Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

11
Vorwort Das vorliegende Lexikon ist eine umfassend aktua- lisierte Neuauflage des Riemann Musiklexikons, erarbeitet auf der Basis des von Carl Dahlhaus und Hans Heinrich Eggebrecht 1978 herausgegebenen und 1995 ergänzten Brockhaus Riemann Musik- lexikons. Letzteres war eine komprimierte Fassung der auf zwei Personenbände (I: 1959, II: 1961), zwei ebenso umfangreiche Ergänzungsbände (I: 1972, II: 1975) und einen separaten Sachteil (1967) stark angewachsenen 12. Auflage des Riemann. Der jetzige Fünfbänder ist das Ergebnis eines inten- dierten Kompromisses: Im Hinblick auf die Vor- gänger stellt er sowohl eine gestraffte Revision als auch eine substanzielle Erweiterung in Umfang und Inhalt dar. Die lange, 130-jährige Tradition des Riemann war dabei Verpflichtung, einem möglichst breiten Kreis von Benutzern ein bequem zu handhaben- des Nachschlagewerk zu allen Sachfragen und Grundbegriffen der Musikpraxis und Musiktheo- rie zu bieten und auf knappstem Raum möglichst genaue Informationen über Personen aus den Be- reichen der Komposition, der nachschöpferischen Interpretation und der Fachwissenschaft zu ver- mitteln. Auf opulente Bebilderung wurde verzich- tet, nicht jedoch auf erklärende Notenbeispiele, Tabellen und Zeichnungen von Instrumenten. Wert wurde gelegt auf die übersichtliche Anlage und Verständlichkeit der Darstellung und auf Zu- verlässigkeit und Aktualität der Angaben. Das Le- xikon richtet sich ebenso an Musik- und Theater- liebhaber wie an Fachmusiker, Wissenschaftler und Studierende. Selbstverständlich zu beachten war der heutige Stand des Wissens über Musik einschließlich der jüngsten, weltweiten Entwicklungen in der musika- lischen Hoch- und Popularkultur, der Medientech- nologie und in musikrelevanten Forschungsgebie- ten. Hierfür sprechen Stichwörter wie Ambient, Exilforschung, Gender Studies, Klangkomposi- tion, Klangsynthese, Lautpoesie, Musikarchäologie, New Musicology, New Wave, Postmoderne, Psy- choakustik, Psychodelic Rock, Raumkomposition, Outlaw Music, Set Theory, Sprachkomposition, Szenische Kammermusik, Wahrnehmung, Welt- musik. Neu sind mehr als 30 umfangreichere Über- sichtsartikel über die Musik einzelner europäischer Länder oder von Großregionen der Erde, die in einem universell ausgerichteten Lexikon heute berücksichtigt werden müssen. Zusätzlich auf- genommen wurden fast eintausend Namen von Komponisten, Interpreten, Ensembles und Büh- nenschaffenden, die in den letzten Jahrzehnten größere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Grundlegende Sachartikel der Vorgängerwerke von unveränderter Relevanz wurden weitgehend beibehalten. Die in den vergangenen Dezennien sich enorm ausweitende Literatur wurde nach Möglichkeit berücksichtigt; der vorgesehene Um- fang des Lexikons setzte der bibliographischen Auswahl enge Grenzen und erlaubte nur in Aus- nahmen die Nennung von Aufsätzen aus Fachpe- riodica oder Sammelschriften. Die Autoren neuer und größerer Sachartikel sind über ein Kürzel festzustellen; Artikel ohne Kürzel oder mit der Angabe Sl wurden von der Schriftleitung oder von den nachstehend genannten Spezialisten erar- beitet; Letzteres gilt auch für die generell unge- zeichneten Personenartikel. Von den vielen Mitarbeiterinnen und Mitar- beitern, die Artikelgruppen betreut haben, seien erwähnt: Dr. Martin Albrecht-Hohmaier (Verlags- wesen), Stephan Blaut M. A. (Tasteninstrumente, Harmonik, Orgelmusik), Dr. Pietro Cavalotti (Mu- sik in Südeuropa und Südamerika), Dr. Annette van Dyck-Hemming (Musik in Nordamerika), Prof. Dr. Kathrin Eberl-Ruf (Musikinstrumente, Akustik), Prof. Dr. Golo Föllmer (Klangkunst, Multimedia), Dr. Christiane Hausmann (Filmmu- sik, italienische Musik), Prof. Dr. Jan Hemming (systematische Musikwissenschaft), PD Dr. Rainer Heyink (italienische Musik), Dr. Simone Hohmaier (Musik in Südost- und Nordeuropa), PD Dr. Julia- ne Riepe (italienische Musik), Hagen Jahn M. A. (Schriftsteller, Tänze), PD Dr. Stefan Keym (fran- zösische und polnische Musik), Prof. Dr. Matthias Kruse (Musikpädagogik), Gerhard Menzel M. A. (Instrumentalinterpreten), Olaf Parusel M.A. (po- puläre Musik), Dr. Regina Randhofer (Musik der Antike, christliche und jüdische Liturgie, Musik in Osteuropa und Afrika), Prof. Dr. Clemens Risi (Ge- sangsinterpreten, Regisseure), Tobias Richtsteig M.A. (Jazz), Dr. Margret Zuther-Scharrer (franzö- sische Musik), Prof. Dr. Gretel Schwörer-Kohl (Musikethnologie), Joachim Seibt M.A. (Kompo- nisten), Robert Sollich M.A. (Gesangsinterpreten, Regisseure), Dr. Kendra Stepputat (Musikethnolo- gie), Dr. Gilbert Stöck (Fachterminologie, Musik- 5

description

Leseprobe aus dem ersten Band des neuen Riemann Musiklexikons. Erschienen bei Schott Music.

Transcript of Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

Page 1: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

Vorwort

Das vorliegende Lexikon ist eine umfassend aktua-lisierte Neuauflage des Riemann Musiklexikons,erarbeitet auf der Basis des von Carl Dahlhaus undHans Heinrich Eggebrecht 1978 herausgegebenenund 1995 ergänzten Brockhaus Riemann Musik-lexikons. Letzteres war eine komprimierte Fassungder auf zwei Personenbände (I: 1959, II: 1961),zwei ebenso umfangreiche Ergänzungsbände (I:1972, II: 1975) und einen separaten Sachteil (1967)stark angewachsenen 12.Auflage des Riemann.Der jetzige Fünfbänder ist das Ergebnis eines inten-dierten Kompromisses: Im Hinblick auf die Vor-gänger stellt er sowohl eine gestraffte Revision alsauch eine substanzielle Erweiterung in Umfang undInhalt dar.

Die lange, 130-jährige Tradition des Riemannwar dabei Verpflichtung, einem möglichst breitenKreis von Benutzern ein bequem zu handhaben-des Nachschlagewerk zu allen Sachfragen undGrundbegriffen der Musikpraxis und Musiktheo-rie zu bieten und auf knappstem Raum möglichstgenaue Informationen über Personen aus den Be-reichen der Komposition, der nachschöpferischenInterpretation und der Fachwissenschaft zu ver-mitteln. Auf opulente Bebilderung wurde verzich-tet, nicht jedoch auf erklärende Notenbeispiele,Tabellen und Zeichnungen von Instrumenten.Wert wurde gelegt auf die übersichtliche Anlageund Verständlichkeit der Darstellung und auf Zu-verlässigkeit und Aktualität der Angaben. Das Le-xikon richtet sich ebenso an Musik- und Theater-liebhaber wie an Fachmusiker, Wissenschaftlerund Studierende.Selbstverständlich zu beachten war der heutige

Stand des Wissens über Musik einschließlich derjüngsten, weltweiten Entwicklungen in der musika-lischen Hoch- und Popularkultur, der Medientech-nologie und in musikrelevanten Forschungsgebie-ten. Hierfür sprechen Stichwörter wie Ambient,Exilforschung, Gender Studies, Klangkomposi-tion, Klangsynthese, Lautpoesie, Musikarchäologie,New Musicology, New Wave, Postmoderne, Psy-choakustik, Psychodelic Rock, Raumkomposition,Outlaw Music, Set Theory, Sprachkomposition,Szenische Kammermusik, Wahrnehmung, Welt-musik. Neu sind mehr als 30 umfangreichere Über-sichtsartikel über die Musik einzelner europäischerLänder oder von Großregionen der Erde, die ineinem universell ausgerichteten Lexikon heute

berücksichtigt werden müssen. Zusätzlich auf-genommen wurden fast eintausend Namen vonKomponisten, Interpreten, Ensembles und Büh-nenschaffenden, die in den letzten Jahrzehntengrößere Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben.Grundlegende Sachartikel der Vorgängerwerkevon unveränderter Relevanz wurden weitgehendbeibehalten. Die in den vergangenen Dezenniensich enorm ausweitende Literatur wurde nachMöglichkeit berücksichtigt; der vorgesehene Um-fang des Lexikons setzte der bibliographischenAuswahl enge Grenzen und erlaubte nur in Aus-nahmen die Nennung von Aufsätzen aus Fachpe-riodica oder Sammelschriften. Die Autoren neuerund größerer Sachartikel sind über ein Kürzelfestzustellen; Artikel ohne Kürzel oder mit derAngabe Sl wurden von der Schriftleitung odervon den nachstehend genannten Spezialisten erar-beitet; Letzteres gilt auch für die generell unge-zeichneten Personenartikel.Von den vielen Mitarbeiterinnen und Mitar-

beitern, die Artikelgruppen betreut haben, seienerwähnt: Dr. Martin Albrecht-Hohmaier (Verlags-wesen), Stephan Blaut M.A. (Tasteninstrumente,Harmonik, Orgelmusik), Dr. Pietro Cavalotti (Mu-sik in Südeuropa und Südamerika), Dr. Annettevan Dyck-Hemming (Musik in Nordamerika),Prof. Dr. Kathrin Eberl-Ruf (Musikinstrumente,Akustik), Prof. Dr. Golo Föllmer (Klangkunst,Multimedia), Dr. Christiane Hausmann (Filmmu-sik, italienische Musik), Prof. Dr. Jan Hemming(systematische Musikwissenschaft), PD Dr. RainerHeyink (italienische Musik), Dr. Simone Hohmaier(Musik in Südost- und Nordeuropa), PD Dr. Julia-ne Riepe (italienische Musik), Hagen Jahn M.A.(Schriftsteller, Tänze), PD Dr. Stefan Keym (fran-zösische und polnische Musik), Prof. Dr. MatthiasKruse (Musikpädagogik), Gerhard Menzel M.A.(Instrumentalinterpreten), Olaf Parusel M.A. (po-puläre Musik), Dr. Regina Randhofer (Musik derAntike, christliche und jüdische Liturgie, Musik inOsteuropa und Afrika), Prof. Dr. Clemens Risi (Ge-sangsinterpreten, Regisseure), Tobias RichtsteigM.A. (Jazz), Dr. Margret Zuther-Scharrer (franzö-sische Musik), Prof. Dr. Gretel Schwörer-Kohl(Musikethnologie), Joachim Seibt M.A. (Kompo-nisten), Robert Sollich M.A. (Gesangsinterpreten,Regisseure), Dr. Kendra Stepputat (Musikethnolo-gie), Dr. Gilbert Stöck (Fachterminologie, Musik-

5

Page 2: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

forscher, deutsche und österreichische Musik), Dr.Katrin Stöck (Musiktheater, Tanz, Gesang, Musikin der DDR, russische Musik), Cordula Timm-Hart-mann M.A. (protestantische Kirchenmusik), Fran-ziska Thron M.A. (Interpreten), Dr. Undine Wag-ner (Instrumentalinterpreten, tschechische Musik).

Gedankt sei allen Personen, die an dem Le-xikon mitgewirkt haben, den Autorinnen undAutoren, den Bearbeitern, dem Redaktionsstab inHalle, besonders Frau Dr. Stöck und Herrn BlautM.A., sowie den Mitarbeitern des Verlags, FrauDr. Astrid Bernicke, Frau Elke Dörr und Frau

Dr. Hildegard Hogen. Zu Dank verpflichtet sindwir Herrn Dr. Rainer Mohrs, der das Projekt an-geregt hat, und ganz besonders Herrn Dr. PeterHanser-Strecker, der als Verleger den Mut be-wiesen hat, in der heutigen digitalen Zeit einsolch umfangreiches Lexikon in Buchform zu ver-antworten und der Fachwelt und interessiertenÖffentlichkeit vorzulegen.

Halle/Saale im Herbst 2012Wolfgang RufAnnette van Dyck-Hemming

Vorwort6

Page 3: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

A, 1) Ton-Name: In der mittelalterlichen→ Buchstaben-Tonschrift begann dieReihe meist mit A, das im System der→ Kirchentöne Confinalis des Dorischen

ist. Glareanus (1547) fügte auf A den Aeolius hinzu.Seit Zarlino (1571) ist der Ionius auf C primo modo; da-durch rückte der Anfangsbuchstabe des Alphabets andie 6. Stelle (C D E F G A H). Bei den romanischenVölkern hat die Solmisationssilbe La den Buchstabenverdrängt. Die Erniedrigung um einen Halbton heißt As(engl. A flat; frz. la bémol; ital. la bemolle), um zweiHalbtöne Asas (engl. A double flat; frz. la double bé-mol; ital. la doppio bemolle), die Erhöhung um einenHalbton Ais (engl. A sharp; frz. la dièse; ital. la diesis),um zwei Halbtöne Aisis (engl. A double sharp; frz. ladouble dièse; ital. la doppio diesis).

2)→ Stimmton, → Kammerton.

3) Akkord- und Tonartbezeichnung: A = A-Dur, a = a-Moll. In der neueren Musik meint ein Titel wie Serenadein A (Strawinsky) erweiterte Tonalität mit Terzfreiheit.

4) Abk. für Altus (Alt), auch für Antiphon.

Aaron, auch Aron, Pietro, * um 1489 Florenz, † nach1545 Venedig oder Florenz (?); ital. Musiktheoretiker,um 1523 in Venedig und daneben Kanonikus in Rimini,später (1536) Mönch im Kloster S. Leonardo zu Berga-mo, dann in Padua, zuletzt in Venedig. Er schrieb: Libritres de institutione harmonica (Bologna 1516, ital., insLat. übers. von G. A. Flaminio); Thoscanello de la mu-sica (Venedig 1523, weitere Aufl. bis 1562 unter demTitel Toscanello in musica); Trattato della natura etcognitione di tutti gli tuoni di canto figurato … (ebd.1525); Lucidario in musica di alcune oppe nioniantiche et moderne (ebd. 1545); Compendiolo di moltidubbi, segreti et sentenze intorno al canto fermo, etfigurato … (Ml. nach 1545).

Ausgaben Libri tres de institutione harmonica, Faks., = Bibl.musica Bononiensis II, 8, Bologna 1970 || Trattato della natu-ra …, Faks., hrsg. v. W. ELDERS, = Musica revindicata o. Nr.,Utrecht 1966 | dass., Faks., = Bibl. musica Bononiensis II, 9,Bologna 1970 || Toscanello in musica, Faks. d. Ausg. ²1529,ebd. II, 10, 1969 | dass., Faks. d. Ausg. 31539, hrsg. v. G. FREY,= DMl I, 29, Kassel 1970 || Lucidario in musica, Faks., = Bibl.musica Bononiensis II, 12, Bologna 1969.

Literatur P. BERGQUIST JR.: The Theoretical Writings of P. A.,Diss. Columbia Univ., N. Y., 1964 | H. POWERS: Is Mode Real?P. A., the Octonary System, and Polyphony, in: Basler Jb. f.hist. Musikpraxis XVI, 1992 | M. BENT: Accidentals, Counter-point and Notation in A.’s »Aggiunta« to the »Toscanello inmusica«, in: Journal of Musicology XII, 1994 | C. C. JUDD:Reading Aron Reading Petrucci: The Music Examples of theTrattato della natura…, in: Early Music Hist. XIV, 1995.

Abaco, Evaristo Felice dall’A., → Dall’Abaco, E. F.

a battu̱ta [ital.], → Battuta.

ABBA, schwedische Popgruppe, bestehend aus GöranBror Benny Andersson, * 16. 12. 1946 Stockholm, Ag-netha Åse Fältskog, * 5. 4. 1950 Jönköping, Anni-FridSynni Lyngstad, * 15. 11. 1945 Ballangen (Norwegen),und Björn Kristian Ulvaeus, * 25. 4. 1945 Göteborg.Drei Jahre nach ihrer Gründung gewann die Gruppe als»ABBA«, einem Akronym der Vornamen ihrer Mitglie-der, den Grand Prix d’Eurovision de la Chanson 1974mit dem Lied Waterloo. Bis zu ihrer Auflösung 1982komponierten Andersson und Ulvaeus viele internatio-nal erfolgreiche Hits wie Ring, Ring (1973), Mama Mia(1975), Fernando (1976), Dancing Queen (1977),Knowing Me Knowing You (1977), Money, Money,Money (1977), Take a Chance on Me (1978), SuperTrouper (1980), zum Teil zu Worten des Texters StigAnderson, der gleichzeitig der Manager von A. war.Obwohl die Lieder harmonisch oft nur auf wenigen

Akkorden beruhen und melodisch-rhythmisch einfachkonzipiert sind, gelang es A. zusammen mit ihrem Ton-ingenieur Michael B. Tretow, einen wiedererkennbaren,tanzbaren Popsound zu schaffen, der neue Standardssetzte und zugleich vielseitig genug war, dass A.s Mu-sik auch zu Beginn des 21. Jh. populär blieb.

Literatur B. C. PEMBETON: The A. Phenomenon, Stafford1977 | J. TOBLER: A. Gold. The Complete Story, NY 1983 | A.FÄLTSKOG: As I am: Abba Before & Beyond, Ldn 1997 | C. M.PALM: Bright Lights, Dark Shadows. The Real Story of A., Ldn2001, dt. Bln 2002 | PH. TAGG: Fernando the Flute: Analysis ofAffect in an A. Number, NY 2001 | J.-M. POTIEZ: A. La Légen-de, Paris 2001, engl. Ldn 2003.

Abba̱do, Claudio, * 26. 6. 1933 Mailand; Dirigent undPianist, ausgebildet von Enzo Calace (Klavier), Br.Bettinelli und G. Paribeni (Kompos.) am Cons. diMusica G. Verdi in Mailand, gewann 1963 den 1. Preisdes Internationalen Wettbewerbs D. Mitropoulos. A.war 1977–79 künstlerischer Direktor, 1968–86 leitenderDirigent der Mailänder Scala, 1979–88 Chefdirigentdes London Symphony Orchestra, 1986–91 Musik-direktor der Wiener Staatsoper, wurde 1987 GMD derStadt Wien. 1989–2002 war A. als Nachfolger H. v. Ka-rajans Künstlerischer Leiter des Berliner Philharmoni-schen Orchesters. A. ist Gründer und Musikdirektor desEuropean Community Orchestra (1978) und des Gus-tav-Mahler-Jugend-Orchesters (1986), ferner Künstleri-scher Berater des Chamber Orchestra of Europe (1981),Initiator und Künstlerischer Leiter von »Wien Modern«,Festival zeitgenössischer Kunst (1988), und von »Berli-ner Begegnungen«, Kammermusikfestival (1992), so-wie des Wiener Internationalen Kompositionswettbe-werbs (1991). 1994–2002 war A. Künstlerischer Leiterder Salzburger Osterfestspiele und wurde 2003 Chef-dirigent des Luzern Festival Orchestra. Er setzt sich fürneue mus. Aufführungsformen und zeitgenössischeMusik ein. A. schrieb La casa dei suoni (Ml. 1986, dt.Würzburg 1995) und Musica sopra Berlino (Ml. 1998,dt. Ffm. 2001).

15

A

Page 4: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

Literatur FR. HAGER: Cl. A. Die Anderen in der Stille hören,Ffm. 2000 | CHR. FÖRSCH: Cl. A. Die Magie d. Zusammen-klangs, Bln 2001 | U. ECKHARDT: Cl. A. Dirigent, Bln 2003.

Abbati̱ni, Antonio Maria, * 26. 1. 1595 oder um 1600Città di Castello (Umbrien), † 1679 ebd.; Komp., hattebedeutende Ämter als Kpm. in Rom (u. a. an S. Gio-vanni in Laterano, S. Maria Maggiore) und an denDomen von Orvieto und Città di Castello inne. – Erschrieb geistliche Werke im mehrchörigen Kolossalstil,eine 16st. Messe, Vokalkonzerte, Motetten und Kanta-ten, ferner die heiteren Opern Dal male il bene (Rom1664, 2. Akt von M. Marazzoli, Text von G. Rospiglio-si) und La comica del cielo ò vero la Baltasara (Rom1668) sowie die Huldigungsoper Ione zur HochzeitKaiser Leopolds I. (1666 Wien?).

Literatur G. CILIBERTI: A. M. A. e la musica del suo tempo(1595–1679), Perugia 1986 | A. K. ANDRAE: Ein römischerKpm. im 17. Jh.: A. M. A. (ca. 1600–1679). Studien zu Lebenu. Werk, Herzberg (Harz) 1986.

Abblasen, vom Turm abeblasen, herabblasen (e turritibiis canere, WaltherL) zu bestimmten Stunden undAnlässen. Es gehörte – wie auch das → Anblasen – zuden Obliegenheiten des Türmers oder Hausmanns, spä-ter zu den Pflichten der → Stadtpfeifer und Ratsmusi-ker, so für Halle (Saale) 1571: Des Mittages umb 11Ohr, des Abendts umb 7, und frue Morgens umb dreischlege sollen sie wie von alters her alzeit Breuchlichgewest … uffm Rathause sein und alle vier daselbstvom gange herab blasen (Serauky, S. 282). Das A.diente zur Probe der Wachsamkeit und Verkündung derStunden, ferner zu beßrer Zierde der Stadt bey denenFrembden (Zeitz 1701, bei Werner, S. 51) und zur Er-weckung christlicher Andacht (J. Kuhnau 1700). Vonden Türmen der Stadttore, der Plattform des Kirchen-,Rathaus- oder Schlossturmes (»Bläserturm« des StiftesSt. Florian, »Schmetterhaus« am Stadtturm in Troppau)bliesen die Musiker Fanfaren und Signale, Choralsätzeund »Abblase-Stückgen« (Tanzsätze, »Turmsonaten«)in ihre pfeifen, krumhörner, zincken oder schalmeien(Trier 1593/94), mit Posaunen und Zincken … Cornet-ten und Trombonen (Lpz. 1670 u. 1694), wofür seitMitte des 16. Jh. eigenständige → Turmmusik überlie-fert ist. Ununterbrochene Tradition des A. bestand teil-weise bis ins 19. Jh. (Beleg für Zeitz 1836 bei Werner,S. 53). In neuerer Zeit erfuhr das Turmblasen eine Wie-derbelebung, bes. als Weihnachts- und Neujahrsblasen.

Literatur J. KUHNAU: Der Mus. Quack-Salber, Dresden 1700,hrsg. v. K. Benndorf, = Dt. Literaturdenkmale, N. F. XXXIIIbis XXXVIII, Bln 1900, Nachdr. NY 1966 | A. ABER: Die Pfle-ge d. Musik unter d. Wettinern u. wettinischen Ernestinern, =Veröff. d. Fürstlichen Inst. f. mw. Forschung zu Bückeburg IV,1, Bückeburg u. Lpz. 1921 | A. WERNER: Städtische u. fürst-liche Musikpflege in Zeitz bis zum Anfang d. 19. Jh., ebd. IV,2, 1922 | A. SCHERING: Mg. Lpz. II, Lpz. 1926, III, Lpz. 1941 |W. SERAUKY: Mg. d. Stadt Halle I, = Beitr. zur MusikforschungI, Halle (Saale) 1935, Nachdr. Hildesheim 1971.

Abbreviatu̱ren [lat.], Abk. im Rahmen der Notenschr.,auch für die Vortrags- und Instrumentenbezeichnungen(Wort-A.). Die gebräuchlichsten A. der Notenschr. sind:1) die Wiederholungszeichen: → Reprise, → da capo,→ dal segno, → primo; Wiederholung kann gefordertwerden auch durch die Bez. bis oder due volte (zwei-mal) sowie→ come sopra.

2) das Zeichen für die Wiederholung eines halben oderganzen Taktes bzw. einer Figur:

wofür meist folgendes Zeichen (scherzhaft »Faulenzer«genannt) verwandt wird:

3) das Zeichen für die Tonrepetition, wobei die Abbre-viatur anzeigt, in welche Notenwerte die längeren No-ten (als Trommelfigur) aufgelöst werden, z. B.

4) die Zeichen für den fortgesetzten Wechsel verschie-dener Töne (tremolando; → Tremolo). Die Anzahl derdie beiden Noten verbindenden Querbalken bezeichnetdie Notenwerte der Ausführung (→ Brillenbässe):

5) Bes. in älterer Musik wurde die Fortsetzung einerForm der Akkordbrechung durch die Beischrift segue(→ segue 2) oder simile, auch → Arpeggio verlangt:

6) Für das Glissando werden nur Anfangs- und Zieltonnotiert und die Zwischentöne durch einen Strich ersetzt:

Abbatini16

Page 5: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

7) In ähnlicher Weise wird die Fortsetzung einer Passa-ge oder Figuration durch A. bezeichnet:

8) das Oktavzeichen:

Seltener ist 16ma (alta oder bassa; richtigerweise auch15) für die Versetzung um zwei Oktaven. Die Bez. c.8va … (über oder unter einzelnen Noten auch bloß 8)bedeutet con (coll’)ottava oder con ottava bassa, anstattausgeschriebener Oktaven.

9) In Partituren erspart man das Ausschreiben gekop-pelter Stimmen durch Anweisungen wie: flauto col vio-lino in 8va; fagotto col basso (»mit dem Bass«, d. h. die-selben Noten wie dieser); Oboe IIdo col Imo (→ due).In Orchester- oder Chorstimmen wird eine längere

Folge von → Pausen durch besondere Zeichen ver-merkt.Die wichtigsten Wort-A. sind (auch → A, → B,

→ C usw.):

Literatur R. SCHAAL: Abk. in d. Musikterminologie, = Ta-schenbücher zur Mw. I, Wilhelmshaven 1969.

Abel, Carl Friedrich, * 22. 12. 1723 Köthen, † 20. 6.1787 London; Gambist und Komp., angeblich Schülerder Thomasschule in Leipzig, 1746–58 Mitglied der

Abel 17

Acc., acc. = Accompagnamento ( Beglei-tung), Accompagnato

accel., acc. accelerandoAccomp. = Accompagnamento ( Beglei-

tung), AccompagnatoAd° Adagioad lib., ad libid.

ad libitum

All° Allegroarc. = coll’arco ( arco)arp., arpegg. arpeggioa t. a tempoB. c. Basso continuoC. f.conc. concertato, concertantCont. = Continuo ( Basso continuo)c. p. colla partecres., cresc. crescendoDal S., D. S., Dal Seg.

dal segno

D. C. da capodecr., decresc. decrescendodim., dimin. diminuendo

div. divisiespr., espress. espressivo, , forte, fortissimo, forte fortissimo = forzatissimo ( sforzato)Flag. Flageolett 3) = fortepiano ( forte) = forzato ( sforzato)gliss. glissandoG. P. Generalpausel. H. = linke Handmarc. marcato = mezzoforte ( forte)M. M. Metronom Mälzelmod. moderato = mezzopiano ( piano)m. v. mezza voceobbl., obl. = obligat, obbligato, obligéop. (posth.) Opus (post[h]umum), , piano, pianissimo, piano pianis-

simoPed., P. Pedal = 1) poco forte; 2) più forte ( forte)pizz. pizzicatoprinc., pr. principalerall., rallent. rallentando, , rinf. rinforzandor. H. = rechte Handrip. ripienorit., ritard. ritardandorit., riten. ritenutoseg. segue, sforzato = sforzato piano ( sforzato)smorz. = smorzando ( morendo)sord. = con sordinosost., sosten. sostenutospicc. spiccatostacc. staccatostring. stringendos. v. sotto voceten. tenuto, Trillertrem. tremolo, tremolandoT. S., t. s. Tasto solounis. unisonov. s. volti subito

Page 6: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

Dresdner Hofkapelle, ab 1759 in London, wurde dortKammermusikus der Königin Charlotte und leitete mitJ. Chr. Bach 1765–82 die Abonnementskonzerte (Bach-Abel-Concerts). Er schrieb zahlreiche Sinfonien im Stilder Mannheimer Schule, auch eine Sinfonia concertantefür 12 St., Klavierkonzerte, Streichquartette, Triosona-ten, Klaviersonaten und Violinsonaten mit obligatemKl. (op. 5, 13, 18) sowie zahlreiche Gambenstücke.

Ausgaben GA, hrsg. v.W. KNAPE, 16 Bde., Cuxhaven 1958–76.

Literatur S. F. HELM: C. Fr. A., Symphonist, Diss. Univ. ofMichigan 1953 | GW. BEECHEY: C. Fr. A.’s Six Symph., Op. 14,ML LI, 1970 | W. KNAPE: K. Fr. A., Bremen 1973 (mit Werk-verz.) | DERS.: K. Fr. A., ein Wegbereiter Mozarts u. Haydns, in:Acta Mozartiana XXXIV, 1987.

Abel-Struth, Sigrid, * 24. 7. 1924 Breitscheid (Lahn-Dill-Kreis), † 2. 2. 1987 Bad Soden; Musikpädagogin,promovierte 1949 in Mainz mit der Diss. Das weih-nachtliche Hirtenlied, redigierte 1949–56 die Zeitschrift»Musik im Unterricht« und habilitierte sich 1971 inKöln mit einer Arbeit über Materialien zur Entwicklungder Musikpädagogik als Wissenschaft (Mainz 1970).Ab 1974 war sie Prof. für Musikpädagogik an der Univ.Frankfurt am Main. S. A.-Str. gab die Reihe Musikpä-dagogik. Forschung und Lehre (Mainz 1970 ff.) herausund schrieb Ziele des Musiklernens (2 Bde., Mainz1978/79) sowie Grundriß der Musikpädagogik (Mainzund Darmstadt 1985).

Abendmusik, im 17. und 18. Jh. Zyklus öffentlicherKonzerte, die die Organisten der Lübecker Marienkir-che regelmäßig an den beiden letzten Trinitatissonnta-gen und dem 2. bis 4. Adventssonntag im Anschluss anden Nachmittagsgottesdienst veranstalteten, sowie diean diesen fünf Sonntagen aufgeführte zusammenhän-gende, oratorienartige Kompos. Ihren Ursprung soll dieA. in Orgelkonzerten haben, die die Lübecker Organis-ten vor Eröffnung der auf dem offenen Markt gehal-tenen Börse veranstalteten. Schon Fr. Tunder zog fürsein »Abendspielen« Hilfskräfte heran. Buxtehude be-gründete während seiner Amtszeit (1668–1707) denRuhm der A., die bis 1789 vom Organisten selbst kom-poniert wurde. Statt Eintrittsgeld zu erheben, versandtedieser die gedruckten Textbücher und erhielt dafür frei-willige Spenden; einen festen Betrag stellte die Kauf-mannschaft zur Verfügung. Buxtehude hat noch nichtimmer eine zusammenhängende, sich über die fünfSonntage erstreckende A. aufgeführt, wie es unter denAmtsnachfolgern J. Chr. Schieferdecker, J. P. und A. C.Kunzen und C. v. Königslöw zur Regel wurde, sonderngelegentlich auch gemischte Programme mit Kantatenund Chören geboten. Außer dem in Uppsala aufgefun-denen, ihm zugeschriebenen »Jüngsten Gericht« (des-sen Bestimmung als A. umstritten ist), sind von den A.Buxtehudes nur wenige Textbücher erhalten (1678 und1700), ferner solche von zwei als »extraordinäre A.«bezeichneten Gelegenheitskompositionen für Wochen-

tage. Die A. wurde 1789 zum letzten Mal in der Kircheaufgeführt; 1810 endeten auch die Aufführungen imKonzertsaal.

Literatur W. STAHL: Die Lübecker A.n im 17. u. 18. Jh., Lü-beck 1937 | O. SÖHNGEN: Die Lübecker A.n als kirchengesch.u. theologisches Problem, MuK XXVII, 1957 | G. KARSTÄDT:Die »Extraordinären« A.n D. Buxtehudes, = Veröff. d. Stadt-bibl. Lübeck, Neue Reihe XV, Lübeck 1962 | DERS.: Die Instr.in d. Kantaten u. A.n D. Buxtehudes. in: Fs. K. Gudewill, Wol-fenbüttel 1978 | K. J. SNYDER: Lübecker A.n, in: Studien zurMg. der Hansestadt Lübeck, hrsg. v. A. Edler u. H. W. Schwab,= Kieler Schriften zur Mw. XXXI, Kassel 1989 | G. FLAHERTY:Literary Perspectives on the Text of Buxtehude’s A.n, in:Church, Stage, and Studio: Music in its Contexts in 17th-Cent.Germany, hrsg. v. P. Walker, Ann Arbor, Mich., 1990.

Abendroth, Fedor Georg Walter, * 29. 5. 1896 Hanno-ver, † 30. 9. 1973 Fischbachau; Musikschriftsteller undKomp., wirkte als Musikkritiker vorwiegend in Köln,Hamburg und Berlin, wo er, nationalistischen Tenden-zen der 1930er und 40er Jahre folgend, der mus. Avant-garde kritisch begegnete. – Schriften: H. Pfitzner (Mchn1935); Kleine Gesch. der Musik (Ffm. 1959; NA alsKurze Gesch. der Musik, Kassel 1988).

Literatur W. MOHR: Erinnerungen an W. A., in: Mitt. d. H.-Pfitzner-Ges. XXXV, 1976 | J. ALLENDE-BLIN: Verlust d. Tradi-tion als Ausgrenzung d. Fremden, in: Musiktradition im Exil.Zurück aus d. Vergessen, hrsg. v. dems., Köln 1993.

Abendroth, Hermann, * 19. 1. 1883 Frankfurt amMain, † 29. 5. 1956 Jena; Dirigent, Schüler von L.Thuille und F. Mottl, wurde 1915 Leiter der Gürzenich-Konzerte und Direktor des Kons. in Köln (Nachfolgervon Fr. Steinbach), 1918 Städtischer GMD, 1922 Leiterdes Niederrheinischen Musikfestes, war 1934–45 Ge-wandhauskapellmeister in Leipzig und wirkte gleichzei-tig am Kons. 1945 wurde er mus. Oberleiter in Weimar,1949 auch Dirigent des Rundfunk-Sinfonie-Orchestersin Leipzig und 1953 des Rundfunk-Sinfonie-Orchestersin Berlin (Ost). Als Gastdirigent im In- und Ausland ge-langte A. zu internationalem Ruf.

a bene placito [aˈbɛːneˈplaːtʃito, ital.], nach Belieben,frei im Vortrag; → ad libitum 1).

Abert, 1) Anna Amalie, Tochter von Hermann A.,* 19. 9. 1906 Halle (Saale), † 4. 1. 1996 Kiel; Musikfor-scherin, promovierte 1934 in Berlin mit der Diss. Diestilistischen Voraussetzungen der »Cantiones sacrae«von H. Schütz (= Kieler Beitr. zur Mw. II, Wolfenbüttel1935; Nachdr. = Kieler Schr. zur Mw. XXIX, Kassel1986) und habilitierte sich 1943 in Kiel mit der Schr.Cl. Monteverdi und das mus. Drama (Lippstadt 1954).Sie war 1962–71 Prof. an der Univ. Kiel, auch Mitar-beiterin an der Gluck-Ausg. und an der Neuen Mozart-Ausg. – Schriften: Chr. W. Gluck (Mchn 1959, Zürich1960); Die Opern Mozarts (Wolfenbüttel 1970); R.Strauss: Die Opern (Velber bei Hannover 1972); Gesch.

Abel-Struth18

Page 7: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

d. Oper (Kassel 1994). Zum 65. Geburtstag wurde ihrdie Fs. Opernstudien (Tutzing 1975) gewidmet, zum85. Geburtstag die Fs. Traditionen-Neuansätze (ebd.1997, beide hrsg. v. K. Hortschansky).

2) Hermann, Sohn von Joseph A., * 25. 3. 1871 Stutt-gart, † 13. 8. 1927 ebd.; Musikforscher, studierte klassi-sche Philologie und promovierte 1897 in Tübingen, ver-öffentlichte die Schr. Die Lehre vom Ethos in dergriech. Musik (= Breitkopf & Härtels Slg mw. ArbeitenII, Lpz. 1899, Nachdr. Tutzing 1968) und habilitiertesich 1902 in Halle (Saale) mit der Studie Die ästheti-schen Grundsätze der mittelalterlichen Melodiebildung.1909 wurde er ordentlicher Honorarprof. in Halle (Saa-le), 1918 Prof., folgte 1920 einem Ruf als NachfolgerH. Riemanns nach Leipzig und 1923 als Nachfolger H.Kretzschmars an die Univ. Berlin. Als erste seiner Ar-beiten auf dem Gebiete der Biographie erschien 1903sein Buch über R. Schumann. Es folgten die Studie DieMusikanschauung des Mittelalters und ihre Grundlagen(Halle/Saale 1905, Nachdr. Tutzing 1964) und N. Jo-melli als Opernkomp. (Halle/Saale 1908, Nachdr. Tut-zing 1991). Nach dem Tode seines Vaters schrieb erdessen Biographie (J. J. Abert, Lpz. 1916; neu hrsg. v.A. A. Abert, = Beitr. zur Mg. d. Sudetendeutschen I,Bad Neustadt a. d. Saale 1983). Sein Hauptwerk, W. A.Mozart (2 Bde., Lpz. 1919–21 u. ö., Register-Bd. v. E.Kapst 1966 u. ö.), erschien als 5. Aufl. der Mozart-Bio-graphie von O. Jahn, ist aber ein neues, nach wie vorgrundlegendes Werk.

Literatur H. A., Gesammelte Schr. u. Vorträge, hrsg. v. Fr.Blume, Halle (Saale) 1929, Nachdr. Tutzing 1968 | Ge-denkschr. f. H. A., hrsg. v. dems., Halle 1928, Nachdr. Tutzing1974 | A. A. ABERT: H. A.s Weg zur Mw., DJbMw IX, 1964,auch in: Musa – Mens – Musici, Gedenkschr. W. Vetter, Lpz.1969 | H. A. BROCKHAUS: H. A.s Konzeption d. mus. Historio-graphie, Habil.-Schr. Bln (HU) 1966 | K. J. FUNK: H. A., Musi-ker, Musikwissenschaftler, Musikpädagoge, Stg. 1994 | W.RUF: H. A. u. die Händel-Renaissance, in: Händel-Jb. XLVIII,2002.

3) Johann Joseph, Vater von Hermann A., * 20. 9. 1832Kochowitz (Böhmen), † 1. 4. 1915 Stuttgart; Komp.und Kpm., erhielt seine mus. Ausbildung als Schülervon J. Fr. Kittl und A. W. Ambros am Prager Kons.,wurde 1853 als Kontrabassist in die Stuttgarter Hofka-pelle aufgenommen und war 1867–88 dort Hofkpm. –Er schrieb eine Symph. c-Moll (1854), eine program-matische Symph. Columbus (1864), eine Frühlingssin-fonie C-Dur (1894) sowie die Opern Anna von Lands-kron (Stg. 1858), König Enzio (Stg. 1862, 2. Fass. alsEnzio von Hohenstaufen, Stg. 1875), Astorga (1866),Ekkehard (Bln 1878) und Die Almohaden (Lpz. 1890).

Literatur H. ABERT: J. J. A., Lpz. 1916, Neudr. Bad Neustadta. d. Saale 1983 (= Beitr. zur Mg. d. Sudetendt. I) | A.A.ABERT: Ein Circumpolarer zw. Tradition u. Forschritt, in: Fs. H.Becker, Laaber 1982 | W. HADER: J. J. A.: Zur Renaissanceeines dt.-böhmischen Komp., in: Ethnonationale Wechselbezie-

hungen in der mitteleurop. Musik, Kgr.-Ber. Brno 1991, hrsg.v. P. Macek, Brno 1994.

Abgesang, → Bar.

Ablinger, Peter, * 15. 3. 1959 in Schwanenstadt (Ober-österreich); Komp., 1974–82 Studien von Grafik, Jazz-Klavier (Musikhochschule Graz) und Kompos. (privatbei G. Neuwirth und R. Haubenstock-Ramati). Dieinstallativ-konzeptionelle Werkreihe weiss/weisslich(1980 ff.) beschränkt sich auf die Auswahl einer mus.Situation. In der Reihe Quadraturen (1995 ff.) überträgtA. Geräuschspektren auf Partituren für Instrumentalen-semble. Experimente mit Eintonstücken und Rauschen(Zyklus Instrumente und ElektroAkustisch Ortsbezoge-ne Verdichtung, 1995–2000) zielen auf eine Konzentra-tion der Zeit im Augenblick. – Schriften: Weiss/Weiss-lich 11 a, Geräuschheft, 1984–86, Saarbrücken 2001.

Literatur S. SANIO: Portrait P. A., NZfM, CLIX/1, 1998 | F.KAWOHL: Jenseits des Werkbegriffs, in: Gesch. d. Musik im20. Jh.: 1975–2000, = Hdb. d. Musik im 20. Jh., Bd. 4, hrsg. v.H. de la Motte-Haber, Laaber 2000.

Abraham [ˈeɪbrəhæm], Gerald Ernest Heal, * 9. 3.1904 Newport (Insel Wight), † 18. 3. 1988 Ebernoe Pet-worth; Musikforscher, war 1935–47 und 1962–67 beider BBC in London tätig, wirkte 1947–62 als Prof. fürMusik an der Univ. in Liverpool. – Schriften: Studies inRuss. Music (Ldn 1935 u. ö.); Masters of Russ. Music(Ldn 1936, gemeinsam mit M.D. Calvocoressi); AHundred Years of Music (Ldn 1938 u. ö.); On Russ. Mu-sic (Ldn 1939, Nachdr. NY 1970); Chopin’s Mus. Style(Ldn 1939, ²1960); Beethoven’s Second-Period Quar-tets (Ldn 1942); Eight Soviet Comp. (Ldn 1943,Nachdr. Westport, Conn., 1970), The Concise OxfordHistory of Music (Ldn 1979 u. ö., dt. als Geschichte derMusik, 2 Bde., = Das große Lexikon d. Musik, hrsg. v.M. Honegger u. G. Massenkeil, Bd. IX/X, Freiburgi. Br. 1983). Außerdem gab er die Bände III, IV, VI,VIII und IX der New Oxford History of Music und diediese Reihe ergänzende Schallplatten-Beispielsamm-lung The History of Music in Sound heraus. Aufsätzesind in Slavonic and Romantic Music (Ldn 1968) ge-sammelt. Ihm wurde die Fs. Slavonic and WesternMusic (Ann Arbor, Mich., 1985) gewidmet.

A̱braham, Lars Ulrich, * 25. 4. 1922 Pförten (Nieder-lausitz), † 21. 2. 2003 Berlin; Musikforscher und Musik-pädagoge, promovierte 1960 an der Freien Univ. Berlinmit der Diss. Der Generalbaß im Schaffen des M. Prae-torius und seine harmonischen Voraussetzungen (= Ber-liner Studien zur Mw. III, Bln 1961). 1969–82 war A.Prof. an der Musikhochschule in Freiburg im Breisgau.Er veröffentlichte: Harmonielehre (2 Bde., Köln 1965–69); Musik als Schulfach (mit H. Segler, Braunschweig1966); Einführung in die Notenschr. (Köln 1969), Melo-dielehre (mit C. Dahlhaus, ebd. 1972).

Abraham 19

Page 8: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

Abraham, Max, C. F. P. → Peters.

A̱braham, Paul, eigentlich Pál Ábrahám, * 2. 11. 1892Apatin (Südungarn), † 6. 5. 1960 Hamburg; Komp.,Schüler der Musikakademie in Budapest, schrieb zahl-reiche Operetten und Musicals und mehr als 30 Film-musiken. Seine Hauptwerke sind Victoria und ihr Hu-sar (Budapest 1930), Blume von Hawaii (Lpz. 1931)und Ball im Savoy (Bln 1932). A. emigrierte 1933 nachParis und siedelte 1938 in die USA über, konnte sichdort jedoch nicht etablieren. Von 1956 an lebte er ineinem Nervensanatorium in Hamburg.

Literatur G. SEBESTYÉN: P. A., Wien 1987.

A̱brahamsen, Hans, * 23. 12. 1952 Kopenhagen;Komp., studierte 1969–71 am Kongelige Danske Mu-sikkons. in seiner Heimatstadt, dann an der Musikaka-demie in Århus und bei P. Nørgård. 1995 wurde A.Prof. für Komp. und Musiktheorie am Kongelige Dans-ke Musikkonservatorium. – In seine rhythmisch unddynamisch kontrastreichen Kompos. bezieht er sowohlElemente der romantischen Musiksprache als auch derskandinavischen Folklore ein.

Werke Orchesterwerke: Symfoni i C (1972); Nachtund Trompeten (1981); Märchenbilder für 14 Spieler(1984); Aarhus Ragtime (1990); Klavierkonzert (2000);Fünf Stücke für Orch. (2004), Schnee für Kammerorch.(2006). – Kammermusik: Streichquartett Nr. 1: 10Praeludier (1973, rev. 1976) und Nr. 2 (1981); Winter-nacht für 7 Instr. (1987); Storm og stille (1988) undHymn (1990) für Vc. solo; Storm og stille med hymneog capriccio bagateller für V., Va. und Vc. (1994); Cel-losonate (1999); Three Little Nocturnes für Streichquar-tett (2005).

Literatur ST. KLEIBERG: H. A. musikk, poetisk billedkraft imus. form, in: Studia musicologica norvegica XIV, 1988 | S.MØLLER SØRENSEN: Ny musik, men ikke modernisme. To ungekomponister i de danske 1970ere – K. A. Rasmussen og H. A.,in: Dansk arbog for musikforskning XXVI, 1998 | P. E. RAS-

MUSSEN: Lydbilleder. En introduktion til H. A.s musik, in:Dansk musiktidsskrift LXXXIII, 2009.

Abrụptio [lat. »das Abreißen«], in der Kompositions-lehre des 17. und 18. Jh. eine mus. Figur, deren allge-meines Merkmal das unerwartete Abbrechen oder Zer-reißen des mus. Kontextes ist. Im Stylus recitativus istdie A. nach Chr. Bernhard (um 1650) und J. G. Walther(1732) gegeben, wenn die Singstimme in der Quarte en-det und der Bass die Kadenz allein zu Ende führt:

oder (nach Bernhard) wenn statt eines Verlängerungs-punktes eine Pause gesetzt wird:

H. Chr. Koch (1802) beschreibt sie als Abbrechendes Satzes an ungewöhnlichem Ort, z. B. wenn nachSubdominante und Dominante eine Generalpause folgt,ehe die Tonika erscheint. Die A. ist verwandt mit der→ Ellipsis.

Absetzen, auch → intavolieren, Terminus für die Über-tragung eines Vokalstückes in die→ Tabulatur 1).

Absịl, Jean, * 23. 10. 1893 Bonsecours (Hennegau),† 2. 2. 1974 Brüssel; belg. Komp. und Musikpädagoge,leitete 1923–58 die Musikakademie Etterbeek und be-kleidete daneben eine Professur am Brüsseler Kons. A.war Direktor der Classe des Beaux-Arts der AcadémieRoyale de Belgique (1968 Präsident). Sein Stil ist vonpolytonalen und polyrhythmischen Verlaufsformen be-stimmt.

Werke Opern Peau d’âne op. 26 (Rom 1942), Fansouou le chapeau chinois op. 64 (Brüssel 1947) und Lesvoix de la mer op. 75 (ebd. 1954); Ballette Le miraclede Pan op. 71 (1949), Epouvantail op. 74 (1950) undLes météores op. 77 (Monte Carlo 1951); zahlreicheQuartette, Bläserquintette, Symph., symphon. Dichtun-gen, Solokonzerte und Chormusik.

Literatur R. DE GUIDE: J. A., Tournai 1965.

Absolute Musik, als ästhetische Kategorie besondersdes 19. Jh. die »reine« Musik, die in Form und Gehaltals absolut gilt im Sinne von »losgelöst« von »außer-mus.« Vorlagen (Texten, Szenarien, Überschriften, Su-jets, Programmen) und vor allem als Instrumentalmusikin Erscheinung tritt. Während sich der ihr verwandteBegriff → Autonome Musik primär auf die Zweckfrei-heit und gegen die »funktionale Musik« richtet, drehtsich der Diskurs über A. M. um den intendierten mus.→ Ausdruck 1) und den Gegenbegriff → Programm-musik.Wohl als erster verwendete Wagner den Begriff A.

M. (1846/1851), indem er ihn (analog zu LudwigFeuerbachs an Hegel gerichtetem Vorwurf einer »abso-luten« Philosophie) negativ bestimmte als Verabsolutie-rung der von Sprache und Tanz losgelösten Musik inder klass. Symphonie und – auf Kosten des Dramas –in der ital. Oper namentlich Rossinis. Dabei knüpfte eran eine weit ins 18. Jh. zurückreichende frz. Opernde-batte an, bei der die ital. Arie von ihren Anhängern zumParadigma rein mus., selbstzweckhafter Schönheit erho-ben worden war (François-Jean de Chastellux; Piccin-nisten; Madame de Staël).Hanslick wendete den Begriff A. M. 1854 mit Bezug

auf die Wiener Klassik ins Positive: Nur die Instrumen-

Abraham20

Page 9: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

talmusik sei reine, absolute Tonkunst im Sinne jenesspezifisch Musikalisch-Schönen, das einzig in den Tö-nen und ihrer künstlerischen Verbindung liegt. Hanslickwar der Hauptvertreter der – bereits bei Adam Smithund Christian Friedrich Michaelis vorgeprägten – klas-sizistisch-formalistischen Richtung der Idee der A. M.,für die Musik primär ein geist- und phantasievolles For-menspiel darstellt.Von ihr ist die romantisch-metaphysische Richtung zu

unterscheiden, die, ohne den Begriff A. M. zu verwen-den, maßgeblich zur Anerkennung der Musik als nurdurch sich selbst begründete Kunst beitrug. Die retro-spektive Verwendung des Begriffs mit Bezug auf dieromantische Musikanschauung gewinnt eine weitere Be-deutungsebene dadurch, dass die Romantiker die vonder Nachahmungsästhetik bemängelte gehaltliche Unbe-stimmtheit der Musik positiv deuteten als Ausdruck des»Unendlichen« im Sinne des Absoluten. Begründer die-ser »Metaphysik der Instrumentalmusik« (Carl Dahl-haus) waren W. H. Wackenroder und L. Tieck, der 1799über die Instrumentalmusik äußerte, in ihr sei die Kunstunabhängig und frei, sie schreibt sich nur selbst ihre Ge-setze vor, sie phantasiert spielend und ohne Zweck, unddoch erfüllt und erreicht sie den höchsten […] und drücktdas Tiefste, das Wunderbarste mit ihren Tändeleien aus.Mit Bezug auf Beethoven identifizierte E.T.A. Hoffmann1810 die Musik als selbständige Kunst mit der Instru-mentalmusik (als der romantischsten aller Künste), diedas eigentümliche, nur in ihr zu erkennende Wesen dieserKunst rein ausspricht und die dem Menschen ein Geis-terreich aufschließt, das nichts gemein hat mit der äußernSinnenwelt und in dem er alle bestimmten Gefühle zu-rückläßt, um sich einer unaussprechlichen Sehnsuchthinzugeben.Die Idee der A. M. dominierte in der dt. bürgerlichen

Musikästhetik des 19. Jh. und wirkte weit ins 20. Jh.hinein. Neue Akzente erhielt sie in der metaphysischenRichtung u. a. durch die Bruckner-Deutungen von Au-gust Halm und Ernst Kurth, in der formalistischen Rich-tung durch die Bestimmung der Musik als Zeitkunst imKreis um Strawinsky.

Literatur FR.-J. DE CHASTELLUX: Essai sur l’union de la poésieet de la mus., Paris 1765, Nachdr. Genf 1970 | A. SMITH: Of theNature of that Imitation which takes Place in what are calledthe Imitative Arts (nach 1777), Mth XV, 2000 | Querelle desGluckistes et Piccinnistes. Texte des pamphlets, Paris 1781,Nachdr. Genf 1984 | W. H. WACKENRODER u. L. TIECK: Phan-tasien über d. Kunst, Hbg 1799 u. ö. | E. T. A. HOFFMANN: Re-zension v. Beethovens 5. Symphonie (1810), in ders.: Schriftenzur Musik, Berlin 1988 | R. WAGNER: Beethovens 9. Symph.Programm (1846), in ders.: Ges. Dichtungen u. Schriften, Bd.II, Lpz. ²1887 | DERS.: Oper u. Drama (1851), dass., Bd. III–IV,ebd. | E. HANSLICK: Vom Mus.-Schönen, Lpz. 1854 | E. KURTH:Bruckner, Bln 1925 | I. STRAWINSKY: Mus. Poetik (1939/40), dt.Mainz 1949 | G. BRELET: Le temps mus., Paris 1949 | A. HALM:Von Form u. Sinn d. Musik, hrsg. v. S. Schmalzriedt, Wiesba-den 1978 | CHR. FR. MICHAELIS: Ueber d. Geist d. Tonkunstu. a. Schriften, hrsg. v. L. Schmidt, Chemnitz 1997 | C. DAHL-

HAUS: Die Idee d. a.M., Kassel 1978, ²1987 | DERS.: Klass. u.romantische Musikästhetik, Laaber 1988 | J. NEUBAUER: TheEmancipation of Music from Language, New Haven u. Ldn1986 | A. V. MASSOW: A. M., HmT (1994) | Musik u. Religion,hrsg. v. H. DE LA MOTTE-HABER, Laaber 1995 | M. BRZOSKA:Die Idee d. Gesamtkunstwerks in d. Musiknovellistik d. Ju-limonarchie, Laaber 1995 | B. KLOSE: Die erste Ästhetik d.a.M. Adam Smith u. sein Essay über d. sogenannten imitativenKünste, Diss. Marburg 1996 | D. K. L. CHUA: Absolute Musicand the Construction of Meaning, Cambridge 1999 | U. TAD-DAY: Das schöne Unendliche. Ästhetik, Kritik, Gesch. d.romantischen Musikanschauung, Stg. 1999 | B. HOECKER:Programming the Absolute. 19th-Cent. German Music and theHermeneutics of the Moment, Princeton, NJ, 2002 | P. KIVY:Antithetical Arts. On the Ancient Quarrel between Literatureand Music, Oxford 2009 | S. PEDERSON: Defining the Term »ab-solute music« historically, ML XC, 2009. HHE/StKy

Absolutes Gehör, die Fähigkeit, erklingende Töneeiner bestimmten Frequenz ohne Anhaltspunkte undHilfsmittel (Vergleichstöne) eindeutig zu erkennen; sieist im mittleren Hörbereich am sichersten entwickelt.Das A. G. ist nur teilweise erbbedingt, tritt relativ seltenauf und kann nicht als Beweis für hohe mus. → Bega-bung angesehen werden. Zugleich muss das A. G. nichtnotwendig mit einem gleichermaßen ausgeprägten,→ Relativen Gehör einhergehen. Während eines be-stimmten Zeitraums der kindlichen Entwicklung kannsich das A. G. bevorzugt entwickeln und ausbilden(»imprinting theory«), es wird aber auch von spätererErlernbarkeit berichtet. Das Potenzial zum Erwerb desA. G. ist daher größer, als allgemein angenommen wird.Es wird vermutet, dass die in der Musikausbildungnormalerweise angestrebte Verbesserung des relativenGehörs eine mögliche Entwicklung des A. G. beein-trächtigt. Musiker und Sänger sind durch Übung undVertrautheit mit ihrem Instrument häufig in der Lage,bestimmte Töne zu erkennen. Dieses Standardtongehörist nicht mit dem A. G. gleichzusetzen.

Literatur O. ABRAHAM: Das absolute Tonbewußtsein, SIMGIII, 1901/02 u. VIII, 1906/07 | H. RIEMANN: Tonhöhenbewußt-sein u. Intervallurteil, ZIMG XIII, 1911/12 | G. RÉVÉSZ: Überd. beiden Arten d. a. G., ZIMG XIV, 1912/13 | A. WELLEK: Dasa. G. u. seine Typen, = Zs. f. angewandte Psychologie u. Cha-rakterkunde, Beih. LXXXIII, Lpz. 1938, Bern 1970 | C. CHIN:The development of absolute pitch, in: Third triennial ESCOMconference, Kgr.-Ber., Uppsala 1997 | W. D. WARD: Absolutepitch, in: The Psychology of music, hrsg. v. D. DEUTSCH, SanDiego ²1999 | N. TANEDA: Erziehung zum absoluten Gehör,Mainz 1993 | K. B. SCHLEMMER: Absolutes u. nichtabsolutesHören, Diss. Bln 2005 | D. J. LEVITIN u. S. E. ROGERS: AbsolutePitch. Perception, Coding, and Controversies, in: Trends inCognitive Sciences IX/ H. 9, 2005.

Absorptio̱n [von lat. absorbere »verschlucken«], dieSchwächung der Intensität von Strahlungen beimDurchgang durch Materie, wobei ein Teil der Strah-lungsenergie in andere Energieformen umgewandeltwird. Bei Schall-A. wird im Wesentlichen Schallenergiedurch Reibung in Wärme umgewandelt. Die A. an Be-

Absorption 21

Page 10: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

grenzungsflächen lässt sich aus dem Verhältnis von re-flektierter zu einfallender Schallenergie errechnen.

Abstrich , Aufstrich [frz. tiré, poussé; engl. down-stroke, upstroke; ital. in giù, in su], beim Streichinstru-mentenspiel die Bogenbewegung vom Frosch zur Spit-ze (A.) und umgekehrt (Aufstrich). Bei Bogenführungmit Untergriff (Viola da gamba) werden betonte Töneund gehaltene Akkorde mit Aufstrich, bei modernen In-strumenten mit Obergriffhaltung (wie der Violine) mitA. gespielt; hier eignet sich der Aufstrich bes. zur Aus-führung der Stricharten → staccato, → portato u. a.

Abt, Franz, * 22. 12. 1819 Eilenburg, † 31. 3. 1885Wiesbaden; Liederkomp. und Dirigent, besuchte dieThomasschule in Leipzig. 1845 wurde er Dirigent derAllgemeinen Musikgesellschaft in Zürich, 1852 ging ernach Braunschweig, wo er 1855 Hofkpm. wurde, undblieb dort bis zu seiner Pensionierung 1882. Seine letz-ten Lebensjahre verbrachte er in Wiesbaden. A.s Liederund Männerquartette waren sehr beliebt und erlangtenvolksliedartige Verbreitung, u. a.: Waldandacht, Wenndie Schwalben heimwärts zieh’n, Gute Nacht, du meinherziges Kind und O Schwarzwald, o Heimat.

Literatur Verz. sämmtlicher Lieder u. Gesänge v. Fr. A., Lpz.1873 | B. ROST: Vom Meister d. volkstümlichen dt. Liedes Fr.A., Chemnitz 1924 | R. BOESTFLEISCH: Fr. A., Braunschweig1996.

Abzug, 1) im 16./17. Jh., bes. auf der Laute, die ein-fachste Art der → Scordatura, nämlich das Herabstim-men (Herabziehen) des tiefsten Chores um einen Ganz-ton. Eine so umgestimmte Laute »steht im Abzug« (ital.liuto descordato; frz. luth à corde avalée).

2) eine Spielmanier, wenn eine simple leise Note nacheinem Vorschlag folgt (Bach Versuch).

a cappẹlla [ital., früher auch a oder alla capella], seitAnfang des 17. Jh. ein Musikstil in der Tradition derfranko-flämischen Vokalpolyphonie und im Unter-schied zu den in der zweiten Hälfte des 16. Jh. neuaufkommenden Kompositionsweisen wie → Mehr-chörigkeit, → Seconda pratica, Stile recitativo undconcertirender Stil. Gegenüber den neueren Musikartengalt die A-c.-Kunst als Grundlage des kompositorischenWissens. Der Klang ist der des Vokalchors, d. h. mitmehrfacher Besetzung jeder Stimme; Instrumente kön-nen (colla parte) hinzutreten. Der Satz ist imitierendund nimmt bes. auf Sangbarkeit und melodischeSelbstständigkeit aller Stimmen Rücksicht; bis in dieneuere Zeit bleibt er wesentlich diatonisch mit sparsa-mem Einsatz von Dissonanzen und an die Kirchentönegebunden. Als angemessene Notation gelten große No-tenwerte mit Vorzeichnung des A-c.-Taktes (→ Alla-breve). Der A-c.-Stil wurde als alt, und somit als tradi-tionsreich (stilus antiquus), würdevoll (stilus gravis)

und kirchlich (stilus ecclesiaticus) angesehen. Seit G.Gabrieli (1592) wurde die Bez. a c. (oder Capella) auchals bloße Besetzungsvorschrift verwendet; sie zeigtnach solistischen Partien den Eintritt des vollen Choresan, bei dem die Instrumente mitgehen. Erst seit dem19. Jh. schließt die Angabe a c., die nun auch in welt-lichen Werken aufscheint, jede Begleitung durch In-strumente aus. – Die kirchenmus. Reformbewegungendes 19. Jh., bes. der → Caecilianismus, erhoben die anPalestrina orientierte A-c.-Musik weithin zum Idealkirchlicher Tonkunst.

Literatur TH. KROYER: A c. oder Conserto, in: Fs. H.Kretzschmar, Lpz. 1918 | DERS.: Das a c.-Ideal, AMl VI, 1934 |K. G. FELLERER: Der Palestrinastil …, Augsburg 1929 | FR.MILZ: A-c.-Theorie u. mus. Humanismus bei A. E. Grell, =Kölner Beitr. zur Musikforschung LXXXIV, Rbg 1976.

Accạrdo, Salvatore, * 26. 9. 1941 Turin; Violinist undDirigent, studierte in Neapel und Siena, wurde Preisträ-ger u. a. beim Concours international d’exécution mus.in Genf (1956) und beim Concorso internazionale diviolino »N. Paganini« in Genua (1958). 1972–77 war erPrimarius des Kammerorchesters I Musici di Roma undlehrte 1973–80 an der Accademia Chigiana in Siena.Sein umfangreiches Repertoire erstreckt sich von A.Vi-valdi und J. S. Bach über N. Paganini bis zu zeitgenös-sischer Musik. A. tritt auch als Dirigent hervor. Er ver-öffentlichte: L’arte del violino (hrsg. v. M. Delogu, Ml.1987).

accelerạndo [attʃe-, ital.], Abk.: accel., beschleunigend,wie → stringendo.

Literatur KL. W. NIEMÖLLER: Das komponierte A., in: Fs. Fr.Krautwurst, Tutzing 1989.

Accentus [akˈtsɛn-, lat.], → Akzent.

Acciaccatura [at-tʃak-kaˈtuːra, ital.; von lat. acciaccare»zerdrücken«; frz. pincé étouffé; engl. crushed odersimultaneous appoggiatura], der seit dem frühen 18. Jh.(Fr. Gasparini, 1708) belegte Name einer dem → Mor-dent und dem kurzen → Vorschlag ähnlichen Verzie-rung auf Tasteninstrumenten. Bei der A. wird mit derHauptnote gleichzeitig deren untere Nebennote ange-schlagen und sofort wieder losgelassen, während dieHauptnote in ihrem notierten Wert erklingt:

Als gebrochene A. wird das Anschlagen eines oder meh-rerer akkordfremder Töne (deren Tasten sofort wiederlosgelassen werden) in einem→ Arpeggio bezeichnet:

Abstrich22

Page 11: Das neue Riemann Musiklexikon - Leseprobe

Angezeigt wird die A. durch eine kleine Note mitdurchgestrichenem Hals (einstimmig) oder durch einenschrägen Strich auf der betreffenden Notenlinie (akkor-disch). In der Musik für Tasteninstrumente des 17. und18. Jh. war die A. eine beliebte Verzierung.

Literatur P. WILLIAMS: The Harpsichord A. Theory and Prac-tice in Harmony 1650–1750, MQ LIV, 1968.

Accompagnamento [ak-kompaɲaˈmento, ital.], Ac-compagnement, → Begleitung.

Accompagnato [ak-kompaˈɲaːto, ital. »begleitet«],Abk.: Acc. oder Accomp., das mit ausgearbeiteter (inStimmen notierter) Begleitung versehene → Rezitativmit oftmals starkem Affektgehalt, im Gegensatz zumSeccorezitativ, das nur einen bezifferten Bass kennt.Das erste Beispiel des A. im 4. Akt von MonteverdisOrfeo (1607) blieb zunächst vereinzelt. Erst 30 Jahrespäter führten die Venezianer (Cavalli) das A. (ausge-haltene Streicherklänge) für → Ombra-Szenen ein.Aber noch im späten 17. Jh. war das (ausgearbeitete) A.selten; es fand seinen Höhepunkt in den Bühnenwerkendes 18. Jahrhunderts.

Accordatu̱ra [ital.], die reguläre Stimmung der Saiten-instrumente; die Abweichung von den Einstimmungs-normen (Umstimmung) heißt → Scordatura.

AC/DC [eısiːdıːsi; engl. Abk. für Alternating Current/Direct Current, dt. »Wechselstrom/Gleichstrom«],1973/74 in Sydney gegr. australische Hardrockband umden Gitarristen Angus Young (* 31. 3.1955, Glasgow)und den Sänger Ronald Belfold »Bon« Scott (* 9. 7.1946, Kirriemuir/Schottland, † 20. 2.1980, Ldn). NachScotts Tod wurde er durch Brian Johnson (5. 10. 1947,Newcastle) ersetzt. AC/DC nahmen Einflüsse ausRock’n’Roll, Blues, Boogie und anderer Hardrock-bands auf und verbanden diese zu mus. und inhaltlicheinfach aufgebauten, jedoch sehr erfolgreichen Songs(Highway to Hell, 1979).

Literatur T. HOLMES: AC/DC, NY 1986 | M. HUXLEY: AC/DC. The World’s Heaviest Rock, NY 1996, dt. St. Andrä-Wör-dern 1996.

Achtelnote [ital. croma; frz. croche; engl. quaver; inden USA auch eighth note]: ; Pause (frz. demi-sou-pir): , ältere Form: .

Acid [ˈæsɪd], auch Acid House, Ableger des → Housesowie stilistischer Vorläufer des → Techno. In Chicagoentstanden, verbreitete sich A. ab 1987 auch schnell inEuropa. Stilprägende Elemente sind der Sound desBass-Synthesizer TB 303 der Firma Roland sowie derGebrauch von Sprachsamples. Ab 1990 verlor er an Be-deutung. – Der Acid Jazz entstand in London gegenEnde der 1980er Jahre in begrifflicher Anlehnung anden A., um dessen kommerziellen Erfolg zu nutzen. Als

Leiter der Labels »A. J.« und (ab 1990) »Talkin’ Loud«baute Gilles Peterson diese auch in Deutschland (»Mo-Jo-Club« Hamburg) rezipierte Richtung aus. A. Jazzunterscheidet sich substantiell vom A. House und istauch keine Stilistik des Jazz, sondern des → DanceFloor. Bekannte Melodien und Rhythmen des Jazz wer-den als Samples mit live dargebotenen gesanglichenund instrumentalen Elementen aus → Rap, → Funk,→ Soul, → Reggae und → Hip Hop verbunden. Be-kanntester Vertreter des A. Jazz ist die Gruppe Jamiro-quai (1992 gegr. um den Sänger Jason Kay).

Literatur M. COLLIN u. J. GODFREY: Im Rausch d. Sinne.Ecstasy Kultur u. Acid House, Mchn 1998 | Techno, hrsg. v. P.Anz u. P. Walder, Reinbek 1999.

Acker, Dieter, * 3. 11. 1940 Hermannstadt (Rumänien),† 27. 5. 2006 München; Komp., kam 1969 in die BRD,unterrichtete ab 1972 an der Musikhochschule in Mün-chen, 1976–2006 als Prof. für Kompos. Er bediente sichserieller Techniken genauso wie der Aleatorik undelektronischer Kompositionsverfahren.

Werke Orchesterwerke: texturae I (1968) und II (fürKammerorch., 1972); 4 Symph. (1977–98); Konzertefür Fag. (1979/80), V. (1981 u. 1994/95) und Kl. (1984u. 1998) mit Orch.; Konzert für Streichorch. (1984);Musiktheater Odysseus (2002); Kammermusik, Kla-vier-, Orgelwerke, Chöre und Lieder.

Literatur Chr. Brödel: D. A., = Komp. in Bayern XLVIII,Tutzing 2007.

Ạctus [lat.], im 17. Jh. feierliche Handlung (Taufe, Kö-nigskrönung u. a.), dann auch Bez. für Festdarbietun-gen. Deren mus. Ausgestaltung führte zur Übertragungder Bez. A. auf kantatenhafte oder oratorische Kompo-sitionen: A. Fromm, A. musicus De divite et Lazaro(1649); G. Oesterreich, A. funebris Plötzlich müssenalle Menschen sterben; J. S. Bach, A. tragicus BWV106.Literatur B. BASELT: A. musicus u. Historie um 1700 in Mit-teldeutschland, in: Wiss. Beitr. d. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg, GVIII/1, 1968.

Adagio [aˈda:dʒo, ital.; Abk.: Ad°], bequem, gemäch-lich, auch behutsam, hat aber als Tempovorschrift denSinn von langsam erhalten (WaltherL, Mozart Versuch).Im 17. Jh. bezeichnet A. einerseits eine (geringe) Ver-langsamung des gewöhnlichen, durch die Taktart oderden Tanztypus bestimmten Zeitmaßes (Tempo ordina-rio), andererseits einen Wechsel der Zählzeit, den Über-gang zu einem längeren Notenwert als Schlagzeit (A. statt Allegro ). – Die Vorstellung, dass ein Largolangsamer als ein A. sei, wurde zwar schon von Bros-sard (1703) als Regel formuliert, konnte sich jedoch alsallgemein verbindliches Prinzip nicht überall durchset-zen. A. wurde ab dem 18. Jh. als Satzbez. in zyklischenFormen (Sonate, Symphonie) verwendet. – A. assai undA. molto bedeuten sehr langsam, un poco A. ein wenig

Adagio 23