Das neue BTHG und die Geburt einer anderen Heilpädagogik · Leistungsberechtigten muss durch ein...

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Das neue BTHG und die Geburt einer anderen Heilpädagogik 1. Fachtherapeuten-Symposium LWL-Klinik Marsberg Gerhard Schriegel Fachschule für Heilpädagogik am Edith-Stein-Berufskolleg 18. Oktober 2017

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Das neue BTHG und die Geburt einer anderen Heilpädagogik

1. Fachtherapeuten-Symposium

LWL-Klinik Marsberg

Gerhard Schriegel

Fachschule für Heilpädagogik

am Edith-Stein-Berufskolleg

18. Oktober 2017

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Was erwartet Sie in den kommenden 30 Minuten?

• Basisinformationen zum neuen BTHG

• Wer ist eine Fachkraft? Was tut eine Fachkraft?

• Neue Ideen, neue Systeme, neue Arbeitsprozesse, neue Berufsbilder!

• Die neue Rolle der Heilpädagoginnen und Heilpädagogen und der pädagogischen Fachkräfte im Alltag der Behindertenhilfe!

• Das neue BTHG und die Geburt einer anderen Heilpädagogik?

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Veränderungsszenario Behindertenhilfe neu gedacht!

Schau dir den Prozess an und nicht die Leute! McKinsey

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Teilhabeplanung und Teilhabemanagement

Heilpädagogische Assistenz

Fachkraftdienstleistungen

BTHG § 78 (2) Satz 3

Alltagsassistenz

Unterstützungsdienstleistungen und Grundpflege ( u.a. BTHG § 78 (2) Satz 2)

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BTHG, was ist das?

Das Bundesteilhabegesetz ist ein „Artikelgesetz“.

Ein Artikelgesetz ist ein übergeordnetes Gesetz, das mehrere Gesetzesteile in sich vereint und/oder verschiedene Gesetze beeinflusst.

Das BTHG besteht in oberster Gliederungsebene aus Artikeln, dann folgen die Paragrafen.

Wichtig: Der Artikel 1 des BTHG ist das neue SGB IX.

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Eine kleine Konkretisierung:

Durch das neue BTHG erfolgt eine Trennung von existenzsichernden Leistungen und Fachleistungen.

Die Eingliederungshilfe ist zukünftig nur noch für die Fachleistungen zur Teilhabe zuständig und wird aus dem SGB XII herausgelöst.

Die Teilhabeplanung bzw. das Teilhabemanagement fungiert als der zentrale Bestandteil der Leistungsgestaltung.

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Der Schlüsselbegriff der Assistenzleistung

Der § 78 im neuen BTHG Assistenzleistungen

Wir unterscheiden zwei Leistungsarten:

1. Die vollständige und teilweise Übernahme von Handlungen zur Alltagsbewältigung sowie die Begleitung der Leistungsberechtigten („einfache Assistenz“) - § 78 (2) Satz 2.

2. Die Befähigung der Leistungsberechtigten zu einer eigenständigen Alltagsbewältigung („qualifizierte Assistenz“) – diese Leistungen „werden von Fachkräften erbracht“ (§ 78 (2) Satz 3).

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Die ICF ist verpflichtender Bestandteil des Begleitungsprozesses!

BTHG, Artikel 1/ § 118 (neues SGB IX)

Instrumente der Bedarfsermittlung

(1) Der Trager der Eingliederungshilfe hat die Leistungen nach den Kapiteln 3 bis 6 unter Berucksichtigung der Wunsche des Leistungsberechtigten festzustellen. Die Ermittlung des individuellen Bedarfes des Leistungsberechtigten muss durch ein Instrument erfolgen, das sich an der Internationalen Klassifikation der Funktionsfahigkeit, Behinderung und Gesundheit orientiert.

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Fachkräfte: Früher und Heute

• Fachkräfte in der Behindertenhilfe: Waren im eigenen Selbstverständnis und aus ihrer Ausbildung heraus mehr in der Einzelfallhilfe beheimatet. (altes heilpädagogisches Berufsbild)

• Sozialpädagogische Fachkräfte: Arbeiteten vermehrt in und mit Gruppen, Stichworte „gemeinwesenorientierte Sozialarbeit“ und „Soziale Gruppenarbeit“. (altes sozialpadagogisches Berufsbild)

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Im § 97 des neuen SGB IX ist der Begriff Fachkraft eindeutig formuliert:

Zitat: “Diese sollen eine ihren Aufgaben entsprechende Ausbildung erhalten haben und insbesondere über umfassende Kenntnisse verfügen“:

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Die erwarteten Kompetenzen

• Kenntnisse des Sozial- und Verwaltungsrechts,

• über den leistungsberechtigten Personenkreis nach § 99 (Leistungen der Eingliederungshilfe),

• von Teilhabebedarfen und Teilhabebarrieren verfügen;

• und umfassende Kenntnisse über den regionalen Sozialraum

• sowie die Fähigkeit zur Kommunikation mit allen Beteiligten haben.

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Leistungen der Eingliederungshilfe der § 102

Die Leistungen der Eingliederungshilfe umfassen:

1. Leistungen zur medizinischen Rehabilitation,

2. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben,

3. Leistungen zur Teilhabe an Bildung und

4. Leistungen zur Sozialen Teilhabe.

Wichtig: Leistungen nach Absatz 1, Nummer 1 bis 3 gehen den Leistungen nach Absatz 1 Nummer 4 vor!!!!!!

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Die Übersetzung in die heilpädagogische Fachsprache:

Die beruflichen Kompetenzen von Fachkräften in heilpädagogischen Arbeitsfeldern umfassen mindestens:

• Vertiefte Kenntnisse in den Grundannahmen und der Anwendung der „Internationalen Klassifikation der Funktionsfahigkeit, Behinderung und Gesundheit“ der WHO (ICF und ICF-CY),

• vertiefte Kenntnisse in den Sozialgesetzbüchern II, VIII, IX, XI und XII,

• vertiefte Kenntnisse der relevanten Störungsbilder und psychischen Erkrankungen (ICD 10)

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Die Übersetzung in die heilpädagogische Fachsprache Blatt 2:

• vertiefte Kenntnisse im Feld klinischer Heil- und Sozialpädagogik und heilpädagogischer Diagnostik und in der Teilhabeplanung,

• vertiefte Kenntnisse in der Erstellung von Teilhabeplanungen und der Finanzierung der Teilhabeleistungen, (Sozialrecht und BWL in der Sozialwirtschaft),

• vertiefte Kompetenzen im Verfassen entsprechender Dokumente, Darstellungen, Berichte, Anträge in angemessener Fachsprache (Verwaltungskompetenz, Dokumentationskompetenz, Sprachkompetenz)

• und vertiefte Kenntnisse im Bereich des „Sozialraumorientierten Unterstutzungsmanagements“. (Case-Management und Netzwerkarbeit)

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Die neue Rolle:

Die fachlich fundierte Assistenzleistung ist in Zukunft von Assistenzleistungen im Rahmen der Alltagsbegleitung zu unterscheiden.

Für Letztere werden Sozialassistenten benötigt, die Menschen mit Behinderung personenzentriert im Alltag (Ankleiden, Nahrungsaufnahme, Einkaufen, Wäschepflege etc.) unterstützen. (geringere Refinanzierung durch die Kostenträger)

Die (heil)pädagogischen Assistenzleistungen werden von Fachkräften durchgeführt, diese leisten die Teilhabeplanung und unterstützen Menschen mit Behinderung u.a. in den Bereichen Bildung, HP-Diagnostik, Arbeit, Lernen, Beratung und persönliche Entwicklung und Lebensplanung. (höhere Refinanzierung durch die Kostenträger)

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Heilpädagoginnen und Heilpädagogen der Zukunft. Zwei mögliche neue berufliche Aufgaben:

• Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind Case-Manager (Teilhabeplaner), die über ICF gestützte Diagnostik, Lern- und Entwicklungsaufgaben, Barrieren im sozialen Umfeld sowie Wünsche und persönliche Lebensplanungen von Menschen mit Behinderung erfassen und Unterstützungsnetzwerke initiieren.

• Heilpädagoginnen und Heilpädagogen sind Fachkräfte, die in der Lage sind, die besondere heil- und sozialpädagogische Begleitung, die sich aus der intervenierenden Variablen Behinderung für das Lernen und die Entwicklung von Menschen mit Behinderung ergibt, zu initiieren und zu begleiten.

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ICF-Basiskurs Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfahigkeit, Behinderung und Gesundheit“

für Fachkrafte in der Behindertenhilfe, Frühförderung und der „Sozialen Arbeit“ ___________________________________________________________________________________________

Behindertenhilfe, Soziale Arbeit und ICF?

Theorien sind Landkarten der Wirklichkeit, nie die Wirklichkeit selbst. (Prof. Dr. Gela Weigelt)

In der aktuellen Behindertenpadagogik und „Sozialen Arbeit“ ist das Empowerment die zentrale, handlungsleitende und wissenschaftlich

fundierte Theorie. (Prof. Dr. Norbert Herriger)

Multidimensionales

Assessment

Mentoring

Empowerment

Peer-Counseling

© GS- Coaching – Supervision – Organisationsberatung 2017

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ICF-Basiskurs Die „Internationale Klassifikation der Funktionsfahigkeit, Behinderung und Gesundheit“

für Fachkrafte in der Behindertenhilfe, Frühförderung und der „Sozialen Arbeit“ ____________________________________________________________________________________________

Nach Georg Theunissen umfasst ein „Multidimensionales Assessment“ drei Schwerunkte: • die Aufbereitung der Lebensgeschichte • die funktionale Verhaltensanalyse und • die Erfassung von Kompetenzen (vg. Georg Theunissen (2005): Pädagogik bei geistiger Behinderung und Verhaltensauffälligkeiten. Bad Heilbrunn, 4. Auflage)

Definition:

„Die ICF ist ein standardisiertes, umfassendes multifaktorielles Assessmentverfahren, welches auf dem „Bio-psychosozialen Modell“ der WHO basiert und wesentliche Bereiche der menschlichen Existenz

erfasst, die für die Begleitung von Menschen mit besonderem Unterstutzungsbedarf wichtig sind.“

(Hinrichs/Schriegel 2016)

© GS- Coaching – Supervision – Organisationsberatung 2017

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Das neue Bild der Heilpädagogik -der Prozess verändert die Leute

• Die Vergangenheit der Heilpädagogik war geprägt durch den Fürsorge- und Wohlfahrtsgedanken, der Mensch mit Behinderung wurde mehr als Bedürftiger gesehen, den es zu versorgen galt.

• Die Zukunft der Heilpädagogik kann durch die Systemveränderung, die durch das neue BTHG initiiert wurde, mehr den Dienstleistungsgedanken in das Zentrum der Begleitung stellen. Der Mensch mit Behinderung wird zum Nutzer von Leistungen, die kein staatliches Almosen mehr darstellen, sondern durch einen Rechtsanspruch auf ein möglichst normales und autonomes Leben gespeist werden.

• Eine rein personenzentrierte und beziehungsorientierte Begründung von Heilpädagogik wird in Zukunft nicht mehr ausreichen, um heilpädagogische Leistungen zu begründen. Diese Begründungen bieten übrigens alle Pädagogen in der pädagogischen Praxis an. Gefragt ist komplexes berufliches Wissen, das aus allen Wissenschaftsgebieten gespeist wird! 12.05.17 18

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Mögliche Folgen für den beruflichen Alltag in der Behindertenhilfe!

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Ebene der Teilhabeplanung und des

Teilhabemanagements

Ebene der (heil)pädagogischen Assistenz (BTHG § )durch

Fachkräfte

Ebene der Alltagsbegleitung durch Assistenzkräfte

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Resümee

Heil- und Sozialpädagogen in der Behindertenhilfe arbeiten im Schnittpunkt von heilpädagogischer - ICF-basierter Diagnostik und sozialraumorientiertem Unterstützungsmanagement als Case-ManagerIn in der Teilhabeplanung und im Teilhabenmanagement, personenzentriert und beziehungsorientiert mit Menschen mit besonderem Unterstützungsbedarf in der Rolle eines Dienstleisters! © Gerhard Schriegel September 2017

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