“Das Neue geschieht an Grenzflächen”

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Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 63 www.chiuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 63 | EDITORIAL Roland Winter ist Professor für Physikalische Chemie an der Universität Dortmund und Mitglied des Kuratoriums der „Chemie in unserer Zeit“. Er hat maßgeblich die Themenauswahl dieses ChiuZ-Grenzflächenheftes geprägt. D ie wissenschaftliche Beschäftigung mit Grenzflächen ist seit jeher interdisziplinär angelegt und umfasst Aspekte der Chemie, der Physik, der Ingenieurwissen- schaften und – vor allem in jüngerer Zeit – auch der Biolo- gie und Medizin. Hieraus resultiert auch eine enge Verzah- nung von Grundlagenforschung und den industriellen For- schungsaktivitäten, weshalb in dem vorliegenden Themen- heft auch beide Aspekte zu Wort kommen. N euentwicklungen und ständig steigende Anforderun- gen sind für viele Bereiche der Oberflächentechnik eine ständige Herausforderung und erfordern ein breites Wissen über die chemischen und phy- sikalischen Eigenschaften von Ober- flächen und Beschichtungen. Eva Mu- toro, Bjoern Luerßen und Jürgen Ja- nek machen deutlich, welch große Be- deutung Grenzflächen z. B. für das re- aktive Geschehen von Brennstoffzel- len, Batterien, und elektrochemische Sensoren haben. Welche beachtliche Rolle die Klebstoffe heute im Fahr- zeugbau spielen, führen uns Franz Peter Schmitz und Det- lef Symietz vor Augen.Zunehmend an Bedeutung gewinnen auch Polymerschichten mit speziellen Eigenschaften, zum Beispiel wasserabweisende Beschichtungen, Beschichtun- gen zur Verhinderung des Bewuchses von Oberflächen, Be- schichtungen, die bestimmte Wirkstoffe freisetzen können, oder gar Polymerschichten, deren Wirkung gezielt ein- und ausgeschaltet werden kann, wie uns Vasiliki Papaefthimiou, Roland Steitz und Gerhard Findenegg berichten. Martin Kind und Christof Wöll zeigen uns, wie organische Ober- flächen maßgeschneidert hergestellt und charakterisiert werden können. Was die Theorie uns für neuartige Phä- nomene an Fluidgrenzflächen vorhersagt, erfahren wir im Aufsatz von Alla Oleinikova und Ivan Brovchenko. D ie Entwicklung unserer Wirtschaft wird in den vor uns liegenden Jahrzehnten auch wesentlich vom Erkennt- nisfortschritt auf dem Gebiet der belebten Materie geprägt werden. Der gezielte Aufbau biologischer Materie mit sei- ner nahezu unerschöpflichen Strukturvielfalt besitzt das Po- tenzial, eine zumindest ebenso große technische Revoluti- on auszulösen, wie es die Mikroelektronik bereits vermocht hat. Das Studium biologischer Grenzflächen wird dabei ei- ne zentrale Rolle spielen. Die wichtigsten Grenzflächen in lebenden Systemen werden durch biologische Membranen gebildet. Claudia Steinem und Andreas Janshoff zeigen uns, wie funktionale Modellmembranen aufgebaut und un- tersucht und in der biochemischen und biophysikalischen Grundlagen- forschung sowie für technologische Fragestellungen, wie sie in der Bio- sensorik zu finden sind, eingesetzt werden können. I m Beitrag von Joachim Venzmer wird deutlich, in wie vie- len Bereichen des täglichen Lebens wir Grenzflächen be- gegnen. Der Einsatz grenzflächenaktiver Produkte ist oft für eine besondere Wirkung verantwortlich, z. B. als Trock- nungshilfe in der Autowaschanlage, in Haarkonditionierern und Wäscheweichspülern sowie in der Kosmetik. Anette Nordskog und Wolfgang von Rybinski zeigen uns, welch komplexe Phänomene dahinterstecken. S chließlich, das darf bei der Renaissance, die das Kochen zur Zeit erlebt, nicht fehlen: Von Vinaigrette, Mayon- naise, Sauce Hollandaise und anderen schmackhaften Grenz- flächen berichtet – in gewohnt virtuoser Weise – Klaus Roth. Welch glückliche Symbiose bilden doch Drei-Sterne- Küche und Kolloidchemie! ROLAND WINTER „Das Neue geschieht an Grenzflächen“ THEMENHEFT „CHEMIE AN GRENZFLÄCHEN“

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Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 63 www.chiuz.de © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim | 63

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Roland Winter ist Professorfür Physikalische Chemie ander Universität Dortmund undMitglied des Kuratoriums der„Chemie in unserer Zeit“. Er hat maßgeblich die Themenauswahl dieses ChiuZ-Grenzflächenheftes geprägt.

Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Grenzflächenist seit jeher interdisziplinär angelegt und umfasst

Aspekte der Chemie, der Physik, der Ingenieurwissen-schaften und – vor allem in jüngerer Zeit – auch der Biolo-gie und Medizin. Hieraus resultiert auch eine enge Verzah-nung von Grundlagenforschung und den industriellen For-schungsaktivitäten, weshalb in dem vorliegenden Themen-heft auch beide Aspekte zu Wort kommen.

Neuentwicklungen und ständig steigende Anforderun-gen sind für viele Bereiche der Oberflächentechnik

eine ständige Herausforderung und erfordern ein breitesWissen über die chemischen und phy-sikalischen Eigenschaften von Ober-flächen und Beschichtungen. Eva Mu-toro, Bjoern Luerßen und Jürgen Ja-nek machen deutlich, welch große Be-deutung Grenzflächen z. B. für das re-aktive Geschehen von Brennstoffzel-len, Batterien, und elektrochemische Sensoren haben.Welche beachtliche Rolle die Klebstoffe heute im Fahr-zeugbau spielen, führen uns Franz Peter Schmitz und Det-lef Symietz vor Augen.Zunehmend an Bedeutung gewinnenauch Polymerschichten mit speziellen Eigenschaften, zumBeispiel wasserabweisende Beschichtungen, Beschichtun-gen zur Verhinderung des Bewuchses von Oberflächen, Be-schichtungen, die bestimmte Wirkstoffe freisetzen können,oder gar Polymerschichten, deren Wirkung gezielt ein- undausgeschaltet werden kann, wie uns Vasiliki Papaefthimiou,Roland Steitz und Gerhard Findenegg berichten. MartinKind und Christof Wöll zeigen uns, wie organische Ober-flächen maßgeschneidert hergestellt und charakterisiertwerden können. Was die Theorie uns für neuartige Phä-nomene an Fluidgrenzflächen vorhersagt, erfahren wir imAufsatz von Alla Oleinikova und Ivan Brovchenko.

Die Entwicklung unserer Wirtschaft wird in den vor unsliegenden Jahrzehnten auch wesentlich vom Erkennt-

nisfortschritt auf dem Gebiet der belebten Materie geprägtwerden. Der gezielte Aufbau biologischer Materie mit sei-ner nahezu unerschöpflichen Strukturvielfalt besitzt das Po-tenzial, eine zumindest ebenso große technische Revoluti-on auszulösen, wie es die Mikroelektronik bereits vermochthat. Das Studium biologischer Grenzflächen wird dabei ei-ne zentrale Rolle spielen. Die wichtigsten Grenzflächen inlebenden Systemen werden durch biologische Membranengebildet. Claudia Steinem und Andreas Janshoff zeigen uns, wie funktionale Modellmembranen aufgebaut und un-

tersucht und in der biochemischen und biophysikalischen Grundlagen-forschung sowie für technologischeFragestellungen, wie sie in der Bio-sensorik zu finden sind, eingesetztwerden können.

Im Beitrag von Joachim Venzmer wird deutlich, in wie vie-len Bereichen des täglichen Lebens wir Grenzflächen be-

gegnen.Der Einsatz grenzflächenaktiver Produkte ist oft füreine besondere Wirkung verantwortlich, z. B. als Trock-nungshilfe in der Autowaschanlage, in Haarkonditionierernund Wäscheweichspülern sowie in der Kosmetik. AnetteNordskog und Wolfgang von Rybinski zeigen uns, welchkomplexe Phänomene dahinterstecken.

Schließlich, das darf bei der Renaissance, die das Kochenzur Zeit erlebt, nicht fehlen: Von Vinaigrette, Mayon-

naise, Sauce Hollandaise und anderen schmackhaften Grenz-flächen berichtet – in gewohnt virtuoser Weise – KlausRoth. Welch glückliche Symbiose bilden doch Drei-Sterne-Küche und Kolloidchemie!

ROLAND WINTER

„Das Neue geschieht an Grenzflächen“

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„CHEMIE AN GRENZFLÄCHEN“