Das Buch · Verkleidet als junger Tempelritter reist die Friesin Robin auf einem Kreuzfahrtschiff...

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Das BuchVerkleidet als junger Tempelritter reist die Friesin Robin auf einemKreuzfahrtschiff ins Heilige Land. Begleitet wird sie von ihremorientalischen Diener Salim, der zugleich schützend seine Handüber sie hält. Nur er und die beiden hochrangigen Templer, die denKreuzzug anführen, wissen, was »Bruder« Robin unter dem weißenGewand mit dem roten Tatzenkreuz verbirgt. Doch alle Eroberer-pläne scheitern, als die Flotte von den Sarazenen überfallen wird.Robin kämpft im Rumpf des leckgeschlagenen Schiffes um ihrLeben und sieht die rettende See schon vor sich, da wird sie voneinem Gegner bewusstlos geschlagen. Sie erwacht in einem Sara-zenenzelt, nur um zu entdecken, dass sie als Sklavin verkauft wer-den soll. Doch sie trägt einen geheimnisvollen Ring, den ihr Salimzu ihrem Schutz geschenkt hat.

Der zweite Band von Wolfgang Hohlbeins großer Templer-Trilogie.

Der AutorWolfgang Hohlbein,1953 in Weimar geboren, ist einer der erfolg-reichsten deutschsprachigen Autoren. Seit er 1982 gemeinsam mitseiner Frau den Roman Märchenmond veröffentlichte, arbeitet erhauptberuflich als Schriftsteller. Mit zahlreichen fantastischenRomanen hat er seither eine große Fangemeinde erobert.Im Heyne Verlag liegen von Wolfgang und Heike Hohlbein bereitsvor: Die Bedrohung – Drachenfeuer – Dreizehn – KatzenWinter –Krieg der Engel – Märchenmonds Erben – Die Prophezeiung – Schat-tenjagd – Unterland. Außerdem erschienen von Wolfgang Hohl-bein: Azrael – Azrael: Die Wiederkehr – Hagen von Tronje – SaintNick – Das Teufelsloch und die Templer-Trilogie: Die Templerin –Der Ring des Sarazenen – Die Rückkehr der Templerin.

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Wolfgang Hohlbein

Der Ring des Sarazenen

Roman

WILHELM HEYNE VERLAG

MÜNCHEN

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Umwelthinweis:Dieses Buch wurde auf chlor- und

säurefreiem Papier gedruckt.

Taschenbucherstausgabe 07/2003Copyright © 2002 by Wolfgang Hohlbein

und Medienagentur GördenCopyright © dieser Ausgabe 2003 by

Wilhelm Heyne Verlag, München, in derVerlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © 2002 by Wilhelm Heyne VerlagGmbH & Co. KG, München

Umschlaggestaltung: Nele Schütz Design, MünchenSatz: C. Schaber Datentechnik, Wels

Gesetzt aus der 8,9/11,8 Punkt Trump MediaevalDruck und Bindung: GGP Media GmbH, Pößneck

http://www.heyne.de

ISBN 978-3-453-86988-2

Printed in Germany 2007

7. Auflage

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1. Kapitel

Robins Welt war größer geworden. Hatte sie früher,ausgehend von dem Dorf, in dem sie geboren war und dieersten anderthalb Jahrzehnte ihres Lebens verbracht hatte,einen guten Tagesmarsch in jede Richtung gemessen, so gab esnun buchstäblich keine Grenzen mehr. Einst war ihr das win-zige Dorf, in dem sie aufgewachsen war und dessen Einwoh-nerzahl der Hundert niemals auch nur nahe kam, geradezugigantisch vorgekommen, nun kannte sie Städte, deren Be-wohner nach Tausenden zählten, wenn nicht nach Zehntau-senden. Vor noch nicht einmal allzu langer Zeit waren ihr dieflachen Hügel, die ihr Universum an zwei Seiten begrenzten,unüberwindbar erschienen. Doch mittlerweile hatte sie Bergegesehen, die selbst für tollkühne Kletterer unübersteigbarwaren und deren Flanken in den Wolken verschwanden, lan-ge bevor sie den halben Weg zum Gipfel erreichten.

Ihr war entsetzlich übel.Vielleicht war übel auch das falsche Wort. Möglicher-

weise sollte sie einen neuen Begriff für den Zustand erfinden,in dem sie sich befand. Ihre Welt war ganz sicher größergeworden, und sie hatte Dinge gesehen, von denen das ein-fache Bauernmädchen, das sie noch vor weniger als zweiJahren gewesen war, noch nicht einmal zu träumen gewagthätte. Aber sie hatte auch eine neue Dimension des Leidenskennen gelernt, und auch diese – unwillkommene – Ent-deckungsreise in eine unbekannte neue Welt war noch lan-ge nicht zu Ende.

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Robin seufzte tief, fuhr sich mit zitternden Fingern überdas Gesicht und durch das kurz geschnittene dunkelblondeHaar – sie nannte es dunkelblond, Salim bezeichnete denTon, zumindest wenn sie alleine waren, als pferdeäpfelfar-ben. Sie wusste, dass er das nur tat, um sie zu necken, trotz-dem ärgerte sie sich jedes Mal aufs Neue. Und was dasSchlimmste war – der Vergleich passte auch noch. Ver-dammter Sarazene!

Robin ließ den Blick durch das winzige hölzerne Geviertschweifen, das seit einer Woche ihr Zuhause, aber auch ihrGefängnis war. Ihre Welt mochte ja größer geworden sein,aber die Kammer war winzig und so schäbig, dass sie selbsteinem Vergleich mit der ärmlichen Hütte nicht Stand ge-halten hätte, in der sie aufgewachsen war.

Die Wände waren feucht und mit dunklen Stockfleckenübersät. Die Decke der Kabine war so niedrig, dass selbstSalim, der gewiss kein Riese war, nicht aufrecht stehen konn-te, ohne mit dem Kopf anzustoßen. Das winzige Fensterzeigte ein Bleiglasbild des heiligen Christophorus von derArt, wie man sie in wohlhabenden Kirchen findet. Glas wargeradezu verschwenderisch – verglichen mit dem üblichengeölten Pergamentpapier, das dem Wind und der Kälte ehersymbolischen Widerstand entgegensetzte. Der Anblick desHeiligen, der Reisenden sicher über Ströme hinweghalf, hat-te nichts Tröstendes für Robin. Das hier war kein Fluss!

Das bunte Glas ließ das Licht in ungleichmäßigen, flir-renden Streifen in die Kammer fallen, und es reichte kaumaus, um auch nur bis zur Türe zu sehen. Doch was brauchtesie Licht in diesem Gefängnis! Selbst wenn sie die Augenschloss, sah sie noch immer vor ihrem inneren Auge, wiesich der Boden nicht nur in einem Rhythmus hob und senk-te, dass es ihr den Magen umdrehte, sondern sich auch bog,verdrehte und verzerrte ... Und noch dazu in Richtungen, diees gar nicht gab!

Sie hätte diese Aufzählung vermutlich nach Belieben fort-setzen können. Robin war niemals wehleidig gewesen, aber

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mit dieser Reise war die Grenze ihrer Leidensfähigkeit end-gültig überschritten.

Wie um sie zu verhöhnen, bewegte sich in diesemMoment der Boden – und damit auch ihre Lagerstatt aus mitStroh gefüllten Leinensäcken, auf der sie lag – ein gutesStück nach unten und sogleich ruckartig wieder nach oben.Das war eindeutig zu viel für ihren Magen. Würgend beugteRobin sich vor in Richtung des henkellosen Eimers, denSalim für Gelegenheiten wie diese neben ihrem »Bett« abge-stellt hatte. In den zurückliegenden Tagen hatte sie ihn oft und ausgiebig benutzt, aber jetzt kam nicht einmal mehrbittere Galle über ihre Lippen, nur noch ein gequältes, tro-ckenes Würgen. Es war fünf Tage her, dass sie das letzte Maletwas gegessen hatte, und die wenigen Schlucke Wasser, dieSalim sie regelmäßig zu trinken zwang, schien ihr Körper fastschneller auszuschwitzen, als sie sie herunterschluckenkonnte.

Robin blieb zitternd und nach vorne gebeugt so langesitzen, bis sich ihr aufbegehrender Magen wieder halbwegsberuhigt hatte. Dann stemmte sie sich hoch und kämpfteebenso mühsam wie vergebens einige Herzschläge langdarum, aufrecht sitzen zu bleiben. Schließlich ließ sie sicherschöpft mit Kopf und Schultern gegen die Wand in ihremRücken sinken. Sie zitterte am ganzen Leib und ihr Herzraste vor Anstrengung. Dennoch stahl sich ein dünnes,zufriedenes Lächeln auf ihre Lippen. Seit sie dieses dreimalverfluchte Schiff betreten und die ganze Bedeutung des Wor-tes Seekrankheit begriffen hatte, hatte sie sich öfter und aus-giebiger übergeben als während ihres gesamten Lebens zuvor.Doch zumindest war ihr bislang die Erniedrigung erspartgeblieben, ihre Bettstatt und sich selbst zu besudeln. Und daswürde auch so bleiben, solange sie noch atmete und die Kraftaufbrachte, sich vorzubeugen.

Die Sankt Christophorus legte sich unter dem Anpralleiner weiteren Welle auf die Seite und neigte sich gleich da-rauf ächzend in die Gegenrichtung. Robin schloss stöhnend

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die Augen – was sich als keine gute Idee erwies. Die dunklenSchatten hinter ihren Lidern begannen wieder zu tanzen,und obwohl in ihrem Magen rein gar nichts mehr war, was erhätte von sich geben können, befiel sie erneut eine Übelkeit,schlimmer noch als all die Male zuvor. Sie konnte nicht ein-mal mehr stöhnen, sondern nur noch gepeinigt die Zähnezusammenbeißen.

Nach einer Weile beruhigte sich ihr Magen wieder, wennauch zweifellos nur, um Kraft für eine weitere, noch schlim-mere Attacke zu sammeln. Robin schaffte es sogar, sich einwenig weiter aufzusetzen und die Knie an den Leib zu ziehen.Sie fror. Bedachte man, dass sich die Sankt Christophorus aufdem Wege nach Outremer und damit in einen Teil der Weltbefand, in dem angeblich immer Sommer war, dann sollte eseigentlich mit jedem Tag ihrer Reise wärmer werden. Dochdas genaue Gegenteil war der Fall.

Offenbar stand kein guter Stern über ihrer Reise. Schonam ersten Morgen, nachdem sie in Genua in See gestochenwaren, war die Sankt Christophorus in einen Sturm geraten,wie Robin noch keinen zuvor erlebt hatte. Der Sturm hatteseit jenem Tag nicht mehr wirklich aufgehört. Robin hatteden Eindruck, dass es jedes Mal, wenn sie aus einem von Alb-träumen und Fieberfantasien geplagten Schlaf erwachte, inder Kabine ein wenig kälter geworden war. Auch wenn eshieß, sie seien auf dem Weg ins Heilige Land, wäre sie nichteinmal überrascht gewesen, hätte sie eines Morgens dieAugen aufgeschlagen und Eisblumen auf dem trüben Bleiglasdes Fensters erblickt.

Die Tür ging auf. Robin drehte mühsam den Kopf undgewahrte eine hoch gewachsene Gestalt mit schwarzemGewand und einem bronzefarbenen, edel geschnittenen Ge-sicht unter einem kunstvoll gewickelten schwarzen Turban.Salim trug eine hölzerne Schale in der linken und ein ordent-lich zusammengefaltetes weißes Tuch in der rechten Hand.Während er vollends in den Raum trat und dabei die Tür mitdem Fuß hinter sich zuschob, richtete er sich auf und stieß

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dabei mit dem Kopf gegen die niedrige Decke. Das tat er jedesMal, wenn er hereinkam, und Robin fragte sich allmählich, obes sich dabei vielleicht um irgendein bizarres Zeremoniellhandelte, das aus seiner barbarischen Heimat stammte, oderob er nur einfach nachlässig war. Vielleicht glaubte er auch,dass sie sein vermeintliches Ungeschick amüsierte und er sieauf diese Weise ein wenig aufheitern konnte.

»Du bist wach«, stellte Salim fest, während er näher kamund dabei das Schwanken des Bodens mit einem Geschickausglich, das Robin vor Neid hätte erblassen lassen, wäre sienicht sowieso schon so bleich wie die sprichwörtliche Wandgewesen. »Das ist gut. Das erspart mir die Gefahr, dich auf-zuwecken.«

»Gefahr?«»Als ich dich das letzte Mal aufwecken wollte, hast du mir

beinahe die Hand abgebissen«, behauptete Salim.»Ich hatte einen Albtraum und dachte, ein böser schwarzer

Mann stünde plötzlich vor mir«, antwortete Robin. Sie beug-te sich behutsam vor und versuchte zu erkennen, was sich inder Schale befand, die Salim auf einem kleinen Schemel ne-ben dem Bett abgestellt hatte. Es gelang ihr nicht, aber sie sahimmerhin, dass ihr Inhalt heiß sein musste, denn er dampfte.

»Ist das wieder dein selbst gemischtes Hexengebräu?«,fragte sie misstrauisch.

Salim zog sich einen zweiten Schemel heran und ließ sichdarauf nieder. »Wenn du von der Fischsuppe sprichst, die dumir schon dreimal vor die Füße gespien hast, kann ich dichberuhigen«, antwortete er. »Bruder Abbé lässt sich nichtdavon abbringen, mir jedes Mal wieder eine Schale davon indie Hand zu drücken, wenn ich zu dir gehe, aber ich schüttesie immer gleich über Bord.« Er deutete ein Achselzucken an.»Das macht es einfacher. Obwohl du sie essen solltest. Dannginge es dir nämlich schon besser.«

»Gleich am ersten Tag an Bord habe ich die Fischsuppegegessen«, erwiderte Robin. »Vielleicht ist das ja der Grund,aus dem es mir so schlecht geht.«

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Salim lachte kurz, aber es gelang ihm nicht, die Sorge ausseinem Blick zu verbannen, während er Robin musterte.»Anscheinend geht es dir tatsächlich schon wieder besser.Deine Zunge ist jedenfalls schon wieder so spitz wie eh undje.« Er wies mit dem Kopf auf die dampfende Schale. »HeißesWasser. Und saubere Tücher habe ich auch mitgebracht.«

»Willst du mir auf diese Weise durch die Blume sagen,dass ich stinke?«, fragte Robin.

Salim schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig«, antwor-tete er. »Es gibt niemanden an Bord, der deinem Wohlgeruchentgehen könnte, und wenn der Wind drehen sollte, dürftedie Kunde von unserem Kommen wohl binnen Stundenfristbis zu Saladins Zelt dringen.«

Robin trat in gespieltem Trotz nach ihm. Salim machtesich nicht die Mühe, den Angriff abzuwehren oder ihm auchnur auszuweichen. Er schien den Treffer kaum wahrzuneh-men. Das einzige Ergebnis ihres Tritts waren ein stechenderSchmerz, der ihr durch den Knöchel fuhr, und ein neuerSchwindelanfall. Salim wartete geduldig, bis sie aufhörte zu stöhnen und die Augen wieder öffnete.

»Bruder Abbé wünscht deine Anwesenheit an Deck«, sag-te er. »Aber vorher würde ich vorschlagen, dass du dichwäschst und deine Rüstung anlegst.«

»Ich gehe erst wieder an Deck, wenn dieser Sturm vo-rüber ist«, sagte Robin. »Vorher bringt mich keine Macht derWelt hier heraus.«

»Der Sturm«, sagte Salim sanft, »ist seit einer Woche vo-rüber.«

»Wir sind doch erst seit einer Woche unterwegs.«»Und es war auch gar kein richtiger Sturm«, fuhr Salim

ungerührt fort. »Ein wenig raue See, mehr nicht. Ich würdesagen, du bist nicht unbedingt das, was man als seefestbezeichnen würde.«

»Und du hast eine Woche gebraucht, um das herauszu-finden?« Robin angelte nach ihrer Decke, die ihr von denKnien gerutscht war, und zog sie bis zum Kinn hoch. »Geh

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und richte Bruder Abbé aus, dass ich nach oben komme,sobald das Schiff an Land anlegt. Vorher hätte er nichtbesonders viel Freude an mir, fürchte ich. Ich würde ihm vordie Füße speien, noch bevor er ein Vaterunser zu Ende gespro-chen hätte.«

Salim nahm eines der Tücher, die er mitgebracht hatte,tauchte einen Zipfel in das heiße Wasser und begann vor-sichtig, Robins Gesicht zu säubern. Im ersten Moment dreh-te sie den Kopf zur Seite, um ihm auszuweichen, aber dannschloss sie die Augen und entspannte sich. Sie genoss SalimsBerührungen immer, vielleicht mehr, als er ahnte. Auf jedenFall aber mehr, als sie sich selbst mit ruhigem Gewissen ein-gestehen konnte. Diese Berührungen weckten eine Sehn-sucht in ihr, die ihr Angst machte. Ein Gefühl, das bis zurNeige zu ergründen sie sich niemals erlauben würde. Unddoch: Seit sie die Komturei und damit ihre friesische Heimatverlassen hatten, war er ihr viel zu selten so nah gekommenwie jetzt.

Ganz gleich, wie groß die Welt geworden sein mochte, inder sie nun lebte, ihr persönliches Universum war eindeutigkleiner geworden; um nicht zu sagen, es existierte nichtmehr. Sie waren kaum zwei Dutzend gewesen, als sie dieKomturei verlassen hatten, aber ihre Anzahl war beständiggestiegen. In Nürnberg angekommen, wo sie den Winter ver-brachten, waren sie bereits mehr als fünfzig. Vier Monatemussten sie warten, bis der Schnee schmolz und die Pässeüber die Alpen wieder begehbar wurden. Und ihre Zahlwuchs weiter. Als sie endlich in Genua ankamen und an Bordder kleinen Flotte gingen, die sie nach Outremer bringen soll-te, waren sie bereits mehr als dreihundert. So konnte sichRobin kaum mehr erinnern, wann sie das letzte Mal wirklichallein mit Salim gewesen war.

»Ich fürchte, dass Bruder Abbé auf deiner Anwesenheitan Deck besteht«, riss sie Salims Stimme jäh aus ihrenGedanken. »Und es geht hier nicht um eine bloße Laune von ihm.«

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Robin öffnete widerwillig die Augen, um den Tuareg miteinem nachdenklichen Blick zu bedenken. In seinen Augenlag plötzlich ein Ernst, der sie alarmierte. Sie sagte nichts,aber allein schon ihre fragende Miene ließ ihn fortfahren.

»Vor einer Stunde ist die Sankt Gabriel längsseits gegan-gen. Bruder Horace hat Abbé und die anderen zu einer Ver-sammlung einberufen. Heute, bei Sonnenuntergang.«

Robin blickte unwillkürlich zum Fenster. Das Licht, dasdurch das bunte Bleiglas hereinströmte, war schillernd undunstet, sodass es unmöglich war, aus seiner Helligkeit aufden Stand der Sonne zu schließen. Eine Woche Seekrankheitund Fieber hatten Robin jegliches Zeitgefühl genommen. Sovermochte sie nicht zu sagen, ob es Morgen, Mittag oderAbend war.

»In etwa zwei Stunden.« Salim hatte ihren Blick richtiggedeutet.

»Eine Versammlung?«, fragte Robin stirnrunzelnd. »Hater gesagt, warum?«

Salim tauchte den Zipfel erneut in das heiße Wasser und hob zugleich die Schultern. »Vermutlich. Aber schließ-lich bin ich nur ein Sklave, und ein Heide dazu, den manbestimmt nicht in die Geheimnisse christlicher Politik ein-weiht.«

»Und außerdem hast du riesige Ohren und kannst es anGeschwätzigkeit und Neugier mit den schlimmsten Wasch-weibern aufnehmen, die ich kenne«, behauptete Robin unge-rührt.

»Neugier vielleicht«, gestand Salim. Er fuhr nun mit demnassen Tuch beinahe zärtlich über die dünne, aber deutlichsichtbare Narbe, die von Robins erster Begegnung mit demTod kündete. »Ich nehme aber an, es geht um unsere morgigeAnkunft in Akko.«

»Morgen schon?« Robin war überrascht.»Wir könnten schon heute dort ankommen, aber Bruder

Horace wartet auf weitere Schiffe. Anscheinend hat er vor,mit einer ganzen Flotte in den Hafen von Akko einzulaufen.

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Und nun frag mich bitte nicht, warum, kleines Mädchen,denn das weiß ich wirklich nicht.«

»Nenn mich nicht so«, sagte Robin in fast erschrockenemTon.

»Aber das bist du doch«, erwiderte Salim belustigt.»Jedenfalls warst du es, als ich das letzte Mal nachgesehenhabe.«

Robin überging seine Worte ebenso wie den fast anzüg-lichen Blick, mit dem er sie für einen Moment maß. Natür-lich hatte er Recht, aber dass Bruder Robin nicht nur derjüngste der zweihundert Tempelritter war, die in Genua inSee gestochen waren, sondern eigentlich Schwester Robin,das wussten außer Salim und ihr selbst nur zwei Menschenan Bord dieses Schiffes. Und für Robins Geschmack warendas im Grunde schon zwei zu viel. Sie wusste, dass Salimmitunter das Spiel mit dem Feuer liebte, aber ihm schiennicht klar zu sein, welch furchtbares Unheil er diesmal damitbeschwor – nicht nur für sein und Robins Leben. Sollten dieFalschen erfahren, was für ein Körper sich unter dem weißenTemplergewand mit dem roten Tatzenkreuz verbarg, wäre esnicht nur um Salim und sie selbst geschehen – sondern auchum Bruder Abbé.

»Wir gehen also morgen an Land?«, fragte sie – nicht umsich zu vergewissern, dass sie Salim auch richtig verstandenhatte, sondern um die ungute Stimmung zu vertreiben, diemit Salims Bemerkung und ihrer Reaktion darauf Einzuggehalten hatte.

»Akko«, bestätigte Salim. »Es wird dir gefallen.«»Du warst schon einmal dort?«»Ich weiß nicht, ob es die prachtvollste Stadt der Welt ist«,

sagte Salim – und Robin entging keineswegs, dass er ihre Fra-ge damit ganz eindeutig nicht beantwortete –, »aber es ist mitSicherheit die prachtvollste Stadt, die du jemals erblickthast.«

Daran zweifelte Robin keinen Augenblick. Sie hatte eineMenge Städte gesehen, seit sie ihre Heimat verlassen hatte,

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aber keine davon war auch nur im Geringsten prachtvollgewesen. Das Wort Stadt bedeutete für sie vor allem Schmutzund Gestank, Enge und Lärm.

»Und Horace?«Diesmal antwortete Salim nur mit einem Achselzucken.

Sie selbst und Bruder Abbé waren keineswegs die Einzigen,die dem englischen Tempelritter mit Misstrauen begegneten.

Salim stand auf. »Den Rest wirst du wohl selbst schaffen.Ich bringe dir gleich saubere Kleider – und deine Rüstung.«

Um ein Haar hätte Robin laut aufgestöhnt. Ihre Rüstung?Der klebrige eiserne Topfhelm, das fast knöchellange fein-maschige Kettenhemd, die eisernen Handschuhe und dieebenfalls mit Eisen verstärkten Stiefel wogen zusammen fastmehr als sie, und dazu kamen noch Schild und Schwert.Vielleicht schaffte sie es noch, sich alleine anzuziehen –doch die kurze Treppe an Deck erschien ihr angesichts derbleischweren Rüstung als unüberwindliches Hindernis.Ganz zu schweigen davon, dass sie sich wohl kaum auf demhin und her schwankenden Schiff würde auf den Beinen halten können.

»Und beeil dich besser«, sagte Salim im Hinausgehen.»Bruder Abbé möchte noch mit dir speisen, bevor ihr auf dieSankt Gabriel überwechselt. Er hat den Schiffskoch die letz-ten Vorräte plündern lassen, um ein festliches Mahl aufzu-tischen ... Ich glaube, es gibt einen schönen fetten Schweins-braten.«

Salim zog die Tür hinter sich zu, und Robin, die schon dieHand nach der Wasserschale ausgestreckt hatte, hielt mittenin der Bewegung inne und beugte sich würgend über denEimer.

Die Sankt Christophorus war ein richtiges Kreuzfahrerschiff.Mit ihren mehr als hundert Fuß Länge, nur einem Mast undden weit überragenden Bug- und Achterkastellen wirkte sieträge, beinahe schon schwerfällig. Aber Robin musste nureinen Blick über die niedrige Reling werfen, um zu sehen,

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mit welcher Geschwindigkeit das scheinbar so behäbigeSchiff durch die Wellen pflügte.

Sie hütete sich allerdings, dies zu tun. Irgendwie hatte siees geschafft, sich zum ersten Mal seit einer Woche wiedereinigermaßen gründlich zu waschen und die Kleidung einesTempelritters anzulegen. Abbés Wunsch, sie möge in vollerRüstung erscheinen, hatte sie allerdings nur zum Teil ent-sprechen können. Zwar hatte sie Kettenhemd, Waffenrockund Stiefel angelegt, dafür aber sowohl den schweren Helmals auch Schild und Schwertgurt in ihrer Kabine zurückge-lassen.

Dass es ihr danach noch gelungen war, aus eigener Krafthier herauf an Deck zu gelangen, erschien ihr fast unglaub-lich. Obwohl sich ihr revoltierender Magen mittlerweileeinigermaßen beruhigt hatte, war sie nicht gewillt, ihr Glückund ihre ausgezehrten Kräfte weiter auf die Probe zu stellen.Denn in ihren Eingeweiden rumorte es noch immer, und siewar so wackelig auf den Beinen, dass sie sich mit beiden Hän-den an der Reling in ihrem Rücken festklammern musste.Immerhin hatte sich Salims Ankündigung eines fetttriefen-den Schweinebratens nur als derber Scherz herausgestellt,den sie ihm nichtsdestotrotz heimzuzahlen gedachte.

Bruder Horace, der die in geringem Abstand neben ihnenherfahrende Sankt Gabriel befehligte und in der Rangord-nung des Ordens deutlich höher stand als Abbé, mochte soviel Wert auf Äußerlichkeiten legen, wie er wollte – letztenEndes hatte er sie zu einer Besprechung eingeladen, nicht zueiner Schlacht. Sollte er doch so missbilligend die Stirn run-zeln, wie es ihm beliebte; für Robin gab es keinen Grund, involler Bewaffnung vor ihm zu erscheinen. Vor allem, wenndiese Bewaffnung so viel wog, dass sie sich unter ihremGewicht nicht auf den Beinen hätte halten können.

Der Wind frischte auf. Eine Welle zerbarst am Rumpf derSankt Christophorus und überschüttete Robin mit einemSprühregen aus winzigen Wassertröpfchen und weißemSchaum. Das eiskalte Wasser lief ihr den Hals hinab und

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sickerte in das grobe Wollhemd ein, das sie unter dem strah-lend weißen Waffenrock, dem dick gepolsterten ledernenGambeson und dem Kettenhemd trug. Ein kalter Schauer liefihr über die Haut. Sie spürte, wie sich ihre Brustwarzen auf-richteten und sich an dem groben Wollstoff rieben. Gottlobbestand keine Gefahr, dass man ihre Weiblichkeit durch alldie Kleidungsschichten hindurch bemerken würde.

Obwohl sie jedes Mal, wenn das plumpe Schiff eineWelle durchpflügte, von einer Gischtwolke eingehüllt wur-de, behielt sie trotzig ihren Platz an der Reling bei. Etwasanderes hätte sie sowieso nicht tun können. Nach SalimsWorten zu urteilen erwartete Bruder Abbé sie und die ande-ren an Deck, aber sie konnte ihn weder in der Nähe noch aufdem Vorder- oder Achterkastell entdecken. Vermutlichsteckte er irgendwo unter ihr, im bauchigen Mittelteil derKogge. Sie hatte weiß Gott keine Lust, ihm dorthin zu fol-gen – nicht einmal, wenn sie sich körperlich dazu in der Lagegefühlt hätte. Gleich nach ihrer Ankunft an Bord und kurzbevor die Seekrankheit sie erwischte, war sie ein einzigesMal unten in den Frachträumen gewesen und dieser einekurze Besuch hatte ihr die Lust auf jede Wiederholunggründlich vergällt.

Obwohl das Schiff durchaus groß war, herrschte unterDeck drückende Enge, denn die Sankt Christophorus warzwar für den Transport von bis zu hundert Mann ausgelegt,beherbergte im Moment aber nahezu die doppelte Anzahl,und darüber hinaus noch ein Dutzend Pferde und eine ganzeWagenladung Waffen, Rüstungsteile und andere Ausrüstung.Von den Vorräten, die eine so große Mannschaft für eine ein-wöchige Überfahrt benötigte, ganz zu schweigen.

Dort unten herrschten nicht nur drückende Enge undDunkelheit, sondern auch Gestank, Hitze und jene bis zumSiedepunkt gereizte Stimmung, die unausweichlich war,wenn zu viele Menschen zu lange auf zu engem Raumzusammengepfercht sind. Und die hygienischen Verhältnissestanken buchstäblich zum Himmel.

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Während Robin in verkrampfter Haltung an die Relinggelehnt dastand und die verdreckten, stoppelbärtigen undgraugesichtigen Gestalten betrachtete, die sich auf dem über-füllten Deck drängten, in kleinen Gruppen beieinander stan-den oder einfach dasaßen und aus trüben Augen ins Leerestarrten, verzieh sie Abbé, sie eine Woche lang in die winzigeKajüte eingesperrt zu haben. Sie hatte geglaubt, eine Wochelang in der Hölle gewesen zu sein, aber je länger sie sich aufdem Deck umsah, desto mehr kam sie zu dem Schluss, dasses nicht einmal das Fegefeuer gewesen war. Abbé und dieanderen hatten ihr einen Gefallen getan, auch wenn er ver-mutlich nicht halb so uneigennützig war, wie er ihr in die-sem Moment vorkam.

Eine weitere Woge erschütterte das Schiff und durch-tränkte Robin mit salziger Nässe. Dennoch blieb sie weiter-hin an der Reling stehen, denn nach den endlosen Tagen, diesie in ihrem eigenen Gestank dagelegen hatte, erschien ihrdie eisige Seeluft wie eine Labsal. Auch wenn sie vor Kältebuchstäblich mit den Zähnen klapperte, erlangte sie all-mählich eine lang vermisste Klarheit über ihre Situation, undselbst ihr rumorender Magen beruhigte sich zusehends. Viel-leicht hätte sie Salims Rat doch befolgen und sich schonfrüher zwingen sollen, an Deck zu gehen. Aber vielleichthätte sie auch schon vor einem Jahr auf die Stimme der Ver-nunft hören und erst gar nicht zu diesem Kreuzzug aufbre-chen sollen.

»Bruder Robin! Hier oben!«Robin sah sich einen Moment lang hilflos auf dem über-

füllten Deck um, bevor die Stimme zum zweiten Mal er-scholl und sie Bruder Abbé entdeckte. Erst einen weiterenMoment später erkannte sie auch den Besitzer der Stimme,der hinter der niedrigen Reling des Achterkastells stand undihr aufgeregt mit dem linken Arm zuwinkte. Unter den rech-ten Arm hatte er den plumpen eisernen Helm geklemmt, der seine Rüstung vervollständigte. Das kostbare Bastard-schwert, seine Lieblingswaffe, baumelte an einem silberbe-

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schlagenen Wehrgehänge an seiner Seite. Über seine Brustlief ein breiter Lederriemen, mit dessen Hilfe er seinen wuch-tigen dreieckigen Schild auf den Rücken geschnallt tra-gen konnte.

Als Robin sich von ihrem Platz an der Reling löste undsich durch das Gedränge an Deck ihren Weg nach achternbahnte, bemerkte sie die anderen Tempelritter auf demerhöhten Achteraufbau. Unter ihnen befanden sich Hein-rich, Xavier und der greise Tobias. Alle, die von jener Scharnoch übrig geblieben waren, mit der sie einst die kleine frie-sische Komturei verlassen hatte. Sie waren ausnahmslos inRüstung und Waffen. Vielleicht hätte sie Abbés Aufforderungdoch etwas mehr beherzigen sollen. Aber nun war es zu spät.

Zumindest Abbé schien keinen Anstoß an ihrem unvoll-ständigen Aufzug zu nehmen. Als sie mühsam die kurze,steile Treppe zum Achterdeck hinaufstieg, streckte er ihrhilfreich die Hand entgegen, und Robin nahm das Angebotdankbar an. Obgleich Abbé vermutlich mindestens dreimalso alt wie sie selbst war, war sein Griff so fest, dass er siemehr zu sich heraufhob, als dass sie aus eigener Kraft ging.Robin verzog schmerzhaft die Lippen. Abbé zwinkerte ihrkurz zu. Mit seiner kurzbeinigen Statur, dem ansehnlichenSchmerbauch und den Stummelfingern hätte er vermutlichwie die typische Witzfigur des dicken Mönchleins ausgese-hen, den beim heiligen Abendmahl vor allem der Messweininteressierte, wären da nicht der strahlende Waffenrock desTemplerritters gewesen und eine Härte in seinen Zügen, dieverriet, dass er in seinem Leben mehr gesehen hatte, als sichein einfacher Mönch in seinen kühnsten Albträumen auszu-malen vermochte.

Ohne ein überflüssiges Wort zu verlieren, ließ er ihreHand los, trat einen halben Schritt zurück und legte ihr danndie flache Hand auf die Stirn. »Euer Fieber scheint vorbei zusein«, sagte er laut. »Ich bin froh, dass es Euch besser geht.«

»Fieber?« Robin blinzelte verständnislos. »Aber ich hattekein ...«

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Sie brach ab, als sie Abbés warnenden Blick auffing, undschalt sich in Gedanken eine Närrin. Bruder Abbé wusstesehr wohl, dass sie kein Fieber gehabt hatte, sondern ihr nurdie Seekrankheit zu schaffen machte. Aber sie waren nichtallein auf dem Achterdeck, und die Worte galten auch garnicht ihr, sondern dem knappen Dutzend anderer Tempel-ritter, die sich in unmittelbarer Hörweite befanden und vondenen außer Heinrich, Tobias und Xavier keiner wusste, wersie wirklich war.

»Ah ja, die Jugend«, seufzte Abbé, während er ihr erneuteinen warnenden Blick zuwarf. »Ich vermute, dass ich früherauch so war, auch wenn es so lange her ist, dass ich michkaum noch erinnere. Ihr seid ein tapferer junger Ritter, Bru-der Robin, aber lasst Euch sagen, dass es kein Zeichen man-gelnden Mutes ist zuzugeben, dass einen das Fieber nieder-geworfen hat. Gott wird in seiner unendlichen Weisheiteinen Grund gehabt haben, es Euch zu schicken.«

Robin signalisierte ihm auf die gleiche lautlose Art, dass sie seine Botschaft verstanden hatte. Sie wusste nicht, wasGott in seiner unendlichen Weisheit dazu bewogen habenmochte, ihr eine Woche lang die Innereien nach außen zu stül-pen und sie sich so elend fühlen zu lassen, dass sie sich mehrals einmal den Tod gewünscht hatte. Aber mit einem Mal wur-de ihr klar, was sich hinter Abbés ausdrücklichem Wunschverbarg, sie in die Kapitänskajüte zu sperren und dort einegeschlagene Woche lang zu isolieren. Es hatte nichts mit ihrerSeekrankheit zu tun. Sie war weiß Gott nicht die Einzige, diedarunter litt, auch wenn es sie möglicherweise am schlimms-ten erwischt hatte. Abbé hätte darauf vermutlich gar keineRücksicht genommen. Ihm war es einzig und allein darum ge-gangen, sie von der restlichen Besatzung der Sankt Christo-phorus zu trennen. Und ihr Schwächeanfall hatte ihm dazuden besten Vorwand geliefert, den er sich nur wünschen konn-te. Krank oder gesund, eine Woche lang auf engstem Raum mitnahezu zweihundert Männern eingesperrt, hätte sie ihrGeheimnis nie und nimmer für sich behalten können.

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Demütig senkte sie das Haupt. »Verzeiht, Bruder«, sagtesie, gerade so laut, dass alle anderen hier oben ihre Wortehören konnten, wenn sie es wollten. »Es war nicht meineAbsicht, hochmütig zu klingen.«

Abbé lächelte. »Das ist wohl noch ein Vorrecht der Jugend,dass man ihr das Ungestüm in der Wahl ihrer Worte nach-sieht«, sagte er. Zugleich drohte er ihr spielerisch mit demZeigefinger. »Aber gewöhnt Euch nicht zu sehr daran. DieZeit der Jugend ist schneller vorbei, als Ihr ahnt.«

»Vor allem ist unsere Zeit bald vorbei, wenn wir sie wei-ter mit unnützen Reden vertun«, mischte sich einer deranderen Ritter ein. Robin kannte seinen Namen nicht. Abbéhatte ihn ihr genannt, als der Templer zusammen mitetlichen anderen Rittern kurz hinter Nürnberg zu ihnengestoßen war, aber sie hatte sich nicht die Mühe gemacht,ihn sich zu merken. Obwohl sie jetzt seit vielen Monatengemeinsam unterwegs waren, hielt sie sich nach Möglichkeitvon den anderen Rittern fern und hatte praktisch nur Kon-takt zu Abbé, den drei weiteren Friesen – und natürlich zuSalim.

»Aber ich bitte Euch, Bruder Dariusz«, sagte Abbé mitsanftem Tadel. »Bruder Robin hat eine schwere Woche hin-ter sich. Ein paar aufmunternde Worte werden ihm gut tunund uns nicht schaden.«

Der Templer mit dem fremdartig klingenden Namen kamnäher und maß zuerst Abbé, dann Robin mit einem langenBlick, wobei sie nicht sagen konnte, wen von ihnen er ver-ächtlicher musterte. Er war ein großer, frühzeitig ergrauterMann Mitte vierzig, der vielleicht sogar sympathisch gewirkthätte, wären seine Augen nicht kalt und bar jeder Mensch-lichkeit gewesen.

»Ich hoffe, wir werden nicht bald alle mit diesem Fieberdaniederliegen«, grollte er. »Es ist ja allgemein bekannt, dassEuch eine Menge an diesem jungen Ritter liegt, Bruder Abbé.Wie auch immer, das ist Eure Sache, solange Ihr uns damitnicht in Gefahr bringt.«

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»Bruder Robin ist auf ausdrücklichen Wunsch von Bru-der Horace hier«, antwortete Abbé kühl. »Solltet Ihr eine Beschwerde haben, so habt Ihr in Kürze Gelegenheit, sie per-sönlich bei ihm vorzubringen.«

Dariusz’ Lippen wurden schmal, und für einen winzigenMoment erschien doch der Ausdruck eines Gefühles in sei-nen Augen: ein lodernder Zorn, der gewiss nicht nur diesemkurzen Disput zwischen Abbé und ihm entsprang, sondernältere und viel tiefer gehende Wurzeln hatte und sich in die-sem Moment Bahn brach. Dann aber beherrschte er sichwieder, trat einen halben Schritt zurück und straffte dieSchultern.

»Verzeiht, Abbé«, sagte er. »Ich wollte Euch nicht tadeln.Es erschien mir nur gefährlich, bei einer Reise von solcherWichtigkeit jemanden dabei zu haben, der an einem unbe-kannten Fieber leidet und uns womöglich alle ansteckt.«

»Ich habe Euch gesagt, dass es nicht ansteckend ist«,mischte sich Tobias ein.

»Ihr habt auch gesagt, dass Ihr nicht genau wisst, an wel-cher Krankheit er leidet«, antwortete Dariusz trotzig. »Wiekönnt Ihr da wissen, dass sie nicht ansteckend ist?«

»Zum einen, weil er lebendig vor uns steht ...«, antworteteTobias.

»Und zum anderen?«, fragte Dariusz lauernd.»Das ist genug!« Abbé erstickte den drohenden Streit im

Keim, wenn auch um den Preis, dass er sich damit Dariusz’Zorn zuzog. Bevor der Ritter jedoch etwas vorbringen konn-te, hob einer der anderen Templer den Arm und deutete aufdie Sankt Gabriel. Abgesehen von Tobias, der einfach weiterdastand und Dariusz aus seinen faltenumsäumten Augenherausfordernd anblitzte, wandten sich alle um und sahenzum Schwesterschiff der Sankt Christophorus hinüber. DieKogge hatte den Kurs gewechselt und mehr Fahrt aufgenom-men. Robin, die von der Seefahrt ungefähr so viel verstandwie vom Lautenspiel, war es schon immer ein Rätsel gewe-sen, wie zwei Schiffe gleicher Größe und identischer Bauart

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unterschiedlich schnell fahren konnten, aber die SanktGabriel holte rasch auf.

Nach nur wenigen Minuten ging das Kreuzfahrerschifflängsseits. Männer auf beiden Schiffen warfen einander Seilezu. Netze, prall gefüllt mit altem Segeltuch, wurden über dieReling gehängt, damit die bauchigen Schiffsrümpfe der Kog-gen im starken Seegang nicht gegeneinander schlugen. Alsbeide Segler fest miteinander vertäut waren, legten die See-leute eine schmale Planke aus, über die man von einem Schiffzum anderen wechseln konnte. Allein bei ihrem Anblickkroch Robins Magen schon wieder ein gutes Stück ihren Halsempor. Die Planke war kaum so breit wie zwei nebeneinan-der gelegte Hände und bog sich unter dem Gewicht derMänner durch wie ein Seil, auf dem Gaukler ihre Kunststückeaufführten. Trotzdem stiegen Abbé und die anderen ohne zuzögern hinauf, um zur Sankt Gabriel überzuwechseln.

Schließlich war die Reihe an Robin. Sie war die Letzte, diesich noch auf dem Achterdeck befand, abgesehen von To-bias, der aber keine Anstalten machte, auf das andere Schiffüberzuwechseln, sondern ihr nur verschmitzt zublinzelte –wobei er sich nicht einmal die Mühe machte, seine Scha-denfreude zu verhehlen. Robin lächelte gequält zurück,nahm all ihren Mut zusammen und trat auf die schmalePlanke hinaus.

Es waren nur wenige Schritte, aber sie starb tausend Tode,ehe sie endlich den Fuß auf das Deck der Sankt Gabriel setz-te. Die beiden Schiffe lagen dicht nebeneinander, und den-noch schwankten sie gegenläufig im Rhythmus der Wellen,sodass ein einziger Fehltritt den Tod bedeuten konnte. Ent-weder würde sie zwischen den dicht beieinander liegendenSchiffsrümpfen buchstäblich zermahlen werden, oder aber,wenn sie ins Wasser stürzte, von ihrem schweren Ketten-hemd in die Tiefe gezogen. Robin hatte Wasser – außer ineinem Becken oder in einem Badezuber – noch nie besondersgemocht. Sie atmete erleichtert auf, als sie endlich wiederSchiffsplanken unter den Füßen spürte.

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Das Nächste, was sie bemerkte, war Abbés spöttischerBlick. Er gab sich so wenig Mühe wie zuvor Tobias, seineSchadenfreude zu verhehlen, wirkte zugleich aber auchbesorgt, wobei Robin nicht ganz sicher war, ob diese Sorgetatsächlich nur ihrem Gesundheitszustand galt. Abbé dreh-te sich jedoch um, bevor sie eine entsprechende Frage stellenoder ihm einen fragenden Blick zuwerfen konnte, und Robinwandte sich ihrerseits um, als sie ein Geräusch hinter sichvernahm, das fast wie ein leiser Ruf klang.

Sie erwartete, Salim auf dem Achterdeck der Sankt Chris-tophorus stehen zu sehen, im Begriff ihr zu folgen. Tatsäch-lich erblickte sie ihn sofort, doch statt zu ihr auf die SanktGabriel zu wechseln, blieb der Tuareg reglos und hoch auf-gerichtet auf dem Achterkastell des anderen Schiffes stehen.Das Geräusch, das sie gehört hatte, war das Klappern, mitdem die Planke zwischen den beiden Schiffen eingezogenwurde, und kein Ruf. Salim würde ihr nicht folgen und ermachte auch keine Anstalten, ihr ein erklärendes Wort zu-zurufen.

Das versetzte ihrem Herzen einen scharfen Stich. Es dau-erte zwei, drei verwirrte Sekunden, bis ihr bewusst wurde,dass er gar nicht anders konnte. Salim war nicht nur einTuareg, sondern auch ein strenggläubiger Moslem und damitein Heide. Dass Bruder Horace ihn überhaupt in dieser Rei-segesellschaft duldete, grenzte an ein Wunder. Salim auf sei-nem Schiff und noch dazu im Kreise seiner engsten Vertrau-ten ... nein, das war unvorstellbar. Es war naiv von ihrgewesen, auch nur anzunehmen, dass er sie auf die SanktGabriel begleiten würde – oder dass er ihr in aller Öffent-lichkeit einen Abschiedsgruß zurufen würde.

Was nichts daran änderte, dass sie sich noch hilfloser undverlorener fühlte als bisher, während sie Abbé und den ande-ren zum Hauptdeck hinabfolgte.

Die Sankt Gabriel war mindestens so überfüllt wie dieSankt Christophorus. Die meisten Männer an Deck warenRitter, die jedoch anders als die Besatzung der Sankt Chris-

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