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2/2015 Das Journal: Mai 2015 Seite 5 Omega-3-Fettsäuren in Prävention und Therapie Seite 13 Kein alter Hut: Problemfall Teilbarkeiten Seite 21 Der Chemie(un)fall in der Apotheke Omega-3-Fettsäuren, Tabletten teilen und Chemieunfälle FORTBILDUNG aktuell DAS JOURNAL

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Seite 5 Omega-3-Fettsäuren in Prävention und Therapie

Seite 13Kein alter Hut: Problemfall Teilbarkeiten

Seite 21 Der Chemie(un)fall in der Apotheke

Omega-3-Fettsäuren, Tabletten teilen und Chemieunfälle

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vor Ihnen liegt nun die diesjährige erste Ausgabe unseres Fortbildungsjour-

nals, die erneut ein sehr breites Themenspektrum abdeckt:

Ob Omega-3-Fettsäuren und Fischölkapseln tatsächlich vor Herzinfarkt und

Schlaganfall schützen – dieser Frage geht Professor Martin Smollich (Münster)

auf den Grund. Dabei behandelt sein Aufsatz den Zusammenhang der Fett-

säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung

des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren

für Schwangere und das ungeborene Leben sowie auf neurogenerative und

neuropsychiatrische Erkrankungen werden thematisiert.

Wie sich ein Mehr an Arzneimitteltherapiesicherheit im Apothekenalltag

realisieren lässt, zeigt Dr. Verena Stahl (Herdecke). Sie befasst sich mit dem

„Problemfall Teilbarkeit“ und damit keinesfalls mit einem „alten Hut“ in der

Pharmazie. Schließlich ist der scheinbar so banale Vorgang ein risikoanfälli-

ger Medikationsprozess. Schon durch kleine Hinweise im Beratungsgespräch

lassen sich auch ohne ein aufwändiges Medikationsmanagement Versorgungs-

verbesserungen erzielen. Unterschiedliche Teilungstechniken werden dabei

ebenso skizziert wie Kuriositäten. So setzen Hersteller beispielsweise Schmuck-

kerben bei Arzneimitteln ein, die auf keinen Fall geteilt werden dürfen.

Der Aufsatz von Dr. Helge Prinz (Münster) zeigt Vorgehensweisen bei klei-

neren Chemieunfällen im Apothekenlabor auf, etwa im Falle einer unbe-

absichtigten Stofffreisetzung, und weist auch auf geeignete Präventions-

maßnahmen hin. Anhand von Substanzbeispielen und Altlasten aus dem

„Apothekenkeller“ berichtet er über Sicherheitsaspekte im Umgang mit

ausgewählten Stoffen und Möglichkeiten einer chemischen Inaktivierung.

Nach der Lektüre können Sie sich wie immer den Lernerfolgskontrollen zu

den Artikeln im internen Bereich unter www.akwl.de stellen und sich damit

Fortbildungspunkte sichern. Dort finden Sie übrigens auch die Lernerfolgskon-

trollen zu den Ausgaben des Journals der letzten zwölf Monate.

Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen, Lernen und Punkten!

Gabriele Regina Overwiening René Graf

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 1/2010 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Impressum:„Fortbildung aktuell“ der Apothekerkammer Westfalen-Lippe erscheint zweimal jährlich als „Fortbildung aktuell – Themen & Termine“ und dreimal pro Jahr als „Fortbildung aktuell – Das Journal“.

Herausgeber:Apothekerkammer Westfalen-Lippe, Bismarckallee 25, 48151 Münster, Tel: 0251/520050, Fax: 0251/52005-69, E-Mail: [email protected], Internet: www.akwl.de

Redaktion/Grafiken:Dr. Sylvia PrinzLayout: Sebastian Sokolowski

Autoren dieser Ausgabe: Prof. Martin SmollichDr. Verena Stah Dr. Helge Prinz

Titelfoto: www.fotolia.com – ngaga35

Der Bezugspreis für „Fortbildung aktuell“ und „Fort-bildung aktuell – Das Journal“ ist für die Mitglieder der Apothekerkammer Westfalen-Lippe im Kammer-beitrag enthalten.

Auflage: 7.500 Exemplare

Nachdruck – auch in Auszügen – nur mit schriftlicher Genehmigung des Herausgebers. Gedruckt auf Papier aus 100 Prozent recycelten Fasern.

EDITORIAL

Gabriele Regina Overwiening

Präsidentin der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

René Graf

Vizepräsident der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3

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Prof. Martin Smollich

Schützen ω3-Fettsäuren und Fischöl-

kapseln tatsächlich vor Herzinfarkt und

Schlaganfall? Was in den 1970er Jahren

als „Eskimo-Diät“ begann und insbeson-

dere unter kardioprotektivem Aspekt po-

stuliert wird, steht aufgrund aktueller

Studien immer noch und immer wie-

der in der Diskussion. Aktuell wird diese

Diskussion um die Wirksamkeit von ω3-

Fettsäuren zusätzlich dadurch erweitert,

dass sie zunehmend auch zur Präventi-

on oder Therapie neurodegenerativer Er-

krankungen eingesetzt werden. Unstrit-

tig ist die physiologische Bedeutung der

ω3-Fettsäuren, doch an der präventiven

und der therapeutischen Wirksamkeit

gibt es weiterhin Zweifel. Dies schlägt

sich auch in einer unübersichtlichen Stu-

dienlage nieder, die mittlerweile Untersu-

chungen aus über vier Jahrzehnten um-

fasst.

Nomenklatur der Fettsäuren

Fettsäuren sind in der Regel aliphatische

Monocarbonsäuren, deren Name daher

rührt, dass natürlich vorkommende Fet-

te und Öle aus den Estern dieser Mono-

carbonsäuren und Glycerin bestehen. Die-

se Fettsäuren können anhand ihrer Ket-

tenlänge, ihrer Anzahl enthaltener Dop-

pelbindungen (gesättigt, einfach unge-

sättigt, mehrfach ungesättigt) und ihrer

Notwendigkeit der Nahrungszufuhr (es-

senziell/nicht essenziell) charakterisiert

werden. Die Ernährungsmedizin verwen-

det überwiegend noch immer die histo-

rische ω-Nomenklatur der ungesättigten

Fettsäuren, die die Lage der Doppelbin-

dungen vom Methylende der Fettsäu-

re ausgehend bezeichnet. Beispielswei-

se wird die Ölsäure als wichtigster Ver-

treter der einfach ungesättigten Fettsäu-

ren syste matisch als cis-9-Octadecensäure,

aber in ihrer Struktur als ω9-Fettsäure mit

dem Lipidnamen 18:1 (ω9) bezeichnet.

ω3- und ω6-Fettsäuren

Die ω3-Fettsäuren gehören zur Grup-

pe der mehrfach ungesättigten Fettsäu-

ren. Am bekanntesten sind die aus Pflan-

zen stammende α-Linolensäure (ALA), so-

wie die beiden in marinen Organismen

vorkommenden Fettsäuren Eicosapenta-

ensäure (EPA) und Docosahexaensäure

(DHA) (Abb. 1). Im menschlichen Körper

sind diese ω3-Fettsäuren an zahlreichen

physiologischen Funktionen beteiligt, un-

ter anderem:

• Strukturbestandteile von Zellmem-

branen, besonders im ZNS

• Precursor zahlreicher antiinflammato-

rischer Mediatoren (Serie-1- und Serie-

3-Eicosanoide)

• Aufrechterhaltung der physiologischen

Funktionen von Gehirn und Retina

• Bestandteile der Gallenflüssigkeit

• Strukturbestandteile des Lungen-Sur-

factants

Während es sich bei der ALA um eine es-

senzielle Verbindung handelt, die mit der

Nahrung zugeführt werden muss, können

EPA und DHA physiologisch durch Ketten-

verlängerung aus der ALA gebildet wer-

den (Abb. 1). Allerdings beträgt die Um-

wandlungsrate von ALA zu EPA und DPA

lediglich 5-10  % und ist außerdem von

der Menge der parallel aufgenommenen

ω6-Fettsäuren abhängig, da diese über

identische Enzyme metabolisiert werden.

So wird auch die essenzielle ω6-Fettsäure

Linolsäure zu Arachidonsäure (AA) umge-

wandelt, die als Ausgangssubstanz ver-

schiedener proinflammatorischer Medi-

atoren an zahlreichen pathophysiolo-

gischen Prozessen beteiligt ist. Dies be-

deutet, dass bei einem ω6-Fettsäure-

lastigen Verhältnis der Fettsäuren in der

Nahrung endogen weniger EPA und DPA

aus ALA, dafür aber vermehrt AA aus den

ω6-Fettsäuren gebildet wird. Hauptquel-

le dieses ungünstigen Überschusses an

ω6-Fettsäuren sind meist tierische Fette.

Aus diesem Grund empfiehlt die Deutsche

Gesellschaft für Ernährung zur ausrei-

chenden Versorgung mit ω3-Fettsäuren

ein Fettsäureverhältnis in der Nahrung,

das für ω6- und ω3-Fettsäuren bei ma-

ximal 5:1 liegt.1 Die Realität in Deutsch-

land ist aufgrund der üblicherweise sehr

fleischlastigen Ernährung ein Verhältnis

von 10:1. Dieses ω6-Fettsäure-lastige Ver-

hältnis trägt vermutlich maßgeblich zu

Prof. Dr. Martin Smollich (Münster) ist

Fachapotheker für Klinische Pharma-

zie und Hochschullehrer für Klinische

Pharmakologie. Er leitet seit 2013 den

Studiengang Clinical Nutrition/Klinische

Ernährung an der Mathias Hochschule

Rheine, der sich mit evidenzbasierter Er-

nährungstherapie beschäftigt.

Omega-3-Fettsäuren in Prävention und TherapieWas ist wirklich dran?

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6 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Omega-3-Fettsäuren

6 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

den ungünstigen gesundheitlichen Effek-

ten einer fleischreichen Ernährung bei.1

ω3-Fettsäuren und das kardiovaskuläre

System

In den vergangenen Jahren wurde im-

mer wieder gezeigt, dass EPA und DHA

vasodilatatorisch, antiarrhythmisch, li-

pidsenkend und antiinflammatorisch

wirken  –  alles Effekte, die sich günstig

auf die Prävalenz und den Verlauf kar-

diovaskulärer Erkrankungen auswirken

müssten. Hinsichtlich klinisch relevanter

Endpunkte wie kardiovaskulärer Morbi-

dität und Mortalität  –  also jenseits rein

pathophysiologischer Parameter – ist die

Datenlage nach wie vor uneinheitlich: So

gibt es zwar zahlreiche Studien, die einen

präventiven Effekt zeigen; jedoch gibt es

mindestens ebenso viele doppelblinde,

randomisierte und placebokontrollierte

Studien, bei denen ein derartiger Ef-

fekt nicht nachweisbar ist. Auch der häu-

fig diskutierte antithrombotische Effekt

der ω3-Fettsäuren ist tatsächlich vorhan-

den, allerdings erst in sehr hohen Dosie-

rungen, die entweder ca. 1,2 kg Hering

pro Tag oder 15 g/d DHA bzw. EPA in Sup-

plementform entsprechen. In klinischen

Studien konnte die antithrombotische

Wirksamkeit ebenfalls nicht zuverlässig

reproduziert werden. Schaut man sich die

verfügbaren Meta-Analysen an, so kön-

nen hier lediglich jene Analysen eine kar-

diovaskulär-präventive Wirksamkeit zei-

gen, die auch Studien ohne Placebo-Kon-

trolle in die Auswertung mit einschlossen.

Beinhalten die Meta-Analysen dagegen

ausschließlich placebokontrollierte Studi-

en, so zeigt die Supplementation mit ω3-

Fettsäuren keinen Effekt auf die Häufig-

keit von Schlaganfall, Herzinfarkt, Herz-

insuffizienz, Angina pectoris, kardiovas-

kulärer Mortalität oder Gesamtmortali-

tät.2 Zum gleichen Ergebnis kommt auch

eine Cochrane-Studie, die weder für Ge-

sunde noch für bereits kardiovaskulär Er-

krankte einen Vorteil durch ω3-Fettsäure-

Supplemente oder durch ω3-Fettsäure-

reiche Ernährung zeigte.3

Die häufig als Beleg für die kardiovasku-

läre Wirksamkeit der ω3-Fettsäuren an-

geführte GISSI-Studie mit über 11000 Pa-

tienten nach Herzinfarkt aus dem Jahr

1999 weist erhebliche methodische Män-

gel auf: Zwar war das kardiovaskuläre Ri-

siko in der ω3-Gruppe reduziert, doch die

Kontrollgruppe erhielt statt der heute

zur Risikoreduktion üblichen Statin-The-

rapie überhaupt keine medikamentöse

Prophylaxe; zudem war die Studie her-

stellerfinanziert (Omacor®), nicht verblin-

det, nicht placebokontrolliert, ohne vor-

her definierte sekundäre Endpunkte und

hatte eine hohe Abbruchquote von 29 %.

Bis heute werden als Grundlage der Hy-

pothese, dass ein hoher ω3-Fettsäure-

Konsum das Risiko für kardiovaskuläre

Erkrankungen reduziert, die Untersu-

chungen von Bang & Dyerberg aus den

1970er Jahren genannt.4 Damals wurden

jedoch nur die Ernährungsgewohnheiten

untersucht, nicht aber die Prävalenzen

kardiovaskulärer Erkrankungen. In einem

aktuellen (2014) Übersichtsartikel zur kar-

diovaskulären Morbidität der Inuit konn-

te vielmehr gezeigt werden, dass sich die

Prävalenz kardiovaskulärer Erkrankungen

trotz des hohen Seefischkonsums nicht

von europäischen Vergleichspopulati-

onen unterscheidet.5 Und noch mehr: Die

Inuit haben eine erhöhte Schlaganfall-

rate, eine erhöhte Gesamtmortalität und

im Vergleich zu Festlandseuropäern eine

um durchschnittlich zehn Jahre geringere

Lebenserwartung.5

Andererseits könnte es einen plausiblen

Grund für den fehlenden klinischen Wirk-

samkeitsnachweis geben: Nahezu alle Pa-

tienten mit hohem kardiovaskulärem Ri-

siko erhalten heute eine Statin-Thera-

pie  –  insbesondere zur Sekundärpräven-

tion nach erstem Herzinfarkt. Anders als

in der nicht mehr leitliniengerechten Kon-

trollgruppe der GISSI-Studie erhalten heu-

tige Patienten bei Studien zur kardiopro-

tektiven Wirksamkeit von ω3-Fettsäuren

in der Interventionsgruppe also „Statin +

ω3-Fettsäure“ und in der Kontrollgruppe

„Statin (mono)“. Somit könnte ein mög-

licher positiver Effekt der ω3-Fettsäuren

durch die Statine kaschiert werden. In

früheren Studien war der kardiovaskuläre

Vorteil entsprechend nur dann nachweis-

Abbildung 1: Ernährungsphysiologie und Stoffwechsel der ω3- und ω6-Fettsäuren.20

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Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 7

Prof. Martin Smollich

bar, wenn die Kontrollgruppe kein Statin

erhielt; aufgrund der guten Evidenz für

die Wirksamkeit der Statine wäre heute

eine Studie gegen Placebo aus ethischen

Gründen nicht vertretbar. Das bedeutet:

Ein kardiovaskulär günstiger Effekt der

ω3-Fettsäuren ist vor den physiologischen

und epidemiologischen Zusammenhän-

gen durchaus plausibel, allerdings scheint

er gegenüber einer wirksamen Statin-

Therapie offensichtlich vernachlässigbar.2

Da mag es überraschen, dass die aktu-

ellen amerikanischen und europäischen

Leitlinien noch immer den regelmäßigen

Konsum ω3-Fettsäure-haltiger Lebensmit-

tel zur Prävention kardiovaskulärer Er-

krankungen empfehlen. Doch auch die-

se Empfehlung hat ihre Berechtigung:

Fisch besteht nicht nur aus ω3-Fettsäuren,

sondern er kann als Bestandteil einer ab-

wechslungsreichen mediterranen Ernäh-

rung durchaus zur Kardioprotektion bei-

tragen. Denn: Jede Fischmahlzeit ist ein

Verzicht auf Fleisch, und eine Reduktion

von Fleischmahlzeiten birgt tatsächlich

gesundheitliche Vorteile.

Eine praktische Schlussfolgerung lässt sich

daher aus all den Studien ziehen:

• Patienten mit Atherosklerose oder

weiteren kardiovaskulären Risikofak-

toren, die ohnehin eine leitlinienge-

rechte Arzneimitteltherapie (Statine,

ggf. auch ASS, Betablocker, ACE-Hem-

mer) erhalten, haben durch die Sup-

plementation mit ω3-Fettsäuren bei

unverändertem Fleischkonsum keinen

Zusatznutzen.

• Eine grundsätzliche Ernährungsumstel-

lung mit vermehrtem Fischverzehr und

einer Reduktion der Fleischgerichte ist

dagegen sinnvoll.

Omega-3-Fettsäuren und Hirnfunktion

Nachdem die ω3-Fettsäuren bislang we-

gen ihrer möglichen kardiovaskulären

Wirkungen im Fokus der Aufmerksamkeit

standen, rückt zunehmend ihre Bedeu-

tung für kognitive Funktionen und neu-

rodegenerative Krankheitsbilder in den

Vordergrund. Da die Prävalenz dieser Er-

krankungen seit Jahren zunimmt, wird in

Zukunft auch verstärkt die Rolle der ω3-

Fettsäuren in diesem Zusammenhang dis-

kutiert werden. ω3-Fettsäuren sind essen-

zielle Bestandteile für den Aufbau, die

Reifung und die physiologische Funkti-

on neuronaler Strukturen (Abb.  2).6 Be-

reits im dritten Trimenon der Schwanger-

schaft kommt es im Rahmen der neuro-

nalen Entwicklung zur Akkumulation von

DHA im Gehirn des Ungeborenen, und

dieser Prozess setzt sich innerhalb der er-

sten zwei Lebensjahre weiter fort. Die

optimale neuronale Entwicklung ist hier

entscheidend von der Zufuhr an langket-

tigen, mehrfach ungesättigten Fettsäu-

ren (LCPUFA) abhängig.6 Die wichtigsten

LCPUFAs in dieser Reifungs- und Wachs-

tumsphase sind DHA und AA, die gestillte

Säuglinge ebenso wie andere ω3- und ω6-

Fettsäuren auch über die Muttermilch er-

halten. Die Phospholipide der Lipiddop-

pelschicht neuronaler Zellmembranen

enthalten besonders hohe Anteile an

DHA, EPA und AA.6 Das Gehirn eines er-

wachsenen Menschen besteht zu 10-15 %

aus DHA.

Neben dieser integralen Bedeutung ins-

besondere von DHA für die Hirnstruktur

spielen die ω3-Fettsäuren auch eine wich-

tige Rolle für die normale neurologische

Funktion: So sind EPA und DHA an der Bil-

dung und Wirkung neurophysiologisch

wichtiger Neurotransmitter wie Seroto-

nin, Noradrenalin und Dopamin beteili-

gt, sie beeinflussen die Membranfluidi-

tät, die Anpassungsfähigkeit des Gehirns

an äußere Einflüsse (Neuroplastizität), die

intrazelluläre Signaltransduktion und die

Regulation der neuronalen Genexpres-

sion. Zwar stammt der größte Teil dieser

Daten aus tierexperimentellen Untersu-

chungen, doch neuere Studien mit Men-

schen scheinen diese Zusammenhänge

bislang zu bestätigen.7

Abbildung 2: Neurophysiologische Funktionen von Docosahexaensäure (DHA); DHA kann katalysiert durch die Phospholipase A2 (PLA2) aus der Lipiddoppelmembran freigesetzt werden und so die Wirkung verschiedener Neurotransmitter regulieren. Das aus DHA gebildete Neuroprotectin D1 (NPD1) ist ein wichtiger Regulator der neu-ronalen Genexpression. CB1: Cannabinoid-Rezeptor 1, D2: Dopamin-Rezeptor 2, ZnT3: Zink-Transporter 3.

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8 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Omega-3-Fettsäuren

Neueste Daten beschreiben zudem ei-

ne verbesserte Durchblutung definierter

Hirn areale durch erhöhte Zufuhr von

DHA,7 womit entsprechende tierexperi-

mentelle Daten erstmals auch beim Men-

schen bestätigt werden konnten. Als

mögliche Mechanismen für diesen Effekt

werden aktuell eine Interaktion von DHA

mit dem cerebralen cholinergen System

und eine Induktion der NO-Synthase dis-

kutiert, wodurch es über vermehrte NO-

Bildung zur lokalen Vasodilatation kom-

men könnte.7 Von dieser DHA-abhän-

gigen Steigerung des cerebrovaskulären

Blutflusses sind nach bisherigen Erkennt-

nissen vor allem die Großhirnrinde und

der Thalamus betroffen – beides Hirnregi-

onen, die neben dem komplexen Denken

(Cortex) auch Orte von Persönlichkeit und

Bewusstseinsbildung sind. Im Zusammen-

hang mit Kognition und Demenz-Entste-

hung ist dies besonders interessant, da

neue Untersuchungen darauf hindeuten,

dass es im Rahmen der Alzheimer-Patho-

genese auch zu einer Reduktion des cere-

brovaskulären Blutflusses in diesen Hirnre-

gionen kommt. Ebenso könnte hier auch

der Effekt von DHA auf die Membran-

fluidität von Relevanz sein: Bei vermehr-

ter DHA-Zufuhr steigt auch der Anteil

von DHA in den neuronalen Membranen,

was zu einer erhöhten Membranfluidität

und damit einer veränderten Aktivität der

membrangebundenen Proteine führt.

Haast & Kiliaan haben ein Modell vorge-

schlagen, das den Zusammenhang zwi-

schen der Fettsäurezufuhr und den drei

Säulen der Hirngesundheit – Struktur,

Funktion und Durchblutung – anschaulich

darstellt (Abb. 3).7 Da ω3-Fettsäuren und

insbesondere DHA erhebliche Bedeutung

für die Entwicklung, die Struktur, die Phy-

siologie und offensichtlich auch für die

Durchblutung des menschlichen Gehirns

besitzen, ist es naheliegend, auch bei neu-

ropsychiatrischen und neurodegenera-

tiven Erkrankungen eine Beteiligung der

ω3-Fettsäuren zu vermuten. Pathophysio-

logisch gut belegt ist die Rolle von Neu-

roprotectin D1 (NPD1), das im Gehirn aus

DHA gebildet wird (Abb. 2): An Neuronen

wirkt NPD1 neuroprotektiv, indem es an-

tiapoptotische und antiinflammatorische

Wirkungen vermittelt und die neuronale

Resistenz gegenüber oxidativem Stress

verbessert. Außerdem reduziert NPD1 die

Bildung der β-Amyloide, die Bestandteil

seniler Plaques sind und die als Hauptur-

sache für Morbus Alzheimer und ande-

re demenzielle Erkrankungen gelten. Da-

her ist postuliert worden, dass ein Mangel

an DHA über eine somit auch geringere

NPD1-Bildung zur Pathogenese eben die-

ser Krankheitsbilder beitragen könnte.8

Altersbedingter kognitiver

Leistungsverlust

Im Rahmen des physiologischen Alte-

rungsprozesses nehmen die Zahl der Sy-

napsen, die Zahl der Neuronen und das

Hirnvolumen ab; parallel kommt es zur

Abnahme der kognitiven Leistungsfähig-

keit. So beginnt die Abnahme der grauen

Substanz bereits im Alter von 20 Jahren,

die der weißen Substanz etwa ab dem Al-

ter von 40 Jahren.8 Die DHA-Konzentrati-

on im Gehirn nimmt mit zunehmendem

Alter ebenfalls ab. Aufgrund der neuro-

physiologischen Funktionen von DHA wä-

re auch ein kausaler Zusammenhang vor-

stellbar; schließlich fungiert DHA als neu-

rotropher Wachstumsfaktor, der die Neu-

Abbildung 3: Einfluss verschiedener Fettsäure-Arten auf das Gehirn.7 Grüne Pfeile: lang-kettige, mehrfach ungesättigte Fettsäuren, insbes. DHA und EPA; Rote Pfeile: gesättigte Fettsäuren.

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Prof. Martin Smollich

roplastizität verbessert und die Neubil-

dung von Synapsen stimuliert.

Unabhängig davon ist die Studienlage

zum möglichen Effekt einer ω3-Fettsäure-

Supplementation auf die kognitive Lei-

stungsfähigkeit gesunder älterer Men-

schen sehr dürftig. Tatsächlich stammen

die verfügbaren Daten zur Verbesserung

der kognitiven Leistungsfähigkeit am ge-

sunden Gehirn überwiegend aus tierex-

perimentellen Studien.9 Die verfügbaren

Humandaten zum Einfluss der nutritiven

DHA-Zufuhr auf die Hirnstruktur zeigen

zwar tatsächlich eine Zunahme der grau-

en Substanz und ein größeres Hirnvolu-

men nach erhöhter DHA-Aufnahme, al-

lerdings bleiben diese Studien ohne kli-

nisch relevante Endpunkte und beschrän-

ken sich auf radiologische Volumenmes-

sungen. Interessant ist dennoch, dass

die Zunahme der grauen Substanz nach

DHA-angereicherter Diät besonders stark

die corticolimbische Schleife betrifft, die

bei der Generierung und Verarbeitung

von Emotionen maßgeblich ist und de-

ren Fehlfunktion bei verschiedenen psy-

chiatrischen Erkrankungen eine maßgeb-

liche pathophysiologische Rolle zu spielen

scheint. Parallele Untersuchungen mit ei-

ner an trans-Fetten reichen Diät konnten

zeigen, dass diese Diätform bei gesunden

Erwachsenen zu einer Abnahme der Hirn-

volumina und einer beschleunigten Hirn-

atrophie führt.10

Die wenigen Interventionsstudien an

Menschen, bei denen die Wirkung von ω3-

Fettsäuren (DHA allein oder DHA+EPA)

auf die kognitive Leistungsfähigkeit im

Alter untersucht wurde, liefern wider-

sprüchliche Ergebnisse. Diese Einschät-

zung wird von einer aktuellen und qua-

litativ hochwertigen Cochrane-Metanaly-

se bestätigt: Bei gesunden Menschen über

60 Jahren konnte keine Evidenz für eine

entsprechende Wirksamkeit hinsichtlich

einer verbesserten kognitiven Leistungs-

fähigkeit oder einer reduzierten Demenz-

häufigkeit gefunden werden.11 Neben

der möglicherweise tatsächlich nicht vor-

handen Wirksamkeit der ω3-Fettsäuren

auf den altersbedingten kognitiven Lei-

stungsverlust könnte es auch metho-

dische Gründe für das bislang negative Er-

gebnis geben: Einerseits betrug der Inter-

ventionszeitraum nur wenige Wochen bis

maximal 24 Monate, andererseits waren

die verwendeten Dosierungen sehr unter-

schiedlich (DHA: 176-1720 mg/d; EPA: 200-

1500  mg/d). Zukünftige Langzeitstudien

mit entsprechend hohen Dosierungen

könnten hier validere Aussagen ermögli-

chen. Ein weiteres methodisches Problem

liegt in der Schwierigkeit, die menschliche

„kognitive Leistungsfähigkeit“ valide zu

messen. Tatsächlich gibt es zahlreiche un-

terschiedliche Testverfahren, die jedoch

entweder auf globale kognitive Aspekte

oder auf spezifische Einzelfähigkeiten

wie Wiedererkennung oder Vokabu-

lar abzielen; die Ergebnisse unterschied-

licher Testverfahren sind daher kaum zu

vergleichen. Epidemiologische Beobach-

tungsstudien zum Zusammenhang zwi-

schen Ernährungsweise (einschließlich

Relation von ω3/ω6-Fettsäuren) gibt es

aufgrund methodischer Schwierigkeiten

nicht für den Endpunkt des altersabhän-

gigen kogni tiven Leistungsverlustes, wohl

aber für die Alzheimer-Demenz (s. u.).

Morbus Alzheimer

Im Hirngewebe von Alzheimer-Patienten

sind nicht nur die Konzentrationen der

β-Amyloide erhöht, sondern es sind auch

die Konzentrationen von DHA und NPD1

erniedrigt. Dies betrifft vor allem Areale,

die an Lernfähigkeit und Gedächtnis be-

teiligt sind.12 Die zahlreichen neurophy-

siologischen Erkenntnisse, die die Be-

deutung von DHA auf die Alzheimer-Pa-

thogenese belegen sollen, stammen aus-

schließlich aus Untersuchungen an Maus-

modellen. Aus Beobachtungsstudien mit

Alzheimer-Patienten ist jedoch bekannt,

dass möglicherweise ein umgekehrter Zu-

sammenhang zwischen der täglich mit

der Nahrung aufgenommenen DHA-Men-

ge und der Prävalenz der Alzheimer-Er-

krankung besteht. Auch gibt es Hin weise

darauf, dass die mediterrane Ernährung

das Risiko für die Entstehung einer Alz-

heimer-Demenz reduzieren könnte. Al-

lerdings sind selbst die Ergebnisse die-

ser reinen Beobachtungsstudien wider-

sprüchlich; die möglichen Zusammenhän-

ge sind höchst komplex und können kei-

neswegs auf die einfache These „Mehr

ω3-Fettsäuren in der Nahrung entspricht

weniger Alzheimer-Erkrankung“ redu-

ziert werden. Dies gilt erst recht dann,

wenn es um die entsprechende Einord-

nung der mediterranen Ernährung geht.

Auch zukünftige epidemiologische Studi-

en werden hier vermutlich keine wesent-

lichen neuen Erkenntnisse beitragen kön-

nen, denn nicht nur die Pathogenese der

Alzheimer-Erkrankung und die neurophy-

siologische Aktivität der ω3-Fettsäuren

sind multifaktoriell verknüpft: Allein auf-

grund der zahlreichen heute bekannten

Einflussfaktoren und angesichts einer sich

über Jahrzehnte erstreckenden Alzhei-

mer-Pathogenese dürfte es methodisch

praktisch unmöglich sein, eine randomi-

siert-kontrollierte Studie zu konzipieren,

die alle übrigen Lifestyle-Faktoren außer-

halb der ω3-Fettsäure-Zufuhr konstant

hält.

Eindeutiger als bei den Beobachtungs-

studien sind die Ergebnisse der Inter-

ventionsstudien: Sie zeigen einheit-

lich keinen Effekt einer ω3-Fettsäure-

Supplementation – weder auf die Alzhei-

mer-Neuerkrankungsrate11 noch auf kli-

nisch relevante Endpunkte bei Menschen

mit bereits diagnostizierter Alzheimer-

Demenz.13 Die Aussagekraft dieser Ergeb-

nisse ist ebenfalls dadurch limitiert, dass

auch hier die Interventionszeiträume ma-

ximal wenige Monate umfassten. Zukünf-

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Omega-3-Fettsäuren

tige Untersuchungen zum Stellenwert

von ω3-Fettsäuren bei altersabhängigem

kognitivem Leistungsverlust und Alzhei-

mer-Demenz werden viel mehr als bisher

die multifaktorielle Pathogenese, realis-

tische Beobachtungszeiträume und eine

pharmakologisch basierte Dosisfindung

berücksichtigen müssen.

Morbus Parkinson

Ähnlich sieht die Studienlage auch für die

mögliche Wirksamkeit von ω3-Fettsäuren

bei Morbus Parkinson aus: Zwar konnte in

zahlreichen Laborstudien und an Maus-

modellen gezeigt werden, dass DHA an

dopaminergen Neuronen neuroprotek-

tive Effekte besitzt und antiinflammato-

risch wirkt, und in tierexperimentellen

Parkinson-Modellen kann DHA Dopamin-

mangel-Dyskinesien reduzieren. Bislang

gibt es aber keine aussagekräftige Stu-

die, die einen protektiven oder gar the-

rapeutischen Effekt von ω3-Fettsäure-

Supplementen oder ω3-Fettsäure-reicher

Ernährung bei Parkinson-Patienten bele-

gen würde.

Neuropsychiatrische Erkrankungen

Die beste Datenlage zur klinischen Wirk-

samkeit von ω3-Fettsäuren gibt es für

die Verwendung von EPA-Supplementen

bei depressiven Erkrankungen: Meh-

rere große Metaanalysen von Placebo-

kontrollierten Interventionsstudien zei-

gen, dass die tägliche Gabe von EPA (200-

2200  mg/d), nicht jedoch von DHA, die

depressive Symptomatik messbar redu-

ziert.14 Entscheidend scheint bei kombi-

nierten Supplementen neben der Dosie-

rung auch das relative Mengenverhält-

nis der einzelnen ω3-Fettsäuren zu sein:

So sollte das Verhältnis EPA/DHA >60  %

betragen.14 Die zugrunde liegenden Me-

chanismen sind derzeit Gegenstand inten-

siver Forschung.

Aufgrund dieser positiven Daten für die

Therapie der Depression gibt es inner-

halb der aktuellen neuropsychiatrischen

Forschung nahezu keine Indikation, bei

der nicht die Wirksamkeit einer Supple-

mentation mit ω3-Fettsäuren untersucht

wird, so beispielsweise bei bipolaren Stö-

rungen, Borderline-Störungen, Schizo-

phrenie, Autismus, kindlichen Lernstö-

rungen oder bei der Aufmerksamkeitsde-

fizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Für

keine dieser Indikationen ist bisher eine

klinische Wirksamkeit einer ω3-Fettsäure-

reichen Ernährung oder einer Supplemen-

tation nachgewiesen. Ob sich zukünf-

tig tatsächlich ein nutzbares therapeu-

tisches Potenzial ableiten lässt, kann auf

Grundlage der aktuell vorhandenen Da-

ten nicht seriös abgeschätzt werden.

Schwangerschaft

Umfassend belegt ist dagegen die Bedeu-

tung einer ausreichenden ω3-Fettsäure-

Zufuhr in der Schwangerschaft für die vi-

suelle und kognitive Entwicklung des Kin-

des, was vor allem die ausreichende Zu-

fuhr von DHA betrifft. So wirkt sich eine

überdurchschnittliche DHA-Zufuhr wäh-

rend der Schwangerschaft positiv auf ver-

schiedene Endpunkte wie kindliche Seh-

schärfe, kognitive Funktionen, Intelli-

genz (IQ), Schlafmuster und Feinmotorik

aus.15 -17 Diese Mehrheitsmeinung in der

Ernährungsmedizin wird aktuell teilwei-

se in Frage gestellt: So zeigen Langzeitun-

tersuchungen zwar einen Vorteil für die

kindliche Entwicklung in den ersten Le-

bensmonaten durch DHA-Supplementa-

tion; im Laufe der nächsten Lebensjahre

scheinen sich diese Vorteile jedoch zu ni-

vellieren und im Vergleich zu den dann

prägenden Umwelteinflüssen vernachläs-

sigbar zu sein.18 Bis zur abschließenden

Klärung sollten Schwangere und Stillende

für die optimale Entwicklung ihres Kindes

jedoch täglich mindestens 200  mg DHA

zuführen; wenn dies nicht über regelmä-

ßigen Fischkonsum erreicht wird, sollten

entsprechende Supplemente verwendet

werden.16,19

Omega-3-Fettsäuren in Lebensmitteln

In der Nahrung sind ω3-Fettsäuren in

pflanzlichen wie tierischen Fetten und

Ölen zu finden, allerdings mit recht un-

terschiedlichen Substanzmustern (Tab.  1

10 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

WAS KAnn ICH AB MORGEn UMSETZEn?Schwangeren und Stillenden sollte

die Supplementation mit DHA

empfohlen werden (mindestens

200  mg/d), falls sie nicht entspre-

chende Mengen Fisch verzehren.

Nicht erforderlich wäre eine DHA-

Supplementation erst bei Verzehr-

mengen von durchschnittlich 25  g

Hering/Tag oder 70 g Lachs/Tag.

WELCHE nEUIGKEITEn SPRECHE ICH AUF DER näCHSTEn DIEnSTvER-SAMMLUnG An?

• Die Supplementation von DHA bei

Schwangeren und Stillenden ist

empfehlenswert für die optima-

le Entwicklung des Kindes. Nur bei

überdurchschnittlich hohem Fisch-

konsum ist diese Supplementation

nicht erforderlich.

• Die Supplementation von ω3-

Fettsäuren ist weder zur Kardioprä-

vention noch zur Prävention von De-

menz oder Neurodegeneration sinn-

voll. Einen gesundheitlichen Vorteil

bietet jedoch die Ernährungsumstel-

lung im Sinne der mediterranen Er-

nährung, die mindestens zwei Mal

pro Woche den Verzehr von See-

fisch vorsieht. Die Einnahme von

ω3-Fettsäure- oder Fischölsupple-

menten hat bei einer unverändert

fleischlastigen Ernährung keinen po-

sitiven Effekt.

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Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 11

Prof. Martin Smollich

und 2). Ernährungsphysiologisch beson-

ders geeignete Quellen für ω3-Fettsäuren

sind Leinöl, Perillaöl, fette Fische bzw.

Fisch-/Krillöl (Tab.  3). Allerdings lehnen

viele Menschen Leinöl oder Fisch aus ge-

schmacklichen Gründen ab, und sowohl

das Perilla- als auch das Krillöl sind bislang

wenig bekannt.

Die empfohlene Zufuhr an ALA beträgt

0,5 % der Gesamtenergiezufuhr.1 Dies wä-

ren beim durchschnittlichen täglichen En-

ergiebedarf eines normalgewichtigen Er-

wachsenen (ca. 2000  kcal) ca. 10  kcal/d,

enthalten z. B. in 500 g geräucherter Ma-

krele oder ½ Teelöffel Leinöl/Perillaöl (ca.

2 g) bzw. 1 Esslöffel Rapsöl (ca. 10 g). Ins-

besondere Leinöl und Perillaöl wären auf-

grund ihres hohen α-Linolensäure-Gehalts

geeignete Alternativen zu einem regel-

mäßig hohen Fischkonsum. Es gibt jedoch

einen Haken: Im Rahmen der üblicherwei-

se ω6-Fettsäure-lastigen, fleischreichen

Ernährung werden durch die kompetitive

Enzymhemmung nur 5-10  % der in den

Ölen reichlich enthaltenen ALA in DHA

und EPA umgewandelt. Um auf die von

der Deutschen Gesellschaft für Ernährung

empfohlene Tageszufuhr an EPA und DHA

(250-300 mg/d) zu kommen,1 wäre unter

Berücksichtigung der geringen Umwand-

lungsrate aus ALA ein täglicher Konsum

von ca. 75 ml (!) Leinöl erforderlich – was

natürlich nicht möglich ist.

Die empfohlene Tageszufuhr an EPA

und DHA kann also über den indirekten

Weg der endogenen Bildung aus ALA

aus pflanzlichen Ölen kaum gedeckt wer-

den.1 Daneben wäre aber auch die di-

rekte Aufnahme beider ω3-Fettsäuren

über Fisch bzw. Fischöle möglich; die ent-

sprechenden Zufuhrmengen an Fisch zur

Deckung des täglichen EPA/DHA-Bedarfs

sind grundsätzlich praktikabel:20

• ca. 25 g Hering/Tag oder

• ca. 25 g Thunfisch/Tag oder

• ca. 35 g Makrele/Tag oder

• ca. 60 g Sardine/Tag oder

• ca. 70 g Lachs/Tag oder

• ca. 200 g Forelle/Tag oder

• ca. 300 g Seelachs/Tag

Da viele Menschen aus verschiedenen

Gründen keinen Fisch essen, stellt sich die

Frage nach Alternativen. Hier gewinnt

aktuell das Krillöl zunehmend an Bedeu-

tung. Krillöl wird aus einer antarktischen

Krebsart, dem Antarktischen Krill (Euphau-

sia superba), gewonnen und weist eine Be-

sonderheit auf: Während die anderen

natürlichen Fischöle ω3-Fettsäuren aus-

schließlich in Form von Triglyceriden ent-

halten, liegt ein Teil der ω3-Fettsäuren im

Krillöl als Phospholipid vor. Hierdurch soll

die Bioverfügbarkeit der ω3-Fettsäuren

angeblich verbessert werden. Die kli-

nische Relevanz dieses Zusammenhangs

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 11

Tabelle 1: Wichtige mehrfach ungesättigte ω3- und ω6-Fettsäuren20

Kurzform enthalten in Lebensmitteln (Beispiele)

ω6-Fettsäuren

Linolsäure (LA) 18:2 (ω6) Argan-, Raps-, Sonnenblumen- und Sojaöl

γ-Linolensäure 18:3 (ω6) Nachtkerzenöl

Arachidonsäure (AA) 20:4 (ω6) sämtliche tierische Fette

ω3-Fettsäuren

α-Linolensäure (ALA) 18:3 (ω3) Lein-, Perilla-, Raps-, Soja- und Walnussöl

Stearidonsäure 18:4 (ω3) Erdnussöl, Fischöl

Eicosapentaensäure (EPA) 20:5 (ω3) Fisch, Fischöle (Hering, Lachs, Makrele), KrillölDocosahexaensäure (DHA) 22:6 (ω3)

Tabelle 2: verhältnis ω3-Fettsäuren zu ω6-Fettsäuren in verschiedenen Ölen20

ω3-Fettsäuren ω6-Fettsäuren

Empfehlung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung [4, 5] 1 5

Leinöl 1 0,2

Perillaöl 1 0,25

Rapsöl 1 2

Walnussöl 1 4,5

Olivenöl 1 9

Sonnenblumenöl 1 126

Distelöl 1 150

Arganöl 1 340

Lachs, Makrele 5-7 1

Fischöl bis 30 1

Krillöl 12-30 1

Tabelle 3: Unterschiedliche Zusammensetzung der Fettsäuren in verschiedenen Fetten und Ölen20; a) Fischöl in Kapseln: EPA + DHA = 864 mg b) Krillöl: EPA + DHA = 543 mg

Arganöl Leinöl Perillaöl Fischöl in Kapselna

Krillölb

Linolsäure (ω6), LA 30-34 % 14 % 14 % 0,8 % 1,8 %

α-Linolensäure (ω3), ALA 0,1-0,3 % 54 % 63 % 0,5 % 1,0 %

Eicosapentaensäure (ω3), EPA 0-0,5 % 0 % 0 % 27 % 15-21 %

Docosahexaensäure (ω3), DHA 0-0,1 % 0 % 0 % 24 % 9-14 %

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Omega-3-Fettsäuren

erscheint allerdings sehr fraglich. Einen

Vorteil besitzt Krillöl gegenüber den mei-

sten Fischöl-Supplementen aber dennoch:

Es kommt nicht zu dem unangenehmen

fischigen Aufstoßen.

Referenzen & LiteraturAufgrund der erheblichen Anzahl an Primärstudi-en und Meta-Analysen zu diesem Thema wurde auf die vollständige Angabe der entsprechenden Quel-len verzichtet. Das Literaturverzeichnis beschränkt sich auf die 20 wichtigsten Quellenangaben. Ein detailliertes und vollständiges Literaturverzeichnis kann jedoch gerne beim Autor angefordert wer-den ([email protected]).

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7 Haast RA, Kiliaan AJ. Impact of fatty acids on brain circulation, structure and function Prosta-glandins Leukot Essent Fatty Acids. 2015, 92C: 3-14.

8 Haass C. Initiation and propagation of neurode-generation. Nat Med. 2010, 16: 1201-1204.

9 Petursdottir AL, Farr SA, Morley JE et al. Ef-fect of dietary n-3 polyunsaturated fatty acids on brain lipid fatty acid composition, learning ability, and memory of senescence-accelerated mouse. J Gerontol A Biol Sci Med Sci. 2008, 63: 1153-1160.

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12 Soderberg M, Edlund C, Kristensson K et al. Fat-ty acid composition of brain phospholipids in aging and in Alzheimer’s disease. Lipids. 1991, 26: 421-425.

13 Freund-Levi Y, Eriksdotter-Jönhagen M, Ceder-holm T et al. Omega-3 fatty acid treatment in 174 patients with mild to moderate Alzheimer disease: OmegAD study: a randomized double-blind trial. Arch Neurol. 2006, 63: 1402-1408.

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19 Koletzko B. Ernährung in der Schwangerschaft: Für das Leben des Kindes prägend. Dtsch Arzte-bl. 2013, 110: 612.

20 Smollich M, Blumenschein B. Fetter Fisch für alle? Was Omega-3-Fettsäuren wirklich leisten. DAZ 2014, 27: 50-56.

ZUSAMMEnFASSUnGω3-Fettsäuren, insbesondere EPA und DHA, sind für die Entwicklung, die Physiologie

und vermutlich auch für die Durchblutung des menschlichen Gehirns von erheblicher

Bedeutung.

Schwangerschaft und Stillzeit

Schwangere und Stillende sollten für die optimale Entwicklung ihres Kindes täglich

mindestens 200 mg DHA zuführen. Ist dies nicht über regelmäßigen Fischkonsum

möglich, sollten entsprechende Supplemente verwendet werden.

Kardioprävention

• Die postulierten kardioprotektiven Effekte einer Supplementation mit ω3-

Fettsäuren sind bislang nicht nachzuweisen. Patienten mit Atherosklerose oder

weiteren kardiovaskulären Risikofaktoren, die ohnehin eine leitliniengerechte

Arzneimitteltherapie (Statine, ggf. auch ASS, Betablocker, ACE-Hemmer) erhal-

ten, haben durch die Supplementation mit ω3-Fettsäuren bei gleichbleibendem

Fleischkonsum keinen Zusatznutzen.

• Sowohl Gesunde als auch Patienten mit erhöhtem kardiovaskulärem Risiko pro-

fitieren von einer Ernährungsumstellung im Sinne der mediterranen Ernährung,

die mindestens zwei Mal pro Woche den Verzehr von Seefisch vorsieht. Fisch

besteht nicht nur aus ω3-Fettsäuren, sondern er kann als Bestandteil einer ab-

wechslungsreichen mediterranen Ernährung durchaus zur Kardioprotektion

beitragen. Die Reduktion von Fleischmahlzeiten zugunsten von Fischgerichten

bringt einen ernährungsmedizinischen Vorteil, nicht jedoch die Einnahme von

Fischölkapseln bei einem unverändert hohen Fleischkonsum.

Kognition, neurodegeneration und neuropsychiatrische Erkrankungen

• Die Studienlage zur protektiven Wirkung von ω3-Fettsäuren auf den altersbe-

dingten kognitiven Leistungsverlust ist nicht aussagekräftig. Ein Vorteil hinsicht-

lich einer verbesserten kognitiven Leistungsfähigkeit oder einer reduzierten De-

menzhäufigkeit ist nicht nachweisbar. Epidemiologische Untersuchungen zum

Zusammenhang zwischen der Aufnahme von ω3-Fettsäuren mit der Nahrung

und der Alzheimer-Inzidenz liefern keine valide Evidenz. Die Supplementation

bei Gesunden ist ohne Einfluss auf die Alzheimer-Neuerkrankungsrate und bei

bereits erkrankten Alzheimer-Patienten ohne Effekt auf klinisch relevante End-

punkte. Gleiches gilt für Morbus Parkinson.

• Bei den neuropsychiatrischen Erkrankungen ist allein für die Indikation der De-

pression die Wirksamkeit von EPA-Supplementen belegt.

• In nächster Zeit sind zahlreiche Studien zur Rolle von ω3-Fettsäuren bei neu-

ropsychiatrischen Erkrankungen zu erwarten, denn insbesondere Indikationen

wie Depression, ADHS und kindliche Lernstörungen eröffnen nicht nur neue

Ernährungsaspekte, sondern sie bergen vor allem auch ein erhebliches ökono-

misches Potenzial.

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Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 13

Arzneimitteltherapierisiken lauern „an

jeder Ecke“, damit aber die Arzneimit-

teltherapiesicherheit (AMTS) nicht zum

Schreckgespenst wird, sollten Apotheker

die für den Patientenalltag wichtigsten,

allgemeinen Aspekte kennen. Gerade

weil das Gebiet AMTS sehr umfangreich

ist und auch sehr speziell sein kann, fragt

man sich zu Recht, wie und wo man an-

fangen soll oder ob man mit seinen bis-

herigen Bestrebungen und Tätigkeiten

auf dem richtigen Weg ist. Man sollte

sich zunächst auf ganz wesentliche Din-

ge oder ein bestimmtes Themengebiet

konzentrieren. In diesem Artikel soll der

Anreiz gegeben werden, sich einmal in-

tensiver mit den (nicht-)Teilbarkeiten von

Arzneimitteln zu beschäftigen. Es handelt

sich keinesfalls um ein triviales Problem,

sondern hat für den Patientenalltag und

die Arzneimitteltherapiesicherheit ho-

he Relevanz. Besonders tückisch: Die Tei-

lung von Tabletten ist mit vielfältigen Ri-

siken verbunden, welche nicht als solche

vom Arzt oder Patienten wahrgenom-

men werden. Hier sind Apotheker gefor-

dert, durch Aufklärung Abhilfe zu schaf-

fen. Wichtig ist: Jeder Schritt in die rich-

tige Richtung kann dazu beitragen, die

Arzneimitteltherapiesicherheit zu verbes-

sern!

Risikoanfälliger Medikationsprozess

Als Hauptziel der AMTS wurde die Ge-

währleistung eines optimalen Medikati-

onsprozesses zur Vermeidung von Medi-

kationsfehlern formuliert.1 Folglich kann

der Medikationsprozess als Orientierung

dienen, um sich dem Thema AMTS zu nä-

hern. Ziemlich am Ende des Medikations-

prozesses steht die Einnahme durch den

Patienten. Wenn bis hierhin alles „gut ge-

gangen“ ist, kann leider an dieser Stelle

noch eine Menge schief gehen. Anhand

des oft durchgeführten Teilens von Arz-

neimitteln lässt sich sehr schön verdeut-

lichen, dass alle am Medikationsprozess

Beteiligten, also Ärzte, Apotheker, PTA,

Pflegekräfte, Angehörige und der Pati-

ent selbst, die Arzneimitteltherapie sicher

und erfolgreich gestalten aber auch Me-

dikationsfehler mit weitreichenden Kon-

sequenzen verursachen können. Beispiel-

hafte Fehlermöglichkeiten der einzelnen

Akteure beim Teilen von Arzneimitteln

sind:

• Ärzte könnten unkritisch die Teilung

eines Präparates anordnen, ohne zu

überprüfen, ob das Arzneimittel über-

haupt teilbar ist.

• Apotheker und PTA könnten verges-

sen, bei einem Präparate-/Hersteller-

wechsel zu hinterfragen, ob die Anfor-

derung „Teilbarkeit“ an das neue Prä-

parat besteht.

• Pflegekräfte könnten missachten, dass

bei der Teilung bestimmter Arzneimit-

tel gesundheitsgefährdende Stäube

eingeatmet werden können, weshalb

Dr. Verena Stahl (Herdecke) wurde an

der University of Florida als Semi-Resi-

dent im landesweiten Drug Information

& Pharmacy Resource Center ausgebil-

det. Dazu berufsbegleitende Dissertati-

on zu einem Thema der AMTS, Autorin

für die DAZ, Referententätigkeit, medi-

zinische Entwicklung RpDoc® Solutions

GmbH.

Dr. verena Stahl

13 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 13

Kein alter Hut: Problemfall TeilbarkeitenFast jeder Patient ist betroffen

Tabelle 1: Aus galenischer Sicht nicht teilbare feste orale Darreichungsformen und Auswirkungen bei unsachgemäßer Teilung.

nicht teilbare Darreichungsform Teilung führt zu

Weichgelatinekapseln Entleerung des flüssigen/pastösen Inhalts

Hartkapseln mit Pulver- oder Granulat-füllung

Ungleichförmig aufgeteiltem Inhalt

Magensaftresistent überzogene Tablet-ten

Zerstörung des magensaftresistenten Überzugs

Tabletten mit Retard-Überzug Verlust des Retardierungsprinzips, Dose-Dumping

Retardtabletten auf der Basis oraler osmotischer Systeme (OROS, Push-Pull-Technologie), z. B. Jurnista®, Concerta®, Cardular® PP

Verlust des Retardierungsprinzips, Dose-Dumping

Manteltabletten, Manteldragees, Zwei-schichttabletten, z. B. Adalat® SL 20 mg Tabletten mit veränderter Wirkstofffrei-setzung

Gleichzeitiger Freisetzung von Mantel und Kern, Verlust der zeitverzögerten Freisetzung der Einzelkomponenten

Dragees Ungleichen Bruchstücken

Sublingual-, Bukkaltabletten Zersetzung der Tablette unter Einfluss von Feuchtigkeit

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Problemfall Teilbarkeiten

entsprechende Schutzvorrichtungen

(Mundschutz, Handschuhe, keine Zu-

bereitung durch Schwangere) einzu-

halten sind.

• Angehörige könnten ein Präparat mit

hydrolyse- oder oxidationsempfind-

lichem Wirkstoff teilen und es aus Un-

wissenheit über den Wirkverlust für ei-

ne Woche im Voraus stellen.

• Patienten könnten zur Teilung von Ta-

bletten ungeeignete Techniken oder

Instrumente anwenden.

Alle Beispiele zeigen Risiken für die AMTS

im Bereich „Teilen von Arzneimittel“ auf,

die vermutlich eher die Regel als die Aus-

nahme sind. Denn welcher Angehörige ist

sich über Lagerungsinstabilitäten geteil-

ter Tabletten und einhergehender Quali-

täts- und Wirksamkeitsverlusten bewusst

und welche Pflegekraft trägt wirklich ei-

nen Mundschutz beim Teilen von Tablet-

ten? Hier entstehen Fehler aus Unwissen-

heit, die sich durch entsprechende Aufklä-

rung und Ratschläge adressieren lassen.

Unterbewertetes Risiko

Das Teilen von Arzneimitteln stellt immer

noch ein gemeinhin unterbewertetes Ri-

siko dar. Es ist nämlich meist nicht offen-

sichtlich, welche Risiken aus unsachgemäß

geteilten Arzneimitteln erwachsen kön-

nen oder welche Schwankungen in der

Wirkung – im Extremfall können Überdo-

sierung oder annähernde Wirkungslosig-

keit beobachtet werden – auf eine inadä-

quate Teilung zurückzuführen sind. Ge-

fürchtet ist das sogenannte Dose-Dum-

ping, also eine unbeabsichtigte Freiset-

zung des kompletten Wirkstoffdepots ei-

ner retardierten Formulierung innerhalb

kurzer Zeit, anstatt einer kontrollierten

Wirkstoffabgabe über einen verlänger-

ten Zeitraum. Patienten zeigen aufgrund

der veränderten Freisetzungskinetik und

den resultierenden höheren systemischen

Wirkspiegeln Symptome einer Überdosie-

rung (z. B. Schwindel bei Blutdrucksen-

kern, Atemdepression bei Opioiden). Ge-

rade bei Opioiden kann das Dose-Dum-

ping relevante Auswirkungen haben.

Wie kann es dazu kommen? Sehr schnell,

z. B. bei einem Präparatewechsel. So sind

einige Oxycodon-Retardtabletten teilbar

(z. B. Oxycodon-HCl-ratiopharm® 20 mg

Retardtablette), andere wiederum nicht

(z. B. Oxycodon-HCl HEXAL® 20 mg Re-

tardtablette). Wechselt der Patient von

einer teilbaren auf eine nicht teilbare Ta-

blette (oder gar eine Kapsel) und führt

wie gewohnt die Teilung durch, kommt es

zum gefährlichen Dose-Dumping. Dieser

Medikationsfehler, seine unerwünschten

Wirkungen und Schädigungen für den Pa-

tienten wären vermeidbar.

Die Sicht des Patienten

Für den Patienten ist es meist nicht er-

sichtlich, welche Tabletten geteilt wer-

den dürfen und welche nicht. Die Ge-

brauchsinformationen geben hierzu nur

manchmal Auskunft, sofern sie vom Pa-

tienten gelesen werden. Meist orientiert

sich der Patient an dem Vorhandensein ei-

ner Bruchrille, was aber nicht ausschließt,

dass auch Tabletten ohne Bruchrille unkri-

tisch geteilt werden, um der Anordnung

des Arztes nach einer halbierten (gedrit-

telten, geviertelten) Tablette zu entspre-

chen oder weil der Patient aufgrund von

Schluckbeschwerden keine ganzen Ta-

bletten einnehmen kann. Nicht selten

werden auch halbe Kapseln verordnet.

Hersteller geben mitunter an, dass die auf

der Tablette befindliche Bruchrille nur zur

Erleichterung der Einnahme dient und

nicht zur Aufteilung in gleiche Dosen ge-

eignet ist. Diese Information wird vom

Patienten (und gerne auch vom Arzt) ent-

weder übersehen oder als nicht relevant

abgetan. Bei manchen Präparaten finden

sich sogar irritierende Schmuckkerben,

die eine Teilbarkeit suggerieren, hierfür

aber nicht vorgesehen sind, auch nicht

zur Erleichterung der Einnahme. Dies al-

les kann der Patient nicht wissen! Ferner

kann ein Verlust der Wirksamkeit bei der

Teilung von Präparaten beobachtet wer-

den, die einen hydrolyse-, licht- oder oxi-

dationsempfindlichen Wirkstoff enthal-

ten und die nach der Teilung länger ge-

lagert werden (Beispiele siehe Tab. 2). Ta-

bletten sollten daher immer erst kurz vor

der Einnahme geteilt werden. Risiken für

eine erfolgreiche Arzneimitteltherapie

bestehen aber insbesondere auch, wenn

der Patient nicht in der Lage ist, eine ex-

akte Teilung durchzuführen. Um Tablet-

ten teilen zu können, bedarf es nämlich

einiger wichtiger Fähigkeiten, die oft un-

terschätzt werden. Hierzu zählen ausrei-

chendes Sehvermögen, Koordination, Fin-

gerkraft und Kognition. Fähigkeiten, die

insbesondere bei älteren Patienten nur

noch eingeschränkt vorhanden sind. Teil-

bare Tabletten werden dann unter groß-

en Anstrengungen der Patienten zu Brö-

seln oder ungleichen Bruchstücken zer-

teilt. Patienten verzweifeln darüber, trau-

en sich aber unberechtigterweise nicht,

dem Arzt oder Apotheker gegenüber ih-

re „Unfähigkeit“ einzugestehen und

nach Lösungen zu fragen. Zu guter Letzt

hat das Teilen von Tabletten oder die Ein-

14 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Abbildung 1: Kapseln dürfen nicht geteiltwerden. Foto: Fotolia / VIPDesign

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Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 15

Dr. verena Stahl

nahme geteilter Tabletten einen groß-

en Einfluss auf die Therapietreue (Adhä-

renz) des Patienten. Würden Sie etwa der

Wirkung einer halben Schlaftablette ver-

trauen? Keine „vollwertige“ Dosis zu er-

halten, wird von vielen Patienten bei ge-

wissen Indikationen schlichtweg nicht ak-

zeptiert. Wenn Ärzte beispielsweise bei

älteren Patienten beachten würden, dass

die Dosierung der meisten Benzodiaze-

pine und Z-Substanzen altersabhängig

anzupassen ist, sollten sie aus Adhärenz-

gründen und wegen eventueller Handha-

bungsprobleme keine halben Tabletten

verordnen. Die Verordnung sollte dann

beispielsweise nicht eine halbe Tablette

Zopiclon 7,5 mg lauten, sondern eine Ta-

blette der gerade für ältere Patienten ge-

eigneten Wirkstärke 3,75 mg, welche von

einigen Herstellern angeboten wird. Die

Verordnung von halben Schlaftabletten

sollte auch deswegen nicht getätigt wer-

den, da Hypnotika per se keine Dauerme-

dikation darstellen sollten, die es erlau-

ben würde, die verbleibende Hälfte als-

bald aufzubrauchen.

Studien aus der Praxis

In einer groß angelegten Untersuchung

Heidelberger Wissenschaftler, welche

2006 veröffentlicht wurde, konnte ge-

zeigt werden, dass jede vierte Tablette

ambulant behandelter Patienten geteilt

wurde.2 Annähernd 10 % der geteilten

Tabletten wiesen keine Bruchkerbe auf

und meist fanden sich in der Gebrauchsin-

formation keine Teilbarkeitsangaben. Als

weiteres wesentliches Ergebnis konnte

festgestellt werden, dass ca. 4 % der ge-

teilten Tabletten explizit nicht zur Teilung

geeignet sind, da zum Beispiel Filmüber-

züge zur Retardierung oder Magensaft-

resistenz zerstört werden. Noch alarmie-

rendere Ergebnisse lieferte eine Studie

des Gesundheitsamts Hamm zur Teilung

von Tabletten in 23 Alten- und Pflege-

heimen.3 Für 58 % der geteilten Arznei-

mittel gab es niedriger dosierte Alterna-

tiven, die die Verabreichung einer ganzen

Tablette ermöglicht hätten. Ca. 11 % der

geteilten Tabletten durften laut Angaben

der Fachinformation oder der Gelben Li-

ste nicht geteilt werden. Aufgrund der Er-

gebnisse wurden Qualitätsoffensiven ge-

startet, um die betroffenen Ärzte und

Pflegeheime für die Problematik des Ta-

blettenteilens zu sensibilisieren.

Erforderliche Kraft

Besonders Senioren, aber auch Patienten

mit arthritischen Erkrankungen, Diabe-

15 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 15

RISIKEn BEIM TEILEn vOn ARZ-nEIMITTELn:• Dosierungenauigkeiten

• Dose-Dumping

• Wirksamkeitsverlusten

• Adhärenzproblemen

RISIKEn BEIM TEILEn vOn ARZ-nEIMITTELn:Für das Teilen von Tabletten gibt es

aber auch einige legitime Beweggrün-

de, sofern die Teilung vom Hersteller

vorgesehen ist und exakt erfolgt:

• Aufdosieren (z. B. Betablocker) oder

Ausschleichen (z. B. Glucocorticoide)

• Niedrige Dosis aufgrund von Patien-

tenfaktoren wie Alter, Nieren- oder

Leberfunktionseinschränkungen er-

forderlich

• Häufig wechselnde Dosierung in Ab-

hängigkeit von Laborwerten (z.  B.

Phenprocoumon)

• Schluckbeschwerden

• Die meist ökonomisch motivierte

(Arzt: Budget, Patient: Zuzahlung)

Teilung von Tabletten ist aber wohl

der häufigste Grund. Ein übertrie-

bener Sparzwang birgt leider oft

AMTS-Risiken

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 15

Dr. Verena Stahl

nahme geteilter Tabletten einen groß-

en Einfluss auf die Therapietreue (Adhä-

renz) des Patienten. Würden Sie etwa der

Wirkung einer halben Schlaftablette ver-

trauen? Keine „vollwertige“ Dosis zu er-

halten, wird von vielen Patienten bei ge-

wissen Indikationen schlichtweg nicht ak-

zeptiert. Wenn Ärzte beispielsweise bei

älteren Patienten beachten würden, dass

die Dosierung der meisten Benzodiaze-

pine und Z-Substanzen altersabhängig

anzupassen ist, sollten sie aus Adhärenz-

gründen und wegen eventueller Handha-

bungsprobleme keine halben Tabletten

verordnen. Die Verordnung sollte dann

beispielsweise nicht eine halbe Tablette

Zopiclon 7,5 mg lauten, sondern eine Ta-

blette der gerade für ältere Patienten ge-

eigneten Wirkstärke 3,75 mg, welche von

einigen Herstellern angeboten wird. Die

Verordnung von halben Schlaftabletten

sollte auch deswegen nicht getätigt wer-

den, da Hypnotika per se keine Dauerme-

dikation darstellen sollten, die es erlau-

ben würde, die verbleibende Hälfte als-

bald aufzubrauchen.

Studien aus der Praxis

In einer groß angelegten Untersuchung

Heidelberger Wissenschaftler, welche

2006 veröffentlicht wurde, konnte ge-

zeigt werden, dass jede vierte Tablette

ambulant behandelter Patienten geteilt

wurde.2 Annähernd 10 % der geteilten

Tabletten wiesen keine Bruchkerbe auf

und meist fanden sich in der Gebrauchsin-

formation keine Teilbarkeitsangaben. Als

weiteres wesentliches Ergebnis konnte

festgestellt werden, dass ca. 4 % der ge-

teilten Tabletten explizit nicht zur Teilung

geeignet sind, da zum Beispiel Filmüber-

züge zur Retardierung oder Magensaft-

resistenz zerstört werden. Noch alarmie-

rendere Ergebnisse lieferte eine Studie

des Gesundheitsamts Hamm zur Teilung

von Tabletten in 23 Alten- und Pflege-

heimen.3 Für 58 % der geteilten Arznei-

mittel gab es niedriger dosierte Alterna-

tiven, die die Verabreichung einer ganzen

Tablette ermöglicht hätten. Ca. 11 % der

geteilten Tabletten durften laut Angaben

der Fachinformation oder der Gelben Li-

ste nicht geteilt werden. Aufgrund der Er-

gebnisse wurden Qualitätsoffensiven ge-

startet, um die betroffenen Ärzte und

Pflegeheime für die Problematik des Ta-

blettenteilens zu sensibilisieren.

Erforderliche Kraft

Besonders Senioren, aber auch Patienten

mit arthritischen Erkrankungen, Diabe-

15 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/ der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 15

RISIkEN BEIM TEIlEN VoN ARz-NEIMITTElN:• Dosierungenauigkeiten

• Dose-Dumping

• Wirksamkeitsverlusten

• Adhärenzproblemen

BEWEGGRüNDE füRDAS TEIlEN:Für das Teilen von Tabletten gibt es

aber auch einige legitime Beweggrün-

de, sofern die Teilung vom Hersteller

vorgesehen ist und exakt erfolgt:

• Aufdosieren (z. B. Betablocker) oder

Ausschleichen (z. B. Glucocorticoide)

• Niedrige Dosis aufgrund von Patien-

tenfaktoren, wie Alter, Nieren- oder

Leberfunktionseinschränkungen er-

forderlich

• Häufig wechselnde Dosierung in

Abhängigkeit von Laborwerten

(z. B. Phenprocoumon)

• Schluckbeschwerden

• Die meist ökonomisch motivierte

(Arzt: Budget, Patient: Zuzahlung)

Teilung von Tabletten ist aber wohl

der häufigste Grund. Ein übertrie-

bener Sparzwang birgt leider oft

AMTS-Risiken

Tabelle 2: Aus pharmazeutischer Sicht sind einige Wirkstoffe/Präparate für eine Teilung ungeeignet, Gründe und Beispiele sind angefügt.

zur Teilung ungeeigneter/s Wirkstoff/Präparat

Gründe Beispiele

Wirkstoffe mit geringer therapeutischer Breite

Gefahr der Dosierungenauigkeit, Wirkungsschwankung

Digitalisglykoside, Antikonvulsiva

Sehr niedrig dosierte Wirk-stoffe

Gefahr der ungleichen Wirkstoff-verteilung in den Bruchstücken

Vitamin B 12-Tablet-ten mit 10 µg Cya-nocobalamin

Schlecht oder nicht exakt teilbare Präparate

Gefahr der Dosierungenauigkeit Tabletten mit ge-ringer Masse (< 50-60 mg) oder großer Härte

Präparate, bei denen nied-rigere Wirkstärken verfüg-bar sind

Teilung immer 2. Wahl Viele Beispiele

Präparate mit hydrolyse-, oxidations- oder lichtemp-findlichen Wirkstoffen

An der Bruchstelle dringt Feuch-tigkeit und Sauerstoff ein, ein eventuell aufgebrachter Licht-schutz ist an der Bruchstelle ebenfalls nicht mehr vorhanden. Unvorhersehbare Reaktionen können durch Kontakt mit ande-ren Arzneistoffen entstehen.

Nifedipin, Vitamine, Molsidomin, Johan-niskraut-Trockenex-trakt

Wirkstoffe mit unange-nehmem Geruch oder Ge-schmack

An der Bruchstelle offenbart sich der unangenehme Geruch oder Geschmack.

Penicilline

CMR-Wirkstoffe Gefahr des Einatmens von ge-fährlichen Stäuben; Teilung meist aufgrund dessen verboten.

Retinoide, Virustati-ka, orale Zytostatika

Page 16: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

Problemfall Teilbarkeiten

tiker, oder andere Patienten mit moto-

rischen Funktionseinschränkungen ha-

ben nicht mehr die zur Teilung einer Ta-

blette erforderliche Kraft in den Fingern

(Abb. 2). In einer Untersuchung von Kir-

cher4 aus dem Jahr 2009 war zur Teilung

von Metformin-Tabletten eine Kraft von

100 bis 200 Newton erforderlich, die Ziel-

gruppe der Diabetiker kann diese hohen

Gewichtskräfte aber oft nicht aufbringen.

Sofern Tabletten geteilt werden dürfen

und der Patient die hierfür erforderlichen

Fähigkeiten besitzt, ist die Kenntnis der

unterschiedlichen manuellen Teilungs-

techniken essentiell, um erfolgreiche Re-

sultate zu erzielen (Abb. 3).

a) Einseitig gewölbte Tabletten mit tie-

fen Bruchkerben/Bruchkerben mit

großem Winkel werden mit der ge-

wölbten Seite nach unten auf ei-

ne harte Unterlage gelegt und dann

durch kräftigen Druck auf die ge-

kerbte Seite geteilt.

b) Flache Tabletten mit oberflächlicher

Bruchkerbe werden mit Daumen und

Zeigefinger beider Hände gehalten

(Zeigefinger oben, Daumen unten)

und entlang der Bruchkerbe nach

unten über die Daumennägel weg-

gebrochen

c) Flache Tabletten mit oberflächlicher

Bruchkerbe (siehe B) werden häufig

auch geteilt, indem man sie auf den

Zeigefingern beider Hände ruhen

lässt und mit den Daumen Druck auf

beide Hälften entlang der Bruchker-

be ausübt.

d) Flache Tabletten mit breitwinkliger

Bruchkerbe werden mit der Bruch-

kerbe nach unten auf eine harte Un-

terlage gelegt und dann durch kräfti-

gen Druck auf die glatte Seite geteilt.

Tablettenteiler

Tablettenteiler sollen das Teilen gera-

de für ältere Patienten erleichtern, weil

durch ihre Verwendung ein geringerer

Kraftaufwand erforderlich ist als durch

manuelles Teilen. Andererseits besteht

für betagte Patienten bereits im Einlegen

des zu teilenden Gutes und in der Entnah-

me der Hälften aufgrund der erforder-

lichen Feinmotorik eine große Herausfor-

derung. Aber auch die Verwendung eines

Tablettenteilers ist häufig mit Fehlbrü-

chen behaftet oder für bestimmte prin-

zipiell teilbare Tabletten nicht geeignet,

zum Beispiel drittelbare Tabletten. Tablet-

tenteiler werden meist in Form eines auf-

klappbaren Kästchens oder Dose angebo-

ten. Die zu teilende Tablette wird in ei-

ner Haltevorrichtung im Unterteil fixiert

und dann durch zügiges Schließen des

Deckels und der darin befindlichen Klinge

gespalten. Untersuchungen des Zentral-

laboratoriums Deutscher Apotheker (ZL)

zu Tablettenteilern lieferten im Jahr 2011

16 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Abbildung 2: Besonders ältere Patienten haben Handhabungsschwierigkeiten. Foto: Fotolia / Nenov Brothers

a b

c d

Abbildung 3: Unterschiedliche Teilungstechniken. Grafik: Pharmazeutische Zeitung

Page 17: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

Dr. verena Stahl

ernüchternde Resultate.5 Die Teilungs-

genauigkeit von sechs verschiedenen Ta-

blettenteilern sowie die Teilung per Be-

steckmesser und die manuelle Teilung

wurden gemäß den Bestimmungen des

Europäischen Arzneibuchs anhand von

zwölf Präparaten mit unterschiedlich ge-

stalteten Bruchkerben oder ohne Bruch-

kerbe überprüft. Der beste Tablettentei-

ler erfüllte nur bei neun von zwölf Prä-

paraten die Anforderungen der Ph.Eur.,

ebenso wie das Küchenmesser, gefolgt

von der manuellen Teilung (sieben Präpa-

rate). Das ZL schlussfolgerte, dass Tablet-

tenteiler nicht für alle Tabletten geeignet

sind und auch nicht vorhersehbar ist, wel-

che Tabletten sich besonders gut oder be-

sonders schlecht teilen lassen (Abb. 4).

So schleichen sich halbierte Tabletten ein

Sehr häufig kann folgender Prozess be-

obachtet werden: Ein Patient erhält auf-

grund von Ödemen ein Diuretikum, bei-

spielsweise Xipamid Abz 20 mg Tabletten.

Nach einiger Zeit bessert sich der Zustand

des Patienten und der behandelnde Arzt

empfiehlt, die Dosis zu reduzieren. Da der

Patient noch genügend Tabletten bevor-

ratet hat, erscheint die Teilung der Tablet-

te (sofern „technisch“ überhaupt mög-

lich, in diesem Falle ja) als ökonomisch

logische Konsequenz, um den Inhalt der

angebrochenen Packung aufzubrau-

chen. Die Dosis 10 mg zeigt angenommen

beim Patienten eine ausreichende Wirk-

samkeit und wird daher bei zukünftigen

Verordnungen beibehalten. Leider wird

aber auch – vermutlich aus Bequemlich-

keit oder den oben genannten Budget-

gründen – die Verordnung des ursprüng-

lichen Präparats (20 mg) aus der Arztsoft-

ware heraus beibehalten und nicht mehr

geprüft, ob auch ein Präparat mit der ent-

sprechend niedrigeren Wirkstärke 10 mg

vorhanden wäre. Dem Patienten ist zu-

meist nicht klar, dass es auch eine gerin-

gere Wirkstärke gibt, die die Einnahme ei-

ner ganzen Tablette ermöglichen würde.

Er nimmt daher die mit der Teilung even-

tuell verbundenen Schwierigkeiten hin.

Informationen zur Teilbarkeit

Nicht alle pharmazeutischen Unterneh-

mer geben in den Fach- und Gebrauchsin-

formationen detailliert an, ob und gege-

benenfalls wie ein Präparat geteilt wer-

den kann (nicht nachvollziehbar, da die Er-

gebnisse einer Prüfung auf Teilbarkeit bei

der Zulassung angegeben werden müs-

sen). Oft ist dann die fachliche Einschät-

zung beziehungsweise die Recherchetä-

tigkeit des Apothekenteams gefordert. Es

erfordert jedoch Zeit, Angaben zur Teil-

barkeit von Tabletten zu recherchieren.

Einige pharmazeutischen Unternehmer

bieten im geschützten Fachkreis-Bereich

ihrer Homepage (Zugang meist per Doc-

Check-Passwort möglich) vorbildliche In-

formationen an, stellen Übersichtslisten

per Download zur Verfügung oder bie-

ten gar anschauliche Informationsvideos

für Patienten zum richtigen Teilen von Ta-

bletten an.6 Mitunter müssen Apotheker

und PTA aber auch die medizinisch-wis-

senschaftliche Abteilung eines Herstellers

kontaktieren, um entsprechende Teilbar-

keits-Informationen einzuholen. Die Hin-

weise der Gelben Liste (www.gelbe-liste.

de) sind ebenfalls hilfreich und schnell

verfügbar, allerdings auch nicht vollstän-

dig, da sie auf den Angaben der Herstel-

ler aufbauen. Es kann angezeigt werden,

ob eine Arzneiform generell nicht teil-

bar ist oder dank einer Bruchkerbe ge-

teilt werden kann. Kann die Arzneiform

darüber hinaus auch in gleiche Dosen ge-

teilt werden, wird dies als separate Infor-

mation angegeben. Ist das Gegenteil der

Fall, kann die Arzneiform also nur zur Er-

leichterung der Einnahme geteilt wer-

den, finden sich auch hierzu Informatio-

nen. Bei teilbaren Präparaten wird zudem

angegeben, in wie viele Teile geteilt wer-

den kann. Beispielsweise findet sich in der

Gelben Liste bei dem Präparat Haldol®-

Janssen 1 mg Tabletten folgende Infor-

mationskette: „Teilbar“, „in vier Teile teil-

bar“, „teilbar zum erleichterten Schlu-

cken“. Bei dem wirkstoff- und wirkstär-

kengleichen Präparat Haloperidol-neu-

raxpharm® 1 mg Tabletten sind folgende

17 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 17

Abbildung 2: Nicht immer ergeben sich gleiche Bruchstücke. Foto: Fotolia / DXfoto.com

Page 18: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

18 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 18

Informationen verfügbar: „Teilbar“, „in

zwei Teile teilbar“, „teilbar in gleiche Do-

sen“. An diesem Beispiel zeigt sich sehr

gut, wie unterschiedlich die in der Zu-

lassung verankerten Teilbarkeitsmöglich-

keiten je nach Hersteller sind und welche

Probleme sich dadurch bei einem Präpa-

ratewechsel ergeben können.

Kritik:

In vielen Fach- und Gebrauchsinforma-

tionen werden bezüglich der Möglich-

keit zur Teilbarkeit von Arzneimitteln kei-

ne oder nur unzureichende Angaben ge-

macht, von rühmlichen Ausnahmen ein-

mal abgesehen. So wird bei vielen Präpa-

raten in der Fachinformation im Abschnitt

„Darreichungsform“ zwar angegeben,

dass das Präparat über eine Bruchrille ver-

fügt, aber im weiteren Textverlauf, zum

Beispiel im Abschnitt „Art und Dauer der

Anwendung“, wird nicht weiter darauf

eingegangen. In den Gebrauchsinforma-

tionen, die dazu bestimmt sind, den Pa-

tienten zu informieren, finden sich An-

gaben zu Bruchrillen im allerletzten Ab-

schnitt „Inhalt der Packung und weitere

Informationen“. Falls der Patient die Mu-

ße hatte, bis zuletzt zu lesen und die ge-

naue Wirk- und Hilfsstoffzusammenset-

zung studiert hat, folgen dann erst Anga-

ben zum Aussehen der Darreichungsform,

abgerundet von der Anschrift des phar-

mazeutischen Unternehmers und Herstel-

lers. Wünschenswert wären verpflichten-

de Angaben in den Fach- und Gebrauchs-

informationen zum Vorhandensein von

Bruchrillen, zur Möglichkeit der Teilbar-

keit, wobei eine „echte“ Teilbarkeit von

einer Teilbarkeit zur Erleichterung der

Einnahme unterschieden werden muss

und zur Anzahl der Teilungsmöglich-

keiten. In den Gebrauchsinformationen

könnten schematische Abbildungen hel-

fen, dem Patienten die vorgesehene Tei-

lungstechnik zu erläutern. Zusätzlich auf

dem Umkarton angebrachte, eindeutige

Symbole wären ebenfalls sehr zu begrü-

ßen.

Ins Gespräch kommen

Selten ist auf dem Rezept vermerkt, in

welcher Dosierung der Patient sein Arz-

neimittel einnehmen soll. Wie kann man

also feststellen, welche Patienten vor

der Herausforderung des Tablettentei-

lens stehen? Um Probleme nicht per Zu-

fall aufzudecken, könnte sich hier eine

systematische Vorgehensweise anbieten,

beispielsweise an einem Stich-/Informa-

tionstag. Möglichst viele Patienten, be-

sonders die älteren und diejenigen mit

motorischen Einschränkungen (durch

z. B. M. Parkinson, rheumatoide Arthri-

tis, Gicht) oder neurologischen Grunder-

krankungen (z. B. Zustand nach Schlagan-

fall, Neuropathien) sollten befragt wer-

den. Die Einstiegsfrage könnte zum Bei-

spiel lauten: „Nehmen sie derzeit Tablet-

ten ein, die sie teilen müssen?“. Antwor-

tet der Patient mit „Ja“, kann man sich

erkundigen, welche Präparate der Pati-

ent wie teilt, wie ihm dies gelingt oder ob

er Schwierigkeiten bei der Teilung hat. Im

Gesprächsverlauf sollte angeboten wer-

den, die faktische Teilbarkeit der Tablet-

ten zu überprüfen. Auch die unterschied-

lichen Teilungstechniken sind vielen Pa-

tienten nicht geläufig und könnten ein-

geübt werden (siehe Abb. 3). Patienten

sollten nicht nur im Rahmen eines Infor-

mationstages, sondern generell aktiv an-

gesprochen werden, wenn ein Herstel-

ler-/Präparatewechsel aufgrund eines ge-

änderten Rabattvertrags erforderlich ist.

Häufig ergibt sich hier die Problematik,

dass ein Präparat, welches vormals vom

Patienten geteilt wurde und auch ge-

teilt werden konnte, gegen ein Präparat

ausgetauscht werden soll, welches nicht

in der gewünschten Form teilbar ist (si-

ehe oben). Hier sollte man Rücksprache

mit dem behandelnden Arzt halten, um

einerseits auf die Problematik im Allge-

Problemfall Teilbarkeiten

Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 1818 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

meinen aufmerksam zu machen und für

den konkreten Fall eine Lösung zu erwir-

ken. Vorteilhaft für die Gesprächsführung

ist, wenn man bereits einen Lösungsvor-

schlag anbieten kann. Ist der behandeln-

de Arzt nicht zu erreichen, sollte die Mög-

lichkeit genutzt werden, pharmazeu-

tische Bedenken geltend zu machen, da

durch den Präparatetausch die Arzneimit-

teltherapiesicherheit und der Therapieer-

folg gefährdet sind.

Kuriositäten

Azathioprin, ein Wirkstoff mit CMR-Ei-

genschaften (carcinogen, mutagen, re-

produktionstoxisch) wird von einigen

Herstellern mit Schmuckkerbe angebo-

ten. Man kann nur hoffen, dass der Ver-

weis in den Fachinformationen, dass die-

se Schmuckkerbe nicht zum Teilen der Ta-

blette dient, gelesen wird. Die Firma ra-

tiopharm bietet erfreulicherweise zwei

Wirkstärken an, 25 mg und 50 mg, stattet

aber das 50 mg-Präparat mit einer Bruch-

kerbe aus. In der Fachinformation ist der

vorsichtig formulierte Hinweis zu lesen:

„Eine Halbierung der Filmtablette sollte

vermieden werden, außer wenn dies für

das ausschleichende Absetzen notwendig

ist. Falls notwendig, sollte für eine ange-

messene Dauerdosierung die 25-mg-Stär-

ke (Azathioprin-ratiopharm® 25 mg Film-

tabletten) verwendet werden.“7

Tablettenteiler sollten stets sorgfältig ge-

reinigt werden, wie folgender Fallbericht

nahelegt, der im American Journal of Me-

dicine veröffentlicht wurde.8 Eine 45-jäh-

rige Frau wurde bei ihrem Internisten

wegen vermindertem Appetit, Übelkeit,

Schwäche und Gewichtsverlust vorstel-

lig. Die Symptome hätten eine Woche

nach dem Tod ihres Hundes angefangen.

Nach ausführlicher Diagnostik konnte ei-

ne Suppression der ACTH-Sekretion und

damit eine sekundäre Nebennierenrin-

deninsuffizienz (NNR-Insuffizienz) festge-

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Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 19

stellt werden, welche meist auf eine lang-

dauernde Glucocorticoidtherapie zurück-

zuführen ist. Die Frau hatte aber weder

orale, inhalative noch topische Glucocor-

ticoide angewendet. Es konnte schließ-

lich nachvollzogen werden, dass die Pati-

entin jahrelang denselben Tablettenteiler

für ihre Medikation und die ihres Hundes

verwendet hatte. Dieser erhielt zweimal

täglich zur Behandlung eines M. Addison

Prednison, welches von seinem Frauchen

in einem Tablettenteiler geviertelt wur-

de, gleichzeitig verwendete sie den Ta-

blettenteiler zur Teilung ihrer Antidepres-

siva. Nachdem der Hund verstarb, entfiel

dieses Prozedere, woraufhin sich die kli-

nischen Anzeichen ihrer NNR-Insuffizienz

bemerkbar machten. Die Autoren schluss-

folgern, dass die jahrelange Nutzung

eines Tablettenteilers innerhalb eines

Haushalts nicht unerhebliche Risiken ber-

gen kann.

Worauf kann ich ab morgen achten?

• Fragen Sie bei jedem (rabattvertrags-

bedingtem) Präparate-/Hersteller-

wechsel nach, ob das Präparat geteilt

werden muss.

• Falls Patienten Tabletten teilen müs-

sen, zeigen Sie ihnen die Techniken,

wie sich Tabletten besonders leicht tei-

len lassen (siehe Abb. 3).

• Geben Sie bei der Abgabe von gale-

nisch nicht teilbaren Darreichungs-

formen (siehe Tab. 1) den Hinweis, dass

die Präparate nicht geteilt oder zer-

kaut werden dürfen. Hier landet man

unter Umständen den einen oder an-

deren Zufallstreffer, dass Patienten die

Präparate bisher doch geteilt haben.

Was sollte in der nächsten Teamsitzung

besprochen werden?

• Techniken des Tablettenteilens (siehe

Abb. 3) auffrischen.

• Vorgehensweise zur aktiven Anspra-

che von Patienten zu Teilbarkeiten ih-

rer Medikation festlegen.

Referenzen & Literatur1 Aly, A.-F. et al. Ein „Was ist Was“ der Sicherheit.

Dtsch Arztebl 2014, 111 (44): A-1892 / B-1618 / C-1550

2 Quinzler, R. et al. The frequency of inappropri-ate tablet splitting in primary care. Eur J Clin Pharmacol 2006, 62 (12): 1065–1073.

3 Stapel, U. Qualitätssicherung in der Heimversor-gung. Pharmazeutische Zeitung 2014, (22).

4 Kircher, W. Wie anwenderfreundlich sind „leicht teilbare Tabletten“? Deutsche Apotheker Zei-tung 2009, 149 (7).

5 Tawab, M. et al. Messer sind nicht so schlecht wie ihr Ruf. Deutsche Apotheker Zeitung 2011, 151 (43): 84–87.

6 CT Arzneimittel. Tabletten richtig teilen. http://www.ct-arzneimittel.de/praeparate/comp-

liance-ct/tabletten-richtig-teilen.html (letzter Aufruf am 24.02.2015).

7 Fachinformation Azathioprin-ratiopharm® 25/50 mg Filmtabletten. Stand: Februar 2014.

8 Thapa, S. und Salvatori, R. The American Jour-nal of Medicine 2012, 125 (11): e7. DOI: http://dx.doi.org/10.1016/j.amjmed.2012.04.012 (letz-ter Zugriff am 24.02.2015).

Dr. verena Stahl

19 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 19

ZUSAMMEnFASSUnG:Das Teilen von Arzneimitteln ist

in manchen Fällen gerechtfertigt,

wenn zum Beispiel ein Arzneimit-

tel ausschleichend dosiert werden

soll. Dabei, wie auch bei der Teilung

aus anderen Gründen ist jedoch zu

beachten, dass das entsprechende

Präparat überhaupt teilbar ist. Eine

unsachgemäße Teilung birgt viel-

fältige Risiken, wird aber gemein-

hin von Patienten, Angehörigen,

Pflegepersonal und Ärzten nicht

als Risiko wahrgenommen. Die Aus-

wirkungen können gravierend sein,

besonders gefürchtet ist das Dose-

Dumping. AMTS-relevante Handha-

bungsprobleme und Unsicherheiten

bei der Teilung von Arzneimitteln

würden sich erübrigen, wenn Ärzte

auf die Verordnung von geteilten

Tabletten verzichten würden, so-

fern passende Wirkstärken vorhan-

den sind.

Page 20: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

Dr. Thomas Kühn, Zahnarzt

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Page 21: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 21

Dr. Helge Prinz

Zum Apothekenalltag gehört der Um-

gang mit gefährlichen Stoffen unter-

schiedlichster Art. Dazu gehören z.  B.

Ausgangsstoffe und Reagenzien zur Her-

stellung und Prüfung von Arzneistoffen,

entzündbare Flüssigkeiten oder auch di-

verse Chemikalien für gewerbliche An-

wender (Labore, ärzte, Handwerker)

oder Privatpersonen (Freizeit, Hobby

etc.). Mit der vierten verordnung zur än-

derung der Apothekenbetriebsordnung

(ApBetrO) aus dem Jahr 2012 wurden de-

taillierte vorgaben zur Laborausstattung

gestrichen und Apothekenleiter können

mittlerweile weitgehend selbst entschei-

den, welche modernen und dem Stand

von Wissenschaft und Technik entspre-

chenden Prüfgeräte und Prüfmittel an-

geschafft werden. Infolgedessen wer-

den vermehrt alte Ausgangsstoffe so-

wie Reagenzien, die nicht benötigt wer-

den oder geminderte Qualität aufweisen,

entsorgt. Der Reagenziensatz nach der

alten ApBetrO von 1987 umfasste 63 Ge-

rätschaften, 258 Prüfmittel und 14 Maß-

lösungen. In vielen, insbesondere älteren

Apotheken findet man die Reagenzien

und Ausgangsstoffe früherer Pharmako-

pöen und damit eine größere Anzahl ver-

mutlich nicht mehr benötigter Substan-

zen. Aufbewahrung und Handhabung

bergen bei bestimmten Chemikalien ein

nicht zu unterschätzendes Gefahrenpo-

tenzial. Eine kleine Auswahl solcher Alt-

bestände, basierend auf Aufnahmen des

verfassers, zeigt Abb. 1.

Neben größeren Mengen an Quecksilber-

salzen, Arsenit-haltiger Lösung (Liquor

Kalii arsenicosi, Fowlersche Lösung) fan-

den sich in einer Apotheke aus den fünf-

ziger Jahren selbst einige mit Blausäure-

Lösung gefüllte Glasampullen (Abb. 2).

Das Herstelleretikett (Fa. Bengen & Co.,

Hannover) lässt in diesem Fall auf eine

ehemals veterinärmedizinische Verwen-

dung der Ampullen schließen, vermutlich

zum Zwecke der Euthanasie bei Tieren.

Das Blausäure-Präparat wurde offenbar

schon 1976 vom Markt genommen.1 Eine

Auswahl ganz unterschiedlicher „apothe-

kenüblicher“ Stoffe mit Gefahrenpoten-

zial zeigt die folgende Aufstellung:

• Aceton Ph. Eur.

- Pharmazeutische Analytik, Labora-

torien, Lösungsmittel

- Ausgangsstoff Arzneimittelherstel-

lung

• Kaliumdichromat Reag. Ph. Eur.

- Reagenz Ph. Eur.

• 2-Propanol reinst Ph. Eur. (Isopropa-

nol)

- Lösungsmittel, Flächendesinfektion

• Glycolsäure

- in Gelform zur Aknebehandlung

• Benzin DAB (Wundbenzin), Petrol-

ether 40/65

• Ammoniaklösung 25 % techn. (Salmi-

akgeist), Ammoniak-Lösung 10 % DAB

- Reinigung von Oberflächen, Fen-

stern

Der Chemie(un)fall in der ApothekeZum praktischen Umgang mit ausgewählten Gefahrstoffen im Apothekenbetrieb

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 21

Dr. Helge Prinz (Münster) ist Apotheker

und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am

Institut für Pharmazeutische und Me-

dizinische Chemie der Westfälischen

Wilhelms-Universität Münster. In Mainz

studierte er Pharmazie und promovierte

an der Uni Regensburg.

Abbildung 1: Gefahrstoffe in der Apotheke – eine Auswahl.

Dr. Thomas Kühn, Zahnarzt

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22 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Der Chemie(un)fall in der Apotheke

22 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

• Kaliumpermanganat reinst Ph. Eur.

- Monographie Ph. Eur., Reagenz Ph.

Eur.

- Antiseptisch, Bekämpfung bakteri-

eller Infektionen und äußerer Para-

siten bei Fischen

• Natriumhypochlorit-Lösung 12,5 %

(Chlorbleichlauge)

- Als Bleichmittel oder zur Desinfek-

tion (Stallungen, Latrinen, Kabel-

schächte)

- Natriumhypochlorit-Lösung, Rea-

genz der Ph. Eur.

- Verdünnte Hypochloritlösungen in

der Zahnheilkunde zur Wurzelkanal-

behandlung (1 % und 3 % DAC)

• Ether (Diethylether)

- Lösungsmittel, Rezeptursubstanz

• Oxalsäure, Ameisensäure, Milchsäure

Ph. Eur.

- z. B. Bekämpfung der Varroamilbe

(Varroa destructor)

• Salzsäure 36 %, 10 % Ph. Eur.

- Für Ätzzwecke

• Wasserstoffperoxid-Lösung 30 %, 3 %

Ph. Eur.

- Bleichmittel (Zähnebleichen, „blea-

ching“), Desinfektion, Bleichen von

Geweihen, Knochen, Schimmelbe-

kämpfung

In jüngster Zeit finden sich einige Bei-

spiele für sogenannte „Chemieunfälle“

im Apothekenbetrieb. Vor einiger Zeit

sorgte ausgelaufene Kresylsäure – es war

wohl letztlich eine Art Seifenlauge –  für

einen Feuerwehreinsatz.2 Die obsolete

Bezeichnung Kresylsäure, eine ältere Be-

zeichnung für ein Kresol (o-, m- oder p-

Hydroxytoluol), lässt hier auf einen Altbe-

stand schließen. Auch entsorgte ein Apo-

thekenbetrieb Chemikalien über das Ab-

wassersystem,3 was mittlerweile eine Be-

währungstrafe nach sich gezogen hat.4

Seit dem Jahr 2008 bis dato sorgt auch das

„Pikrinsäurefieber“5 öffentlichkeitswirk-

sam durch Räumung von Gebäuden und

kontrollierte Sprengungen für Schlagzei-

len.

An anderer Stelle löste eine geringe Men-

ge eines zu Boden gegangenen Prüfrea-

genzes – es handelte sich um ca. 30 mL

Piperidin – einen Großeinsatz der Berufs-

feuerwehr aus.6 Einsätze dieser Art er-

scheinen unverhältnismäßig, von den

entstehenden Kosten und der Öffentlich-

keitswirkung ganz zu schweigen. Die un-

beabsichtigte Freisetzung einer so klei-

nen Menge an organischer Base  –  die

Menge ist natürlich nicht immer entschei-

dend  –  wäre mit chemischem Sachver-

stand und unter Beachtung der Stoffei-

genschaften durch qualifiziertes Personal

und mit den geeigneten Maßnahmen in-

nerhalb weniger Minuten sicherlich pro-

blemlos zu beseitigen gewesen (s. u.).

Kleinere oder größere Unfälle sind in

einem chemischen Labor zwar nicht unbe-

dingt an der Tagesordnung, können aber

jederzeit vorkommen. Oft ist es einem

Routineeffekt zuzuschreiben („Haben wir

immer so gemacht, ist noch nie was pas-

siert...“), dass eigentlich angebrachte Si-

cherheitsmaßnahmen außer Acht gelas-

sen werden. Im Falle einer unbeabsich-

tigten Stofffreisetzung und auch bei allen

Maßnahmen zur Chemikalienentsorgung,

Desaktivierung und Kleinstmengenbesei-

tigung gilt es, überlegt zu handeln. Pa-

nik ist in solchen Situationen ein schlech-

ter Ratgeber. Im Folgenden sollen an-

hand ausgewählter Stoffbeispiele auf

Gefahren potenziale eingegangen sowie

Sofortmaßnahmen zur Desaktivierung

oder Beseitigung aufgezeigt werden.

Generelle Aspekte der Unfallvermeidung

im Labor

„Unfälle geschehen nicht, sie werden ver-

ursacht“, lautet ein gängiger Slogan aus

dem Arbeitsschutz. Zwar wird der Um-

gang mit gefährlichen Stoffen im Labor-

und insbesondere auch im Apotheken-

alltag durch eine Vielzahl von Gesetzen,

Vorschriften und Richtlinien genau gere-

gelt, doch stehen hinsichtlich der Vermei-

dung von Unfällen mit Chemikalien die

Abbildung 2: Blausäure-Lösung – eine gefährliche Hinterlassenschaft aus dem Apothe-kenkeller.

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Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 23

Dr. Helge Prinz

Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 23

solide fachliche Qualifikation sowie ins-

besondere die Erfahrung der handelnden

Personen an erster Stelle. Nur dadurch

lassen sich Gefahrstoffe erkennen und

insbesondere auch ein mögliches Gefah-

renpotenzial abschätzen.

Ein Beispiel zum „Erkennen eines Gefah-

renpotenzials“ aus der Praxis

Kaliumaluminiumsulfat (Alaun, Kali-

alaun), das kristallisierte wasserhaltige

schwefelsaure Doppelsalz von Kalium

und Aluminium (KAl(SO4)2•12H2O), wird

öfter als Feuchthaltemittel für Knetmas-

se (20-40 g/kg) oder zum Züchten von Kri-

stallen in Apotheken nachgefragt. Zwar

ist die Substanz gemäß Sicherheitsdaten-

blatt nicht als gefährlich eingestuft,7 Si-

gnalwort und Piktogramme entfallen.

Allerdings reagiert das Hexaaquaalumi-

niumion [Al(H2O)6]3+ als Kationsäure in

wässriger Lösung sauer (pKs = 4.97).8 Die

Acidität des Al(III) ist somit der Essigsäu-

re (Gefahrenpiktogramm „ätzend“, Si-

gnalwort Gefahr) vergleichbar. Tatsäch-

lich liegt der pH-Wert (100 g/L, 20 °C) der

Lösung bei 3-3,5.7 Nach Verschlucken von

Knetmasse könnten bei Kindern minde-

stens Schleimhautreizungen auftreten,

die Substanz ist also nicht ganz so harm-

los, wie es scheint.

Besonders wichtig beim Umgang mit Ge-

fahrstoffen ist die Kenntnis der einschlä-

gigen Informationsquellen („Möglicher-

weise hätte man ja drauf kommen kön-

nen...“). Herstellerkennzeichnungen auf

Originalgebinden, primär Gefahrenpikto-

gramme sowie Gefährdungs- und Sicher-

heitshinweise (H- und P-Sätze) sowie Si-

cherheitsdatenblätter, technische Regeln

für Gefahrstoffe (TRGS) oder auch vali-

de Daten aus Stoffdatenbanken (GESTIS-

Stoffdatenbank, Gefahrstoffinformati-

onssystem (GisChem)) liefern wertvolle

Informationen.

Auch im Apothekenlabor ist die konse-

quente Nutzung von persönlicher Schutz-

ausrüstung (PSA) im Umgang mit Gefahr-

stoffen sowie die Nutzung von Sicher-

heitseinrichtungen obligatorisch (geeig-

nete Handschuhe, Schutzbrille, Laborkit-

tel, Laborabzug).

In einer Apotheke dienen üblicherweise

der Arbeitsraum (Rezeptur, Laboratori-

um) oder ein Lagerraum mit zusätzlichen

Schutzmaßnahmen oder ein Sicherheits-

schrank als Aufbewahrungsort für Ge-

fahrstoffe in Kleinmengen. Sauberes Ar-

beiten und die Verwendung sowie Bevor-

ratung nur geringer Mengen an Chemika-

lien und Reagenzien tragen ebenfalls we-

sentlich zur Minimierung eines Unfallrisi-

kos bei.

Verschüttete oder ausgelaufene Chemi-

kalien – Sofortmaßnahmen bei unbeab-

sichtigter Freisetzung

Das Szenario ist bekannt. Ein Glasgebin-

de mit einer ätzenden Flüssigkeit oder

einer Festsubstanz geht zu Boden oder

zerbricht beim Anschlagen an die Tisch-

kante. In einem anderen Fall zersplittert

ein durch Alterung spröde gewordenes

Kunststoffbehältnis schon beim Anfassen

wie dünnes Glas.

Im Falle einer solchen unbeabsichtigten

Stofffreisetzung ist das primäre Ziel im-

mer die rasche Stoffbeseitigung. Alle in

Frage kommenden Maßnahmen müssen

immer stoffspezifisch (Eigenschaften?/

Menge?) getroffen werden. Im Falle von

Kleinstmengen harmloser Leichtmetall-

salze (Natriumchlorid, Kaliumsulfat, Cal-

ciumchlorid, Magnesiumsulfat etc.) kann

das Wegspülen mit Wasser in den Ausguss

nach Aufnehmen ggf. eine Lösung sein.

Bei mechanischer Aufnahme von Fest-

stoffen (Zusammenfegen) sollte man ei-

ne Staubbildung vermeiden. Um das Ein-

atmen von Stäuben zu vermeiden, kann

man zur Staubbildung neigende Substan-

zen ggf. mit einer „Blumenspritze“ an-

feuchten, sofern diese sich Wasser gegen-

über unempfindlich verhalten. Spritzer

nicht-oxidierend wirkender Flüssigkeiten

nimmt man üblicherweise mit Fließpapier,

Zellstoff oder Absorptionsmaterial auf.

Sollten entzündbare Flüssigkeiten – wenn

auch nur kleinere Mengen – ausgelaufen

sein, schaltet man sofort alle in der Nähe

befindlichen Zündquellen aus (Gasbren-

ner, elektrische Rührwerke, Elektromo-

toren etc.).

Im Falle ätzender, sauer oder basisch re-

agierender Flüssigkeiten deckt man die-

se sofort mit einem chemisch inerten Ab-

sorptionsmittel in Pulver- oder Granulat-

form vollständig ab. Neutralisationsver-

suche sind meist zeitraubend und vergrö-

ßern das Flüssigkeitsvolumen. Kommer-

ziell erhältliche Absorbentien sind leider

nicht immer vorhanden. Man kann sich

sehr gut mit einem preiswerten minera-

lischen Klumpstreu („Katzenstreu“) auf

Ton- oder Bentonitbasis behelfen. Im Not-

fall tut es jedoch auch Kieselgur (Diato-

meenerde, Staubbildung!).

SICHERHEITSHInWEISFür oxidierend wirkende Flüssigkeiten

dürfen niemals organische Bindemit-

tel wie Sägespäne, Putzlappen, Papier

oder irgendein anderes organisches

Material zur Aufnahme eingesetzt

werden. Bei Berührung mit oxidierend

wirkenden Flüssigkeiten (konz. Salpe-

tersäure, Schwefelsäure, Perchlorsäure

etc.) besteht Feuergefahr!

EnTSORGUnGSHInWEISMit Chemikalien kontaminiertes Auf-

saugmaterial ist ggf. immer noch

gefährlich und gilt als Sondermüll!

Rückstände von Gefahrstoffen dürfen

nie mit dem normalen Müll entsorgt

werden.

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24 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Der Chemie(un)fall in der Apotheke

24 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Bei Freisetzung kleinerer Mengen eines

basischen organischen Amins wie dem be-

reits erwähnten Piperidin, kann man zur

Vermeidung einer Geruchsbelästigung

zunächst vorsichtig mit verdünnter Salz-

oder Schwefelsäure neutralisieren. Den

pH-Wert kontrolliert man mit Universalin-

dikatorstäbchen oder pH-Papier.9

Die Bereithaltung eines „Notfallsets“

(Abb. 3) für kleinere Chemieunfälle im La-

borbetrieb kann hilfreich sein. Die Utensi-

lien sollten sich zweckmäßig im Arbeits-

raum befinden und damit greifbar sein.

Zur vollständigen Durchmischung bzw.

Absorption einer ausgetretenen Flüssig-

keit wird nach Aufstreuen eines geeig-

neten Granulates mit Hilfe eines Kunst-

stofflöffels oder -spatels gut durchmischt.

Das mit der Chemikalie beladene Absorp-

tionsmittel überführt man am besten in

ein Weithalsschraubgefäß aus Polyethy-

len (Abb. 3) oder in einen Kunststoffbeu-

tel. Bis zur endgültigen Entsorgung kann

man den Beutel meist unter einem gut

wirksamen Abzug und zusätzlich in ei-

ner Auffangwanne aus Kunststoff, z.  B.

einer Fotoschale, aufbewahren (Abb.  3).

Dem „Notfallset“ sollte möglichst auch

eine partikelfiltrierende Halbmaske (Fein-

staubmaske FFP 2) beigefügt werden. Be-

stimmte Chemikalien, wie z. B. verschüt-

tetes elementares Brom (Brom, Reagenz

Ph. Eur.) erfordern ein gesondertes Vor-

gehen, s. u.

Mitunter lassen sich Kleinstmengen be-

stimmter Chemikalien auch gezielt des-

aktivieren, mit dem Ziel der Überfüh-

rung dieser Substanzen in harmlose Fol-

geprodukte. Besondere Bedeutung ge-

winnt diese Vorgehensweise bei der Che-

mikalienbeseitigung im Gefahrenfall, et-

wa nach Auslaufen oder Verschütten.

Sämtliche angegebenen Methoden zur

gezielten Desaktivierung beziehen sich

grundsätzlich auf die Behandlung kleiner

Restmengen.

Rest- oder Altbestände an Chemikalien

und Lösungsmitteln werden üblicherwei-

se nicht über das Abwasser entsorgt. Be-

stimmte Chemikalien gelten im Allgemei-

nen jedoch als nicht wassergefährdend

und könnten in Klein(st)mengen dem Ab-

wasser beigegeben werden. Dazu zählen

einige Alkali- und Erdalkalimetallsalze

wie beispielsweise Calciumchlorid, Kali-

umchlorid oder Natriumchlorid.

In Laboren – man erinnere sich an die stu-

dentischen Praktika – kommt es mitunter

vor, dass Reagenzglasinhalte oder Ana-

lysensubstanzen gedankenlos über den

Ausguss entsorgt werden. Keinesfalls dür-

fen CMR-Stoffe (carzinogen, mutagen, re-

protoxisch), wasserunlösliche brennbare

Stoffe, Schwermetallverbindungen oder

Substanzen mit Toxizität gegenüber Fi-

schen und Wasserorganismen in die Ka-

nalisation gelangen.

Hier kommt wieder der chemische Sach-

verstand ins Spiel. So ist Bariumsulfat in

Wasser praktisch nicht löslich und nicht

toxisch, es findet als Röntgenkontrast-

mittel zur Darstellung des Gastrointesti-

nal-Traktes Anwendung. Die Entsorgung

größerer Mengen einer derartigen Sub-

stanz (auch CaSO4 etc.) über das Abwasser

wäre also eher sinnfrei und führt durch

den Suspensionscharakter maximal zur

Verstopfung des Abflusses. Bariumchlorid

dagegen ist sehr gut wasserlöslich, sehr

toxisch und darf somit keinesfalls, auch

nicht in Kleinstmengen, über das Abwas-

ser entsorgt werden.

An dieser Stelle sei auf die Wassergefähr-

dungsklassen (WGK) hingewiesen:

1: schwach wassergefährdend

Abbildung 3: Für alle Fälle – ein „Labor-Notfall-Set“.

SICHERHEITSHInWEISSämtliche Arbeiten zur Kleinstmen-

geninaktivierung von Chemikali-

en dürfen immer nur von chemisch

versierten, erfahrenen Mitarbeitern

unter Verwendung der PSA durch-

geführt werden. Alle Arbeiten führt

man grundsätzlich in einer funktionie-

renden, gut ziehenden Abzugseinrich-

tung durch.

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Dr. Helge Prinz

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2: wassergefährdend

3: stark wassergefährdend

Die Einstufung einzelner Stoffe kann on-

line in der Datenbank „Rigoletto“ des

Umweltbundesamtes recherchiert wer-

den.10 Auch für ein Gemisch lässt sich über

Rechenregeln eine WGK ableiten.

Zu vermeidende gefährliche Reaktionen

Viele brenzlige Situationen im Labor, et-

wa bei Klein(st)mengenentsorgungen

oder Maßnahmen zur Stoffbeseitigung

lassen sich durch Beherzigung einiger

Grundregeln bereits im Vorfeld vermei-

den:

• Konzentrierte Säuren werden grund-

sätzlich verdünnt, indem man sie in

Wasser vorsichtig eingerührt (Schutz-

brille, Abzug)  –  eine Grundregel aus

dem Studium. Die Lösung kann sich da-

bei, insbesondere beim Verdünnen von

konzentrierter Schwefelsäure, stark er-

wärmen. Dies gilt für alle starken Mi-

neralsäuren!

• Keinesfalls mischt man konzentrierte

Säuren und Laugen, etwa zu Neutra-

lisationszwecken nach Verschütten.

Durch die auftretende Neutralisati-

onswärme kann sich das Gemisch sehr

stark erwärmen.

• In fester Form vorliegende anorga-

nische Oxidanzien (z. B. Permanganat,

Dichromat, Nitrate, Chlorate, Bromate

etc.) und organische Stoffe (z.  B. Zu-

cker, Polyole, Weinsäure, Citronensäu-

re etc.) dürfen nicht miteinander ver-

mischt werden. Es resultieren mitunter

heftige Verpuffungen.

• Cyanid-haltige Lösungen dürfen nicht

angesäuert werden. Es entwickelt sich

sofort hochgiftiger Cyanwasserstoff

(Blausäuregas).

• Hypochlorit-haltige Lösungen (auch

für Reinigungsmittel auf „Chlorba-

sis“) dürfen nicht mit Salzsäure in Kon-

takt kommen. Es kann giftiges Chlor-

gas entstehen.

• Man vermeide Aceton und Wasser-

stoffperoxid zu mischen, z. B. Fließmit-

telreste aus der Chromatographie. Die

beiden Lösungsmittel müssen getrennt

voneinander entsorgt werden. Insbe-

sondere in Gegenwart katalytischer

Mengen Säure bildet sich leicht hoch-

explosives Acetonperoxid.

• Aceton und Chloroform dürfen nicht

gemischt werden. Die Mischung der

beiden Lösungsmittel kann eine stark

exotherme Reaktion mit erheblicher

Brisanz bewirken.

Exkurs: Hände gut, alles gut?

Zur bereits erwähnten persönlichen

Schutzausrüstung (PSA) im Umgang mit

gefährlichen Stoffen gehören auch ge-

eignete Handschuhe. Prinzipiell gilt, dass

es „den einzig richtigen Handschuh nicht

gibt“.11 Die Beständigkeit des aus einem

Gemisch bestehenden Handschuhmateri-

als ist nicht vorhersagbar und von Herstel-

ler zu Hersteller unterschiedlich. Die Aus-

wahl des Handschuhmaterials erfolgt un-

ter Beachtung der Durchdringungszeiten

und der Degradation. Informationen da-

zu halten Sicherheitsdatenblätter oder

auch die GESTIS-Stoffdatenbank bereit.

Details zur Klassifizierung, Prüfung, Ma-

terial und Eigenschaften von Schutzhand-

schuhen finden sich unter Lit.11.

Geeignete Schutzhandschuhe müssen

auf jeden Fall das CE-Zeichen tragen. Ein-

fache Chemikalienschutzhandschuhe tra-

gen das Becherglaspiktogramm („Spritz-

Erlenmeyerkolbenpiktogramm: Chemikalienfestigkeit

Piktogramm + exakte Bezeichnung der Norm3-stelliger Code, z. B. AJL, alsoEindringschutz gegen drei (A, J, L) von zwölf (A - L) Prüfsubstanzenvon > 30 min Durchbruchszeit (Level 2)

A: Methanol, B: Aceton, C: Acetonitril, D: Dichlormethan, E: Kohlenstoffdisulfid, F: Toluol, G: Diethylamin, H: Tetrahydrofuran, I: Ethylacetat, J: n-Heptan, K: NaOH 40%, L: H2SO4 96%

EN 374

AJL

Abbildung 4: Erlenmeyerkolbenpiktogramm (links) und Kennzeichnung einfacher Schutzhandschuhe mit Becherglaspiktogramm (oben rechts).

SICHERHEITSHInWEISMedizinische Einmalhandschuhe (DIN

EN 455) oder auch Lederhandschuhe

sind keine Chemikalienschutzhand-

schuhe und bieten keinen ausrei-

chenden Schutz. Einen erweiterten

Schutz gegen chemische Gefähr-

dungen bieten Chemikalienschutz-

handschuhe nach DIN EN 374, wenn

sie mit einem Erlenmeyerkolbenpikto-

gramm versehen sind.

Tabelle 1: Schutzlevel Schutzhandschuhe mit Durchdringungszeiten in Minuten nach DIn En 374.

Level 1 > 10 Level 3 > 60 Level 5 > 240

Level 2 > 30 Level 4 > 120 Level 6 > 480

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26 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 26 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 2626 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Der Chemie(un)fall in der Apotheke

schutz“). Dieses Piktogramm wird für

mehr oder weniger nur „wasserdichte“

Handschuhe benutzt, die Durchbruch-

zeiten von < 30 Minuten für die gelisteten

Chemikalien aufweisen.

Vollwertige, mit einem Erlenmeyerkol-

benpiktogramm versehene, chemikali-

enbeständige Schutzhandschuhe nach

DIN EN 374 erzielen bei mindestens drei

von zwölf definierten Prüfchemikalien

(Abb. 4) mindestens Level 2 (Durchbruch-

zeit > 30 min) (Tab.1).

Das in Abb. 4 rechts zusätzlich zu sehende

Piktogramm „Bakteriologische Kontami-

nation“ ist für Chemikalienschutzhand-

schuhe eigentlich unbedeutend. Es kann

aber auf wasserdichten Handschuhen auf-

gebracht werden, da dann auch eine Un-

durchlässigkeit gegenüber Bakterien und

Pilzen, nicht jedoch Viren, angenommen

wird (wird nach EN 374 nicht gesondert

geprüft).11

Einzelfallbetrachtung ausgewählter

Gefahrstoffe

An dieser Stelle soll auf eine kleine Aus-

wahl gefährlicher Stoffe mit Arzneibuch-

bezug, deren Gefahrenpotenzial sowie

denkbare Maßnahmen zur Desaktivie-

rung eingegangen werden.

Arsentrioxid

Arsentrioxid („Arsenik“) ist ein primärer

Standard (Urtiter) zur Herstellung von Ar-

senitlösungen (Natriumarsenit-Lösung 0,1

mol/L; Ph. Eur., 4.2.2 Maßlösungen) nach

Lösen in Alkalihydroxid (Abb. 5). Arsenit

(AsO33–) ist hervorragend zur Einstellung

von Iodlösungen geeignet, wurde aber

im Arzneibuch für diesen Zweck mittler-

weile durch Thiosulfat ersetzt. Im Rahmen

der Grenzprüfung auf Arsen (Arsenlösung

10  ppm As) wird Arsentrioxid ebenfalls

eingesetzt und zur Herstellung der Refe-

renzlösung in Alkalihydroxid gelöst.

Arsentrioxid findet außerdem Verwen-

dung zur Herstellung homöopathischer

Zubereitungen (Arsenii trioxidum ad pra-

eparationes homoeopathicae). Eine Ent-

sorgung/Desaktivierung ist im Apothe-

kenlabor kaum möglich. Man sollte die

Substanz ggf. durch kommerziellen Ent-

sorger im Originalbehältnis abholen las-

sen.

Blausäure und Cyanide

Gelegentlich kann man lesen, dass bei

Apothekeneinbrüchen auch hochgiftiges

Cyanid entwendet wurde. Kalium cyanid

gehörte ehemals zur Grundausstattung

des Apothekenlabors mit Prüfmitteln12

und findet sich daher manchmal im Apo-

thekenlabor. Beim Kaliumcyanid (Cyan-

kali) handelt es sich um das Kaliumsalz

der sehr schwachen Cyanwasserstoffsäu-

re („Blausäure“, pKs 9.4013), die demnach

durch stärkere Säuren äußerst leicht aus

ihren Salzen vertrieben werden kann. Bei

Cyaniden kann durch Protolyse bereits bei

Wasserkontakt Blausäure entstehen. Cya-

nide neigen auch an der Luft zur Blausäu-

rebildung, allerdings ist der charakteri-

stische bittermandel- oder marzipanar-

tige Geruch der Blausäure nicht von allen

Menschen wahrnehmbar. Beim Einatmen

der Dämpfe besteht akute Lebensgefahr.

Tückisch ist der niedrige Siedepunkt der

Blausäure von 25,6 °C. Die Flüssigkeit ver-

dunstet schon bei Raumtemperatur und

Abbildung 5: Bildung von Arsenit aus Ar-sentrioxid.

SICHERHEITSHInWEISArsentrioxid ist ein starkes Gift und

gilt als krebserzeugend nach TRGS 905

(Abzug! Handschuhe! Staubbildung

vermeiden). Natriumarsenit ist ein

Kontaktgift, bei Herstellung von Arse-

nitlösungen sollten unbedingt Hand-

schuhe getragen werden.

Abbildung 6: Klein(st)mengeninaktivierung von Cyanid durch Oxidation zu weniger ge-fährlichen Folgeprodukten.

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Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 2727 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 27

Dr. Helge Prinz

bildet zudem ein extrem leicht entzünd-

bares Gas.

Desaktivierung von Cyanidresten

Es wäre für chemisch Versierte durch-

aus möglich, Kleinstmengen an Cyaniden

durch oxidative Zerstörung in stark alka-

lischem Milieu mittels Hypochlorit oder

Wasserstoffperoxid zu beseitigen. Cyani-

dreste dürfen keinesfalls angesäuert wer-

den (Blausäureentwicklung)!

Bei pH > 11 (stark alkalisch) erfolgt durch

Hypochlorit Oxidation von Cyanid zu Cy-

anat (ungiftig), aus dem durch weiteres

Hypochlorit bei pH 8-9 Kohlendioxid und

Stickstoff gebildet werden. Um sicher zu

gehen, dass alles Cyanid zerstört wurde,

lässt man es am besten 24 Stunden stehen

und prüft dann auf Restmengen an Cya-

nid mittels der Berliner Blau-Reaktion.14

Um den Transport von Cyaniden oder

Blausäure zu vermeiden, werden diese

oft an Ort und Stelle desaktiviert. Eine ge-

eignete Vorgehensweise zur Behandlung

eingangs gezeigter Blausäurelösung in

Ampullen ist beschrieben.15 Vor dem Öff-

nen kann der Ampulleninhalt mittels ei-

ner Kältemischung eingefroren werden.

Die geöffnete Ampulle stellt man mit

der Öffnung nach unten in einen Tropf-

trichter mit Schliff und Druckausgleich.

Die aufgetaute Blausäure-Lösung tropft

dann in die in einer entsprechenden Vor-

lage befindliche Oxidationslösung (Hypo-

chlorit, pH 10-11).

Kaliumchlorat

Es handelt sich um das Kaliumsalz der

Chlorsäure. Das Chloratom besitzt die

Oxidationsstufe +V. Die Substanz ist ein

potentes Oxidans, insbesondere in der

Hitze. Für sich alleine ist die Substanz pro-

blemlos handhabbar. Kaliumchlorat war

Bestandteil früherer Reagenzien sätze

(Abb.  1)16, wurde aber schon im DAB  9

nicht mehr verwendet. Für die Abgabe

in der Apotheke gibt es nur ganz wenige

plausible Gründe und praktisch keine au-

thentisch bekannten medizinischen An-

wendungen. Kaliumchlorat gehört, wie

auch Kaliumpermanganat, zu den über-

wachungsbedürftigen Chemikalien. Es

gelten Dokumentations-, Informations-

und Aufzeichnungspflichten nach § 3

ChemVerbotsV, da mit solchen Substan-

zen illegal Sprengstoff hergestellt wer-

den kann. Die Substanz muss getrennt

von brennbaren Stoffen gelagert werden.

An dieser Stelle sei auf ein weiteres Salz

einer Chlorsauerstoffsäure hingewiesen.

In einigen Apotheken wird in letzter Zeit

Natriumchlorit nachgefragt, der Haupt-

bestandteil der Miracle Mineral Soluti-

on (MMS). Natriumchlorit ist das Natri-

umsalz der Chlorigen Säure und fungiert

als gut zu handhabende Speicherform für

Chlordioxid (Abb. 7), einer bei Raumtem-

SICHERHEITSHInWEISWegen der Explosionsgefahr darf man

Chlorate nie mit Zucker, Kohle, Schwe-

fel, rotem Phosphor, organischen Sub-

stanzen oder sonstigen Reduktionsmit-

teln mischen. Bereits das Verreiben in

der Reibschale oder das Hinstellen des

Gemisches auf die Arbeitsplatte hat zu

schlimmen Unfällen geführt. Die ge-

fahrlose Mischung der Komponenten

ist in der Praxis nicht ohne weiteres

möglich.

Beim Vermischen mit Salzsäure 36 %

kommt es durch Synproportionierung

zur Bildung von giftigem, grünem

Chlorgas!

Beim Übergießen mit Schwefelsäure

96 % bildet sich explosives Chlordio-

xid!

Cl– + 3 SO42–ClO3

– + 3 SO32–

Chlorat Sulfit

6 KClO3 + 3 H2SO4 4 ClO2

+ 2 HClO4 + 3 K2SO4 + 2 H2O

2 ClO2 Cl2 + 2 O2

Chlordioxid

3 Cl2 + 3 H2OClO3– + 5 Cl– + 6 H+

Chlorat + konz. HCl

Inaktivierung! durch Reduktion

Cave Chlorbildung!

Explosionsartiger Zerfall beim Erwärmen!

5 HClO2 4 ClO2 + HCl + 2 H2O

Chlordioxid

Zersetzung von Chloriger Säure nach Ansäuern von Chloriten, wie z.B. NaClO2Chlorige Säure

Abbildung 7: Gleichungen zur Beschreibung der Reaktivität von Kaliumchlorat sowie Freisetzung von Chlordioxid aus Chloriger Säure.

EnTSORGUnGSHInWEISKlein(st)mengen an Kaliumchlorat

lassen sich in wässriger Lösung durch

Reduktionsmittel wie Sulfit leicht zu

Chlorid reduzieren (Abb.  7, Gl.  2). Zu

diesem Zweck löst man die Substanz

in Wasser (alle Chlorate sind wasser-

löslich), säuert mit verdünnter Sal-

petersäure an (Indikatorpapier) und

versetzt portionsweise mit Natrium-

sulfit. Die Chloridbildung lässt sich mit

Silbernitratlösung auf Vollständigkeit

überprüfen.

Page 28: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

28 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 28 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 2828 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Der Chemie(un)fall in der Apotheke

peratur gasförmigen Verbindung, die als

Bleichmittel für Textilien und Papier ver-

wendet wird. Chlordioxid wird aus Chlo-

riger Säure (Bildung beim Versetzen von

Chlorit mit Säuren, siehe Abb.  7, Gl.  5)

freigesetzt. Die radikalische Substanz

besitzt oxidierende Eigenschaften und

wirkt auf Schleimhäute reizend bis ät-

zend. Die Verbraucherzentrale NRW, das

Bundesamt für Verbraucherschutz und

Lebensmittelsicherheit sowie das Bun-

desinstitut für Arzneimittel und Medizin-

produkte warnen vor der Einnahme von

MMS.17 - 19 Die Substanz wird in Gegenwart

verdünnter Säuren als Wundermittel ge-

gen Krebs, Malaria, diverse Infektionen

usw. im Internet verstärkt beworben. Es

wird empfohlen, MMS nicht einzuneh-

men und Restbestände als Sondermüll zu

entsorgen.17

Kaliumdichromat

Die Substanz ist ein Arzneibuchreagenz

(Abb. 1) und erfüllt alle Kriterien eines Ur-

titers. Sie wird zur Herstellung von Maß-

lösung (0,0167 mol/L) in der (Di)Chroma-

tometrie oder auch zur Kontrolle der Ab-

sorption in der UV-Vis-Spektroskopie ver-

wendet (2.2.25, Ph. Eur.). Außerdem wird

Kaliumdichromat für homöopathische Zu-

bereitungen eingesetzt. Noch vor Jahren

als lediglich reizend (Xi) charakterisiert,

gilt Kaliumdichromat heute als CMR-Sub-

stanz (Handschuhe) und darf an Privat-

personen nicht abgegeben werden. Ka-

liumdichromat ist insbesondere in saurer

Lösung ein starkes Oxidationsmittel und

kann als Feststoff heftig mit Reduktions-

mitteln reagieren.

Kaliumpermanganat

Kaliumpermanganat ist ebenfalls ein sehr

potentes Oxidans. In saurer Lösung wird

Permanganat zu farblosem Mn(II) redu-

ziert, im Alkalischen je nach pH zu Braun-

stein MnO2 oder grünem Manganat(VI).

Die Substanz findet Verwendung in der

Permanganometrie (Gehaltsbestimmung

von Wasserstoffperoxid Ph. Eur.), thera-

peutisch als Antiseptikum, z. B. als Kin-

derarztverschreibung bei Windeldermati-

tis, bei parasitären Fischkrankheiten oder

zur Geruchsbeseitigung.

Perchlorsäure

Perchlorsäure 70 % wird im Arzneibuch

zur Herstellung von Maßlösungen für

Wasserfreie Titrationen gebraucht – nach

Mischen mit Essigsäure 99 % R. In Apo-

EnTSORGUnGSHInWEISDie Desaktivierung kleinerer Mengen

geschieht am besten durch reduktive

Umwandlung in das weniger gefähr-

liche Cr(III), z.  B. durch Eintragen in

eine Natriumthiosulfat unter Ansäuern

(pH 2-3 (Abb.  8).20 Die Reduktion ge-

lingt auch sehr gut mit Sulfit in schwe-

felsaurem Milieu. Die resultierende

Cr(III)-Lösung ist flüssiger Schwerme-

tallabfall.

EnTSORGUnGSHInWEISKlein(st)mengen zerstört man reduk-

tiv mit Natriumthiosulfat oder Sulfit in

saurer Lösung (Abb. 9). Mangan(II) gilt

im Gegensatz zu Manganat(VII) als nur

schwach wassergefährdend. Kalium-

permanganat ist als stark wasserge-

fährdender Stoff eingestuft (WGK 3).

!Cr2O7

2– + 3 HSO3– + 5 H+ 2 Cr3+ + 3 SO4

2– + 4 H2Oorange grün

Abbildung 8: Inaktivierung von Dichromat durch Reduktion.

SICHERHEITSHInWEISKaliumpermanganat reagiert mit zahl-

reichen oxidierbaren organischen und

anorganischen Stoffen wie Metallpul-

vern. Es kann als Ausgangsstoff für

Sprengstoff und zum Bau illegaler Feu-

erwerkskörper verwendet werden. Da

die Substanz die Haut dauerhaft braun

färbt, empfiehlt sich das Tragen von

Handschuhen beim Umgang mit der

Substanz.

Sehr heftig reagiert Kaliumpermanga-

nat u. a. mit konzentrierter Salzsäure

(Chlorgasentwicklung), Schwefelsäure

(Bildung von Mn2O7, Verpuffungsge-

fahr) und Wasserstoffperoxid (O2-Ent-

wicklung, Abb.  9). Mit mehrwertigen

Alkoholen wie Glycerin reagiert festes

Kaliumpermanganat in einer stark exo-

thermen Reaktion unter Selbstentzün-

dung.

2 Mn2+ + 5 O2 + 8 H2O2 MnO4– + 5 H2O2

+ 6 H+

Mn2O7 + H2O + 2 KHSO42 KMnO4 + 2 H2SO4

Mangan(VII)-oxid

2 Mn2+ + 5 Cl2 + 8 H2O2 MnO4– + 10 Cl– + 16 H+

2 Mn2+ + 5 SO42– + 3 H2O2 MnO4

– + 5 HSO3– + H+

Desaktivierung:

Abbildung 9: Reaktion von Permanganat mit Salzsäure, Wasserstoffperoxid und kon-zentrierter Schwefelsäure.

Page 29: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 2929 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 29

Dr. Helge Prinz

theken findet man sie meist als Bestand-

teil der Maßlösung, c(HClO4) = 0,1 mol/L,

welche die Eigenschaften des Hauptbe-

standteils Essigsäure aufweist (ätzend,

entzündbar). Die zur Herstellung benöti-

gte, 70-%ige Perchlorsäure-Lösung wirkt

außerordentlich ätzend und stark oxidie-

rend. Bei Normaldruck kann sie mit of-

fener Flamme bis zum Siedepunkt erhitzt

werden, zerfällt allerdings explosionsar-

tig bei Anwesenheit geringster Spuren

organischer Verunreinigungen. Generell

steigt das Explosionsrisiko mit der Reakti-

onstemperatur.

Wasserstoffperoxid-Lösung

Im Arzneibuch finden sich die Monogra-

phien Wasserstoffperoxid-Lösung 30 %

sowie 3 %. Wasserstoffperoxid wird vor-

wiegend zum Bleich- und Desinfektions-

zwecke verwendet. In der Zahnheilkun-

de dient es der Zahnaufhellung („Blea-

ching“). Jäger beziehen mitunter Was-

serstoffperoxid aus der Apotheke zum

Bleichen von Geweihen. Konzentrierte

Wasserstoffperoxid-Lösung wirkt je nach

Reaktionspartner stark oxidierend, kann

durch stärkere Oxidationsmittel (KMnO4)

jedoch auch zu Sauerstoff oxidiert wer-

den.

Wasserstoffperoxid kann einer stark exo-

thermen Zerfallsreaktion zu Sauerstoff

und Wasser unterliegen (Abb. 10), die ins-

besondere durch Schwermetallionen ka-

talysiert wird. Im Kühlschrank – geschützt

vor Sonnenlicht und Hitze –  kann es pro-

blemlos aufbewahrt werden. Bei höheren

Lagertemperaturen und in Gegenwart

von Licht kann sich in den Vorratsbehält-

nissen zersetzungsbedingt ein beträcht-

licher Überdruck von Sauerstoff aufbau-

en.

Apotheken berichteten von heftigen Ex-

plosionen mit erheblichen Schäden, die

von Wasserstoffperoxid-Lösungen in

Braunglasflaschen hervorgerufen wur-

den.21,22 Schraubverschlüsse von Vorrats-

flaschen aus Kunststoff oder Glas sollten

daher mit Ventilöffnungen gegen Über-

druck gesichert sein (Abb. 11).

Wasserstoffperoxid 30 % wird meist durch

Zugabe von Natriumpyrophosphat vor-

stabilisiert. Zur Herstellung der 3%igen

Lösung versetzt man mit 10 %iger Phos-

phorsäure als Stabilisator (NRF 11.103.

„Wasserstoffperoxid-Lösung 3 %“). Bei

versehentlicher Hautexposition spült man

mit Wasser gründlich ab. Es können sich

kurzfristig juckende weiße Flecken bil-

den, die aber schnell wieder verschwin-

den.

Ähnlich dem Wasserstoffperoxid ver-

hält sich übrigens auch Ameisensäure.23

Auch sie sollte kühl (< 20 °C) und lichtge-

schützt aufbewahrt werden. Flaschen oh-

ne Druckausgleichsverschraubung kön-

nen spontan zerknallen. Meist steht die

ätzende Wirkung der Ameisensäure im

Vordergrund, sie zersetzt sich jedoch all-

mählich in Kohlenmonoxid und Wasser

(Abb. 12).

Eine deutlich verbesserte Stabilität be-

wirkt die Herabsetzung der Konzen-

tration von 100 auf 99-98 % durch Zu-

gabe sehr geringer Wassermengen. Als

60 %ige Ameisensäure wird die Substanz

zur Bekämpfung der Varroose (Ameisen-

säure 60 % ad us. vet.) gelegentlich nach-

gefragt.24

Brom

Elementares Brom ist eine braunrote, rau-

chende Flüssigkeit und das einzige unter

Normalbedingungen flüssige Nichtme-

tall. Brom sollte vor Licht geschützt und

SICHERHEITSHInWEISDie Verwendung von Perchlorsäure

70 % sollte stets in einem speziellen

Abzug geschehen. Dieser darf kein

organisches Material wie Holz oder

Farbe aufweisen. Perchlorsäurefla-

schen bewahrt man am besten in einer

massiven PVC- oder Glaswanne mit

Absorptionsmaterial auf. Mit Granulat

können Spritzer aufgenommen wer-

den.

EnTSORGUnGSHInWEISDie Inaktivierung/Entsorgung von

Kleinstmengen geschieht durch Ein-

gießen in Eiswasser, dann wird neu-

tralisiert (Indiaktorpapier, pH 6-8) und

anschließend in einen Sammelbehälter

überführt.

Abbildung 10: Disproportionierung von Wasserstoffperoxid unter Sauerstoffbil-dung.

Abbildung 12: Zersetzung von Ameisen-säure unter Bildung von Kohlenmonoxid.

Abbildung 11: Wasserstoffperoxid in schwarzer Kunststoffflasche mit Druck-ausgleichsventil im Schraubverschluss.

Page 30: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

30 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 30 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3030 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Der Chemie(un)fall in der Apotheke

am besten in Glasstopfenflaschen aufbe-

wahrt werden. Brom löst sich nur wenig in

Wasser. Es findet sich u. a. als Reagenz in

der Ph. Eur. zur Herstellung von Bromwas-

ser, einer gesättigten Lösung von Brom in

Wasser und findet Anwendung bei ver-

schiedenen Gehaltsbestimmungen, Iden-

titäts- und Reinheitsprüfungen. Elemen-

tares Brom wirkt stark ätzend und bildet

auf der Haut schmerzhafte Wunden und

bereits nach kurzem Einwirken Blasen.

Ether

Diethylether (Ether R Ph. Eur.) ist ein häu-

fig gebrauchtes Lösungs- und Fließmit-

tel, etwa in der Dünnschichtchromatogra-

fie. Diethylether war früher wesentlicher

Bestandteil der Arningschen Lösung (lat.

solutio Arning), einer ethanolisch-ethe-

rischen Lösung von Anthrarobin und Ich-

thyol. Ether siedet unter Normalbedin-

gungen bereits bei 35 °C und ist licht- und

luftempfindlich. Er neigt in Gegenwart

von Luftsauerstoff über Etherperoxy-Ra-

dikale zur Bildung von spontan explo-

dierenden kristallinen Hydroperoxiden

(Abb. 14) und muss unter Licht- und Luft-

ausschluss aufbewahrt werden.

In dieser Hinsicht sind Gebinde, wie in

Abb. 1 gezeigt, Glasflaschen vorzuziehen.

Peroxidexplosionen durch Erschütterung

oder Reibung im Flaschenhals sind eine

oft unterschätzte Gefahr.

Handelsübliche Ether sind in der Regel

stabilisiert (Natriumdiethyldithiocarba-

mat, 2,6-Di-tert-butyl-4-methylphenol).

Durch übermäßig lange Lagerung werden

die Stabilisatoren aber unwirksam und es

können Peroxide entstehen.

Eine Prüfung auf Peroxide kann mittels

der Kaliumiodid-Stärke-Reaktion (s. Stär-

ke-Papier, Iodidhaltiges R, Reagenz Ph.

Eur.), mit Titanperoxidsulfat (Titandioxid

Ph. Eur., Identitätsprüfung B) oder mit

käuflichen Indikatorstäbchen (Abb.  15)

erfolgen. Sie zeigen Peroxide qualita-

tiv und halbquantitativ (Farbskala) durch

Eintauchen in das Lösungsmittel an.

Zur Peroxid-Vernichtung in organischen

Lösungsmitteln kann man Reduktionsmit-

tel wie z. B. schwefelsaure Eisen(II)sulfat-

Lösung einsetzen oder das Lösungsmittel

mittels einer Glassäule (Chromatographi-

erohr) mit basischem Aluminiumoxid fil-

trieren (ca. 30 g Al2O3 für 250 mL Ether).26

Weißer Phosphor – eine weitere gefähr-

liche Hinterlassenschaft

Es kann nicht ausgeschlossen werden,

dass sich in den Vorratsräumen manch

alter Apotheke noch Bestände an Gelb-

em („Weißem“) Phosphor, meist unter-

gebracht in einer Phosphordose und in

einem sogenannten Phosphorschrank, be-

finden.27 Einen solchen in ein Mauerwerk

fest eingebrachten, verschließbaren Phos-

phorschrank zeigt Abb. 16.

Arzneilich wurde Weißer Phosphor, insbe-

sondere vor der Kenntnis des Vitamin D,

Abbildung 14: Etherhydroperoxidbildung nach Lit.25

SICHERHEITSHInWEISKeinesfalls darf man Flaschen mit Di-

ethylether öffnen, wenn sich am Ver-

schluss eine weiße Kruste oder im In-

nern (Glasflaschen) ein Niederschlag

gebildet hat! Ältere Behältnisse mit Di-

ethylether sind vor Gebrauch gründlich

zu begutachten.

Vorratsflaschen sollte man nicht nach-

füllen, den Ether am besten immer

frisch beschaffen und verbrauchen!

Der Peroxidgehalt sollte periodisch

kontrolliert werden.

Abbildung 15: Kommerziell erhältliche Peroxid-Teststreifen.

EnTSORGUnGS- UnD DESAKTIvIERUnGSHInWEISBromreste setzt man immer erst mit

Thiosulfatlösung um und bedeckt die

kontaminierte Fläche dann mit Ab-

sorptionsmaterial. Brom wird dabei

zu Bromid reduziert während Thiosul-

fat im Wesentlichen zu Sulfat, neben

Schwefel, oxidiert wird (Abb. 13).

2 SO42– + 8 Br– + 10 H+S2O3

2– + 4 Br2 + 5 H2OAbbildung 13: Reduktive Inaktivierung von Bromresten durch Thiosulfat.

Page 31: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3131 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 31

Dr. Helge Prinz

zur oralen Rachitisprophylaxe verwendet.

Das DAB 6 führte Phosphorlösung (Phos-

phorus solutus) auf,28 bereitet aus 1 Teil

Phosphor, 194 Teilen Paraffin liquid. und 5

Teilen Ether. Die Lösung verschwand erst

mit dem DAB 7 gegen Ende der sechziger

Jahre. Als Phosphorlatwerge bezeichnete

man eine Paste von Phosphor mit Mehl,

Wasser und Öl, die der Vernichtung von

Schädlingen diente.29 Phosphorpillen

dienten dem gleichen Zweck.

Weißer Phosphor ist eine der giftigsten

anorganischen Substanzen. Es handelt

sich um die reaktivste Modifikation des

Phosphors. Die Substanz ist honigfarben,

von der Konsistenz her wachsartig und

wasserunlöslich. Phosphorstangen wer-

den unter Wasser aufbewahrt, niemals

unter Petroleum. Eine hohe Gesundheits-

gefährdung resultiert durch Berühren der

Stangen, Kontakt mit dem Absperrwasser

und damit Aufnahme von Weißem Phos-

phor durch die intakte Haut.

Restbestände an Weißem Phosphor be-

lässt man am besten in der Phosphordo-

se bzw. im Phosphorschrank und lässt sie

durch einen kommerziellen Entsorger in

Abstimmung mit den zuständigen Be-

hörden abholen.30 Von jeglichen Entsor-

gungsversuchen, auch sehr kleiner Men-

gen etwa durch Verbrennen, wird drin-

gend abgeraten.

Quecksilbersalze

Noch im DAB 9 fanden sich im Reagen-

zienteil neben elementarem Quecksilber

sechs Quecksilber(II)salze. In der aktuellen

Ph. Eur. findet Quecksilber(II)chlorid Ver-

wendung zur Herstellung des Neßler Re-

agenzes. Quecksilber(II)bromid dient der

Herstellung von Quecksilber(II)bromidpa-

pier im Rahmen der Grenzprüfung auf Ar-

sen. Altbestände in größeren Mengen re-

sultieren aus der früheren Verwendung

des Quecksilber(II)-Salzes in heutzutage

obsoleten Externa wie der Gelben Queck-

silberoxidsalbe oder der Quecksilberprä-

zipitatsalbe. Man führt die Verbindungen

einem kommerziellen Entsorger zu.

Phlegmatisierte Substanzen

Zur Herabsetzung der Empfindlichkeit be-

stimmter Substanzen gegen Schlag, Rei-

bung, Stoß oder Erschütterung werden

diese meist mit Wasser angeteigt (Phleg-

matisierung). Bei zu niedrigem Wasserge-

halt besteht Explosionsgefahr.

Mit Blick auf etwaige Restbestände

in Apotheken sind die Nitroaromaten

2,4-Dinitrophenylhydrazin (mit 0,5 mL

H2O/g) und die Pikrinsäure (mit 0,5 mL

H2O/g, Abb. 17, 18) zu nennen. Bei phleg-

matisierten Substanzen sollte der Wasser-

EnTSORGUnGSHInWEISBei Hautkontakt mit Weißem Phos-

phor ist sofort ein Arzt zu rufen. Kon-

taminierte Hautpartien kann man mit

einer CuSO4-Lösung 1-2 % spülen.

Kontaminierte Kleidung wird sofort

entfernt und unter Wasser aufbe-

wahrt (Eimer). Mit Weißem Phosphor

in Kontakt geratene Gerätschaften

(Pinzette, Zange etc.) werden eben-

falls mit CuSO4-Lösung (5-10 %) be-

handelt (Kupfer(I)-phosphid-Bildung31,

Cu3P, unlöslich, nach Abfiltrieren zum

Schwermetallabfall). Man lässt ca. 24

Stunden stehen. Solche Lösungen wer-

den dann dem Schwermetallabfall zu-

geordnet.

Abbildung 16: Apothekenphosphorschrank, Phosphordose und Phosphorstangen unter Wasser.

SICHERHEITSHInWEISTrockener Weißer Phosphor, besonders

in feiner Verteilung, entzündet sich

an der Luft und bei Zimmertempera-

tur spontan, in kompakter Form bei

etwa 50 °C8, und verbrennt mit einer

offenen, sehr heißen Flamme. Es bil-

det sich rasch ein sehr dichter Rauch

von Phosphorpentoxid. Eine Verät-

zung der Schleimhäute durch Einat-

men des Rauches (Phosphorsäurebil-

dung) ist unbedingt zu vermeiden. Von

brennendem Phosphor abspritzende

Partikel haften auf der Haut. Phos-

phorbrand bedingt schwerste Brand-

wunden und Gewebeverletzungen mit

tiefen Nekrosen. Zum Löschen eines

Phosphorbrandes kann man feuchten

Sand einsetzen. Das Phosphor-Sand-

Gemisch belässt man bis zur Entsor-

gung in einem Behälter unter Wasser.

Page 32: Das Journal - akwl.de · säuren auf das kardiovaskuläre System und damit auch auf die Durchblutung des menschlichen Gehirns. Auch die Bedeutung dieser speziellen Fettsäuren für

32 Fortbildung aktuell - Das Journal Nr. 2/2011 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 32 Fortbildung aktuell – Das Journal Nr. 1/2014 der Apothekerkammer Westfalen-Lippe 3232 Fortbildung aktuell – Das Journal der Apothekerkammer Westfalen-Lippe

Der Chemie(un)fall in der Apotheke

gehalt regelmäßig überprüft werden.

Das 2,4-Dinitrophenylhydrazin diente

dem Nachweis von Carbonylgruppen über

die Bildung scharf schmelzender Hydrazo-

ne.

Die bitter schmeckende (pikros = bitter),

stark saure (pKa = 1,02) Pikrinsäure32,

der „Sprengstoff im Apothekerschrank“

(die Presse berichtete) dient der Herstel-

lung gut kristallisierender, schwer lös-

licher und scharf schmelzender Pikrate

(Pikratschmelzpunkte).

Als Monographie im Arzneibuch findet

sich außerdem das topische Akne-Thera-

peutikum (Di-)benzoylperoxid (Wasser-

haltiges Benzoylperoxid), ein organisches

Peroxid. Die USP und auch die Ph. Eur. be-

schreiben Explosionsgefahr bei Tempera-

turen > 60 °C.34 Die Substanz wird daher

zur Verwendung in pharmazeutischen

Zubereitungen mit 25 % Wasser ebenfalls

phlegmatisiert.

Referenzen & Literatur

1 Festschrift 100 Jahre WDT, www.wdt.de/files/100_Jahre_WDT.pdf?PHPSESSID_netsh70219=51a31a8e0189cdb876e1f5d67bd3a35b, 2004, S. 41.

2 J. Ziegler, Cresylsäureunfall in Hildesheimer Apotheke, Berlin, 24.09.2013, http://www.

deutsche-apotheker-zeitung.de/spektrum/news/2013/09/24/cresylsaeureunfall-in-hildes-heimer-apotheke/11086.html, letzter Abruf: 09.03.2015.

3 A. Schmidt, Apotheke entsorgt Altbestän-de, Memmingen, 04.05.2012, http://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/spektrum/news/2012/05/04/apotheke-entsorgt-altbestaen-de/7161.html, letzter Abruf: 09.03.2015.

4 DAZ.online, Memmingen, 02.02.2015 Bewäh-rungsstrafe im Memminger Giftalarm-Prozess, letzter Abruf: 04.05.2012.

5 J. Hähndel, Deutschland in der Pikrinsäurehysterie – oder: Stenkelfeld ist überall, CHEMKON, 15 (2008) 194-195.

6 M. Kleinrensing, ABC-Alarm in Hagener Apo-theke, 27.09.2012, http://www.derwesten.de/staedte/hagen/abc-alarm-in-hagener-apotheke-id7140305.html – plx1760120190, letzter Abruf: 10.03.2015.

7 Hedinger, Kaliumaluminiumsulfat, Sicher-

SICHERHEITSHInWEISSollte die Pikrinsäure kristallisiert sein,

wird folgende Vorgehensweise emp-

fohlen:33

Kristallisierte Pikrinsäure in Behält-

nissen aus Glas oder Kunststoff soll

zunächst vorsichtig kopfüber in den

Abzug gestellt werden und mit einer

Pipette Wasser in den Gewindebereich

getröpfelt werden, um sicherzustellen,

dass eventuelle Pikrinsäurereste im

Gewinde feucht sind. Das Gefäß soll

mindestens über Nacht stehengelassen

werden, damit das Wasser das Gewin-

de durchfeuchten kann. Anschließend

kann es geöffnet, das Gewinde und

der Verschluss sorgfältig gereinigt,

die Masse der Pikrinsäure durch Dif-

ferenzwägung ermittelt und Wasser

entsprechend 33 % der Masse ergänzt

werden.

Phlegmatisierte Substanzen dürfen vor

ihrer Verwendung keinesfalls im Tro-

ckenschrank getrocknet werden!

FAZITDer alltägliche Umgang mit gefähr-

lichen Stoffen, sei es im Schul-, Hoch-

schul- oder Apothekenlabor, birgt

grundsätzlich Gefahren. Es kann sich

immer etwas Unvorhergesehenes er-

eignen. Zwar wird der Umgang mit den

unterschiedlichsten Stoffen im Labor-

und Apothekenalltag durch eine Viel-

zahl von Gesetzen, Vorschriften und

Richtlinien genau geregelt. In erster

Linie tragen aber eine solide fachliche

Qualifikation verbunden mit gründ-

lichen Kenntnissen der Substanzeigen-

schaften dazu bei, das Gefahrenpo-

tenzial beim Umgang, der Lagerung,

dem Transport und der Entsorgung

einzuschätzen und nicht zuletzt ent-

sprechende spezifische Maßnahmen

bei unbeabsichtigter Stofffreisetzung

zu ergreifen. In den seltensten Fällen

wird es daher notwendig sein, beim

Umgang mit den üblicherweise kleinen

Mengen gefährlicher Stoffe im Labor

etwa einen Großeinsatz diverser Ret-

tungskräfte auszulösen. Stets gilt es,

die Ruhe zu bewahren und besonnen

zu handeln. Durch geeignete stoffspe-

zifische (Art?, Menge?) Maßnahmen

dürften sich – wie an einigen Beispielen

aufgezeigt – die meisten „Chemie(un)

fälle“, in der Apotheke sicher beherr-

schen oder im Vorfeld vermeiden las-

sen.

EnTSORGUnGSHInWEISBezüglich des Dibenzoylperoxid gilt,

dass einmal verwendete Substanz nicht

mehr ins Gefäß zurückgegeben wer-

den darf. Man zerstört Restmengen

mit verdünnter Natronlauge (10 %ig)

und überprüft mit einigen Kristallen

Natriumiodid nach Ansäuern mit ver-

dünnter Salzsäure (7,3 %ig). Es darf

kein Iod mehr freigesetzt werden.34

Abbildung 17: Strukturen zu phlegmati-sierender Substanzen.

Abbildung 18: Zum Teil ältere, zu phleg-matisierende Reagenzien.

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Dr. Helge Prinz

heitsdatenblatt gemäß Verordnung (EU) Nr. 453/2010, gültig ab 04.06.2013.

8 A. F. Hollemann, N. Wiberg, Lehrbuch der an-organischen Chemie, 102. Auflage, Walter de Gruyter, Berlin, New York, 2007, S. 1158.

9 D. Bernabei, Organische Basen und Amine, in: E. Merck (Hrsg.) Sicherheit – Handbuch für das La-bor, GIT Verlag GmbH, Darmstadt, 1991, S. 176.

10 Umweltbundesamt, Rigoletto, http://webrigo-letto.uba.de/rigoletto/public/search.do, Version 2.4 vom 30.09.2009.

11 Handschuhe, Information Chemikalienschutz-handschuhe BGI/GUV-I 868 Juni 2009, Berlin.

12 Dritte Verordnung zur Änderung der Apothe-kenbetriebsordnung vom 11. August 1980, Bun-desgesetzblatt, Nr. 46 (1980), S. 1267-1272.

13 F.W. Küster, A. Thiel, A. Ruland, Rechentafeln für die chemische Analytik, 105. Auflage, Walter de Gruyter Berlin New York 2003, S. 239.

14 W. Werner, Qualitative anorganische Analyse für Pharmazeuten und Naturwissenschaftler, 4. Auflage, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, 2006, S. 168.

15 Amtsblatt der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus 12/1999, S. 37.

16 Zweite Verordnung zur Änderung der Apothe-kenbetriebsordnung vom 19. August 1974, Bun-desgesetzblatt, Teil I Nr. 98 (24. August 1974), S.

2063.17 Miracle Mineral Supplement: Erhebliche Ge-

sundheitsgefahr, http://www.vz-nrw.de/MMS, Stand: 27.02.2015, letzter Abruf: 08.03.2015.

18 BfArM warnt vor der Anwendung von „Miracle Mineral Supplement“ als Arzneimittel, Presse-mitteilung 08/14, http://www.bfarm.de/Shared-Docs/Pressemitteilungen/DE/mitteil2014/pm08-2014.html, Stand: 30.05.2014, letzter Abruf: 09.03.2015.

19 BVL-Fachmeldungen, Warnung vor der Verwen-dung von „Miracle Mineral Supplement“ bei Tie-ren, http://www.bvl.bund.de/DE/05_Tierarznei-mittel/05_Fachmeldungen/2014/2014_12_12_Fa_Miracle_Supplement.html, Erscheinungsda-tum: 12.12.2014, letzter Abruf: 09.03.2015.

20 GESTIS-Stoffdatenbank, Kaliumdichromat, Ent-sorgung.

21 S.L. Ali, Wasserstoffperoxid – Explosives Gemisch in braunen Flaschen, Pharm. Ztg., 2001, 146, S. 3876-3877.

22 AMK/ZL, Pharm. Ztg., 143, 1998, S. 97.23 D. Bernabei, Konzentrierte Ameisensäure ent-

wickelt Druck, Sicherheit  –  Handbuch für das Labor, E. Merck (Hrsg.), GIT Verlag GmbH, Darm-stadt, 1991, S. 154.

24 M. Rieger, Varroa-Milbe unter Kontrolle?, Land-wirtschaftliches Wochenblatt, 30, 2007, S. 41.

25 E. Breitmaier, G. Jung, Organische Chemie, 7 ed., Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York.

26 D. Bernabei, 2.2.2 Peroxide in Lösungsmitteln, Sicherheit – Handbuch für das Labor, E. Merck (Hrsg.), GIT Verlag GmbH, Darmstadt, 1991, S. 46-53.

27 J. Rudnik, Ein brisantes Element, Nachr. Chem., 62, 2014, S. 988-990.

28 Deutsches Arzneibuch 6. Ausgabe 1926, R. v. Decker´s Verlag, G. Schenck, Hamburg Berlin Bonn, Neudruck 1951.

29 G.-A. Buchheister, Ungeziefermittel, in: Hand-buch der Drogisten-Praxis, Julius Springer Ver-lag, Berlin, 1893, S. 364.

30 U. Stapel, C. Vetter, K. Gruber, T. Wolf, Lagerung von Gefahrstoffen in der Apotheke : Handlungs-hilfe zur TRGS 510: Unterstützung für Apothe-ken, BGW 2013 (BGW-Info), 2013.

31 W. Wirth, C. Gloxhuber, Toxikologie, 4. Auflage, Georg Thieme Stuttgart New York, 1985, S. 96.

32 Pikrinsäure, Pharm. Ztg., 153, 2001, S. 3250. 33 B. Rall, Zum Umgang mit Pikrinsäure, Dtsch.

Apoth. Ztg 148, 36, 2008, S. 26.34 Wasserhaltiges Benzoylperoxid, Kommentar zur

Ph. Eur. 4.00 und dort zitierte Literatur, Wissen-schaftliche Verlagsgesellschaft mbH, Stuttgart, Govi-Verlag – Pharmazeutischer Verlag GmbH Eschborn, 17. Lfg. 2004.

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Medikamentenmonitoring

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Verena Arzbach

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