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Inhalt

CoverÜber dieses BuchÜber die AutorinTitelImpressumWidmungStammbäume

Stammbaum 1 – Die französische De Valois DynastieStammbaum 2 – Die englische Lancaster DynastieStammbaum 3 – Die alten Waliser Königsfamilien

Teil 1: HeinrichKapitel 1: Frankreich, September 1418Kapitel 2: Frankreich, im späten Frühling 1419Kapitel 3: Montereau, Frankreich, September 1419Kapitel 4: Troyes, Frankreich, Mai 1420Kapitel 5: London, Februar 1421Kapitel 6: Leicester, Ostern 1421Kapitel 7: Windsor Castle, England, Sommer 1421Kapitel 8: Frankreich, Mai 1422

Teil 2: OwenKapitel 9: Windsor Castle, November 1422Kapitel 10: England, November 1422Kapitel 11: Windsor Castle, Dezember 1422Kapitel 12: England, Weihnachten 1422Kapitel 13: England, Sommer 1423Kapitel 14: England, Weihnachten 1423Kapitel 15: Sommer 1424

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Kapitel 16: Herbst und Winter 1424 – Frühjahr 1425Kapitel 17: Frühjahr 1425Kapitel 18: Sommer 1425Kapitel 19: London, 1428Kapitel 20: Winter 1428 – Sommer 1429Kapitel 21: London, 1430Kapitel 22: Frankreich und London, Herbst und Winter 1435Kapitel 23: London, Sommer 1436Kapitel 24: Herbst und Winter 1436

Anhang I – historische AnmerkungenAnhang II – Living HistoryNachwort der Autorin, Bibliografie und DanksagungenFußnote

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Über dieses Buch

Eine leidenschaftliche Liebe, aus der die mächtigsteHerrscher-Dynastie Englands entstand: die Tudors!

Im Jahr 1421 heiratet der englische König Heinrich V. diefranzösische Prinzessin Catherine de Valois. Die beiden findenschnell Gefallen aneinander und ihr Glück wird schon bald nochgekrönt durch die Geburt ihres Sohnes. Doch dann stirbtHeinrich – und Catherine ist mit einem Mal mutterseelenalleinam englischen Königshof. Ferngehalten von ihrem Sohn, demThronerben, muss sie sich in den Ränkespielen und Intrigen umsie herum zurechtfinden. Eine große Hilfe ist ihr dabei einjunger Waliser namens Owen Tudor – auch er ein Außenseiterin England –, mit dem Catherine Freundschaft schließt und inden sie sich bald rettungslos verliebt! Doch ihre Verbindungmuss um jeden Preis geheim bleiben. Catherine ist es verboten,erneut zu heiraten, und außerdem ist Owen Tudor ein Dienerund eine solche Liaison nicht standesgemäß …

Über die Autorin

Mari Griffith wurde als Co-Moderatorin der BBC-TV-ShowMusic Time und als Sängerin im BBC-Radio bekannt. Sie hatte

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MARI GRIFFITH

DASGEHEIMNIS

der

KÖNIGIN

Ein Tudor-Roman

Aus dem Englischen vonCécile Lecaux

Das Geheimnis der Königin | Mari Griffith | Titel

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beHEARTBEAT

Deutsche Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment

Für die Originalausgabe:Copyright © 2015 by Mari Griffith

Titel der britischen Originalausgabe: »The Root of the Tudor Rose«This translation published by arrangement with Accent Press Ltd.

Für diese Ausgabe:Copyright © 2018 by Bastei Lübbe AG, Köln

Textredaktion: Dorothee CabrasLektorat/Projektmanagement: Rebecca Schaarschmidt

Covergestaltung: Maria Seidel, atelier-seidel.deunter Verwendung eines Motivs von © arcangel/Malgorzata Maj

eBook-Erstellung: Olders DTP.company, Düsseldorf

ISBN 978-3-7325-5132-3

www.be-ebooks.de

www.lesejury.de

Das Geheimnis der Königin | Mari Griffith | Impressum

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Für Jonah… der immer gesagt hat, ich schaffe das

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Stammbäume

Die folgenden Stammbäume werden vereinfacht dargestellt.Charaktere, die in der Geschichte vorkommen, sind fettgedruckt.

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Stammbaum 1 – Die französische De ValoisDynastie

Das Geheimnis der Königin | Mari Griffith | Stammbaum 1 - Diefranzösische De Valois Dynastie

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Stammbaum 2 – Die englische LancasterDynastie

Das Geheimnis der Königin | Mari Griffith | Stammbaum 2 - Die englischeLancaster Dynastie

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Das Geheimnis der Königin | Mari Griffith | Stammbaum 3 - Die altenWaliser Königsfamilien

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Teil 1Heinrich

»Der König ist ein Goldherz und ein Schatz,Ein Wonnejung’ und Ruhmessproß.Von guten Eltern und höchst tapfrer Faust.Ich küsse seinen schmutz’gen Schuh und liebeDen lieben Eisenfresser ganz und gar

Von meines Herzens Grund.«1

William Shakespeare, König Heinrich V.,5. Akt, 1. Szene

Das Geheimnis der Königin | Mari Griffith | Teil 1: Heinrich

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Kapitel 1Frankreich, September 1418

Schwer auf ihren Stock gestützt, humpelte Schwester Supplicefröstelnd über den gepflasterten Gang zum Dormitorium. IhreKerze flackerte, als ihr ein kalter Luftzug entgegenwehte. Ihrgraute bereits vor dem nahenden Winter. Das Kloster in Poissywar in der kalten Jahreszeit ein erbarmungsloser, eisiger Ort,und die alte Nonne wusste nur zu gut, dass ihre Gelenke ihrspätestens im Dezember unerträgliche Qualen bereiten würden.Selbstverständlich war sie dankbar, dass der himmlische Vaterihr zum Lohn für ihren Gehorsam Nahrung und Obdachschenkte, wozu ihr leiblicher Vater wenig geneigt gewesen war.Tatsächlich war der Marquis heilfroh gewesen, als seineunscheinbare, pummelige Tochter, der ohnehin ein Leben alsJungfer beschieden gewesen wäre, resigniert den Schleiergenommen hatte. Nicht, dass sie wirklich die Wahl gehabt hätte…

Entschlossen drängte die Nonne den alten Groll zurück. Indiesem Augenblick zählte nur, dass das graue Licht des frühenMorgens jenen Tag ankündigte, den sie so lange Zeit gefürchtethatte. Sie hatte immer gewusst, dass es einmal so weit seinwürde, und nun war der Moment da. Sie öffnete die Tür zu derwinzigen Klosterzelle, in der Catherine schlief, und betrachtetedas friedliche Gesicht des jungen Mädchens. Wenn sich doch

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nur dieser letzte Augenblick der Unschuld für alle Zeit erhaltenließe!

Schwester Supplice empfand Catherine gegenüber nach allder Zeit noch denselben ausgeprägten Beschützerinstinkt wiebei ihrer ersten Begegnung. Vierzehn Jahre war es her, dasszwei mitleiderregend dürre flachsblonde kleine Mädchen ohneviel Federlesens im Kloster abgegeben worden waren –verängstigt, halb verhungert und den Tränen nah. Die elfjährigePrinzessin Marie de Valois hielt ihre dreijährige kleineSchwester Catherine an der Hand, und nachdem die königlichenGardisten sie in die Obhut der Nonnen gegeben hatten, überließman die Kinder ihrem Schicksal. Nur eine einzige Bedienstetebegleitete sie, eine ungepflegte Person mit schmutzigem Gesichtund lückenhaftem Gebiss.

»Sie stinken!«, hatte Schwester Marie-Thérèse gezischt undangewidert die Nase gerümpft. »Sie starren vor Schmutz, undauf ihrem Kopf wimmelt es von Läusen. Ich wette, man hatihnen seit dem Maifeiertag nichts Sauberes mehr zum Anziehengegeben!«

»Zügelt Eure Missbilligung, Schwester«, hatte die MutterOberin sie ermahnt. »Das Kloster ist kaum in der Position, sichdem Willen des Königs zu widersetzen, zwei seiner Kinderaufzunehmen.«

»Aber der König ist …«»Ja, danke, Schwester, wir alle sind über das Leiden des

Königs im Bilde.«Die Nonnen wussten so gut wie jeder andere, dass der König

geisteskrank war, die arme Seele, doch das war Gottes Wille,und es stand ihnen nicht zu, über Seine Hoheit zu urteilen. Undso war ihnen gar nichts anderes übrig geblieben, als die Töchterdes Königs bestmöglich zu versorgen. Wenigstens wurden sie

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hierfür anständig entlohnt, was auch nur angemessen war, dasie sich ja nicht nur um das leibliche Wohl der Prinzessinnenkümmern sollten, sondern auch um ihre geistige Bildung.

Schwester Consolata, die nichts mehr liebte als schlüpfrigenKlatsch, machte die Königin hierfür verantwortlich. »Man sagt,sie habe den Bruder des Königs zu ihrem Vertrauten erwählt.Und ihn in ihr Bett geholt!«, flüsterte sie Schwester Supplice zuund stieß ihr den Ellbogen in die Rippen.

Die Mutter Oberin brachte sie mit einem Stirnrunzeln zumSchweigen. »Das ist alles, Schwestern. Klatsch zu verbreitengehört sich nicht für eine Braut Christi. Ich hoffe sehr, dass dasKloster von Poissy sich des Vertrauens unseres Monarchen alswürdig erweisen wird. Ich vertraue darauf, dass Ihr denTöchtern Seiner Majestät mit Würde und christlicherNächstenliebe begegnen werdet, solange diese sich in unsererObhut befinden.«

Die Nonnen waren über den erbärmlichen Zustand derbeiden Kinder ehrlich bestürzt gewesen, und wenn sie nichtgerade von ihren Alltagspflichten und Gebeten beanspruchtwurden, tuschelten und tratschten sie bei jeder sich bietendenGelegenheit. Schaudernd raunten sie einander zu, dass diekleinen Prinzessinnen zu ihrer eigenen Sicherheit ins Klostergegeben worden seien. Es sei ja allgemein bekannt, dass KöniginIsabeau nichts taugte, während ihr armer, verrückter Gatte inSaint Pol eingesperrt war. Sie weigerte sich sogar, für eineDienerschaft für Seine Majestät aufzukommen. Die Königin zoges vor, das Geld für Kleider und allerlei Firlefanz zuverschwenden. Schändlich! Dann war da noch der Vetter desKönigs, der Herzog von Burgund, »Johann Ohnefurcht«, wieihn alle nannten. In den Augen der Nonnen war er nicht besserals der Rest der Familie, stritt mit der Königin über die Sorge

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für die königlichen Nachkommen, während der arme König einDasein hinter Schloss und Riegel fristete.

Schlimmer noch. Die Nonnen hatten gehört, dass keinGeringerer als der Bruder der Königin versucht hatte, die zweijüngsten Töchter des Monarchen zu entführen, und das nurwenige Wochen, bevor die beiden dem Kloster übergebenworden waren. Kein Wunder, dass sie schmutzig, verwahrlostund verstört gewesen waren. Schwester Supplice erinnerte sich,dass sie wie kleine Tiere gerochen hatten und die Mutter Oberinbefohlen hatte, die flohverseuchten Kleider der Mädchen zuverbrennen, nachdem die Kinder entkleidet und gewaschenworden waren.

Seit jenem Tag hatte sich Schwester Supplice ungeachtetihrer schmerzenden Knochen während der Laudesniedergekniet und inbrünstig gebetet, dass dies nicht der Tagsein möge, an dem der gefürchtete königliche Befehl eintraf, derihr Catherine entriss und an den Hof zurückbeorderte, wo überihre Zukunft entschieden werden würde. Sollen sie doch stattihrer Marie holen, dachte sie ungerührt. Immerhin war sie dieÄltere der beiden, diejenige, für die sich leichter ein Gattefinden ließ. Aber Marie hatte sich schnell im Kloster eingelebt.Sie war bereits Postulantin und würde in Kürze ihr Noviziatbeginnen. Niemals würde Marie an den Hof zurückkehren.

Catherine ihrerseits gab sich zwar nach außen hin rechtfromm, hatte jedoch nie Interesse bekundet, Nonne zu werden.Sie hatte lesen und schreiben gelernt und besaß eine gewisseSprachbegabung, sodass sie inzwischen fließend Latein sprachund sogar einige Brocken Englisch beherrschte. Die akkuratenStiche auf dem Altartuch, an dem sie mitarbeitete, zeugten vonihrem Talent als Näherin, und bei den Litaneien sang sie die

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Antworten mit wohlklingender, melodischer Stimme. Es gabnichts, was die Nonnen sie noch hätten lehren können.

Immer noch tief und fest schlafend, drehte das Mädchensich auf die Seite und murmelte etwas Unverständliches.

Schwester Supplice berührte sanft ihre Schulter. »Was istdenn, mein Schatz? Wieder ein Albtraum?«

Es beunruhigte sie, wenn Catherine im Schlaf weinte, wie esgelegentlich der Fall war, um dann aufgelöst aufzuwachen, ohneklare Erinnerung an das, was sie geträumt hatte, oderschluchzend von schreienden Menschen und wildgaloppierenden Pferden zu erzählen. Und das Merkwürdigste andiesen Träumen war, dass Catherine beim Aufwachen immerdas süße Aroma von Marzipan auf der Zunge schmeckte.

Sanft schüttelte Schwester Supplice ihren Schützling bei derSchulter. Wie konnten junge Mädchen nur so tief und festschlafen? Vielleicht lag es daran, dass sie in diesem Alter soschnell wuchsen. Es bereitete ihr Sorge, dass das unförmigeGewand aus grauer Wolle, das Catherine tagtäglich trug, nichtlänger verhehlen konnte, dass sie zu einer jungen Frau gereiftwar, einer attraktiven, ja sogar schönen jungen Frau. NachSchwester Supplice’ Verständnis war Schönheit für eine Fraujedoch ebenso nachteilig wie Hässlichkeit, da die Menschen sichnur selten die Mühe machten, hinter die Fassade zu blicken.

Am meisten sorgte die alte Nonne sich jedoch wegen desGerüchts, von dem Schwester Madeleine ihr erzählt hatte, diefür den Seiteneingang zuständig war und regelmäßig mitHändlern in Kontakt kam. Ein Hausierer hatte ihr berichtet,dass die Königin versuche, eine Ehe zwischen ihrer TochterCatherine und dem englischen König Heinrich V. zu stiften.

Diese selbstsüchtige, liederliche Person! Es käme einemOpfer gleich, das Mädchen mit dem arroganten, brutalen

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Ausländer zu verheiraten, der verkündet hatte, ganz Frankreicherobern zu wollen. Schwester Supplice bekreuzigte sich bei demGedanken an die blutige Schlacht von Agincourt. Allein derName erfüllte die Franzosen mit Hass, Furcht und Schamgleichermaßen.

»Catherine, wach auf, Liebes«, flüsterte sie, diesmaleindringlicher, und schüttelte das schlafende Kind kräftiger.»Mach schon, du musst aufwachen. Es ist wichtig.«

Catherine drehte sich erneut um, gähnte, streckte sich undsetzte sich dann abrupt mit weit aufgerissenen Augen auf.»Haben sie nach mir geschickt, Schwester?«

»Ja, Kind, der Augenblick, den wir gefürchtet haben, ist da«,entgegnete die Nonne. Ihre Kehle zog sich schmerzhaftzusammen. »Du musst aufstehen und dich fertig machen für dieReise zum Schloss von Meulan. Der Befehl der Königin ist spätam gestrigen Abend eingetroffen. Zwanzig bewaffnete Gardistenwurden als Eskorte geschickt, um euch zu begleiten, aber dieEhrwürdige Mutter hat dem Kapitän nicht gestattet, dich zusehen.« Sie selbst war voll und ganz einverstanden gewesen mitder empörten Weigerung der Mutter Oberin, der Anweisung desMannes Folge zu leisten. Ihre Königliche Hoheit PrinzessinCatherine habe sich bereits zur Nachtruhe zurückgezogen, hattesie dem Kommandeur der königlichen Garde eröffnet. Punkt. Erwerde sich bis zum Morgen gedulden müssen, und, nein, dasKloster könne nicht ohne Vorankündigung zwanzig Männerbeherbergen. Sie müssten sich eine andere Unterkunft suchen.Es gebe in der Umgebung zahlreiche Scheunen und zudem einordentliches Gasthaus weniger als eine Meile entfernt.

Schwester Supplice hatte die ganze Nacht kein Augezugetan. Stattdessen hatte sie die Nachtstunden auf den Knienverbracht und die quälenden Schmerzen ignoriert. Sie betete

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um ein Wunder, um irgendetwas, das verhinderte, dassCatherine Poissy verließ. Schwester Supplice konnte sich einLeben ohne das Mädchen nicht mehr vorstellen.

Aber Catherine war bereits aufgesprungen, zog ihre Truheunter dem Bett hervor und begann, ihre wenigen Habseligkeitenhineinzulegen.

»Du musst nicht gehen, Catherine!« Schwester Supplice ließsich schwer auf die Kante des schmalen Bettes sinken undzupfte nervös an den Röcken ihres Habits. »Du kannst dichweigern mitzugehen. Würdest du nicht lieber hierbleiben undPostulantin werden wie Marie? Wenn du Nonne wirst, bist dufür alle Zeit in Sicherheit. Gott wacht über seine Dienerinnen.«

Catherine hielt kurz inne, schenkte der Nonne ein liebevollesLächeln und schüttelte kaum merklich den Kopf. Dann fuhr siefort zu packen.

»Denk doch nach, Catherine! Denk nach! Wenn du an denHof zurückkehrst, musst du vielleicht König Heinrich heiratenund nach England gehen, um dort zu leben! Liebes, du bist nochso jung. Du verstehst nicht, was man von dir erwartet. Wieunwürdig das alles ist! Wenn man dich mit dem Königverheiratet, wirst du das Bett mit ihm teilen und … und … unddich ihm unterwerfen müssen! Und er ist bekannt für seineBrutalität. Er ist ein Tier! Das sagen alle. Er … er ist eineAusgeburt der Hölle, und es heißt, er habe einen Schwanz wieder leibhaftige Satan!«

Perplex hielt Catherine inne, ehe sie ihr Gebetbuch in ihrzweites Unterkleid wickelte und in die Truhe legte. In Englandleben? König Heinrich heiraten? Nein, ganz sicher nicht!Selbstverständlich würde eine Ehe für sie arrangiert werden,damit war zu rechnen. Aber doch nicht mit dem König vonEngland, nicht, nachdem dieser Frankreich verwüstet und so

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viel Leid über ihr Volk gebracht hatte. Impulsiv beugte sie sichvor und küsste die alte Nonne auf die Wange.

»Ach, Schwester Supplice, mein lieber Vater, der König,würde nicht im Traum daran denken, mir so etwasabzuverlangen. Sorgt Euch nicht um mich. Nein, wirklich, dazubesteht kein Anlass. Aber ich muss rasch aufbrechen. DieKönigin hat meine Rückkehr an den Hof befohlen, und es istmeine Pflicht, ihr zu gehorchen.«

Catherine war erleichtert, dass es hierauf keinGegenargument gab. Sie hatte sich in den letzten Monaten imKloster zunehmend wie eine Gefangene gefühlt, geplagt voninnerer Unruhe und Rastlosigkeit. Sie hatte versucht, mit Mariedarüber zu sprechen, war jedoch bei ihrer Schwester auf völligesUnverständnis gestoßen. Für Marie zählte es zu den größtenPrivilegien einer Frau, Gott dienen zu dürfen. Catherine hattediesbezüglich weniger hehre Ambitionen und vor allem wenigerklare Vorstellungen von ihrer Zukunft. Nur eines wusste siegenau: Sie wollte ein Leben außerhalb der Klostermauernführen, wollte sich an Musik erfreuen und nicht nur anKirchengesängen; sie wollte andere junge Leute treffen,vielleicht sogar das Tanzen erlernen. Catherine hatte keinenSchimmer, wie sich diese Wünsche erfüllen lassen würden, docheines war sicher: Innerhalb des Klosters von Poissy würde sienichts von alldem erleben.

Eine Stunde später hatte der Kapitän der königlichen Garde,ein mürrisch dreinblickender Mann in der Uniform einesSoldaten König Karls VI. von Frankreich, seine Männer imInnenhof versammelt, wo die Gardisten noch einmal ihre Sättelüberprüften und sich für den bevorstehenden Ritt bereitmachten. Die Pferde schüttelten den Kopf und schnaubten,Geschirre klirrten, und der Atem der Tiere dampfte in der

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kalten Luft des frühen Morgens. Im nördlichen Kreuzgangverabschiedete Catherine sich von den Nonnen, die so vieleJahre ihre Familie gewesen waren, als die Mutter Oberinunvermittelt einen Entschluss fasste. Hocherhobenen Hauptesschritt sie hinaus auf den Hof und verlangte vom Kapitän zuwissen, warum keine Anstandsdame für die Prinzessin geschicktworden sei. Man erwarte ja wohl nicht, dass sie sich ganz alleinin Begleitung einer rein männlichen Eskorte auf die Reisebegab?

Catherine hielt die Luft an, und Panik stieg in ihr auf. Was,wenn die Mutter Oberin sich weigerte, sie gehen zu lassen?Dann wäre sie hier gefangen wie eine Legehenne imHühnerstall. Sie sah, wie der Kapitän den königlichen Befehlzückte und damit herrisch der Mutter Oberin vor der Naseherumwedelte. Des Lesens und Schreibens unkundig,vermochte er die Unterschrift Königin Isabeaus nicht zuentziffern, aber er bebte förmlich von der Autorität, die ihm daskönigliche Siegel verlieh.

Die Mutter Oberin gab sich geschlagen. Mit hängendenSchultern kehrte sie zum Kreuzgang zurück und ließ Catherinefeierlich schwören, auf der Reise alles zu beherzigen, was manihr in puncto schicklichen Benehmens beigebracht hatte.Catherine hätte in diesem Moment alles geschworen, nur umendlich fortzukommen.

Dann fiel ihr Blick auf Marie, die in ihrerPostulantinnenrobe neben Schwester Supplice stand und diegeballte Faust an die Lippen gedrückt hielt in dem Bemühen,sich nicht von ihren Gefühlen überwältigen zu lassen. Dasgequälte Gesicht ihrer Schwester machte Catherine plötzlichbewusst, dass es sehr lange dauern konnte, bis sie einanderwiedersahen.

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»Gott sei mit dir!«, flüsterte Marie ergriffen und umarmtesie. »Und gib Papa einen Kuss von mir. Ach ja, und Mamannatürlich auch.«

Catherine biss sich auf die zitternde Unterlippe, währendSchwester Supplice weinte wie eine Mutter, der man dasgeliebte Kind entriss.

Als sie losritten, blickte Catherine vom Rücken des bravenkleinen Zelters, der sie nach Meulan tragen würde, noch einmalzurück. Eine einsame gebeugte Gestalt stand, auf einen Stockgestützt, auf der Schwelle des Klosters und winkte ihr zumAbschied noch ein letztes Mal zu.

Sie folgten der Seine in nordwestliche Richtung, und derangenehme Ritt entlang des glitzernden Flusses linderte baldCatherines Trennungsschmerz. Endlich befreit von den strengenKlosterregeln, beugte sie sich gelegentlich vor, um von denSträuchern am Wegesrand Beeren zu pflücken, die sie sichgenüsslich auf der Zunge zergehen ließ, ohne befürchten zumüssen, hierfür gerügt oder bestraft zu werden. Der Kapitän derGarde sprach sie ehrerbietig mit »Eure Hoheit« an, und siestraffte die Schultern und hielt den Kopf hoch erhoben, als ihreinfiel, dass er ja ein Untergebener war. Er ritt an ihrer Seite,um sie zu beschützen, und nicht, um ihr Vorschriften zumachen.

Nach einigen Stunden wählte der Kapitän ein sonnigesFleckchen am Flussufer für eine Rast aus. Die Soldaten stilltenihren Durst und ihren Hunger mit einer bescheidenen Mahlzeitaus Brot und Käse, die die Nonnen ihnen als Wegzehrungeingepackt hatten. Die Pferde, die im Schatten der Weidenangebunden worden waren, ließen sich derweil das saftige grüne

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Gras schmecken und verscheuchten schweifschlagend lästigeFliegen.

Nach dem Essen entschuldigte sich Catherine und zog sichhinter einen Weißdornstrauch zurück, um sich zu erleichtern.Die Mutter Oberin wäre mit meinem schicklichen Benehmenzweifellos hochzufrieden gewesen, sagte sie sich mit einemschiefen Lächeln, als sie den Rock glatt strich, ehe sie zu ihrerEskorte zurückkehrte.

Als sie am späten Nachmittag Meulan erreichten, wurden sieweder empfangen noch willkommen geheißen. Der Kapitän derGarde geleitete Catherine in den Großen Saal des Schlosses,dessen hoch aufragende Steinwände mit staubigen Gobelinsgeschmückt waren. Rauch stieg von einem Stapel vonApfelholzscheiten auf, die im Kamin aufgeschichtet wordenwaren. Ein kleiner Junge mühte sich ab, mithilfe einesBlasebalgs, der beinahe so groß war wie er selbst, ein Feuer inGang zu bringen. Vom Pfeiferstuhl her waren die Klänge einerRebek zu hören. Ein unsichtbarer Musiker übte immer wiederdieselbe Passage. Da Catherine nirgendwo eine Sitzgelegenheitentdecken konnte, blieb sie an der Tür stehen, währendBedienstete geschäftig hin und her eilten und Tische und Bänkehereintrugen.

Der Kapitän hielt einen vorbeieilenden Lakaien auf undbefahl, eine Bank für Catherine an der Wand aufzustellen.Hiernach schickte er den Mann los, die Königin von der Ankunftihrer Tochter zu unterrichten. Catherine nahm vorsichtig Platz,da ihr Hinterteil und ihr Rücken von dem ungewohnten langenRitt von Poissy hierher schmerzten. Fasziniert beobachtete siedie geordnete Geschäftigkeit um sich herum.

»Wisst Ihr, was das alles zu bedeuten hat, Hauptmann?«

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»Offenbar wird ein Bankett vorbereitet, Eure Hoheit«,entgegnete er schulterzuckend. »Und ich vermute, dass es mitdem König von England zu tun hat.«

»König Heinrich?«»Ja. Er verbringt neuerdings viel Zeit in Frankreich. Ich

schätze, er hält Ausschau nach Schätzen, die er sich einverleibenkann.«

»Aber er wird doch nicht heute Abend hier erwartet, oder?«»Das glaube ich nicht, Eure Hoheit, sonst hätte ich im

Wachraum davon gehört. Doch er verbringt verdammt viel Zeitin der Gegend. Er und seine verfluchten Spitzel.«

Sein hasserfüllter Tonfall verblüffte Catherine, und siespürte, wie nagende Furcht in ihr aufstieg. Warum hatte man sieherbringen lassen? Die Königin hatte sie wohl kaum um desVergnügens ihrer Gesellschaft willen an den Hof berufen.Immerhin war sie vierzehn Jahre lang sehr gut ohne diesesVergnügen ausgekommen, abgesehen von einigen wenigenkurzen Besuchen im Kloster. Catherine erinnerte sich noch gutan die Aufregung, die diese seltenen königlichen Aufwartungenverursacht hatten, und daran, wie ungewohnt unterwürfig diegestrenge Mutter Oberin gegenüber der Königin gewesen war.Die Nonnen hatten sich wie aufgescheuchte Hühner aufgeführt,sogar Schwester Supplice, die sonst immer Ruhe bewahrte, essei denn, jemand erwähnte die englische Besatzungsmacht. Undnun wirkte auch der Kapitän bei der Erwähnung des Feindessichtlich erregt.

»Haben Sie in Agincourt gekämpft, Hauptmann?«»Das habe ich, Eure Hoheit, und ich habe in dieser Schlacht

drei gesunde Finger durch ein englisches Beil verloren.« Er zogden Lederhandschuh aus, und Catherine zuckte beim Anblickder verstümmelten linken Hand zurück. »Immerhin habe ich es

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überlebt – im Gegensatz zu den meisten meiner Kameraden.Sechstausend Mann haben dort ihr Leben gelassen oder wurdenverwundet, Adlige und Nicht-Adlige gleichermaßen.«

»War es wirklich so schlimm, wie man sich erzählt?«»O ja, noch viel schlimmer. Es war, als hätten sich die

Pforten der Hölle geöffnet. Männer und Pferde ertranken,schreiend vor Qualen, in einem Meer von Blut und Schmutz.«Er redete sich in Rage. »Und König Heinrich macht keineGefangenen: Die armen Kerle wurden im blutgetränktenSchlamm zusammengetrieben wie Vieh und abgeschlachtet. Erist ein Barbar, ein Tier, ein Teufel. Verzeiht, Hoheit«, fügte ernach einer kurzen Pause hinzu. Er war zu weit gegangen, aber,bei Gott, es entsprach der Wahrheit.

Catherines Augen hatten sich bei den Worten des Kapitänsüber die berüchtigte Schlacht vor Entsetzen geweitet, und sieempfand den Anblick seiner Hand als abstoßend.

»Verzeihung, Eure Hoheit.«Erleichtert ob der Störung, wandte sich Catherine der

Stimme zu. Eine dunkelhaarige Frau etwa in ihrem Alter machteeinen tiefen Hofknicks vor ihr.

»Ja, was gibt es?«Die junge Frau richtete sich wieder auf. »Die Königin

wünscht, Euch unverzüglich zu sehen, Mylady. Ich soll Euch zuihr bringen.«

Catherine wurde zu ihrer Mutter gerufen. Sie atmete tiefdurch und straffte die Schultern. »Gut, äh … wie ist deinName?«

»Guillemote, Mylady. Ich wurde zu Eurer Zofe bestimmt.«Eine eigene Zofe! Ein völlig neues Leben erwartete sie.

Catherine erhob sich von der Bank und entließ den Kapitän derköniglichen Garde mit einem würdevollen Nicken. Dann folgte

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sie dem Mädchen namens Guillemote, das eine schwereEichentür am anderen Ende des Großen Saales ansteuerte. EinLakai in Livree öffnete die Tür, und ein kleiner brauner Hundsprang kläffend um sie herum, als sie über die Schwelle traten.

»Catherine! Da bist du ja, Kind! Warum kommst du so spät?Hat dieser Idiot von Hauptmann sich unterwegs verirrt?«

Catherine wurde sogleich von der unbändigen Energie ihrerMutter, Königin Isabeau von Frankreich, erfasst. Sie hatte ganzvergessen, was für ein Temperament ihre Mutter besaß, wiehektisch Bedienstete in deren Gegenwart hin und her sprangen,mit welcher Autorität sie Befehle erteilte und deren umgehendeAusführung erwartete. Sie trug einen hohen, aufwendigenkonisch zulaufenden Kopfputz, mit dem sie alle um sich herumüberragte, und ihre hohe Stirn und die gezupften Augenbrauenverliehen ihr einen Ausdruck arroganter Überlegenheit.

»Komm her«, sagte die Königin und schlug den Staub ausCatherines Mantel. »Wir müssen dich herausputzen, bevorunser Besuch eintrifft.« Sie packte Catherines Arm unddirigierte sie zu der Steintreppe, die ins Obergeschoss führte.

»Besuch?« Beunruhigt versuchte Catherine, sich aus demschraubstockartigen Griff zu befreien. »Erwartet Ihr amheutigen Abend König Heinrich?«

»König Heinrich? Grundgütiger, nein, Kind! Wie um alles inder Welt kommst du denn auf so was?«

»Aber der Kapitän der Garde hat gesagt …«Die Finger der Königin schlossen sich noch fester um

Catherines Oberarm. »Hör nicht auf das Gerede vonUntergebenen, diese Leute haben von nichts eine Ahnung. Nein,ich erwarte nicht den König, wohl aber seinen Gesandten, SirRobert Waterton. Komm. Wir müssen ihn beeindrucken.«

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Catherine zögerte. »Aber warum denn? Zu welchem Zweck,Mylady?«

»Weil es unsere Aufgabe ist, den Engländern klarzumachen,dass man sich Frankreich und die Franzosen nicht einfach soaneignen kann. Wir müssen uns teuer verkaufen.«

Catherine atmete auf. Was ihre Mutter sagte, klangvernünftig. »Oh, ich verstehe. Ja, natürlich. Der König vonEngland ist ein Ungeheuer, nicht wahr? Das sagen alle. DerKapitän der Garde hat erzählt, König Heinrich habe inAgincourt alle Überlebenden kaltblütig abschlachten lassen.Und … und … Schwester Supplice meint, er sei eine Ausgeburtder Hölle und habe einen Schwanz wie der leibhaftige Satan!«

»Um Himmels willen! Sei doch nicht so naiv, Catherine!Und schenk Nonnengeschwätz keinen Glauben. Ein Schwanz?Was für ein Unsinn! Tatsächlich habe ich König Heinrichpersönlich kennengelernt und fand ihn sehr charmant.«Königin Isabeau, die einen zweiten kläffenden Schoßhund unterdem Arm trug, ließ das arme Tier einfach fallen, wandte sich umund musterte ihre Tochter abschätzig. »Sieh dich an! Du biststaubbedeckt und riechst nach Pferd. Komm, wir werden alleHände voll zu tun haben, dich herzurichten.«

Königin Isabeau gab sich so herrisch wie eh und je. Als sieihrer Mutter die spiralförmige Treppe hinauf folgte, gingCatherine durch den Kopf, dass es nett gewesen wäre, mitZuneigung empfangen zu werden, vielleicht sogar mit einemKuss. Sie war sicher, dass ihr Vater sie zur Begrüßung geküssthätte.

»Wie geht es meinem lieben Papa?«, fragte sie. »Sehe ichihn heute Abend?«

»Nein.« Die Königin blieb kurz stehen und blicktestirnrunzelnd auf ihre Tochter herab. »Dein Vater wird nicht

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kommen. Es geht ihm nicht gut. Und ich habe befohlen, dass erzu seiner eigenen Sicherheit in Saint Pol bleibt, bis ervollständig von seiner Krankheit genesen ist. Seine Dienersorgen dafür, dass es ihm an nichts fehlt.«

»Dann plagt ihn immer noch sein altes Leiden?«»Sehr«, erwiderte die Königin ernst. »Als ich ihn letzten

Monat besucht habe, behauptete er steif und fest, er sei ausGlas.«

»Glas?«»Ja, Glas. Er bestand darauf, dass Eisenstäbe in seine

Kleider genäht werden, um ihn zu schützen, und er wollteniemanden in seine Nähe lassen, aus Angst, man könnte ihnzerbrechen.«

»Nicht einmal Ihr durftet Euch ihm nähern?«»Ich schon gar nicht«, entgegnete die Königin, und ihre

Finger schlossen sich einen Moment fester um das Geländer,ehe sie die letzten Stufen hinaufstieg.

Catherine hatte nur wenige undeutliche Erinnerungen andie Zeit, bevor Marie und sie in die Obhut des Klosters vonPoissy gegeben worden waren, aber sie erinnerte sich noch anihren Vater als einen großen, liebevollen Bär von einem Mann.Sie erinnerte sich an Gelächter, Herzenswärme und das Gefühlder Geborgenheit in seinen Armen, wenn sie auf seinem Schoßsaß und er ihr Geschichten erzählte oder ihr Kinderreime undZählen beibrachte. Dabei bezog er stets ihre Finger und Zehenein. Aber jedes Mal trübten andere Erinnerungen das Bild: Eswaren vage Erinnerungen daran, wie sie mitten in der Nachtwach geworden war und sich in panischer Angst an ihreSchwester geklammert hatte, daran, wie ihnen vor Furcht dasHerz bis zum Hals geschlagen hatte und sie sich die Bettdeckeüber den Kopf gezogen hatten. So hatten sie die Schreie und das

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laute Wehklagen aus dem Schlafgemach des Königsauszublenden versucht, ebenso die Schritte der Diener, diedraußen auf dem Flur vorbeihasteten. Auch Jahre später, wennCatherine im Kloster vom Schrei einer Eule oder demSchnarchen einer Nonne wach geworden war, hatte sie an jeneweit zurückliegenden Nächte in ihrem Kinderzimmer auf SaintPol denken müssen. Ihr war klar geworden, dass ihr geliebterVater mehr und mehr in seiner eigenen düsteren Welt desWahnsinns versunken war. Es stimmte sie traurig, dass es ihmoffenbar immer noch nicht besser ging.

Ein leises Klopfen an der Tür riss Catherine aus ihren trübenGedanken.

»Ah, Guillemote, da bist du ja«, sagte die Königin, als dieTür aufschwang. »Geh und erhitze Wasser, um der Prinzessindas Haar zu waschen. Und achte darauf, dass du auch gute Seifeaus Marseille benutzt. Nach dem Waschen musst du das Haarmit Zitronensaft spülen, um ihm Glanz zu verleihen. Wenn estrocken ist, flichtst du es zu einem Zopf und ziehst Catherineeins von meinen Kleidern an. Das neue rote. Ich glaube, daspasst besonders gut zu ihrem blonden Haar. Nein, warte! Nichtdas rote, darin würde sie zu verführerisch aussehen. Das grüneist dezenter. Ja, das grüne wird gut zu ihrer Augenfarbe passen.Und, nein, ich habe es mir anders überlegt. Das Haar nichtflechten. Das ist nicht nötig, sie ist ja nicht verheiratet. Nochnicht. Außerdem ist ihr Haar wunderbar wellig, das macht esoffen besonders hübsch. Husch, husch, beeile dich, Mädchen!Wir haben nicht die ganze Nacht Zeit!«

Guillemote knickste ein letztes Mal und eilte davon, um zutun, was ihr aufgetragen worden war. Die Königin drückte ihreTochter auf einen Stuhl vor einem kleinen Frisiertisch undwandte sie dem Spiegel zu, dessen Griff in einer Halterung

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steckte. Verblüfft starrte Catherine das Gesicht an, das ihrentgegenblickte: ein ovales Gesicht mit großen, graublauenAugen und langen dunklen Wimpern, das von blondem Haareingerahmt wurde. Die hohen Wangenknochen lenkten von dereinen Hauch zu langen Nase ab, und die blasse Haut war vorVerlegenheit leicht gerötet. Zum ersten Mal in ihrem Leben sahCatherine ein Spiegelbild ihrer selbst als erwachsene Frau. Siebeugte sich vor, musterte ihr Antlitz prüfend, und was sie sah,missfiel ihr gründlich.

»Meine Nase ist viel zu groß«, stellte sie fest und schob denSpiegel beiseite.

Die Königin drehte den Kopf ihrer Tochter von einer Seiteauf die andere und studierte ihr Gesicht aus denunterschiedlichsten Blickwinkeln. »Hm, hm. Ja, du neigst zurtypischen Valois-Nase, fürchte ich, und daran können wir nichtviel ändern. Sie ist etwas lang, aber glücklicherweise gerade.Elegant. Aristokratisch. Und es räumt jegliche Zweifel an deinerHerkunft aus: Deine gesamte königliche Familie väterlicherseitshat eine Valois-Nase.« Isabeau setzte die kritische Betrachtungihres Antlitzes fort. »Du hast eine makellose Haut, und zudeinem Glück hast du meine Augen geerbt. Lass mich deineZähne sehen.« Catherine zuckte zusammen, als die Königin ihrgrob den Mund öffnete, als prüfte sie das Alter eines Schafes.»Ah, sehr gut! Du hast noch alle Zähne. Das heißt, du hast einenreinen Atem, und mit etwas Myrrhentinktur wird er nochfrischer werden. Das ist perfekt.«

»Ist das nicht sündig, Mutter?«»Sündig? Was sollte daran sündig sein?«»Nun ja, der Spiegel. In Poissy gab es keine Spiegel …«Die Königin schnaubte verächtlich. »Allmächtiger, Kind!

Spiegel sind doch nicht sündhaft, auch wenn Nonnen einem

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weismachen wollen, dass man das Gesäß des Leibhaftigen zusehen bekommt, wenn man hineinschaut. Nein, es ist keineSünde, das Beste aus jedem Vorteil zu ziehen, der sich im Lebenergibt. Die alten Vetteln haben dich doch sicherlich dasEvangelium nach Matthäus gelehrt?«

»Ja, ja, selbstverständlich.« Catherine war schockiert vonden gotteslästerlichen Worten ihrer Mutter.

»Dann denke immer an das Gleichnis von den Talenten,Catherine. ›Wer da hat, dem wird gegeben werden.‹ Lass unssehen, welche Talente der liebe Gott dir mit auf den Weggegeben hat. Nun, dein Haar ist recht hübsch, hat aber einegründliche Wäsche nötig. Hast du dir in diesem Klosterüberhaupt je das Haar gebürstet? Es sieht jedenfalls nichtdanach aus. Und dieses Kleid! Grundgütiger! Kein Wunder, dassaus Frauen, die solche Kleider tragen, allesamt alte Jungfernwerden.«

»Sie sind Nonnen, Maman.«Königin Isabeau verzog das Gesicht. »Eben. Und wenn ich

daran denke, dass deine Schwester Marie entschieden hat, denSchleier zu nehmen … Das arme irregeleitete Kind! Gott seiDank habe ich noch dich.«

Die melodische musikalische Phrase ging Catherine nicht mehraus dem Kopf. Das erste Mal hatte sie den Rebekspieler bei ihrerAnkunft im Großen Saal üben hören, und jetzt, begleitet vonSchalmei und rhythmischen Trommelklängen, entpuppte sichdas Stück als das beliebteste des Abends. Catherine beobachtetevon ihrem Platz auf der königlichen Estrade aus das bunteTreiben der etwa dreißig Männer und Frauen auf der Tanzflächedes Großen Saales. Sie war über die fröhlichen Klänge derTanzmusik entzückt, die sie noch nie zuvor gehört hatte. Nicht

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minder begeistert war sie von ihrer eigenen Verwandlung,nachdem ihre Mutter und ihre neue Zofe, Guillemote, sie nachallen Regeln der Kunst zurechtgemacht hatten. Unter einemeleganten Schleier, der von einer goldenen Fibel gehaltenwurde, fiel ihr das seidig glänzende Haar in weichen Wellenüber die Schultern. Catherine trug das meergrüne Seidenkleidihrer Mutter und liebte das Schimmern des kostbaren Stoffes,das jede ihrer Bewegungen im Kerzenschein begleitete.Vierzehn Jahre klösterlicher Befangenheit fielen nach und nachvon ihr ab.

Natürlich hatte sie selbst kein einziges Mal getanzt. Tanzengehörte nicht zu den Fertigkeiten, die man im Kloster erlernte,und die Hand ihrer Mutter, die gebieterisch auf ihrem linkenArm ruhte, sorgte dafür, dass sie gar nicht erst in Versuchunggeriet, sich auf der Tanzfläche vor dem Gesandten desenglischen Königs der Lächerlichkeit preiszugeben. Sir RobertWaterton, der zu ihrer Rechten saß, schien bestrebt, bei jedersich bietenden Gelegenheit Catherines Arm zu berühren. Erhatte ein kantiges Kinn, einen leichten Silberblick, und als ersich zu ihr herüberbeugte, wehte ihr sein heißer, übelriechenderAtem entgegen.

»Ihr seid noch schöner, als es das Miniaturporträt ahnenließ, das König Heinrich von Euch besitzt«, raunte er ihr zu. »Erbetrachtet es häufig und hat des Öfteren geäußert, Ihr wärtaußerordentlich hübsch.«

»König Heinrich besitzt ein Porträt von mir?« CatherinesAugen weiteten sich vor Überraschung.

»Ja, selbstverständlich«, erwiderte Königin Isabeau. »Ichhabe ihm die neueste Miniatur geschickt, die, die ich letztesJahr habe anfertigen lassen. Der Künstler war bei dir imKloster, erinnerst du dich?«

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Catherine konnte sich noch gut an den Besuch des Malerserinnern, war jedoch davon ausgegangen, dass das Porträt fürihre Eltern bestimmt sei. Offenbar hatte sie sich geirrt. Undjetzt, da sie darüber nachdachte, fiel ihr außerdem ein, dass vonihrer Schwester Marie kein Porträt gemalt worden war, auchwenn ihr das seinerzeit nicht seltsam erschienen war.

Zunehmend beunruhigt folgte sie dem Gespräch rechts undlinks von ihr.

»Catherine wird von jeder Jungfer in ganz Frankreich umihre Schönheit beneidet«, erklärte Königin Isabeau gerade. »Siekommt nach mir.« Das war nicht zu leugnen. Catherine hattetatsächlich die hohe Stirn und die feinen Wangenknochen ihrerMutter geerbt, jedoch glücklicherweise weder ihr herrischesAuftreten noch ihr aufbrausendes Temperament. »Sie gilt sogarunbestritten als die hübscheste Prinzessin in ganz Europa«, fuhrdie Königin fort. »Jeder Mann könnte sich glücklich schätzen,sie zur Frau zu bekommen.«

»Zweifellos, Mylady«, pflichtete Sir Robert ihr bei. »AufGottes Erde dürften nur sehr wenige Männer von den ReizenEurer Tochter unbeeindruckt bleiben. Selbstverständlich bin ichnicht mit allen Prinzessinnen in Europa bekannt, ich habe aberschon so manche von ihnen kennengelernt. PrinzessinCatherines Schönheit übertrifft ganz zweifellos bei Weitem dieder Prinzessin Marie von Anjou, der ich erst kürzlich vorgestelltwurde.«

»Und was hat Euch an ihr missfallen? Ihr müsst zugeben,dass sie von tadelloser Herkunft ist.«

»Unbestritten, ja. Doch Herkunft allein sagt noch nichtsüber das Aussehen aus. Im Übrigen ist sie ein zu dunkler Typmit zu dunklem Teint.«

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Königin Isabeau nickte. »Und habt Ihr auch schon GräfinJakobäa von Holland kennengelernt, Mylord?«

»O ja. Sie gehört zu den hübschesten ledigen Prinzessinnen.Sie war einmal als geeignete Kandidatin für den jüngerenBruder des Königs im Gespräch, den Herzog von Bedford.«

»Ah, aber sie war bereits mit meinem Sohn Johann verlobt.Wenn er nicht gestorben wäre, wären sie heute verheiratet. Gottsei seiner Seele gnädig!« Isabeau bekreuzigte sich knapp. »DochIhr habt recht, Jakobäa ist eine hübsche Person. Sie ist ja auchmit uns verwandt«, fügte sie hinzu, als wäre dies ein Garant fürgutes Aussehen.

Sir Robert Waterton musterte Catherine wieder mitlüsternem Blick. »Unglücklicherweise ist bei denVerhandlungen um eine königliche Heirat nicht allein dieSchönheit der Braut entscheidend. Auch die Vertragsklauselnspielen eine Rolle. Seine Hoheit König Heinrich würde einerMitgift niemals zustimmen, sofern sie nicht Normandie undAquitanien einschließt. Und zusätzlich achthunderttausendKronen«, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.

Catherine errötete. Man schacherte um sie. Ihre Mutter unddieser widerwärtige Mann feilschten um ihre Mitgift wie Bauernauf einem Markt, die sich von der Verpaarung zweier Zuchttierebesonders wertvolle Nachkommen versprachen. Und alsBeschäler hatte man die Bestie von Agincourt gewählt.

Schwester Supplice hatte also doch recht behalten.

In jener ersten Nacht in Meulan weinte Catherine bitterlich. Siefühlte sich verraten und überfordert, sodass ihr heiße Tränenüber das Gesicht liefen und ihr Körper von heftigem Schluchzengeschüttelt wurde. Bevor sie mit einem ungeduldigen Raschelnihrer Röcke aus dem Zimmer stolziert war, hatte Königin

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Isabeau sie kalt ermahnt, sich zusammenzureißen und dankbarzu sein für die Aussicht auf eine glamouröse Zukunft als Königinvon England.

Voller Mitgefühl bereitete Guillemote ihrer Herrin einenBecher heißer Milch mit Wein und Kräutern zu und setzte sichzu ihr, während sie trank. Dabei hielt sie ihr eine Serviette unterdas zitternde Kinn, streichelte mit der freien Hand besänftigendihre Schulter und redete beruhigend auf sie ein, um sie in ihremoffenkundigen Leid zu trösten und zu beschwichtigen.

Catherine erschien der Zofe sehr kindlich, obwohl sie inetwa gleich alt waren. Guillemote hätte erwartet, dass einePrinzessin um ihre politische Rolle wusste. Auch wenn sie imKloster aufgewachsen war, musste ihr das Prinzip einer von denEltern arrangierten Ehe vertraut sein. Und doch warnachzuvollziehen, dass eine erzwungene Ehe mit der Bestie vonAgincourt sie in tiefste Verzweiflung stürzte. Das arme Ding.

Guillemote, die als Tochter einer Bediensteten der Valois’geboren und aufgewachsen war, wusste bestens über diepolitischen Winkelzüge der Königin in Bezug auf ihreSprösslinge Bescheid. Nun erlebte sie jedoch zum ersten Malhautnah, welches Leid diese taktischen Überlegungen erzeugenkonnten. Zumal auf der Hand lag, dass aus taktischenErwägungen heraus arrangierte Ehen nicht immerfunktionierten. Vor vielen Jahren war Catherines ältereSchwester Isabelle im Alter von elf Jahren als Witweheimgekehrt, nach einer nicht vollzogenen Ehe mit demenglischen König Richard II. Und vor neun Jahren warPrinzessin Michelle mit ihrem Cousin, dem Herzog vonBurgund, verheiratet worden. Nachdem es ihr bis zu diesemTage nicht gelungen war, einen Erben zu gebären, stand ihr dieVerbitterung ins Gesicht geschrieben, sodass getuschelt wurde,

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mit ihrer sauertöpfischen Miene brächte sie Milch zumGerinnen.

Die Söhne der Valois waren beide von Geburt an kränklichgewesen, und keiner von beiden hatte seinen zwanzigstenGeburtstag erlebt. Als Nächster stand somit Catherines jüngererBruder Karl in der Thronfolge, ein verschlagenerFünfzehnjähriger mit Knollennase und Pusteln im Gesicht. Erwar das letzte von zwölf Kindern der Königin und das schwarzeSchaf ihrer Brut. Guillemote verabscheute den Dauphin Karlseit jenem Tag vor sechs Monaten, als er sie draußen vor derKüche grob an die Palastmauer gedrückt und sie gegen ihrenWillen geküsst hatte. Gleichzeitig hatte er ihre Röckehochgeschoben und versucht, ihr zwischen die Beine zu fassen.Nur mit heftiger Gegenwehr war es ihr gelungen zu flüchten,doch sein spöttisches, schrilles Lachen klang ihr immer noch inden Ohren.

Eines Tages würde Karl zum König von Frankreich gekröntwerden. Guillemote dachte an den Ekel, den sie empfundenhatte, als seine Zunge sich in ihren Mund geschoben hatte. Inihren Augen war er gänzlich ungeeignet für das höchste Amt imganzen Land – aber sie war nur eine Bedienstete, also stand ihrein solches Urteil nicht zu. Darüber entschieden andere. IhreAufgabe bestand vielmehr darin, ihrer bemitleidenswertenjungen Herrin Trost zu spenden.

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