Das Boersenblatt des Deutschen Buchhandels stellt Dante Connection vor!

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30 börsenblatt 31 | 2011 menschen D er Weinladen heißt hier »Suff«, ein paar Häuser weiter steht die Boutique »Verrutschi«, die Eisdiele mit dem klingenden Namen »Leck mich« hat wieder zuge- macht. Dazwischen türkische Fri- seursalons, internationale Im- bisskultur, Touri-Kneipen, Im- port-Export-Läden. Manche Stra- ßen wirken wie gepflastert mit den Bildern – oder besser: den Kli- schees – ihrer eigenen Geschichte. Die Kreuzberger Oranienstraße, Hauptschlagader des alten Berliner Postleitzahlenbezirks »SO 36«, ist so ein Fall von starker Überfrach- tung. In den 70ern und 80ern war sie ein Zentrum alternativer Be- wegungen; Hausbesetzer und Straßenschlachten machten sie bundesweit bekannt. Heute prä- sentiert sich die Alternativkultur konsumfreundlich aufbereitet, aber die Traumreste vom schö- neren und gerechteren Leben hängen immer noch zwischen den Häusern. Dass die Oranienstraße eine spannende Schlenderzone ist, liegt ganz entscheidend an den so üppig vertretenen wie gut spezialisierten Buchhandlungen und Antiquari- aten. Mittendrin, in einem schö- nen, dezent orangen Gründerzeit- bau an der Ecke zum Oranienplatz: die Buchhandlung Dante Connec- tion, die »Literatur aus Italien und anderen Kulturen« präsentiert, wie man an der Fensterscheibe ablesen kann. Die Dante Connection ist gewis- sermaßen ein Oranienstraßen-Ur- gestein; gegründet wurde sie in den 80er Jahren von der Italienerin Giuliana Giuliani. »Die Buchhand- lung entstand im Umfeld der ersten Migrationswelle jüngerer Italiener, TEXT JUTTA PERSON Stefanie Hetze: »Die Kunden, die diesen Laden betreten, erwarten eine persönliche Auswahl« Kreuzberg Connection Stefanie Hetze ist eine Quereinsteigerin im Buchhandel. Und betreibt mit der Dante Connection eine italienische Wunderkammer in der Berliner Oranienstraße, der vielleicht spannendsten Lesemeile der Republik. alle © Cordula Giese

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... was man schon immer von der Kreuzberger Buchhandlung Dante Connection wissen wollte. Stefanie Hetze hat aus dem Nähkästchen geplaudert.

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Der Weinladen heißt hier »Suff«, ein paar Häuser weiter steht die Boutique »Verrutschi«, die Eisdiele mit dem klingenden Namen

»Leck mich« hat wieder zuge-macht. Dazwischen türkische Fri-seursalons, internationale Im-bisskultur, Touri-Kneipen, Im-port-Export-Läden. Manche Stra-ßen wirken wie gepfl astert mit den Bildern – oder besser: den Kli-schees – ihrer eigenen Geschichte.

Die Kreuzberger Oranienstraße, Hauptschlagader des alten Berliner Postleitzahlenbezirks »SO 36«, ist

so ein Fall von starker Überfrach-tung. In den 70ern und 80ern war sie ein Zentrum alternativer Be-wegungen; Hausbesetzer und Straßenschlachten machten sie bundesweit bekannt. Heute prä-sentiert sich die Alternativkultur konsumfreundlich aufbereitet, aber die Traumreste vom schö-neren und gerechteren Leben hängen immer noch zwischen den Häusern.

Dass die Oranienstraße eine spannende Schlenderzone ist, liegt ganz entscheidend an den so üppig vertretenen wie gut spezialisierten

Buchhandlungen und Antiquari-aten. Mittendrin, in einem schö-nen, dezent orangen Gründerzeit-bau an der Ecke zum Oranienplatz: die Buchhandlung Dante Connec-tion, die »Literatur aus Italien und anderen Kulturen« präsentiert, wie man an der Fensterscheibe ablesen kann.

Die Dante Connection ist gewis-sermaßen ein Oranienstraßen-Ur-gestein; gegründet wurde sie in den 80er Jahren von der Italienerin Giuliana Giuliani. »Die Buchhand-lung entstand im Umfeld der ersten Migrationswelle jüngerer Italiener,

TEXT JUTTA PERSON

Stefanie Hetze: »Die Kunden, die diesen Laden betreten, erwarten eine persönliche Auswahl«

Kreuzberg ConnectionStefanie Hetze ist eine Quereinsteigerin im Buchhandel. Und betreibt

mit der Dante Connection eine italienische Wunderkammer in der Berliner

Oranienstraße, der vielleicht spannendsten Lesemeile der Republik.

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die wegen der Bewegungen und der alternativen Kultur nach West-Berlin gekommen waren«, erklärt die heutige Inhaberin Stefanie Het-ze. 1994 übernahm sie die Dante Connection – ein Sprung ins kalte Wasser, »denn ich hatte anfangs keine Ahnung vom Buchhandel«.

Als Literaturwissenschaftlerin und Cineastin wollte sie eigentlich mit anderen Frauen ein feminis-tisches Kino gründen und war auf der Suche nach Ideen, wie sich das Projekt umsetzen ließe. Ein einjäh-riger Existenzgründungskurs – Buchhaltung, Finanzen, das volle praktische Programm – öffnete ihr die Augen: Mit dem feministischen Kino würde es nichts werden.

Das Angebot, die Dante Connec-tion zu übernehmen, kam da genau zum richtigen Zeitpunkt: biblio- und italophil war sie sowieso. Ita-lien kannte sie von klein auf, und während des Studiums – unter an-derem der italienischen Literatur-wissenschaft – hat sie viel Zeit in Rom verbracht.

Die italienische Abteilung macht im Laden heute etwa ein Fünftel aus; man findet hier alles von Umberto Eco über Tabucchi, Pasolini oder Saviano bis zum großartigen Erri De Luca, der hierzulande immer noch nicht so richtig entdeckt wurde. Die italienischen Autoren sind in der Originalsprache und auf Deutsch vertreten, umgekehrt finden Mut-tersprachler hier aber auch italie-nische Ausgaben von Thomas Mann, Walter Benjamin oder Alfred Döblin: »Italiener lieben ›Berlin Alexanderplatz‹«, sagt Hetze. Sven Regener gibt es natürlich auch, für Kreuzbergtouristen.

Bestseller machen sich hier sonst eher rar. Gleich in der ersten Reihe

stößt man auf Silvia Bovenschen, Alice Munro oder Herta Müller, um die Ecke dann auch auf Haruki Murakami und Uwe Timm. »Früher dachte ich, wir müssten auch ein paar Bestseller haben – aber das hat nie funktioniert. Wenn wir nicht eine eigene Beziehung zu den Bü-chern aufbauen können, dann ver-kaufen wir sie auch nicht«, sagt Stefanie Hetze. »Die Kunden, die diesen kleinen Laden betreten, er-warten eine persönliche Auswahl. Wir können nur das anbieten, was wir selbst mögen, was wir gern le-sen würden oder gelesen haben.«

Das »Wir« meint vier: Die Mit-streiterinnen Jana Kühn, Syme Fal-co und Franziska Kramer sind eben-falls Quereinsteigerinnen und prä-

gen die Handschrift der Dante Con-nection mit. Gemeinsam kümmern sich alle seit einigen Jahren auch um afrikanische Literatur; ein kleiner Zusatzschwerpunkt ist die Türkei: »Viele türkische Kunden haben nach Büchern gefragt, die sie auf Deutsch verschenken wollten.«

Über die beste Kreuzberger Lage – im Zentrum des Zentrums, genau auf der Mitte der Oranienstraße – könnte man viel erzählen, immer-hin hält sich das hartnäckige Ge-rücht, dass am Oranienplatz noch vor wenigen Jahren am Ersten Mai die Lidl-Filiale geplündert worden sei. Stefanie Hetze zögert ein we-nig, reißerische Kreuzberg-Kli-schees möchte sie nicht bedienen. In den vergangenen Jahren habe sich vieles verbessert, meint sie dann. Die Anwohner hätten sich zusammengeschlossen, weil sie sich ihre Straße nicht mehr von zu-gereisten Krawallmachern kaputt-machen lassen wollten, denen es schon lange nicht mehr um poli-tischen Protest ging.

Dass sich das Klima verändert hat, liegt vielleicht auch an der »Langen Buchnacht«. Nach dem Mauerfall hatte sich die Aufmerksamkeit Richtung Prenzlauer Berg verlagert, auch deshalb dümpelte Kreuzberg eine Weile vor sich hin. Doch die Buchhändler und Antiquare wollten zeigen, was der Kiez kann, und rie-fen die Buchnacht ins Leben, die mittlerweile eine Institution ist. 174 Veranstaltungen mit ge-schätzten 15 000 Besuchern – alles in einer einzigen Mainacht, wie Gründungsmitglied Hetze vorrech-net. Kommen sich die vielen Buch-handlungen in die Quere? »Jeder hat sein eigenes Profil, und wir bil-den genau diese Vielfalt ab. Es ist toll, dass wir schon so lange neben-einander existieren können.«

Wer auf der Oranienstraße als Le-ser unterwegs sei, habe es wirklich gut, schiebt Stefanie Hetze noch nach kurzem Nachdenken hinter-her. Das stimmt, denkt sich die ita-lofixierte Leserin. Und fragt nach dem neuen Erri De Luca. b

Auf ein Wort

Die Oranienstraße ist jenseits des Klischees eine Straße wie jede andere auch – mit vielen schönen Buchläden. Der 1. Mai ist nicht ohne, aber ich habe mein Ritual. Ich bedecke die Tische mit Stoffen; ich schütze die Bücher, falls eine Fensterscheibe zu Bruch geht.

Zur Person

Stefanie Hetze (55) kam in den 70er Jahren nach Berlin und studierte Publizistik, Amerikanistik und Italienische Literaturwissenschaften. In den 80er Jahren arbeitete sie in verschiedenen Berliner Projekten, unter anderem zu feministischem Kino. 1994 übernahm sie die Dante Connection und gestaltete die Buchhandlung grundlegend um. Zusätzlich zur italienischen und deutschsprachigen Literatur hat sie sich auf Literatur vom afrikanischen Kontinent und Kinderbuchliteratur spezialisiert.