Dahn, Felix - Ein Kampf um Rom - Historischer Roman (1876)

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Felix Dahn Ein Kampf um Rom Historischer Roman (1876) 1. BUCH:THEODERICH Dietericus de Berne, de quo cantant rustici usque hodie. 1. KAPITEL Es war eine schwüle Sommernacht des Jahres 526 nach Christus. Schwer lagerte dichtes Gewölk über der dunklen Fläche der Adria, deren Küsten und Gewässer zusammenflossen in unterscheidungslo- sem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Licht über das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Wind durch die Steineichen und Pinien auf dem Höhenzug, welcher sich eine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekrönt von ei- nem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bis auf dürftige Spuren verschwunden ist. Es war still auf dieser Waldhöhe: nur ein vom Sturm losgerissenes Felsstück polterte manchmal die steinigen Hänge hinunter und schlug zuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanäle und Gräben, die den ganzen Kreis der Seefestung umgürteten. Oder in dem alten Tempel löste sich eine verwitterte Platte von dem getäfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstu- fen, – Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebäudes. Aber dies unheimliche Geräusch schien nicht beachtet zu werden von einem Mann, der unbeweglich auf der zweithöchsten Stufe der Tempeltreppe saß, den Rücken an die höchste Stufe gelehnt, und schweigend und unverwandt in einer Richtung über die Höhe hinab nach der Stadt zu blickte. Lange saß er so: regungslos, aber sehnsüchtig wartend: er achtete es nicht, daß ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu 1

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  • Felix DahnEin Kampf um Rom

    Historischer Roman (1876)

    1. BUCH: THEODERICH

    Dietericus de Berne, de quo cantant rustici usque hodie.

    1. KAPITEL

    Es war eine schwle Sommernacht des Jahres 526 nach Christus.Schwer lagerte dichtes Gewlk ber der dunklen Flche der Adria,

    deren Ksten und Gewsser zusammenflossen in unterscheidungslo-sem Dunkel: nur ferne Blitze warfen hier und da ein zuckendes Lichtber das schweigende Ravenna. In ungleichen Pausen fegte der Winddurch die Steineichen und Pinien auf dem Hhenzug, welcher sicheine gute Strecke westlich von der Stadt erhebt, einst gekrnt von ei-nem Tempel des Neptun, der, schon damals halb zerfallen, heute bisauf drftige Spuren verschwunden ist.

    Es war still auf dieser Waldhhe: nur ein vom Sturm losgerissenesFelsstck polterte manchmal die steinigen Hnge hinunter und schlugzuletzt platschend in das sumpfige Wasser der Kanle und Grben, dieden ganzen Kreis der Seefestung umgrteten.

    Oder in dem alten Tempel lste sich eine verwitterte Platte von demgetfelten Dach der Decke und fiel zerspringend auf die Marmorstu-fen, Vorboten von dem drohenden Einsturz des ganzen Gebudes.

    Aber dies unheimliche Gerusch schien nicht beachtet zu werdenvon einem Mann, der unbeweglich auf der zweithchsten Stufe derTempeltreppe sa, den Rcken an die hchste Stufe gelehnt, undschweigend und unverwandt in einer Richtung ber die Hhe hinabnach der Stadt zu blickte.

    Lange sa er so: regungslos, aber sehnschtig wartend: er achtetees nicht, da ihm der Wind die schweren Regentropfen, die einzeln zu

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    fallen begannen, ins Gesicht schlug und ungestm in dem mchtigen,bis an den ehernen Gurt wallenden Bart whlte, der fast die ganzebreite Brust des alten Mannes mit glnzendem Silberwei bedeckte.

    Endlich stand er auf und schritt einige der Marmorstufen nieder:Sie kommen, sagte er.

    Es wurde das Licht einer Fackel sichtbar, die sich rasch von der Stadther dem Tempel nherte: man hrte schnelle, krftige Schritte, undbald danach stiegen drei Mnner die Stufen der Treppe herauf.

    Heil, Meister Hildebrand, Hildungs Sohn! rief der voranschrei-tende Fackeltrger, der jngste von ihnen, in gotischer Sprache mitauffallend melodischer Stimme, als er die lckenhafte Sulenreihe desPronaos, der Vorhalle, erreichte.

    Er hob das Windlicht hoch empor schne, korinthische Erzarbeitam Stiel, durchsichtiges Elfenbein bildete den vierseitigen Schirm, undden gewlbten durchbrochenen Deckel und steckte es in den Erzring,der die geborstene Mittelsule zusammenhielt.

    Das weie Licht fiel auf ein apollinisch schnes Antlitz mit lachen-den, hellblauen Augen; mitten auf seiner Stirn teilte sich das licht-blonde Haar in zwei lang flieende Lockenwellen, die rechts und linksbis auf seine Schultern wallten; Mund und Nase, fein, fast weich ge-schnitten, waren von vollendeter Form, ein leichter Anflug goldhellenBartes deckte die freundlichen Lippen und das leicht gespaltene Kinn;er trug nur weie Kleider; einen Kriegsmantel von feiner Wolle, durcheine goldene Spange in Greifengestalt auf der rechten Schulter festge-halten, und eine rmische Tunika von weicher Seide, beide mit einemGoldstreif durchwirkt: weie Lederriemen befestigten die Sandalen anden Fen und reichten, kreuzweis geflochten, bis an die Knie; dienackten, glnzendweien Arme umwirkten zwei breite Goldreife: undwie er, die Rechte um eine hohe Lanze geschlungen, die ihm zugleichals Stab und als Waffe diente, die Linke in die Hfte gestemmt, aus-ruhend von dem Gang, zu seinen langsameren Weggenossen hinun-terblickte, schien in den grauen Tempel eine jugendliche Gttergestaltaus seinen schnsten Tagen wieder eingekehrt.

    Der zweite der Ankmmlinge hatte, trotz einer allgemeinen Famili-enhnlichkeit, doch einen von dem Fackeltrger vllig verschiedenenAusdruck.

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    Er war einige Jahre lter, sein Wuchs war derber und breiter tief inden mchtigen Stiernacken hinab reichte das dicht und kurz gelocktebraune Haar und von fast riesenhafter Hhe und Strke: in seinemGesicht fehlte jener sonnige Schimmer, jene vertrauende Freude undLebenshoffnung, welche die Zge des jngeren Bruders verklrten:statt dessen lag in seiner ganzen Erscheinung der Ausdruck von b-renhafter Kraft und brenhaftem Mut: er trug eine zottige Wolfsschur,deren Rachen, wie eine Kapuze, sein Haupt umhllte, ein schlichtesWollenwams darunter, und auf der rechten Schulter eine kurze, wuch-tige Keule aus dem harten Holz einer Eichenwurzel.

    Bedchtigen Schrittes folgte der dritte, ein mittelgroer Mann vongemessen verstndigem Ausdruck. Er trug den Stahlhelm, das Schwertund den braunen Kriegsmantel des gotischen Fuvolks. Sein schlich-tes, hellbraunes Haar war ber der Stirn geradlinig abgeschnitten: eineuralte germanische Haartracht, die schon auf rmischen Siegessulenerscheint und sich bei dem deutschen Bauer bis heute erhalten hat.Aus den regelmigen Zgen des offenen Gesichts, aus dem grauen,sichern Auge sprachen besonnene Mnnlichkeit und nchterne Ruhe.

    Als auch er die Cella des Tempels erreicht und den Alten begrthatte, rief der Fackeltrger mit lebhafter Stimme:

    Nun, Meister Hildebrand, ein schnes Abenteuer mu es sein, zudem du uns in solch unwirtlicher Nacht in diese Wildnis von Naturund Kunst geladen hast! Sprich was solls geben?

    Statt der Antwort fragte der Alte, sich zu dem Letztgekommenenwendend: Wo bleibt der Vierte, den ich lud?

    Er wollte allein gehen. Er wies uns alle ab. Du kennst ja seine Wei-se.

    Da kommt er! rief der schne Jngling, nach einer andern Seitedes Hgels deutend.

    Wirklich nahte dorther ein Mann von hchst eigenartiger Erschei-nung.

    Das volle Licht der Fackel beleuchtete ein geisterhaft bleiches Ant-litz, das fast blutleer schien; lange, glnzend schwarze Locken hin-gen von dem unbedeckten Haupt wie dunkle Schlangen wirr bis aufdie Schultern. Hochgeschweifte, schwarze Brauen und lange Wimpern

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    beschatteten die groen, melancholischen dunklen Augen voll verhalt-ner Glut, eine Adlernase senkte sich sehr scharfgeschnitten gegen denfeinen, glattgeschorenen Mund, den ein Zug resignierten Grames um-furchte.

    Gestalt und Haltung waren so jugendlich: aber die Seele schien vorder Zeit vom Schmerz gereift.

    Er trug Ringpanzer und Beinschienen von schwarzem Erz, undin seiner Rechten blitzte ein Schlachtbeil an langem, lanzengleichenSchaft. Nur mit dem Haupte nickend, begrte er die andern und stell-te sich hinter den Alten, der sie nun alle vier dicht an die Sule, welchedie Fackel trug, treten hie und mit gedmpfter Stimme begann:

    Ich habe euch hierher beschieden, weil ernste Worte mssen ge-sprochen werden, unbelauscht und zu treuen Mnnern, die da helfenmgen.

    Ich sah umher im ganzen Volk, mondenlang: euch hab ich ge-whlt, ihr seid die Rechten. Wenn ihr mich angehrt habt, so fhlt ihrvon selbst, da ihr schweigen mt von dieser Nacht.

    Der dritte, der mit dem Stahlhelm, sah den Alten mit ernsten Augenan: Rede, sagte er ruhig, wir hren und schweigen. Wovon willst duzu uns sprechen?

    Von unserm Volk, von diesem Reich der Goten, das hart am Ab-grund steht.

    Am Abgrund? rief lebhaft der blonde Jngling. Sein riesiger Bru-der lchelte und erhob aufhorchend das Haupt.

    Ja, am Abgrund, rief der Alte, und ihr allein, ihr knnt es haltenund retten.

    Verzeih dir der Himmel deine Worte! fiel der Blonde lebhaft ein haben wir nicht unsern Knig Theoderich, den seine Feinde selbstden Groen nennen, den herrlichsten Helden, den weisesten Frstender Welt? Haben wir nicht dies lachende Land Italia mit all seinenSchtzen? Was gleicht auf Erden dem Reich der Goten?

    Der Alte fuhr fort: Hrt mich an. Knig Theoderich, mein teurerHerr und mein lieber Sohn, was der wert ist, wie gro er ist daswei am besten Hildebrand, Hildungs Sohn. Ich hab ihn vor mehr als50 Jahren auf diesen Armen seinem Vater als ein zappelnd Knblein

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    gebracht und gesagt: Das ist starke Zucht: Du wirst Freude dran ha-ben.

    Und wie er heranwuchs ich habe ihm den ersten Bolz geschnitztund ihm die erste Wunde gewaschen! Ich habe ihn begleitet nach dergoldnen Stadt Byzanz und ihn dort gehtet, Leib und Seele. Und alser dieses schne Land erkmpfte, bin ich vor ihm hergeritten, Fu frFu, und habe den Schild ber ihn gehalten in 30 Schlachten. Wohlhat er seither gelehrtere Rte und Freunde gefunden als seinen al-ten Waffenmeister, aber klgere schwerlich und treuere gewi nicht.Wie stark sein Arm gewesen, wie scharf sein Auge, wie klar sein Kopf,wie schrecklich er war unterm Helm, wie freundlich beim Becher, wieberlegen selbst den Griechlein an Klugheit, das hatte ich hundertmalerfahren, lange ehe dich, du junger Nestfalk, die Sonne beschienen.

    Aber der alte Adler ist flgellahm geworden!Seine Kriegsjahre lasten auf ihm denn er und ihr und euer Ge-

    schlecht, ihr knnt die Jahre nicht mehr tragen wie ich und meineSpielgenossen: er liegt krank, rtselhaft krank an Seele und Leib inseinem goldnen Saal dort unten in der Rabenstadt. Die rzte sagen,wie stark sein Arm noch sei, jeder Schlag des Herzens mag ihn ttenwie der Blitz, und auf jeder sinkenden Sonne mag er hinunterfahren zuden Toten. Und wer ist dann sein Erbe, wer sttzt dann dieses Reich?Amalaswintha, seine Tochter, und Athalarich, sein Enkel: ein Weibund ein Kind.

    Die Frstin ist weise, sprach der dritte mit dem Helm und demSchwert.

    Ja, sie schreibt griechisch an den Kaiser und redet rmisch mit demfrommen Cassiodor. Ich zweifle, ob sie gotisch denkt. Weh uns, wennsie im Sturm das Steuer halten soll.

    Ich sehe aber nirgends Sturm, Alter, lachte der Fackeltrger undschttelte die Locken. Woher soll er blasen? Der Kaiser ist wiedervershnt, der Bischof von Rom ist vom Knig selbst eingesetzt, dieFrankenfrsten sind seine Neffen, die Italier haben es unter unsremSchild besser als je zuvor. Ich sehe keine Gefahr, nirgends.

    Kaiser Justinus ist nur ein schwacher Greis, sprach beistimmendder mit dem Schwert, ich kenne ihn.

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    Aber sein Neffe, bald sein Nachfolger, und jetzt schon sein rechterArm kennst du auch den? Unergrndlich wie die Nacht und falsch wiedas Meer ist Justinian: ich kenne ihn und frchte, was er sinnt. Ichbegleitete die letzte Gesandtschaft nach Byzanz: er kam zu unsremGelag: er hielt mich fr berauscht, der Narr, wei nicht, was HildungsKind zu trinken vermag, und fragte mich genau um alles, was manwissen mu, um uns zu verderben. Nun, von mir hat er den rech-ten Bescheid gekriegt! Aber ich wei es so gewi wie meinen Namen:dieser Mann will dies Land, dies Italien wieder haben, und nicht dieFuspur eines Goten wird er darin briglassen.

    Wenn er kann, brummte des Blonden Bruder dazwischen.Recht, Freund Hildebad, wenn er kann. Und er kann viel. Byzanz

    kann viel.Jener zuckte die Achseln.Weit dus, wieviel? fragte der Alte zornig. Zwlf Jahre lang hat

    unser groer Knig mit Byzanz gerungen und hat nicht obgesiegt. Aberdamals warst du noch nicht geboren, fgte er ruhig hinzu.

    Wohl! kam jenem der Bruder zu Hilfe. Aber damals standen dieGoten allein im fremden Land. Jetzt haben wie eine ganze zweite Hlf-te gewonnen, wir haben eine Heimat, Italien, wir haben Waffenbrder,die Italier.

    Italien unsre Heimat! rief der Alte bitter, ja, das ist der Wahn.Und die Welschen unsre Helfer gegen Byzanz! Du junger Tor!

    Das sind unsres Knigs eigne Worte, entgegnete der Gescholtene.Ja, ja, ich kenne sie wohl, die Wahnreden, die uns alle verderben

    werden. Fremd sind wir hier, fremd, heute wie vor vierzig Jahren, dawir von diesen Bergen niederstiegen, und fremd werden wir sein indiesem Lande noch nach tausend Jahren. Wir sind hier ewig die Bar-baren!

    Jawohl, aber warum bleiben wir Barbaren? Wessen Schuld ist dasals die unsre? Weshalb lernen wir nicht von ihnen?

    Schweig still, schrie der Alte, zuckend vor Grimm, schweig, To-tila, mit solchen Gedanken: sie sind der Fluch meines Hauses gewor-den. Sich mhsam beruhigend fuhr er fort: Unsere Todfeinde sinddie Welschen, nicht unsre Brder. Weh, wenn wir ihnen trauen! Oh,

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    da der Knig nach meinem Rat getan und nach seinem Sieg alles er-schlagen htte, das Schwert und Schild fhren konnte vom lallendenKnblein bis zum lallenden Greis! Sie werden uns ewig hassen. Undsie haben recht. Wir aber, wir sind die Toren, sie zu bewundern.

    Eine Pause trat ein: ernst geworden fragte der Jngling: Und duhltst keine Freundschaft fr mglich zwischen uns und ihnen?

    Kein Friede zwischen den Shnen des Gaut und dem Sdvolk! EinMann tritt in die Goldhhle des Drachen: er drckt das Haupt desDrachen nieder mit eherner Faust: der bittet um sein Leben: der Mannerbarmt sich seiner schillernden Schuppen und weidet sein Auge anden Schtzen der Hhle. Was wird der Giftwurm tun? Hinterrcks,sobald er kann, wird er ihn stechen, da der Verschoner stirbt.

    Wohlan, so la sie kommen, die Griechlein, schrie der riesige Hil-debad, und la dies Natterngezcht gegen uns aufzngeln. Wir wol-len sie niederschlagen so! und er hob die Keule und lie sie nieder-fallen, da die Marmorplatte in Splitter sprang und der alte Tempel inseinen Grundfugen erdrhnte.

    Ja, sie sollens versuchen! rief Totila, und aus seinen Augen leuch-tete ein kriegerisches Feuer, das ihn noch schner machte. Wenn dieseundankbaren Rmer uns verraten, wenn die falschen Byzantiner kom-men er blickte mit liebevollem Stolz auf seinen starken Bruder sieh, Alter, wir haben Mnner wie die Eichen.

    Wohlgefllig nickte der alte Waffenmeister: Ja, Hildebad ist sehrstark: obwohl nicht ganz so stark wie Winithar und Walamer und dieandern waren, die mit mir jung gewesen. Und gegen die Nordmnnerist Strke gut Ding. Aber dieses Sdvolk fuhr er ingrimmig fort kmpft von Trmen und Mauerzinnen herunter. Sie fhren den Kriegwie ein Rechenexempel und rechnen dir zuletzt ein Heer von Helden ineinen Winkel hinein, da es sich nicht mehr rhren noch regen kann.Ich kenne einen solchen Rechenmeister in Byzanz, der ist kein Mannund besiegt die Mnner. Du kennst ihn auch, Witichis? so fragendwandte er sich an den Mann mit dem Schwert.

    Ich kenne Narses, sagte dieser, der sehr ernst geworden, nach-denklich. Was du gesprochen, Hildungs Sohn, ist leider wahr, sehr

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    wahr. hnliches ist mir oft schon durch die Seele gegangen, aber un-klar, dunkel, mehr ein Grauen als ein Denken. Deine Worte sind unwi-derleglich: der Knig am Tod die Frstin ein halbgriechisch Weib Justinian lauernd die Welschen schlangenfalsch die Feldherrn vonByzanz Zauberer von Kunst, aber hier holte er tief Atem wirstehen nicht allein, wir Goten. Unser weiser Knig hat sich Freun-de, Verbndete geschaffen in berflu. Der Knig der Vandalen istsein Schwestermann, der Knig der Westgoten sein Enkel, die Kni-ge der Burgunder, der Heruler, der Thringer, der Franken sind ihmverschwgert, alle Vlker ehren ihn wie ihren Vater, die Sarmaten, diefernen Esthen selbst an der Ostsee senden ihm huldigend Pelzwerkund gelben Bernstein. Ist das alles.

    Nichts ist das alles, Schmeichelworte sinds und bunte Lappen! Sol-len uns die Esthen helfen mit ihrem Bernstein wider Belisar und Nar-ses? Weh uns, wenn wir nicht allein siegen knnen. Diese Schwgerund Eidame schmeicheln, so lange sie zittern, und wenn sie nicht mehrzittern, werden sie drohen. Ich kenne die Treue der Knige! Wir ha-ben Feinde ringsum, offene und geheime, und keinen Freund als unsselbst.

    Ein Schweigen trat ein, in welchem alle die Worte des Alten besorgterwogen: heulend fuhr der Sturm um die verwitterten Sulen und rt-telte an dem morschen Tempelbau.

    Da sprach zuerst Witichis, vom Boden aufblickend, sicher und ge-fat: Gro ist die Gefahr, hoffentlich nicht unabwendbar. Gewi hastdu uns nicht hierher beschieden, da wir tatlos in die Verzweiflungschauen. Geholfen mu werden: so sprich, wie meinst du, da zu hel-fen sei.

    Der Alte trat einen Schritt auf ihn zu und fate seine Hand: Wacker,Witichis, Waltaris Sohn. Ich kannte dich wohl und will dirs treu ge-denken, da vor allen du zuerst ein mnnlich Wort der Zuversichtgefunden. Ja, ich denke wie du: noch ist Hilfe mglich, und um siezu finden, habe ich euch hierher gerufen, wo uns kein Welscher hrt.Saget nun an und ratet: dann will ich sprechen.

    Da alle schwiegen, wandte er sich zu dem Schwarzgelockten:Wenn du denkst wie wir, so sprich auch du, Teja. Warum schwiegstdu bisher?

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    Ich schweige, weil ich anders denke denn ihr.Die andern staunten. Hildebrand sprach: Wie meinst du das, mein

    Sohn?Hildebad und Totila sehen nicht die Gefahr, du und Witichis, ihr

    sehet sie und hoffet, ich aber sah sie lngst und hoffe nicht.Du siehst zu schwarz, wer darf verzweifeln vor dem Kampf? mein-

    te Witichis.Sollen wir, das Schwert in der Scheide, ohne Kampf, ohne Ruhm

    untergehen? rief Totila.Nicht ohne Kampf, mein Totila, und nicht ohne Ruhm, so wei

    ich, antwortete Teja, leise die Streitaxt zuckend. Kmpfen wollenwir, da man es nie vergessen soll in allen Tagen: kmpfen mit hch-stem Ruhm, aber ohne Sieg. Der Stern der Goten sinkt.

    Mir deucht, er will erst recht hoch steigen, rief Totila ungeduldig.Lat uns vor den Knig treten, sprich du, Hildebrand, zu ihm, wie duzu uns gesprochen. Er ist weise: er wird Rat finden.

    Der Alte schttelte den Kopf: Zwanzigmal hab ich zu ihm gespro-chen. Er hrt mich nicht mehr. Er ist mde und will sterben, und sei-ne Seele ist verdunkelt, ich wei nicht, durch welchen Schatten. Wasdenkst du, Hildebad?

    Ich denke, sprach dieser, sich hoch aufrichtend, sowie der alteLwe die mden Augen geschlossen, rsten wir zwei Heere. Das einefhren Witichis und Teja vor Byzanz und brennen es nieder, mit denandern steigen ich und mein Bruder ber die Alpen und zerschlagenParis, das Drachennest der Merowinger, zu einem Steinhaufen fr alleZukunft. Dann wird Ruhe sein, im Osten und im Norden.

    Wir haben keine Schiffe gegen Byzanz, sprach Witichis.Und die Franken sind sieben wider einen gegen uns, sagte Hilde-

    brand. Aber wacker meinst dus, Hildebad. Sage, was rtst du, Witi-chis?

    Ich rate einen Bund, mit Schwren beschwert, mit Geiseln gesi-chert, aller Nordstmme gegen die Griechen.

    Du glaubst an Treue, weil du selber treu. Nein Freund, nur dieGoten knnen den Goten helfen. Man mu sie nur wieder daran er-innern, da sie Goten sind. Hrt mich an. Ihr alle seid jung und liebtallerlei Dinge und habt vielerlei Freuden. Der eine liebt ein Weib, der

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    andere die Waffen, der dritte irgendeine Hoffnung oder auch irgend-einen Gram, der ihm ist wie eine Geliebte. Aber glaubt mir, es kommteine Zeit und die Not kann sie euch noch in jungen Tagen bringen ,da all diese Freuden und selbst Schmerzen wertlos werden wie welkeKrnze vom Gelag von gestern.

    Da werden denn viele weich und fromm und vergessen des, was aufErden, und trachten nach dem, was hinter dem Grabe ist. Ich kannsnicht und ihr, mein ich, und viele von uns knnens auch nicht. Die Er-de lieb ich mit Berg und Wald und Weide und strudelndem Strom unddas Leben darauf mit heiem Ha und langer Liebe, mit zhem Zornund stummem Stolz. Von jenem Luftleben da droben in den Wind-wolken, wies die Christenpriester lehren, wei ich nichts und will ichnichts wissen, Eins aber bleibt dem Mann, dem rechten, wenn allesandere dahin. Ein Gut, von dem er nimmer lt. Seht mich an. Ich binein entlaubter Stamm, alles hab ich verloren, was mein Leben erfreu-te: mein Weib ist tot seit vielen Jahren, meine Shne sind tot, meineEnkel sind tot: bis auf einen, der ist schlimmer als tot: der ist ein Wel-scher geworden. Dahin und lang vermodert sind sie alle, mit denen ichein kecker Knabe und ein markiger Mann gewesen, und schon steigtmeine erste Liebe und mein letzter Stolz, mein groer Knig, mde insein Grab. Nun seht, was hlt mich noch im Leben? Was gibt mir Mut,Lust, Zwang zu leben? Was treibt mich Alten wie einen Jngling in die-ser Sturmnacht auf die Berge? Was lodert hier unter dem Eisbart heiin lauter Liebe, in strrigem Stolz und in trotziger Trauer? Was anderesals der Drang, der unaustilgbar in unsrem Blute liegt, der tiefe Drangund Zug zu meinem Volk, die Liebe, die lodernde, die allgewaltige, zudem Geschlechte, das da Goten heit, und das die se, heimliche,herrliche Sprache redet meiner Eltern, der Zug zu denen, die da spre-chen, fhlen, leben wie ich. Sie bleibt, sie allein, diese Volksliebe, einOpferfeuer, in dem Herzen, darinnen alle andre Glut erloschen, sie istdas teure, das mit Schmerzen geliebte Heiligtum, das Hchste in jederMannesbrust, die strkste Macht in seiner Seele, treu bis zum Tod undunbezwingbar.

    Der Alte hatte sich in Begeisterung geredet sein Haar flog im Win-de er stand wie ein alter, hnenhafter Priester unter den jungen Mn-nern, welche die Fuste an ihren Waffen ballten.

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    Endlich sprach Teja: Du hast recht, diese Flamme lodert noch, woalles sonst erloschen. Aber sie brennt in dir, in uns, vielleicht nochin hundert andern unsrer Brder. Kann das ein ganzes Volk erretten?Nein! Und kann diese Glut die Masse ergreifen, die Tausende, die Hun-derttausende?

    Sie kann es, mein Sohn, sie kann es. Dank allen Gttern, da sieskann. Hre mich an. Es sind jetzt 45 Jahre, da waren wir Goten, vieleHunderttausende, mit Weibern und Kindern, in den Schluchten derHmus-Berge eingeschlossen.

    Wir lagen in hchster Not. Des Knigs Bruder war von den Griechenin treulosem berfall geschlagen und gettet, und aller Mundvorrat,den er uns zufhren sollte, verloren: wir saen in den Felsschluchtenund litten so bittern Hunger, da wir Gras und Leder kochten. Hin-ter uns die unersteiglichen Felsen, vor uns und zur Linken das Meer,rechts in einem Engpa die Feinde in dreifacher berzahl. Viele Tau-sende von uns waren dem Hunger, dem Winter erlegen; zwanzigmalhatten wir vergebens versucht, jenen Pa zu durchbrechen. Wir woll-ten verzweifeln. Da kam ein Gesandter des Kaisers und bot uns Leben,Freiheit, Wein, Brot, Fleisch unter einer einzigen Bedingung: wir soll-ten getrennt voneinander, zu vier und vier, ber das ganze WeltreichRoms zerstreut werden, keiner von uns mehr ein gotisch Weib freien,keiner sein Kind mehr unsre Sprache und Sitte lehren drfen, NameundWesen der Goten sollten verschwinden, Rmer sollten wir werden.Da sprang der Knig auf, rief uns zusammen und trugs uns vor in flam-mender Rede und fragte zuletzt, ob wir lieber aufgeben wollten Spra-che, Sitte, Leben unsres Volkes oder lieber mit ihm sterben? Da fuhrsein Wort in die Hunderte, die Tausende, die Hunderttausende wie derWaldbrand in die drren Stmme, aufschrien sie, die wackern Mnner,wie ein tausendstimmiges, brllendes Meer, die Schwerter schwangensie, auf den Engpa strzten sie, und weggefegt waren die Griechen,als htten sie nie gestanden, und wir waren Sieger und frei.

    Sein Auge glnzte in stolzer Erinnerung, nach einer Pause fuhr erfort: Dies allein ist, was uns heute retten kann wie dazumal: fhlenerst die Goten, da sie fr jenes Hchste fechten, fr den Schutz jenesgeheimnisvollen Kleinods, das in Sprache und Sitte eines Volkes liegt

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    wie ein Wunderborn, dann knnen sie lachen zu dem Ha der Grie-chen, zu der Tcke der Welschen. Und das vor allem wollt ich euchfragen, fest und feierlich: fhlt ihr es wie ich so klar, so ganz, so mch-tig, da diese Liebe zu unsrem Volk unser Hchstes ist, unser schnsterSchatz, unser strkster Schild? Knnt ihr sprechen wie ich: mein Volkist mir das Hchste, und alle, alles andre dagegen nichts, ihm will ichopfern, was ich bin und habe, wollt ihr das, knnt ihr das!

    Ja, das will ich, ja, das kann ich! sprachen die vier Mnner.Wohl, fuhr der Alte fort, das ist gut. Aber Teja hat recht: nicht alle

    Goten fhlen das jetzt, heute schon, wie wir, und doch mssen es allefhlen, wenn es helfen soll. Darum gelobet mir, von heut an unablssigeuch selbst und alle unsres Volkes, mit denen ihr lebt und handelt, zuerfllen mit dem Hauch dieser Stunde. Vielen, vielen hat der fremdeGlanz die Augen geblendet: viele haben griechische Kleider angetanund rmische Gedanken: sie schmen sich, Barbaren zu heien: siewollen vergessen und vergessen machen, da sie Goten sind weheber die Toren!

    Sie haben das Herz aus ihrer Brust gerissen und wollen leben, siesind wie Bltter, die sich stolz vom Stamme gelst, und der Wind wirdkommen und wird sie verwehen in Schlamm und Pftzen, da sie ver-faulen: aber der Stamm wird stehen mitten im Sturm und wird leben-dig erhalten, was treu an ihm haftet. Darum sollt ihr euer Volk weckenund mahnen berall und immer. Den Knaben erzhlt die Sagen der V-ter, von den Hunnenschlachten, von den Rmersiegen: den Mnnernzeigt die drohende Gefahr und wie nur das Volkstum unser Schild: eu-re Schwestern ermahnt, da sie keinen Rmer umarmen und keinenRmling: eure Brute, eure Weiber lehrt, da sie alles, sich selbst undeuch opfern dem Glck der guten Goten, auf da, wenn die Feindekommen, sie finden ein starkes Volk, stolz, einig, fest, daran sie zer-schellen sollen wie die Wogen am Fels. Wollt ihr mir dazu helfen?

    Ja, sprachen sie, das wollen wir.Ich glaube euch, fuhr der Alte fort, glaube eurem bloen Wort.

    Nicht um euch fester zu binden denn was bnde den Falschen? ,sondern weil ich treu hnge an altem Brauch und weil besser gedeiht,was geschieht nach Sitte der Vter folget mir.

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    2. KAPITEL

    Mit diesen Worten nahm er die Fackel von der Sule und schrittquer durch den Innenraum, die Cella des Tempels, vorber an demzerfallenen Hauptaltar, vorbei an den Postamenten der lang herabge-strzten Gtterbilder nach der Hinterseite des Gebudes, dem Posti-cum. Schweigend folgten die Geladenen dem Alten, der sie ber dieStufen hinunter ins Freie fhrte.

    Nach einigen Schritten standen sie unter einer uralten Steineiche,deren mchtiges Gest wie ein Dach Sturm und Regen abhielt. Un-ter diesem Baum bot sich ihnen ein seltsamer Anblick, der aber diegotischen Mnner sofort an eine alte Sitte aus dem grauen Heiden-tum, aus der fernen nordischen Heimat gemahnte. Unter der Eichewar ein Streifen des dichten Rasens aufgeschlitzt, nur einen Fu breit,aber mehrere Ellen lang, die beiden Enden des Streifens hafteten nochlocker am Grunde: in der Mitte war der Rasengrtel auf drei ungleichin die Erde gerammte hohe Speere emporgespreizt, in der Mitte vondem lngsten Speer gesttzt, so da die Vorrichtung ein Dreieck bilde-te, unter dessen Dach zwischen den Speersulen mehrere Mnner be-quem stehen konnten. In der so gewonnenen Erdritze stand ein eher-ner Kessel, mit Wasser gefllt, daneben lag ein spitzes und scharfesSchlachtmesser, uralt: das Heft vom Horn des Auerstiers, die Klingevon Feuerstein. Der Greis trat nun heran, stie die Fackel dicht nebendem Kessel in die Erde, stieg dann, mit dem rechten Fu voraus, in dieGrube, wandte sich gegen Osten und neigte das Haupt: dann winkteer die Freunde zu sich, mit dem Finger am Mund ihnen Schweigenbedeutend. Lautlos traten die Mnner in die Rinne und stellten sich,Witichis und Teja zu seiner Linken, die beiden Brder zu seiner Rech-ten, und alle fnf reichten sich die Hnde zu einer feierlichen Kette.Dann lie der Alte Witichis und Hildebad, die ihm zunchst standen,los und kniete nieder. Zuerst raffte er eine Handvoll der schwarzenWalderde auf und warf sie ber die linke Schulter. Dann griff er mitder andern Hand in den Kessel und sprengte das Wasser rechts hintersich. Darauf blies er in die wehende Nachtluft, die sausend in seinenlangen Bart wehte. Endlich schwang er die Fackel von der Rechten zurLinken ber sein Haupt. Dann steckte er sie wieder in die Erde undsprach murmelnd vor sich hin:

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    Hre mich an, alte Erde, wallendes Wasser, leichte Luft, flackern-de Flamme! Hret mich wohl und bewahret mein Wort: Hier stehenfnf Mnner vom Geschlechte des Gaut, Teja und Totila, Hildebad undHildebrand und Witichis, Waltaris Sohn.

    Wir stehen hier in stiller Stunde,Zu binden einen Bund von Blutsbrdern,Fr immer und ewig und alle Tage.Wir sollen uns sein wie SippegesellenIn Frieden und Fehde, in Rache und Recht.Ein Hoffen, ein Hassen, ein Lieben, ein Leiden,Wie wir trufen zu einem TropfenUnser Blut als Blutsbrder.

    Bei diesen Worten entblte er den linken Arm, die andern tatendesgleichen, eng aneinander streckten sich die fnf Arme ber denKessel, der Alte hob das scharfe Steinmesser und ritzte mit einemSchnitt sich und den vier anderen die Haut des Vorderarmes, da dasBlut aller in roten Tropfen in den ehernen Kessel flo.

    Dann nahmen sie wieder die frhere Stellung ein, und murmelndfuhr der Alte fort:

    Und wir schwren den schweren Schwur,Zu opfern all unser Eigen,Haus, Hof und Habe,Ro, Rstung und Rind,Sohn, Sippe und Gesinde,Weib und Waffen und Leib und LebenDem Glanz und Glck des Geschlechtes von Gaut,Den guten Goten.Und wer von uns sich wollte weigern,Den Eid zu ehren mit allen Opfern

    Hier traten er, und auf seinen Wink auch die andern, aus der Grubeund unter dem Rasenstreifen hervor:

    Des rotes Blut soll rinnen ungerchetWie dies Wasser unterm Waldrasen

  • 15

    Er erhob den Kessel, go sein blutiges Wasser in die Grube undnahm ihn wie das andere Gert heraus:

    Auf des Haupt sollen des Himmels HallenDumpf niederdonnern und ihn erdrcken,Wuchtig so wie dieser Rasen.

    Er schlug mit einem Streich die drei spannenden Lanzenschfte nie-der, und dumpf fiel die schwere Rasendecke nieder in die Rinne. Diefnf Mnner stellten sich nun mit verschlungenen Hnden auf die wie-der vom Rasen gedeckte Stelle, und in rascherem Ton fuhr der Altefort: Und wer von uns nicht achtet dieses Eides und dieses Bundesund wer nicht die Blutsbrder als echte Brder schtzt im Leben undrcht im Tode, und wer sich weigert, sein Alles zu opfern dem Volk derGoten, wann die Not es begehrt und ein Bruder ihn mahnt, der soll ver-fallen sein auf immer den untern, den ewigen, den wsten Gewalten,die da hausen unter dem grnen Gras des Erdgrundes: gute Menschensollen mit Fen schreiten ber des Neidings Haupt, und sein Namesoll ehrlos sein soweit Christenleute Glocken luten und HeidenleuteOpfer schlachten, soweit Mutter Kind koset und der Wind weht berdie weite Welt. Sagt an, ihr Gesellen, solls ihm also geschehen, demniedrigen Neiding?

    So soll ihm geschehen, sprachen die vier Mnner ihm nach.Nach einer ernsten Pause lste Hildebrand die Kette der Hnde und

    sprach: Und auf da ihrs wit, welche Weihe diese Sttte hat frmich jetzt auch fr euch , warum ich euch zu solchem Tun geradehierher beschieden und zu dieser Nacht kommt und sehet. Und alsosprechend erhob er die Fackel und schritt voran hinter den mchti-gen Stamm der Eiche, vor der sie geschworen. Schweigend folgten dieFreunde, bis sie an der Kehrseite des alten Baumes hielten und hiermit Staunen gerade gegenber der Rasengrube, in welcher sie gestan-den, ein breites offenes Grab ghnen sahen, von welchem die decken-de Felsplatte hinweggewlzt war: da ruhten in der Tiefe, im Licht derFackel geisterhaft erglnzend, drei weie, lange Skelette, einzelne ver-rostete Waffenstcke, Lanzenspitzen, Schildbuckel lagen daneben. DieMnner blickten berrascht bald in die Grube, bald auf den Greis. Die-ser leuchtete lange schweigend in die Tiefe. Endlich sagte er ruhig:

  • 16

    Meine drei Shne. Sie liegen hier ber 30 Jahre. Sie fielen auf diesemBerg, in dem letzten Kampf um die Stadt Ravenna. Sie fielen in einerStunde, heute ist der Tag. Sie sprangen jubelnd in die Speere fr ihrVolk.

    Er hielt inne. Mit Rhrung sahen die Mnner vor sich hin. Endlichrichtete sich der Alte hoch auf und sah gegen den Himmel. Es istgenug, sagte er, die Sterne bleichen. Mitternacht ist lngst vorber.Geht, ihr andern, in die Stadt zurck. Du, Teja, bleibst wohl bei mir: dir ist ja vor andern, wie des Liedes, der Trauer Gabe gegeben undhltst mit mir die Ehrenwacht bei diesen Toten.

    Teja nickte und setzte sich, ohne eine Wort, zu Fen des Grabes,wo er stand, nieder. Der Alte reichte Totila die Fackel und lehnte sichTeja gegenber auf die Felsplatte. Die andern drei winkten ihm schei-dend zu. Und ernst und in schweigende Gedanken versunken stiegensie hinunter zur Stadt.

    3. KAPITEL

    Wenige Wochen nach jener nchtlichen Zusammenkunft bei Raven-na fand zu Rom eine Vereinigung statt, ebenfalls heimlich, ebenfallsunter dem Schutze der Nacht, aber von ganz anderen Mnnern zuganz anderen Zwecken.

    Das geschah in der Appischen Strae nahe dem Gmeterium desheiligen Kalixtus in einem halbverschtteten Gang der Katakomben,jener rtselhaften unterirdischen Wege, die unter den Straen undPltzen Roms fast eine zweite Stadt bildeten. Es sind diese geheimnis-vollen Rume ursprnglich alte Begrbnispltze, oft die Zuflucht derjungen Christengemeinde so vielfach verschlungen und ihre Kreu-zungen, Endpunkte, Aus- und Eingnge so schwierig zu finden, danur unter ortvertrautester Fhrung ihre inneren Tiefen betreten wer-den knnen. Aber die Mnner, deren geheimen Verkehr wir diesmalbelauschen, frchteten keine Gefahr. Sie waren gut gefhrt. Denn eswar Silverius, der katholische Archidiakonus der alten Kirche des hei-ligen Sebastian, der unmittelbar von der Krypta seiner Basilika aus dieFreunde auf steilen Stufen in diesen Zweigarm der Gewlbe gefhrthatte; und die rmischen Priester standen in dem Rufe, seit den Tagender ersten Christen Kenntnis jener Labyrinthe fortgepflanzt zu haben.

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    Die Versammelten schienen sich auch hier nicht zum erstenmal einzu-finden: die Schauer des Ortes machten wenig Eindruck auf sie. Gleich-gltig lehnten sie an den Wnden des unheimlichen Halbrunds, das,von einer bronzenen Hngelampe sprlich beleuchtet, den Schlu desniedrigen Ganges bildete, gleichgltig hrten sie die feuchten Tropfenvon der Decke zur Erde fallen, und wenn ihr Fu hier und da an wei-e, halbvermoderte Knochen stie, schoben sie auch diese gleichgltigauf die Seite.

    Es waren auer Silverius noch einige andere rechtglubige Priesterund eine Mehrzahl vornehmer Rmer aus den Adelsgeschlechtern deswestlichen Kaiserreichs anwesend, die seit Jahrhunderten in fast erbli-chem Besitz der hheren Wrden des Staates und der Stadt geblieben.

    Schweigend und aufmerksam beobachteten sie die Bewegungen desArchidiakons, der sich, nachdem er die Erschienenen gemustert und ineinige der einmndenden Gnge, in deren Dunkel man junge Leute inpriesterlichen Kleidern Wache halten sah, prfende Blicke geworfenhatte, jetzt offenbar anschickte, die Versammlung in aller Form zu er-ffnen.

    Noch einmal trat er auf einen hochgewachsenen Mann zu, der ihmgegenber regungslos an der Mauer lehnte, und mit dem er wiederholtBlicke getauscht hatte: und nachdem dieser auf eine fragende Mieneschweigend genickt, wandte er sich gegen die brigen und sprach:

    Geliebte im Namen des dreieinigen Gottes! Wieder einmal sind wirhier versammelt zu heiligem Werk.

    Das Schwert von Edom ist gezckt ob unsrem Haupt, und KnigPharao lechzt nach dem Blut der Kinder Israel. Wir aber frchten nichtjene, die den Leib tten und der Seele nichts anhaben knnen, wirfrchten vielmehr jenen, der da Leib und Seele verderben mag mitewigem Feuer. Wir vertrauen im Schauer der Nacht auf die Hilfe des-sen, der sein Volk durch die Wste gefhrt hat, bei Tag in der Rauch-wolke, bei Nacht in der Feuerwolke. Und daran wollen wir halten undwollen es nie vergessen: was wir leiden, wir leiden es um Gottes wil-len, was wir tun, wir tuns zu seines Namens Ehre. Dank ihm, denner hat gesegnet unsern Eifer. Klein, wie des Evangeliums, waren unse-re Anfnge, aber schon sind wir gewachsen wie ein Baum an frischen

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    Wasserbchen. Mit Furcht und Zagen kamen wir anfangs hier zusam-men: gro war die Gefahr, schwach die Hoffnung: edles Blut der Be-sten war geflossen: heute, wenn wir fest bleiben im Glauben, drfenwir es khnlich sagen: der Thron des Knigs Pharao steht auf Fenvon Schilf, und die Tage der Ketzer sind gezhlt in diesem Lande.

    Zur Sache! rief ein junger Rmer dazwischen, mit kurzkrausem,schwarzem Haar und blitzenden, schwarzen Augen; ungeduldig warfer das Sagum von der linken Hfte ber die rechte Schulter zurck,da das kurze Schwert sichtbar wurde. Zur Sache, Priester! Was sollheut geschehn?

    Silverius warf auf den Jngling einen Blick, der lebhaften Unwillenber solch kecke Selbstndigkeit nicht ganz mit salbungsvoller Ruhezu verdecken vermochte. Scharfen Tones fuhr er fort: Auch die andie Heiligkeit unsres Zweckes nicht zu glauben scheinen, sollten dochden Glauben an diese Heiligkeit bei andern nicht stren, um ihrer eig-nen weltlichen Ziele willen nicht. Heute aber, Licinius, mein rascherFreund, soll ein neues hochwillkommenes Glied unsrem Bunde einge-fgt werden: sein Beitritt ist ein sichtbares Zeichen der Gnade Gottes.

    Wen willst du einfhren? Sind die Vorbedingungen erfllt? Haftestdu fr ihn unbedingt? Oder stellst du andre Brgschaft? so fragte einandrer der Versammelten, ein Mann in reifen Jahren, mit gleichm-igen Zgen, der, einen Stab zwischen den Fen, ruhig auf einemVorsprung der Mauer sa.

    Ich hafte, mein Scvola; brigens gengt seine Person.Nichts dergleichen. Die Satzung unsres Bundes verlangt Verbr-

    gung, und ich bestehe darauf, sagte Scvola ruhig.Nun gut, gut, ich brge, zhester aller Juristen! wiederholte der

    Priester mit Lcheln. Er winkte in einen der Gnge zur Linken.Zwei junge Ostiarii fhrten von da in die Mitte des Gewlbes einen

    Mann, auf dessen verhlltes Haupt aller Augen gerichtet waren. Nacheiner Pause hob Silverius den berwurf von Kopf und Schultern desAnkmmlings.

    Albinus! riefen die andern in berraschung, Entrstung, Zorn.Der junge Licinius fuhr ans Schwert, Scvola stand langsam auf,

    wild durcheinander scholl es: Wie? Albinus? Der Verrter? Scheuen

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    Blickes sah der Gescholtene um sich, seine schlaffen Zge bekunde-ten angeborene Feigheit: wie Hilfe flehend haftete sein Auge auf demPriester.

    Ja, Albinus! sagte dieser ruhig. Will einer der Verbndeten widerihn sprechen? Er rede.

    Bei meinem Genius, rief Licinius rasch vor allen, braucht es dader Rede? Wir wissen alle, wer Albinus ist, was er ist. Ein feiger,schndlicher Verrter!

    Der Zorn erstickte seine Stimme. Schmhungen sind keine Bewei-se, nahm Scvola das Wort. Aber ich frage ihn selbst, er soll hier vorallen bekennen. Albinus, bist du es, oder bist du es nicht, der, als dieAnfnge des Bundes dem Tyrannen verraten waren, als du noch alleinvon uns allen verklagt warst, es mit ansahst, da die edlen Mnner,Bothius und Symmachus, unsre Mitverbndeten, weil sie dich mutigvor dem Wterich verteidigten, verfolgt, gefangen, ihres Vermgensberaubt, hingerichtet wurden, whrend du, der eigentliche Angeklag-te, durch einen schmhlichen Eid, dich nie mehr um den Staat km-mern zu wollen, und durch urpltzliches Verschwinden dich gerettethast? Sprich, bist du es, um dessen Feigheit willen die Zierden desVaterlandes gefallen?

    Ein Murren des Unwillens ging durch die Versammlung. Der Ange-schuldigte blieb stumm und bebte, selbst Silverius verlor einen Augen-blick die Haltung. Da richtete sich jener Mann, der ihm gegenber ander Felswand lehnte, auf und trat einen Schritt herzu; seine Nhe schi-en den Priester zu erkrftigen, und er begann wieder: Ihr Freunde, esist geschehen, was ihr sagt, nicht wie ihrs sagt. Vor allem wisset: Al-binus ist an allem am wenigsten schuldig. Was er getan, er tats aufmeinen Rat.

    Auf deinen Rat?Das wagst du zu bekennen?Albinus war verklagt durch den Verrat eines Sklaven, der die Ge-

    heimschrift in den Briefen nach Byzanz entziffert hatte. Der ganzeArgwohn des Tyrannen war geweckt: jeder Schein von Widerstand,von Zusammenhang mute die Gefahr vermehren. Der Ungestm vonBothius und Symmachus, die ihn mutig verteidigten war edel, abertricht. Denn er zeigte den Barbaren die Gesinnung des ganzen Adels

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    von Rom, zeigte, da Albinus nicht allein stehe. Sie handelten gegenmeinen Rat, leider haben sie es im Tode gebt. Aber ihr Eifer warauch berflssig: denn den verrterischen Sklaven raffte pltzlich vorweitern Aussagen die Hand des Herrn hinweg, und es war gelungen,die Geheimbriefe des Albinus vor dessen Verhaftung zu vernichten. Je-doch glaubt ihr, Albinus wrde auf der Folter, wrde unter Todesdro-hungen geschwiegen haben, geschwiegen, wenn ihn die Nennung derMitverschworenen retten konnte? Das glaubt ihr nicht, das glaubte Al-binus selbst nicht. Deshalb mute vor allem Zeit gewonnen, die Folterabgewendet werden. Dies gelang durch jenen Eid. Unterdessen freilichbluteten Bothius und Symmachus: sie waren nicht zu retten, doch ih-res Schweigens, auch unter der Folter, waren wir sicher. Albinus aberward durch ein Wunder aus seinem Kerker befreit wie Sankt Pauluszu Philippi. Es hie, er sei nach Athen entflohen, und der Tyrann be-gngte sich, ihm die Rckkehr zu verbieten. Allein der dreieinige Gotthat ihm hier in seinem Tempel eine Zufluchtssttte bereitet, bis dadie Stunde der Freiheit naht. In der Einsamkeit seines heiligen Asylesnun hat der Herr das Herz des Mannes wunderbar gerhrt, und unge-schreckt von der Todesgefahr, die schon einmal seine Locke gestreifthat, tritt er wieder in unsern Kreis und bietet dem Dienste Gottes unddes Vaterlandes sein ganzes unermeliches Vermgen. Vernehmt: erhat all sein Gut der Kirche Sankt Mari Majoris zu Bundeszweckenvermacht. Wollt ihr ihn und seine Millionen verschmhen?

    Eine Pause des Staunens trat ein: endlich rief Licinius: Priester, dubist klug wie ein Priester. Aber mir gefllt solche Klugheit nicht.

    Silverius, sprach der Jurist, du magst die Millionen nehmen. Dassteht dir an. Aber ich war der Freund des Bothius: mir steht nicht an,mit jenem Feigen Gemeinschaft zu halten. Ich kann ihm nicht verge-ben. Hinweg mit ihm!

    Hinweg mit ihm! scholl es von allen Seiten. Scvola hatte derEmpfindung aller das Wort geliehen. Albinus erblate, selbst Silveriuszuckte unter dieser allgemeinen Entrstung. Cethegus! flsterte erleise, Beistand heischend.

    Da trat der Mann in die Mitte, der bisher immer geschwiegen undnur mit khler berlegenheit die Sprechenden gemustert hatte. Er wargro und hager, aber krftig, von breiter Brust und seine Muskeln von

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    eitel Stahl. Ein Purpursaum an der Toga und zierliche Sandalen ver-rieten Reichtum, Rang, und Geschmack, aber sonst verhllte ein lan-ger, brauner Soldatenmantel die ganze Unterkleidung der Gestalt. SeinKopf war von denen, die man, einmal gesehen, nie mehr vergit.

    Das dichte, noch glnzend schwarze Haar war nach Rmerart kurzund rund um die gewlbte, etwas zu groe Stirn und die edel geformteSchlfe geschoren, tief unter den fein geschweiften Brauen waren dieschmalen Augen geborgen, in deren unbestimmtem Dunkelgrau einganzes Meer versunkener Leidenschaften, aber noch bestimmter derAusdruck kltester Selbstbeherrschung lag. Um die scharf geschnit-tenen, bartlosen Lippen spielte ein Zug stolzer Verachtung gegen Gottund seine ganze Welt. Wie er vortrat und mit ruhiger Vornehmheit denBlick ber die Erregten streifen lie, wie seine nicht einschmeicheln-de, aber beherrschende Redeweise anhob, empfand jeder in der Ver-sammlung den Eindruck bewuter berlegenheit, und wenige Men-schen mochten diese Nhe ohne das Gefhl der Unterordnung tragen.

    Was hadert ihr, sagte er kalt, ber Dinge, die geschehen mssen?Wer den Zweck will, mu die Mittel wollen. Ihr wollt nicht vergeben?Immerhin! Daran liegt nichts. Aber vergessen mt ihr. Und das knntihr. Auch ich war ein Freund der Verstorbenen, vielleicht ihr nchster.Und doch ich will vergessen. Ich tu es, eben weil ich ihr Freund war.Der liebt sie, Scvola, der allein, der sie rcht. Um der Rache willenAlbinus, deine Hand.

    Alle schwiegen, bewltigt mehr von der Persnlichkeit als von denGrnden des Redners. Nur der Jurist bemerkte noch:

    Rusticiana, des Bothius Witwe und des Symmachus Tochter, dieeinflureiche Frau, ist unserm Bunde hold. Wird sie das bleiben, wenndieser eintritt? Kann sie je vergeben und vergessen? Niemals!

    Sie kann es. Glaubt nicht mir, glaubt euren Augen. Mit diesenWorten wandte sich rasch Cethegus und schritt in einen der Seiten-gnge, dessen Mndung bisher sein Rcken verdeckt hatte. Hartam Eingang stand lauschend eine verschleierte Gestalt: er ergriff ih-re Hand: Komm, flsterte er, jetzt komm.

    Ich kann nicht! Ich will nicht! war die leise Antwort der Widerstre-benden. Ich verfluche ihn. Ich kann ihn nicht sehen, den Elenden!

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    Es mu sein. Komm, du kannst und du willst es: denn ich willes. Er schlug ihren Schleier zurck: noch ein Blick, und sie folgte wiewillenlos.

    Sie bogen um die Ecke des Eingangs: Rusticiana! riefen alle.Ein Weib in unserer Versammlung! sprach der Jurist. Das ist ge-

    gen die Satzungen, die Gesetze.Ja, Scvola, aber die Gesetze sind um des Bundes willen, nicht der

    Bund um der Gesetze willen. Und geglaubt httet ihr mir nie, was ihrhier sehet mit Augen.

    Er legte die Hand der Witwe in die zitternde Rechte des Albinus.Seht, Rusticiana verzeiht: wer will jetzt noch widerstreben?berwunden und berwltigt verstummten alle. Fr Cethegus schi-

    en das Weitere jedes Interesse verloren zu haben. Er trat mit der Frauan die Wand im Hintergrund zurck. Der Priester aber sprach: Albi-nus ist Glied des Bundes.

    Und sein Eid, den er dem Tyrannen geschworen? fragte schch-tern Scvola.

    War erzwungen und ist ihm gelst von der heiligen Kirche. Abernun ist es Zeit, zu scheiden. Nur noch die eilendsten Geschfte, dieneuesten Botschaften. Hier, Licinius, der Festungsplan von Neapolis:du mut ihn bis morgen nachgezeichnet haben, er geht an Belisar.Hier, Scvola, Briefe aus Byzanz, von Theodora, der frommen GattinJustinians: du mut sie beantworten. Da, Calpurnius, eine Anweisungauf eine halbe Million Solidi von Albinus: du sendest sie an den frn-kischen Majordomus, er wirkt bei seinem Knig gegen die Goten. Hier,Pomponius, eine Liste der Patrioten in Dalmatien: du kennst die Dingedort und die Menschen: sieh zu, ob bedeutende Namen fehlen. Euchallen aber sei gesagt, da, nach heute erhaltenen Briefen von Ravenna,die Hand des Herrn schwer auf dem Tyrannen liegt; tiefe Schwermut,zu spte Reue ber all seine Snden soll seine Seele niederdrcken,und der Trost der wahren Kirche bleibt ihm fern. Harret aus noch einekleine Weile, bald wird ihn die zornige Stimme des Richters abrufen:dann kommt der Tag der Freiheit. An den nchsten Iden, zur selbenStunde, treffen wir uns wieder. Der Segen des Herrn sei mit euch.

    Eine Handbewegung des Diakons verabschiedete die Versammel-ten: die jungen Priester traten mit den Fackeln aus den Seitengngen

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    und geleiteten die einzelnen in verschiedenen Richtungen nach dennur ihnen bekannten Ausgngen der Katakomben.

    4. KAPITEL

    Silverius, Cethegus und Rusticiana stiegen miteinander die Stufenhinauf, welche in die Krypta der Basilika des heiligen Sebastian fhr-ten. Von da gingen sie durch die Kirche in das unmittelbar darange-baute Haus des Diakonus. Dort angelangt, berzeugte sich dieser, daalle Hausgenossen schliefen bis auf einen alten Sklaven, der im Atriumbei einer halb herabgebrannten Ampel wachte. Auf den Wink seinesHerrn zndete er die neben ihm stehende silberfige Lampe an unddrckte auf eine Fuge im Marmorgetfel. Die Marmorplatten drehtensich um ihre Achse und lieen den Priester, der die Leuchte ergiffen,mit den beiden andern in ein kleines, niederes Gemach treten, dessenffnung sich hinter ihnen rasch und geruschlos wieder schlo. KeineRitze verriet nun wieder, da hier eine Tr.

    Der kleine Raum, jetzt mit einem hohen Kreuz aus Holz, einemBetschemel und einigen christlichen Symbolen auf Goldgrund einfachausgestattet, hatte in heidnischen Tagen offenbar, wie die an den Wn-den hinlaufenden Polstersimse bezeugten, dem Zweck jener kleinenGelage von zwei oder drei Gsten gedient, deren zwanglose Gemt-lichkeit Horatius feiert. Zur Zeit war hier das Asyl fr die geheimstengeistlichen oder weltlichen Gedanken des Diakonus. Schweigendsetzte sich Cethegus, auf ein gegenber in die Wand eingelegtes Mo-saikgemlde den flchtigen Blick des verwhnten Kunstkenners wer-fend, auf den niederen Lectus. Whrend der Priester beschftigt war,aus einem Mischkrug mit hochgeschweiften Henkeln Wein in die be-reitstehenden Becher zu gieen und eine eherne Schale mit Frchtenauf den dreifigen Bronzetisch zu stellen, stand Rusticiana Cethegusgegenber, ihn mit unwillig staunenden Blicken messend. Kaum vier-zig Jahre alt, zeigte das Weib Spuren einer seltenen, etwas mnnlichenSchnheit, die weniger durch das Alter als durch heftige Leidenschaf-ten gelitten hatte; schon war hier und da nicht graues, sondern weiesHaar in ihre rabenschwarzen Flechten gemischt, das Auge hatte einenunsteten Blick, und starke Falten zogen sich gegen die immer beweg-ten Mundwinkel. Sie sttzte die Linke auf den Erztisch und strich mit

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    der Rechten wie nachsinnend ber die Stirn, dabei fortwhrend Cethe-gus anstarrend. Endlich sprach sie: Mensch, sage, sage, Mann, wel-che Gewalt du ber mich hast? Ich liebe dich nicht mehr. Ich solltedich hassen. Ich hasse dich auch. Und doch mu ich dir folgen willen-los. Wie der Vogel dem Auge der Schlange. Und du legst meine Hand,diese Hand, in die Hand jenes Schurken. Sage, du Frevler, welches istdiese Macht?

    Cethegus schwieg unaufmerksam. Endlich sagte er, sich zurckleh-nend: Gewohnheit, Rusticiana, Gewohnheit.

    Jawohl, Gewohnheit! Gewohnheit einer Sklaverei, die besteht, seitich denken kann. Da ich als Mdchen den schnen Nachbarssohnbewunderte, war natrlich; da ich glaubte, du liebtest mich, war ver-zeihlich: du ktest mich ja. Und wer konnte damals! wissen, dadu nicht lieben kannst. Nichts: kaum dich selbst. Da die Gattin desBothius diese wahnsinnige Liebe nicht erstickte, die du wie spielendwieder anfachtest, war eine Snde, aber Gott und die Kirche habensie mir verziehen. Doch, da ich jetzt noch, nachdem ich jahrzehnte-lang deine herzlose Tcke kenne, nachdem die Glut der Leidenschafterloschen in diesen Adern, da ich jetzt noch blindlings deinem dmo-nischen Willen folgen mu das ist eine Torheit zum Lautauflachen.

    Und sie lachte hell und fuhr mit der Rechten ber die Stirn. DerPriester hielt in seiner wirtlichen Beschftigung inne und sah verstoh-len auf Cethegus; er war gespannt. Cethegus lehnte das Haupt rck-wrts an den Marmorsims und umfate mit der Rechten den Pokal,der vor ihm stand:

    Du bist ungerecht, Rusticiana, sagte er ruhig. Und unklar. Dumischest die Spiele des Eros in die Werke der Eris und der Erinnyen.Du weit es, da ich der Freund des Bothius war. Obwohl ich seinWeib kte. Vielleicht ebendeshalb. Ich sehe darin nichts Besonderes,und du nun, dir haben es ja Silverius und die Heiligen vergeben. Duweit ferner, da ich diese Goten hasse, wirklich hasse, da ich denWillen und vor andern die Fhigkeit habe, durchzusetzen, was dichjetzt ganz erfllt: deinen Vater, den du geliebt, deinen Gatten, den dugeehrt hast, an diesen Barbaren zu rchen. Du gehorchst daher meinenWinken. Und du tust daran sehr klug. Denn du hast zwar ein sehrbedeutendes Talent, Rnke zu schmieden. Aber deine Heftigkeit trbt

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    oft deinen Blick. Sie verdirbt deine feinsten Plne. Also tust du wohl,khlerer Leitung zu folgen. Das ist alles. Aber jetzt geh. Deine Sklavinkauert schlaftrunken im Vestibulum. Sie glaubt dich in der Beichte, beiFreund Silverius. Die Beichte darf nicht gar zu lange whren. Auchhaben wir noch Geschfte. Gre mir Kamilla, dein schnes Kind, undlebe wohl.

    Er stand auf, ergriff ihre Hand und fhrte sie sanft zur Tre. Siefolgte widerstrebend, nickte dem Priester zum Abschied zu, sah noch-mal auf Cethegus, der ihre innere Bewegung nicht zu sehen schien,und ging mit leisem Kopfschtteln hinaus.

    Cethegus setzte sich wieder und trank den Pokal aus.Sonderbarer Kampf mit diesem Weibe, sagte Silverius und setzte

    sich mit Griffel, Wachstafeln, Briefen und Dokumenten zu ihm.Nicht sonderbar. Sie will ihr Unrecht gegen ihren Gatten gutma-

    chen, indem sie ihn rcht. Und da sie diese Rache gerade durch ihrenehemaligen Geliebten findet, macht die heilige Pflicht besonders s.Freilich ist ihr dies alles unbewut. Aber, was gibts zu tun?

    Und nun begannen die beiden Mnner ihre Arbeit, solche Punkteder Verschwrung zu erledigen, die allen Gliedern des Bundes mitzu-teilen sie nicht fr ratsam hielten.

    Diesmal, hob der Diakonus an, gilt es vor allem, das Vermgendes Albinus festzustellen und dessen nchste Verwendung zu beraten.Wir brauchen ganz unabweislich Geld, viel Geld.

    Geldsachen sind dein Gebiet, sagte Cethegus trinkend. Ich ver-stehe sie wohl, aber sie langweilen mich.

    Ferner mssen die einflureichen Mnner auf Sizilien, in Neapolisund Apulien gewonnen werden. Hier ist die Liste derselben mit No-tizen ber die einzelnen. Es sind Menschen darunter, bei denen diegewhnlichen Mittel nicht verfangen.

    Gib her, sagte Cethegus, das will ich machen, und zerlegte einenpersischen Apfel.

    Nach einer Stunde angestrengter Arbeit waren die dringendsten Ge-schfte bereinigt, und der Hausherr legte die Dokumente wieder inihr Geheimfach hinter dem groen Kreuz in der Mauer. Der Priesterwar ermdet und sah mit Neid auf den Genossen, dessen sthlernen

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    Krper und unangreifbaren Geist keine spte Stunde, keine Anspan-nung ermatten zu knnen schien. Er uerte etwas dergleichen, alssich Cethegus den silbernen Becher wieder fllte.

    bung, Freund, starke Nerven und setzte er lchelnd hinzu, eingutes Gewissen: das ist das ganze Rtsel.

    Nein, im Ernst, Cethegus, du bist mir auch sonst ein Rtsel.Das will ich hoffen.Nun, hltst du dich fr ein mir so unerreichbar berlegenes We-

    sen?Ganz und gar nicht. Aber doch fr gerade hinreichend tief, um

    andern nicht minder ein Rtsel zu sein als mir selbst. Dein Stolzauf Menschenkenntnis mag sich beruhigen. Es geht mir selbst mit mirnicht besser als dir. Nur die Tropfen sind durchsichtig.

    In der Tat, fuhr der Priester ausholend fort, der Schlssel zu dei-nem Wesen mu sehr tief liegen. Sieh zum Beispiel die Genossen uns-res Bundes. Von jedem lt sich sagen, welcher Grund ihn dazu ge-fhrt hat. Der hitzige Jugendmut einen Licinius, der verrannte, aberehrliche Rechtssinn einen Scvola, mich und die andern Priester derEifer fr die Ehre Gottes.

    Natrlich, sagte Cethegus trinkend.Andere treibt der Ehrgeiz oder die Hoffnung, bei einem Brger-

    krieg ihren Glubigern die Hlse abzuschneiden, oder auch die Lan-geweile ber den geordneten Zustand dieses Landes unter den Gotenoder eine Beleidigung durch einen der Fremden, die allermeisten dernatrliche Widerwille gegen die Barbaren und die Gewhnung, nur imKaiser den Herrn Italiens zu sehen. Bei dir aber schlgt keiner dieserBeweggrnde an und

    Und das ist sehr unbequem, nicht wahr? Denn mittels Kenntnis ih-rer Beweggrnde beherrscht man die Menschen? Ja, ehrwrdiger Got-tesfreund, ich kann dir nicht helfen. Ich wei es wirklich selbst nicht,was mein Beweggrund ist. Ich bin selbst so neugierig darauf, da iches dir herzlich gern sagen und mich beherrschen lassen wollte, wennich es nur entdecken knnte. Nur das eine fhl ich: diese Goten sindmir zuwider. Ich hasse diese vollbltigen Gesellen mit ihren breitenFlachsbrten. Unausstehlich ist mir das Glck dieser brutalen Gutm-tigkeit, dieser naiven Jugendlichkeit, dieses alberne Heldentum, diese

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    ungebrochnen Naturen. Es ist eine Unverschmtheit des Zufalls, derdie Welt regiert, dieses Land nach einer solchen Geschichte mitMnnern wie wie du und ich von diesen Nordbren beherrschenzu lassen. Unwillig warf er das Haupt zurck, drckte die Augen zuund schlrfte einen kleinen Trunk Weines.

    Da die Barbaren fort mssen, sprach der andere, darber sindwir einig. Und fr mich ist damit alles erreicht. Denn ich will ja nurdie Befreiung der Kirche von diesen irrglubigen Barbaren, welche dieGttlichkeit Christi leugnen und nur einen Halbgott aus ihm machen.Ich hoffe, da alsdann der rmischen Kirche der Primat im ganzenGebiet der Christenheit, der ihr gebhrt, unbestritten zufallen wird.Aber so lange Rom in der Hand der Ketzer liegt, whrend der Bischofvon Byzanz von dem allein rechtglubigen und rechtmigen Kaisergesttzt wird

    So lange ist der Bischof von Rom nicht der oberste Bischof derChristenheit, solange nicht Herr Italiens, und deshalb der rmischeStuhl, selbst wenn ein Silverius ihn einnehmen wird, nicht das, was erwerden soll: das Hchste. Und das will doch Silverius.

    berrascht sah der Priester auf.Beunruhige dich nicht, Freund Gottes. Ich wei das lngst und

    habe dein Geheimnis bewahrt, obwohl du es mir nicht vertraut hast.Allein weiter. Er schenkte sich aufs neue ein: Dein Falerner ist gutabgelagert, aber er hat zu viel Se. Du kannst eigentlich nur wn-schen, da diese Goten den Thron der Csaren rumen, nicht, da dieByzantiner an ihre Stelle treten: denn sonst hat der Bischof von Romwieder zu Byzanz seinen Oberbischof und einen Kaiser. Du mut alsoan der Goten Stelle wnschen nicht einen Kaiser Justinian, sondern etwa was?

    Entweder fiel Silverius eifrig ein einen eignen Kaiser desWestreichs

    Der aber, vollendete Cethegus seinen Satz, nur eine Puppe ist inder Hand des heiligen Petrus

    Oder eine rmische Republik, einen Staat der Kirche In welchem der Bischof von Rom der Herr, Italien das Hauptland

    und die Barbarenknige in Gallien, Germanien, Spanien die gehorsa-men Shne der Kirche sind. Schn, mein Freund. Nur mssen erst die

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    Feinde vernichtet sein, deren Spolien du bereits verteilst. Deshalb einaltrmischer Trinkspruch: wehe den Barbaren!

    Er stand auf und trank dem Priester zu. Aber die letzte Nachtwa-che schleicht vorber und meine Sklaven mssen mich am Morgen inmeinem Schlafgemach finden. Leb wohl. Damit zog er den Cucullusdes Mantels ber das Haupt und ging.

    Der Wirt sah ihm nach: Ein hchst bedeutendes Werkzeug! sag-te er zu sich. Gut, da er nur ein Werkzeug ist. Mge er es immerbleiben.

    Cethegus aber schritt von der Via appia her, wo die Kirche des heili-gen Sebastian den Eingang in die Katakomben bedeckt, nach Nordwe-sten dem Kapitole zu, an dessen Fu am Nordende der Via sacra seinHaus gelegen war, nordstlich vom Forum Romanum.

    Die khle Morgenluft strich belebend um sein Haupt.Er schlug den Mantel zurck und dehnte die breite, starke, gewal-

    tige Brust. Ja, ein Rtsel bist du, sprach er vor sich hin; treibstVerschwrung und nchtlichen Verkehr wie ein Republikaner oder einVerliebter von 20 Jahren. Und warum? Ei, wer wei, warum er at-met? Weil er mu. Und so mu ich tun, was ich tue. Eins aber ist ge-wi. Dieser Priester mag Papst werden: er mu es vielleicht werden.Aber eins darf er nicht. Er darf es nicht lange bleiben. Sonst lebt wohl,ihr Gedanken, ihr kaum eingestandenen, die ihr noch Trume seid undWolkendnste: vielleicht aber ballt sich daraus ein Gewitter, das Blitzund Donner fhrt und mein Verhngnis wird. Sieh, es wetterleuchtetim Osten. Gut. Ich nehme das Omen an.

    Mit diesen Worten schritt er in sein Haus. Im Schlafgemach fander auf dem Zederntisch vor seinem Lager einen verschnrten und mitdem kniglichen Siegel gepreten Brief.

    Er schnitt die Schnre mit dem Dolch auf, schlug die doppelteWachstafel auseinander und las:

    An Cethegus Csarius, den Princeps Senatus, Marcus Aurelius Cas-

    siodorus Senator.

    Unser Herr und Knig liegt im Sterben. Seine Tochter und Erbin

    Amalaswintha wnscht dich noch vor seinem Ende zu sprechen. Du

    sollst das wichtigste Reichsamt bernehmen. Eile sogleich nach Ra-

    venna.

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    5. KAPITEL

    Atembeklemmend lag bange Stimmung schwer und schwl berdem Knigspalast zu Ravenna mit seiner dstern Pracht, mit seinerunwirtlichen Weitrumigkeit.

    Die alte Burg der Csaren hatte im Lauf der Jahrhunderte schonso manche stilwidrige Vernderung erfahren. Und seit an die Stelleder Imperatoren der Gotenknig mit seinem germanischen Hofgesin-de getreten war, hatte sie vollends ein wenig harmonisches Aussehenangenommen. Denn viele Rume, die eigentmlichen Sitten des rmi-schen Lebens gedient hatten, standen mit der alten Pracht ihrer Ein-richtung unbenutzt und vernachlssigt: Spinnweben zogen sich berdie Mosaiken der reichen, aber lang nicht mehr betretenen Badegem-cher des Honorius, und in dem Toilettenzimmer der Placidia huschtendie Eidechsen ber das Marmorgesims der Silberspiegel in den Mau-ern. Dagegen hatten die Bedrfnisse eines mehr kriegerischen Hof-halts manche Mauer niedergerissen, um die kleinen Gemcher der an-tiken Huser zu den weiteren Rumen von Waffenslen, Trinkhallen,Wachtzimmern auszudehnen. Man hatte anderseits durch neue Mau-erfhrungen benachbarte Huser mit dem Palast verbunden, und dar-aus eine Festung mitten in der Stadt geschaffen. Es trieben jetzt inder piscina maxima, dem ausgetrockneten Teich, blonde Buben ih-re wilden Spiele, und in den Marmorslen der Palstra wieherten dieRosse der gotischen Wachen. So hatte der weitlufige Bau das unheim-liche Ansehen halb einer kaum noch erhaltenen Ruine, halb eines un-vollendeten Neubaus: und die Burg dieses Knigs erschien so wie einSinnbild seines rmisch-gotischen Reiches, seiner ganzen politischenhalbunfertigen, halbverfallenen Schpfung.

    An dem Tage aber, der Cethegus nach Jahren hier zuerst wiedereintreten sah, lastete ein Gewlk von Spannung, Trauer und Dstreganz besonders schwer auf diesem Haus: denn seine knigliche Seelesollte daraus scheiden.

    Der groe Mann, der von hier aus ein Menschenalter lang die Ge-schicke Europas gelenkt, den Abendland und Morgenland in Liebe undHa bewunderten, der Heros seines Jahrhunderts, der gewaltige Diet-rich von Bern, dessen Namen schon bei seinen Lebzeiten die Sage sich

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    ausschmckend bemchtigt hatte, der groe Amalungen-Knig Theo-derich sollte sterben.

    So hatten es die rzte, wenn nicht ihm selbst, doch seinen Rtenverkndet, und alsbald war es hinausgedrungen in die groe, volk-reiche Stadt. Obwohl man seit langem einen solchen Ausgang der ge-heimnisvollen Leiden des greisen Frsten fr mglich gehalten, erfll-te doch jetzt die Kunde von dem drohenden Eintritt des verhngnis-vollen Schlages alle Herzen mit der hchsten Aufregung.

    Die treuen Goten trauerten und bangten: aber auch bei der rmi-schen Bevlkerung war eine dumpfe Spannung die vorherrschendeEmpfindung. Denn hier in Ravenna, in der unmittelbaren Nhe desKnigs, hatten die Italier die Milde und Hoheit dieses Mannes im all-gemeinen zu bewundern und durch besondere Wohltaten zu erfahrenam hufigsten Gelegenheit gehabt. Ferner frchtete man nach dem To-de dieses Knigs, der whrend seiner ganzen Regierung, mit einzigerAusnahme der jngsten Kmpfe mit dem Kaiser und dem Senat, inwelchem Bothius und Symmachus geblutet, die Italier vor der Ge-waltttigkeit und Rauheit seines Volkes beschtzt hatte, unter einemneuen Regiment Hrte und Druck von seiten der Goten zu erfahren.

    Endlich aber wirkte noch ein anderes, hheres: die Persnlichkeitdieses Heldenknigs war so groartig, so majesttisch gewesen, daauch diejenigen, die seinen und seines Reiches Untergang oft herbei-gewnscht hatten, doch in dem Augenblick, da nun diese Sonne erl-schen sollte, sich niedriger Schadenfreude nicht hingeben und ernste-rer Erschtterung nicht erwehren konnten.

    So war die Stadt schon seit grauendem Morgen da man zuerstvom Palast Boten nach allen Winden hatte jagen und einzelne Dienerin die Huser der vornehmen Goten und Rmer hatte eilen sehen in hchster Erregung. In den Straen, auf den Pltzen, in den Bdernstanden die Mnner paarweise oder in Gruppen beisammen, fragtenund teilten sich mit, was sie wuten, suchten eines Vornehmen hab-haft zu werden, der vom Palaste herkam, und sprachen ber die ern-sten Folgen des bevorstehenden Ereignisses. Weiber und Kinder kau-erten neugierig auf den Schwellen der Huser. Mit den wachsendenStunden des Tages strmte sogar schon die Bevlkerung der nchstenDrfer und Stdte, besonders trauernde Goten, forschend in die Tore

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    Ravennas. Die Rte des Knigs, voraus der Prfektus Prtorio Cassio-dorus, der sich in diesen Tagen um Aufrechterhaltung der Ordnunghohes Verdienst erwarb, hatten solche Aufregung vorausgesehen, viel-leicht Schlimmeres erwartet.

    Seit Mitternacht waren alle Zugnge zum Palast geschlossen undmit gotischen Wachen besetzt. Auf dem Forum des Honorius, vor derStirnseite des Gebudes, war ein Zug Reiter aufgestellt. Auf den brei-ten Marmorstufen, die zu der stolzen Sulenreihe des Hauptportalshinauffhrten, waren starke Scharen gotischen Fuvolks, mit Schildund Speer, in malerischen Gruppen gelagert.

    Nur hier konnte man, nach Cassiodors Befehl, Eintritt in den Pa-last erlangen, und nur die beiden Anfhrer des Fuvolks, der RmerCyprian und der Gote Witichis durften die Erlaubnis dazu erteilen. Er-sterer war es, der Cethegus einlie. Wie dieser den altbekannten Wegzum Gemach des Knigs verfolgte, fand er in den Hallen und Gngender Burg die Goten und Italier, denen ihr Rang und Ansehen Zutritterwarben, in ungleiche Gruppen verteilt.

    Schweigend und traurig standen in der sonst so lauten Trinkhalledie jungen Tausendfhrer und Hundertfhrer der Goten beisammenoder flsterten einzelne besorgte Fragen, whrend hier und da ein l-terer Mann, ein Waffengefhrte des sterbenden Helden, in einer Ni-sche der Bogenfenster lehnte, seinen lauten Schmerz zu verbergen; inder Mitte des Saales stand, laut weinend, das Haupt an einen Pfei-ler drckend, ein reicher Kaufmann von Ravenna: der Knig, der jetztscheiden sollte, hatte ihm eine Verschwrung verziehen und seine Wa-renhallen vor der Plnderung durch die ergrimmten Goten gerettet.

    Mit einem kalten Blick der Geringschtzung schritt Cethegus andem allen vorber. Er ging weiter.

    In dem nchsten Gemach, dem zum Empfang fremder Gesandtenbestimmten Saal, fand er eine Anzahl von vornehmen Goten, Herzo-gen, Grafen und Edeln beisammen, die offenbar Beratung hielten berden Thronwechsel und den drohenden Umschwung der Verhltnisse.

    Da waren die tapferen Herzoge Thulun von Provincia, der die StadtArles heldenmtig gegen die Franken verteidigt hatte, Ibba von Ligu-ria, der Eroberer von Spanien, Pitza von Dalmatia, der Besieger der

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    Bulgaren und Gepiden, gewaltige, trotzige Herren, stolz auf ihren al-ten Adel, der dem Knigshaus der Amaler wenig nachgab denn siewaren aus dem Geschlecht der Balten, das bei den Westgoten durchAlarich die Krone gewonnen hatte , und auf ihre kriegerischen Ver-dienste, die das Reich beschirmt und erweitert.

    Auch Hildebad und Teja standen bei ihnen.Das waren die Fhrer der Partei, die lngst eine hrtere Behand-

    lung der Italier, welche sie haten und scheuten zugleich, begehrt unddie nur widerstrebend dem milden Sinn des Knigs sich gefgt hatten.Wilde Blicke des Hasses schossen aus ihrer Mitte auf den vornehmenRmer, der da Zeuge der Sterbestunde des groen Gotenhelden seinwollte. Ruhig schritt Cethegus an ihnen vorber und hob den schwe-ren Wollvorhang auf, der den nchsten Raum abschied, das Vorzimmerdes Krankengemaches. Eintretend begrte er mit tiefer Verbeugungdes Hauptes eine hohe knigliche Frau, die, in schwarze Trauerschlei-er gehllt, ernst und schweigend, aber in fester Fassung und ohne Tr-nen vor einem mit Urkunden bedeckten Marmortische stand: das warAmalaswintha, die verwitwete Tochter Theoderichs.

    Eine Frau in der Mitte der Dreiiger war sie noch von auerordent-licher, wenn auch kalter Schnheit. Sie trug das reiche, dunkle Haarnach griechischer Weise gescheitelt und gewellt. Die hohe Stirn, dasgroe, runde Auge, die geradlinige Nase, der Stolz ihrer fast mnn-lichen Zge und die Majestt ihrer vollen Gestalt verliehen ihr ge-bietende Wrde, und in dem ganz nach hellenischem Stil gefaltetenTrauergewand glich sie in der Tat einer von ihrem Postament herun-tergeschrittenen Hera des Polyklet.

    An ihrem Arme hing, mehr gesttzt als sttzend, ein Knabe oderJngling von etwa siebzehn Jahren, Athalarich, ihr Sohn, des Goten-reiches Erbe. Er glich nicht der Mutter, sondern hatte die Natur seinesunglcklichen Vaters Eutharich, den eine zehrende Krankheit des Her-zens in der Blte seiner Jahre in das Grab gezogen hatte. Mit Sorgesah deshalb Amalaswintha ihren Sohn in allem ein Ebenbild des Vaterswerden, und es war kaum mehr ein Geheimnis am Hofe von Ravenna,da alle Spuren jener Krankheit sich schon in dem Knaben zeigten. At-halarich war schn wie alle Glieder dieses von den Gttern stammen-den Hauses. Starke schwarze Brauen, lange Wimpern beschatteten ein

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    edles, dunkles Auge, das aber bald wie in unbestimmten Trumenzerflo, bald in geisterhaftem Glanz aufblitzte. Dunkelbraune wirreLocken hingen in die bleiche Schlfe, in der bei lebhafter Erregung diefeinen blauen Adern krampfhaft zuckten. Der edlen Stirn hatte leib-licher Schmerz oder schwere Entsagung tiefe Furchen eingezeichnet,befremdlich auf diesem jugendlichen Antlitz. Rasch wechselten Mar-morblsse und heies Rot auf den durchsichtigen Wangen. Die hochaufgeschossene, aber geknickte Gestalt schien meistens wie mde inihren Fugen zu hangen und scho nur manchmal mit erschreckenderRaschheit in die Hhe. Er sah den eintretenden Cethegus nicht, denner hatte, an der Mutter Brust gelehnt, den griechischen Mantel klagendum das junge Haupt geschlagen, das bald eine schwere Krone tragensollte.

    Fern von diesen beiden an dem offenen Bogen des Gemaches, derden Blick auf die von den Gotenkriegern besetzten Marmorstufen ge-whrte, stand, in trumerisches Sinnen verloren, ein Weib oder wares eine Jungfrau? von berraschender, blendender, berwltigenderSchnheit: das war Mataswintha, Athalarichs Schwester. Sie glich derMutter an Adel und Hhe der Gestalt, aber ihre schrferen Zge hat-ten ein feuriges, leidenschaftliches Leben, das sich nur wenig unterangenommener Klte barg. Ihre Gestalt, ein reizvolles Ebenma vonblhender Flle und feiner Schlankheit, mahnte an jene bezwunge-ne Artemis in den Armen des Endymion in der Gruppe des Agesan-der, die, nach der Sage, der Rat von Rhodos hatte aus der Stadt ver-bannen mssen, weil diese marmorne Sinnlichkeit die Jnglinge desEilands zum Wahnsinn und Selbstmord getrieben hatte. Der Zauberhchster reifer Mdchenschnheit zitterte ber dem Wesen. Ihr reich-wallendes Haar war dunkelrot mit einem schillernden Metallglanz undvon so auerordentlicher Wirkung, da er der Frstin, selbst bei die-sem durch die prchtigen Goldlocken seiner Weiber berhmten Volk,den Namen Schnhaar verschafft hatte. Ihre Augenbrauen aber unddie langen Wimpern waren glnzend schwarz und hoben die blen-dend weie Stirn, die alabasternen Wangen leuchtend hervor. Die feingebogene Nase mit den zartgeschnittenen, manchmal leise zuckendenFlgeln senkte sich auf einen ppig schwellenden Mund. Aber das Auf-fallendste an dieser auffallenden Schnheit war das graue Auge, nicht

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    so fast durch die ziemlich unbestimmte Farbe, wie durch den wun-derbaren Ausdruck, mit dem es, meist in trumerisches Sinnen verlo-ren, manchmal in vermengender Leidenschaft aufleuchten konnte. Inder Tat, wie sie da an dem Fenster lehnte, in der halb hellenischen,halb gotischen von ihrer Phantasie erfinderisch zusammengewhltenTracht, den weien, hochgewlbten Arm um die dunkle Porphyrsulegeschlungen und hinaustrumend in die Abendluft, glich ihre verfh-rerische Schnheit jenen unwiderstehlichen Waldfrauen oder Wellen-mdchen, deren allverstrickende Liebesgewalt von jeher die germani-sche Sage gefeiert hat. Und so gro war die Macht dieser Schnheit,da selbst die ausgebrannte Brust des Cethegus, der die Frstin lngstkannte, bei seinem Eintritt von neuem Staunen berhrt wurde.

    Doch wurde er sogleich in Anspruch genommen von dem letztender im Gemach Anwesenden, von Cassiodor, dem gelehrten und treuenMinister des Knigs, dem ersten Vertreter jener wohlwollenden, aberhoffnungslosen Vershnungspolitik, die seit einem Menschenalter imGotenreich gebt wurde. Der alte Mann, dessen ehrwrdige und mildeZge der Schmerz um den Verlust seines kniglichen Freundes nichtweniger bewegte als die Sorge um die Zukunft des Reiches, stand aufund ging mit schwankenden Schritten dem Eintretenden entgegen, dersich ehrfurchtsvoll verneigte. In Trnen schwimmend ruhte das Augedes Greises auf ihm, endlich sank er seufzend an die kalte Brust desCethegus, der ihn fr diese Weichheit verachtete.

    Welch ein Tag! klagte er.Ein verhngnisvoller Tag, sprach Cethegus ernst; er fordert Kraft

    und Fassung.Recht sprichst du, Patricius, und wie ein Rmer, sagte die Fr-

    stin, sich von Athalarich losmachend, sei gegrt. Sie reichte ihmdie Hand, die nicht bebte, ihr Auge war klar.

    Die Schlerin der Stoa bewhrt an diesem Tage die Weisheit Zenosund die eigne Kraft, sprach Cethegus.

    Sagt lieber, die Gnade Gottes krftigt ihre Seele wunderbar, ver-besserte Cassiodor.

    Patricius, begann Amalaswintha, der Prfectus Prtorio hat dichmir vorgeschlagen, wenn ich dich nicht lngst schon kennte. Du bist

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    derselbe Cethegus, der die ersten beiden Gesnge der neis in griechi-sche Hexameter bertragen hat!

    Indandum renovare jubes, regina, dolorem. Eine Jugendsnde, K-nigin, lchelte Cethegus. Ich habe alle Abschriften aufgekauft undverbrannt an dem Tage, da die bersetzung Tullias erschien.

    Tullia war das Pseudonym Amalaswinthas. Cethegus wute das:aber die Frstin hatte von dieser seiner Kenntnis keine Ahnung. Siewar an ihrer schwchsten Stelle geschmeichelt und fuhr fort: Duweit, wie es hier steht. Die Atemzge meines Vaters sind gezhlt:nach dem Ausspruch der rzte kann er, obwohl noch rstig und stark,jeden Augenblick tot zusammenbrechen. Athalarich hier ist der Erbeseiner Krone. Ich aber fhre an seiner Statt die Regentschaft und berihn die Mundschaft, bis er zu seinen Tagen gekommen.

    So ist der Wille des Knigs, und Goten und Rmer haben dieserWeisheit lngst schon zugestimmt, sagte Cethegus.

    So taten sie. Aber die Menge ist wandelbar. Die rohen Mnner ver-achten die Herrschaft eines Weibes und sie zog bei diesem Gedan-ken die Stirn in zornige Falten.

    Es widerstreitet immerhin dem Staatsrecht der Goten wie der R-mer, begtigte Cassiodor, es ist ganz neu, da ein Weib

    Die undankbaren Rebellen! murmelte Cethegus, gleichsam frsich.

    Wie man darber denken mag, fuhr die Frstin fort, es ist so.Gleichwohl baue ich auf die Treue der Barbaren im ganzen, mgenauch einzelne aus dem Adel Gelste nach der Krone tragen. Auch vonden Italiern hier in Ravenna, wie in den meisten Stdten, frchte ichnicht. Aber ich frchte Rom und die Rmer.

    Cethegus horchte auf: sein ganzes Wesen war in pltzlicher Erre-gung, aber sein Antlitz blieb eisig kalt.

    Rom wird sich niemals an die Herrschaft der Goten gewhnen, eswird uns ewig widerstreben wie knnte es anders! setzte sie seuf-zend hinzu. Es war, als ob die Tochter Theoderichs eine rmische Seelehtte.

    Wir frchten deshalb, ergnzte Cassiodor, da auf die Kunde vonder Erledigung des Throns zu Rom eine Bewegung gegen die Regentin

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    ausbrechen knnte, sei es fr Anschlu an Byzanz, sei es fr Erhebungeines eigenen Kaisers des Abendlandes.

    Cethegus schlug, wie nachsinnend, die Augen nieder. Darum, fiel die Knigin rasch ein, mu, schon ehe jene Kunde

    zu Rom eintrifft, alles geschehen sein. Ein entschlossener, mir treu er-gebener Mann mu die Besatzung fr mich ich meine fr meinenSohn vereidigen, die wichtigsten Tore und Pltze besetzen, Senatund Adel einschchtern, das Volk fr mich gewinnen und meine Herr-schaft unerschtterlich aufrichten, ehe sie noch bedroht ist. Und frdies Geschft hat Cassiodor dich vorgeschlagen. Sprich, willst du esbernehmen?

    Bei diesen Worten war der goldne Griffel aus ihrer Hand zur Erdegefallen. Cethegus bckte sich, ihn aufzuheben. Er hatte nur dieseneinen Augenblick fr die hundert Gedanken, die bei diesem Antragsich in seinem Kopfe kreuzten.

    War die Verschwrung in den Katakomben, war vielleicht er selbstverraten? Lag hier eine Schlinge des schlauen und herrschschtigenWeibes? Oder waren die Toren wirklich blind, gerade ihm dies Amtaufzudrngen? Und wenn dem so war, was sollte er tun? Sollte er denMoment benutzen, sogleich loszuschlagen, Rom zu gewinnen? Und frwen? Fr Byzanz oder fr einen Kaiser im Abendlande? Und wer solltedas werden? Oder waren die Dinge noch nicht reif? Sollte er fr dies-mal aus Treulosigkeit Treue ben? Fr all diese und manche andereZweifel und Fragen hatte er, sie zu stellen und zu lsen, nur den einenMoment, da er sich bckte: sein rascher Geist brauchte nicht mehr:er hatte im Bcken das arglos vertrauende Gesicht Cassiodors gese-hen, und entschlossen sprach er, den Griffel berreichend: Knigin,ich bernehme das Geschft.

    Das ist gut, sagte die Frstin. Cassiodor drckte seine Hand.Wenn Cassiodor, fuhr Cethegus fort, mich zu diesem Amte vor-

    geschlagen, so hat er wieder einmal seine tiefe Menschenkenntnis be-whrt. Er hat durch meine Schale auf meinen Kern gesehen.

    Wie meinst du das? fragte Amalaswintha.Knigin, der Schein konnte ihn trgen. Ich gestehe, da ich die

    Barbaren verzeihe! die Goten nicht gern in Italien herrschen sehe.Dieser Freimut ehrt dich, und ich verzeih es dem Rmer.

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    Dazu kommt, da ich seit Jahrzehnten dem Staat, dem ffentli-chen Leben keine Teilnahme mehr zuwandte. Nach vielen Leidenschaf-ten leb ich ohne alle Leidenschaft nur einer spielenden Mue undleichten Gelehrsamkeit, unbekmmert um die Sorgen der Knige, aufmeinen Willen.

    Beatus ille qui procul negotiis, zitierte seufzend die gelehrte Frau.Aber eben weil ich die Wissenschaft verehre, weil ich, ein Sch-

    ler Platons, will, da die Weisen herrschen sollen, deshalb wnscheich, da eine Knigin mein Vaterland regiere, die nur der Geburt nachGotin, der Seele nach Griechin, der Tugend nach Rmerin ist.

    Ihr zuliebe will ich meine Mue den verhaten Geschften opfern.Aber nur unter der Bedingung, da dies mein letztes Staatsamt sei. Ichbernehme deinen Auftrag und stehe dir fr Rom mit meinem Kopf.

    Gut, hier findest du die Vollmachten, die Dokumente, deren dubedarfst.

    Cethegus durchflog die Urkunden. Dies ist das Manifest des jungenKnigs an die Rmer, mit deiner Unterschrift. Seine Unterschrift fehltnoch.

    Amalaswintha tauchte die gnidische Rohrfeder in das Gef mitPurpurtinte, deren sich die Amaler, wie die rmischen Imperatoren,bedienten: Komm, schreibe deinen Namen, mein Sohn.

    Athalarich hatte whrend der ganzen Verhandlung stehend und mitbeiden Armen vorgebeugt auf den Tisch gesttzt, Cethegus scharf be-obachtet. Jetzt richtete er sich auf: er war gewohnt, in seinen Formendie Rechte eines Thronfolgers und eines Kranken zu gebrauchen:

    Nein, sagte er heftig, Ich schreibe nicht. Nicht blo, weil ich die-sem kalten Rmer nicht traue, nein, ich traue dir gar nicht, du stolzerMann! Es ist emprend, da ihr, whrend mein hoher Grovaternoch atmet, schon an seiner Krone herumtappt, ihr Zwerge nach derKrone des Riesen. Schmt euch eurer Fhllosigkeit. Hinter jenen Vor-hngen stirbt der grte Held des Jahrhunderts und ihr denkt nur andie Teilung seiner Knigsgewnder.

    Er wandte ihnen den Rcken und schritt langsam nach dem Fen-ster zu, wo er den Arm um seine schne Schwester schlang und ihrschimmervolles, glnzendes Haar streichelte.

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    Lange stand er so, sie achtete seiner nicht. Pltzlich fuhr sie auf ausihrem Sinnen: Athalarich, flsterte sie, hastig seinen Arm fassendund hinausdeutend auf die Marmorstufen, wer ist der Mann dort imblauen Stahlhelm, der eben um die Sule biegt? Sprich, wer ist es?

    La sehn, sagte der Jngling sich vorbeugend, der dort? Ei, dasist Graf Witichis, der Besieger der Gepiden, ein wackrer Held. Und ererzhlte ihr von den Taten und Erfolgen des Grafen im letzten Kriege.

    Indessen hatte Cethegus die Frstin und den Minister fragend ange-sehen. La ihn! seufzte Amalaswintha. Wenn er nicht will, zwingtihn keine Macht der Erde.

    Weiteres Fragen des Cethegus ward abgeschnitten, indem sich derdreifache Vorhang auftat, der das Schlafgemach des Knigs von allemGerusch des Vorzimmers schied. Es war Elpidios, der griechische Arzt,der, die schweren Falten aufhebend, berichtete, der Kranke, eben auslangem Schlummer erwacht, habe ihn fortgeschickt, um mit dem altenHildebrand allein zu sein: dieser wich nie von seiner Seite.

    6. KAPITEL

    Das Schlafgemach Theoderichs, schon von den Kaisern zu gleichemZweck benutzt, zeigte die dstre Pracht des spten rmischen Stils. Dieberladenen Reliefs an den Wnden, die Goldornamentik der Deckeschilderten noch Siege und Triumphzge der rmischen Konsuln undImperatoren: heidnische Gtter und Gttinnen schwebten stolz dar-ber hin, berall in der Architektur und Dekoration waltete drcken-der Prunk.

    Dazu bildete einen merkwrdigen Gegensatz das Lager des Goten-knigs in seiner schlichten Einfachheit. Kaum einen Fu vom Marmor-boden erhob sich das ovale Gestell von rohem Eichenholz, das wenigeDecken fllten. Nur der kstliche Purpurteppich, der die Fe verhll-te, und das Lwenfell mit goldnen Tatzen, ein Geschenk des Vandalen-knigs aus Afrika, das vor dem Bette lag, bekundeten die Knigshoheitdes Kranken. Alles Gert, das sonst das Gemach erfllte, war prunklos,schlicht, fast barbarisch schwer.

    An einer Sule im Hintergrund hing der eherne Schild und das brei-te Schwert des Knigs, seit vielen Jahren nicht mehr gebraucht. Am

  • 39

    Kopfende des Lagers stand, gebeugten Hauptes, der alte Waffenmei-ster, die Zge des Kranken sorglich prfend: dieser, auf den linken Armgesttzt, kehrte ihm das gewaltige, das majesttische Antlitz zu. SeinHaar war sprlich und an den Schlfen abgerieben durch den lang-jhrigen Druck des schweren Helmes, aber noch glnzend hellbraun,ohne irgend graue oder weie Spuren. Die mchtige Stirn, die blitzen-den Augen, die stark gebogene Nase, die tiefen Furchen der Wangensprachen von groen Aufgaben und von groer Kraft, sie zu lsen,und machten den Eindruck des Gesichts kniglich und hehr: aber diewohlwollende Weichkeit des Mundes bekundete, trotz des grimmigenund leise ergrauenden Bartes, jene Milde und friedliche Weisheit, mitwelcher der Knig ein Menschenalter lang fr Italien eine goldne Zeitzurckgefhrt und sein Reich zu einer Blte erhoben hatte, die damalsschon Sprichwort und Sage feierten.

    Lange lie er mit Huld und Liebe das goldbraune Adlerauge aufdem riesigen Krankenwart ruhen. Dann reichte er ihm die magere abernervige Rechte. Alter Freund, sagte er, nun wollen wir Abschiednehmen.

    Der Greis sank in die Knie und drckte die Hand des Knigs an diebreite Brust. Komm, Alter, steh auf: mu ich dich trsten?

    Aber Hildebrand blieb auf den Knien und erhob nur das Haupt, daer dem Knig ins Auge sehen konnte. Sieh, sprach dieser, ich wei,da du, Hildungs Sohn, von deinen Ahnen, von deinem Vater her tiefe-re Geheimkunde hast von der Menschen Siechtum und Heilung, alsalle diese griechischen rzte und lydischen Salbenkrmer. Und vor al-lem; du hast mehr Wahrhaftigkeit. Darum frage ich dich, du sollst mirredlich besttigen, was ich selbst fhle: sprich, ich mu sterben? heutenoch? noch vor Nacht?

    Und er sah ihn an mit einem Auge, das nicht zu tuschen war. Aberder Alte wollte gar nicht tuschen, er hatte jetzt seine zhe Kraft wie-der. Ja, Gotenknig, Amalungen-Erbe, du mut sterben, sagte er:Die Hand des Todes hat ber dein Antlitz gestrichen. Du wirst dieSonne nicht mehr sinken sehen.

    Es ist gut, sagte Theoderich, ohne mit der Wimper zu zucken.Siehst du, der Grieche, den ich fortgeschickt, hat mir noch von ganzenTagen vorgelogen. Und ich brauche doch meine Zeit.

  • 40

    Willst du wieder die Priester rufen lassen? fragte Hildebrand,nicht mit Liebe.

    Nein, ich konnte sie nicht brauchen. Und ich brauche sie nichtmehr.

    Der Schlaf hat dich sehr gestrkt und den Schleier von deiner Seelegenommen, der sie so lange verdunkelt. Heil dir, Theoderich, Theode-mers Sohn, du wirst sterben wie ein Heldenknig.

    Ich wei, lchelte dieser, die Priester waren dir nicht genehm andiesem Lager. Du hast recht. Sie konnten mir nicht helfen.

    Nun aber, wer hat dir geholfen?Gott und ich selbst. Hre. Und diese Worte sollen unser Abschied

    sein! Mein Dank fr deine Treue von 50 Jahren sei es, da ich dirallein, nicht meiner Tochter, nicht Cassiodor das vertraue, was michgeqult hat. Sprich: was sagt man im Volk, was glaubst du, da jeneSchwermut war, die mich pltzlich befallen und in dieses Siechtumgestrzt hat?

    Die Welschen sagen: Reue ber den Tod des Bothius und Symma-chus.

    Hast du das geglaubt?Nein, ich mochte nicht glauben, da dich das Blut der Verrter

    bekmmern kann.Du hast wohlgetan. Sie waren vielleicht nicht des Todes schuldig

    nach dem Gesetz, nach ihren Taten. Und Bothius habe ich sehr ge-liebt. Aber sie waren tausendfach Verrter! Verrter in ihren Gedan-ken. Verrter an meinem Vertrauen, an meinem Herzen. Ich habe sie,die Rmer, hher gehalten als die Besten meines Volkes. Und sie ha-ben, zum Dank, meine Krone dem Kaiser gewnscht, dem ByzantinerSchmeichelbriefe geschrieben: sie haben einen Justin und einen Ju-stinian der Freundschaft des Theoderich vorgezogen: mich reut derUndankbaren nicht. Ich verachte sie! Rate weiter! Du, was hast dugeglaubt?

    Knig: dein Erbe ist ein Kind, und du hast ringsum Feinde.Der Kranke zog die khnen Brauen zusammen: Du triffst nher ans

    Ziel. Ich habe stets gewut, was meines Reiches Schwche. In bangenNchten hab ich geseufzt um seine innere Krankheit, wann ich am

  • 41

    Abend beim Gastgelag den fremden Gesandten den Stolz hchster Zu-versicht gezeigt hatte. Alter, du hast, ich wei, mich fr allzu sichergehalten. Aber mich durfte niemand beben sehen. Nicht Freund nochFeind. Sonst bebte mein Thron. Ich habe geseufzt, wann ich einsamwar, und meine Sorge allein getragen.

    Du bist die Weisheit, mein Knig, und ich war ein Tor! rief derAlte.

    Sieh, fuhr der Knig fort, mit der Hand ber die des Alten strei-chend, ich wei alles, was dir nicht recht an mir gewesen. Auch dei-nen blinden Ha gegen die Welschen kenne ich. Glaube mir, er istblind. Wie vielleicht meine Liebe zu ihnen war. Hier seufzte er undhielt inne.

    Was qulst du dich?Nein, la mich vollenden. Ich wei es, mein Reich, das Werk mei-

    nes ruhmvollen, mhevollen Lebens, kann fallen, leicht fallen. Undvielleicht durch Schuld meiner Gromut gegen diese Rmer. Sei esdarum! Kein Menschenbau ist ewig, und die Schuld zu edler Gte ich will sie tragen.

    Mein groer Knig!Aber, Hildebrand, in einer Nacht, da ich so wachte, sorgte und

    seufzte ber den Gefahren meines Reiches, da stieg mir vor der Seeleauf das Bild einer andern Schuld! Nicht der Gte, nein, der Ruhm-sucht, der blutigen Gewalt. Und wehe, wehe mir, wenn das Volk derGoten sollte untergehn zur Strafe fr Theoderichs Frevel! Sein, seinBild tauchte mir empor!

    Der Kranke sprach nun mit Anstrengung und zuckte einen Augen-blick. Wessen Bild? Wen meinst du? fragte der Alte leise, sich vor-beugend.

    Odoaker! flsterte der Knig. Hildebrand senkte das Haupt. Einbanges Schweigen unterbrach endlich Theoderich: Ja, Alter, dieseRechte du weit es hat den gewaltigen Helden durchstoen, beimMahl, meinen Gast. Hei spritzte sein Blut mir ins Gesicht, und einHa ohne Ende sprhte auf mich aus seinem brechenden Auge. Vorwenigen Monden, in jener Nacht, stieg sein blutiges, bleiches, zrnen-des Bild wie ein Rachegott vor mir auf. Fiebernd zuckte mein Herz

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    zusammen. Und furchtbar sprachs in mir: um dieser Bluttat willenwird dein Reich zerfallen und dein Volk vergehn.

    Nach einer neuen Pause begann diesmal Hildebrand, trotzig auf-blickend: Knig, was qulst du dich wie ein Weib? Hast du nichtHunderte erschlagen mit eigner Hand und dein Volk Tausende auf deinGebot? Sind wir nicht von den Bergen in dies Land herabgestiegen inmehr als 30 Schlachten, im Blute watend kncheltief? Was ist dagegendas Blut des einen Mannes! Und denk: wie es stand. Vier Jahre hatteer dir widerstanden wie der Auerstier dem Bren. Zweimal hatte erdich und dein Volk hart an den Rand des Verderbens gedrngt. Hun-ger, Schwert und Seuche rafften deine Goten dahin. Endlich, endlichfiel das trotzige Ravenna; ausgehungert, durch Vertrag. Bezwungenlag der Todfeind dir zu Fen. Da kommt die Warnung, er sinnt Ver-rat, er will noch einmal den grlichen Kampf aufnehmen, er will zurNacht desselben Tages dich und die Deinen berfallen. Was solltest dutun? Ihn offen zur Rede stellen? War er schuldig, so konnte das nichtretten. Khn kamst du ihm zuvor und tatest ihm abends, was er dirnachts getan htte. Und wie hast du deinen Sieg bentzt! Die eine Tathat all dein Volk gerettet, hat einen neuen Kampf der Verzweiflungerspart. Du hast all die Seinen begnadigt, hast Goten und Welsche 30Jahre leben lassen wie im Himmelreich. Und nun willst du um jene Tatdich qulen? Zwei Vlker danken sie dir in Ewigkeit. Ich ich htt ihnsiebenmal erschlagen.

    Der Alte hielt inne, sein Auge blitzte, er sah wie ein zorniger Rieseaus. Aber der Knig schttelte das Haupt.

    Das ist nichts, alter Recke, alles nichts! Hundertmal hab ich mirdasselbe gesagt, und verlockender, feiner, als deine Wildheit es ver-mag. Das hilft alles nichts. Er war ein Held, der einzige meinesglei-chen! Aus Argwohn, aus Eifersucht, ja es mu gesagt sein, ausFurcht aus Furcht, noch einmal mit ihm ringen zu sollen. Das warund ist und bleibt ein Frevel. Und ich fand keine Ruhe hinter Ausre-den. Dstre Schwermut fiel auf mich. Seine Gestalt verfolgte mich seitjener Nacht unaufhrlich. Beim Schmaus und im Rat, auf der Jagd,in der Kirche, im Wachen und im Schlafen. Da schickte mir Cassio-dor die Bischfe, die Priester. Sie konnten mir nicht helfen. Sie hrtenmeine Beichte, sahen meine Reue, meinen Glauben, und vergaben mir