Das erweiterte Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim · Orchestra, Orchestre de la Suisse...

26
88 S i n f o n i e k o n z e r t Sonntag, 20. Oktober 2013, 18 Uhr, Fiskina Fischen Das erweiterte Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim Leitung: Karl Gogl Solist : Markus Schirmer Klavier Programm: Joseph Martin Kraus Ouverture zu „Olympie“ c-Moll (1792) Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 24, c-Moll, KV 491 (1786) Richard Wagner Siegfried Idyll (1870) Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 38, D-Dur, KV „Prager“ KV 504 (1786)

Transcript of Das erweiterte Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim · Orchestra, Orchestre de la Suisse...

  • 88

    S i n f o n i e k o n z e r t

    Sonntag, 20. Oktober 2013, 18 Uhr, Fiskina Fischen

    Das erweiterte

    Südwestdeutsche Kammerorchester PforzheimLeitung: Karl Gogl

    Solist : Markus Schirmer Klavier

    Programm: Joseph Martin Kraus Ouverture zu „Olympie“ c-Moll (1792) Wolfgang Amadeus Mozart Klavierkonzert Nr. 24, c-Moll, KV 491 (1786)Richard Wagner Siegfried Idyll (1870)Wolfgang Amadeus Mozart Sinfonie Nr. 38, D-Dur, KV „Prager“ KV 504 (1786)

  • Geballte Energie, höchste Ausdruckskraft sowieeine faszinierende Symbiose aus Emotion undIntellekt kennzeichnen das Spiel von ÖsterreichsAusnahmepianisten Markus Schirmer. Sein Publikum ob in Asien, nahezu allen LändernEuropas, Nord- oder Südamerikas schätzt ihn vor allemwegen seiner außergewöhnlichen Musikalität und ist vonzwei Dingen gleichermaßen fasziniert: von seinerFähigkeit, auf dem Instrument lebendige Geschichten zuerzählen und von seiner seltenen, charismatischenAusstrahlungskraft auf dem Podium. Eine seinerRezensionen bringt es auf den Punkt: „Ein Rattenfängerauf dem Klavier“ - Musik, die aus Herz, Hirn undFingerspitzen kommt.In Graz geboren, erobert er nach seinen Studien u.a. beiRudolf Kehrer, Karl-Heinz Kämmerling und Paul Badura-Skoda sowie nach einer Reihe von Preisen undAuszeichnungen die wichtigsten Konzertpodien undFestivals im Sturm: Wiener Musikverein u. Konzerthaus,Herkulessaal und Philharmonie/München, SuntoryHall/Tokio, Wigmore Hall/London, Gewandhaus/ Leipzig,Rudolfinum/Prag, Konzerthaus/Berlin, Megaron/Athen,Palais des Beaux Arts/Brüssel, Finlandia Hall/Helsinki,Teatro Teresa Carreño/Carracas, Victoria Hall/Genf,Festspielhaus Baden-Baden, Teatro Olimpico/Vicenza,Festival international de piano „La Roque d´Antheron“,Festival pianistico internationale „Arturo BenedettiMichelangeli“ Brescia, Rheingau Musik Festival, LucerneFestival, Kissinger Sommer, „Stars of White NightsFestival“ St.Petersburg, Vilnius Festival, Schubertiade,Bregenzer Festspiele, Klavierfestival Ruhr, Styriarte,IGNM-Weltmusikfest u.v.m.Schirmer musiziert mit bedeutenden Orchestern undDirigenten: Wiener Philharmoniker, Royal Philharmonic

    Orchestra London, Tokyo Symphony Orchestra,Mariinsky Orchestra St. Petersburg, Chamber Orchestra ofEurope, Wiener Symphoniker, English ChamberOrchestra, Orchestre de la Suisse Romande, SinfoniaVarsovia, Radio-Symphonieorchester von Wien,München, Leipzig, Tschechische Philharmonie, FinnishRadio Symphony Orchestra unter Valery Gergiev, SirNeville Marriner, Vladimir Fedoseyev, Lord YehudiMenuhin, Jukka Pekka Saraste, Sir Charles Mackerras,Michael Gielen, John Axelrod, Fabio Luisi, PhilippeEntremont, Pinchas Steinberg, Roy Goodman oderPhilippe Jordan.Er liebt Schubert über alles, begeistert sich aber auch fürRaritäten wie Brittens ironisches Klavierkonzert oder dietranszendenten Werke Szymanowskis. Kammermusiknimmt in seinem Schaffen einen großen Stellenwert ein.So musiziert er mit Julian Rachlin, Renaud Capuçon,Benjamin Schmid, Clemens Hagen, ChristianAltenburger, Isabelle van Keulen, Nils Mönkemeyer,Danjulo Ishizaka, Patrick Demenga, dem ‘ensembleWien-Belin’, dem Artis-, dem Auryn- oder dem CarminaQuartett, dem Streichtrio Berlin u.v.a.

    In diesem Musiker schlägt allerdings nicht nur ein Herz.Es ist seine Liebe zum Ausgefallenen, seineWaghalsigkeit und Lust, Neuland zu betreten, um auchjenseits der „etablierten Klassik“ für Aufsehen erregendeEreignisse zu sorgen:• „Scurdia“, ein Improvisationsprojekt, welches außerge-wöhnliche Musiker aus allen Teilen der Welt auf einerBühne vereint und durch den Brückenschlag zwischenden verschiedensten Kulturkreisen völlig neue künstle-risch-kreative Energien freizusetzen vermag.• Mit Schauspielern wie Wolfram Berger, Peter

    89

  • Simonischek oder Julia Stemberger verbinden Schirmerhöchst eigenwillige, von Publikum und Presse einhelliggefeierte Programme.• Mit der US-Sängerin und Schauspielerin HelenSchneider präsentiert er Kurt Weills „Die 7 Todsünden“ ineiner von ihm bearbeiteten Fassung für Stimme undSolo-Klavier.Für seine ungewöhnliche künstlerische Vielseitigkeiterhielt Markus Schirmer im Rahmen der internationalenMusikmesse EUROMUSIC den „Music Manual Award“.Eine der angesehensten Auszeichnungen für einen öster-reichischen Künstler wurde ihm ebenfalls zuteil: Der„Karl-Böhm-Interpretationspreis“. Bereits seine erste CDmit Schubert-Sonaten erhielt den „Preis der deutschenSchallplattenkritik“. Auch seine weiteren Einspielungenmit Sonaten von Haydn oder Beethoven, den Mozart-Klavierquartetten gemeinsam mit dem Streichtrio Berlinoder seine CD „Pictures Reflections“ (Ravel Mussorgsky)sind international preisgekrönt worden. Auftritte beizahlreichen Festivals und Konzertserien in den USA,Südafrika, Deutschland, der Schweiz, China, Italien,Türkei, Frankreich, Kroatien, Australien, Neuseeland,Polen und Österreich stehen in der nächsten Saison aufseinem Programm, darunter seine erste Zusammenarbeitmit Maestro Lorin Maazel.Neben einer Professur für Klavier an der Musikuniversitätseiner Heimatstadt Graz wirkt Markus Schirmer auch alsgefragter Pädagoge bei internationalen Meisterklassenoder als Juror bei verschiedenen renommiertenKlavierwettbewerben.

    Das Südwestdeutsche Kammerorchester Pforzheim zeich-net sich durch eine frische, zupackende Musizierweiseund eine stilistische Vielfalt von der Alten bis zur NeuenMusik aus.

    Das mit vierzehn Musikern aus sieben Nationen besetzteEnsemble ist eines der ganz wenigen Fulltime-Kammerorchester. So wird eine außergewöhnlicheHomogenität und Flexibilität des Klangbildes möglich,die auch in größerer Besetzung mit Bläsern und weiterenStreichern aus einem festen Musikerstamm, erhaltenbleibt.

    Gegründet wurde das Südwestdeutsche Kammerorchesterim Jahr 1950 von dem Hindemith-Schüler FriedrichTilegant. Rasch fand das Ensemble internationaleAnerkennung. Man sprach vom „Tilegant-Sound“, dernicht nur bei den Festspielen in Salzburg, Luzern undLeipzig und auf weltweiten Konzertreisen zu hören war,sondern auch auf zahlreichen Schallplattenaufnahmenbei Deutsche Grammophon, VOX, Erato, Telefunken,Intercord dokumentiert wurde. Maurice André, DietrichFischer-Dieskau, Frans Brüggen und Yehudi Menuhinwaren nur einige der musikalischen Größen, mit denendas „Südwestdeutsche“ zusammenarbeitete.

    90

  • Nach der Tilegant-Ära, die 1968 mit dem viel zu frühenTod des Gründers zu Ende ging, wurde das Orchester vorallem durch den Wiener Paul Angerer (1971-1981) undden aus der großen tschechischen Musiktradition stam-menden Vladislav Czarnecki (1986-2002) geprägt. In derSpielzeit 2002/03 übernahm der junge deutsche DirigentSebastian Tewinkel, 1. Preisträger mehrererDirigierwettbewerbe, die Position des KünstlerischenLeiters.

    Auf seinem Erfolgsweg hat das SüdwestdeutscheKammerorchester neben etlichen Rundfunkaufnahmenfür fast alle europäischen Sender an die 250Schallplatten und CDs eingespielt, von denen eine ganzeReihe mit internationalen Preisen, wie dem Grand Prixdu Disque, dem Monteverdi-Preis oder dem Artur-Honegger-Preis, ausgezeichnet wurden. ZahlreicheUraufführungen mit Werken von Jean Françaix, HaraldGenzmer, Enjott Schneider, Mike Svoboda belegen seineKompetenz auch für die zeitgenössische Musik.

    Bis heute musiziert das Kammerorchester mit Solistenvon Weltruf, wie Cyprien Katsaris, Gidon Kremer, MischaMaisky, Sabine Meyer oder Frank Peter Zimmermann.Mit ihnen – aber auch mit vielversprechendenNachwuchskünstlern – war es in den letzten Jahren inganz Europa zu Gast. Zu nennen sind Prager Frühlingund Prager Herbst, das Schleswig-Holstein-Musikfestival,die Schwetzinger Festspiele, das Flandern-Festival, dasFestival Euro Mediterraneo Rom, der OsterKlang Wien,die Sala Verdi Mailand, das Auditorio Nacional Madrid,die Berliner Philharmonie, aber auch in den USA und inJapan.Mit neuen Programmideen erweitert das Ensemble seine

    musikalische Bandbreite. So spielte es mit Giora Feidmanund Facundo Ramirez in den großen KonzertsälenEuropas Klezmermusik und argentinische Folklore (MisaCriolla), entwickelte Schulprojekte und Kinderkonzertesowie Produktionen in den Bereichen Musik undLiteratur, Figurentheater, Kammeroper („Cosi fan tutte“unter Manfred Honeck), Tanz (Nina Corti) und Kabarett(Lars Reichow).

    Das Südwestdeutsche Kammerorchester ist ebenso jungwie die Gesellschaft „Freunde der Musik“ und hat alleinund mit vielen verschiedenen Solisten immer wieder beiuns gastiert. Seit 2000, als ich zum ersten Mal mit demäußerst sympathischen Orchester musizieren durfte, ist essozusagen unser „Orchester in Residence“ geworden. Mitgroßer Dankbarkeit denke ich an unsere gemeinsamenKonzerte und die hervorragenden Solisten zurück: UlrikeAnima-Mathé, Michael Martin Kofler, Raphael Wallfisch,Hans-Jörg Mammel und Wolfgang Wipfler sowie PeterOrth. Ich freue mich schon jetzt auf die Probentage inPforzheim für ein nicht alltägliches Programm, das Ihnenhoffentlich wieder große musikalische Freude bereitenwird.

    Zum Programm:

    Der Komponist Joseph Martin Kraus (1756 – 1792) dürf-te nur wenigen bekannt sein. Auch mir waren seineBiographie und sein Schaffen fast unbekannt, bis ich imNovember 2011 in einem Konzert des Sinfonieorchestersdes Bayerischen Rundfunks seine c-Moll-Sinfonie erst-mals hörte.

    91

  • Besondere Verdienste bei der Wiederentdeckung diesesgenialen Komponisten erwarb sich Prof. Dr. Friedrich W.Riedel von der musikwissenschaftlichen Abteilung derJohannes Gutenberg-Universität in Mainz, dessen Buch„Das Himmlische lebt in seinen Tönen – Joseph MartinKraus, Ein Meister der Klassik“ (*1) Grundlage meinerEinführung ist. Als ich versuchte, mit Prof. RiedelKontakt aufzunehmen, stellte sich heraus, daß er seit sei-ner Emeritierung in Sonthofen lebt.

    Kraus prägte als Kapellmeister eine der künstlerischfruchtbarsten Epochen der von König Gustav III. gegrün-deten Schwedischen Oper. Man nannte ihn einerseitswegen der fast übereinstimmenden Lebensdaten den„Mozart des Nordens“, aber wohl noch viel mehr wegender außergewöhnlichen Qualität seiner Werke.Wenngleich schon Christoph Willibald Gluck und JosephHaydn ihm höchstes Lob zollten, blieb er dennoch bisheute außerhalb Schwedens dem breiteren Publikumweitgehend unbekannt. Dies ist aus mehreren Gründenumso weniger verständlich, als seine Musik den Vergleichmit der seiner bedeutendsten Zeitgenossen nicht zuscheuen braucht. Musikhistorisch ist des weiteren vonbesonderem Interesse, daß Kraus, in Miltenberg am Maingeboren, in Mannheim seine schulische und musikalischeAusbildung erhielt und dort von den Mitgliedern derberühmten Mannheimer Hofkapelle unterrichtet wurde,die auch den jungen Mozart maßgeblich beeinflußt hat-ten.

    Joseph Martin Kraus besuchte zunächst die Lateinschulein Buchen, wo sein Vater städtischer Beamter war. Ererhielt dort auch Klavier- und Geigenunterricht. NochJahrzehnte später erinnerte sich einer seiner Lehrer anden außergewöhnlich begabten Joseph:

    „Kaum 7- bis 8jährig ware er schon in lateinischenAufsätzen so gegründet daß er zu einer höheren Klassekonnte befördert werden. Seine Anlage zur Musik wareeben so ausnehmend und wundervoll, daß er in derStimme zum Diskant seine weibliche neben-Sopranistinin der Höhe und Fertigkeit gleich im ersten Vierteljahrübertraf, und so auch auf seinem kleinen geigchen, denneine große konnte er noch nicht erspannen, in einem Trio

    92

    Geburtshaus von Joseph Martin Kraus in Miltenberg, erbaut von sei-nem Großvater Johann Martin Schmidt (ca. 1700 - 1763)

  • die erste, ich sein Lehrer die zweite Violin mitVerwunderung aller auf der Orgel in der Kirch abspielte,und so nahme er natürlicherweise bis ins 10te Jahr sei-nes Alters also zu, daß er fast überfähig auf Mannheimin das dortige Siminarium und zur ersten Schul aufge-nommen worden.“ (*1, S.22)

    1768 fand dieser Wechsel an das Jesuitengymnasium inMannheim statt. Auf Grund seiner besonderen musikali-schen Begabung erhielt er im Seminarium Aloysianumeinen Platz als Kostgänger. Die Stipendiaten erfuhreneine abwechslungsreiche und praxisorientierte musikali-sche Ausbildung, da sie vor allem im kirchenmusikali-schen Bereich mit dem damaligen Repertoire vertrautwurden. Darüber hinaus hatten die Zöglinge Gelegenheit,bei Theateraufführungen am Ende eines Schuljahresnicht nur ihre musikalischen, sondern auch ihre schau-spielerischen Fähigkeiten vor Kurfürst Carl Theodor undseiner Hofgesellschaft zu präsentieren. Bereits 1770 sangKraus eine Hauptpartie. Die enge Zusammenarbeit des Jesuitengymnasiums mitder Mannheimer Hofkapelle beschreibt der aus Darmstadtstammende, bedeutende Musikverleger Heinrich PhilippCarl Bossler in seiner `Musikalischen Realzeitung´ 1789:

    „Als der Hof und die Kapelle und Opernmusik noch inMannheim waren, giengen viele Musikmeister in diesesSeminarium oft zu den Musikübungen so wie auch zu derKirchenmusik, und diese Schüler wurden hinwiederum zuder Hofmusik, den Opernchören gebraucht, wodurch sievielen Unterricht und richtige Übung erlangten.“(*1, S.26)

    Über die musikalische Entwicklung des Élèven berichteteder Präses des Seminariums und Musikdirektor derHofkirche, P. Alexander Keck, in einem Brief an den jün-geren Bruder des Komponisten im Oktober 1800:

    „Er kam zu mir in das Seminarium als ein Anfänger inder Musik, ich stellte ihn an als einen Sopranisten, inwelcher Stimm er beherzt und unerschrocken Solo undRezitativ sang. gar bald stellte ich ihn zur Violin, in wel-cher er löblichen fortgang machte, er fieng indessen angut nach dem gehör zu componiren, und da auch derWeltberühmte Herr Vogler zu ihm kam, eiferte er heim-lich mit ihm, componirte nach dessen austritt ein Concerta deux Violins, welches er mit einem anderen Eleven,Fuchs mit Namen, mit vieler approbation in der Kirchspielte. Im Fünften Jahr seines Daseins übergab ich ihmdie helfte des Musik-spiels, weil mir die zeit zu kurzgeworden, zu Komponieren, welches ihm mit vielem bei-fall gelungen.“(*1, S.26)

    Besondere Freude bereitete Kraus auch seinemLateinlehrer P. Anton Klein, der sich große Verdienste umdie Entwicklung der klassischen deutschen Literaturerwarb und gegen Widerstände auch Deutsch unterrich-tete, weil an den Gymnasien in der Regel lateinisch undim Alltag französisch gesprochen wurde. P. Anton Klein: „Ich führte damals, im harten Kampfe mit demVorurtheile und der Pedanterey, das Studium derTeutschen sprache und Litteratur in die LateinischenSchuhlen des hiesigen Gymnasiums ein. Der junge KraußLohnte Bald durch die Fortschritte, die er auf dieser Bahnmachte, meine Bemühungen. Er war mir in der Folge

    93

  • sogar Behülfflich, den Geschmack an derVaterländischen Litteratur zu Verbreiten. Er ermuntertedazu nicht nur seine Mitschüler, sondern auch andereJünglinge, deren Lehrer das alte Vorurtheil widerTeutsche Schriftsteller nicht aufgeben wollten...ManKann es als eine Epoche des Hanges zur TeutschenLitteratur in der Pfaltz ansehen, als er ein DeutschesGedicht mit noch Dreyen seiner Mitschühler öffentlichdeclamirte. Die zahlreiche und ansenliche Versammlungder Zuhörer war so sehr von der richtigen Diction, vondem Gefühle und Feuer dieses Jünglings hiengerissen,daß von dieser Zeit an die Feinde der Teutschen Litteraturihre Anfälle nicht mehr öffentlich wagten.“(*1, S.27)

    P. Anton Klein berichtet des weiteren, daß Kraus auch inder lateinischen Sprache und in der Poesie mit erstenPreisen für seine Arbeiten ausgezeichnet worden undüberhaupt eine `Zierde der Jugend´ sei:

    „Er zeichnete sich durch Talent und Fleiß unter seinenMitschülern bey weitem aus. Er hatte ein glücklichesGedächtniß, natürlichen Scharfsin, und äusserte sehrfrühzeitig gesunde Beurtheilungs Kraft und ästhätigesGefühl. Dabey hatte er wahrhaft das Gemüth einesEngels...“(*1, S.27)

    Die bei P. Anton Klein erworbenen Literaturkenntnisse,die Beherrschung der Regeln der Rhetorik und der Lehrevon den Affekten waren für den späterenOpernkomponisten von ganz besonderer Bedeutung.

    Mit soliden Kenntnissen und einer für damaligeVerhältnisse universalen Bildung immatrikulierte sichKraus 1773 an der juristischen Fakultät der MainzerUniversität, wechselte aber noch im selben Jahr an dieUniversität Erfurt. Er entsprach damit wohl dem Wunsch seines Vaters, dernach einem Jurastudium als Stadtschreiber, d.h. alshöchster städtischer Beamter, 1751 in Amorbach seineLaufbahn begann. Als Kurfürstlich Mainzischer`Amtskeller´, das war der oberste Verwaltungs- undJustizbeamte eines Verwaltungsbezirks, war er ab 1759in Osterburken und danach in Buchen tätig. Eine für dieFamilie sehr schmerzhafte Unterbrechung seinerLaufbahn wurde 1775 durch eine Verleumdung wegenBestechlichkeit ausgelöst. Es dauerte drei Jahre, bis derVater gänzlich rehabilitiert war und schließlich in eine

    94

  • gehobene Stellung als Amtmann und Oberamtassessoraufstieg. Ich erwähne dies, weil die Verleumdung und derdreijährige Prozeß den jungen Jurastudenten JosephMartin nicht nur zwangen, sein Studium für ein ganzesJahr zu unterbrechen und nach Hause zurückzukehren,sondern weil sie den jungen Mann zutiefst verunsicher-ten und an seiner Eignung zum Juristen zweifeln ließen. Joseph Martin Kraus nutzte die Zeit zu Hause vor allemzum Komponieren. Nach dieser Zwangspause setzte ersein Jurastudium 1777 in Göttingen fort. In all diesenJahren suchte er immer auch den Kontakt zu denMusikern der jeweiligen Universitätsstadt sowie ihrerUmgebung und nahm bei ihnen Unterricht. So konnte erden Eltern berichten, „daß er in Erfurt erst eigentlichgelernt hätte was wa[h]re Setzkunst heisse.“ Wegweisend wurde für ihn die Musik „aus der Generationder Söhne und Schüler Johann Sebastian Bachs.Dramatische Werke wie Singspiele und Melodramenkonnte er in Weimar und vor allem im nahe gelegenenGotha erleben, wo Georg Benda damals Hofkapellmeisterwar.“( *1, S.34)

    In Göttingen schrieb er unter dem Einfluß des „Sturmund Drang“ Tolon, einen dramatischen Versuch, und ver-faßte eine polemische Schrift `Etwas von und über Musikfürs Jahr 1777´, die seine gründliche Repertoirekenntnisund „umfassende Vertrautheit mit der aesthetischenDiskussion seiner Zeit belegt. Hier tritt auch seine unein-geschränkte Bewunderung für Chr. W. Gluck und dessenerhabenen, klassizistischen Stil zutage.“(*2, MGG)

    In einem Brief an die Eltern zum Jahreswechsel 1777/78zählte er bereits zwanzig Kompositionen auf, die er imvergangenen Jahr geschrieben habe. Darunter sind sechsStreichquartette, sechs Sinfonien, vier Konzerte sowieKammermusik für Trio- und Duobesetzung. Im selbenBrief finden wir aber auch wieder die Zweifel an seinerEignung zum Juristen und fast ein Aufbegehren gegendie Erwartung der Eltern bezüglich seines Berufs:(*1,S. 37)

    95

    Joseph Martin Kraus als Erfurter Student. Ölgemälde, möglicherweisevon Jakub Samuel Beck (1715 - 1778).

  • „Gott! Was ist der Mensch, wenn er sich in seinemUmfange zu fühlen anfängt und seine Grenzen sieht, dieer nie überschreiten darf und nie überspringen kann?“

    Schicksalhaft wurde für Kraus die Freundschaft mit demschwedischen Kommilitonen Carl Stridsberg, der ihn auf-forderte, mit ihm nach Schweden zu kommen und dortals Komponist sein Glück am Hof Gustavs III. zu versu-chen. In einem Brief an den Bruder schrieb er den zutiefstbeunruhigten Eltern:

    „Warum wollen Sie mit Gewalt, daß ich den gewöhnli-chen Weg wandern soll...Ich sitze hier an einem Orte, woich keine vergnügte Stunde habe und tue, was ich mirnützlich denke...Durch das, was ich gelernt habe und wasmir die gute Natur mitgegeben, will ich mir forthelfen –durch sonst nichts.“(*1, S.39)

    Vielleicht ahnte der junge Mann, daß er sich entscheidenmußte und sich nicht mehr verzetteln durfte, denn seitden ersten Tagen in Göttingen machten sich Anzeicheneiner Lungenerkrankung bemerkbar. Voll düstererAhnungen schrieb er am 3.April 1778 vor der Abreisevon Göttingen wiederum an den Bruder:

    „Vielleicht hat Er – der Mächtige – mein Grab dort berei-tet, wo ich Linderung suche – Beste, so ist`s meineBestimmung! Der Mut hat, geht ihr entgegen; der Feigezittert, bebt vor seinem Schicksale zurück und fristetdadurch seine Wallfahrt nicht um eine Minute länger alsder erstere...“(*1, S.39)

    Am 26. April 1778 brachen die Freunde in Göttingen aufund kamen, nach einer sechstägigen Reiseunterbrechungin Kopenhagen, schließlich am 3. Juni in Stockholm an. Prof. Riedel schildert (*1, S.40) sehr anschaulich, warumKraus sein Glück in Stockholm suchte:

    „Dorthin lockte ihn das Geistes- und Musikleben am HofeKönig Gustavs III., den man den `Zauberer auf demThron´ nannte und dessen zwei Jahrzehnte währendeRegierungszeit ( 1772-1792) die schwedische Hauptstadtneben Paris, London, Wien und Rom in eine der führen-den Kulturmetropolen Europas verwandelte. Durch dieBerufung von Architekten, Bildhauern, Malern, Dichternund Komponisten aus ganz Europa suchte er eine eigeneschwedische Stilrichtung zu schaffen, die man zu Rechtals `gustavianischen Klassizismus´ bezeichnet. Für Krausbedeutete die Übersiedlung nach Schweden die Lösungvon den beengten politischen Verhältnissen inDeutschland, zugleich aus der verspielten Welt desRokoko und der sentimentalen Welt der Empfindsamkeit.Er fand den Weg von der exzentrischen Haltung des`Sturm und Drang´ zum erhabenen, abgeklärten Stil desKlassizismus, wie ihn Gluck in seinen französischenReformopern geschaffen hatte. Stockholm war nebenParis die Hauptpflegestätte Gluckscher Werke. DieKöniginmutter Luise Ulrike, eine Schwester Friedrich II.von Preußen, hatte durch den aus Bologna berufenenPadre Martini-Schüler Francesco Uttini (1732 – 1795)das Musikleben am Hof nach Berliner Vorbild neu orga-nisieren lassen. Neben Uttini als erstem Kapellmeisterwurde 1777/78 und 1783 auch Johann GottliebNaumann aus Dresden nach Stockholm berufen, umeigene Werke zu dirigieren und seine reichenErfahrungen dem Stockholmer Musikleben zugute kom-men zu lassen.“

    96

  • Es ist nicht verwunderlich, daß da zunächst kein Platz fürKraus war, zumal es ihm nicht gegeben war, alsKomponist auf sich aufmerksam zu machen oder sichgegen Intrigen durchzusetzen. Nach drei Jahren bittererNot, in denen er schweren Herzens die Eltern wiederholtum Unterstützung bitten mußte, wurde er durchEmpfehlung des Mainzer Hofkanzlers Anselm Freiherrvon Bentzel in die Königliche Musikalische Akademieaufgenommen und beauftragt, die Oper Proserpin aufeinen Text von Johan Henrik Kellgren zu komponieren.Im Juni 1781 wurde die Oper vor der königlichen Familieund dem Hofstaat aufgeführt.Endlich konnte er den Eltern von einem großen Erfolgberichten:

    „Sogleich nach geendigter Musik unterhielt sich derKönig über eine Viertelstunde mit mir, machte mir erstein recht artiges Kompliment, frug mich nach dem undjenem und maß mich mit seinen großen Augen von Kopfbis Fuß, und ich nach meiner alten löblichen Weise nahmmir die Freiheit, den großen Monarchen durch zu gaffen,und das, wie ich nachgehends erfahren habe, hat ihm justwohlgefallen... Gestern hab` ich mich engagiert und daszum ersten und letztenmale nach allerWahrscheinlichkeit in meinem Leben. Freilich bekam ichkeine großen Titel,...sondern blos – schlecht und recht,Kapellmeister. Die Besoldung ist 300 Dukaten (kontrakt-gemäß 500 schwedische Reichstaler), und das, was mirmehr wert ist als 600, ist die Gnade, daß ich zukünftigesJahr auf des Königs Kosten eine kurze Reise durchDeutschland, Frankreich und Italien machen muß – nichtum Musik zu studieren wie der König sagte, sondern blosdie neuere Einrichtung der Theater zu beschauen.“ (*1, S.41)

    Zuvor sollte Kraus für die Eröffnung des neuenOpernhauses in Stockholm noch die Oper Aeneas iCarthago schreiben. Er hatte das Werk zur Hälfte kompo-niert, als die Sängerin der Hauptpartie floh und als Ersatzeine Oper von Naumann aufgeführt wurde.Zwei Jahre später als geplant, am 7. Oktober 1782 konn-te er endlich zu seiner Reise aufbrechen.

    Sie führte ihn über Stralsund zunächst nach Rostock undüber verschiedene Stationen nach Berlin, wo er imNationaltheater eine Oper von Grétry anhörte und ineinem Liebhaberkonzert Tirza aus der Feder des angese-henen Oratoriumkomponisten Johann Heinrich Rolle. DerBesuch des Verlegers Johann Julius Hummel dürfte vonbesonderem Interesse für Kraus gewesen sein, da dieseralle namhaften Komponisten der Zeit verlegte. Die Reiseführte über Dresden, Leipzig nach Erfurt, wo er denKantor Georg Peter Weimar aufsuchte, der ihn währendder Studienzeit in der Komposition unterwiesen hatte. Es war wohl das schönste Weihnachtsgeschenk für dieEltern, als sie am 24.12. den Sohn endlich wieder in dieArme schließen konnten. Am 7. Januar setzte Kraus dieReise nach Frankfurt, Mainz und Mannheim fort. Er hörteden Orpheus des hochverehrten Christoph WillibaldGluck, ein Singspiel von Salieri, sah Macbeth vonWilliam Shakespeare und suchte P. Anton Klein, der dasInteresse an der Literatur geweckt hatte, sowie denMannheimer Hofkapellmeister Ignaz Holzbauer auf, beidessen Aufführungen er als Schüler mitgewirkt hatte. ImFebruar suchte er noch einmal die Eltern in Amorbachauf.

    Welche Wertschätzung Kraus damals schon genoß, läßtsich aus vielen Begegnungen und Einladungen während

    97

  • der Reise ableiten. So wurden während seines zehntägi-gen Aufenthalts in Regensburg täglich Konzerte zu sei-nen Ehren am Hof des Fürsten von Thurn und Taxisgegeben.Die Reise nach Wien setzte Kraus bis über Linz mit demSchiff fort und suchte noch am Tag der Ankunft, dem1.4.1783, das Burgtheater auf. Hofräte, schwedischeGeschäftsträger, Mitglieder der Hofkapelle und angesehe-ne Komponisten luden ihn zum Essen ein. Am 14.4.besuchte er erstmals Christoph Willibald Gluck, sein gro-ßes Vorbild. Dieser sagte später im Gespräch mit AntonioSalieri: „Der Mann hat einen großen Stil.“

    Er machte die Bekanntschaft fast aller namhaftenKomponisten in der Stadt: J. Albrechtsberger, J. Va hal,A. Salieri, J. Reichardt und P. Wranitzky. Warum keineBegegnung mit Mozart zustande kam, konnte ich nichteruieren. Jedenfalls war Mozart zu dieser Zeit in Wien.Im Mai und Juni war Mozart zwar krank, auch hatte ereinen Umzug zu bewerkstelligen. Das Reisetagebuch vonKraus ist leider nur fragmentarisch erhalten und dieReisekorrespondenz scheint diesbezüglich auch keineHinweise zu geben. Aber wir wissen, daß er nach MozartsTod 1791 seinen Freund Bellman beauftragte, ein Gedichtzu schreiben, das er dann für eine Singstimme mitKlavierbegleitung vertonte: „Mozart, man din griftupplåter.“Im Oktober 1783 setzte Kraus seine Reise fort und traf am15. des Monats in Schloß Esterháza ein, wo er bis zumEnde des Monats blieb. Er begegnete mehrfach demFürsten Nikolaus und natürlich dem hochverehrtenJoseph Haydn, der nach dem Tod von Kraus sagte:

    „Welcher Verlust ist nicht dieses Mannes Tod!. Ich besit-ze von ihm eine seiner Sinfonien, die ich zur Erinnerungan eines der größten Genies, die ich gekannt habe, auf-bewahre. Ich habe von ihm nur dieses einzige Werk, weißaber, daß er noch anderes Vortreffliches geschriebenhat.“(*1, S. 82)

    98

    Joseph Martin Kraus (1756 - 1792) Ölgemälde, von Antonio Pomarolli,Bologna, November 1783.

  • Über Graz reiste Kraus schließlich weiter nach Pirano, woer das Schiff nach Venedig bestieg. Neben den obligato-rischen Opern- und Konzertbesuchen besichtigte er in derSerenissima die reichen Kunstschätze und besuchteschließlich in Bologna den „musikalischen Patriarchendes Abendlandes“, P. Giovanni Battista Martini, der seineAnerkennung dadurch zum Ausdruck brachte, daß erKraus von Antonio Pomarolli für die berühmteSammlung der Academia filarmonica porträtieren ließ. Anfang Dezember stieß Kraus in Florenz wieder zu `sei-nem´ König und dessen Suite. Gemeinsam setzten sie dieReise nach Rom fort. Sie nahmen an der Christmette desPapstes in S. Maria Maggiore teil, und am 2. Januargewährte ihm der Papst Pius VI. eine Audienz.Zwei Monate dauerte der anschließende Aufenthalt mitdem König in Neapel. Im Vordergrund des Programmsstanden die Besichtigung der Kunstwerke, Ausflüge zumVesuv, nach Pompeji und Herculanum. Der universalgebildete Kraus begeisterte sich für die bildenden Künste,die großen Werke der Renaissancekünstler und berichte-te seiner Schwester Marianne brieflich ausführlich darü-ber. Sie hatte u.a. eine Ausbildung als Malerin erhaltenund kam fünf Jahre nach ihrem Bruder als Hofdame desGrafen Erbach ebenfalls nach Rom und Neapel, wo siemit Angelika Kauffmann, Philipp Hackert und WilhelmTischbein zusammentraf und sich von diesen weiterbil-den ließ.Von Livorno ging die Reise per Schiff weiter nachMarseille, dann auf dem Landweg nach Aix-en-Provence, Lyon und Paris, wo er mit dem König insge-samt zwei Jahre blieb und sich auch als Berichterstatterfür deutsche Zeitschriften betätigte. Er besuchte hierauch die berühmten Concerts spirituels, in denen zumBeispiel die Sinfonien Haydns mustergültig aufgeführt

    wurden. Ein Abstecher führte König Gustav III. undKraus für mehrere Wochen nach London, wo sie an denHändel-Säkularfeiern teilnahmen. Im August 1786 kehr-te Kraus nach Deutschland zurück, besuchte seineSchwester Marianne in Frankfurt und fuhr mit ihrschließlich wieder zu den Eltern nach Amorbach. ImSeptember mußte er endlich die Rückreise nachSchweden antreten. Es war ein Abschied für immer, dennKraus war zu diesem Zeitpunkt von der Tuberkulosebereits schwer gezeichnet. Ende Dezember des Jahres1786 traf Kraus wieder in Stockholm ein.

    Mit Eifer stürzte er sich in seine Aufgaben und warbestrebt, die auf der Reise gewonnenen Erkenntnisse undErfahrungen zur Verbesserung des Musik- undTheaterwesens in Stockholm einzubringen. Der Königberief ihn zum `Direktor der musikalischen Lehranstalt´d.h. der Königlichen Musikakademie, und wenigeWochen später, am 1. Juli 1787, wurde er zum OrdinarieCapellmästare ernannt. Er erhielt nun zwar das doppelteGehalt und mußte nicht nur die eigenen, sondern auchfremde Werke einstudieren und aufführen. Den Elternschrieb er:

    „Das Mittag- und Abendessen abgerechnet, wo ich michdazustehlen kann, mich in einer oder anderen deutschenoder französischen zeitung nach den Türken zu erkundi-gen und zu sehen, was die Grütze in Hamburg gilt, so istmein übriger Tag reine Zuchthausarbeit – das ist eineSingerei und Pfeiferei und Taktschlägerei undOrgelumdudeldumdei von morgens bis abends und vomAbend bis Morgen in einem fort, sodaß mir der Schweißnach Noten stinkt.“(*1, S. 48)

    99

  • Aber er konnte auch von den Erfolgen seiner OperSoliman II, der Bühnen- und Ballettmusiken zu Fiskarenavon Bourneville, zu Amphitryon von Molière, zu Armidevon Gluck und zu Kellgrens Olympie berichten.Die Ouverture zu Olympie hören Sie in unserem Konzert,sie entstand in seinem letzten Lebensjahr. Im Januar1792 wurde am Königlichen Opernhaus VoltairesTragödie Olympie in einer Übersetzung von J.H. Kellgrengegeben. Kraus war für die Bühnenmusik zuständig undschrieb zu diesem Anlaß diese Ouvertüre, einen Marschund eine Reihe von Zwischenspielen.An seinem dramatischen Hauptwerk, der aufwändigenOper Aeneas i Carthago nach Kellgren, arbeitete er von1781 bis 1790. Abgeschlossene Teile spielte er bereits inWien Chr. W. Gluck vor. Es war ihm leider nicht mehrvergönnt, eine Aufführung dieses bedeutenden undmonumentalen fünfstündigen Werkes zu erleben.

    In der Nacht vom 16./17. März 1792 verübten schwedi-sche Adlige bei einem Maskenball ein Attentat auf denKönig Gustav III., der wenige Tage später seinenVerletzungen erlag. Dieser Königsmord erschütterte ganzEuropa, und so ist es nicht verwunderlich, daßKomponisten wie Auber und Mercadante dieses Ereignisschon als Opernsujet verwendeten, am bekanntesten aberwurde der Maskenball von G. Verdi.Kraus, selbst todkrank, war vom Tod des königlichenFreundes und Förderers tief erschüttert. Er schrieb eineSymphonie fùnèbre für die Aufbahrung des Leichnamsund eine Trauerkantate für die Beisetzung. Bei derGeneralprobe brach er ohnmächtig zusammen. Ein hal-bes Jahr später, am 15. Dezember, starb Joseph MartinKraus. Über die Trauer-Sinfonie sagte Joseph Haydn:„Welche Tiefe der Gedanken – welch klassisches Talent.“

    100

    Joseph Martin Kraus in der Gala-Uniform des königlichen schwedi-schen Hofkapellmeisters.

  • Entsprechend seinem Wunsch wurde Kraus auf derHalbinsel Tivoli des königlichen Krongutes Bergshammarbeerdigt. 1846 wurde das Holzkreuz durch eineSandsteinsäule ersetzt, die Inschrift lautet:„Hier das Irdische von Kraus – das Himmlische lebt inseinen Tönen.“ (*1, S.50)

    Joseph Martin Kraus hinterließ ein umfangreichesOuevre, das von zwei bemerkenswerten Klaviersonaten,über Kammermusik vom Duo für Traversflöte und Viola,Violinsonaten bis zum Streichquartett und Quintett mitFlöte reicht. Mehrere Konzerte sind verschollen, das sin-fonische Schaffen habe ich schon mehrfach erwähnt undmöchte Joseph Haydn noch einmal zitieren, der sagte:

    „Die Sinfonie aus c-Moll, die er hier in Wien besondersfür mich schrieb, ist ein Werk, welches in allenJahrhunderten als Meisterstück gelten wird, und glaubenSie mir es gibt wenige, die ein ähnliches Werk schreibenkönnen.“(*1, S.76)

    Opern, Bühnen- und Ballettmusiken, Kantaten und Arienmit Orchesterbegleitung nehmen in Kraus` Schaffen brei-ten Raum ein. Zahlreiche Lieder entstanden, und Prof.Riedel (*1, S.68) weist auf eine weitere Besonderheit hin:

    „Kraus dürfte der einzige Komponist des 18.Jahrhunderts gewesen sein, der Klavierlieder auf Texte infünf Sprachen schuf. Eine Anthologie, in der lediglich eindänisches Lied fehlt, erschien fünf Jahre nach seinemTode und erregte die Bewunderung der Kenner. Dochgerade seine kosmopolitische Haltung mag ein Grund fürdie Ignorierung von Kraus` Liedschaffen seitens der deut-schen Musikforscher des 19. Jahrhunderts und für die irr-tümliche Zuschreibung des berühmten `Nasenliedes´(Schlaf süßer Knabe, komponiert von Kraus in Wien1783) an Wolfgang Amadeus Mozart (KV Anh. 187a =Anh. 260a) gewesen sein.

    Ich hoffe, daß wir mit der Aufführung der Ouverture zuOlympie Ihr Interesse an seinem Schaffen wecken kön-nen. Hierzu stehen Ihnen inzwischen zahlreich erschie-nene CD`s mit verschiedenen Ensembles zur Verfügung.Sein literarisches Werk habe ich nur ganz am Randeerwähnt, und abschließend sei noch auf eine besondereFähigkeit dieses vielseitigen Mannes hingewiesen:

    „Seine Spezialität war die im letzten Drittel desJahrhunderts – vor allem im Kreise um Goethe – in Modegekommene Kunst des Scherenschnitts. Etwa zweitau-send Silhouetten soll Kraus im Laufe seines kurzenLebens geschaffen haben, von denen freilich nur wenigeerhalten geblieben sind.“ (Prof. Riedel, S. 51)

    101

    Grabstätte von J. M. Kraus auf der Halbinsel Tivoli des königlichenKrongutes Bergshammar.

  • Richard Wagner (1813-1883) schrieb das Siegfried-Idyllim Sommer/Herbst 1870 heimlich als Geschenk fürCosima, die er am 25. August des gleichen Jahres gehei-ratet hatte. Es war kein beliebiger Termin, sondern derGeburtstag seines königlichen Förderers und Mäzens,Ludwigs II. von Bayern. Wagner arbeitete von 1869 bis1871 am Siegfried der Ring-Tetralogie und so war esnaheliegend, daß er für das Idyll neben Motiven aus demLied Schlaf, mein Kind, das Cosima vermutlich ihrenKindern zur Beruhigung sang, vor allem solche desWaldvogels aus dem Siegfried verwendete. Er schloß dieArbeit am 4. Dezember ab, und am Morgen des erstenWeihnachtsfeiertags, Cosimas dreiunddreißigstemGeburtstag, spielten sechzehn Musiker des ZürcherTheaterorchesters erstmals das Siegfried-Idyll imTreppenaufgang des Hauses in Tribschen amVierwaldstätter See.

    In ihren Tagebüchern notierte Cosima:Sonntag 25.ten Von diesem Tag, meine Kinder, kann icheuch nichts sagen, nichts von meinen Empfindungen,nichts von meiner Stimmung, nichts, nichts. Dürr undtrocken will ich euch nur sagen, was geschah: Wie ichaufwachte, vernahm mein Ohr einen Klang, immer vollerschwoll er an, nicht mehr im Traum durfte ich mich wäh-nen, Musik erschallte, und welche Musik! Als sie ver-klungen, trat R. mit den fünf Kindern zu mir ein undüberreichte mir die Partitur des „SymphonischenGeburtstagsgrußes“-, in Tränen war ich, aber auch dasganze Haus; auf der Treppe hatte R,. sein Orchestergestellt und so unser Tribschen auf ewig geweiht! Die„Tribscher Idylle“ so heißt das Werk.—- Um Mittag kamDr. Sulzer, der bedeutendste wohl unter R.`s Freunden!Nach dem Frühstück stellte das Orchester [sich] wieder

    ein, und in der unteren Wohnung ertönte nun die Idyllewieder, zu unserer aller Erschütterung (Gräfin B. auchvon mir dazu eingeladen); darauf Lohengrin`s Brautzug,das Septett von Beethoven, und zum Schluß noch einmaldie nie genug Gehörte!- Nun begriff ich R.`s heimlichesArbeiten, nun auch des guten Richter`s Trompete ( erschmetterte das Siegfried-Thema prachtvoll und hatteeigens dazu Trompete gelernt), die ihm vieleErmahnungen von mir zugezogen hat. `Laß mich ster-ben´, rief ich R. [zu]. `Es war leichter, für mich zu sterbenals für mich zu leben´, erwiderte er mir.(*3, S.329)

    102

    Haus Trieschen bei Luzern, in dem Richard und Cosima Wagner vomApril 1866 bis April 1872 wohnten und unzählige Gäste aus ganzEuropa empfingen.

  • Es war der Dirigent Hans Richter, der an diesem Tag dieTrompete blies. Er leitete sechs Jahre später dieUraufführung des Ring in Bayreuth. Unter den Gästendes Weihnachtstages war auch Friedrich Nietzsche, derseit 1868 zum Bekanntenkreis zählte und die Wagnersinsgesamt dreiundzwanzig Mal von 1869-1872 inTribschen besuchte.

    Das Siegfried-Idyll ist ein subtiler, tönender Ausdruck desnach vielen unerfreulichen und schmerzhaftenKonflikten gewonnenen Familienglücks. Die verschlun-genen Wege zu diesem Glück möchte ich Ihnen aufzei-gen.

    Richard Wagner begegnete Cosima erstmals 1853 inBegleitung ihres Vaters Franz Liszt in Paris. Vier Jahrespäter besuchte das frischvermählte Ehepaar Hans undCosima von Bülow die Wagners in Zürich, die 1857 derEinladung des Freundes und großzügigen Förderers OttoWesendonck gefolgt und zuletzt in ein Fachwerkhaus aufdem Gelände der Villa des reichen Seidenfabrikantengezogen waren. Durch die räumliche Nähe entwickeltesich sehr bald eine intensive Liebesbeziehung zuMathilde von Wesendonck, die in Tristan und Isoldeihren musikalischen Ausdruck fand. Beim Besuch derBülows 1857 wurde viel musiziert, und es ist eines dervielen Beispiele für Wagners Rücksichts- undTaktlosigkeit, daß er ausgerechnet in der Villa seinesFreundes und Förderers Wesendonck den gerade fertig-gestellten Tristan-Text vorlas. Bei dieser Lesung, EndeSeptember 1857, waren zum einzigen Mal die drei Frauenim selben Raum, die in Wagners Leben von größterBedeutung waren, seine Frau Minna Wagner, die wenigeMonate später die Morgenbeichte, einen Liebesbrief ihres

    Mannes an Mathilde Wesendonck, abfing und tief ver-letzt allein nach Dresden zurückkehrte. DieAuseinandersetzungen und die stetige Entfremdung zwi-schen den Eheleuten beruhten vor allem auf Wagnersunstetem und höchst aufwändigem Lebensstil sowiediversen Affären. Wiederholte Scheidungsangebote ihresMannes lehnte Minna Wagner stets ab.Mathilde Wesendonck, Frau des Gastgebers und Mäzens,bezeichnete Wagner als seine „erste und einzige Liebe“.Wie bereits erwähnt, gab die Affäre mit ihr den Anstoßzu Tristan und Isolde, darüber hinaus widmete er ihr denersten Akt der Walküre und vertonte von ihr FünfGedichte für eine Frauenstimme. Und schließlich war bei dieser Lesung Cosima von Bülowzugegen, die Wagner nach diesem Besuch erstmals in sei-ner Autobiographie Mein Leben erwähnte:

    Aber auch die nur im Kompositionsentwurf niederge-schriebenen beiden Akte des Siegfried wußte sich Hans(Anm.: von Bülow) derart anzueignen, daß er sie wie auseinem wirklichen Klavierauszuge zu spielen vermochte.Ich sang dazu, wie gewöhnlich, alle Partien; manchmalhatten wir einige Zuhörer, unter denen sich Frau Dr.Wille am besten anließ. Cosima hörte mit gesenktemKopfe und gab nichts von sich; wenn man in sie drang,fing sie an zu weinen.“(*4, S.567)

    1862, neun Jahre später, bei einem gemeinsamenAufenthalt der Bülows, Wagners sowie desSängerehepaares Schnorr von Carolsfeld in Wiesbaden,kamen sich Cosima und Richard näher, und schließlichim Jahr 1863, anläßlich eines Besuchs in Berlin bei denvon Bülows, machten Wagner und Cosima eine gemein-

    103

  • same Kutschfahrt. Danach schrieb der Komponist am 28.November in sein Tagebuch:

    „Unter Tränen und Schluchzen besiegelten wir dasBekenntnis, uns einzig gegenseitig anzugehören.“(*4, S. 709)

    Nachdem Wagner 1858 sowohl wegen der Affaire mitMathilde Wesendonck die Schweiz verlassen mußte undin Wien sein Tristan nach siebenundsiebzig Proben alsunrealisierbar abgesetzt worden war, befand er sich ingrößter finanzieller Bedrängnis. Er mußte vor seinenGläubigern aus Wien fliehen, da ihm dort die Schuldhaftdrohte. Seine Freundin Eliza Wille gewährte ihm für noch einmalvier Wochen Zuflucht in Zürich, bis ihr Mann von einerGeschäftsreise zurückkehrte.Friedrich von Bernhardi, ein Freund der Familie Wille,erinnerte sich in „Denkwürdigkeiten aus meinem Leben“:

    Er, der Schulden halber aus Wien flüchtig war, stieg auseinem Abteil erster Klasse aus, weigerte sich, imDampfboot nach Meilen zu fahren, bestand auf einemWagen, den er natürlich ebenso wenig bezahlte wie dieReise von Wien nach Zürich, kaufte auf Willes Rechnungdie teuersten Zigarren, bestellte – natürlich auch aufWilles Rechnung – einen rotseidenen Schlafrock underzählte überall, daß er nur aus Gnade bei Willes wohne. (*5, S.102)

    Als Wagner im März 1864 vor seinen Schuldnern ausWien floh und durch Süddeutschland irrte, sah er ineinem Schaufenster in München ein Bild des neuen jun-gen Königs Ludwigs II., der zwei Wochen zuvor den

    Thron der Wittelsbacher bestiegen hatte.An seinen Freund Peter Cornelius schrieb er am 8. April:„Ein Licht muß sich zeigen: Ein Mensch muß mir erste-hen, der jetzt energisch hilft...Ein gutes, wahrhaft hilfrei-ches Wunder muß mir jetzt begegnen; sonst ist´s aus.“Das „Wunder“ trat bereits vierzehn Tage später ein, alsder bayerische Kabinettssekretär Franz Seraph vonPfistermeister den Bankrotteur nach vergeblicher Suchein Wien und in der Schweiz schließlich am 3.Mai 1864 inStuttgart fand. Er überreichte dem „Ertrinkenden“ einBillet mit einem Bild des jungen Königs sowie einenRing. Wagner schrieb dem König am selben Tag zurück:

    Teurer huldvoller König!Diese Tränen himmlischster Rührung sende ich Ihnen,um Ihnen zu sagen, daß nun die Wunder Poesie wie einegöttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebedürftigesLeben getreten sind!- Und dieses Leben, sein letztesDichten und Tönen gehört nun Ihnen, mein gnadenrei-cher junger König: verfügen Sie darüber als über IhrEigentum! Im höchsten Entzücken, treu und wahrIhr Untertan

    Richard Wagner Stuttgart3. Mai 1884

    Bereits einen Tag später standen sich die beiden unglei-chen Männer gegenüber. Ludwig beglich alle Schulden,gewährte Wagner ein Jahreseinkommen, das dem einesGymnasialdirektors entsprach, stellte ihm während desSommers das Landhaus Pellet in Kempfenhausen amStarnberger See zur Verfügung, schenkte ihm eine Villain der Brienner Straße 21, zahlte zusätzlich für die

    104

  • Komposition des Ring und versprach, dieVoraussetzungen für angemessene Aufführungen zuschaffen.Oliver Hilmes gibt in seinem Buch über Cosima Wagner,Herrin des Hügels, eine detaillierte Aufstellung derköniglichen Zuwendungen:

    „Alles in allem zahlte das Hofsekretariat in der Zeit vom1.Mai 1864 bis zum 31. Dezember 1867 an Wagner diestattliche Summe von 131173 Gulden und 46 Kreuzer.Ein königlicher Professor verdiente damals 600-1200Gulden im Jahr, Münchens Hofkapellmeister Franz

    Lachner bekam 4000 Gulden, und ein Minister bezog12000 Gulden. Demnach erhielt Richard Wagner in nurdreieinhalb Jahren den Wert von zehn Jahresgehälterneines Ministers. Um der Wahrheit die Ehre zu erweisen,muss betont werden, dass Ludwig diese Gelder aus sei-nem Privatvermögen – der so genannten `Zivilliste´ -entrichtete... In der Öffentlichkeit sahen viele in demKomponisten so etwas wie ein gefräßiges Raubtier, dasden bayerischen Staat finanziell auszuweiden drohte.“ (*5, S.110)

    Die Uraufführung des Tristan in München, der Abschlußdes Ring, Komposition und Uraufführung derMeistersinger, der Entwurf des Parsifal wurden durch denKönig gefördert oder überhaupt ermöglicht. Wagnerholte Hans von Bülow als Vorspieler des Königs nachMünchen, wo der Dirigent 1865 und 1868 dieUraufführungen des Tristan und der Meistersinger leite-te.

    Wie bereits erwähnt, zog Wagner bereits am 14. Mai1864 mit seinen Möbeln zunächst im Haus Pellet inKempfenhausen am Starnberger See ein, wo er in näch-ster Nähe zum Schloß Berg war. König Ludwig verbrach-te zum Teil dort die Sommermonate. Das Dienerehepaar Franz und Anna Mrazek führtenWagner den Haushalt wie zuvor in Wien. Durch Gerichtsprotokolle von 1914 am MünchnerLandgericht, die die Aussagen des DienerehepaaresMrazek enthalten, sind wir genau über die Vorgänge imHaus Pellet informiert. Ich werde später kurz auf diesegerichtliche Auseinandersetzung in der Familie Wagnereingehen.

    105

    Haus Pellet in Kempfenhausen am Starnberger See, das Ludwig II.Richard Wagner 1864 vorübergehend als Wohnung zur Verfügungstellte. Das Haus lag in der Nähe von Schloß Berg, in dem der Könighäufig wohnte. Wagner schrieb hier „Über Staat und Religion“ undkomponierte den „Huldigungsmarsch“.

  • Anna Mrazek:„Anfänglich war es in der großen Villa ziemlich still.Wagner ging jeden Tag beinahe zum König. Nachmittags3-4 Uhr kehrte er wieder zurück, begleitet von dem einenoder anderen Herrn der Hofgesellschaft, die dann denAbend über blieben. So ungefähr 3 Wochen lang wirddieses stille Leben wohl gedauert haben.Dann reiste der König nach Bad Kissingen ab.“(*5, S. 111)

    Am 29. Juni kam Cosima von Bülow mit ihren beidenTöchtern Daniela und Blandine nach Kempfenhausen. IhrMann, Hans von Bülow kam am 7. Juli nach. Im Gerichtsprotokoll fährt Anna Mrazek fort:„Daß Frau Cosima sich damals an Richard Wagner hin-gegeben hat, davon bin ich überzeugt. Im allgemeinenkonnte man damals in Starnberg unschwer merken, daßzwischen Frau Cosima und Richard Wagner sich etwasangesponnen habe. Die Beiden waren immer beisammen,gingen Arm in Arm im Park spazieren.“(*5, S.113)

    Neun Monate später, am 10. April 1865, wurde RichardWagners erste Tochter Isolde geboren. Am selben Tag lei-tete Hans von Bülow im Münchner Hoftheater die ersteOrchesterprobe zur Uraufführung von Tristan und Isolde.

    Zurück ins Jahr 1864: Als Hans von Bülow am 7. Julinach Kempfenhausen kam, litt er unter einem akutenSchub eines rheumatischen Fiebers, er mußte geschontwerden. Auch durfte Wagner nicht den Dirigenten fürseinen Tristan verlieren. Cosima und Richard verheim-lichten daher zunächst ihre Beziehung.

    Anna Mrazek: „Bülow schien sich, soweit er davon Wahrnehmungenmachte, nichts besonders daraus zu machen. Mir kam esdamals so vor, als ob Bülow das Verhältnis für einfreundschaftliches hielt, ich selbst aber habe dasVerhältnis schon für ein Liebesverhältnis gehalten.“(*5, S.113)

    Es dauerte nicht lange, dann wurde der gutgläubigeBülow eines besseren belehrt.Anna Mrazek:„Bülow hatte soeben in das Schlafzimmer RichardWagners eintreten wollen. Dieses Schlafzimmer sei ver-sperrt gewesen, die Frau Bülow sei bei Richard Wagnerdrinnen gewesen. ( Das wußte nämlich mein Mann, daßdie Frau Bülow bei Wagner drinnen sei.) Mein Mannerzählte weiter: Bülow sei in sein Wohnzimmer gegan-gen, habe sich auf den Boden niedergeworfen, habe mitHänden und Füßen geschlagen wie ein Wahnsinnigerund habe geschrieen, ja gebrüllt.“Oliver Hilmes kommentiert: „Und nun geschah daseigentlich Unfassbare: Es gab keinen Streit, keine emo-tionale Szene, kein klärendes Gespräch, was zu erwartengewesen wäre, geschweige denn, dass Bülow seinenNebenbuhler zur Rede gestellt hätte. Die Hauptdarstellerdieser Farce gingen zur Tagesordnung über, als ob nichtsgewesen wäre.“ Frau Mrazek: „Aber man hat gar nichtsgemerkt, nicht ein Wort habe ich darüber gehört.“(*5, S. 114) Am 19. August verließen die Bülows die Villa Pellet.

    Wagner fühlte sich durch das enge Verhältnis zum Königfür unangreifbar. Seine Ansprüche wurden immer maß-loser. Um seine Interessen, seine Werke durchsetzen zu

    106

  • können, schlug er dem König vor, ihm nicht gewogeneMinister aus dem Kabinett zu entfernen. Er mischte sichin die Politik ein, konzipierte sogar eine Heeresreformund benötigte immer mehr Geld. Im katholischen Bayernerregten vor allem die Beziehung zu Cosima, das unehe-liche Kind und Wagners Einfluß auf den König denUnmut der Bevölkerung. Nach einer Petition von viertau-send Münchner Bürgern sah sich Ludwig vor die Wahlgestellt: Thron oder Wagner. Im Dezember 1865 mußteder Komponist München verlassen und begab sich in dieSchweiz, wo er 1866 das Haus Tribschen bei Luzern mie-tete. Der bayerische König hatte bei der erstenBegegnung versprochen, alles zu tun, was Wagner zumLeben, zum Schaffen und zum Aufführen seiner Werkebrauche. Er hielt Wort und überwies prompt dieJahresmiete für das Haus in Tribschen. Dies ist umsobemerkenswerter, als er es sich lange nicht eingestehenwollte und enttäuscht war, daß nicht mehr er, sonderninzwischen Cosima engste Vertraute des Meisters war.Obwohl noch mit von Bülow verheiratet, lebte sie nunimmer öfter mit Wagner zusammen. Auf einer gemeinsa-men Schiffahrt hatten sie das hochherrschaftliche Hausin Tribschen auf einer Halbinsel des Vierwaldstätter Seesentdeckt. Ende 1866 starb die seit langem herzkrankeMinna Wagner in Dresden. Wagner war frei. Bereits imMai 1866 war Cosima mit ihren drei Töchtern nachTribschen gekommen. 1867 wurde Eva, die zweiteTochter Richard Wagners und Cosimas, geboren. Ab 1868blieb Cosima dann für immer in Tribschen. Im Juni 1869wurde der Sohn Siegfried geboren, und im Juli 1870 wil-ligte Hans von Bülow endlich in die Scheidung ein. Wiebereits erwähnt, heirateten Richard und Cosima Wagneram 25. August desselben Jahres in der protestantischenKirche von Luzern.

    Eine Woche nach der Geburt des heiß ersehntenStammhalters vollendete Wagner seinen Siegfried undfaßte den Entschluß, heimlich für Cosima einen sinfoni-schen Geburtstagsgruß zu schreiben. Cosima betrachtetedas Siegfried-Idyll als ein ganz privates, persönlichesGeschenk und wehrte sich lange gegen die öffentlicheAufführung. Am 20. Dez. 1871 schrieb sie in ihr

    107

    Erste Seite der handschriftlichen Originalpartitur des am 4. Dezember1870 in Tribschen vollendeten „Siegfried-Idylls“ das zu CosimasGeburtstag am 25. Dezember 1870 im Treppenhaus von Tribschenuraufgeführt wurde.

  • Tagebuch, daß sie „großen Kummer empfand, es vor vie-len Fremden aufgeführt zu sehen.“ Als Richard Wagnerihr ein Jahr später die Absicht eröffnete, das Werk ausfinanziellen Gründen verlegen zu lassen, war sie wiedersehr traurig, daß ihr „süß Geheimnis“ preisgegebenwerde. Richard Wagner sagte 1873 über das Idyll: „Ja,das waren unsere poetischen Zeiten, die Morgenröteunseres Lebens, jetzt sind wir in der vollen Mittagshitze,mein Weibchen, und klettern den Berg hinan.“

    Das Idyll wird des öfteren mit großer, also mehrfach ver-doppelter Streicherbesetzung aufgeführt. Auch RichardWagner befaßte sich mit diesem Gedanken. Am14.Januar 1874 notierte Cosima in ihr Tagebuch: „Er(Anmerkung R.W.) erzählt mir, er habe darüber nachge-dacht, ob er das Idyll würde für großes Orchester machen,aber es würde sich nicht so gut machen; ich sagte ihm,daß es mir schrecklich wäre, dieses Werk der Öffentlich-keit hingeliefert zu sehen...“ Das Werk wurde immer wieder zu besonderen Anlässenim Hause Wagner gespielt. Zum Beispiel notierte Cosimaam 6. Juni 1878: „Fidi (Anm. Sohn Siegfried) 7 Jahre; R.überrascht mich mit dem Idyll, bringt Fidi zu mir insBett, während ich schlafe, und dann ertönt es. Am Schlußwird Fidi von R. von der Galerie den Musikern vorge-stellt, sie lassen ihn hochleben, er dankt!“1877 mußten die Rechte am Idyll zusammen mit derParsifal-Dichtung schließlich doch an den Schott Verlagabgetreten werden, um eine lang bestehende Schuld zubegleichen.

    Cosima erwähnt in ihren Tagebüchern StarnbergerMelodien, die Richard bereits 1864 in Kempfenhausen fürsie notiert habe und für einen Quartettsatz verwenden

    wollte. Dieser konnte aber nie gefunden werden undhatte sicher auch nichts mit dem Idyll gemein. Dennocherstellte der englische Musikwissenschaftler GeraldAbraham 1945 einen Quartettsatz über das Siegfried-Idyll, den wir in unserer Konzertreihe 1994 hörten.Bereits acht Jahre vorher hörten Sie das Idyll mit demBayerischen Ärzteorchester in seiner originalenBesetzung mit fünf Streichern, je einer Flöte, Oboe,Fagott, einer Trompete in C und zwei Hörnern in E.Ich spielte es mit dem Ärzteorchester bei verschiedenenGelegenheiten. In besonderer Erinnerung ist mir eineAufführung im Schloß Neuschwanstein geblieben, wowir es anläßlich des Symposions „Bernhard von Gudden,zum 100sten Todestag“ auf Initiative der PsychiatrischenUniversitätklinik München und zu Ehren ihres früherenDirektors aufführten. Wie bekannt, ertrank Prof. Guddenzusammen mit König Ludwig im Starnberger See.

    Ich habe das Siegfried-Idyll, wenngleich es vielleichtetwas eigenwillig anmutet, in das Programm diesesKonzerts aufgenommen, weil es eines der wenigen Werkevon R. Wagner ist, das wir in unserem Rahmen anläßlichseines 200. Geburtstages und seines 130. Todestages zuGehör bringen können.

    Das Idyll ist zarter Ausdruck des über sieben Jahre langersehnten familiären Glücks.Immer wieder beschwört Cosima Wagner dieses Glückund ist dankbar für die drei Kinder aus der Verbindungmit dem Meister. Aber Wagner erkannte die beidenMädchen Isolde und Eva offiziell nie als seine Kinder an,lediglich für Siegfried beanspruchte er die Vaterschaft.Sicher in Übereinstimmung mit dem Willen des Meisterskonnte Cosima bereits am 9.März 1883, einen Monat

    108

  • nach Wagners Tod und dreizehn Jahre nach derScheidung von ihrem ersten Ehemann, Hans von Bülowüberreden, die ersten beiden Kinder aus der Verbindungmit Richard Wagner als seine anzuerkennen und zuerklären, „der am 6.6.69 während desEhescheidungsprozesses von Frau Cosima, geb. von Liszt,späteren Gattin des Herrn Richard Wagner geboreneSohn wird von mir nicht als mein Sohn anerkannt.“(Auszug aus den Nachlassakten Richard Wagner) DieRechtslage besagte, daß Kinder dem Mann zuzuordnensind, mit dem die Frau zur Zeit der Geburt verheiratet

    war. Somit war nur Siegfried ein Kind Wagners, und die`Meisterin´ sicherte ihm damit seine spätereAlleinherrschaft auf dem Grünen Hügel. Isolde und Evakonnten zu gegebener Zeit mit einem Pflichtanteil abge-funden werden, was 1913 von großer finanziellerBedeutung war, da in diesem Jahr die Tantiemen für R.Wagners Werk ausliefen.So prozessierte Isolde 1914 vergeblich um dieAnerkennung als Tochter Richard Wagners. Die öffentli-chen Proteste gegen die Bayreuther Intrigen gingen mitden Schüssen von Sarajewo unter.

    Es fällt oft nicht leicht, für den Menschen RichardWagner Sympathien aufzubringen, aber seine Musik istunvergänglich. Martin Geck schreibt über den Menschen RichardWagner:

    „Seine Rücksichtslosigkeiten im Umgang mit Menschenund seinen Hang zum Luxus hat Wagner nicht beschö-nigt, jedoch mit dem Recht des Künstlers begründet,seine Lebensführung ganz am Schaffen auszurichten.“ (*6, S.345)

    Aus der großen Zahl der siebenundzwanzigKlavierkonzerte von Wolfgang Amadeus Mozart (1756 –1791) hören Sie das Konzert Nr. 24, c-Moll, KV 491.Dieses Werk entstand im Frühjahr 1786 und soll am 7.April des gleichen Jahres von Mozart in einer von dreiAkademien zur Fastenzeit im Burgtheater uraufgeführtworden sein. Es war Mozarts letzte Akademie in Wien.Über die anderen gespielten Werke ist nichts bekannt.Zum ersten Satz dieses Konzerts existiert leider keine ori-

    109

    Richard, Cosima und Siegfried Wagner zur Zeit des Umzuges in dieVilla Wahnfried, Foto von Adolph von Gross, 1874.

  • ginale Kadenz mehr. Meistens improvisierte Mozart beiden Kadenzen oder schrieb sie erst nieder, wenn einerseiner Schüler den Solopart spielte und hierfür Notenbenötigte. Ein anderer Grund für das Fehlen der Kadenzkönnte sein, daß dieses Werk, wie so viele andere, offen-bar in großer Eile geschrieben wurde. Viele Passagen indiesem Konzert sind nur in Kurzschrift notiert, und zahl-reiche Stellen bereiteten den Herausgebern wegen derAuslassungen erhebliche Probleme. Durch einen Briefvon Leopold Mozart aus dem Jahr 1785 sind wir über dieoft hektischen Aufführungsbedingungen in der damali-gen Zeit genau informiert. Bereits einen Tag nachVollendung des d-Moll-Klavierkonzerts, KV 466 wurdedas Werk in einer Akademie `auf der Mehlgrube´ urauf-geführt. Noch bis zum letzten Augenblick arbeitete derKopist an den Stimmen, und es blieb keine Zeit, den letz-ten Satz überhaupt einmal vor der Aufführung durchzu-spielen. Dennoch konnte Vater Leopold an seine TochterNannerl schreiben: „Dein Bruder spielte das neue großeConcert in d magnifique...“ Fehlende Kadenzen veranlaßten übrigens später des öfte-ren andere Komponisten, für ihre Auftritte eigeneKadenzen einzufügen. So schätzte Beethoven zumBeispiel das d-Moll Konzert ganz besonders und schriebsich eine Kadenz, die heute noch oft gespielt wird. Fürdas c-Moll-Konzert schrieben Mozarts Schüler, JohannNepomuk Hummel, und der große Mozart-BewundererCamille Saint-Saëns Kadenzen. Herr Schirmer spielt eige-ne Kadenzen.Neben dem bekannteren Konzert Nr. 20, d-Moll, KV 466,ist KV 491 das einzige Klavierkonzert in einer Molltonartund zeichnet sich durch die größte Besetzung aus, dieMozart je in seinen Klavierkonzerten verwendet hat.Neben den Streichern verlangt die Partitur eine Flöte und

    je zwei Oboen, Klarinetten, Fagotte, Hörner, Trompetenund Pauken. Die gleichzeitige Verwendung von Oboenund Klarinetten schreibt Mozart in keinem anderenKlavierkonzert vor, sie ist vermutlich auf die gleichzeiti-ge Arbeit am Figaro zurückzuführen.

    Im Gegensatz zu KV 466, welches in lichtem Dur endet,bleibt KV 491 in Moll und weist durch seine dunklenEcksätze auf Beethovens c-Moll-Konzert hin.Ungewöhnlich sind die verminderten Septimensprüngeim Hauptthema, und ein unbekannter Verfasser einesTextes zur Einspielung der großen Klavierkonzerte weistauf die einzigartigen letzten fünfzehn Takte des erstenSatzes hin, „in denen über einem durchklingenden undvon einer geheimnisvollen Flötenlinie überstrahlten C imBaß Sechzehntelarpeggien des Klaviers und knappeStaccati der Oboen und Fagotte dissonanteReizwirkungen erzeugen.“

    110

    Mozarts Konzertflügel von Anton Walter (Wien um 1780).

  • Mozart stellt in seinen Klavierkonzerten nie dieVirtuosität in den Vordergrund, sondern das phantasie-volle Wechselspiel von Soloinstrument und Orchester istganz vom `Geist der Synthese´ bestimmt. Der wunderba-re Bläsersatz seiner Klavierkonzerte, in vielen Serenadenkultiviert und erprobt, zeichnet die großenKlavierkonzerte ganz besonders aus. Mit ihnen schufMozart exempla classica, die Höhepunkte der Gattungüberhaupt. (*7, S.653)

    Zum Abschluß dieses Konzerts spielen wir für Sie dieSinfonie Nr. 38, D-Dur, KV 504, die sogenannte Pragervon W.A. Mozart. Sie ist datiert auf den 6. Dezember1786 und zeichnet sich formal durch ihre Dreisätzigkeitaus, weswegen sie auch als Sinfonie ohne Menuettbezeichnet wurde. Bis heute konnte keine plausibleErklärung gefunden werden, warum Mozart auf dasMenuett verzichtete.Drei Jahre waren vergangen, als sich Mozart im Frühjahr1786 erstmals wieder der Gattung der Sinfonie zuwand-te, obwohl er gerade die beiden letzten Akte des Figaroniederschrieb. Diverse Kammermusikaufträge unterbra-chen dann aber die Arbeit an der Sinfonie. Forschungenergaben, daß der letzte Satz als erster konzipiert wurdeund möglicherweise als Ersatzfinale für eine frühereSinfonie in D-Dur geplant war.Sicher ist auch, daß Mozart im Frühjahr 1786 nicht aneine Sinfonie für Prag dachte, denn die Einladung dort-hin kam später. Im Mai hatte der Figaro seine Premiere inWien, und seit Dezember wurde er auch in Prag mit stür-mischem Applaus gegeben. Das Orchester, und eineGesellschaft großer Kenner und Liebhaber luden Mozartdaraufhin nach Prag ein. Am 8. Januar 1787 brach dasEhepaar Mozart dorthin auf, wo Mozart bereits am 18.

    des Monats eine Aufführung des Figaro dirigierte. AmTag danach leitete er die Uraufführung der Sinfonie Nr.38, D-Dur, die in manchen Rezensionen gar nichterwähnt wurde, weil Mozart das Publikum als Pianistund Improvisator über eigene Themen so gefangengenommen hatte. Dennoch, die Sinfonie wurde sehr baldein Lieblingsstück des Publikums und trug fortan denNamen Prager-Sinfonie. In Wien (1781-1791) schrieb Mozart nur sechs Sinfonien,und davon wurden nicht einmal alle für Wien geschrie-ben. Die Haffner-Sinfonie entstand 1782 auf Bitten desVaters anläßlich der Nobilitierung von MozartsSalzburger Freund Siegmund Haffner dem Jüngeren. DieLinzer, KV 425, wurde 1783 für ein Konzert in Linzgeschrieben. Die dritte Wiener Sinfonie ist die Prager.Die letzten drei Sinfonien entstanden 1788 innerhalb vonetwas mehr als sechs Wochen. Diese drei Sinfonien warenfür die Wiener Subskriptionskonzerte im Sommer 1788bestimmt.

    H.C. Robbins Landon schreibt in seinem Mozart-Kompendium über die späten Sinfonien: „..sie trageneinige wesentliche Züge seines symphonischen Stils undseiner kompositorischen Entwicklung, wie sie sich in sei-nen unvergänglichen Beiträgen zur Symphonie zeigen:einen Sinn für strukturelles Gleichgewicht undProportion, ein reichhaltiges harmonisches Vokabular,die Deutlichmachung der Funktion durch hochdifferen-ziertes harmonisches Vokabular und insbesondere einInteresse an orchestralen Texturen, das sich am deutlich-sten in seinem umfangreichen Schaffen für Holzbläserzeigt.“ (*8, S. 295)

    111

  • In der Prager verwendet Mozart zum letzten Mal dieTonart D-Dur, in der die meisten seiner Sinfonien stehen.D-Dur war am besten geeignet für die Verwendung vonTrompeten und D-Dur galt im Kanon derTonartencharakteristik als die festliche Tonart.Die Prager entstand zwischen dem Figaro und dem DonGiovanni und es ist nicht verwunderlich, daß das Werksich in diesem Spannungsfeld bewegt. Silke Leopold cha-rakterisiert diese Pole in ihrem Mozart-Handbuch sehrpräzise:

    Hier scheint die musikalische Sprache noch gesteigert,sowohl was ihre Strahlkraft und ihr mitreißendesTemperament, aber ebenso was die düsteren Töne, dasTragische und Dämonische betrifft. Auch hier öffnet sichdie Musik mit einer groß angelegten, reich gestaltetenAdagio-Einleitung ( der längsten, die Mozart je geschrie-ben hat): Im Wechsel von forte und piano, von markan-ten sforzato-Akzenten und ausgesungener melodischer

    Linie, von Spannung und Lösung zieht sie den Hörer inihre Welt. Will man diese `Welt´ beschreiben, so böte sichdie Analogie der Bühne an: Ein Spiel von Figuren undGesten mit unterschiedlichen Charakterzügen undStimmungen tut sich auf. Von den ersten, gravitätischbeginnenden Akkorden der Einleitung bis zum buffoneskkurzatmigen `Presto´-Finale wird die Nähe zur Operabuffa offenbar, die ja, wie wir nicht zuletzt aus MozartsOpern wissen, keineswegs ungetrübte Heiterkeit bedeutet,sondern auch tragische Töne einschließt. Nicht nur in derstilistischen Haltung, sondern bis in motivischeAnklänge hinein werden wir an Figaro und den wenigspäter für Prag geschriebenen Don Giovanni erinnert.Und wie in ihnen mischt sich der ernste, todernsteCharakter ( z.B. die Bläsereinwürfe in der Durchführungdes Andante, die wie Stimmen aus dem Jenseits wirken )mit triumphierender Lebenslust...Man hat den kompositorischen Rang gerade diesesAllegro hervorgehoben; es sei `ein Wunder aus der Weltdes Kontropunktes´ (Gerstenberg 1956), ja `vieleFachkundige sehen es als Mozarts großartigsten sympho-nischen Satz an´ (Landon 1989). Solche Begeisterung istkeine bloß rhetorische Formel, sondern läßt sich analy-tisch begründen, und wer sich in den Notentext vertieft,wird zustimmen...

    Auch der zweite Satz, das `unsterblich-vollkommene´Andante, ein groß angelegter Sonatensatz mit chromati-schen Gängen, reichen Farben in Harmonik undInstrumentation (wobei das ganze Orchester bis auf diePauken und Trompeten mitwirkt), enthält eine Fülle ver-schiedener Kunstmittel und Ausdruckshaltungen. Es ist`kein Intermezzo mehr zwischen zwei bewegten Sätzen,sondern innere Bewegtheit selbst.´

    112

    Die Villa Bertramka - Mozarts Prager Domizil.

  • (*9, S. 308 )Der Prager Freund und erste Mozart-Biograph FranzXaver Niemetschek hebt im Finalsatz besonders die„überraschenden Übergänge“ hervor, „die einen raschen,feurigen Gang haben, so daß sie alsogleich die Seele zurErwartung irgend etwas Erhabenen stimmen.“Silke Leopold schreibt hierzu: Zu Recht wurde gerade hier auf eine konkreteVerbindung zum Musiktheater, nämlich auf die engeVerwandschaft dieses Satzes, zumindest seines Beginns,mit dem Duettino zwischen Susanna und Cherubino ausdem II. Akt des Figaro („Aprite presto, aprite“) hingewie-sen...Es handelt sich um denselben erregten Charakter...Der gemeinsame Gestus atemloser Hektik ist unüberhör-bar. (*9, S.309)

    *1 Prof. Friedrich Riedel, Joseph Martin Kraus

    *4 Joseph Martin Kraus, MGG, Personenteil Bd. , S.624

    *5 Cosima Wagner, Tagebücher I, 1869-1877,Piper-Verlag 1976

    *6 Richard Wagner, Mein Leben, List Verlag 1976

    *7 Oliver Hilmes, Herrin des Hügels,Das Leben der Cosima Wagner, Siedler 2007

    *8 Martin Geck, MGG Personenteil Bd. 17, S.345

    *8 Volker Scherliess in MGG, Sachteil Bd.5, S.653

    *9 Silke Leopold, Mozart Handbuch, Bärenreiter,Metzler 2005

    113