausein-andersetzungen“ verantwortlich. Das Boule-vardblatt „Espresso“ berichtet über die„kämpferische Stimmung“ im Dorf und zeigtmit Knüppeln bewaffnete Dorfpatrouillen, dienachts Wache schieben, um „Strafaktionender Anarchisten“ abzuwehren. „Wenn dienachts kommen, schlagen wir sie tot“, wirdein „Dorfschützer“ zitiert. Doch wer willschon noch nach Amarynthos! Auf Indyme-dia Athen rufen Frauen zum Urlaubsboykottvon Amarynthos im nächsten Sommer auf.

Ralf Dreis, FAU Frankfurt

Die Masken sind gefallenGriechenland: Vergewaltigung im Paradies

McDonald's Workers Resistance (MWR) —diesen Namen gab sich 1999 eine Gruppejunger McDo-ArbeiterInnen in Glasgow(Schottland). Mit der Zeit schlossen sichandere Gruppen in Großbritannien (UK)und im Ausland an. Bis die Bewegung2004 an Elan verlor und die ursprünglicheGruppe sich auflöste, umfasste sieHunderte ArbeiterInnen, die sich selbst als„apolitisch“ oder politisch uninteressiertbezeichneten — aber die meistenunterstützten den konfrontativen Kurs derGlasgower Gruppe. Dieser Versuch, geringqualifizierte ArbeiterInnen mit Hilfe desInternets zu organisieren, sammeltewichtige Erfahrungen und begründetegegen alle Widrigkeiten auch beiMcDonald's eine Widerstandstradition.Die Erfahrungen von MWR sollen alsAnregung für ArbeiterInnen dienen, diesich v.a. im Niedriglohnsektorzusammentun und für ihre Würdekämpfen wollen, wie auch andere vorihnen gekämpft haben. Just do it!

Revolution scheint eine sehr vertrackte Ange-

legenheit zu sein. Einige Sachen sind immerhinziemlich klar: Die Machtbeziehungen liegennicht in Händen der Regierungen oder „auf derStraße“, sondern sind verstreut in der Gesell-schaft, in wirtschaftlichen und sozialen Bezie-hungen. Die Transformation ökonomischer Be-ziehungen wird effektive selbstorganisierteStrukturen der Arbeiterklasse in der Wirtschafterfordern; diese Strukturen müssen sich in derVerteidigung der Interessen der ArbeiterInnenbewähren, schaffen so Vertrauen und versetzendie Arbeiterklasse vielleicht einmal in die Lage,kollektiv zu produzieren und zu verteilen. DerGedanke, dass diese Strukturen „spontan ent-stehen“ werden, ist hohl.

Nun, ich sehe ein, dass diese Strukturennur in gewissen Zeiten vorankommen und zuanderen Zeiten in der Defensive sein werden.Und ich weiß nicht, welche Form diese Struk-turen annehmen werden oder sollten. Vielleichtsollten sie formell konstituierte Gewerkschaf-ten sein oder auch so informell wie eine Grup-pe von KollegInnen, in der sich in vorherge-henden Kämpfen Solidarität entwickelt hat. Aufjeden Fall aber muss es Strukturen geben,right? Daher muss es die große, unausweichli-

che, unaufschiebbare Aufgabe eines jeden sein,der über Revolution reden will, herauszufin-den, wie wir solche Strukturen aufbauen kön-nen. Und ich habe den Eindruck, dass dieseFrage — die Frage, die uns nachts wach haltensollte — weniger Aufmerksamkeit erfährt alsDiskussionen darüber, wie man Polizeikettendurchbricht, was in der Sowjetunion geschah,oder wer wen auf einer anarchosyndikalisti-schen Konferenz im Jahre 1952 brüskiert hat.Es scheint, dass wir über alles reden würden,nur um dieses Monument für die Bedeutungs-losigkeit unserer Politik zu meiden.

Und ich habe keine Ahnung, wie wir dieseStrukturen aufbauen. Aber wenn es mal einenrichtigen Enthusiasmus geben würde, das kol-lektiv rauszufinden, dann wäre ich gern einTeil davon — so wie ich ein Teil von McDonal-d's Workers Resistance war. MWR war ein Expe-riment, das den Klassenkampf in der zeitge-nössischen Gesellschaft für kurze Zeit erleich-tert hat. In den letzten Jahren hat es viele ähn-liche und viel bedeutendere Kämpfe gegeben.An wichtigeren Bewegungen fallen mir spontanein: die JJ Food-ArbeiterInnen, wilde Streiksder Post-ArbeiterInnen1, die Kurier-Gewerk-

schaft, die Gewerkschaft der Sex-ArbeiterIn-nen, das KollegInnen-Kollektiv in der U-Bahn,etc. All diese Bewegungen, Kämpfe, Strukturenverdienen Beachtung, wenn wir versuchen, denkollektiven Kampf zur Normalität unter Arbei-terInnen zu machen.

Hauptsache Organisieren

Während der McVerleumdungs-Verhandlung2

beschrieb der Oberste Gerichtshof die Einstel-lung von McDonald's zu Gewerkschaften als„abgeneigt“; das ist so, als würde man einen Se-rienmörder als schlechten Nachbarn bezeich-nen. Sie haben Tests mit Lügendetektorendurchgeführt, um Sympathien für Gewerk-schaften herauszukriegen, haben ganze Filia-len geschlossen, als sich die ArbeiterInnen zuorganisieren begannen3, und wurden wieder-holt für illegale Einschüchterungsmaßnahmengegen Organiser verurteilt. In keiner einzigenMcDonald's-Filiale in der englischsprachigenWelt konnte eine Gewerkschaft Fuß fassen.

MWR: The sexiest rebellion everÜber die Selbstorganisation eines Haufens ungebildeter, fauler, betrunkener Taugenichtse und die Rolle des Internets dabei

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Page 13: DA179

Seite 13Nr. 179Januar/Februar 2007 Hintergrund

Auch wir haben es anfangs (1998) versucht undvon den insgesamt 60 ArbeiterInnen 40 Unter-schriften gesammelt, die unsere Gruppe als ihreGewerkschaft anerkannten. Aber die Fluktua-tion ist so hoch, dass diese Taktik aussichtsloswar. Wir taten das einzig Logische: Wir gabenauf.

Einige Monate später kam der Gedankewieder auf: Verdammt nochmal, dachten wiruns, selbst wenn das Gesetz unsere Organisa-tion nie anerkennt, heißt das doch noch langenicht, dass wir deshalb keine haben können! Indem Maße, wie wir mehr über „normale“ Ge-werkschaften erfuhren und mit ihnen einigeZeit verbracht hatten, fielen uns weitere Grün-de auf, warum das kein wünschenswerter Gangfür unseren Kampf ist. Aber dieses Nichtver-hältnis beruht auf Gegenseitigkeit: Aus wirt-schaftlichen Erwägungen heraus sind die Ge-werkschaften nicht daran interessiert, geringqualifizierte Arbeitskräfte mit hoher Fluktua-tion zu organisieren. Für gewöhnlich nanntensie McDonald's das „schwarze Loch“ aller Orga-nisierungsbestrebungen. Also ist die Fragenach den Gewerkschaften für ArbeiterInnen invielen prekären Branchen von geringer Bedeu-tung.

Aus den genannten Gründen mussten wirals geheime Gruppe operieren. Das bedeutete,dass wir nur ungern öffentlich auftraten, unsfotografieren ließen, Journalisten trafen oderTV-Interviews gaben. Einige Hindernisse konn-ten wir umgehen: Bei Pressekonferenzen warenentweder keine Aufnahmen zugelassen oderwir trugen Masken. Aber der größte Nachteilwar, dass unser Organisationsnetzwerk immerunterwandert war und wir die meisten Betei-ligten nie getroffen haben. Wir waren nie inder Lage gewesen, so was wie eine Konferenz zuorganisieren. Umso wichtiger waren für uns die„neuen Technologien“. Das Internet ermöglichteinen Grad von Organisierung und Kontakt, derfür vorhergehende Generationen einfach nichtfinanzierbar gewesen wäre. Das kann eine gro-ße Hilfe sein, und ich denke, das Potenzial derArbeiterInnenbewegung im Internet ist enorm— die Strukturen dazu werden von Leuten ge-schaffen, die nicht notwendigerweise politischdrauf sind. Einfache Seiten, sowas wie www.an-gekotztebedienung.de, können zu Strukturenkollektiven Kampfes werden.

Natürlich birgt das Netz auch Gefahren. Esist nicht schwer, „das Netzwerk“ mit Organisa-tion zu verwechseln. Wenn du tausend Kon-takte hast, aber kein einziger in der Lage ist,am Arbeitsplatz eine Struktur aufzubauen,dann hast du tausend Mal nichts. Es handeltsich um ein Problem der Art und Weise, wieheutzutage organisiert wird. Die Leute wollenzumindest das Gefühl haben, dass sie voran-kommen, und da praktisch verankerte Struk-turen fehlen, gründen sie Netzwerke. Mit demInternet kannst du für alles ein Netzwerk auf-machen. Du kannst z.B. ein Netzwerk von Wä-scherei-ArbeiterInnen bilden, du findest si-cherlich ein Dutzend Leute mit anarchistischenSympathien, eine in Helsinki, einen in NewYork und mindestens eine in Hackney. Sokriegst du das Gefühl, dass es vorangeht. Ichwill diese Netzwerke nicht abqualifizieren, siekönnen sehr nützlich sein. Aber sie sind nurdann nützlich, wenn es darum geht, unabhän-gige Strukturen unter Leuten zu schaffen, dietagtäglich zusammenarbeiten.

Mit Innovationssinn und Abenteuer-lust

Wahrscheinlich war die Alterszusammenset-zung der ausschlaggebende Punkt für unsereOrganisierung: In dieser Filiale in Glasgow be-stand die Belegschaft aus Schulkindern undSchulabbrechern, die noch nicht vollkommenin ihren produktiven Rollen sozialisiert waren.Es gab auch Studierende und gering qualifi-zierte ArbeiterInnen, von denen viele darangewöhnt sind, regelmäßig den Job zu wech-seln. Niemand arbeitete dort, weil er oder sie„eine Wahl getroffen“ hätte, oder glaubte, eswäre ein „guter Job“.

Sicher wäre es noch härter gewesen, das-selbe Projekt in einer anderen Filiale zu starten.Zum Beispiel hatte ich auf dem Höhepunkt un-seres Kampfes das Privileg, mit ArbeiterInnenin einem Londoner Laden zu sprechen, die sichorganisierten. Die meisten waren erst vor kur-zer Zeit eingereist, viele von ihnen illegal —

ihr Organisierungspotenzial war offensichtlichsehr viel stärker eingeschränkt als unseres.

Ohne den rechtlichen Rückhalt einer aner-kannten Gewerkschaft war auch unsere Lagesehr prekär. Doch in den ersten beiden Jahren,als MWR nur in einer Filiale existierte, warenwir ganz erfolgreich damit, das Arbeitstemporunterzufahren, Bonuszahlungen sicherzustel-len, gegen Mobbing vorzugehen, etc. Aber jedeoffene Auseinandersetzung hätte dazu geführt,dass wir alle unverzüglich auf der Straße lande-ten. So wurde uns eine nichthierarchische Or-ganisierung wirklich aufgezwungen: Niemandwollte der Anführer sein, der als erstes fliegt!Bevor wir je explizit organisiert aufgetretensind, verband die ArbeiterInnen in unserer Fi-liale ein starkes soziales Band: Am Zahltag gin-gen alle ins Pub, viele freundeten sich an, ver-abredeten sich, und so. Als dann jemand sag-te, „Wir sollten wirklich etwas unternehmen“,war das dann auch keine hohle Phrase ... unddie Unruhe breitete sich in unserer inzestuöskleinen Welt aus wie eine Geschlechtskrank-

heit.Ich schätze, der springende Punkt ist: Wir

kamen in die Puschen, weil Leute agitiert ha-ben, die von KollegInnen respektiert wurden.Das ist wahrscheinlich eine Vorbedingung fürjede ArbeiterInnenbewegung, die es je gegebenhat und jemals geben wird. Alles marxistischeTheoretisieren wird das nicht ändern. Es warauch wichtig, dass die Leute der MWR-Kern-gruppe die besten und erfahrendsten Arbeiter-Innen unserer Filiale waren — bei McDonald'skannst du übrigens schon nach einer Woche alserfahrener Arbeiter gelten. Der Druck ist groß,großer Umsatz mit sehr scharf kalkulierten Ar-beitskosten. Der Druck wird direkt über dieHierarchie aufgebaut, so dass unsere Vorge-setzten häufig von uns abhängig waren, umihre eigenen Bosse glücklich zu machen. Dieshalf uns, einen gewissen Raum zu schaffen.

Seit 2000 machten wir eine eigene Zeitung:McSues. Es hat viel Spaß gemacht, nicht zuletztwegen der Witze, die in der politischen Szeneziemlich für Aufruhr sorgten. Das ist wahr-scheinlich unser einziges Erbstück für die re-volutionäre Bewegung ... Aber im Ernst: DieLeute müssen sich das Zeug durchlesen, unddann erkennen sie auch, dass nicht nur Witzeüber den Kinder fickenden Ronald McDonalddrinstehen — diese Art von Witzen rissen wirnunmal auf Arbeit. Ich meine, das sind Sachen,die nur in dieser Umgebung funktionieren.Wenn du DozentInnen für Literaturwissen-schaft organisieren willst, würde man dochganz anders rangehen. Man würde wahr-scheinlich Zitate des LiteraturwissenschaftlersHans Mayer einbauen, oder so. Man würde ver-suchen, mit dem Diskurs zu arbeiten, wie eram Arbeitsplatz geführt wird. Deswegen ver-

stehe ich die Gewohnheit nicht, Flugblätter für„die Öffentlichkeit“ zu schreiben. Es muss spe-zifisch sein. Ein Flugblatt für „ArbeiterInnender Nahrungsmittelindustrie“ ist meiner Mei-nung nach unsinnig. Ein Flugblatt für Bäckerist besser. Ein Flugblatt für die Bäckerei, in derdu arbeitest, ist noch besser. Und ein Flugblattfür deine Bäckerei über den neuen Arbeits-schritt, der letzte Woche eingeführt wurde? Ja,dann kann das was werden!

Ich denke, es ist wichtig, dass ArbeiterIn-nen ihre Gedanken auf Grundlage einer best-möglichen Analyse veröffentlichen und vertei-digen. Dabei sollten sie nicht erwarten, dassder Rest der Arbeitskräfte so wird wie sie selbst.Das wurde schon in dem Artikel „Give up Acti-vism“ thematisiert:4 Einer der Punkte war, dassAktivisten meinen, die Welt wäre in Ordnung,wenn nur jeder so werden würde wie sie. Nun,klassenkämpferische AnarchistInnen sind aufeinem ähnlichen Trip. Ich denke aber, die Re-volution wird von ArbeiterInnen gemacht wer-den, die die wirtschaftlichen Beziehungen, die

unser aller Leben vergällen, kollektiv in Fragestellen. Das wird nicht durch Magie vor sichgehen, sondern wird ausgehen müssen von be-wussten Bemühungen der radikalisierten Teileder Klasse — an dieser Bewegung werden auchArbeiterInnen teilnehmen, die in die Moscheegehen, Mascara tragen, eher Thomas Mann alsMarx lesen, an New-Age-Mystik glauben, vor'mEssen „Danke“ sagen, oder … Antiquitätensammeln. Ich sehe also keinen Widerspruchdarin, für eine revolutionäre Politik zu argu-mentieren und sich mit jedem zu organisieren,mit dem man alltäglich zusammenarbeitet, obder nun koschere, vegane oder getoasteteSandwiches isst.

Arbeiterorganisationen sind die einzigenStrukturen, die die Gesellschaft verändern kön-nen. Und sich als AnarchistIn zu organisierenbedeutet ja zumeist, zu irgendeinem beknack-ten Treffen zu gehen, bevor man in die Kneipegeht. Ich denke, die Welt wäre ein besserer Ort,wenn es solche Treffen nicht gäbe und Genos-sInnen, die miteinander rumhängen wollen,eine bessere Entschuldigung dafür finden. Bin-gonächte, Kinotouren, oder sonst was.

Der Zahn der Zeit, oder: Der Kampfgeht weiter

Drei Jahre nach unserer ersten Aktion warenwir ca. 20 Gruppen. Einige davon mögen nurein, zwei Leute gewesen sein, aber es warendoch auch immer Leute in verschiedenen Fili-alen einer Stadt. Einige dieser Gruppen warensehr stark dabei, eigene Flugblätter und Web-sites zu erstellen. Es gab mehrere Gruppen inAustralien und ein halbes Dutzend in Nord-amerika. Wir hatten auch eine sehr umfangrei-

che Kontaktliste — da man von einem Yahoo-Account nur etwa 100 Emails pro Stunde ver-senden kann, brauchten wir einen ganzen Tag,um eine einzige Nachricht zu verschicken. DerHöhepunkt unserer Bewegung war der welt-weite Aktionstag am 16. Oktober 2002. Einigesvon dem, was an diesem Tag ablief, ist im Inter-net dokumentiert.5 Ein paar der Berichte er-wiesen sich als nicht ganz zutreffend, aber vierJahre später scheint das nun auch nicht sowichtig. Es war ein großer Coup, viel größer alswir erwartet hatten, und das hat ganz schönAuftrieb gegeben. Ich dachte nicht wirklich,dass viel passieren würde, aber als ich an die-sem Morgen meine Emails checkte, waren da alldiese Berichte, die schon aus Australien her-einkamen. Es war eine sehr aufregende Zeit.Was auch immer aktive Sabotage gewesen seinmag und was nicht, zahlreiche technische Pro-bleme und Beispiele gewöhnlicher Inkompe-tenz wurden der unsichtbaren Hand des Wider-stands zugeschrieben! Andere Aktionen warenweniger erfolgreich. Aber auch der 16. Oktoberwar nur auf symbolischer Ebene ein Erfolg.

Anfang 2003 waren einige der Leute derUrsprungsgruppe, die noch immer dabei waren,umgezogen und arbeiteten bei McDonald'saußerhalb von Schottland. Unseren neuen Kol-legInnen erzählten wir nicht, dass wir mit MWRvertraut sind, und mussten uns von ihnen Wit-ze anhören, die wir selbst geschrieben hatten.Um ehrlich zu sein, wir hatten auch irgend-wann die Schnauze voll davon. Wir wurden äl-ter, hatten weniger Kontakt zu den übrigen Ar-beitskräften, und unser Diskurs war nicht mehrganz der ihre. Und wir waren einfach müde —Ihr wisst ja selbst, wieviel Arbeit solche Pro-jekte machen. Es war großartig, dass so vieleAngestellte Kontakt zu uns aufgenommen ha-ben, aber das bedeutete auch Stunden vor demComputer. Dazu kommt noch, dass wir inzwi-schen sechs, sieben Jahre bei McDonald's ge-arbeitet hatten. Das ist eine lange Zeit. Es warZeit, Schluss zu machen, und wir versuchten ei-nen Nachruf zu schreiben. Ich war sehr unzu-frieden, dass es so endete, und ich fühlte michein bisschen, als hätten wir eine Menge Zeitverplempert. Aber jetzt, mit ein paar JahrenAbstand, kann ich sehen: Ohne eine umfas-sendere Bewegung kann eine Initiative wie un-sere immer nur ein Experiment sein.

In unserem letzten Jahr wollten wir so et-was wie eine syndikalistische Gruppe werden.Wir begannen eine wenig inspirierende und un-realistische Lohnauseinandersetzung und for-derten sechs Pfund Stundenlohn als Einstiegs-gehalt. Warum Lohnforderung? … weil es ge-nau das ist, was Arbeiterorganisationen ma-chen, nicht wahr? Das ist ein Punkt, der häu-fig vernachlässigt wird, aber die Annahme, dassArbeiterInnen am meisten an materiellen For-derungen interessiert sind, muss auf den Prüf-stand. Wir wollten nicht für McDonald's arbei-ten, ob sie uns nun sechs oder 20 Pfund dieStunde zahlten. Also, wie kamen wir auf dieIdee, dass andere ArbeiterInnen von einer sol-chen Kampagne angeregt würden? Offensicht-lich hängt es vom Kontext ab, was praktischund was Quelle der Unzufriedenheit ist. Lohn-forderungen können sehr wichtig sein, sie kön-nen aber auch unrealistisch und einfallslossein.

Wir hätten im informellen Rahmen bleibensollen und weiterhin nichts mehr als eine In-spiration sein wollen, anstatt eine einheitlicheStruktur aufzubauen. Wir hätten einfach wei-ter Witze über den Kinder fickenden RonaldMcDonald machen sollen. MWR hätte vielleichtbesser überlebt als eine Strömung in der Ge-samtbelegschaft, in der die Gedanken sich in-formell unter den ArbeiterInnen verbreiten.Aber es war auch nicht falsch, dass wir öffent-lich erklärten, wie unserer Meinung nach dieZukunft aussehen sollte — das waren unsereGedanken, und die sollten wir nicht verstek-ken. Das Problem war, dass wir sehr schnell po-litisiert wurden, unser Einfluss wuchs und wirDinge nach vorn bringen wollten, die der Situ-ation nicht angemessen waren. Wir scheiter-ten und verzweifelten daran, aus dem Interes-se das wir geweckt hatten, „eine Organisation“aufzubauen. Im Grunde genommen waren wirdie revolutionärste Sektion der arbeitendenKlasse und wir traten auf der Stelle — in derHoffnung, der Rest von Euch Wichsern würdeaufholen!

Funnywump (Ex-MWR),nach einem Interview mit libcom.org

bearbeitet von André Eisenstein

Das englischsprachige Info-Portal libcom.org führte imNovember 2006 ein Interviewmit einem MWR-Gründungsmitglied. Inbearbeiteter und gekürzter Formist es hier abgedruckt. Die ungekürzte Fassung desInterviews und ergänzendesMaterial findet sich ab EndeJanuar aufwww.fau.org/fau_medien/da Der englische Originaltext isteinzusehen unterhttp://libcom.org/library/interview-with-mcdonalds-workers-resistance

1 z.B. im Februar 2006 in Belfast2 Verfahren gegen zweiAktivistInnen Mitte der 1990er3 z.B. 2002 in Wiesbaden4 gekürzte Übersetzung aufwww.nadir.org5 auf Englisch unterhttp://libcom.org/library

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org.

uk

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Seite 14 Nr. 179 Januar/Februar 2007Kultur

Mein Name ist Rudolf Schnaubelt. Ich warfdie Bombe, die im Jahre 1886 in Chica-

go acht Polizisten getötet und sechzig ver-wundet hat.“ Mit diesem spektakulären Be-kenntnis beginnt Frank Harris' Roman überdie Haymarket-Affäre von 1886. In der Fik-tion löst er einen Fall, der in der historischenRealität bis heute ungeklärt ist. Der Attentä-ter, den er präsentiert, hat tatsächlich ein re-ales Vorbild, doch haben der historische Ru-dolf Schnaubelt und die Romanfigur kaummehr als den Namen gemein. Allerdings gehtes Harris weniger um dokumentarische Fak-tentreue als um psychologische Motivation.Was treibt jemanden, der alles andere als einFanatiker ist, dazu, eine solche Tat zu bege-hen? Die aufgeheizte Klassenkampfatmos-phäre der Industriemetropole Chicago in denfrühen 1880er Jahren mit ihren empörendensozialen Ungerechtigkeiten liefert einen Teilder Antwort. Doch mindestens ebenso wich-tig ist die Beziehung des Ich-Erzählers zumheimlichen Helden seines Buches, dem cha-rismatischen und geheimnisvollen LouisLingg, einem der dann im Haymarket-Prozesszum Tode verurteilten Angeklagten.

Schnaubelt, die Liebe und die Bom-be

Je weiter die Handlung voranschreitet, aufdie Ereignisse des 4. Mai 1886 zusteuert,umso mehr verengt sich der Blickwinkel desRomans, wird der soziale Kontext ausgeblen-det. Die Achtstundentagagitation, dieschließlich in den Streiks und Demonstratio-nen vom 1. Mai 1886 kulminiert, schrumpftbei Harris zu einer Randepisode. Übrig bleibtein psychologisches Kammerspiel mit vierPersonen: Louis Lingg und seine Geliebte IdaMiller sowie Schnaubelt und seine FreundinElsie Lehmann. Während Lingg und seine Ge-fährtin die freie Liebe leben, die emanzipier-te, gleichberechtigte Paarbeziehung „ohneTrauschein“, sieht sich Schnaubelt seitensseiner Angebeteten mit dem ganzen Aufgebotbürgerlicher Konventionen konfrontiert, Be-sitzdenken, sozialer Egoismus, puritanischeSexualmoral. Seine Liebe zu Elsie steht fürdie Versuchung, sich mit dem sozialen Un-recht abzufinden und in eine kleinbürgerli-che Existenz abzutauchen, während die Fas-zination für Lingg, das unerreichbare Vorbildin politischen wie in privaten Dingen, der Sta-chel ist, der seine Empörung wachhält undihn dazu veranlasst, dessen Integrität alsOrientierungspunkt für das eigene Handelnzu nehmen.

Die Schilderung von Schnaubelts „Bezie-hungsstress“ (von manchen Kritikern grotes-kerweise als „wunderbare Liebesgeschichte“missverstanden) nimmt im Mittelteil des Bu-ches relativ viel Raum ein, ja, zieht sich bis-weilen quälend in die Länge. Das ist nicht li-terarischem Unvermögen des Verfassers zu-zuschreiben, im Gegenteil: Durch diese Ver-zögerung überträgt sich die innere Spannungdes Erzählers auf den/die LeserIn.

Schnaubelts Entschluss, die Bombe zuwerfen, ist somit ein Befreiungsschlag, dernicht nur eine Entscheidung zugunstenLinggs herbeiführt, sondern auch für sein Pri-vatleben unumkehrbare Konsequenzenschafft. Dass Lingg ihm beim Bombenwurf as-sistiert, und zwar nicht als hinterhältiger An-stifter oder böser Dämon, sondern als eineArt Mentor und moralischer Rückhalt, istpsychologisch durchaus begründet, aber hi-storisch nicht nur falsch, sondern auchhöchst unplausibel. Hätte Lingg für die Tat-zeit keine Alibi vorweisen können oder wäreer gar am Tatort gesehen worden, er wäre,zumal als einziger bekennender Bombenbau-er unter den acht Angeklagten, wegen Mordesund nicht wegen Verschwörung angeklagtworden. Der Prozess hätte höchstwahr-scheinlich einen anderen Verlauf genommen.

Flucht nach Europa

Auf Drängen Linggs f lieht Schnaubelt un-mittelbar nach dem Attentat auf direktem

Wege von Chicago nach New York und vondort mit dem Schiff nach England, wo er sichunter falschem Namen unbehelligt aufhält,für die Linkspresse schreibt, Reisen nachFrankreich und Deutschland unternimmt. DiePerspektive weitet sich wieder, löst sich vonder Engführung auf die unmittelbaren Haupt-figuren und konzentriert sich nun auf die Er-eignisse von Chicago, den Anarchistenpro-zess, die Machenschaften der Justiz, das Ver-halten des Angeklagten. Der Roman bekommtdadurch einen stärker dokumentarischenCharakter. Da Schnaubelt nicht mehr am Ortdes Geschehens ist, sondern die Ereignissenur aus der Presse verfolgt, besteht dasSchlussviertel des Romans zu einem Gutteilaus der wörtlichen oder sinngemäßenWiedergabe von Zeitungsberichten.

Im Unterschied dazu macht der histori-sche Schnaubelt zunächst keinerlei Anstal-

ten, Chicago zu verlassen. Im Gegenteil, ergeht sogar am 5. Mai, dem Tag nach dem At-tentat, zur Polizei, um (vergeblich) die Frei-lassung seinen verhafteten Schwagers Mi-chael Schwab zu erreichen. Zwei Tage späterwird er selbst verhaftet, verhört und – da sichkein unmittelbarer Tatverdacht gegen ihn er-gibt – wieder freigelassen. Erst dieses Verhörführt ihm den Ernst der Lage vor Augen undbringt ihn zu der Einsicht, dass es besser sei,Chicago für eine Weile zu verlassen. SeineFlucht verläuft wesentlich abenteuerlicher,um nicht zu sagen romanhafter als die seinesfiktiven Doppelgängers. Er überquert zu Fußdie kanadische Grenze, irrt in den Wäldernumher, wird von freundlichen Indianern auf-genommen, verdient sich auf einer Farm inQuebec das Geld für die Schiffspassage nachEuropa und trifft Ende September, AnfangOktober 1886 in England ein, wo er einen al-ten Freund aus Wiener Tagen aufsucht – Jo-sef Peukert.

Nach dem plötzlichen VerschwindenSchnaubelt schießen in der amerikanischenÖffentlichkeit natürlich die Spekulationenund Falschmeldungen ins Kraut. Mal glaubtman ihn in einer Wasserleiche in Pennsylva-nia, mal in einem Juwelier in Mexico-City ge-sichtet zu haben. Demgegenüber liegt FrankHarris' Version erstaunlich nahe bei der hi-storischen Realität. Verfügte er als Journalistüber Insiderinformationen oder hatte er ein-fach bemerkenswert gut geraten? Vermutlichtrifft letzteres zu, denn außer der Flucht nachEngland und dem zeitweiligen Aufenthalt inLondon haben der fiktive und der realeSchnaubelt keinerlei weitere Gemeinsamkei-ten. Während seiner Zeit in London erschie-nen zwei Briefe des realen Schnaubelt in der„Autonomie“, Peukerts deutschsprachigeranarchokommunistischer Zeitschrift, in de-nen er sich zu den Motiven seiner Flucht äu-

ßert. Angeblich sind die Briefe in Christiania(dem heutigen Oslo) aufgegeben, doch hättewenig detektivischer Spürsinn dazugehört,den Absender in London zu vermuten.

Harris hat diese Briefe wohl ebenso weniggekannt wie Josef Peukerts 1913 auf Deutscherschienene „Erinnerungen eines Proletariersaus der revolutionären Arbeiterbewegung“,in denen dieser erstmals öffentlich Schnau-belts Flucht nach England enthüllte. Anson-sten hätte Harris sie zweifellos im Nachwortzur amerikanischen Ausgabe seines Bucheserwähnt.

Hinsichtlich ihres weiteren Werdegangshätte der Unterschied zwischen dem fiktivenund dem realen Schnaubelt kaum größer aus-fallen können. Der Roman-Schnaubelt setztsein Leben zu dem der Angeklagten in Chica-go in Beziehung. Bei der Verkündung des To-desurteils erleidet er einen körperlichen Zu-

sammenbruch, und den Selbstmord Linggseinen Tag vor der geplanten Hinrichtung (diemakaberen Einzelheiten werden nach einementsprechenden Zeitungsbericht wiedergege-ben) erlebt er buchstäblich als Anfang seineseigenen Endes. Der Ausbruch der Tuberkulo-se wird ursächlich auf diesen gebrochenenLebenswillen zurückgeführt. Während derfiktive Schnaubelt also einsam und todkrankin seine bayrische Heimat zurückkehrt undals letzte Tat seine Erinnerungen — halbBeichte, halb Testament — verfasst, verlässtder echte im Mai 1887 England auf einemDampfer in Richtung Argentinien, wo er sicheine neue Existenz aufbaut, als Landmaschi-nenfabrikant zu Wohlstand gelangt, heiratet,drei Kinder bekommt und auf einem Foto von1896 wie ein „Muster bürgerlicher Ehrbarkeit“(Avrich) aussieht. Er beendet seine Tage infriedlicher Anonymität.

Frank Harris und der Anarchismus

Frank Harris (1856-1931) war kein Anarchist.Es ist überhaupt schwierig, ihn politischirgendeinem Lager oder einer Richtung zu-zuordnen. Die auf ihn gemünzte Bezeichnung„Tory-Anarchist“ sollte offenbar weniger einepräzise Anschauung benennen, als seine oftwidersprüchlichen politischen Äußerungenund Aktionen auf eine paradoxen Begriffbringen. Emma Goldman, die einzige Personaus der anarchistischen Bewegung, zu derHarris eine persönliche und sogar freund-schaftliche Beziehung unterhielt, schreibtüber ihn: „Ich mochte Harris' Publikationenmehr wegen ihrer glänzenden Leitartikel alswegen ihrer sozialen Einstellung. Unsere Vor-stellungen über die notwendigen Verände-rungen zum Wohle der Menschen wichen von-einander ab. Frank war gegen den Missbrauchder Macht, ich gegen die Macht als solche.

Sein Ideal war ein wohlwollender Despot, dermit Weisheit und Nachsicht herrschte; ichwidersprach, betonte, dass ,es ein solchesWesen nicht gibt’ und nicht geben könnte.Wir stritten häufig, aber niemals unfreundlichmiteinander.“ (Gelebtes Leben, Bd.2, S. 786).

Was mochte Harris also bewogen haben,in „Die Bombe“ ein sympathisches, strecken-weise faszinierendes Porträt des Anarchismusbzw. einiger seiner Protagonisten zu zeich-nen? Zumal sich in seinem übrigen litera-risch-publizistischen Werk kein näheresInteresse für den Anarchismus nachweisenlässt?

Eine mögliche Antwort dürfte in seinerEntwicklung zu suchen sein. Harris war inden 1880er und 1890er Jahren einer der eng-lischen Starjournalisten, nacheinander Chef-redakteur und Herausgeber mehrerer Londo-ner Zeitungen und Zeitschriften. Schon vonBerufs wegen stand er mit der Elite des Bri-tish Empire auf vertrautem Fuß. Doch bereitsin dieser Glanzzeit wurde er aufgrund seineroffenherzigen, unkonventionellen Art vonder „besseren Gesellschaft“ gemieden (wasOscar Wilde in das berühmte Bonmot kleide-te: „Frank Harris war in allen großen Häusernzu Gast — genau einmal!“). Um die Jahrhun-dertwende geriet er mehr und mehr in dieIsolation bzw. distanzierte sich selbst vomEstablishment, wobei die Erfahrung der ge-sellschaftlichen Ächtung seines FreundesOscar Wilde (wegen dessen Homosexualität)sicherlich eine Rolle gespielt haben wird. Beiseinen späteren Werken ist also das Momentder Provokation nicht zu unterschätzen.

1894 war Harris von seinem Posten alsChefredakteur der konservativen „Fortnight-ly Review“ entlassen worden, weil er einenglorifizierenden Artikel des französischenAnarchisten Charles Malato über seine Freun-de, die Bombenattentäter Ravachol und Emi-le Henry, abgedruckt hatte. Er wusste alsoaus eigener Erfahrung, dass sich diese The-matik bestens eignete, um Empörung von Sei-ten einer konservativen Elite hervorzurufen.Hinzugekommen sein dürfte ein persönlichesInteresse des Publizisten Harris am Haymar-ket-Fall als Nagelprobe auf die Meinungsfrei-heit und die „Toleranz von Ideen“. Sowie ganzallgemein eine gewisse romantische Sehn-sucht nach dem Außenseiter- und Rebellen-tum. Einigermaßen gönnerhaft schreibt Har-ris im Nachwort zur „Bombe“: „Das ganzeBuch ist wahrscheinlich viel zu idealistisch.Aber da alle Rebellen – sowohl Sozialistenwie Anarchisten – in unserem Lande von ei-ner Flut wütenden und idiotischen Hassesund Abscheus erstickt werden, ist vielleichtein bisschen Idealisierung dieser Weltverbes-serer gerechtfertigt.“

Zum Ausklang

Für die amerikanische Polizei blieb RudolfSchnaubelt stets der Hauptverdächtige, undsie gab die Suche nach ihm nie auf. Noch1942 verhörten FBI-Beamte einen Namens-vetter. Doch die Hoffnung, den Fall dochnoch lösen zu können, zerschlug sich schnell.Der Betreffende hatte ein, wenn man so sagendarf, bombensicheres Alibi: Er war erst zweiJahrzehnte nach der Tat geboren worden. Derrichtige Rudolf Schnaubelt wie auch der rich-tige Bombenwerfer weilten zu diesem Zeit-punkt wahrscheinlich schon nicht mehr un-ter den Lebenden.

MH

Bibliographie: Frank Harris, The Bomb, Lon-don 1908. Mehrere Neuauflagen: New York1909 (mit Vorwort des Autors) und 1920 (mitNachwort des Autors), Chicago 1963 (Einlei-tung: John Dos Passos), Portland 1996 (Re-print der Ausgabe von 1963 mit Nachwort vonJohn Zerzan)Auf deutsch: Die Bombe, Roman von FrankHarris, E. Laubsche Verlagsbuchhandlung,Berlin 1927, Autorisierte Übertragung vonAntonina Vallentin.Online-Ausgabe (des Originals): www.ibi-blio.org/eldritch/harris/bomb.htm

Ein Denkmal für Louis Lingg (2)„Die Bombe“ — Frank Harris' Klassiker über die Haymarket-Affäre wiedergelesen

Rudolf Schnaubelt (rechts) im Kreis seiner Familie, Buenos Aires 1896

Verzeichnis der Alterna-tiv-Medien

Nach 15 Jahren liegt mit diesemBuch erstmals wieder ein

öffentlich zugängliches undgedrucktes Verzeichnis der

alternativen Printmedien vor. „Alternativ-Medien sind tot“

beginnt die Einführung des„Verzeichnis der Alternativ-

Medien 2006/2007“. Sie habensich „zu Tode gesiegt“, indem

ihre Anliegen zumindestteilweise in den Kapitalismus

integriert wurden, und siewerden — als Printmedien — seit

geraumer Zeit durch dieverschiedenen Formen des

elektronischen Kommunizierensund Publizierens abgelöst. Dass

dieses Projekt trotzdem Sinnmacht, liegt daran, dass die

Entwicklung einer zweitenGeneration von

Alternativmedien ohne Nutzungder vorliegenden Kompetenzen

und Netzwerke nicht denkbarwäre.

Die zehn redaktionellen Beiträgedes Bandes widmen sich derGeschichte einzelner Medien

oder den Medien einzelnersozialer Bewegungen, wie etwa

der Frauenbewegung oder derGeschichte der legendären

Zeitschrift Agit 883. In mehrerenBeiträgen wird das

Selbstverständnis und dieBedeutung alternativer

Printmedien in derVergangenheit untersucht. Hierliegt auch die einzige Schwäche

des Buches, die der HerausgeberBernd Hüttner aber in seinem

Vorwort selber bemängelt. KeinBeitrag beschäftigt sich mit der

Bedeutung „alternativerPrintmedien“ für die Zukunft.

Natürlich verweist Hüttner aufdie emanzipatorische

Möglichkeiten des Internets,aber ein entsprechendes

Verzeichnis fehlt im Buch. Das Wichtigste an diesem Band

ist allerdings nicht derredaktionelle Teil, sondern der

umfangreiche Datenanhang.Dieser enthält die Adressen und

weitere Daten von 455 inDeutschland erscheinenden

Zeitungen und Zeitschriften.Diese dann allerdings mit

Internetpräsenz. Zwei Register,statistische Daten und

Materialhinweise runden diesenTeil des Nachschlagewerks ab.

Ein Muss für jeden Zeitungsleser.Bernd Hüttner (Hrsg.),

Verzeichnis der Alternativ-Medien 2006/2007. Zeitungen

und Zeitschriften, AG SPAK, Neu-Ulm 2006, ISBN 3-930830-77-9,

216 S., 18 Euro

Page 15: DA179

Seite 15Nr. 179Januar/Februar 2007 Kultur

Nicht nur zur Weih-nachtszeit ...Künstleraktion gegenObdachlosigkeit Weihnachten ist immer die Zeit,wo jede Hilfsorganisation ihrenEtat saniert. Aber sozialeUngleichheit lässt sich nicht miteiner Promigala oder einerkleinen Spende lösen. Wenn diegroßen Konzerne gar Geld für„arme“ Kinder sammeln,während sie im selben Jahrtausende von ArbeiterInnen aufdie Straße setzten, grenzt solchein Verhalten schon fast anBeleidigung. Die sozialeUngleichheit lässt sich nur durchdie Soziale Revolutionbeseitigen. Bis zur Erlangungder Sozialen Revolution könnenaber viele Hilfsbedürftige nichtwarten. Eine ungewöhnlicheHilfsaktion beginnt im Januarder Musiker Heinz Ratz. Vom 25. Januar bis 4. März 2007wird der Straßenmusiker HeinzRatz, der selbst einmal auf derStraße leben musste, vonDortmund nach München laufen,um auf die oft sehr verzweifelteSituation von Obdachlosen inDeutschland aufmerksam zumachen. Es ist damit auch einLauf gegen den zunehmendenAbbau von sozialenEinrichtungen und dieKürzungen von Sozialleistungen,die mehr Armut und einwachsendes Gefälle zwischenArm und Reich bewirken. Er wirddie gesamte Strecke zu Fußbewältigen und jeden Abend inwechselnder Besetzung mitseinem Liedermacherprogramm„Strom & Wasser“ auftreten. DieAuftritte sind eintrittsfrei, umauch mittellosen Zuschauern zuermöglichen, durch einenBesuch des Konzerts ihrenProtest gegen den Sozialabbauin Deutschland und ihreUnterstützung für seinen Laufauszudrücken. Ausdrücklich willkommen istauch jeder, der auf dieser„längsten Demo der Republik“die eine oder andere Etappemitlaufen möchte. Während derKonzerte werden Spendengesammelt, die direkt anörtliche Projekte fließen, dieObdachlose unterstützen oderihre Lebensqualität verbessernhelfen. Viele Auftritte werdenvon Gastauftritten bekannterKollegen unterstützt, so habenu.a. schon Konstantin Wecker,Gerburg Jahnke und GötzWidmann zugesagt.Mehr unterwww.laufgegendiekaelte.de

Zum Ausklang des 70. Jubiläumsjahres vonRevolution und Bürgerkrieg in Spanien

ist im Foyer der Universitätsbibliothek Os-nabrück eine kleine, aber feine Ausstellungzu sehen, die sich der künstlerisch-medialenVerarbeitung der Ereignisse widmet, mitSchwerpunkt auf dem Beitrag deutscher Emi-grantInnen. Die Ausstellung zeigt Plakate,Fotos, Titelseiten von Zeitungen und Zeit-schriften, Presseartikel, Archivmaterialienu.ä., ergänzt um Schrifttafeln mit Gedich-ten, Interviewauszügen usw. In Vitrinen sindzeitgenössische Bücher, Broschüren und(seinerzeit ins Deutsche Reich einge-schmuggelte) Tarnschriften ausgelegt.Weiterführende Materialien zu einzelnenThemen werden auf einem Infotisch präsen-tiert: Mehr als 30 Kurzbiographien vorwie-gend deutscher KünstlerInnen, Schriftstel-lerInnen, Intellektueller sowie lexikonartigeArtikel zu historischen „Stichworten“ (wie„CNT“, „Internationale Brigaden“ usw.).

Trotz ihres geringen Umfangs ist die Aus-stellung sehr dicht und informativ, allerdingsauch sehr textlastig. Obwohl ein weiter the-matischer Bogen über die verschiedenenPrint- und Bildmedien bis hin zum Rundfunkgeschlagen wird, fehlt doch ein so wichtigesMedium wie der Film vollständig und wirdweder in der Ausstellung noch im begleiten-den Katalog mit einem Wort erwähnt. Auchdie in einem Katalogtext von Jutta Held her-ausgearbeiteten Unterschiede in der Bild-sprache und dem Politikverständnis von Pla-katkunst, Fotografie und Malerei können lei-der in der Ausstellung selbst mangels ent-sprechender Exponate (zumindest in Bezugauf die Malerei) nicht nachvollzogen werden.

Auch wenn die Mehrzahl der gezeigtenDokumente dem kommunistischen bzw.Volksfrontspektrum zuzuordnen ist, so lässtsich andererseits ein deutliches Bemühender AusstellungsmacherInnen erkennen, diesozialrevolutionäre Dimension des Spanien-krieges nicht zu kurz kommen zu lassen. Ein-

zelne Rubriken sind der „Sozialen Revolu-tion“, den „Deutschen Anarcho-Syndikali-sten“ oder den „Mujeres Libres“ gewidmet,und in einem abschließenden, „Erinnerungund Aneignung“ betitelten Kapitel über Be-zugnahmen auf den Spanienkrieg in neuererLiteratur, Kunst und Populärkultur wird auf

eher marginale Beispiele wie den situationi-stischen Comic „Die Rückkehr der Durruti-Kolonne“ oder das Fotobuch „The SpanishRevolution“ von „The Ex“ verwiesen, über diegroße Masse kommunistischer Roman- undMemoirenliteratur hingegen ein gnädigerMantel des Schweigens gebreitet.

Gegen den Anspruch der Ausstellungs-

macherInnen, die „Kulturrevolution“ inner-halb der spanischen Revolution in ihren„vielfältige(n) Aspekte(n)“ dokumentiert zuhaben, sollen allerdings an dieser Stelleleichte Vorbehalte angemeldet werden. Ver-steht man unter „Kultur“ nicht nur Kunst,Literatur und Medien, sondern die Gesamt-heit alltäglicher Kommunikations- und Um-gangsformen, so ist Kulturrevolution als derVersuch zu begreifen, nichthierarchische So-zialbeziehungen herzustellen, also z.B. pa-triarchale Geschlechterverhältnisse zu besei-tigen oder egalitäre Arbeits- und Entschei-dungsstrukturen zu erproben. Auf derartige

Ansätze, etwa die Kollektivierungen und dasMilizsystem, wird jedoch in der Ausstellungnur durch einige Buchpublikationen (unterGlas!) diskret hingewiesen, nur die „MujeresLibres“ werden (immerhin!) etwas ausführ-licher gewürdigt.

Auch im künstlerischen Bereich im en-geren Sinne kann von einer „Kulturrevolu-

tion“ nur sehr bedingt die Rede sein, da eineKunst nicht schon deshalb revolutionär wird,weil sie „Partei“ ergreift, sich an das „Volk“,statt an eine Elite von Reichen und Gebilde-ten wendet, sondern nur in dem Maße, wiesie sich selbst und den Status des Künst-lers/der Künstlerin in Frage stellt. Am ehe-sten trifft dies noch auf jene zu abertausen-den während des Bürgerkriegs entstandenen„Romanzen“ zu, jener spezifisch spanischenGattung erzählerischer, mitunter liedhafterVolksdichtung, in der sich eine Art kollekti-ver und anonymer Kreativität Bahn brach:„Indem sie (= die Kriegsdichtung des spani-schen Romancero) die Trennung zwischenKulturproduzentInnen und Kulturkonsu-mentInnen aufhebt und die Verbindung derliterarischen Avantgarden mit den BäuerIn-nen, MilizionärInnen und ArbeiterInnen her-stellt, setzt sie spontan einen Bereich desProjekts der Sozialen Revolution in eine all-tägliche Praxis um ...“ (Katalog, S. 84).

Abschließend sei auf das Begleitbuch zuder Ausstellung verwiesen, das zusätzlich zurWiedergabe eines wesentlichen Teils der ge-zeigten Bild- und Schriftexponate drei wis-senschaftliche Aufsätze enthält. Nicht mitaufgenommen wurde dagegen leider die indie Ausstellung integrierte Dokumentationüber den Osnabrücker Arbeiter und Spanien-kämpfer Heinrich Bogula (1903-1976). Bo-gula, obwohl KPD-Mitglied, kämpfte in Spa-nien zunächst in der Internationalen Gruppeder Durruti-Kolonne an der Zaragozafront,beteiligte sich offenbar an den Maikämpfen1937 auf der „falschen“ Seite und wurde des-halb in einem internen KPD-Dossier 1940 als„degeneriertes Element“ verleumdet. Den-noch ließ sich Bogula, nach einer Odysseedurch französische und deutsche Lager wäh-rend des Krieges, später in der DDR nieder,wo er bis zu seinem Tod lebte.

Die Ausstellung läuft noch bis zum 31.Januar.

MH

Wolfgang Asholt/Walter Fähnders/ RüdigerReinecke (Hgg.), UPTHEREPUBLIC. Literaturund Medien im Spanischen Krieg (1936-1939), Aisthesis Verlag, Bielefeld 2006, 109S., 12,80 EUR (in der Ausstellung), 16,80EUR (über den Buchhandel)

Revolutionäre Aktion mag unnötig sein, re-volutionäres Denken aber ist unentbehr-

lich, und als Ergebnis des Denkens eine ver-nünftige und aufbauende Hoffnung.“

Bertrand Russell, 1872 in Trellech, Walesgeboren, war Anarchist, Philosoph, Agnosti-ker und vor allen Dingen: Pazifist. Allerdings,das betonen Zitate von Russell im Buch immerwieder, war er kein Pazifist um jeden Preis.

Borries 95 Seiten dünnes Buch schildertin konzentrierter Form Russells vierjährigenWeg während des Ersten Weltkriegs (1914-1918) vom einfachen, in der Politik mitden-kenden Philosophen zum leidenschaftlichenFriedensaktivisten und, zumindest im Geiste,radikalen Antikapitalisten.

Mit dem Beitritt zur „No-Conscription-Fel-lowship“ 1914, einer englischen Bewegung,welche sich gegen die repressive Verfolgungvon Kriegsdienstverweigerern richtete, nahmRussells Friedensaktivität ihren Anfang. Zwarhatte er bereits zuvor, wenn auch erfolglos,durch das Verfassen von Artikeln Intellek-tuelle zur Rebellion gegen den bevorstehen-den Krieg aufgefordert und war der „Unionfor democratic control“ beigetreten, doch ge-rade letzteres schien ihm ein zu halbherzigesUnterfangen, war doch das Engagement derUnion gegen den Krieg nur sehr zaghaft.

Im Zuge einer nationalen Massenhysteriein England und anderswo zogen junge Men-schen mit Enthusiasmus in einen Krieg, der

nur Verderben für sie und ihre vermeintlichenGegner bereithielt. Eine Absurdität, die Rus-sell nicht begreifen wollte und gegen die ersich immerzu empörte. Doch er blieb, abge-sehen von einigen wenigen Gleichgesinnten,in seiner Haltung isoliert. Im Laufe des Krie-ges fiel es Russell zunehmend schwerer, sichgegen die aufkommende Frustration zu weh-ren. Er zweifelte nicht an der Richtigkeit sei-nes Anliegens. Vielmehr fing er an, sein Men-schenbild in Frage zu stellen. Er suchte nachneuen Wegen, die Menschen zu erreichen undvon seiner Vision, die immer stärker soziali-stische Züge annahm, zu überzeugen.

Zum Kriegsende 1918 verlor er aufgrundseiner Aktivitäten nach acht Jahren Lehrtä-

tigkeit seine Anstellung am Trinity College inCambridge. Die Depression der Nachkriegszeitholte auch Russell ein. Und dennoch, wasRussells Persönlichkeit vielleicht am meistenauszeichnete: Er schöpfte daraus neue Ener-gie, um „[d]ie Menschen mit Hoffnung zu er-füllen, ihnen genügend Einbildungskraft zuverleihen, damit sie erkennen, dass die Übel,unter denen sie leiden, unnötig sind, und ge-nügend Nachdenken, um zu verstehen, wiediese Übel geheilt werden können“ (PoliticalIdeals, 1917).

„Rebell wider den Krieg“ ist ein angenehmund durchaus spannend geschriebenes Buch.Wer sich vornehmlich für den „Pazifisten“Russell interessiert, bekommt hier einen gu-ten Einblick in diesen entscheidenden Ab-schnitt seiner Biographie.

Achim von Borries, Rebell wider den Krieg —Bertrand Russell 1914-1918, Verlag Graswur-zelrevolution, Nettersheim 2006, ISBN 3-939045-01-2, 95 Seiten, 8,80 Euro

Die FAU Bremen hat sich als Herausgebe-rin die Mühe gemacht, nach Texten von

Autoren wie Augustin Souchy, Helmut Rü-diger, Fritz Linow oder auch Max Nettlau zusuchen, die sich allesamt beschreibend-analytisch mit den verschiedenen Aspektender Spanischen Revolution auseinanderset-zen.

Die Leserschaft erfährt etwas über die„Freiheitliche Kollektivwirtschaft“, „Spa-niens KP im Bürgerkrieg“ oder die „Theorieim Lichte der Praxis“. Die Texte sind zu-meist aus „Die freie Gesellschaft“ entnom-men, der Zeitung der „Föderation freiheit-licher Sozialisten“ (Nachfolgeorganisation

der FAUD).Abgerundet wird das Ganze durch eine

Handvoll Kurzbiographien, in denen die Re-volution einerseits aus internationaler Per-spektive gewürdigt wird und andererseitseinzelne Akteure in aller Kürze bekannt ge-macht werden.

Ein besonderes Extra ist der Anhang, indem sich neben den historischen Statutender CNT auch ein Text zum „Konzept des Li-bertären Kommunismus“ wiederfindet, derauf dem IV. Kongress der CNT-AIT im Mai1936, also unmittelbar vor der Revolution,in Zaragoza angenommen wurde.

Besonders gestört hat mich allerdings,

dass auf etwas mehr als 120 Seiten gleich 15Seiten leer sind. Zusammen mit der großenSchrift und weiteren freien Flächen aufzahlreichen Seiten erweckt dies den Ein-druck, dass eine dicke Broschüre zu einemdünnen Buch aufgeblasen wurde. Schmerz-lich vermisst habe ich auch eine genauerehistorische Einordnung der ausgewähltenTexte, was einem Verständnis durchaus imWege stehen kann. Zu guter Letzt gibt es fürdie zahlreichen Abbildungen leider keineQuellennachweise.

Abschließend möchte ich betonen, dassdas Buch trotz der genannten Mängel sehrlesenswert ist. Nicht nur, dass längst ver-

gessene Texte wieder an das Licht der Öf-fentlichkeit gebracht werden, nein, es regtan, sich mit der Materie etwas genauer zubeschäftigen und all die aufgeworfenen Fra-gen an anderer Stelle weiterzuverfolgen.

Rudolf Mühland

FAU Bremen (Hrsg.), Die CNT als Vortruppdes internationalen Anarchosyndikalismus.Die Spanische Revolution 1936 — Nachbe-trachtungen und Biographien, Verlag Edi-tion AV, Lich 2006, 129 S., ISBN: 978-9-936049-69-5, 14 Euro

Die CNT als Vortrupp des internationalen AnarchosyndikalismusDie Spanische Revolution 1936 — Nachbetrachtungen und Biographien

Rebell wider den KriegBertrand Russell und der Erste Weltkrieg

UPTHEREPUBLICLiteratur und Medien im Spanischen Krieg (1936-1939)

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Es ist nicht eben einfach zu sagen, wann,wo und von wem die Sabotage erfunden

wurde. Als Widerstandsmittel hat sie einen soselbstverständlichen, in der Natur der Sacheliegenden Kern, dass ihr schon fast etwas In-stinktives anhaftet. Was ihre Geschichte an-belangt, so dürfte die Sabotage so alt seinwie die Ausbeutung selbst.

Ein Tagelöhner heuert für einen Dollarden Tag an. Sein Enthusiamus hält sich da-bei in Grenzen, sein Arbeitstempo ist nichtunbedingt von der schnellen Sorte. „Ist dasalles, was du kannst?“, fragt ihn der Boss.„Alles, was ich für einen Dollar kann“, ant-wortet der Malocher. „Dann zeig mal, was dufür zwei Dollar schaffst“, sagt der Chef. Undplötzlich geht die Arbeit leichter von derHand.

Sabotage hat so oder so ähnlich ange-fangen. In organisierter Form trat sie jedocherst im Verlauf der industriellen Revolutionzu Beginn des 19. Jahrhunderts auf. Berühmtwie bis heute missverstanden sind z. B. dieauch „Maschinenstürmer“ genannten Luddi-

ten, englische Textilarbeiter, die sich in ih-rem vehementen Kampf gegen massenhafteEntlassungen und die Verschlechterung ihrerArbeitsbedingungen auch des Mittels der ge-zielten Zerstörung ihrer Maschinen bedien-ten. Dabei richtete sich ihr Zorn weder gegendie Moderne in Form der neuen Arbeitsgerä-te, noch gegen den technologischen Fort-schritt. Es ging ihnen einzig und allein da-rum, Druck auf die Bosse auszuüben, um zuverhindern, dass es ihnen schlechter gehenwürde. Nicht mehr, nicht weniger.

Mit der Entstehung und Entfaltung derArbeiterbewegung im frühen 19. Jahrhun-dert trat die organisierte Sabotage also im-mer öfters in geballter Form in Erscheinung.So etwa in Frankreich, wo Erntehelfer ihrederben Holzschuhe in Mäh- und Dreschma-schinen warfen, um sich so mal eine Pausevon der Plackerei zu verschaffen (sicher, daswar nicht der einzige Grund, aber doch einsehr typischer und somit bezeichnender).Eine solche Pause fiel dann nicht selten län-ger aus, weil der hineingeworfene Holzschuh

— auf Französisch „sabot“ — im Räderwerkder Maschine ganze Arbeit geleistet hatte.Kleine Tat, große Wirkung. Auch eine Über-setzung für „Sabotage“.

Diese Geschichte machte in Frankreichschnell Schule. Die Anlässe dafür, einenHolzschuh in eine Maschine fallen zu lassen,wurden immer geringfügiger, und etwas zu„sabotieren“ wurde zum geflügelten Wort.

In der organisierten Arbeiterschaft ent-wickelte sich die Sabotage gegen Ende des19. Jahrhunderts zu einer erklärten Kampf-

form mit theoretischer Unterfütterung. Sa-botageaktionen flankierten anfangs Arbeits-kämpfe, schließlich wurden sie sogar damitidentisch. So scheiterte 1889 etwa ein Streikschottischer Hafenarbeiter. Es gab schlichtzuviele Streikbrecher, die an die Stelle derStreikenden traten. Da kamen die Hafenar-beiter auf die Idee, zwar wieder zur Arbeit zugehen, aber so schlecht und so langsam wiemöglich an die an sie herangetragenen Auf-gaben zu gehen. Es brauchte keine zwei Wo-chen, bis die Chefs verstanden und plötzlichdoch auf die ursprünglichen Forderungeneingingen. Die Sabotage hatte auch inSchottland Einzug gehalten. BestimmteStreik- und Protestformen, wie Bummelstreikoder Dienst nach Vorschrift, sind einstmalsaus solchen als Sabotageaktionen propagier-ten Taktiken hervorgegangen.

Liz Gurley Flynn brachte es im Namen derIWW 1916 auf den Punkt: Sabotage kannflankieren, kann unterstützen — sie kannaber noch viel mehr leisten, da es wenig Auf-wand und im Zweifel nur eine kleine Zahl Ge-nossInnen braucht, um einen verhältnismä-ßig großen Effekt zu erzielen. Deshalb istdie Sabotage, so urteilte Flynn vor 90 Jahren,die Guerilla-Abteilung im Klassenkampf.

Matthias Seiffert

Was will dieFAU-IAA?

Wir Anarcho-SyndikalistInnenhaben die herrschaftslose,ausbeutungsfreie, auf Selbst-verwaltung begründete Gesell-schaft als Ziel.

Die Selbstbestimmung in allenLebensbereichen ist die grund-legende Idee des Anarcho-Syn-dikalismus.

Daher lehnen wir die Organisa-tion unserer Interessen in zen-tralistisch aufgebauten Orga-nisationen ab, da diese stetsMachtkonzentration und Hier-archie bedeuten. Weder soll,noch kann mensch mit Stell-vertreterInnen-Politik wie siez.B. von reformistischen Ge-werkschaften, Parteien undKirchen betrieben wird,unsereInteressen durchsetzen.

Dagegen sind wir direkt undindirekt lohnabhängigen Men-schen für Selbstorganisation inunabhängigen Betriebs-, Bran-chen- und Ortsgruppen. Diesesind bundesweit (in der FAU)und international (in der IAA)zusammengeschlossen.

Zur Durchsetzung unserer Zieleund Forderungen dienen unssämtliche Mittel der DirektenAktion, wie z.B. Besetzungen,Boykotts, Streiks etc. Im Ge-gensatz dazu lehnen wir dieparlamentarische Tätigkeit injeglicher Form ab. Mit dieserArt von Organisation verbindenwir die Möglichkeit, Vereinze-lung und Perspektivlosigkeitaufzuheben und so für eine re-volutionäre Veränderung auffreiheitlicher Grundlage zukämpfen.

Da die Macht und die Stärke deskapitalistischen Systems in derprivaten bzw. staatlichen Ver-fügungsgewalt über die Pro-duktionsmittel und in der tag-täglichen Ausbeutung der ar-beitenden Klasse begründetsind, ist der ökonomische Be-reich der Hauptansatzpunktfür den antikapitalistischenKampf.

Revolutionäre Arbeit in den Be-trieben trifft den Kapitalismusnicht nur in seinen Erschei-nungsformen, sondern an sei-ner Wurzel. Diese Arbeit kannnur erfolgreich sein, wenn inallen gesellschaftlichen Be-reichen gleichzeitig revolutio-näre Arbeit geleistet wird, daalle Kämpfe in einer Wechsel-beziehung zueinander stehen.

Alle Menschen, die in diesemSinne mit uns zusammenarbei-ten wollen, sind uns will-kommen.

Nr. 179 Januar/Februar 2007Letzte Seite

Redaktionsanschriften:

Schlußredaktion:E-Mail: [email protected]: E-Mail: [email protected]: E-Mail: [email protected]: E-Mail: [email protected]: FAU Bielefeld,E-Mail: [email protected]: E-Mail: [email protected]

Verleger:Direkte Aktion e.V., Kornstr. 28-30, 30167 Hannover

ViSdP: Alexander Stricker

Druck: Union Druck Berlin

Redaktionsschluß DA 180: 9. Februar

anarchosyndikalistischeZeitung der FreienArbeiterInnen Union(FAU-IAA)Direkte Aktionc/o FAU DortmundBraunschweiger Str. 2244145 Dortmund

ISSN 0949-1872

Eigentumsvorbehalt: die Zeitung ist solange Eigentum desAbsenders, bis sie an den Gefangenen pers. ausgehändigtist. Zur-Habe-Nahme ist keine pers. Aushändigung im Sin-ne des Vorbehalts.

Seite 16

WE N D L A N D S C HWA R Z E RA E ö V P B A ER HO D O P E N B E D U I N E ND B N T S X J D N

B I E HL J O L I T A N E IM A N E WS S A MU R A IA L B E R T A E T A RL A D S T A K E L O PA R R E S O N A N Z E MMAT Y S K L A N D P Z S A I RE C O P A R G U H ES A HE L F O T O T E R MI N CT L F M L P E OA R B E I T E R HA N D F A N O N

Auflösung

# 44

Sozialrevolutionäres Kreuzworträtsel Nr. 45

Hinweis zum Rätsel: Umlaute (ä, ö, ü) blei-ben, das ß wird (falls vorhanden) als „ss“ ge-schrieben

Wieder gibt es ein DA-Abo (sechs Ausgaben)zu gewinnen. Das Lösungswort könnt Ihr derDA-Aboverwaltung schicken, entweder per E-Mail <[email protected]> oder per Post (DA-Aboverwaltung, c/o FAU-Leipzig, Kolonna-denstr. 19, 04109 Leipzig). Gewonnen hatdiesmal Dieter R. aus Nürnberg.

Waagerecht

1. Mitglied der KP Russlands oder der Sowjet-union 9. kammartiges Gerät zum Spalten derFasern bei der Flachs- und Hanfbearbeitung13. großer Langschwanzpapagei 14. revolu-tionäre Kunst- und Literaturrichtung um1920: ~ismus 16. westafrikanisches Land 19.Wortratespiel mit in manchen Fällen „tödli-chem“ Ausgang 20. Schweinerippchen<schweizerisch> 21. Gewürz- und Heilpflanze23. Kurzwort in der Mathematik für eine Win-kelfunktion im rechtwinkligen Dreieck; es gibtauch die ~uskurve 25. Tonbezeichnung 26. indem Stil, so ungefähr: in dem ~ 28. Spielkar-te mit dem höchsten Wert 29. Kfz-Kennzei-chen für Kempten 30. schmelzen 31. ländlichgeprägte Region Spaniens, in der die anarchi-stische Kollektivierung der Landwirtschaftwährend der Spanischen Revolution in gro-ßem Maßstab umgesetzt wurde 32. literari-sche Kritik an Personen und Zuständen durch

Übertreibung, Ironie und Spott 34. Zierpflan-ze 35. „was nicht ~, kann noch werden“ 37.kompakte Gruppe auf einer Demonstration:schwarzer ~; Gewerkschafts~ 40. Seefisch; ei-nige Familien haben einen giftigen Stachel-schwanz 43. ~-Erlebnis: Erlebnis, aus demman unerwartet neue Erkenntnisse zieht 44.Landeskürzel für Rumänien 46. sehr schmaleeinfache Brücke 47. höchstes Gebirge Euro-pas: Die ~en 49. „Es gibt nichts ~, außer mantut es“ (Erich Kästner) 51. befestigtes Hafen-ufer <eindeutschende Schreibweise> 52. Wü-ste in Südamerika, in der es seit Anfang derWetteraufzeichnungen gebietsweise niemalsgeregnet hat 54. Anhänger <männl. Form> ei-ner Philosophie, die alles Bestehende fürnichtig und sinnlos hält 55. Fluss im SüdenRusslands, früher die Heimat freier KosakIn-nen 56. Hauptfigur in Tolkiens „Der kleineHobbit“, Nebenfigur im „Herrn der Ringe“

Senkrecht

1. Gitarrist der frühen Pink Floyd, starb 2006,Vorname: Syd 2. französisch für Gold, auchdie entsprechende Wurzel in den meisten ro-manischen Sprachen 3. zu Italien gehörendeMittelmeerinsel, Symbol für die Festung Euro-pa 4. Dienstleistungsbetrieb in der Telekom-munikation, oft mit prekären Arbeitsbedin-gungen 5. Kfz-Kennzeichen für Erding 6. Spre-cherin der Kommunistischen Plattform derLinkspartei.PDS, von manchen „die schönsteStalinistin“ genannt, Vorname: Sahra 7. Frau-enname (etwas verstaubt wirkend) 8. Strafge-fangener, der dem Gefängniswärter zur Handgeht: ~faktor 10. achten 11. umgangssprach-lich für Kondom 12. besonders opportunisti-sche trotzkistische Formation, die 2005-06versuchte, die WASG zu kapern 15. ostdeut-sche Industriestadt 17. Kfz-Kennzeichen fürApolda 18. römisch zwei 22. russische Stadt(inzwischen umbenannt), die 1942-43 von derWehrmacht und der Roten Armee umkämpftwurde; die Kapitulation der deutschen ArmeeAnfang 1943 markierte einen Wendepunkt im2. Weltkrieg 24. „Was der Bauer nicht kennt, ~er nicht.“ 27. erfolgreiche Mannschaft im spa-nischen Profifußball: ~ Madrid 29. Spalt-werkzeug; roter Gegenstand auf dem bekann-ten Plakat El Lissitzkys aus den frühen Jahrender Sowjetunion: „Schlag die Weissen mit demroten ~“ 31. Länderkürzel für Argentinien 33.Was haben „Industrieofen“ und „Symphonie-orchester“ gemeinsam? 34. Region im Nordo-sten Spaniens 36. in Nordaustralien findetman diese giftigste Landschlange der Welt 37.Affenbrotbaum 38. Weissagungsstätte 39.zweiter Namensteil eines bekannten Multis,der u.a. in Kolumbien GewerkschafterInnenermorden lässt 41. Abk. für einen Fest-, Ge-denk- und Demonstrationstag der Lesben,Schwulen, Bisexuellen, Transgender und de-rer UnterstützerInnen 42. Länderkürzel fürEstland 45. Bundesstaat der USA mit Anteil anden Rocky Mountains 48. Bier in den meistenslawischen Sprachen 50. spanische für Sonne52. Länderkürzel für Österreich 53. chemischeFormel für Kohlenmonoxyd

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Guerilla-Taktik im KlassenkampfDes letzten Rätsels Lösung: Sabotage, die Effizienz des Ungehorsams