Das Magazin für aktuelle analoge Fotografie IV.2017 ... · Magazinarten auf den Markt drängten,...

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IV.2017 D 9,80 EUR A 10,90 EUR L 10,90 EUR CH 18,90 CHF Foto: © Herbert Döring-Spengler Aufnehmen: Leica-M-Pancakes – 100 Jahre Gitzo – Kamera-Selbstbau Sehen: Was ist ein »gutes Bild«? – Amsterdam im Quadrat Arbeiten: Steidl und die Druckmaschine als Dunkelkammer Ausprobieren: Fotopapier statt Film – Filigrane Schichten Machen: Film-Noir-Shooting – Der perfekte Weg zum Fine Art Print Das Magazin für aktuelle analoge Fotografie www.photoklassik.de Jubiläumsausgabe – 5 Jahre

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IV.2017

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Aufnehmen: Leica-M-Pancakes – 100 Jahre Gitzo – Kamera-SelbstbauSehen: Was ist ein »gutes Bild«? – Amsterdam im QuadratArbeiten: Steidl und die Druckmaschine als DunkelkammerAusprobieren: Fotopapier statt Film – Filigrane SchichtenMachen: Film-Noir-Shooting – Der perfekte Weg zum Fine Art Print

Das Magazin für aktuelle analoge Fotografie

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Jubiläumsausgabe – 5 Jahre

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003 Editorial004 Inhalt006 Aktuelles aus der Szene060 Jetzt mitmachen: Die große instax-SQUARE-SQ10-Aktion 2017096 Mitarbeiter dieser Ausgabe098 Vorschau, Impressum

PORTFOLIO038 Im Zwischenraum – Valentina Murabito076 Wo die Blaubeeren wachsen – Barbara Wimmer080 Filigrane Schichten – Michael Haas

TECHNIK010 Japanische Feinkost – Pancake-Objektive018 Eine zweiäugige Retro-Kamera zum Selberbauen

PRAXIS014 Starkes Rahmenprogramm – Conzen044 Doppelt nach großer Stabilität streben – Linhof056 Schön stillhalten – Kalotypie-Negative061 Stereofotografie – »RBT 3-D«-Sofortbildkamera064 Im Quadrat – Fototour durch Amsterdam068 PhotoKlassik on location: Film-Noir-Werbeshooting 084 Shades of Grey – Fine Art Print

KULTUR009 Die PhotoKlassik Akademie020 Bellamy Hunt: Der Mann, der Kameras jagt021 100 Jahre Gitzo: Exklusive Sondereditionen022 Die Welt des Sehens I026 Lesers Lieblinge – die Kameras unserer Leserinnen und Leser030 Die Erfindung der Pressefotografie044 Der Traum vom perfekten Diarahmen – Gepe-A-Rahmen049 Meine Druckmaschine ist meine Dunkelkammer – Steidl090 Fundstücke – Randnotizen zur Foto-Kunst094 Ikonen der Fotografie – Thomas Ruff

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Pancake-Objektive sind vor allem in der digitalen Welt im Trend. In der analogen führten Sie eher ein Schatten-dasein. Dabei sorgen sie dafür, dass selbst voluminösere Kameras in der Jackentasche Platz finden und beim Foto-grafieren unauffällig bleiben. MS-Optics hat sich vor allem diesen ultrakompakten Objektiven verschrieben und bie-tet für das Leica-M-Bajonett spannende Alternativen an.

Japanische Feinkost

Sadayasu Miyazaki ist ein umtriebiger Japaner, wenn es um die Konstruktion superflacher Objektive geht. In seiner kleinen Ma-nufaktur entwickelt und fertigt er in Handarbeit Kleinodien für Leica-M-Anwender. Die Stückzahlen der Objektive, die er produ-ziert, sind so gering, dass er hauptsächlich im japanischen Markt aktiv ist. Dadurch ist es zu erklären, dass er hierzulande fast un-bekannt ist.

Durch die Kleinserie lohnt sich auch keine gedruckte Bedie-nungsanleitung. Herr Miyasaki liefert eine kleine handgeschrie-bene japanische Anleitung mit (siehe Seite 13). Sehr charmant. Hier finden sich auch immer MTF-Kurven zu den Objektiven für unterschiedliche Blendenwerte, sodass der Anwender den Abbildungscharakter kennt und gezielt über die Blendenwerte steuern kann.

Die Fertigungsqualität ist hervorragend und derjenigen der deut-schen Hersteller in nichts nach. Auch die Namensgebung seiner Objektive mit Bezeichnungen wie »Perar« oder »Apoqualia« lie-gen in der Tradition teils vergessener deutscher Hersteller. Völlig anders hingegen sind die Designansätze. Denn er versucht, die Objektive möglichst klein und leicht zu halten und erreicht hier teils extreme Ergebnisse. Die Objektive der Perar-Serie sind bis zu 5,2 mm (!) kurz, ohne irgendwelche Einschubmechanismen. Das Perar 35 mm 1:3,5 ist als einziges einziehbar und erreicht im eingezogenen Zustand lediglich 4,2 mm Dicke. Auch hoch-lichtstarke Vertreter wie das Sonnetar 50 mm 1:1,1 sind ver-gleichsweise leicht und kompakt.

MS-Optics bietet seine Objektive häufig in unterschiedlichen Oberflächen und Farben an. Zu finden sind z. T. Schwarz, Schwarz-Lack, Silber, Silber-Rhodium, Nickel und Gold.

Das Perar ist nicht dicker als der Kamerabajonettdeckel! Der Vergleich mit dem Leica Summicron-M 28 mm 1:2 zeigt den deut-lichen Größenunterschied. Beide Objektive mit aufgesetzter Streulicht-blende.

Apoqualia-G 28 mm 1:2,0, Blende offen

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von digitalen Daten

Tina Toth und die Polaroid ImageIch komme aus Wien und fotografiere schon, seit ich als kleines Kind eine Kamera halten konnte. Seit meinem 15. Geburtstag habe ich die Canon T-70 meines Vaters in den Händen und gebe sie nicht mehr her. Aber sie ist nicht die Kamera, die derzeit mein Liebling ist, obwohl ich mit all meinen Analogkameras sehr viel verbinde.

Meine Lieblingskamera ist die Polaroid Image, die mich seit gut drei Jahren überall hin begleitet. Sie wird von der Auswahl der verschiedenen Filme von Impossible schon sehr vernach-lässigt, aber ich habe mich einfach in diese Kamera und ihr ganz eigenes Format verliebt. Obwohl es die üblichen Filme in Schwarzweiß und auch in Farbe gibt – jeweils mit weißen und schwarzen Rahmen – verwende ich zu 99 Prozent den Schwarz-weiß-Film mit weißem Rahmen. Ich hatte das Glück, einmal einen Workshop beim damaligen Impossible-Shop in Wien zu machen, und trotz vieler verschiedener Kameras, die ich dort ausprobieren durfte, habe ich mich ganz eindeutig für Polaroid Spectra/Image entschieden. Sie lag für mich einfach gut in der Hand und hat mir ganz neue fotografische Wege und Möglich-keiten gezeigt. Ich hätte nie gedacht, dass diese Kamera mir in so kurzer Zeit das Gefühl einer zweiten Heimat geben könnte, wie die Canon T70, aber sie hat sich einfach in mein Herz ge-brannt und kommt seither immer und überall mit hin.

Was meine Fotografien angeht, so muss man wissen, dass sich mein ganzes Leben irgendwie immer wieder um meine zwei

großen Leidenschaften der Fotografie und der Architektur dreht. Wodurch beides für mich irgendwie stark zusammenge-hört und meine Fotografien dadurch fast ausschließlich Archi-tektur darstellen. Ich spiele gerne mit der Formensprache der Gebäude, ob neu oder alt, genauso wie mit Innenräumen und auch öffentlichen Bereichen wie Bahnhöfen. Sie haben für mich eine ganz eigene Kraft in ihrer Aussage, und ich frage mich oft, was uns wohl diese Gebäude so alles erzählen könnten, wenn sie zu uns sprechen würden.

Von der Technik her ist es nicht immer einfach, mit der Po-laroid Image zu arbeiten, denn sie mag kein Gegenlicht – im Gegensatz zu mir – und ich versuche immer wieder, ihre Gren-zen neu auszuloten. Ich spiele aber auch gerne mit Doppelbe-lichtungen und zusammenhängenden Serien, für die man so einiges an Geduld braucht. Aber die Kamera hat mich bisher immer wieder dazu ermutigt, sie überall hin mitzunehmen und alles auszuprobieren. Sie fängt für mich nicht nur die Gebäude ein, sondern auch die damit verbundenen Erinnerungen, und durch den analogen Charakter spiegelt es für mich auch eine ganz eigene Zeit wieder. Ich verwende sie auch gerne für Fami-lienfotos, um die gemeinsame Zeit festzuhalten und vielleicht auch gleich ein kleines Geschenk für die Verwandten mit da-beizuhaben. Archiviert werden meine Fotografien vorrangig in Fotoalben sowie in kleinen passenden Kartonschachteln, die ich beschrifte. Jedes Jahr mache ich ein kleines Büchlein mit einem »Best-of«. Dafür werden meine Lieblingsfotos eingescannt und mittels Photoshop von kleinen Fusseln befreit, um sie dann dru-cken zu lassen.

Wer fotografiert mit was? Wir haben unsere Leserinnen und Leser gefragt und aus den vielen Antworten stellen wir Ihnen diesmal wieder zwei besonders in-teressante Beiträge vor. Sie haben auch eine Lieblingskamera und wollen sie in PhotoKlassik zeigen? Dann schreiben Sie uns Ihre Story und schicken uns Ihre Bilder: [email protected].

Lesers Lieblinge II

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Wie Göran Pettersson den Gepe-A-Rahmen erfand.

Der Traum vom perfekten Diarahmen

Göran Pettersson fand um 1953 in einer amerikanischen Zeit-schrift, was gebraucht wurde: ein Magazin, in das die Dias zur Stereoprojektion vorsortiert werden konnten und aus dem her-aus sie direkt in die Projektorstrahlengänge geschoben wurden. Dies brachte ihn auf seine erste Idee für eine eigene Produktion. Er entwarf den manuellen »Bildwechsler«, der an den Projektor angesetzt wurde, um sowohl das Magazin über eine Zahnleiste bewegen als auch das jeweilige Dia mit einem Schieber ein- und wieder zurückführen zu können. Mithilfe von Adaptern sollte der Bildwechsler an verschiedenen geläufigen Projektoren ver-wendbar sein. Im selben Jahr ließ er bei einer Werkstatt in Skara einen Protyp fertigen, mit dem er seine Idee bei der St.-Eriks-Ausstellung in Stockholm auf einem eigenen Stand den Ama-teuren und Berufsfotografen vorstellte. Der Bildwechsler fand so viel Anklang, dass ein englischer Agent den Vertrieb für den englischen Markt übernehmen wollte. Göran Pettersson wurde damit vom Fotohändler zum Produzenten. Als Magazin für sei-nen Bildwechsler wählte er ein Magazin aus den USA, das er durch die Firma Hammargrens Plast, später Hammarplast, als Kopie fertigen ließ. Der Erfolg nahm stetig zu, erlaubte es ihm aber trotzdem noch nicht, sich seiner neu gegründeten Firma »Biwex« – für Bildwechsler – in Vollzeit zu widmen.

Als naheliegende Erweiterung beschloss Göran Pettersson, eigene Diaprojektoren anzubieten, in denen der Bildwechs-ler bereits eingebaut war. Wider Erwarten wurde daraus kein großer Erfolg, vielleicht weil ab Mitte der 1950er-Jahre der Wettlauf um die »automatische Diaprojektion« begonnen hat-te und deshalb verschiedene Hersteller mit unterschiedlichen Magazinarten auf den Markt drängten, so etwa 1955 Braun mit dem Paximat oder 1958 Leitz mit dem Pradovit und Agfa mit dem Diamator S. Erst mit dem »Universalmagazin« von 1960 einigten sich wenigstens einige Hersteller auf eine gemeinsame Norm für austauschbare Magazine. Göran Pettersson ließ sich nicht entmutigen und zog 1958 von Skövde in die Hauptstadt Stockholm, um für den Generalagenten Hans Wick als Verkäu-fer für Ferrania-Röntgenfilme und weitere Produkte zu arbeiten.

Er kam zu der Erkenntnis, dass ein gutes Geschäft weniger mit den Geräten als mit dem Verbrauchsmaterial, nämlich den Dia-rahmen, zu machen sei. Deshalb befasste er sich mit den verfüg-baren Rahmentypen, deren Schwächen er überwinden wollte. Daraus folgten drei Evolutionsstufen von Gepe-Diarahmen.

Die ersten Gepe-Rahmen bestanden aus einem regelrechten Bausatz für jedes einzelne Dia: zwei äußere Metallmasken, ein einfacher Innenrahmen aus Plastik als Verstärkung und Distanz-stück und zwei kleine Glasscheiben. Nachdem die Bauteile zu-sammengesetzt waren, konnte die Position des Dias ein letztes Mal justiert werden, bevor alles durch Pressen in einer speziel-len Montagezange zusammengeklemmt wurde. Die in Götene produzierten Rahmen überzeugten 1958 sofort viele Profis und Amateure. Die Dias waren gut geschützt, und die Montage ging sehr präzise, auch wenn sie viele Handgriffe benötigte. Allerdings wurde das Bildfeld durch die Metallmasken begrenzt, die außer-halb der Glasscheiben lagen. Mit diesen Abstand zum Film er-schienen sie in der Projektion leicht unscharf, wie bei den Kodak-Papprähmchen, den sogenannten »Readymounts«. Ebenso wie

jedem genutzt werden. Was dazu führte, dass unter anderem in den USA und in Italien, später auch in Japan, Diafilme nach dem Agfacolor-Verfahren hergestellt wurden. Trotz des Verlustes der Patente, wichtiger Maschinen und Mitarbeiter erholte sich die deutsche Fotoindustrie erstaunlich schnell wieder, nicht zuletzt wegen der starken internationalen Nachfrage.

Auch Göran Pettersson konnte in seinem Fotogeschäft »Gepe-Photo« im schwedischen Skövde deutsche Fotogeräte gut ver-kaufen. Tatsächlich fiel ihm das Verkaufen leicht – solange er nur genügend Ware bekam. Also fuhr er zweimal pro Woche nach Stockholm, um mit den Importeuren zu sprechen und – ganz wichtig – sofort bar zu bezahlen. Denn nur die Bar-zahlung sicherte ihm die Möglichkeit, neben den bekannteren Geschäften mit ihren großen Bestellungen überhaupt bestehen zu können und Ware zu erhalten.

Der Hunger nach Farbdias wuchs nach dem Krieg. Nicht nur mit den teureren Kleinbildkameras wie der Leica, der bereits 1936 eingeführten Contax II und der aus demselben Jahr stam-menden ersten 35 mm-Spiegelreflexkamera Ihagee Kine Exak-ta, sondern auch mit den erschwinglicheren Marken wie Voigt-länder oder Zeiss Ikon konnte man nun Farbdias erstellen. Ein regelrechter Boom der Farbdias brach los.

Mit dem Parvo/Prado stellte Leitz 1948 einen schicken neuen Diaprojektor vor, der mit seinem elliptischen grauen Gehäuse und dem grauen »Rüssel« des Objektivhalters den Spitznamen ›Elefant‹ erhielt. Stand der Technik beim Elefant und bei al-len anderen Diaprojektoren war es, die Dias einzeln in einen Wechselschieber einzulegen und zur Projektion manuell in den Strahlengang zu schieben. Anschließend wurde das Dia ent-nommen und zurück auf den wackeligen Diastapel neben dem Projektor gelegt. Als komfortabel galt es, wenn der Wechsel-schieber zwei Diahalter besaß, sodass abwechselnd ein Dia pro-jiziert wurde, während man das andere auswechselte. Solange bloß der Diastapel nicht umkippte oder durcheinandergeriet …

Wer je versucht hat, die erstaunlich scharfkantigen und hake-ligen Papprähmchen des Kodachrome im Dunkel eines Projek-tionssaales zu handhaben, der wird schnell verstehen, warum man sich dabei um die empfindliche, offenliegende Filmober-fläche Sorgen macht. Viele verkratzte, verstaubte und auf dem Kopf stehend projizierte Dias zeigten, dass dies nicht der Weis-heit letzter Schluss sein konnte.

Im Jahr 1925, als Göran Pettersson in Schweden geboren wur-de, erschien auch die Leica-Kleinbildkamera auf dem Markt und – fast noch wichtiger – Leitz stellte mit dem »Uleja« seinen ersten Diaprojektor für Kleinbilddias vor.

Dabei konnten farbige Kleinbilddias erst 1933 mit dem Agfa-Linsenrasterfilm in einem recht komplizierten Verfahren aufge-nommen werden. Es dauerte noch bis 1936, der junge Göran Pettersson war inzwischen elf Jahre alt, bis mit dem Kodachro-me-Diafilm in den USA und dem Agfacolor Neu in Deutschland für den Fotografen wirklich komfortable Möglichkeiten angebo-ten wurden, hochwertige farbige Kleinbilddias aufzunehmen.

Im Jahr 1938 machte H. C. Staehle bei Kodak eine Erfindung, mit der Göran Pettersson später nicht mehr zufrieden sein würde: Das selbstklebende 5 x 5 cm große Papprähmchen für Kodachrome-Dias.

Doch zunächst war die Verbreitung unter den Fotoamateuren relativ gering. Denn der Zweite Weltkrieg brach in Europa 1939 aus, und damit wurde der Kodachrome ausschließlich und der Agfacolor Neu überwiegend für militärische Zwecke bereitge-stellt. Schweden blieb neutral und der junge Göran wuchs heran.

Als der Krieg 1945 in Europa zu Ende ging, wurde Göran Petters-son zwanzig Jahre alt. Die deutsche Fotoindustrie war in weiten Teilen zerstört, und vieles von dem, was stehen geblieben war, wurde abtransportiert und im Ausland wieder aufgebaut. Die deutschen Patente, darunter die 278 Patente für den Agfacolor Neu, wurden offengelegt und konnten überall auf der Welt von

Firmengründer Göran Pettersson bei einer Produktpräsentation.Foto: Gepe Holding AG

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Im Zwischenraum

Bilder in einem Zwischenraum zwischen Fotografie und experimenteller Malerei schafft die italienische Künstle-rin Valentina Murabito. Wir stellen ihr poetisches Werk vor, das auf unterschiedlichsten Materialien entsteht.

Valentina Murabito

© Valentina Murabito, »Alles ist heilig«, 130 x 100 cm, analoge s/w-Fotografie, Fotoemulsion auf Aquarellpapier, Unikat, 2016

© Valentina Murabito, »Degeneriert. Studie n.01«, 30 x 24 cm, analoge s/w-Fotografie, Fotoemulsion auf Aquarellpapier, Unikat, 2016

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Doppelt nach großerStabilität streben

Schon in den späten 1950er-Jahren führte Linhof sein Spit-zenprodukt für die mobile Fotografie mit schweren profes-sionellen Fotoausrüstungen ein. So trägt das Stativ ohne Murren die wirklich großen Großbildkameras mit 8 x 10-Inch-Filmkassetten und darüber hinaus, ebenso wie schwerste Te-leobjektive bis 20 kg. Um auch solche Gewichte leicht und sicher handhaben zu können, bietet das Stativ einen eintei-ligen Auszug, wobei jedes Bein über eine doppelte Spreize mit dem soliden Mittelrohr verstrebt ist. Die Spreizen finden rohrseitig die Aufnahme in einem Gleitring, sodass alle drei Beine mit einem Griff gleichzeitig abgespreizt werden. Zur Anpassung an das Gelände können die Spreizen einzeln aus-gehängt und das Bein dann in einem beliebigen Winkel in den Hang gestellt werden. Die Schenkelauszüge aus schwarz eloxiertem Aluminium werden mit großzügig dimensio-nierten Exzenterklemmen auch mit Handschuhen sicher festgestellt und ermöglichen durch gravierte Längenskalen wiederholbare Höheneinstellungen. Die Schenkelauszüge enden in Stativfüßen, die vom Benutzer schnell mit Gummi-ring oder Metalldorn an die Bodenbeschaffenheit angepasst werden können.

Die Doppelstreben der oberen Beinschenkel sind über die Gelenke an einem massiven Spannring aus Metallguss an-geschlagen, der mit seinen 90 Millimetern Spannweite in Verbindung mit dem Mittelrohr eines der Geheimnisse für den anhaltenden Erfolg dieses Stativs bildet. In der Basis-ausstattung wird in diesen Spannring ein 90-mm-Adapter-teller eingesetzt, der mit seinem Gewinde große und größte Stativköpfe fixiert. So ausgestattet, wird die Arbeitshöhe der Kamera nur über den Auszug der Stativbeine justiert.

Einzigartig wird das Linhof Professional Rohrstativ nach un-serer Ansicht jedoch erst mit dem als Zubehör lieferbaren »Großen Kurbeleinsatz«. Er wird anstelle des Adapterringes in den Spannring eingesetzt und vom Mittelrohr geführt. Der Adapterteller für den Stativkopf findet seinerseits Halt im Spannring des Kurbeleinsatzes. So kann der Kurbelein-satz mit zwei Handgriffen schnell ein- und ausgebaut wer-den. Wer aber mit seiner Kurbel und dem großzügig be-messenen Zahntrieb jemals eine schwere Kamera spielend leicht auf die millimetergenau richtige Höhe gekurbelt und dort absolut standfest und schwingungsfrei ›verankert‹ hat, wird den Kurbeleinsatz kaum je wieder ausbauen wollen. Deshalb ist die Konfiguration des Linhof Professional Rohr-stativs mit Kurbeleinsatz auch die meistverkaufte.

Viele technisch versierte Fotografen halten ausziehbare Mittelsäulen für den wackeligen Schwachpunkt der aller-meisten Stativkonstruktionen. Sie verzichten lieber auf den Vorteil der schnellen und genauen Höheneinstellung und nehmen ein Stativ ganz ohne Säule für eine maximale Bild-

Das Linhof Professional Rohrstativ ist ein echter, wenn auch stiller Klassiker. Hervorragend durchdacht, extrem stabil und zuverlässig und zugleich einfach und schnell im täglichen Gebrauch, leisten zahllose dieser Stative buchstäblich seit Jahrzehnten auf der ganzen Welt ihren Beitrag zu scharfen und präzise komponierten Bildern.

Grundsolide: der »Große Kurbeleinsatz« gleitet im Mittelrohr

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Amsterdam – eine Stadt, deren Namen einem unweigerlich ein vielfältiges

Potpourri an Bildern und Szenerien vor dem geistigen Auge entstehen lässt:

romantische Bootsfahrten auf den Grachten, pulsierendes und multikultu-relles Leben in den Bars und Clubs der angesagten Viertel sowie das künstleri-

sche Vermächtnis großer Meister in den zahlreichen weltbekannten Museen der niederländischen Hauptstadt. So erging es auch mir, als ich mich an einem frü-hen, nicht sehr sonnenverwöhnten und mäßig warmen Samstagmorgen im Juli

auf den Weg zu einer Fototour durch Amsterdam machte.

IM QUADRAT In Begleitung einer »alten Dame«Trotz der (Vorstellungs-)Bilder in meinem Kopf gab es für meinen ersten Besuch in dieser Stadt keinen Regieplan und keine festen Motive, die ich in jedem Fall fotografisch einzufangen suchte, denn es sollte ja kein gehetztes »Hotspot-Hopping« werden. Eher wollte ich das unaufgeregte Amsterdam jenseits der vermeint-lichen Sehenswürdigkeiten abbilden und Orte zeigen, die zur Ruhe und Entspannung einladen. Und ich wollte dies auf eine entschleunigte Art des Fotografierens tun, die mich die Stadt selbst auf entspannte Weise erkunden lässt. Zu diesem Zweck wählte ich eine charmante »alte Dame« deutscher Kamerabau-kunst, die mir geradezu als geschaffen für diese Art der Fotografie zu sein schien: die mittelformatige und doppeläugige Rolleiflex (in meinem Fall: eine 2,8 F aus dem Produktionsjahr 1960).

Aus heutiger Sicht verfügt dieser Kameratyp, der bis in die frü-hen 1970er-Jahre hinein zur Standardausrüstung professionel-ler Fotojournalisten gehörte, zwar über eine sehr spartanische technische Ausstattung. Jedoch ist diese Eigenschaft meines Erachtens gerade die Voraussetzung dafür, konzentriert und mit besonderer Sorgfalt für das Wesentliche fotografieren zu können. So braucht man sich vor einer Aufnahme nicht damit zu beschäftigen, welche Belichtungsautomatik oder welches Motivprogramm nun die wohl beste Wahl für eine bestimmte Aufnahmesituation wäre, da der Rolleiflex »solch technischer Luxus« völlig fremd ist. Alle Aufnahmeparameter wie der Belichtungsabgleich (bzw. Zeit- und Blendenwerte) oder die Motiventfernung möchten manuell bestimmt und eingestellt werden. Einzig die Frage nach Hoch- oder Querformat entfällt, da die Kamera stets ein quadratisches 6 x 6-Bild liefert. Meine Filmwahl fiel auf den Kodak Tri-X 400, der sich immer wieder als verlässlicher und gutmütiger Allrounder – gerade bei nicht optimalen Lichtverhältnissen – erweist. Für einen Schwarz-weiß-Film entschied ich mich, da es mir darauf ankam, Kontras-

Gegen 6:15 Uhr: noch schläft Amsterdam Vor dem (Gäste-)Ansturm

te, Linien, Formen und Strukturen in der Stadt abzubilden, und ich denke, dass die Essenz von Objekten und Situationen deut-licher sichtbar wird, wenn keine Farben von ihnen ablenken.

Erste Motive am frühen MorgenGegen 6:00 Uhr beginne ich meinen knapp zehnstündigen Fo-tospaziergang am Bahnhof Centraal, der nicht nur ein Verkehrs-knotenpunkt Amsterdams, sondern wegen seiner auf Hunder-ten Pfählen errichteten Bauweise auch eine Attraktion der Stadt ist. Es riecht nach Wasser und Salz als unverkennbares Zeug-nis des maritimen Charakters Amsterdams inmitten einer an Menschen und Geräuschen vorerst noch armen Szenerie. Die niederländische Hauptstadt scheint noch weitgehend im Däm-merschlaf des anbrechenden Tages zu liegen. Welche Motive, Menschen und Eindrücke werden auf mich wirken und ihren Weg auf den Film finden? Und werden sich diese von den Vor-stellungsbildern unterscheiden, die mich unterwegs nach Ams-terdam begleitet haben? Zunächst gehe ich ostwärts über die Oud-West zum Waterlooplein und nehme architektonische De-tails der Amsterdamer Häuser, wie Eingänge, Treppen oder die für das Leben der Amsterdamer besonders charakteristischen offenen und vorhangfreien Fensterfronten, fotografisch ins Vi-sier. Die eingebaute Optik der Rolleiflex mit einer Festbrenn-weite von 80 mm (KB-Äquivalent: 50 mm) lädt dazu ein, wirk-lich nahe an die Motive heranzugehen und sich intensiv mit ihnen auseinanderzusetzen. In diesen Morgenstunden herrscht noch kein geschäftiges Treiben auf den Straßen und Plätzen der Metropole, und nur vereinzelt nehmen Gewerbetreibende und Straßenarbeiter bereits ihr Tagwerk auf. Beim Übergang in die Innenstadt an einer größeren Kreuzung zeigt ein Arbeiter lächelnd auf meine Kamera und begrüßt mich mit der Frage »Camera obscura?« Die Arbeit ruht für einige Minuten, und es entwickelt sich ein heiteres Gespräch über meine fotografische Begleiterin, über das ich mich sehr freue. Dieser Begegnung

Kunst »an der Laterne« Typisch für Amsterdamer Fensterfronten: offen und vorhanglos

Mit Charme und Melone, nur ohne Schirm: ein Touristenführer

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Film-Noir-Werbeshooting

Wenige Tage vor Weihnachten saß ich in meinem Büro und erhielt plötzlich einen unerwarteten Anruf. Ein freundlicher Herr mit eindeutig schwäbischem Akzent stellte sich als Michael Haack von der Firme Has & Spatz vor. »Sie kennen mich nicht, aber ich kenne Sie.« Es war ja kurz vor Jahres-ende, und bevor ich in Gedanken noch alle zu zahlenden Rechnungen durchgehen und auf versehentlichen Zah-lungsverzug überprüfen konnte, löste der freundliche Herr aus Stuttgart das Rätsel aber bereits auf. Er sei Besitzer ei-ner kleinen Manufaktur für edle Delikatessen mit eigener Brennerei. Den Kontakt zu mir habe er über ein Fotomodel bekommen, das er für neue Werbeaufnahmen engagieren wollte. Bei der Durchsicht ihrer Mappe hätten einige ihrer Fotos besonders sein Augenmerk getroffen, da diese sich ir-gendwie von der Masse unterschieden. Das besagte Model habe ihm dann berichtet, dass diese Aufnahmen von mir als Fotografen stammen und komplett über einen filmbasier-ten Workflow entstanden seien. Er sei selber auch passio-nierter Amateurfotograf, und er konnte sich bis dahin nicht vorstellen, dass es so gewaltige Unterschiede in der Wahr-nehmung geben kann. Daher ließ ihn der Gedanke nicht mehr los, etwas in dieser Richtung auszuprobieren.

Er führte dabei weiter aus und begann von sich und seinem Unternehmen zu erzählen. Er sei ursprünglich gelernter Maschinenbauingenieur und jahrelang für einen Fahrzeug-hersteller aus dem Stuttgarter Raum tätig gewesen, der für besonders hochwertige und schnelle Autos bekannt ist. Vor einigen Jahren habe er sich dann entschieden, eine Ausbil-dung zum Brenner zu beginnen. Und dies mit dem gleichen perfektionistischen Anspruch, den er von seinem vorheri-gen Arbeitgeber gewohnt war. Da er schon immer eine Lei-denschaft für Perfektion und Handarbeit hatte, kam er zu dem Schluss, dass die Werbung für sein Unternehmen die gleichen Kriterien erfüllen muss.

Ich war natürlich hoch erfreut, dass meine Aufnahmen die-sen Effekt erzielen und bei einem passionierten Digitalfo-tografen genau den Eindruck erzeugen, den die Liebhaber der filmbasierten Fotografie so schätzen. Im weiteren Tele-fonat erzählte er mir detaillierter über seine Arbeitsweise, wie die Früchte für die Liköre ausgesucht werden und wie kleine Details im Herstellungsprozess doch zu signifikanten Unterschieden im Endprodukt führen können. Im weiteren Gespräch kamen wir auf die aktuelle Entwicklung im Be-reich der Fotografie zu sprechen, und er schilderte mir seine Eindrücke, dass, egal, welche Aufnahmen man betrachte, sehr vielen davon die persönliche Note fehle und man das Gefühl bekomme, in irgendeiner Form jene schon einmal gesehen zu haben. Eben das möchte er nicht.

Ich berichtete ihm über unsere Erfahrungen in der Photo-Klassik der letzten Jahre in Bezug auf die gesamte Branche. Speziell darüber, dass nach der extrem schlechten Entwick-lung und dem Siegeszug der Digitalfotografie nun schon seit einiger Zeit eine stetige und nachhaltige Konsolidie-rung eingesetzt habe. Die Branche erhole sich und es gebe eine ganze Generation, welche die Fotografie neu entdeckt, und das »neue« fotografische Mittel ist eben nicht nur das Handy, sondern auch der Film. Er war sichtlich erstaunt, dass er nicht der Erste ist, der diese Idee hat, seine Werbung auf Film erstellen zu lassen. So hat erst kürzlich das Unterneh-men Alnatura bei einem Werbeauftrag den Aufnahmen auf Film den Vorzug gegeben. Aber auch im Videobereich gebe es sehr interessante Entwicklungen. Ein beeindruckendes Beispiel kommt vom italienischen Schuhhersteller Santo-ni für seine 2016er-Kollektion. Der Werbefilm dafür wurde von dem französischen Fotografen Olivier Zahm komplett auf Super-8-Film im Stil der 70er-Jahre gedreht. Dieser ist daneben auch Chefredakteur des Mode- und Kultmagazins »Purple«, also durchaus richtungsweisend in Bezug auf Stil und Trend. Dabei ist das verwendete Medium Film ein ent-scheidender Teil der Darstellung. Ein weiteres eindrucksvol-les Beispiel ist der englische Verstärkerhersteller Marshall. Die Werbung für die eigenen Kopfhörer wurde ebenfalls rein auf Super 8 erstellt. Die Wahl des Mediums Film unter-stützt in geradezu perfekter Weise die Historie der Marke. Aber nicht nur in der Werbung gewinnt der Film immer mehr an Bedeutung, auch in der Dokumentations- und Reisefotografie gibt es genügend Beispiele dafür, dass Fo-tografen sich auch kommerziell erfolgreich von der Masse abheben können, wie z. B. der u. a. aus National Geographic bekannte Fotograf Norbert Rosing.

All diese Ausführungen schienen den Herrn auf der ande-ren Seite der Leitung offensichtlich noch stärker in seinem Vorhaben zu bestärken, und so vereinbarten wir zeitnah ein Treffen, um die Details einer möglichen Zusammenarbeit zu besprechen.

Wer hätte gedacht, dass für eine Fotopro-duktion in der Zeit der digitalen Fotografie

konkret nach filmbasierter Fotografie gefragt wird? Warum genau Marwan El-Mozayens Bil-der den Auftraggeber beeindruckten und wie das eigentliche Shooting war, berichten wir.

on location

Bei unserem ersten persönlichen Gesprächstermin bespra-chen wir zu allererst seine eigenen Vorstellungen und wie er sein Produkt sieht sowie welche Kunden er ansprechen möchte. Dabei kristallisierte sich schnell heraus, dass der größerer Teil seiner Kundschaft zwischen 30–99 Jahren alt ist. Eher aufgeschlossen, gebildet, neugierig und experi-mentierfreudig. Nach unterschiedlichen Vorschlägen ent-schieden wir uns schnell für eine Ästhetik, bei der das Me-dium Film die Bildaussage unterstützt und einigten uns auf das klassische Film-Noir-Genre. Basierend darauf wurde ein erster Entwurf erstellt. Wie aus Detektivfilmen der 30er- und 40er-Jahre sollte eine Femme fatale die Szenerie betreten, in der das Produkt von Has & Spatz im zentralen Blickfeld steht.

In einem ersten Entwurf war als Location ein klassisches 40er-Jahre-Büro vorgesehen, das durch holzeingefasste Strukturglaswände und Türen gekennzeichnet ist. Der Be-trachter würde über den Schreibtisch des Detektivs die Flasche erblicken und im Hintergrund, genretypisch in Low-Key-Beleuchtung, träte die Femme fatale zum ersten Mal in Erscheinung. Dabei sollten alle Klischees wie der Zigarrenrauch, der Aschenbecher, der typische Jalousie-Schattenwurf und gegebenenfalls auch der Detektiv im Bild erscheinen.

Diese erste Entwurfsskizze musste leider recht schnell ver-worfen werden. Wir alle hatten ein solches Büro aus der Erinnerung noch im Kopf und dachten, dass es nicht allzu schwer sein würde, etwas Passendes ausfindig zu machen. Bei mehreren Nachfragen erfuhren wir aber, dass die uns bekannte Räumlichkeit leider schon vor Jahren renoviert wurde und so nicht mehr zur Verfügung stand. Ein alterna-tiver entsprechender Aufbau in einem Studio wäre zu zeit-aufwendig und kostenintensiv gewesen, also brauchten wir einen Alternativentwurf.

Das Model wurde optimal auf eine modische Zeitreise in die 40er-Jahre vorbereitet

Das »Making-of« wurde von Kersten Glaser auf Super-8-Film gedreht

Die erste Skizze des Sets. Ein typisches und klassisches Stil-element des Film-Noir-Genre ist eine Treppe.

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Die Linse meiner Rolleiflex zwischen portugiesischer Armut und imigrantischer Hoffnung.

Wo die Blaubeeren wachsen

Aussicht aus Senhor Alejos Elektroladen. Alle Fotos: © Barbara Wimmer

kleine Dorf ein und katapultiert es in eine aufdringliche globalisierte Welt. Eine fremde Welt, mit welcher die Dorf-bevölkerung in irgendeiner Form lernen muss, umzugehen, während zeitgleich aufgrund des demografischen Wandels und der Landflucht ihre vertraute dörfliche Alltagskultur beginnt, zu verschwinden.

Fremd in der Heimat oder Heimat in der FremdeWenn ich nun mit meinen Kindern an der Hand eben durch dieses Dorf spazieren gehe, die Erinnerung an die Zeit, als ich selbst noch ein Kind war und hier Fremdheit, Anpassung und Eingliederung erfuhr. Bis ich nach langer Zeit schluss-endlich als Portugiesin eingeführt wurde in die Geheimnis-se der Gesellschaft.

Nun stehe ich nach siebzehn Jahren hier und habe die hart erkämpfte Anerkennung als Portugiesin verloren, lebe auf der anderen Seite Europas und blicke auf die Fassade eines bulgarischen Reisebüros mit kyrillischem Schriftzug für die Busreisen in die Heimat der bulgarischen Landarbeiter. Ge-nau an diesem Ort stiegen wir täglich in den Schulbus ein, um in die weiterführende Schule der Kreisstadt Odemira gefahren zu werden. Zu jener Zeit wünschte ich mir ein Fo-tolabor zu Weihnachten und bekam eine Polaroid-Kamera, die ich gerne nutzte, um unseren ländlichen Alltag zu foto-grafieren. Ein paar Jahre später schenkte mir mein Vater die Rolleiflex Automat I seines Freundes. Durch die Linse dieser Kamera betrachte ich jetzt die Geschichte, die sich an die-sem Ort ereignet und fotografiere das bulgarische Reisebüro durch das Fenster des Barbiergeschäfts von Senhor Martins.

Bulgarische Jugendliche posieren kichernd vor meiner KameraIch schlendere weiter durch die Gassen und entdecke ein indisches Lebensmittelgeschäft. Beim Eintreten in den »Top

An der Südwest-Küste Portugals, inmitten einer fast un-berührten Natur, fanden meine Eltern in den 90er-Jahren einen Ort, an welchem sie sich weitab von meckernden Nachbarn, lauten Autobahnen und intensiver Landwirt-schaft künstlerisch entfalten konnten. Genau diese Natur wird seit geraumer Zeit zur Plünderung der Ressourcen des Naturschutzgebietes »Parque Natural do Südoste Alenteja-no e Costa Vicentina« entlang der Küste freigegeben. Die intensive Landwirtschaft wurde seit 2011 ausgebaut, und stetig wachsen die Anbauflächen für Beeren, Obst und Ge-müse zu einem Meer aus weißer Plastikfolie heran. Pestizi-de und Düngermittel tragen zur massiven Veränderung des Ökosystems bei und verdrängen heimische Algen durch ihren unkontrollierten Abfluss ins Meer. Die Bewohner ei-nes am Naturschutzgebiet angrenzenden Dorfes namens São Teotónio mit rund 5.500 Einwohnern werden bereits bei stürmischer See an ihrem Hausstrand mit schäumender, grüner Gischt begrüßt (ob dies tatsächlich Folgen der Ag-rarindustrie sind, ist zwar nicht eindeutig, klar ist aber, dass dies keinen natürlich Ursprung hat).

Sie müssen sich darüber hinaus zu einer seltsamen Mi-schung aus touristischen Wünschen und der massiven Ein-wanderung von geschätzten 3.000 legal gemeldeten Ernte-helfern aus rund 20 verschiedenen Nationen positionieren. Im Morgengrauen bewaffnen sich jene mit Gummistiefeln und Kopfbedeckungen gegen Staub und Hitze, um sodann in überfüllten Kleintransportern an ihren Einsatzort an der Steilküste entlang des neu errichteten Wanderweges »Rota Vicentina« gefahren zu werden. Funktionswäscheträger rüsten sich dagegen jeden Morgen mit Wanderstiefeln und Fotoapparaten auf der Suche nach der unberührten Natur.

Diese kontroverse Mischung aus Romantisierung und re-ellem Kapitalismus schlägt wie ein Hammerschlag auf das

Der Barbier Senhor Martins

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Eine wirklich korrekte Definition ist mir nicht bekannt, aber der Begriff wird immer wieder verwendet, um Fotografien mit vorwiegend künstlerischem Anspruch von der allgemei-nen Reportagefotografie abzuheben. Dieser Unterschied ist nicht immer so eindeutig, können doch auch besonders Schwarzweiß-Reportage-Aufnahmen auch losgelöst von ihrem informativen Gehalt, abhängig von der jeweiligen Betrachtungsweise, durchaus künstlerische Aspekte bein-halten. Eine weitere Erklärung für Fine Art ist schlicht und einfach die technisch präzise Ausarbeitung der Grauwerte im Entwicklungsprozess, sei es im Negativ oder auch im Po-sitiv. Dabei werden gezielt eine Bildaussage verstärkt und andere Bildinformationen unterdrückt.

Fine-Art-Abzüge sind nicht notwendigerweise an die Ver-wendung von Barytpapier gebunden. Alle folgenden Aus-führungen bis auf die Wässerung sowie Trocknung gelten auch für PE-Multigrade-Papiere.

Je nach Motiv kann der Aufwand für einen guten Abzug recht umfangreich werden. Neben den aufwendigeren Vor-arbeiten und Planungen kommt noch die Tatsache hinzu, dass die Wässerungs- und Trocknungszeiten des Barytpa-

Shades of GreyIn der letzten PhotoKlassik-Ausgabe sind wir auf die Besonderheiten des Barytpapiers eingegangen. Durch seine edle Anmutung ist es für die Ausarbeitung künstlerischer Abzüge geradezu prädestiniert. Der dazu passende Begriff, auf den man in diesem Zusammenhang immer wieder stößt, ist »Fine Art Print«. Doch was bedeutet das eigentlich?

piers merklich länger sind als die von kunststoffbeschichte-ten Ausführungen.

Im Vorfeld empfiehlt es sich bei der Auswahl der Negativvor-lagen, im besonderen Maße kritisch zu sein. Dies wird durch Kontaktabzüge oder Scans erleichtert. Auch ist es für die spä-tere Reproduktion besonders wichtig, die einzelnen Parame-ter und Verarbeitungsschritte genau zu dokumentieren.

Die VorbereitungUm sich im Anschluss unnötige Ausfleckungs- und Retusc-hearbeiten zu ersparen, sollte zu Beginn eine gründliche Ent-fernung des Staubs von den Negativen und der Bildbühne er-folgen. Negative sind grundsätzlich mit fusselfreien sauberen Baumwollhandschuhen anzufassen.

Ist das Negativ eingelegt und alle Einstellarbeiten bezüg-lich Höhe und Schärfe sind abgeschlossen, beginnen wir mit den ersten Testabzügen zur Ermittlung der Basisbelich-tungszeit und der passenden Gradation. Bei der Durchfüh-rung der nachfolgend beschriebenen Methode ist darauf zu achten, dass eine Papiersorte mit variabler Gradation zum Einsatz kommt, wie z. B. das von mir verwendete Tetenal TT Baryt Vario.

Erste Teststreifen Hierzu beginnen wir - unter geeigneter Dunkelkammerbe-leuchtung - wieder mit ausreichend groß zugeschnittenen Teststreifen.

Wie bereits in den vorherigen Beiträgen beschrieben, werden jene mit unterschiedlichen Zeiten belichtet und anschlie-ßend entwickelt. Diesmal mit einer kleinen Abänderung der Vorgehensweise! Wir belichten einen Teil der Probestreifen zuerst mit einem Filter der Gradation »0« (Weich) und dann

erneut weitere Probestreifen mit der Gradation »4,5« (Hart). Alternativ kann dies auch mit den Gradationen »00« (Extra-weich) und »5« (Extrahart) durchgeführt werden.

Ein wenig Theorie Der Hintergrund dieser Vorgehensweise ist das sogenannte Splitgrade-Verfahren. Dazu, zum besseren Verständnis, ein wenig Theorie.

Multigrade-Papiersorten wie das Tetenal Baryt TT Vario be-sitzen zwei Emulsionslagen, die für unterschiedliche Farb-bereiche sensibilisiert sind. Eine Schicht ist hart abgestimmt, reagiert auf bläuliches Licht und sorgt für kontrastreiche Grauwerte. Die zweite demgegenüber ist weich und reagiert besonders auf grünliche Lichtanteile. Schaut man sich die entsprechenden Filter an, so fällt auf, dass die »weichen« eher gelblich sind (sie blicken Blauanteile des Lichtspektrums), und jene zur Steuerung der »harten« Anteile eher magentafarben (diese blocken Grünanteile des Lichtspektrums). Wer einen Farbvergrößerer besitzt, kann bei diesen Geräten sowohl den Y- (Yellow) als auch den M(Magenta)-Kanal verwenden. Hier idealerweise immer den höchsten Filterwert einstellen.

Was wollen wir dadurch erreichen? Die Idee hinter dieser Vorgehensweise zielt darauf ab, in zwei Belichtungsschritten mit exakt der Belichtungszeit zu belichten, die es ermöglicht, im Abzug Lichter zu erhalten, die gerade noch genügend Zeichnung aufweisen. In einem zweiten Belichtungsschritt mit einem Filter für harte Gra-dation, ist die passende Zeit zu ermitteln, die den Schatten eine ausreichende Dichte gibt. Die Mitteltöne entstehen bei dieser Vorgehensweise wie von selbst.

Qual der WahlFür die geeignete Belichtungszeit, ermittelt anhand der Test-

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Ausgabe I.2018 erscheint am 5. Dezember 2017• PhotoKlassik on location • Entschleunigung durch die analoge Fotografie • Sekonic

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Gesetzt in ITC Weidemann und Myriad Pro

Für unsere neue Rubrik »PhotoKlassik on location« starteten wir das Projekt auf dem Rotenfels bei Bad Kreuznach. Die Kooperation mit der Star-Vio-linistin Charys Schuler, der Firma Nahcopter und der Bergwacht Rotenfels im Juli war ein voller Erfolg. PhotoKlassik-Autor Marwan El-Mozayen war Initiator dieses ersten Pilotprojekts. Foto: Tia Meisel

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