Das Adsorptionsvermögen der Plasmaproteine : Weitere Untersuchungen

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Acta Medica Scandinavica. Vol. XCI, fasc. 1-11, 1937. (Aus der Medizinischen Abteilung des Stenggrd Krankenhauses in Helsing- fors, Chefarzt Professor Dr. med. William Kerppola.) Das Adsorptionsvermiigen der Plasmaproteine.' Weitere Untersuchungen. Von M. CH. EHRSTR6M. In einer fruheren Arbeit habe ich gezeigt, dass die Adsorptions- fiihigkeit der Plasmaproteine gegeniiber Kongorot bei Nephrosen oder richtiger gesagt bei Nephropathien mit grosser Albuminurie herabgesetzt ist. Wenn ein normales Plasma oder seine Albumin- fraktion in vitro mit Kongorot geftirbt, diese mit einer Tierkohle- suspension vermischt und die Mischung filtriert wird, entfarbt sich das Plasma kaum irgendwie (maximum 8 yo), wahrend die Albumin- fraktion bei dieser Behandlung ungefiihr die Halfte ihrer Farbe verliert (maximum 55 06). Ein Nephroseplasma l h s t sich dagegen weit starker entfarben, Ganzplasma um iiber 50 %. Die Albumin- fraktion kann in einigen Fallen ihre gesamte Farbe verlieren. Hierbei ist zu beachten, dass die Entfarbungsintensitat nicht von den quantitativen Verhaltnissen der Plasmaproteine diktiert wird, d.h. sie beruht nicht direkt auf einem verminderten Proteingehalt des Plasmas (Hypoproteinamie), sondern muss mit einer herab- gesetzten Adsorptionsfahigkeit bei den vorhandenen Plasmaprotei- nen in Zusammenhang gebracht werden. Hierin liegt eine wahrscheinliche Erklarung fur die Tatsache, dass die intravenose Kongoprobe auf Amyloid (ad modum Benn- hold) nicht nur bei Amyloidnephrose, sondern auch bei Nephrose ohne Arnyloid positiv ausfallt. Bei der Redaktion am 16. November 1936 eingegangen.

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Acta Medica Scandinavica. Vol. XCI, fasc. 1-11, 1937.

(Aus der Medizinischen Abteilung des Stenggrd Krankenhauses in Helsing- fors, Chefarzt Professor Dr. med. William Kerppola.)

Das Adsorptionsvermiigen der Plasmaproteine.' Weitere Untersuchungen.

Von

M. CH. EHRSTR6M.

In einer fruheren Arbeit habe ich gezeigt, dass die Adsorptions- fiihigkeit der Plasmaproteine gegeniiber Kongorot bei Nephrosen oder richtiger gesagt bei Nephropathien mit grosser Albuminurie herabgesetzt ist. Wenn ein normales Plasma oder seine Albumin- fraktion in vitro mit Kongorot geftirbt, diese mit einer Tierkohle- suspension vermischt und die Mischung filtriert wird, entfarbt sich das Plasma kaum irgendwie (maximum 8 yo), wahrend die Albumin- fraktion bei dieser Behandlung ungefiihr die Halfte ihrer Farbe verliert (maximum 55 06). Ein Nephroseplasma l h s t sich dagegen weit starker entfarben, Ganzplasma um iiber 50 %. Die Albumin- fraktion kann in einigen Fallen ihre gesamte Farbe verlieren. Hierbei ist zu beachten, dass die Entfarbungsintensitat nicht von den quantitativen Verhaltnissen der Plasmaproteine diktiert wird, d.h. sie beruht nicht direkt auf einem verminderten Proteingehalt des Plasmas (Hypoproteinamie), sondern muss mit einer herab- gesetzten Adsorptionsfahigkeit bei den vorhandenen Plasmaprotei- nen in Zusammenhang gebracht werden.

Hierin liegt eine wahrscheinliche Erklarung fur die Tatsache, dass die intravenose Kongoprobe auf Amyloid (ad modum Benn- hold) nicht nur bei Amyloidnephrose, sondern auch bei Nephrose ohne Arnyloid positiv ausfallt.

Bei der Redaktion am 16. November 1936 eingegangen.

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192 M . CH. EHRSTROM.

Das Amyloid ist infolge seiner Affinitat vis-A-vis dem Kongo- farbstoff ein konkurrierendes Adsorbens fur die Plasmaproteine und da die Adsorptionsfahigkeit der letztgenannten herabgesetzt ist, nimmt das Amyloid die Farbe mit Leichtigkeit auf. Bei Ne- phrosen ohne Amyloid kann jedoch das Plasma den Farbstoff mit Normalkraft auch nicht festhalten (seine Adsorptionsfahigkeit ist herabgesetzt). Es machen sich vielmehr konkurrierende Adsor- bentia in den Geweben geltend (das retikuloendoteliale System?) und berauben es der Farbe.

Aus meinen Untersuchungen ging hervor, dass die herabgekietzte Adsorptionsfahigkeit ,( = gesteigerte Entfarbbarkeit) des Plasmas in vielen Fallen nicht bei der intravenosen Kongoprobe, sondern erst bei der Farbung und Entfarbung in vitro in Erscheinung trat. Obwohl die intravenose Kongoprobe negativ ausfiel, zeigte das Plasma eine gesteigerte Entfarbbarkeit in vitro. Das Material liess kein Urteil daruher zu, welche Redeutung dieser Umstand haben konnte; sein Auftreten bei Nephrose liess aber vermuten, dass er auch bei .anderen Zustanden mit Storungen in dem Plasmaprotein- stoffwechsel angetroffen werden konnte; Einen derartigen Zustand stellt die Kachexie bei malignen Tumoren dar. Das UntersuchUngs- resultat von 10 derartigen Fallen wird hier unten wiedergegeben.

Untersuchungsresultate. In Tabelle 1 sind die Untersuchungsresultate von 10 FBllen

von malignen Tumoren rnit ausgepriigter Kachexie aufgenommen. Als Vergleichsobjekt sind in Tabelle 2 ahnliche Ziffern von 7 Fallen rnit oNephrose, enthalten. In Tabelle 3 schliesslich sind 16 FBlle rnit verschiedenen Krankheiten aufgenommen, die irgend Welche wesentlichen Veranderungen des Plasmaproteinbildes nicht auf- zuweisen pflegen.

Die letztgenannten bestehen aus 1 Fall von unkomplieierter Herzinsuffizienz (ohne Albuminurie), 1 Fall von essentiellef Throm- bopenie, 1 Fall von unkomplizierter benigner Hypertonie, 1’ Fall von chronischer Nephritis ohne konstante Albuminurie, 1 Fall von Gallenstein, 1 Fall von Tabes dorsalis, 3 Fallen von einfacher Anamie, 1 Fall von Myxodem, 1 Fall von Ulcus ventriculi, 4 Fallen von chronischer Polyarthritis und 1 Fall von angeborenem Ikterus.

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D A S A D S R O P T I O N V S E R M ~ G E N D E R P L A S M A P R O T E I N E . 193

Ent- %bung Ganz-

plasma

--

TABELLE

I I . Ent- flirbuns

Albu- min

Total- protein Diagnose I

8 39 23

0 9

14 16 20 22

11 14 15 17 20 22 36 37 38 39

60 75 55 60 84 65 68 70 78

Tumorkachexie

n n

n

>)

u n n n u

Fall Diagnose

4 Stauungsalbuminurie . . 5 Nephrose . . . . . . . . . . 6 Nephritonephrose . . . .

25 Amyloidnephrose .... 34 Nephritonephrose .... 23 Nephritonephrose ....

35 Nephritonephrose ....

. . . . . .

. . . . . .

......

......

. . . . . .

......

. . . . . .

......

. . . . . .

. . . . . .

k Ent- Ent- ; farbung firbung E Ganz- Albu-

L 5 plasma min

u ~- Total- protein 2. I-.

% % /O % % 8.1 3.8 4.3 25 90 5.4 1.9 3.5 47 100 6.4 2.9 3.5 34 88 6.4 70 7.9 3.4 3.6 31 90 5.6 4.0 1.6 10 60 6.8 4.3 2.5 8 55

0‘

%. 7.0 6.7 6.3 8.2 6.9 7.4 6.8 7.1 6.6 7.5

u E 5’

1. = k 5 ti’ - 0 1 /O

3.5 ’ 5.6 3.8 6.0 5.1 4.0 4.3 3.9 3.8 4.6

Ent- Ent- farbung farbung

Ganz- Albu- plasma min

- ~ -

= ; U 5 ti’

3.5 1.1 2.5 2.2 1.8 3.4 2.5 3.2 2.8 2.9

- 01 / O

0 , / O

2.5 2.3 2.5 2.1 2.5 1.3 3.5 2.7 2.3 2.6 3.5 3.3 2.7 2.8 3.6 ,

I 2 % 37

=

Fall

- 7 ‘8 9

10 12 13 16 18 19 21 26 27 28 31 32 33

TABELLE 3.

Diagnose

Insuff. cordis . . . . . . . . Thrombopen.ess. . . . . Hypertonia benigna . , Nephritis chr. . . . . . . . . Cholelithiasis . . . . . . . . Tabes dorsalis ...... Anemia simplex . . . . . . Myxoedema . . . . . . . . . . Ulcus ventr.Anemia sec. Polyarthr. chr. . . . . . . Anemia simplex . . . . . . Icterus congenit.. . . . . . Polyarthr. chr. . . . . . . Polyarthr. chr. ...... Polyarthr. chr. . . . . . .

Anemia simplex . . . . . .

13 - Ada med. scandinuu. Val.

- -- Total- notein

- 0: /O

8.3 7.8 9.3 7.1 7.5 6.8 8.9 8.0 7.9 8.1 8.0 8.0 8.0 8.2 8.8 8.0

C I .

= * ii

5 5 -

01

5b 5.5 6.8 5.1 5.0 5.5 5.4 5.3 5.6 5.5 4.5 4.7 5.3 5.4 5.2 5.5

% 5

10 0 8 8

10 1 0 0 0 0 0 0 0 5 5 0

% 56 58 50 50 Y2 50 57 52 45 50 48 48 47 48 50 48

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194 M. CII . EBRSTROM.

Mit Ausnahme von Fall 9 hahen diese Patienten normale Totalproteine und Albumine. Bei einigen von ihnen ist die Globulin- fraktian etwas gesteigert. Bei Fall 9 liegt eine leichte Hyperpro- teinamie mit Hyperalbuminurie vor, die zuweilen bei Hypertonie angetroffen wird. Die Werte fur die Entfarbung des Ganzplasmas liegen zwischen 0 und 10 yo. Die entsprechenden Ziffern fur die Albuminfraktion sind 45 und 48 yo. Vergleichen mit den von mir fruher gefundenen normalen Maximumgrenzen fur die Entfarb- harkeit -8 % fur Ganzplasma und 55 % fur die Albuminfraktion - haben also diese Falle eine normale Entfarbbarkeit = normale Adsorptionsfiihigkeit.

Unter den Nephrose-Fiillen (Tabelle 2) finden sich, wie zu erwar- ten war, gesteigerte Werte. Die hochste Entfarbbarkeit hat Fall 5 (eine Lipoidennephrose), dessen Ganzplasma um 47 yo und Albumin- fraktion ganz ung gar entfiirbt wird. Die Falle 34 und 35 hatten bei der Untersuchungsgelegenheit keine hochgradige Albuminnrie. Ihre Werte liegen bei der Normalgrenze. Im iibrigen variiert die Entfarbbarkeit des Ganzplasmas zwischen 25 und 34 yo, die der Albuminfraktion zwischen 70 und 90 yo. Auch in diesen Fallen steht die Entfiirbungsintensitat nicht in direkter Proportion ZLI

der Hypoproteinamie. Die Tumorkachezien in Tabelle 1 haben teils normale, teils

niedrignormale, teils verminderte Totalproteine. Die Albumin- fraktion ist bei Fallen 11, 15, 22, 37 und 38 reduziert, bei den ubrigen normal. Siimtliche Fiille weisen Veranderungen der Adsorp- tionsfiihigkeit der Plasmaproteine auf.

Die Falle 11, 15, 36, 38 und 39 haben cine gesteigerte Entfarb- barkeit fur sowohl Ganzplasma als auch Albuminfraktion. Fall 17 hat einen gesteigerten Wert fur die Entfarbbarkeit des Ganzplasmas, aber einen normalen Wert fur die Albuminfraktion. Das Ganzplasma der iibrigen Falle reagiert normal, wahrend die Ent- farbbarkeit der Albuminfraktionen gesteigert is t. A uch in diesen Fdllen steht die Entfarbungsintensitat nicht in Proportion zu den quantitativen Verhaltnissen der Plasmaproteine.

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P A S ADSORPTIONSVERPOCEN DER PLASMAPROTEINE. 195

D iskussio n. Die verminderte Adsorptionsfahigkeit der Plasmaproteine bei

Nephrose und Tumorkachexie bedarf einer Erklarung. Am nachsten wurde die Annahme liegen, dass die Adsorptionsverringerung auf Hypalbuminamie beruht, d.h. auf einer Verminderung der fein- molekularen Albumine, welche eine grossere Adsorptionsfahigkeit als die grobdispersen Globuline haben. Wie schon wiederholt gesagt, ist diese Erklarung aber nicht erschopfend. Wenn auch die hohen Werte fur den Entfarbungsgrad oft bei niedrigem Albumin- gehalt erreicht werden, sind aber auch Ausnahmen zahlreich vor- handen.

Die Proteinmenge des Plasmas betragt normaliter in runden Ziffern 400 gr. Wie schnell ein Stoffwechsel- Zerstorung oder Neubildung - dieser Menge vor sich geht, weiss man nicht. Bei Nephrosen verliert das Blut durch die Nieren grosse Mengen Plasma- proteine und dieses fuhrt zu einer primaren Verringerung des Blut- .eiweisses. Bei den meisten Fallen halt sich aber diese Verringerung in massigen Grenzen und bei vielen Fallen kann man beobachten, dass sich die Plasmaproteine trotz unveriinderter Albuminurie wieder erholen und sogar normale Werte erreichen kiinnen. Die Ursache hierzu ist wahrscheinlich die, dass der Organismus als kompensa- iorische Massnahme die Plasmaproteinsyntetisierung gesteigert hat, um dem Verlust durch die Nieren zu begegnen.

Die Hypoproteinamie bei Kachexien wird nicht durch Protein- verlust nach aussen verursacht und man weiss nicht mit sicherheit, .ob sie infolge einer defekten Proteinsyntese oder durch gesteigerten Proteinzerfall entsteht. Auf jeden Fall muss man annehmen, dass die Plasmaproteinsyntese auch bei Tumorkachexien nicht in normalem Tempo vor sich geht.

Bei der Interpretation der herabgesetzten Adsorptionsfahigkeit des Nephrose- und Tumorkachexieplasmas ist es sich von Bedeu- tung, die gestorte Plasmaproteinsyntese zu beachten. Ich ware geneigt anzunehmen, dass die Proteinsyntetisierung bei diesen Zustiinden zu der Bildung von Plasmaproteinen fiihrt, die den Plasma- proteinen bei normaler Syntese nicht gleichwertig sind, sondern @.a,?) eine defekte Adsorptionsflihigkeit besitzen.

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196 M. CH. E H R S T R O M .

Zusammenfassung. 1. In einer fruheren Arbeit wurde gezeigt, dass bei Nephrosen,

in der Bedeutung Nephropathien mit hochgradiger Albuminurie, die Plasmaproteine insofern verandert sind, als ihre Adsorptions- fahigkeit gegenuber dem Kongorot in vitro herabgesetzt ist. Diese veranderte Eigenschaft beruht nicht auf Hypoproteinamie oder Hypalbuminamie.

2. Bei Tumorkachexien wird eine ebensolche Verminderung der Adsorptionsfahigkeit der Plasmaproteine beobachtet, die auch bei diesem Zustand nicht durch Hypoproteinamie oder Hypalbu- minamie bedingt ist.

3. Eine wahrscheinliche Erklarung fur das Phanomen ist in der gestorten Plasmaproteinsyntese zu suchen. Bei Nephrose fuhrt der Albuminverlust durch die Nieren zu einer primaren Verringerung des Bluteiweisses, das eventuell durch eiae gesteigerte Plasma- proteinsyntetisierung kompensiert wird. Bei Tumorkachexie entsteht die Hypoproteinamie entweder infolge eines gesteigerten Zerfalls oder einer defekten Syntese. In beiden Fallen kann als Hypotese angenommen werden, dass die gestorte Plasmaprotein- syntetisierung zu einer Bildung von Plasmaproteinen fuhrt, die den Proteinen bei normaler Syntese nicht gleichwertig sind, sondern (u.a.?) eine defekte Adsorptionsfahigkeit haben.

L iteratur . Vide: Ehrstrom, M. Chr.: Finska Lak. sallsk. Hdl., 79 , 499 (1936) und

Acta Medica Scand. 1936.