DAS BEDINGUNGSLOSEGRUNDEINKOMMEN – … · Das bedingungslose Grundeinkommen – ein unhaltbares...

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Guido Raddatz DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN – EIN UNHALTBARES VERSPRECHEN Argumente zu Marktwirtschaft und Politik Nr. 123 | September 2013

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Guido Raddatz

DAS BEDINGUNGSLOSE GRUNDEINKOMMEN– EIN UNHALTBARES VERSPRECHEN

Argumentezu Marktwirtschaftund Politik

Nr. 123 | September 2013

© 2013

Stiftung MarktwirtschaftCharlottenstraße 6010117 BerlinTelefon: +49 (0)30 206057-0Telefax: +49 (0)30 206057-57www.stiftung-marktwirtschaft.de

ISSN: 1612 – 7072Titelfoto: © zitze – fotolia.com

Vorwort 03

1 Einleitung 04

2 Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens 05

2.1 Eine kurze Begriffsbestimmung 05

2.2 Ziele, Hoffnungen und Erwartungen der Befürworter

eines bedingungslosen Grundeinkommens 07

3 Aktuelle Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland 11

3.1 Historische Ursprünge und konzeptionelle Wegbereiter 11

3.2 Aktuell diskutierte Vorschläge eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland 11

4 Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens 15

4.1 Ordnungspolitische und grundsätzliche Einwände

gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen 15

4.2 Arbeitsmarktökonomische Einwände gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen 17

4.3 Fiskalisch-budgetäre Einwände gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen 19

5 Fazit 20

Das bedingungslose Grundeinkommen

– ein kritischer Fragenkatalog der Stiftung Marktwirtschaft 21

Literatur 22

Executive Summary 24

Inhaltsverzeichnis

Das bedingungslose Grundeinkommen – ein unhaltbares Versprechen Vorwort

Der Wunsch nach ökonomischer Sicherheit ist in unserer Gesell-schaft weit verbreitet. In einer Zeit, die auf viele Menschen immerschnelllebiger und vor allem auch risikoreicher wirkt, ist das ver-ständlich. Aus sozialpolitischer wie aus wirtschaftspolitischerPerspektive ist die Gesellschaft gut beraten, dieses Bedürfnis derMenschen ernst zu nehmen. Die Absicherung gegen individuelleökonomische Risiken kann eine wichtige Aufgabe des Sozial-staats sein: Zum einen, um allen Menschen auch in Notlagen einmenschenwürdiges Leben zu ermöglichen, zum anderen, umGrundlage und Nährboden für Risikobereitschaft und Innovations-drang der Menschen zu sein. Gleichwohl sollte bei der durch denStaat organisierten Risikoabsicherung mit Augenmaß vorgegan-gen werden – zu schnell wird aus einem sinnvollen sozialen Auf-fangnetz eine bequeme, letztlich aber lähmende „soziale Hänge-matte“.Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Absicherungskon-

zepte, die eine großzügige Absicherung versprechen, stoßenimmer wieder auf beträchtliche Resonanz in der Gesellschaft.Allerdings verbietet es sich, blind auf vermeintliche Heilsbotschaf-ten zu bauen, ohne diese sowohl auf ihre gesellschaftlichen undökonomischen Folgen als auch auf ihre praktische Umsetzbarkeithin zu prüfen. Nicht alles, was auf den ersten Blick wünschens-wert erscheint, lässt sich sinnvoll umsetzen, und nicht alles, wassich umsetzen ließe, ist gesellschaftlich und ökonomisch auchwünschenswert.

Eines der vermeintlichen sozialpolitischen Wundermittel istdas bedingungslose Grundeinkommen. Viele Menschen sindvon der Idee fasziniert, dass der Staat, genaugenommen die Ge-meinschaft der Steuerzahler, jedem Bürger ein Grundeinkommenin Höhe des sozioökonomischen Existenzminimums anbietet,ohne gleichzeitig eine wie auch immer geartete Gegenleistung zufordern. Dies wäre ohne Frage ein massiver sozialpolitischerParadigmenwechsel – weg von Freiheit und Eigenverantwortunghin zu staatlichem Paternalismus und der Vergemeinschaftungvon Risiken. Der Einzelne wäre nicht mehr in erster Linie für sichselbst verantwortlich und der Staat fungierte nicht mehr als Si-cherungsoption in Notlagen. Im Gegenteil. Ein bedingungsloses

Grundeinkommen ähnelt eher einer Situation, in der der Staatallen Bürgern zunächst eine weiche Hängematte ausbreitet unddarauf hofft, dass der Mehrheit der Bürger Müßiggang allein aufDauer nicht ausreicht, sondern sie zum Nutzen der Gesellschaftund zur Verfolgung eigener Interessen produktiv tätig werden.

Zum Glück gibt es in unserer Gesellschaft viele Menschen,die ihr ökonomisches Schicksal in die eigenen Hände nehmenwollen und ein Einkommen oberhalb des sozioökonomischenExistenzminimums anstreben. Aber sollte man wirklich ein Ge-sellschaftsmodell darauf aufbauen, dass der Staat verspricht, je-dem ein einigermaßen sorgloses Leben zu garantieren? Und vorallem, kann er dieses Versprechen überhaupt halten? Wir habengroße Zweifel daran, dass ein bedingungsloses Grundeinkom-men dauerhaft funktionieren kann, ohne dass die Gesellschaft ananderer Stelle massiv Schaden nimmt. Nimmt man die Bedenkenund die ungelösten Fragen eines bedingungslosen Grundeinkom-mens ernst, dann ist das Beste an diesem Konzept vermutlichdie wohlklingende Verpackung, während der Inhalt unschöneÜberraschungen bereithalten dürfte. Das Gefährlichste aber istdie Irreversibilität eines Grundeinkommens, selbst wenn möglicheFehlanreize sich als verheerend erweisen sollten. Ist der „An-spruch“ einmal eingeführt, kann man ihn nicht einfach aber-kennen. Es geht dann „nur“ noch um die Höhe – vor allem beiÜberbietungswettbewerben in Wahlkämpfen.

Wir danken der informedia-Stiftung für die Förderung dieserPublikation.

Vorwort

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Prof. Dr. Michael Eilfort

Vorstandder Stiftung Marktwirtschaft

Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen

Vorstandder Stiftung Marktwirtschaft

Einleitung Das bedingungslose Grundeinkommen

Ein bedingungsloses Grundeinkommen – von manchen auch alssolidarisches Bürgergeld oder negative Einkommensteuer be-zeichnet – würde eine gewaltige Umstrukturierung des deutschenSozialstaats mit sich bringen. Kaum ein Baustein der gegenwär-tigen sozialen Sicherungssysteme bliebe auf dem anderen. Auchauf dem Arbeitsmarkt wäre mit gravierenden Auswirkungen zurechnen.

Die Anhänger eines bedingungslosen Grundeinkommens, diesich in ganz unterschiedlichen gesellschaftspolitischen Lagernfinden, sind von seiner vermeintlich heilsbringenden Wirkungüberzeugt und stellen mit teils missionarischem Eifer die erhofftenVorteile in rosigen Tönen dar. Neben einer gerechteren, auf stär-kere Partizipationsmöglichkeiten ausgerichteten Gesellschafterhoffen sich seine Befürworter vor allem einen individuellen Frei-heitsgewinn der Menschen durch die Abkehr vom Bedürftigkeits-und Gegenleistungsprinzip bei staatlicher Transfergewährung. Einsolches Umdenken sei aus ihrer Sicht nicht zuletzt auch deshalbnotwendig, weil die traditionelle „Arbeitsgesellschaft“ zunehmendan ihre Grenzen stoße und modernen Industriegesellschaften –vereinfacht gesprochen – aufgrund von Rationalisierungseffektenund technischem Fortschritt die Arbeit ausgehe. Das Ziel Vollbe-schäftigung rücke in immer weitere Ferne. Gleichzeitig werden po-sitive Effekte wie Bürokratieabbau, Transparenzgewinn, höhereArbeitsanreize oder auch eine Stärkung des Ehrenamts erwartet.Nach dem Dafürhalten der Grundeinkommensunterstützer ist einbedingungsloses Grundeinkommen zudem weitgehend pro-blemlos zu finanzieren, so dass es fast nur Gewinner geben soll.

Doch halten diese Einschätzungen und Erwartungen auch ei-ner kritischen Überprüfung stand, wenn man mit dem gebotenenRealismus an die durchaus radikal-utopisch anmutenden Vor-schläge eines bedingungslosen Grundeinkommens herangeht?Dieser Frage soll im Weiteren nachgegangen werden.

Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Aus Sicht des Autorssollte den Vorschlägen für ein bedingungsloses Grundeinkommenmit einer gehörigen Portion Skepsis begegnet werden. Auch wennder gegenwärtige Sozialstaat weit davon entfernt ist, perfekt zusein, und an zahlreichen Stellen reformiert werden sollte, wäre einbedingungsloses Grundeinkommen kein geeigneter Weg, um diebestehenden Herausforderungen erfolgreich anzugehen. In man-

cherlei Hinsicht würde eher eine Verschärfung der Probleme dro-hen. Diese kritische Einschätzung, die im weiteren Verlauf dieserStudie begründet wird, soll dabei keineswegs als Plädoyer für densozialpolitischen Status quo verstanden werden. Im Gegenteil: So-wohl die Leistungs- als auch die Finanzierungsseite des deutschenSozialstaats weisen beträchtliche Defizite und Ungereimtheitenauf. Zu nennen sind insbesondere:

• ein intransparenter – nicht immer aufeinander abgestimmter– Wust an unterschiedlichen sozialen Leistungen und staat-lichen Regulierungen, verbunden mit einer erheblichen Umver-teilungsbürokratie und beträchtlichen Bürokratiekosten;

• eine Fehl- und Überregulierung des Arbeitsmarktes, die nichtzuletzt zu einer unnötig stark ausgeprägten Segmentierung intraditionelle Normalarbeitsverhältnisse und sogenannte aty-pische oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse führt;

• eine ineffiziente Mittelverwendung aufgrund struktureller Defi-zite und unzureichendem Wettbewerb etwa im Gesundheits-wesen oder auch im Bildungsbereich;

• eine auf Lohneinkommen fokussierte Finanzierung der Sozial-versicherungen, die den Faktor Arbeit verteuert und negativeBeschäftigungswirkungen nach sich zieht;

• eine Finanzierungsstruktur des Staates, die noch immer nichtausreichend auf den demographischen Wandel vorbereitet ist.

Diese ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit zusammen-gestellte „Mängelliste“ zeigt einen beträchtlichen sozialpolitischenReformbedarf in Bezug auf den Status quo. Dementsprechendhat die Ausgangsthese einiger – vor allem ökonomisch geprägter– Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens, dassder traditionelle Sozialstaat an seine Grenzen stößt und grundsätz-lich reformbedürftig ist,1 durchaus ihre Berechtigung. Gleichwohlwäre ein bedingungsloses Grundeinkommen kaum geeignet, dieökonomische Situation der Menschen dauerhaft zu verbessernund den deutschen Sozialstaat zielführend weiterzuentwickeln.

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1 Einleitung

1 Vgl. u.a. Straubhaar (2008), Hohenleitner/Straubhaar (2008), Althaus (2007a, 2007b) und Schramm (2010).

– ein unhaltbares Versprechen Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

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2.1 Eine kurze Begriffsbestimmung

Was verbirgt sich hinter dem Begriff des bedingungslosen Grund-einkommens? Und was unterscheidet es vom sozialpolitischenStatus quo? Betrachtet man die verschiedenen Konzepte undRealisierungsvorschläge für ein solches Grundeinkommen, die inden vergangenen Jahren entwickelt wurden, zeigen sich ent-scheidende Gemeinsamkeiten: Im Kern geht es immer um einenmonatlichen Geldtransfer des Staates an jeden einzelnen Bürger,der ohne weitere Vorbedingungen und ohne Anknüpfung an imVorfeld erbrachte Leistungen automatisch und regelmäßig ge-leistet würde. Im Gegensatz zum gegenwärtigen System derGrundsicherung, bei dem in der Regel Haushalte bzw. Bedarfs-gemeinschaften betrachtet werden, sieht das bedingungsloseGrundeinkommen grundsätzlich einen Individualanspruch für alleBürger vor.

Dieses staatliche Grundeinkommen soll idealerweise min-destens auf Höhe des sozio-ökonomischen Existenzminimumsliegen und die Vielzahl heutiger staatlicher Sozialleistungen (z.B.Arbeitslosengeld, Arbeitslosengeld II, Rente, Wohngeld, BAföG,Kindergeld) ersetzen. Für Deutschland vorgeschlagene Grund-einkommensmodelle nennen in der Regel monatliche Beträgezwischen 500 Euro und 1.000 Euro pro Person, werben aberauch schon einmal mit perspektivischen Summen von monatlichbis zu 1.500 Euro je Bürger (vgl. die Übersicht mit ausgewähltenGrundeinkommensmodellen in Abschnitt 3).2 Je nach Höhe desvorgeschlagenen Grundeinkommens wird teilweise zwischeneinem partiellen Grundeinkommen und einem existenzsichern-den bedingungslosen Grundeinkommen unterschieden, wobeiErsteres häufig als temporärer Start- oder Zwischenschritt aufdem Weg zu einem existenzsichernden Grundeinkommen ge-sehen wird.3 Für die im Weiteren verwendete Begrifflichkeit solldie Höhe hingegen keine Rolle spielen, d.h. sowohl partielle wieauch existenzsichernde Konzepte werden als bedingungslosesGrundeinkommen bezeichnet.

Bedingungslosigkeit als entscheidenderUnterschied zum Status quo

Das entscheidende und vermeintlich „sozialrevolutionäre“ Merk-mal des bedingungslosen Grundeinkommens liegt weniger inseiner genauen Höhe, sondern in der an keinerlei Bedingungen

geknüpften Leistungsgewährung. Weder soll eine Bedürftigkeits-prüfung erfolgen, noch wird irgendeine Form einer Gegenleistungder Transferempfänger gegenüber der Gesellschaft eingefordert.Insbesondere wird von arbeitsfähigen Personen keine Bereit-schaft zur Arbeitsaufnahme erwartet. Diese Bedingungslosigkeitwäre ein Novum in der Geschichte der Sozialen Marktwirtschaftund eine grundlegende Abkehr vom marktwirtschaftlichen Sozial-staat traditioneller Prägung. Dessen staatliche Leistungen basie-ren – idealtypischerweise – auf drei grundlegenden Prinzipien, demÄquivalenzprinzip, dem Versicherungsprinzip sowie dem Bedürf-tigkeitsprinzip, wobei einzelne Instrumente des Sozialstaats durch-aus durch mehrere dieser Prinzipien geprägt sein können (vgl. Box1, S. 6).

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde mit diesen Prin-zipien brechen und sie über Bord werfen. Dementsprechend siehtder Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaft-lichen Entwicklung in der Forderung nach einem bedingungslo-sen Grundeinkommen das Ergebnis einer „Fundamentalkritik amdeutschen Sozialstaatsmodell“ (vgl. SVR, 2007, S. 223).

Anteilige Verrechnung des bedingungslosenGrundeinkommens mit eigenem Einkommen

Die in den verschiedenen Konzepten für ein bedingungslosesGrundeinkommen genannten Beträge stellen jeweils Höchstbe-träge dar, die nur dann vom Staat als Nettotransfer geleistet wer-den, wenn keinerlei sonstige Einkommensquellen vorhandensind. Werden hingegen auch eigene Einkommen erzielt, etwa ausErwerbsarbeit, aus Vermietung und Verpachtung oder in Form vonKapitaleinkünften, reduziert sich zunächst die Nettozahlung desStaates. Ab einer bestimmten Einkommenshöhe wird aus demNettotransfer schließlich eine Nettosteuerzahlung. Die Verrech-nung von Grundeinkommen und Steuerlast kann dabei auf zweiunterschiedlichen, im Ergebnis letztlich aber gleichwertigen We-gen erfolgen.

Entweder der Staat zahlt das Grundeinkommen an jeden Bür-ger stets in voller Höhe aus, besteuert im Gegenzug aber eigeneEinkommen vom ersten Euro an. Diese Auszahlungsvariante desGrundeinkommens wird gelegentlich auch als Sozialdividendeoder Existenzgeld bezeichnet (vgl. Blaschke, 2012a). Oder aberder Staat verrechnet vor Auszahlung das Grundeinkommen miteiner eventuellen Einkommensteuerschuld. Mit steigendem Ein-kommen würde sich der staatliche Auszahlungsbetrag zunächstverringern und schließlich ab einer bestimmten Einkommens-

2 In der Schweiz wurde im April 2012 eine Volksinitiative „Für ein bedingungsloses Grundeinkommen” gestartet. Im Raum steht ein Betrag in Höhe von 2.500 CHF(das entspricht derzeit ca. 2.000 €) für Erwachsene und 625 CHF (ungefähr 500 €) je Kind, vgl. dazu Müller/Straub (2012) sowie kritisch Habermacher/Kirch-gässner (2013).

3 Da partielle Grundeinkommensmodelle mangels Existenzsicherung nicht ohne die Verpflichtung zur Erwerbsarbeit bzw. nicht ohne parallel weiterhin bestehendebedürftigkeitsgeprüfte Sozialsysteme auskommen, lassen sich mit ihnen allerdings zahlreiche – aus Sicht der Grundeinkommensbefürworter – positive Effektenicht erzielen, vgl. Blaschke (2012a).

2 Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens Das bedingungslose Grundeinkommen

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grenze in eine Nettosteuerzahlung umschlagen. Geht man exem-plarisch von einer hälftigen Anrechnung eigenen Einkommens aufdas Grundeinkommen aus – also von einem (Grenz)steuersatzbzw. einer „Transferentzugsrate“ von 50 Prozent – dann verringertsich der ausgezahlte Grundeinkommensbetrag für jeden selbstverdienten Euro um 50 Cent. Ab einer bestimmten Grenze – in die-sem Beispiel dem doppelten Betrag des maximalen Grundein-kommens – wird man vom Grundeinkommensempfänger zum Net-tosteuerzahler. Aus einer solchen integrierten Gesamtbetrachtungvon bedingungslosem Grundeinkommen und Einkommensteuer-zahlung rührt auch der für das bedingungslose Grundeinkom-men weitgehend synonym verwendbare Begriff der „negativenEinkommensteuer“ her: Denn die staatlichen Grundeinkommens-zahlungen bei fehlenden oder nur geringen eigenen Einkommenstellen letzten Endes nichts anderes als eine „Steuer“auszahlungbzw. eine Steuergutschrift dar. Aus Sicht des Steuerpflichtigenhandelt es sich mithin um eine negative Steuerzahlung. Abstra-hiert man von unterschiedlichen Implikationen für die praktische

Umsetzung, liefern beide Auszahlungsvarianten – bei vergleich-barer Parameterwahl – identische Ergebnisse.4

Abbildung 1 stellt die skizzierten Zusammenhänge noch ein-mal in typisierter Form dar, wobei die Steuer(aus)zahlungen desStaates (negative Einkommensteuer) graphisch in den negativenBereich verlängert werden. Beispielhaft wird dabei ein monatlichesGrundeinkommen von 800 Euro unterstellt. Der anfängliche Steu-ersatz bzw. die Transferentzugsrate beträgt 50%. Ab einem eige-nen Monatseinkommen von 1.600 Euro – im Beispiel ist das dieGrenze, ab der man vom Nettotransferempfänger zum Nettosteu-erzahler wird – gilt ein konstanter Steuersatz von 25% (Flat tax).

In Abbildung 1 wird zugleich eines der grundlegenden Dilem-mata eines bedingungslosen Grundeinkommens bzw. einer nega-tiven Einkommensteuer deutlich. Wird der maximale Transferbetrag(Schnittpunkt mit der Nettoeinkommensachse) zu niedrig ge-wählt, verfehlt man das Ziel der (flächendeckenden) Armutsver-meidung und der Existenzsicherung. Ein hohes Grundeinkommenverschiebt hingegen die Schwelle zwischen Nettotransferemp-

4 Ähnlich auch Spermann (2001), S. 39f. Vanderborght/Van Parijs (2005), S. 53 hingegen betonen, dass die beiden – theoretisch identisch erscheinenden – Variantenin der Praxis ganz unterschiedliche Auswirkungen haben können, und verweisen u.a. auf die zeitliche Komponente bei der Auszahlung bzw. der Steuerfestsetzung.Während beim Existenzgeld der Staat das Grundeinkommen immer in voller Höhe und unabhängig von der steuerlichen Belastung eigener Einkommen – sozusagenals Vorschuss – auszahlt, erfolgt die Festsetzung des (anteilig verrechneten) Grundeinkommens bei der Ausgestaltung als negative Einkommensteuer im Rahmen einer– ggf. zeitlich verzögerten – steuerrechtlichen Überprüfung von eigenem Einkommen.

Die Grundprinzipien staatlicher Leistungen in der Sozialen Marktwirtschaft

Das Äquivalenzprinzip: Danach orientieren sich staatliche Sozialleistungen an der Höhe der zuvor erbrachten Beitragszahlungen.Dieser Grundsatz entspricht dem Gedanken der Leistungsgerechtigkeit und ist beispielsweise prägend für die Gesetzliche Renten-versicherung und die Arbeitslosenversicherung.

Das Versicherungsprinzip: Es erweitert das Äquivalenzprinzip dahingehend, dass die staatliche Leistungsgewährung zwar eine Bei-tragszahlung voraussetzt, die Leistungshöhe aber von den Beitragszahlungen unabhängig ist und sich nach der Schwere des Ver-sicherungsfalls bemisst. Wichtigste Beispiele sind die Gesetzliche Krankenversicherung und die Soziale Pflegeversicherung. Die vonihnen übernommenen Leistungen sind vollkommen unabhängig von der Höhe der lohnabhängigen Beitragszahlungen. Darüber hinausfindet das Versicherungsprinzip auch in der Renten- und der Arbeitslosenversicherung partiell Anwendung, zumindest was die Dauerder Zahlungen betrifft.

Das Bedürftigkeitsprinzip: Es ist prägend für die sozialen Auffangnetze unserer Gesellschaft, also beispielsweise die Grundsicherungfür Arbeitssuchende, die Sozialhilfe oder auch das Wohngeld. Diese sozialen Sicherungssysteme garantieren nach einer Bedürftig-keitsprüfung, die Einkommen und Vermögen einschließt, die Sicherung des sozioökonomischen Existenzminimums. Darüber hinausfordern sie von erwerbsfähigen Transferempfängern in der Regel eigene Bemühungen, um den Transferbezug zu beenden oder zu-mindest in der Höhe zu verringern.

Daneben gibt es weitere staatliche Sozialleistungen, insbesondere im Bereich der Familienpolitik, die an bestimmte Voraussetzungen,beispielsweise die Existenz von Kindern, geknüpft sind. Diese Transferleistungen, wie z.B. das als Lohnersatzleistung konzipierteElterngeld, werden zumeist mit sozialpolitischen Zielen begründet, ohne dass es aber zu einer (strikten) Bedürftigkeitsprüfung kommt.Die Politik verfolgt mit diesen Instrumenten nicht zuletzt Lenkungsziele und versucht ein Stück weit, Verhaltensänderungen bei denMenschen zu induzieren.

Box Nr. 1

– ein unhaltbares Versprechen Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

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5 Vgl. exemplarisch Habermacher/Kirchgässner (2013) oder Spermann (2007).6 Vgl. zum Weiteren stellvertretend für viele Blaschke (2012b), Vanderborght/Van Parijs (2005), Althaus/Binkert (2010), Hohenleitner/Straubhaar (2008), Werner/

Goehler (2010) und Enste (2008). Ausführliche Darstellungen der erhofften positiven Auswirkungen eines Grundeinkommens finden sich auch auf zahlreichen vonGrundeinkommensbefürwortern erstellten Internetseiten. Exemplarisch sei an dieser Stelle auf zwei Seiten mit zahlreichen weiterführenden Hinweisen und Verlinkungenverwiesen: den Internetauftritt des Netzwerks Grundeinkommen (www.grundeinkommen.de) und die von Götz Werner geprägte Seite (www.unternimmdiezukunft.de).

fang und Nettosteuerzahlung nach rechts, führt also dazu, dass eserst ab vergleichsweise hohen eigenen (Brutto)einkommen zu einerNettosteuerzahlung an den Staat kommt. Damit aber sind gravie-rende Finanzierungsprobleme vorprogrammiert (siehe Kapitel 4).5

Der Versuch, den Finanzierungsproblemen durch höhereTransferentzugsraten bzw. höhere (Grenz-)Steuersätze entgegen-zutreten, gefährdet wiederum die Beschäftigungsanreize aufdem Arbeitsmarkt. Vielmehr würde eine Kombination aus Grund-einkommensbezug und Freizeit tendenziell attraktiver, zumal dasGrundeinkommen ja bedingungslos gewährt würde, also andersals heute keinerlei Sanktionen bei „Freizeitmaximierung“ zu er-warten wären.

2.2 Ziele, Hoffnungen undErwartungen der Befürwortereines bedingungslosen Grundeinkommens

Mit der Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommensverbinden seine Befürworter zahlreiche Hoffnungen und Erwartun-gen. Entsprechend der heterogenen Struktur seiner Befürworter

stehen dabei ganz unterschiedliche, teils nicht immer wider-spruchsfreie Ziele und Argumente im Vordergrund. Nicht auf allekann an dieser Stelle eingegangen werden. Es lassen sich jedochmehrere zentrale Argumentationsstränge herausfiltern, die denKern der Attraktivität eines bedingungslosen, staatlich garantier-ten Grundeinkommens in den Augen seiner Befürworter ausma-chen.6 Der teilweise in der Literatur vorgenommenen Zuspitzungin „marktliberale oder „neoliberale“ Begründungsansätze auf dereinen Seite und „emanzipatorische“ bzw. „sozialökologische“ An-sätze auf der anderen Seite (vgl. z.B. Blaschke, 2012b, Opielka/Vobruba, 1986) soll an dieser Stelle nicht gefolgt werden. Einesolche Unterscheidung kann zwar durchaus erste Anhaltspunktezur Unterscheidung einzelner Pro-Argumente bieten, lässt sichletzten Endes im Hinblick auf konkrete Grundeinkommensvor-schläge aber kaum konsensfähig durchhalten und läuft bei ein-zelnen Zielen bzw. erhofften Auswirkungen wohl auch ins Leere.

Bessere Absicherung gegen Armut

Erstens soll ein bedingungsloses Grundeinkommen besser alsdas gegenwärtige, bedürftigkeitsprüfende soziale Sicherungsnetz

Abbildung 1:Transferbezug undSteuerzahlung beieinem bedingungs-losen Grundein-kommen*

* Die Darstellung erfolg in Anlehnung an SVR (2007), S. 226. Die verwendeten Parameterwerte entsprechen dem ursprünglichen Konzeptvon Dieter Althaus für ein „Solidarisches Bürgergeld“, haben hier allerdings lediglich illustrativen Charakter zur Visualisierung der Grund-idee eines bedingungslosen Grundeinkommens.

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Bruttoeinkommen

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Das bedingungslose GrundeinkommenDie Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

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vor Armut schützen und allen Menschen ein menschenwürdigesDasein sowie soziale Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen.Insbesondere seit der Zusammenlegung der früheren Arbeitslosen-hilfe und der Sozialhilfe für Erwerbsfähige zum steuerfinanziertenArbeitslosengeld II wird die Grundsicherung in Deutschland –trotz erheblicher staatlicher Mehrausgaben7 – von vielen Anhän-gern eines bedingungslosen Grundeinkommens als Armut perGesetz gebrandmarkt. Vor allem die dem ALG-II-Bezug voraus-gehende Bedürftigkeitsprüfung sowie das Einfordern einer Ge-genleistung bzw. Arbeitsbereitschaft der Betroffenen wird immerwieder als „entwürdigend“ und unangemessen kritisiert. Werner/Goehler (2010, S. 97) gehen beispielsweise soweit, Hartz IV als„offenen Strafvollzug“ zu diffamieren. Demgegenüber soll ein be-dingungsloses Grundeinkommen den Druck von den Menschennehmen, niedrig entlohnte oder unbequeme Tätigkeiten, die ge-gebenenfalls nicht einmal zur Deckung des eigenen Lebensunter-halts ausreichen, annehmen zu müssen. Der dem traditionellenSozialstaatsmodell implizit zugrundeliegende „Zwang zur Arbeit“mache die Menschen „unfrei“, widerspreche einer menschen-würdigen und selbstbestimmten Existenz und soll daher durch einexistenzsicherndes bedingungsloses Grundeinkommen über-wunden werden.

Ein weiterer positiver Nebeneffekt eines bedingungslosenGrundeinkommens sei, dass auch in verdeckter Armut lebendeMenschen erreicht würden, die im Status quo trotz berechtigterAnsprüche keine Leistungen der sozialen Grundsicherung bean-tragen – sei es aus Unwissenheit, Scham, Transaktionskosten-überlegungen wegen geringer Leistungshöhe bzw. absehbarkurzer Leistungsdauer oder sonstigen Gründen.8

Gewinn an individueller Freiheit,Stärkung des gesellschaftlichen Engagements

Zahlreichen Befürwortern eines Grundeinkommens geht es nichtnur um die oben skizzierte Aufhebung der grundsätzlichen Ar-beits- bzw. Mitwirkungsverpflichtung der Leistungsbezieher imRahmen des Arbeitslosengeldes II, sondern um die grundsätz-liche Trennung von Erwerbsarbeit und Existenzsicherung oder kurz

um die Trennung von Arbeit und Einkommen. Ausgangspunkt isteine kritische Sicht jeder Form von abhängiger, lohngebundenerBeschäftigung. Durch staatliche Transfers, die an keinerlei Be-dingungen geknüpft sind, würden die Menschen frei von denZwängen der entlohnten Erwerbsarbeit und könnten – so die Hoff-nung – verstärkt anderen, gesellschaftlich ebenfalls wertvollenTätigkeiten nachgehen, etwa in der Familie, im Ehrenamt oder imkünstlerischen Bereich. Die Befreiung von der Notwendigkeit, fürdie eigene Existenzsicherung aufkommen zu müssen, würde esden Menschen ermöglichen, vorrangig die Dinge zu tun, die ihnenwirklich wichtig sind, und dadurch erhebliches kreatives Poten-tial freisetzen.

Angesichts zunehmender Automatisierung und Rationalisie-rung im Zuge des arbeitskräftesparenden technischen Fortschrittsgingen unserer Gesellschaft in Zukunft ohnehin die Arbeitsplätzeim gewerblichen Bereich aus. Bereits heute könne ein materiellerÜberfluss mit immer weniger Menschen produziert werden, sodass man für einen zunehmenden Teil der Erwerbspersonen neueBetätigungsfelder bzw. Entfaltungsmöglichkeiten – jenseits dertraditionellen Erwerbsarbeit – schaffen müsse.9 Im Rahmen dergegenwärtigen Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktordnungsei Vollbeschäftigung jedenfalls kein sinnvolles Ziel. Ein Großteilder Arbeit sei automatisierbar, damit ersetzbar und könne dahernicht mehr beruflich sinnstiftend sein. Die für ein bedingungslosesGrundeinkommen eintretende Initiative „Freiheit statt Vollbeschäf-tigung“ formuliert beispielsweise auf ihren Internetseiten: „DasFesthalten am Ziel der Vollbeschäftigung zieht eine Verschwen-dung von Lebenszeit der Bürger nach sich, weil sie an geisttö-tende, unwürdige Arbeiten gebunden werden. […]; die Würdedes Menschen wird missachtet.“10 Zum Freiheitsbegriff gehörevielmehr auch die „Freiheit von unnötiger Arbeit“.

Vereinfachung und Bürokratieabbau

Drittens erhoffen sich die Befürworter eines bedingungslosenGrundeinkommens einen grundlegenden Transparenzgewinn undeine radikale Vereinfachung der gegenwärtigen Sozialstaatsbüro-kratie. Die im heutigen Sozialstaat zu beobachtenden multiplen

7 Vergleicht man die im Sozialbericht der Bundesregierung 2009 angegebenen Werte für die Kosten der Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG II) im Jahr 2005(ca. 43,8 Mrd. Euro) mit den Kosten der Vorgängersysteme für das Jahr 2004, also den Ausgaben für Arbeitslosenhilfe (ca. 18,8 Mrd. Euro) sowie dem Teil der So-zialhilfeausgaben, der auf erwerbsfähige Sozialhilfebezieher entfiel (etwa 8,7 Mrd. Euro, wenn man den Rückgang bei der „Hilfe zum Lebensunterhalt” und bei den Ver-waltungsausgaben zugrunde legt), zeigt sich im Jahresvergleich ein erheblicher Ausgabenanstieg von über 16 Mrd. Euro bzw. von deutlich über 50 Prozent, sieheBMAS (2009), S. 290ff.

8 Vgl. Schramm (2010). Bruckmeier et al. (2013) kommen in einer aktuellen Studie des IAB zu dem Ergebnis, dass zwischen 33,8% und 43,0% aller berechtigten Haus-halte keine Leistungen der Grundsicherung in Anspruch nehmen und in sogenannter verdeckter Armut leben. Diese auf Basis von Simulationsrechnungen ermitteltenQuoten der Nicht-Inanspruchnahme entsprechen in etwa 3,1 Mio. bis 4,9 Mio. Menschen. Zugleich mahnen die Autoren allerdings aus methodischen Gründen zueiner vorsichtigen Interpretation ihrer Ergebnisse und weisen darüber hinaus darauf hin, dass verdeckt arme Haushalte überwiegend nur über geringe Ansprüche anGrundsicherungsleistungen verfügen.

9 So z.B. Werner/Goehler (2010), S. 98f., die vom „Mythos Vollbeschäftigung“ sprechen und davon ausgehen, dass „dauerhaft zwanzig Prozent der arbeitsfähigen Be-völkerung ausreichen, um die Wirtschaft auf dem heutigen Stand in Schwung zu halten“.

10 Siehe http://www.freiheitstattvollbeschaeftigung.de/de/thesen.

– ein unhaltbares Versprechen Die Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

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Umverteilungsmechanismen auf Basis komplexer, schlecht auf-einander abgestimmter und in der Zielsetzung nicht immer kohä-renter Regelungen könnten substantiell verringert werden und imIdealfall – d.h. bei einem existenzsichernden Grundeinkommen– sogar ganz wegfallen. Zugleich wäre der Großteil der kostspie-ligen sozialstaatlichen Administrations- und Kontrollbürokratieentbehrlich. Vielmehr würde durch ein bedingungsloses Grund-einkommen eine Kultur des gegenseitigen Vertrauens und desMiteinanders geschaffen (Althaus/Binkert, 2010, S. 39). Durchden Wegfall ineffizienter Umverteilungselemente ließen sich zu-dem – so die Hoffnung – Einsparungen und Effizienzgewinne er-zielen.

Einige Grundeinkommensbefürworter verweisen zudemdarauf, dass der Freiheitsgewinn und die verbesserte soziale Ab-sicherung es ermöglichten, sozialpolitisch motivierte regulatorischeund bürokratische Verkrustungen an anderer Stelle – etwa auf demArbeitsmarkt – zu beseitigen, ökonomische Flexibilisierungspoten-tiale zu realisieren und so letzten Endes den Marktmechanismuszu stärken.11 Allerdings wird diese marktliche „Instrumentalisierung“eines bedingungslosen Grundeinkommens von anderen Befür-wortern teilweise scharf kritisiert (vgl. überblicksartig Blaschke,2010).

Positive Beschäftigungseffekteund ein gerechterer Arbeitsmarkt

Ein Teil der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkom-mens argumentiert, dass sich mit diesem Konzept beträchtlichepositive Beschäftigungseffekte auf dem ersten Arbeitsmarkt rea-lisieren lassen und es zudem zu einer gerechteren Verteilung vonArbeit in der Gesellschaft komme.12 Insbesondere das Ziel einersteigenden Beschäftigung steht allerdings in einem gewissenSpannungsfeld zur oben skizzierten, ebenfalls vertretenen Thesevom „Ende der Arbeit“ bzw. vom „Mythos Vollbeschäftigung“ undwird nicht von allen Grundeinkommensbefürwortern geteilt.

Für positive Beschäftigungseffekte werden mehrere Gründeangeführt. Erstens soll das bedingungslose Grundeinkommen –zumindest partiell – die gegenwärtigen lohnbezogenen Sozial-versicherungssysteme ersetzen. Dadurch sinkt einerseits – iso-liert betrachtet – die einseitige Belastung des Faktors Arbeit mitdirekten Lohnnebenkosten. Andererseits soll das Grundein-kommen beschäftigungsfreundlich über Steuern mit einer breiten

Bemessungsgrundlage und dementsprechend eher niedrigenSteuersätzen finanziert werden, so dass im Ergebnis die Grenz-belastung des Faktors Arbeit im Vergleich zum Status quo übergroße Einkommensbereiche geringer ausfällt.13

Zweitens sehen praktisch alle Vorschläge für ein bedingungs-loses Grundeinkommen im unteren Einkommensbereich, in demdie Menschen noch Nettotransferempfänger sind, niedrigereTransferentzugsraten vor (beispielsweise 50%), als es gegenwär-tig im System der sozialen Grundsicherung der Fall ist. Damit solldie Arbeitslosen- bzw. Armutsfalle heutiger Grundsicherungssys-teme beseitigt werden. Arbeitslose im System der Grundsicherungfür Arbeitssuchende, aber auch aufstockende Geringverdiener,die ergänzend zum eigenen Einkommen noch ALG II erhalten,dürfen derzeit – abgesehen von einem Freibetrag von 100 Euro– von jedem zusätzlichen selbst verdienten Euro nur zwischen 0Cent und 20 Cent behalten. Noch irrationaler können die Arbeits-anreize für Familien ausfallen. Durch das unsystematische Zu-sammenwirken unterschiedlicher Sozialleistungen wie Wohngeldund Kinderzuschlag kann es sogar zu Transferentzugsraten vonüber 100% kommen (vgl. Meister, 2011). Das bedeutet, dass esEinkommensschwellen gibt, bei denen eine Erhöhung des Brut-toeinkommens, z.B. durch Mehrarbeit, zu einem niedrigerenverfügbaren Nettoeinkommen führt. Es ist offensichtlich, dass dieMöglichkeit, von jedem Euro 50 Cent behalten zu können, miteiner deutlich höheren Arbeitsmotivation einhergeht als die fastvollständige Anrechnung eigenen Arbeitseinkommens auf staat-liche Sozialleistungen. Dementsprechend werden teilweise er-hebliche Beschäftigungseffekte im Niedriglohnbereich im Umfangvon über einer Million zusätzlicher Vollzeitarbeitsplätze durch einals Kombilohn fungierendes bedingungsloses Grundeinkommenfür möglich gehalten (vgl. Althaus 2007a, S. 47, Hohenleitner/Straubhaar, 2008, S. 47ff.).

Drittens schließlich postulieren die Befürworter eines Grund-einkommens, dass eine großzügigere und entbürokratisierte so-ziale Absicherung die Möglichkeiten und die Bereitschaft der Men-schen erhöht, ökonomische Wagnisse einzugehen, und den Wegin die Selbständigkeit bzw. zu einer Unternehmensgründung er-leichtere (vgl. Straubhaar, 2008, Althaus, 2007a).

Von positiven Beschäftigungseffekten abgesehen, könne einbedingungsloses Grundeinkommen auch zu einem gerechterenArbeitsmarkt beitragen.14 Vor allem im Niedriglohnbereich steigedurch ein existenzsicherndes bedingungsloses Grundeinkommen

11 So beispielsweise Hohenleitner/Straubhaar (2008), S. 20f., die u.a. den Kündigungsschutz durch betrieblich zu vereinbarende Abfindungsregeln ersetzen, Mindest-löhne abschaffen und den Lohnfindungsprozess nicht mehr durch Flächentarifverträge, sondern auf betrieblicher Ebene organisieren wollen. Auch Althaus (2007b),S. 5, spricht sich in seinem Konzept „Solidarisches Bürgergeld“ für mehr Deregulierung und Flexibilisierung auf dem Arbeitsmarkt, ein transparenteres und gerechteresSteuerrecht und mehr Markt und Wettbewerb im Gesundheitswesen aus.

12 So z.B. Straubhaar (2008), Hohenleitner/Straubhaar (2008) und Schramm (2010).13 Vgl. u.a. Straubhaar (2008). Im Rahmen einer Finanzierung des Grundeinkommens über die Einkommensteuer wird die verringerte Grenzbelastung mit der Berück-

sichtigung aller Einkommenskategorien und dem Wegfall der Beitragsbemessungsgrenze begründet. Im Fall einer anderweitigen Steuerfinanzierung, etwa über einehöhere Mehrwertsteuer, wird (Arbeits)einkommen ohnehin nicht direkt belastet.

14 Vgl. zum Folgenden beispielsweise Straubhaar (2008).

Das bedingungslose GrundeinkommenDie Idee des bedingungslosen Grundeinkommens

10

15 An anderer Stelle argumentieren Hohenleitner/Straubhaar (2008) hingegen, dass es zu einem Absinken des Lohnniveaus im Niedriglohnbereich, einem Abbau derunfreiwilligen Arbeitslosigkeit und dadurch zu einer Ausweitung der Beschäftigung komme.

die Verhandlungsmacht der abhängig Beschäftigten. Diese müss-ten nicht mehr „um jeden Preis und zu jedweden Bedingungen“eine Stelle annehmen, sondern könnten potentiellen Arbeitgebern„auf gleicher Augenhöhe“ begegnen. Im Ergebnis trage dies zueinem repressionsfreien Arbeitsmarkt bei und führe zu besserenArbeitsbedingungen und zu überdurchschnittlichen Lohnzu-wächsen im Niedriglohnbereich.15

Die verbesserte Verhandlungsposition der Beschäftigtenlasse zusammen mit der Möglichkeit, das bedingungslose Grund-einkommen mit einem überschaubaren eigenen Arbeitseinkom-men zu einem deutlich über dem Existenzminimum liegendenNettoeinkommen zu kombinieren, einen familienfreundlichen An-

stieg der Teilzeitquoten erwarten – nicht zuletzt bei Männern, dieihre Arbeitszeit reduzierten. Von der damit einhergehenden Ar-beitsumverteilung könnten vor allem Frauen profitieren. Dement-sprechend fördere ein bedingungsloses Grundeinkommen einengeschlechtergerechten und familienfreundlichen Arbeitsmarkt,der Männer und Frauen gleichermaßen Freiräume für gesellschaft-lich wertvolle Tätigkeiten außerhalb traditioneller Beschäftigungs-verhältnisse ermögliche.

Im besten Fall gelingt es nach dem Dafürhalten der Befürwor-ter mit einem bedingungslosen Grundeinkommen, gleichzeitig„mehr Markt“ bzw. „mehr Beschäftigung“ mit „mehr soziale Ab-sicherung“ als im Status quo zu kombinieren.

– ein unhaltbares Versprechen Aktuelle Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland

11

3.1 Historische Ursprüngeund konzeptionelle Wegbereiter

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens ist nicht neu.Seine modernen Ursprünge reichen bis in die Mitte des zurück-liegenden Jahrhunderts zurück – konzeptionelle Vorläufer sogarbis zu Thomas Morus’ Werk „Utopia“ aus dem Jahr 1516.16 AlsAusgangspunkt der modernen Diskussion im 20. Jahrhundertwerden üblicherweise zum einen die Vorschläge der britischenPolitikerin Juliet Rhys-Williams Anfang der 1940er Jahre für eineSozialdividende genannt. Zum anderen wurde die Diskussion abden 1960er Jahren auch durch Überlegungen des amerikani-schen Ökonomen Milton Friedman hinsichtlich einer negativenEinkommensteuer als Instrument zur Armutsbekämpfung be-fördert (u.a. Friedman, 1962/2002).17 Dabei wird insbesonderein Bezug auf die Überlegungen Friedmans im Allgemeinen voneinem nicht-existenzsichernden Transferhöchstbetrag ausge-gangen und der Arbeitsanreizgedanke sowie das Vereinfa-chungsziel in den Vordergrund gestellt.

Für Deutschland sollen vereinfachend zwei wichtige Diskus-sionswellen hervorgehoben werden.18 Zum einen die u.a. vonJoachim Mitschke Mitte der 1970er Jahre initiierte Bürgergeld-und Bürgersteuerdiskussion, die u.a. auch vom Kronberger Kreis(1986) aufgegriffen wurde und die in der zweiten Hälfte der1990er Jahre, nicht zuletzt angesichts von erheblichen Zweifelnan der Finanzierbarkeit, einen vorläufigen Abschluss fand.19

Zum anderen ist seit einigen Jahre eine Intensivierung undvor allem auch Verbreiterung der öffentlichen Diskussion überVor- und Nachteile eines bedingungslosen Grundeinkommens zubeobachten. Befördert wurde das neue Interesse zum einendurch den – fortgesetzten – Anstieg der Massenarbeitslosigkeitseit Ende der 1990er Jahre. Zum anderen können die als Maß-nahmen gegen die verfestigte Massenarbeitslosigkeit konzipier-ten Arbeitsmarktreformen nach der Jahrtausendwende und hierinsbesondere die vielfach kritisierte Zusammenlegung der beiden

steuerfinanzierten Grundsicherungssysteme Arbeitslosenhilfe undSozialhilfe zum Arbeitslosengeld II (Hartz IV) als diskussionsver-stärkende Triebfeder ausgemacht werden.20

3.2 Aktuell diskutierte Vorschläge eines bedingungs-losen Grundeinkommens in Deutschland

In Deutschland kursieren derzeit zahlreiche, mit unterschiedlichemDetaillierungsgrad ausgearbeitete Vorschläge für ein bedingungs-loses Grundeinkommen. Naturgemäß weisen sie im Hinblick aufihre Ausgestaltung beträchtliche Unterschiede auf. Dies betrifftvor allem die Höhe, die Finanzierungsmodalitäten, aber auch dieAbstimmung mit den verbleibenden sonstigen Instrumenten desSozialstaats. Gemeinsamer Nenner und zentraler Kernpunkt allerVorschläge ist ein vom Staat an jeden Bürger zu zahlendes Min-desteinkommen, das an keinerlei Gegenleistung gebunden ist.21

Aus der Vielzahl der Konzepte sollen im Weiteren einige Vor-schläge herausgegriffen und überblicksartig skizziert werden (vgl.Box 2, S. 12), die eine besondere Aufmerksamkeit und intensiveDiskussion erfahren haben – teilweise auch in Bevölkerungskrei-sen, die sich zuvor noch nicht mit dem Konzept eines bedingungs-losen Grundeinkommens befasst hatten. Im Einzelnen sind daszwei Grundeinkommensmodelle, die zum einen vom UnternehmerGötz W. Werner (vgl. Werner, 2007) und zum anderen vom Öko-nomen Thomas Straubhaar (vgl. Hohenleitner/Straubhaar, 2008)initiiert wurden, sowie das vom ehemaligen thüringischen Minister-präsidenten Dieter Althaus angestoßene und 2010 überarbeitete„Solidarische Bürgergeld“ (vgl. Althaus/ Binkert, 2010, sowie Alt-haus, 2007a, 2007b).22 Da sich die Piratenpartei in ihrem Wahl-programm zur Bundestagswahl 2013 dezidiert für die Einführungeines bedingungslosen Grundeinkommens ausspricht (vgl. Pira-tenpartei Deutschland, 2013, S. 75ff.), wird darüber hinaus auchdas in der Piratenpartei – neben anderen – diskutierte Konzept„Sozialstaat 3.0“ von Michael Ebner und Johannes Ponader (Eb-ner/Ponader, 2012) exemplarisch für ein aus der engeren partei-

16 Vgl. für einen historischen Überblick bis in die Neuzeit z.B. Vanderborght/Van Parijs (2005), Althaus/Binkert (2010), S. 27–36 oder auch Blaschke (2012b, 2010). DieUnterscheidung zwischen historischen Vorläufern eines bedingungslosen Grundeinkommens auf der einen Seite und eines modernen, auf Bedürftigkeitsprüfung undGegenleistungsprinzip basierenden Sozialstaatsgedankens auf der anderen Seite ist dabei aus Sicht des Verfassers allerdings nicht immer ganz treffsicher möglich.

17 Eine ökonomische Diskussion der Vorschläge von Rhys-Williams und Friedman findet sich bei Spermann (2001), S. 39ff., der darüber hinaus auch die zielgruppen-orientierte Konzeption einer negativen Einkommensteuer für einkommensschwache Familien von Tobin (1965) diskutiert. Habermacher/Kirchgässner (2013) wieauch Blaschke (2010, 2012b) merken an, dass das Sozialdividendenkonzept von Rhys-Williams eine Arbeitsbereitschaft vorsieht, letztlich also nicht „bedingungslos“ sei.Eine kritische Auseinandersetzung mit den Konzepten von Rhys-Williams und Friedman aus einer politisch dezidiert linken Perspektive findet sich bei Blaschke (2010).

18 Ein detaillierterer Überblick über die Anfänge und den Verlauf der Grundeinkommensdiskussion in Deutschland findet sich bei Blaschke (2012b).19 Vgl. für einen Überblick Spermann (2001), S. 57–83.20 Exemplarisch sei auf die Gründung der Sammelplattform „Netzwerk Grundeinkommen“ im Jahr 2004 verwiesen. Die Pressemitteilung zur Gründung, die auf dem Inter-

netauftritt des Netzwerks einsehbar ist, trug den Titel „Statt Hartz IV: Grundeinkommen für alle“.21 Eine detaillierte Übersicht mit Kurzdarstellungen zahlreicher Vorschläge findet sich bei Blaschke (2012c). Zu beachten ist, dass einige der kursierenden Konzepte immer

wieder modifiziert, weiterentwickelt oder ergänzt werden.22 Eine ausführliche Diskussion des ursprünglichen Konzepts von Althaus stellen die Beiträge in Borchard (2007) dar.

3 Aktuelle Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland

Aktuelle Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland Das bedingungslose Grundeinkommen

12

Ausgewählte Modelle eines bedingungslosen Grundeinkommens im Überblick

Leistungselemente und PersonenkreisKonzept und Initiator/Autor Finanzierung

Bedingungslos gewährtes Grundeinkommen für jeden Bürger.Anfänglich etwa 800 Euro pro Monat, als Fernziel werdenbis zu 1.500 Euro pro Monat genannt. Werner/Goehler (2010)schlagen 1.000 Euro vor.

Das Grundeinkommen soll deutlich höher als das (physische)Existenzminimum sein und ein Kulturminimum enthalten.

Eine Staffelung nach Alter ist prinzipiell denkbar.

Bedingungslos gewährtes solidarisches Bürgergeld unabhän-gig vom Alter: 600 Euro an alle in Deutschland Lebenden miteinem dauerhaften Aufenthaltsrecht.

Als Finanzierungsquellen für das Solidarische Bürgergeldsind vorgesehen:

1) Eine reformierte Einkommensteuer mit einem konstantenSteuersatz von 40% (Flat Tax)ab dem ersten Euro.

2) Eine einheitliche Konsumsteuer, ähnlich der heutigenMehrwertsteuer, allerdings ohne ermäßigtem Steuersatz.

3) Eine Lohnsummenabgabe durch die Arbeitgeber in Höhevon 18%, mit der vor allem die Zusatzrente sowie dasArbeitslosen- und Elterngeld finanziert werden sollen.

„Bedingungsloses Grundeinkommen“Götz W. Werner

Detaillierte Informationen:Werner (2007)

Werner/Goehler (2010)

„Solidarisches Bürgergeld“Dieter Althaus

Detaillierte Informationen:Althaus/Binkert (2010)

Vorgesehen ist der Übergang zu einem reinen Konsum-steuersystem, beispielsweise mit einem Mehrwertsteuer-satz von bis zu 50%.

Im Gegenzug sollen sämtliche Steuern auf Einkommen undErtrag entfallen.

Bedingungslos gewährtes, altersunabhängiges Grundeinkom-men für alle im Inland lebenden Staatsangehörigen Höhe 625Euro pro Monat. In Deutschland lebende Ausländer sollenpro Jahr legalen Aufenthalts 10% des regulären Grundein-kommens erhalten.

Bedingungsloses Grundeinkommen für alle in Deutschlanddauerhaft lebenden Menschen in Höhe von 490 Euro je Er-wachsenem und 483 Euro je Kind bis zum 18. Lebensjahr(auf Basis des Preisniveaus 2009).

Die Höhe des Grundeinkommens entspricht für Erwachsene75% und für Kinder und Jugendliche 150% des steuerlichenExistenzminimums.

Einkommen-, Körperschaft- und Gewerbesteuer werdendurch eine Flat Tax von 45% ersetzt; zusätzlich soll eseinen Solidarzuschlag von 5% des Einkommens für nichtsozialversicherungspflichtige Einkommen geben, so dassdiese mit 50% besteuert werden.

Durch die umfängliche Streichung steuerlicher Ausnahme-tatbestände soll die Bemessungsgrundlage verbreitertwerden.

Der Normalsatz der Mehrwertsteuer wird auf 20% erhöht.

„Bedingungsloses Grundeinkommen“Thomas Straubhaar

Detaillierte Informationen:Hohenleitner/Straubhaar (2008),

Straubhaar (2008)

„Sozialstaat 3.0 (Version 1.2)“Michael Ebner / Johannes Ponader

(Piratenpartei)

Detaillierte Informationen:Ebner/Ponader (2012)

Das Grundeinkommen ist steuerfrei. Zusätzliches eigenesEinkommen wird an der Quelle erfasst und vom ersten Euroan mit einem einheitlichen und gleichbleibenden Steuersatzbesteuert (Flat Tax).

Die Finanzierung des Grundeinkommens erfolgt aus demallgemeinen Staatshaushalt, d.h. über direkte und indirekteSteuern. Unter Berücksichtigung der übrigen Staatsauf-gaben kommen Hohenleitner/Straubhaar in ihren Über-schlagsrechnungen auf einheitliche Einkommensteuersätzezwischen 49% und 78%.

Quelle: Die Übersicht basiert – in aktualisierter Form – auf Stiftung Marktwirtschaft (2007), S. 6f. Vgl. auch Neumann (2011), S. 123, Opielka/Strengmann-Kuhn (2007), S. 132, sowie die umfassende Übersicht bei Blascke (2012c).

– ein unhaltbares Versprechen Aktuelle Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland

13

Box Nr. 2

AnmerkungenWeitere soziale Sicherungssysteme

200 Euro des Bürgergeldes sind für eine pauschale Gesundheits- und Pflegeversicherungreserviert.

Das einkommensabhängige Arbeitslosengeld soll bestehen bleiben.

Personen mit besonderem finanziellen Bedarf (z.B. für Kosten der Unterkunft, wegen Be-hinderung oder besonderer Lebenslagen) können einen individuellen, aber nicht mehrbedingungslos gewährten Bürgergeldzuschlag erhalten.

Ältere über 60 Jahren erhalten eine Bürgergeldrente. Diese besteht aus einer Grundrentein Höhe von 600 Euro und einer Zusatzrente, die maximal 1.800 Euro betragen kann.

Überarbeitetes Konzept aus dem Jahr 2010; das ursprüngliche Konzeptstammt aus den Jahren 2006/2007, vgl. Althaus (2007a, 2007b).

Das Grundeinkommen ersetzt die beitrags- und steuerfinanzierten sozialen Sicherungs-systeme.

Weitere staatliche Leistungen sind bei besonderer Bedürftigkeit, z.B. bei Behinderung,vorgesehen.

Eine Reform der Krankenversicherung mit den Elementen Versicherungspflicht, Stärkungder Eigenverantwortung und Abkopplung vom Lohneinkommen ist unabhängig von einembedingungslosen Grundeinkommen notwendig.

Kein detailliert ausgearbeitetes Konzept, sondern Plädoyer für die „Idee“eines bedingungslosen Grundeinkommens in Verbindung mit einem reinenKonsumsteuersystem.

Der Übergang kann nach Ansicht der Initiatoren nur schrittweise undgegebenenfalls über Jahrzehnte erfolgen.

Die Renten- und Arbeitslosenversicherung bleiben als paritätisch finanzierte Sozialver-sicherungen bestehen.

Die Kranken- und Pflegeversicherung werden auf ein steuerfinanziertes Gesundheits-system umgestellt.

Zur Sicherstellung des Existenzminimums erhalten Geringverdiener ergänzend einbedürftigkeitsgeprüftes, an das örtliche Mietniveau gekoppeltes Wohngeld.

Grundsicherung für Arbeitssuchende (ALG II und Sozialgeld), Kindergeld, Bafög, Erziehungs-und Elterngeld entfallen, bei anderen Sozialleistungen sind Einsparungen vorgesehen.

Die Piratenpartei spricht sich in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl2013 für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens aus,ohne dieses genau zu konkretisieren.

Das Konzept „Sozialstaat 3.0“ ist einer der innerhalb der Piratenparteidiskutierten Vorschläge, der die im Wahlprogramm formulierten Leitlinienerfüllt.

Das Modell „Sozialstaat 3.0“ ist als Zwischenschritt zu einem existenz-sichernden bedingungslosen Grundeinkommen gedacht.

Fast alle steuer- und beitragsfinanzierten Sozialleistungen werden ersatzlos abgeschafft unddurch das Grundeinkommen ersetzt. Das gilt insbesondere für die Gesetzliche Renten-, Ar-beitslosen- und Pflegeversicherung, wie auch für das Arbeitslosengeld II, die Sozialhilfe, dasWohn- und Kindergeld.

Für die Kranken- und Unfallversicherung gibt es eine Grundversicherungspflicht verbundenmit einem Übergang zu einem Pauschalprämiensystem. Die dafür notwendigen pauschalenBeiträge werden im Rahmen des Grundeinkommens als Versicherungsgutscheine ausgege-ben.

Ggf. sind ergänzende staatliche Leistungen in bestimmten Lebenslagen notwendig.

Der Vorschlag ist als „idealtypisches“ Grundeinkommensmodell konzipiert,d.h. es werden keine konkreten Paramenter (insb. Höhe) vorgegeben, da dieseine politische Entscheidung sei. Als mögliche Alternativen wird ein monat-liches Grundeinkommen von 600 und 800 Euro betrachtet, wobei letztereszu einem höheren Finanzierungsbedarf respektive höheren Steuersätzenführt.

Das Konzept sieht darüber hinaus eine radikale Flexibilisierung des Arbeits-marktes vor: Sämtliche sozialpolitisch motivierten Regulierungen werdengestrichen.

Diese Flexibilisierung des Arbeitsmarktes ist eine wesentliche Ursachefür die positiven ökonomischen Effekte, die prognostiziert werden.

Aktuelle Vorschläge für ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland Das bedingungslose Grundeinkommen

politischen Sphäre stammendes Konzept aufgegriffen.23 Ent-sprechend der Fokussierung auf den Aspekt der „Bedingungs-losigkeit“ bleiben Grundsicherungskonzepte außen vor, die wiedas „Liberale Bürgergeld“ oder das vom Sachverständigenrat zurBegutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung vorge-schlagene Kombilohnmodell zur Weiterentwicklung des ALG IIeine aktive Gegenleistung bzw. prinzipielle Arbeitsbereitschaft dererwerbsfähigen Transferempfänger einfordern und auch prüfenlassen.24

Betrachtet man die diversen konkreten Vorschläge für ein be-dingungsloses Grundeinkommen, so fällt auf, dass konzeptio-nelle Unterschiede weniger den Bereich der Transfergewährung,sondern vor allem die angrenzenden steuerlichen und sozial-staatlichen, aber auch arbeitsmarktlichen Regelungen betreffen.Beispielsweise sieht das Solidarische Bürgergeld von DieterAlthaus, aber auch das Konzept von Thomas Straubhaar einekomplette Umstellung der Finanzierung der Gesetzlichen Kran-kenversicherung und der Sozialen Pflegeversicherung vor: von derlohnbezogenen Finanzierung des Status quo hin zu einer pau-schalen Gesundheitsprämie bzw. zu einer Gutscheinlösung. „Re-volutionär“ anmutende Veränderungen halten die Konzepte auchim Hinblick auf die Finanzierung bereit. Auf große Sympathiestößt bei vielen Befürwortern eine Einkommensteuer mit einheit-lichem (Grenz)steuersatz, also ohne (direkte) Progression. Diesgilt auch für Vertreter aus dem politisch eher links anzusiedeln-den Lager. Götz Werner hingegen sieht einen weitreichendenUmbau des Steuersystems weg von einer Einkommensbesteu-erung hin zu einer ausschließlichen Konsumbesteuerung, etwaüber eine deutlich erhöhte Mehrwertsteuer, als elementaren

Baustein seines Grundeinkommenskonzepts an. Sehr unter-schiedliche Vorstellungen bestehen über die begleitend einzu-führenden Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt. Während vorallem Thomas Straubhaar und Ingrid Hohenleitner eine drastischeDeregulierung des Arbeitsmarktes vorschwebt, auf der letztenEndes der Großteil der von ihnen erhofften positiven Beschäf-tigungswirkungen beruht, sehen andere Grundeinkommens-befürworter die Notwendigkeit, ergänzend einen gesetzlichenMindestlohn von bis zu 10 Euro einzuführen.

Diesen hier nur exemplarisch genannten Elementen kommtaus Sicht ihrer jeweiligen „Initiatoren“ und Befürworter eine wich-tige Rolle zu, nicht zuletzt, weil sie die vermuteten positivenökonomischen oder sozialpolitischen Effekte verstärken, wennnicht gar erst hervorbringen sollen. Gleichzeitig erschwert dasZusammentreffen mehrerer weitreichender Veränderungen, vondenen jede für sich allein genommen bereits mit erheblichen undnicht immer unstrittigen Auswirkungen einherginge, die Bewer-tung der Grundeinkommenskonzepte. Um den Rahmen nicht zusprengen, stellt die vorliegende Studie vor allem die gemein-samen, für die meisten Grundeinkommensmodelle charakteris-tischen Elemente in den Mittelpunkt der Betrachtung. Die Hete-rogenität der diversen, im weiteren nicht näher betrachtetenModellergänzungen – dazu gehören beispielsweise der Über-gang zu einem reinen Konsumsteuersystem oder die Einführungeiner pauschalen Gesundheitsprämie – zeigt zudem, dass keinzwingender sachlogischer Zusammenhang zwischen der Einfüh-rung eines bedingungslosen Grundeinkommens und den diver-sen steuer-, arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Ergänzungenbesteht.25

23 Daneben gibt es vor allem in den Parteien Bündnis 90/Die Grünen und DIE LINKE starke Strömungen, die Konzepte für ein bedingungsloses Grundeinkommen ent-wickelt haben. Das „Solidarische Bürgergeld“ von Dieter Althaus wurde zwischen 2007 und 2010 im Rahmen einer CDU-internen Kommission diskutiert.

24 Vgl. Altmiks (2009) und Kommission Bürgergeld – Negative Einkommensteuer (2005) für das „Liberale Bürgergeld“ sowie SVR (2006) zum Kombilohnmodell desSachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.

25 So beispielsweise auch Roth (2008), S.10 in Bezug auf die von Hohenleitner/Straubhaar (2008) vorgeschlagene Deregulierung des Arbeitsmarktes.

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– ein unhaltbares Versprechen Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens

4 Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens

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Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wirftzahlreiche Fragen und Probleme auf. Für die praktische Umset-zung am bedeutsamsten ist dabei wohl die Frage der Finan-zierbarkeit. Kann sie nicht positiv beantwortet werden, ist jedesGrundeinkommensmodell in der Praxis zum Scheitern verurteilt.Zugleich ist die Finanzierungsfrage eine der am schwierigsten zubeantwortenden, da die staatlichen Ausgaben und Einnahmenletzten Endes immer von den ökonomischen Entscheidungenund Handlungen der Menschen abhängen. Es kommt also ganzentscheidend darauf an, ob und wie die Menschen auf die Ein-führung eines bedingungslosen Grundeinkommens reagierenund wie sie ihr ökonomisches Verhalten verändern würden.

Nun käme aber die Einführung eines bedingungslosen Grund-einkommens geradezu einer sozialstaatlichen Revolution gleich,welche die bisherigen sozialpolitischen Rahmenbedingungen fürdie Bürger dramatisch verändern würde. Dementsprechend sindgravierende Anpassungsreaktionen der Menschen zu erwarten.Das betrifft sowohl den Zeitpunkt der Einführung, stärker abernoch die lange Frist, da ein Grundeinkommen ohne Zweifel un-terschiedlichste dynamische Prozesse anstoßen würde. Sie ver-lässlich zu prognostizieren ist allerdings aus mehreren Gründenkein Leichtes. Ein bedingungsloses Grundeinkommen stellt einensprunghaften Paradigmenwechsel dar, so dass Erkenntnisse, dieaus überschaubaren Parametervariationen in der Vergangenheitgewonnen werden, nicht ohne weiteres in eine „Grundeinkom-menswelt“ übertragen und hochgerechnet werden können. Men-schen sind komplexe soziale Wesen, deren Entscheidungen undgesellschaftliche Interaktionen nicht immer leicht zu antizipierensind, und die keineswegs nur auf monetäre Anreize reagieren. Diesbetont nicht zuletzt die in jüngerer Vergangenheit vernehmlichergewordene Kritik an der von Ökonomen zwecks Vereinfachunggerne verwendeten Homo-Oeconomicus-Verhaltensannahme,welche unterstellt, dass Menschen in erster Linie ihr Einkommenbzw. ihren Eigennutzen im Rahmen einer Kosten-Nutzen-Abwä-gung maximieren. Man sollte also ein realistisches Menschenbildzugrundelegen, das einerseits Fairnessüberlegungen, sozialeNormen und Erkenntnisse der Verhaltensökonomie berücksichtigt,andererseits aber auch keine unrealistisch heroischen Erwar-tungen an die intrinsischen Handlungsmotive und den gesell-schaftlichen Altruismus der Menschen hat. Mit unrealistischenAnnahmen ließe sich jedes Grundeinkommensmodell schön-rechnen. Bevor im Weiteren aber auf die konkrete Frage der Fi-nanzierbarkeit eingegangen wird, sollen zunächst einige der zuerwartenden „vorgelagerten“ Probleme und Wirkungsmechanis-men kritisch diskutiert werden.

4.1 Ordnungspolitische und grundsätzliche Einwändegegen ein bedingungsloses Grundeinkommen

Aus ordnungspolitischer Perspektive ist zunächst anzumerken,dass die für den traditionellen Sozialstaat konstitutiven Prinzipiender Subsidiarität und der Leistungsgerechtigkeit auf den Kopf ge-stellt würden. Während im Status quo der Einzelne ökonomischzunächst für sich selbst verantwortlich ist und die Gesellschaft– insbesondere im Bereich der Grundsicherung und Sozialhilfe– nur in sozialen Notlagen und bei eigenem Bemühen der Be-troffenen unterstützend eingreift, würde ein bedingungslosesGrundeinkommen die unbedingte Zahlungsverpflichtung desStaates an die erste Stelle rücken. Das Bedürftigkeitsprinzipwürde durch Transferleistungen nach dem „Gießkannenprinzip“ersetzt. Nicht mehr der Einzelne oder die Haushaltsgemeinschaftwären zunächst und primär für den eigenen Lebensunterhalt ver-antwortlich, sondern der Staat bzw. die Gesellschaft. Diesemüssten mit einem finanziellen Geschenk in Vorleistung gehenund hätten keine Möglichkeit, eine Gegenleistung einzufordern.Zugespitzt formuliert: Das bedingungslose Grundeinkommen wirktwie eine mehr oder weniger komfortable Hängematte, bei derman zwar versucht, die Menschen mit höheren Hinzuverdienst-möglichkeiten bzw. niedrigeren Transferentzugsraten als heuteherauszulocken, letztendlich aber nur hoffen kann, dass es denMenschen in der Hängematte irgendwann langweilig wird und siesich produktiven Tätigkeiten zuwenden.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen, vor allem wenn esexistenzsichernd ist, akzeptiert somit ein Recht auf Faulheit undMüßiggang auf Kosten der Gemeinschaft bzw. der Steuerzahler.Das leugnen auch die Grundeinkommensbefürworter nicht (vgl.z.B. Schramm, 2010, S. 123). Ihre Hoffnung, dass nur einekleine Minderheit ein solches, aus gesellschaftlicher Sicht durch-aus problematisches Verhalten an den Tag legen würde, darf inZeiten, in denen manche Jugendliche als Berufswunsch „HartzIV“ angeben, allerdings durchaus bezweifelt werden. Gleiches giltfür die Erwartung, dass es durch ein bedingungsloses Grund-einkommen zu einem massiven Schub beim ehrenamtlichenEngagement kommt. Die kurzfristigen Verlockungen des Müßig-gangs sollten jedenfalls nicht unterschätzt werden. Selbst wennein staatlich finanziertes „Leben in Faulheit“ auf Dauer nicht be-friedigt – diesbezüglich ist den Befürwortern eines Grundein-kommens durchaus zuzustimmen – erfordert die Überwindungdes Müßiggangs ein Maß an Selbstdisziplin und Selbstkontrolle,

Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens Das bedingungslose Grundeinkommen

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das wohl nicht von allen Menschen ohne Weiteres aufgebrachtwerden wird, zumal jeglicher äußerer Druck entfällt. Was heutenoch als missbräuchlicher Sozialleistungsbezug gebrandmarktund bei Entdeckung sanktioniert wird, würde bei einer bedin-gungslosen Transfergewährung als akzeptiertes und gesetzes-treues Verhalten gelten. Dementsprechend argumentiert bei-spielsweise Fetchenhauer (2008, S. 28f.), dass das derzeitigeSystem, das dazu zwingt, auch schlecht bezahlte und anstren-gende Arbeiten anzunehmen, langfristig sehr viel mehr im Inte-resse der betroffenen Menschen liege als die fortgesetzte und un-befristete Finanzierung der „Verlockungen des Augenblicks“.

Anders als von vielen Grundeinkommensbefürwortern erhofft,sind daher auch negative Qualifizierungsanreize für Jugendlichezu erwarten. Gerade Kinder und Jugendliche aus sozial schwä-cheren Schichten dürften von einem großzügig ausgestaltetenGrundeinkommen finanziell „geblendet“ werden und eigene Bil-dungs- und Qualifizierungsanstrengungen für nicht mehr sowichtig erachten. Schließlich garantiert der Staat in einer „Grund-einkommenswelt“ ein einigermaßen auskömmliches Leben aufeinem finanziellen Niveau, das zumindest in jungen Jahren durch-aus attraktiv erscheinen kann, und ermöglicht damit zugleich eineMaximierung von Freizeit.26 Angesichts der immensen Bedeutungvon Bildung für Chancengerechtigkeit, aber auch für Wachstumund Wohlstand, wäre eine solche Entwicklung fatal.27

Zu bedenken ist darüber hinaus, dass ein Grundeinkommen– wie alle staatlichen Leistungen – von den Bürgern, insbeson-dere den Erwerbstätigen, finanziert werden muss. Sollte nachEinführung bedingungsloser Grundeinkommensgeschenke inder arbeitenden Bevölkerung der Eindruck entstehen, dass einenennenswerte Zahl der Mitbürger das neue System als sozialeHängematte „ausnutzt“, würde dies ohne Frage die Akzeptanzrasch schmälern, da elementare, mit dem (Gegen-)leistungsprin-zip verbundene Fairnessgrundsätze verletzt wären. Solidaritätaber muss, wenn sie dauerhaft Bestand haben soll, in beide Rich-tungen gehen.28

Bei einer konsequenten Umsetzung eines bedingungslosenGrundeinkommens würden die auf dem Äquivalenzprinzip basie-renden Sozialversicherungssysteme, insbesondere also die Ar-beitslosenversicherung und die Gesetzliche Rentenversicherung

wegfallen.29 Das aber käme einer Entwertung des Prinzips derLeistungsgerechtigkeit gleich. Denn die staatliche Altersversor-gung würde sich nicht mehr nach der Höhe der Beitrags- oderSteuerzahlungen während des Erwerbslebens bzw. nach demgeleisteten Beitrag zum „Generationenvertrag“ richten, sondernwäre für alle identisch.30 Aus gutem Grund sind daher im Statusquo nur die Instrumente gegen soziale Notlagen, vor allem also dieGrundsicherung für Arbeitssuchende und die Sozialhilfe, egali-tär und bedürftigkeitsorientiert ausgestaltet. Da die Ansprüchegegen die Gesetzliche Rentenversicherung eigentumsrechtlichgeschützt sind, würde ein grundlegender Systemwechsel in derAltersversorgung darüber hinaus lange Übergangszeiten erfor-dern, während derer beträchtliche Zusatzkosten finanziert werdenmüssten. Allerdings sehen einige Grundeinkommenskonzepteeine Beibehaltung der Rentenversicherung oder zumindest überdas Grundeinkommen hinausgehende rentenähnliche Zusatz-leistungen für Ältere vor.31 Hier kommt es dann vor allem auf diekonkreten Modalitäten der Einbindung in das bedingungsloseGrundeinkommen an.

Ein fundamentales Problem für ein bedingungsloses Grundein-kommen wird deutlich, wenn man internationale Aspekte berück-sichtigt. Deutschland ist keine abgeschottete „Insel“, sondern einökonomisch international hochverflochtenes Land. Eine besondereErrungenschaft stellt dabei die Integration in die Europäische Uni-on und das damit verbundene Recht auf Freizügigkeit innerhalb derEU dar. Es bedarf allerdings wenig Phantasie sich vorzustellen,welche immense Attraktivität ein bedingungsloses Grundeinkom-men auf Menschen in anderen europäischen Ländern hätte. Einan den Hauptwohnsitz gebundenes Grundeinkommen ließe er-hebliche sozialleistungsinduzierte innereuropäische Wanderungs-ströme nach Deutschland erwarten, die jedes System zu überfor-dern drohen. Restriktivere Regelungen geraten hingegen schnellin Konflikt mit dem Europarecht und der darin garantierten Freizü-gigkeit.32

Schließlich ist die Vorstellung zu relativieren, man könne miteinem Grundeinkommen die Sozialstaatsbürokratie deutlich re-duzieren. Zwar ist richtig, dass die Substitution der zahlreichenunterschiedlichen, teils schlecht aufeinander abgestimmten So-zialleistungen durch ein einheitliches Grundeinkommen und der

26 Ähnlich auch Spermann (2007).27 Vgl. Raddatz (2012) für einen Überblick über die Bedeutung von Bildung in der Sozialen Marktwirtschaft.28 Vgl. Roth (2008), ähnlich auch Enste (2008). Habermacher/Kirchgässner (2013) und Kirchgässner (2009) argumentieren zudem, dass sich die staatlich institutionali-

sierte Ausbeutung der „Fleissigen“ durch die „Faulen“ philosophisch kaum rechtfertigen lässt.29 Vgl. Hohenleitner/Straubhaar (2008) S. 97 oder Roth (2008), S. 11.30 Es bliebe allerdings sowohl Raum als auch die Notwendigkeit für private Altersvorsorge.31 Das Solidarische Bürgergeld von Dieter Althaus (vgl. Althaus/Binkert, 2010) sieht beispielsweise eine – allerdings nur rudimentär skizzierte – Bürgergeldrente vor, die

sich aus einer Bürgergeld-Grundrente (600 €) und einer Zusatzrente von bis zu maximal 1.800 € zusammensetzt. Nach welchen Kriterien sich die Höhe der Zusatz-rente bemisst und ob neben Kindererziehungszeiten gegebenenfalls auch weiteres, nicht über den Arbeitsmarkt entlohntes gesellschaftliches Engagement berück-sichtigt würde, bleibt allerdings unklar.

32 Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre natürlich auch für Menschen aus Drittstaaten attraktiv. Mangels Freizügigkeit ließe sich eine Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten allerdings leichter steuern. Vgl. auch Habermacher/Kirchgässner (2013) und Enste (2008) zum Problem des „Sozialtourismus“.

– ein unhaltbares Versprechen Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens

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Wegfall sozialstaatlicher Kontrollmechanismen zu einer deutlichenVereinfachung sowie einer Verringerung von Bürokratiekostenführen kann. Dies gelingt umso eher, je großzügiger das Grund-einkommen ausfällt und je mehr sich die Gesellschaft damit be-gnügt, das Grundeinkommen (auch) als Stilllegungsprämie fürMenschen zu akzeptieren, die besonderer Förderung, aber auchAktivierung bedürfen.

Sofern das Grundeinkommen jedoch – wie in zahlreichenModellen zumindest für den Einführungszeitpunkt vorgesehen –nicht ausreicht, um flächendeckend für alle Menschen das sozio-kulturelle Existenzminimum einschließlich der Wohnungskostenabzudecken, bedarf es auch weiterhin ergänzender, bedürftig-keitsgeprüfter Sozialleistungen, die dem Vereinfachungsgedankenzuwiderlaufen. Dies kann beispielsweise für Menschen mit Be-hinderung oder bei Pflegebedürftigkeit von Bedeutung sein,33 vorallem ist aber auch an die regional höchst unterschiedlichen Miet-preisniveaus zu denken. Soll ein bedingungsloses Grundeinkom-men hingegen eine existenzsichernde Höhe haben, darf es dieMieten nicht nur mit einem regionalen Durchschnittswert berück-sichtigen, sondern müsste ein Niveau erreichen, das auch in Ge-genden mit hohen Mieten zur Deckung des Existenzminimumsausreicht. Die Folgeprobleme sind offensichtlich: Eine Orientie-rung an den Regionen mit den höchsten Mieten würde nicht nurdie Finanzierbarkeit erschweren, es käme zudem zu interregio-nalen Gerechtigkeitsdefiziten, da Menschen in Regionen mit nied-rigen Mieten mehr Geld zur freien Verfügung hätten als Menschenin teuren Regionen. Wohl auch aus diesen Gründen sind bei-spielsweise die Kosten der Unterkunft im überarbeiteten Konzeptvon Dieter Althaus für ein Solidarisches Bürgergeld nicht mehr indie einheitliche Bürgergeldpauschale eingerechnet. Stattdessenwerden sie im Bedarfsfall durch den – bedürftigkeitsgeprüften –Bürgergeldzuschlag abgedeckt (Althaus/Binkert, 2010, S. 67ff.).Immerhin legen Althaus/Binkert einen gewissen Realismus anden Tag, wenn sie konstatieren, dass anderenfalls bei Berück-sichtigung der Mietkosten das bedingungslose Grundeinkom-men bei etwa 1.000 Euro liegen müßte, und weiter schlußfolgern:„Ein bedingungsloses Grundeinkommen in dieser Höhe […] wärenur durch erheblich höhere Einkommen- und Konsumsteuern zufinanzieren. Das wäre wegen der zu befürchtenden negativenökonomischen Folgen für den Einstieg ein zu großes Risiko.“ (Alt-haus/Binkert, 2010, S. 69).

Darüber hinaus sollte man den Sozialstaat nicht nur aufseine monetären Transferleistungen reduzieren. Vielmehr versuchter – wenn auch mit unterschiedlichem Erfolg – Menschen in Not-lagen zu beraten, zu unterstützen, aber auch zu aktivieren. Bei-spielhaft sei auf Qualifizierungs- und Weiterbildungsmaßnahmender aktiven Arbeitsmarktpolitik oder die Jugendsozialarbeit hin-

gewiesen. Selbst wenn man im Rahmen eines Grundeinkom-mensmodells diese Maßnahmen weiterführt, kann für einzelneBetroffene die bedingungslose Transferzahlung wie eine – zu-mindest temporäre – Stilllegungsprämie wirken, da sie denHandlungsdruck, staatliche Beratungs- und Hilfsangebote an-zunehmen, deutlich senkt bzw. zeitlich verzögert.

4.2 Arbeitsmarktökonomische Einwändegegen ein bedingungsloses Grundeinkommen

Die Ausgangshypothese zahlreicher Grundeinkommensbefür-worter, dass Vollbeschäftigung ein Mythos sei und uns die Arbeitausgehe, kann ökonomisch nicht überzeugen und ist widerlegt.34

Die „Kuchenvorstellung“ einer fest vorgegebenen Menge an mög-licher Arbeit ist falsch, das zeigt nicht zuletzt die Entwicklung derErwerbstätigkeit in Deutschland im letzten Jahrzehnt. Alle Men-schen können bei entsprechenden Rahmenbedingungen einenwertvollen Beitrag zum Gemeinwesen leisten. Richtig ist allerdings,dass Vollbeschäftigung kein Selbstläufer ist. Ein bedingungslo-ses Grundeinkommen würde diesbezüglich jedoch die Weichenin die falsche Richtung stellen, vor allem wenn man die Finanzie-rungsrestriktionen ernst nimmt, und Menschen de facto vom Ar-beitsmarkt fernhalten.

Unter anreiztheoretischen Gesichtspunkten ist vor allem derWegfall des Gegenleistungsprinzips bedenklich. Heute bestehtan alle erwerbsfähigen Transferbezieher die Erwartung, einen Ei-genbeitrag zu leisten, um möglichst aus der Grundsicherung fürArbeitssuchende herauszukommen oder – sofern das z.B. wegeneiner großen Familie nicht möglich ist – den Umfang der finan-ziellen Unterstützung zu verringern. Diese Erwartung entsprichteinem Workfare-Gedanken und gilt zunächst unabhängig vonÜberlegungen, dass derjenige, der arbeitet, ein höheres Einkom-men haben soll, als jemand, der nicht arbeitet. Dementsprechendkann heute das Arbeitslosengeld II gekürzt werden, wenn er-werbsfähige Transferempfänger erkennen lassen, dass sie nichtgewillt sind, sich um einen Arbeitsplatz zu bemühen, und ange-botene Arbeitsplätze oder Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarkt-politik ohne nachvollziehbare Begründung ausschlagen. DieseOption fiele bei einem bedingungslosen Grundeinkommen weg.Grundeinkommensbefürworter brandmarken zwar die heute be-stehende Verpflichtung für Transferempfänger, eine Gegenleis-tung für die staatliche Unterstützung zu erbringen. Umgekehrtkann ein bedingungsloses Grundeinkommen aber auch als „Still-legungsprämie“ für diejenigen Menschen interpretiert werden, diesich ohne entsprechende Aktivitäten des Förderns und Forderns

33 Vgl. Roth (2008), S. 13.34 Vgl. Spermann (2012), S. 239f.

dauerhaft mit dem Grundeinkommensniveau begnügen würden.Ihnen würde durch ein bedingungsloses Grundeinkommen sig-nalisiert, dass die Gesellschaft zwar ihr Existenzminimum sichert,ansonsten aber keinerlei Erwartungen mehr an sie hat. Der inmanchen Fällen erforderliche „heilsame Druck“, der zugleich im-mer auch Ausdruck des Zutrauens in die Fähigkeiten jedes Men-schen ist, könnte jedenfalls nicht mehr aufgebaut werden.

Eine verminderte Transferentzugsrate, wie sie in den meistenModellen eines bedingungslosen Grundeinkommens vorgesehenist, muss im Hinblick auf die Arbeitsmarkteffekte differenziert be-trachtet werden. Im unteren Einkommensbereich, in dem dasALG II derzeit de facto einen Kombilohn darstellt, verbessern sichdie Arbeitsanreize. Dadurch, dass von jedem selbst verdientenEuro ein größerer Anteil als heute in der eigenen Tasche verbleibt,wird das Problem der sogenannten Arbeitslosen- oder Armuts-falle ein Stück weit gelöst. Diese beschreibt eine Situation, in deres sich für arbeitslose Transferempfänger ökonomisch vermeint-lich nicht lohnt, eine niedrig entlohnte Arbeit aufzunehmen, da dasdann verdiente Lohneinkommen mehr oder weniger vollständigauf den Transferbezug angerechnet würde. Die Aufnahme einerBeschäftigung würde das verfügbare Einkommen kaum erhöhen,wäre zugleich aber mit einem erheblichen „Arbeitsleid“ verknüpft.So besteht heute in der Tat das Problem, dass die hohe Einkom-mensanrechnung zwischen 80 und 100 Prozent in der Grundsi-cherung für Arbeitssuchende die Aufnahme einer niedrig ent-lohnten Vollzeitbeschäftigung finanziell wenig attraktiv macht. DieKontroll- und Sanktionsaktivitäten der Sozialstaatsbürokratiesind letzten Endes der behelfsmäßige Versuch, die geringe finan-zielle Attraktivität von parallel zum Transferbezug geleisteter Arbeitzu kompensieren. Dementsprechend kreisen auch jenseits vonForderungen, ein bedingungsloses Grundeinkommen einzufüh-ren, die Überlegungen immer wieder um die Frage, wie man dieTransferentzugsrate absenken und damit die Arbeitsaufnahmefür die Betroffenen attraktiver machen könnte, ohne dass gleich-zeitig Finanzierungsprobleme oder andere unerwünschte Neben-wirkungen auftreten.

Die zentrale Problematik niedriger Transferentzugsraten, vorallem wenn sie mit einem hohen Ausgangsniveau des Grund-einkommens verknüpft werden, besteht darin, dass sich der Ein-kommensbereich, in dem eigenes Arbeitseinkommen mit staat-lichem Transferbezug kombiniert wird, stark ausweitet. BisherigeNettozahler würden zu Transferempfängern. Abgesehen vonmassiven finanziellen Auswirkungen (vgl. dazu auch Abschnitt4.3) können negative Arbeitsmarkteffekte resultieren. Für zahl-reiche Haushalte, die heute zu den Nettosteuerzahlern gehören,dürfte es attraktiv sein, ihr Arbeitsangebot zugunsten eines hö-

heren Freizeitanteils zu verringern, da ein Teil des Einkommens-verlustes durch das Grundeinkommen aufgefangen würde.35

Eine mögliche Alternative, um dieses Problem zu lösen, be-steht darin, das Ausgangsniveau der staatlichen Grundsicherungfür Erwerbsfähige deutlich abzusenken, um im Gegenzug bes-sere Hinzuverdienstmöglichkeiten schaffen zu können. Einen sol-chen Vorschlag hat beispielsweise – neben anderen – der Sach-verständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichenEntwicklung (SVR, 2006) vorgelegt. Mit einem bedingungslosenGrundeinkommen hat ein solcher Vorschlag allerdings nichts ge-mein, sondern er verkörpert eine auf bessere Arbeitsanreize undmehr Beschäftigung ausgelegte Weiterentwicklung des Statusquo.36

Letztlich sind die Arbeitsanreizeffekte eines bedingungslosenGrundeinkommens ein Stück weit unbestimmt bzw. hängen innicht unerheblichemMaße von der gewählten Parameterkonstel-lation ab. Allerdings besteht ein grundsätzlicher Konflikt zwischengroßzügiger Existenzsicherung, tragfähigen Arbeitsanreizen undFreiwilligkeitsprinzip.

Unter arbeitsmarktökonomischen Überlegungen vollkommenwidersinnig wäre die Ergänzung eines bedingungslosen Grund-einkommens mit einem (hohen) gesetzlichen Mindestlohn, wie esin vielen Modellen vorgesehen ist.37 Ein Mindestlohn würde denbeschäftigungsfreundlichen Kombilohncharakter des bedin-gungslosen Grundeinkommens im Niedriglohnbereich zerstörenund es arbeitsmarktpolitisch ad absurdum führen. Die Mindest-lohnbefürworter begehen dabei eine Fehleinschätzung, wenn siedie bei sinkenden Marktlöhnen notwendige höhere Aufstockungdurch Grundeinkommenselemente (Kombilohncharakter) als un-gerechtfertigte und unredliche steuerliche Subventionierung vonim Niedriglohnsektor tätigen Unternehmen kritisieren. Es herrschtbei ihnen offenbar die Befürchtung vor, dass es zu einer uner-wünschten Ausweitung des Niedriglohnsektors und zu Mitnahme-effekten bei den Unternehmen auf Kosten des Steuerzahlerskomme, wenn Arbeitnehmer – angesichts der niedrigeren Trans-ferentzugs-rate – niedrige Löhne akzeptierten, da ihr verfügba-res Nettoeinkommen im Vergleich zu einer Situation ohne Arbeitgleichwohl steigt. Dabei ignorieren die Mindestlohnbefürworter,dass mit einem zu hohen Mindestlohn eine marktkonforme, pro-duktivitätsorientierte Entlohnung von Geringqualifizierten kaumnoch möglich ist und diese Menschen vom Arbeitsmarkt ausge-schlossen werden. Außerdem lassen sie außer Acht, dass die Ar-beitnehmer ein Eigeninteresse an einer möglichst hohen, dabeiaber noch beschäftigungskompatiblen Entlohnung haben. Le-diglich im Falle einer sehr hohen Transferentzugsrate von 100%,wenn also eigenes Einkommen vollständig mit staatlichen Sozi-

Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens Das bedingungslose Grundeinkommen

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35 Vgl. Spermann (2001, 2007).36 Vgl. Enste (2008), S. 10f., für eine Übersicht mit weiteren Vorschlägen.37 Vgl. Blaschke (2012), S. 216–236, für eine Übersicht, welche Modelle einen Mindestlohn vorsehen.

– ein unhaltbares Versprechen Probleme und offene Fragen eines bedingungslosen Grundeinkommens

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altransfers verrechnet würde, wären die Arbeitnehmer gegenüberungerechtfertigt niedrigen Löhnen indifferent, da das ihnen zurVerfügung stehende Nettoeinkommen davon unberührt bliebe.Nur in diesem Extremfall, der bei einem bedingungslosen Grund-einkommen gerade nicht relevant ist, bestünde eine realistischeGefahr, dass sich Arbeitgeber auf Kosten des Staates bzw. derSteuerzahler ungerechtfertigt bereichern könnten. Wer hingegenergänzend zum bedingungslosen Grundeinkommen einen ge-setzlichen Mindestlohn fordert, der Menschen gegen ihren Wil-len vom Arbeitsmarkt ausschließt, zeigt nur, dass er es mit derSelbstbestimmung der Menschen nicht besonders ernst meint.

4.3 Fiskalisch-budgetäre Einwändegegen ein bedingungsloses Grundeinkommen

Angesichts der vielfältigen Anpassungsreaktionen, die durch denmit einem bedingungslosen Grundeinkommen verbundenen Pa-radigmenwechsel hervorgerufen würden, erweisen sich aussage-kräftige Finanzierungsrechnungen als schwierig und bis zu einemgewissen Grade spekulativ. Grundsätzlich können die Ausgabenfür ein bedingungsloses Grundeinkommen aus zwei Quellen fi-nanziert werden. Zum einen ersetzt ein Grundeinkommen zahl-reiche bisher bestehende steuer- und beitragsfinanzierte Sozial-leistungen. Die dadurch frei werdenden Mittel können somit zurFinanzierung des Grundeinkommens herangezogen werden.Zum anderen besteht die Möglichkeit, durch Steuererhöhungenoder die Einführung neuer Steuern einen darüber hinaus nochverbleibenden Finanzierungsbedarf zu decken.

Offensichtlich ist, dass einfache statische Finanzierungs-rechnungen, die unter Vernachlässigung von Anpassungsreak-tionen und Verhaltensänderungen die Einnahmen und Ausgabenim Status quo mit Schätzungen für die neue Grundeinkommens-welt vergleichen, kaum aussagekräftig sind. Je großzügiger einGrundeinkommensmodell ausgestaltet ist und je höher damit diezu finanzierenden Ausgaben sind, desto eher ist mit problema-tischen Rückwirkungen aufgrund von steuerinduzierten Verhal-tensänderungen zu rechnen. Meistens allerdings basieren Unter-suchungen, welche die Finanzierbarkeit eines bedingungslosenGrundeinkommens bejahen, auf statischen Vergleichsrechnun-gen, die über eine rudimentäre Berücksichtigung von Verhaltens-änderungen und dynamischen Effekten nicht hinauskommen.38

Als Grundlage für eine valide und überzeugende Handlungs-empfehlung können sie daher kaum angesehen werden.

Methodisch anspruchsvollere Abschätzungen auf Basis vonkomplexen Simulationsmodellen, die versuchen, Verhaltensän-

derungen auf dem Arbeitsmarkt wie auch gesamtwirtschaftlicheRückwirkungen zu berücksichtigen, kommen hingegen zu deut-lich pessimistischeren Ergebnissen, was die Finanzierbarkeit be-trifft. Vor allem zeigt sich ein kaum zu lösender Konflikt zwischender Sicherung des Existenzminimums, den Arbeitsanreizwirkun-gen und den Finanzierungserfordernissen. Sowohl der Sachver-ständigenrat zu Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Ent-wicklung (SVR, 2007, S. 227–244) als auch Horstschräer et al.(2010), Bonin/Schneider (2007), Fuest/Peichl (2009) sowie Fuestet al. (2007) zeigen, dass Grundeinkommenskonzepte entwedernicht finanzierbar sind oder wegen der erforderlichen Gegenfinan-zierung keine bzw. negative Beschäftigungswirkungen haben.

Da aufgrund der Bedingungslosigkeit des Transferbezugsdas Gegenleistungsprinzip entfällt, entstehen positive Arbeits-anreizeffekte im unteren und mittleren Lohnbereich vor allemdurch die im Vergleich zum Status quo abgesenkte Transferent-zugsrate, aber nicht mehr durch die derzeit bestehende Verpflich-tung, sich bei Grundsicherungsbezug um eine Beschäftigung zubemühen. Das geht zu Lasten der Finanzierbarkeit. Vor allemwenn das garantierte Ausgangsniveau des Grundeinkommensvergleichsweise hoch liegt – was bei Sicherstellung des Exis-tenzminimums der Fall sein müsste – resultiert eine hohe Ein-kommensschwelle, ab der ein Bürger Nettosteuerzahler wird.Geht man beispielsweise von einem Grundeinkommen von1.000 Euro und einer Transferentzugsrate bzw. einer konstantenBesteuerungsquote eigenen Einkommens von 50 Prozent aus,so werden alle Menschen mit einem Bruttoeinkommen von un-ter 2.000 Euro zu Nettotransferempfängern. Erst bei höheren Ein-kommen übersteigt die Steuerzahlung das Grundeinkommen, sodass im Saldo eine positive Nettosteuerzahlung resultiert. Auf-grund des Individualprinzips aller Grundeinkommensmodelleerhöht sich diese Schwelle für Mehrpersonenhaushalte, insbe-sondere Familien mit Kindern, deutlich. Im hier gewählten Beispielwürde ein 4-Personen-Haushalt erst ab 8.000 Euro Monatsein-kommen mehr Steuern bezahlen, als die Haushaltsmitglieder ins-gesamt an Grundeinkommensleistungen erhielten. Im Vergleichzu heute würden somit viele Menschen, die derzeit über Steuernund Sozialbeiträge zur Finanzierung des Gemeinwesens beitra-gen, zu Nettotransferempfängern. Das mag aus individueller Sichtverheißungsvoll erscheinen und einen Teil der Attraktivität einesbedingungslosen Grundeinkommens ausmachen; gesamtge-sellschaftlich führt es allerdings zum Scheitern des Modells.

Setzt man die Transferentzugsrate, mit der eigenes Ein-kommen auf das Grundeinkommen angerechnet wird, hingegenhöher an, verbessern sich zwar auf den ersten Blick die Finan-zierungsmodalitäten, da die Schwelle zur Nettosteuerzahlungsinkt. Bei einer Transferentzugsrate von 75% liegt sie nicht mehr

38 Vgl. beispielhaft die Berechnungen in Althaus/Binkert (2010) Hohenleitner/Straubhaar (2008) oder Opielka/Strengmann-Kuhn (2007). Letztere wie auch Opielka(2008) verteidigen hingegen den Verzicht auf komplexe dynamische Simulationsverfahren.

Fazit Das bedingungslose Grundeinkommen

bei 2.000 Euro, sondern nur noch bei 1.333 Euro.39 Gleichzeitigverringern sich jedoch auch die positiven Arbeitsmarkteffekte ei-ner niedrigen Anrechnung eigenen Einkommens auf den staat-lichen Transfer. Letztlich droht bei (zu) hohen Steuersätzen eineökonomische Spirale nach unten, da die Kombination aus Müßig-gang und Grundeinkommen relativ attraktiver wird.

Ein Weiteres kommt hinzu: Durch ein bedingungslosesGrundeinkommen verändern sich nicht nur die kodifizierten Re-geln, die heute von erwerbsfähigen Grundsicherungsbezieherneine Gegenleistung einfordern. Vielmehr drohen, wie oben skiz-ziert, auch ungeschriebene soziale Normen, insbesondere die Ar-beitsmoral und der Grundsatz, möglichst selbst für den eigenenLebensunterhalt aufzukommen, zu erodieren. Ähnliches gilt auchfür Bildungsanreize und den Willen zu sozialem Aufstieg. Wennaber die Vorstellung mehrheitsfähig wird, das Leben auf Kostender Allgemeinheit bestreiten zu können, dann bricht über kurzoder lang die Bereitschaft der verbleibenden Steuerzahler weg,ihren Beitrag zur Finanzierung der Allgemeinheit zu leisten. Somutmaßt Spermann (2012, S. 242) etwa auf Basis von empiri-schen Erkenntnissen von Stutzer/Lalive (2004), die für die SchweizHinweise für einen stark positiven Zusammenhang zwischen

Arbeitsnorm und Arbeitsaufnahme gefunden haben: „Wenn derUmkehrschluss zulässig wäre, dann existierten klare Hinweiseauf Verhaltensänderungen von Arbeitslosen durch die Einführungeines Bedingungslosen Grundeinkommens, die den Altruismusdes Steuerzahlers gefährden könnten.“ Zwar lassen sich dienegativen Finanzierungseffekte einer schwindenden Arbeitsmo-ral und erodierender sozialer Normen im Vorhinein nicht genauquantifizieren, allerdings sollte man sie deshalb nicht beiseiteschieben. Sonst drohen im Nachhinein böse Überraschungen.

Schließlich drohen auch die Eigenheiten des politischen Pro-zesses die Finanzierung jedes Grundeinkommensmodells aufDauer zu torpedieren. Spätestens vor wichtigen Wahlterminenwäre in Wahlkämpfen ein Wettlauf der Parteien um das höchsteGrundeinkommen zu erwarten, wie er heute beispielsweise beiMindestlöhnen bereits zu beobachten ist.40 Ein solcher Über-bietungswettbewerb würde aber angesichts der Rückwirkungenüber die Finanzierungsseite die ökonomische Leistungs- undWettbewerbsfähigkeit Deutschlands zerstören und am Ende al-len schaden. Es ist schwer vorstellbar, wie sich ein solcher Über-bietungswettbewerb verhindern ließe.

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39 Für den 4-Personen-Haushalt läge sie dementsprechend statt bei 8.000 Euro nur noch bei 5.333 Euro.40 Wurden zu Beginn der vor einigen Jahren begonnenen Mindestlohndiskussion in Deutschland noch Mindestlöhne zwischen 5 Euro und 7,50 Euro diskutiert und ge-

fordert, schwanken die Forderungen heute – nur wenige Jahre später und bei einem kaum gestiegenen Preisniveau – zwischen mindestens 8,50 Euro und reichenbis 10,00 Euro bzw. sogar 12,00 Euro.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen stellt keine überzeu-gende Option zur Weiterentwicklung des Sozialstaats dar. Wederkann es aus grundsätzlichen Erwägungen heraus überzeugen,noch dürften sich seine praktischen Umsetzungsprobleme lösenlassen. Würde es dennoch eingeführt, ist mittel- und langfristigvielmehr mit negativen Effekten für Beschäftigung, Bildung und

soziale Normen zu rechnen. Am Ende könnte es sogar zu einemAuseinanderbrechen der Gesellschaft kommen. Sinnvoller ist esdagegen, die drängenden sozialpolitischen Probleme unserer Zeitmit realistischen Instrumenten und Reformoptionen anzugehen.Das gilt insbesondere für die nach wie vor ungelösten Heraus-forderungen durch die zunehmende Alterung der Bevölkerung.

5 Fazit

– ein unhaltbares Versprechen Ein kritischer Fragenkatalog

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Das bedingungslose Grundeinkommen –ein kritischer Fragenkatalog der Stiftung Marktwirtschaft

Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde einen grundlegenden Systemwechsel in der deutschen Sozialpolitik bedeuten. Soll dieseIdee mehr als ein utopisch-idealistisches Denkmodell sein, ist eine Diskussion nicht nur über das theoretische Konzept, sondern vorallem über die realistischerweise zu erwartende praktische Umsetzung und seine Folgewirkungen unerlässlich: Aus Sicht der StiftungMarktwirtschaft müssen vor allem die folgenden Fragen schlüssig beantwortet werden, damit das bedingungslose Grundeinkommenals realistisches und sinnvolles Reformkonzept gelten kann.

OrdnungspolitischIst der ordnungspolitische Preis in Form einer Abkehr vom Subsidiaritätsprinzip in der Sozialpolitik gerechtfertigt? Immerhin würdeder Staat vom „Helfer in der Not“ zum allgegenwärtigen Einkommensgaranten, unabhängig von den jeweiligen individuellen Umständen.Können die Prinzipien „Leistung und Gegenleistung“, „Fördern und Fordern“ aufgegeben werden, weil an anderer Stelle – z.B. beimBürokratieabbau oder bei der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes – Fortschritte erzielt werden, die auf anderemWege nicht realisierbarwären?

ArbeitsmarktpolitischWelche Auswirkungen hat ein bedingungsloses Grundeinkommen auf das Arbeitsangebot und die Erwerbstätigkeit? Kann die Mög-lichkeit zur von Existenzängsten befreiten Selbstverwirklichung in Verbindung mit einer niedrigeren Transferentzugsrate ausreichendmotivieren, eine amMarkt nachgefragte Beschäftigung aufzunehmen? Oder ist es nicht wahrscheinlicher, dass große Bevölkerungskreisedank bedingungsloser staatlicher Alimentation ihre Freizeit maximieren und Müßiggang wählen? Und was ist mit der Schwarzar-beit? Könnte es sein, dass eine Kombination aus staatlichem Grundeinkommen, regulärem Teilzeiteinkommen und Schwarzarbeit dieattraktivste Kombination in der neuen Grundeinkommenswelt darstellt und Schwarzarbeit noch attraktiver als heute würde?

SozialpolitischDas bedingungslose Grundeinkommen will elementare Armut vermeiden. Aber kann es trotz fehlender Zielgenauigkeit so ausgestaltetwerden, dass niemand unter seinem von individuellen Faktoren bestimmten Existenzminimum liegt und das Grundeinkommen trotz-dem bezahlbar bleibt? Wie lässt sich die gewünschte Vereinfachung bei den sozialen Transferleistungen mit der unvermeidlichen Be-rücksichtigung besonderer individueller Lebensumstände – z.B. Behinderung oder Pflegebedürftigkeit – unter einen Hut bringen?Und was ist mit denjenigen, die mehr und vor allem eine andere Art der Unterstützung als einen monatlichen Scheck vom Staat be-nötigen, um wieder eine Perspektive für ihr Leben zu erhalten? Würde nicht das bedingungslose Grundeinkommen zur „Schweige-bzw. Stilllegungsprämie“ für die Schwächsten in der Gesellschaft?

Fiskalisch-budgetärIst ein bedingungsloses Grundeinkommen dauerhaft finanzierbar, vor allem wenn man dynamische Verhaltensanpassungen der Men-schen berücksichtigt? Welche Höhe wäre fiskalisch noch verkraftbar und welche Steuerbelastung würde daraus resultieren? Darüberhinaus muss geklärt werden, welche sozialpolitischen Aufgaben der Staat neben dem Grundeinkommen noch zusätzlich leisten sollund wie diese finanziert werden.

(Partei-)PolitischBedeutet ein garantiertes Grundeinkommen nicht das Ende politischer Handlungsfähigkeit? Bisherige Sozialleistungen sind einzelnfür sich – schwer genug – in Krisenzeiten veränderbar. Das Grundeinkommen aber dürfte irreversibel sein und sein Umfang nur eineRichtung kennen: nach oben. Ließe sich also ein Überbietungswettbewerb wahlkämpfender Parteien verhindern? Zweitens: Wäredie Abschaffung aller anderen Sozialleistungen überhaupt denkbar – oder stünde am Ende als Einführungskompromiss nicht Neuneben Alt – mit entsprechenden Mehrkosten?

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Box Nr. 3

Literatur Das bedingungslose Grundeinkommen

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Executive Summary Das bedingungslose Grundeinkommen – ein unhaltbares Versprechen

Ein Scheitern wäre vorprogrammiert

Es sind allerdings große Zweifel angebracht, ob ein bedingungslosesGrundeinkommen tatsächlich als eine segensreiche Weiterentwicklungdes deutschen Sozialstaates angesehen werden könnte. Ganz im Ge-genteil. Sowohl aus grundsätzlichen Überlegungen wie auch im Hinblickauf praktische Umsetzungsprobleme kann ein bedingungsloses Grund-einkommen nicht überzeugen. Nicht zuletzt aufgrund kaum sinnvoll zulösender Finanzierungsprobleme wäre sein Scheitern wohl vorprogram-miert.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen stellt die Prinzipien der Ei-genverantwortung, der Subsidiarität und der Leistungsgerechtigkeit aufden Kopf und würde ein gesellschaftlich akzeptiertes Recht auf Faulheitund Müßiggang implementieren. Es stellt – zugespitzt formuliert – einesoziale Hängematte bereit. Über kurz oder lang wären negative Auswir-kungen auf die „Arbeitsmoral“ unvermeidlich, was die langfristige Akzep-tanz eines bedingungslosen Grundeinkommens bei den verbleibendenSteuerzahlern erheblich mindern könnte. Selbst wenn man die Hoffnun-gen der Grundeinkommensbefürworter teilt, dass weniger ökonomischerDruck die Menschen positiv motiviert, muss bezweifelt werden, dass alleMenschen die notwendige Selbstdisziplin und Selbstkontrolle aufbringen,den kurzfristigen „Verlockungen des Augenblicks“ zu widerstehen, undproduktiv tätig werden. Vor allem Jugendliche könnten durch ein großzü-giges Grundeinkommen „geblendet“ werden und eigene Bildungs- undQualifizierungsanstrengungen angesichts einer vom Staat finanzierten„Freizeitoption“ für unwichtig erachten. Zwar hätte eine niedrigere Trans-ferentzugsrate positive Arbeitsanreize auf diejenigen, die sich heute in derGrundsicherung für Arbeitssuchende befinden. Gleichzeitig führt einexistenzsicherndes Ausgangsniveau des Grundeinkommens in Verbin-dung mit einer arbeitsanreizkompatiblen Transferentzugsrate dazu, dasszahlreiche Erwerbstätige, die heute in der Summe zur Finanzierung desSozialstaates beitragen, zu Nettotransferempfängern würden. Eine Ver-ringerung ihres Arbeitsangebots, vor allem aber negative fiskalische Ef-fekte wären die direkte Folge. Ökonomisch vollkommen widersinnig wäreschließlich die ergänzende Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns,da dadurch der Kombilohncharakter eines Grundeinkommens und da-mit die Chance auf positive Beschäftigungswirkungen im Niedriglohn-bereich von vornherein zerstört würde.

Achillesferse jedes Grundeinkommensvorschlags ist und bleibt seineFinanzierung. Angesichts des grundlegenden Paradigmenwechsels sindSchätzungen der fiskalischen Effekte mit erheblichen Unsicherheiten be-haftet. Simulationsstudien, die Verhaltensanpassungen berücksichtigen,zeigen allerdings übereinstimmend, dass selbst niedrig angesetzte Grund-einkommensvorschläge milliardenschwere Lücken in die öffentlichen Haus-halte reißen würden. Wollte man sie schließen, gingen die verbessertenArbeitsanreize verloren. Eine offene Frage ist zudem, wie sich in einer durchFreizügigkeit charakterisierten EU grundeinkommensinduzierte Migrati-onsströme verhindern ließen. Als Fazit bleibt daher festzuhalten: Auchwenn der gegenwärtige Sozialstaat zahlreiche gravierende Defizite undUngereimtheiten aufweist, ein bedingungsloses Grundeinkommen wärekaum geeignet, die ökonomische Situation der Menschen dauerhaft zu ver-bessern und den deutschen Sozialstaat zielführend weiterzuentwickeln.

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Executive Summary

Ein bedingungsloses Grundeinkommen – von manchen auch als solida-risches Bürgergeld oder negative Einkommensteuer bezeichnet – würdeeine gewaltige Umstrukturierung des deutschen Sozialstaats mit sichbringen und auch den Arbeitsmarkt beeinflussen. Die Idee eines bedin-gungslosen Grundeinkommens ist zwar nicht neu. Seit den Hartz-Refor-men hat die Diskussion über dieses Konzept jedoch einen neuen Schubbekommen. Das wird auch an zahlreichen neuen Grundeinkommens-vorschlägen deutlich, die seit der Jahrtausendwende vorgestellt wurden.Bei allen Unterschieden im Detail geht es bei einem bedingungslosenGrundeinkommen im Kern immer um einen monatlichen Geldtransfer vomStaat an jeden einzelnen Bürger – idealerweise mindestens in Höhe dessozioökonomischen Existenzminimums. Diese Geldleistung würde – zeit-lich unbefristet – ohne jede Bedingung, insbesondere ohne eine Bedürf-tigkeitsprüfung und ohne Erwartung einer Gegenleistung automatischund regelmäßig gezahlt. Im Gegenzug würden eigene Einkommen vomersten Euro an besteuert bzw. anteilig mit dem Grundeinkommen verrech-net. Dabei ist bei Grundeinkommensbefürwortern eine gewisse Präferenzfür eine Flat Tax mit konstantem Steuersatz zu beobachten. Einige dervorgeschlagenen Konzepte beinhalten darüber hinaus weitreichendezusätzliche Reformelemente – etwa den Umstieg auf ein reines Konsum-steuersystem, die Finanzierung der Gesetzlichen Krankenversicherung undder Sozialen Pflegeversicherung durch pauschale Gesundheitsprämienoder eine völlige Deregulierung des Arbeitsmarktes. Vor allem Letzteresist jedoch im Kreis der Grundeinkommensbefürworter heftig umstritten,was auch daran deutlich wird, dass einige Konzepte die ergänzende Ein-führung eines gesetzlichen Mindestlohns vorsehen. Mit dem Grundsatz von„Fördern und Fordern“ hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen nichtsmehr gemein. Damit unterscheidet es sich eklatant vom traditionellenSozialstaatsmodell, dessen „soziales Auffangnetz“ als Hilfe in Notlagenkonzipiert ist.

Die Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens verbindenmit diesem Konzept ganz unterschiedliche Hoffnungen und Erwartungen.Dazu gehören u.a.:• Eine bessere Absicherung gegen Armut. Insbesondere sollen die dasgegenwärtige System prägenden Bedürftigkeitsprüfungen und Mitwir-kungspflichten, die als „menschenunwürdig“ gebrandmarkt werden,ersatzlos entfallen.

• Ein Gewinn an individueller Freiheit sowie eine Stärkung des gesell-schaftlichen Engagements. Durch die Trennung von Erwerbsarbeitund Existenzsicherung sollen die Menschen frei von den Zwängen derentlohnten Erwerbsarbeit werden. Sie könnten sich dadurch nicht nurfreier entfalten, sondern auch leichter gesellschaftlich wertvollen Tätig-keiten jenseits der Erwerbsarbeit nachgehen.

• Ein massiver Abbau der Sozialstaatsbürokratie. Die zahllosen, teilsschlecht aufeinander abgestimmten Sozialleistungen sollen durch einSteuer-Transfer-System aus „einem Guss“ ersetzt werden. Dadurchsollen Effizienzgewinne realisiert werden.

• Eine Ausweitung der Beschäftigung, stärkere Arbeitsanreize sowieeine gerechtere Verteilung von Arbeit in der Gesellschaft. Gleichzeitigstärke ein Grundeinkommen die Verhandlungsposition der im Niedrig-lohn Beschäftigten und trage zu einem repressionsfreien Arbeitsmarktbei.