Das Personverständnis der€¦ · logotherapy are uncovered. Possibilities for further development...

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Das Personverständnis in der Logotherapie und Existenzanalyse – Wurzeln – Grundlagen – Weiterentwicklung Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in Existenzanalyse eingereicht von: Lic. theol. Manfred Zmy Dezember 2003 eingereicht bei: Dr. Christoph Kolbe Susanne Jaeger-Gerlach angenommen am ............................................von .................................................

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  • Das Personverständnis in der Logotherapie und Existenzanalyse –

    Wurzeln – Grundlagen – Weiterentwicklung

    Abschlussarbeit für die fachspezifische Ausbildung in Existenzanalyse

    eingereicht von: Lic. theol. Manfred Zmy

    Dezember 2003

    eingereicht bei: Dr. Christoph Kolbe

    Susanne Jaeger-Gerlach

    angenommen am ............................................von .................................................

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    Zusammenfassung Existenzanalyse und Logotherapie vertreten das Anliegen, in Therapie und Beratung die

    personale Dimension des Menschen explizit zum Einsatz zu bringen. Dabei ist der Begriff Person ein Schlüsselbegriff in der existenzanalytischen Anthropologie.

    Die vorliegende Arbeit möchte das Verständnis der Person in der Logotherapie und Exis-

    tenzanalyse, wie es V. E. Frankl in seiner Anthropologie als Antwort auf ein reduktionisti-sches Menschenbild grundgelegt und A. Längle für die neuere Existenzanalyse weiterent-

    wickelt hat, in seinen Grundzügen darstellen.

    Dabei werden sowohl die philosophischen und theologischen Wurzeln, die auf die Ent-wicklung des Personbegriffs innerhalb der abendländischen Geistesgeschichte eingewirkt

    haben, herausgearbeitet, das Spezifische des Verständnisses der Person in der Logotherapie

    und Existenzanalyse aufgedeckt und Möglichkeiten einer Weiterentwicklung existenzana-lytischer Anthropologie diskutiert.

    Diese Arbeit möchte einen Beitrag zum anthropologischen Diskurs innerhalb der Gesell-

    schaft für Logotherapie und Existenzanalyse leisten.

    Schlüsselbegriffe: Anthropologie, Dimensionalontologie, Geist, Gewissen, Ich, Leib-Seele-Problem, Personverständnis, Selbst

    Abstract Existential analysis and logotherapy attend to the problem of bringing the personal, human

    element explicitly into play with respect to therapy and consultation. ‘Person’ is therefore a

    key term of existential-analytic anthropology.

    The aim of this article is to set out and explain fundamental aspects of our understanding of

    the ‘person’ within the context of logotherapy and existential analysis, as laid down by the anthropological work of V. E. Frankl as a reaction against the reductionistic view of the

    human being, and furthered by A. Längle for the purposes of existential analysis.

    The philosophical and theological roots which have contributed to the development of the concept ‘person’ within the occidental intellectual tradition are exposed and highlighted,

    and specifics of our understanding of ‘person’ within the context of existential analysis and

    logotherapy are uncovered. Possibilities for further development within the field of exis-tential-analytic anthropology are discussed.

    This work is intended as a contribution to the anthropological discourse taking place within

    the Society for Logotherapy and Existential Analysis (Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse).

    Key terms: Anthropology, dimensional ontology, mind-body problem, concept of person, the self, self-understanding, spirit, conscience

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    Inhaltsverzeichnis

    Vorbemerkungen 5

    1 Aspekte des Personverständnisses in historischer Perspektive 1. 1 Person als Substanz 10

    1. 2 Person als Selbstbewusstsein 12 1. 3 Person als „ens morale“ 13

    1. 4 Person als Relation 14

    1. 5 Die Person denken aus dem Geist der theologisch-philosophischen Tradition 19

    1. 6 Metaphysik und Psychologie 22

    2 Schelers Anthropologie und ihre Bedeutung für das Personverständnis Frankls

    2. 1 Die Sonderstellung des Menschen 27

    2. 2 Die kognitive Funktion des Fühlens 28

    2. 3 Grundzüge der Personlehre Schelers 30

    3 Das Verständnis der Person bei Frankl 3. 1 Dimensionalontologie 32

    3. 2 Exkurs: Philosophische Positionen zum Körper-Geist-Problem 34

    3. 3 Die Geistigkeit des Menschen 40

    3. 4 Der Begriff der Person 41

    3. 5 Person und Gewissen 44

    3. 6 Kompetenzen der geistigen Person: Selbsttranszendenz und Selbstdistanzierung 46

    3. 7 Person und Biografie 47

    3. 8 Diskussion 49 3. 8. 1 Frankls Rückgriff auf Schelers Geistkonzeption 49

    3. 8. 2 Anmerkungen zum Verhältnis von Ontologie und Empirie 51

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    4 Die Weiterentwicklung existenzanalytischer Anthropologie 4. 1 Anthropologische Differenzierungen 54

    4. 2 Die Neubewertung der psychischen Dimension des Menschen 56

    4. 3 Person im Kontext der Personalen Existenzanalyse (PEA) 57 4. 4 Die Tiefenstruktur der Existenz –

    Die existenzanalytische Strukturtheorie 64

    4. 5 Person als Grundlage der Ich-Bildung und des Selbstwertes 67 4. 6 Synopse zur Weiterentwicklung

    existenzanalytischer Anthropologie 72

    4. 7 Ausblick 74

    5 Verzeichnis der benutzten Literatur 78

  • 5

    Vorbemerkungen

    1. Der Kontext

    Die vorliegende Arbeit ist als Abschlussarbeit im Rahmen meiner Ausbildung in Existen-

    zanalyse und Logotherapie bei der Gesellschaft für Logotherapie und Existenzanalyse

    (GLE Wien) entstanden. Sie beschäftigt sich mit den anthropologischen Grundlagen der Existenzanalyse und Logotherapie.

    Logotherapie und Existenzanalyse sind zwei Begriffe, die von V. E. Frankl (1905 - 1997) in die Psychotherapie eingeführt wurden und die von ihm begründete Psychotherapieform

    bezeichnen. Sie stellt die „Selbstbestimmung des Menschen aufgrund seiner Verantwort-

    lichkeit und vor dem Hintergrund der Sinn- und Wertewelt“ (FRANKL 1996, 230) in das

    Zentrum von Beratung und Therapie. In seinem Buch Grundkonzepte der Psychotherapie

    führt Kriz aus, dass die Logotherapie durch ihr Anliegen einer Rehumanisierung der Psy-

    chotherapie sowie durch ihre philosophisch-anthropologische und phänomenologisch-

    existenzialistische Basis den humanistischen Ansätzen sehr nahe steht (vgl. KRIZ 2001,

    201f.). Zwar gibt es eine Reihe von Überschneidungen mit der personzentrierten Psycho-

    therapie, z.B. die starke Betonung des Personbegriffs, der Begegnung, der Freiheit, der

    Authentizität, der Liebe und der Würde des Menschen, die Existenzanalyse und Logothe-

    rapie ist jedoch deutlich von diesen Ansätzen abzugrenzen. So kennt sie z.B. nicht den

    Begriff der Entelechie, der mit einer dynamischen Entwicklung und Selbstaktualisierung

    des Menschen verbunden ist (vgl. LÄNGLE 2001a).

    Die Logotherapie, wie sie von Frankl grundgelegt wurde, wird im Verständnis der Gesell-

    schaft für Logotherapie und Existenzanalyse (GLE) heute als eine „sinnorientierte

    Beratungungs- und Behandlungsform“ (vgl. LÄNGLE 1995, 9) verstanden. Sie gründet in

    dem Sinn- und Personverständnis Frankls und hat die Beratung und Begleitung von Men-

    schen mit Sinnproblemen zum Gegenstand.

    Der Begriff Existenzanalyse wird schon bei Frankl nicht eindeutig gebraucht und ist im

    heutigen Verständnis differenziert zu sehen. Für Frankl ist Existenzanalyse einmal die

    „Behandlungform für den konkreten Menschen, bei der es um eine ‚Analyse’ und somit

    einen Bewusstmachungsprozess gehe. Dann beschreibt Frankl die Existenzanalyse als phi-losophische Anthropologie und Grundlagenforschung zur Logotherapie. Schließlich ist sie

    manchmal deckungsgleich mit der Kennzeichnung der Logotherapie, sodass eine begriffli-

    che Unterscheidung unnötig wäre“ (LÄNGLE 1995, 10).

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    Existenzanalyse ist heute im Verständnis der Gesellschaft für Logotherapie und Existenza-nalyse (GLE) die Bezeichnung einer psychotherapeutischen Anwendung. Sie ist Analyse

    der Bedingungen, die zu einer erfüllten Existenz zu führen, d.h. Erhellung und Klärung der

    Lebensumstände auf Existenz hin. Sie mobilisiert die Entscheidungsfähigkeit des Men-schen, damit er „mit Zustimmung leben“ kann (vgl. LÄNGLE ebd.).

    Kriz kennzeichnet die Existenzanalyse als phänomenolgisch-personale Psychotherapie, die ein emotional freies Erleben, authentische Stellungnahme und eigenverantwortliches Han-

    deln ermöglichen soll (vgl. KRIZ 2001, 201f.). Die Existenzanalyse als Therapieform inte-

    griert die psychischen Vorgänge und Mechanismen in die „existentielle Dynamik“, womit sie den exklusiven Status einer ‚Höhenpsychologie’, wie ihn Frankl forderte, aufgibt und

    auch an der ‚Tiefe’ der menschlichen Existenz ansetzt. Dies unterscheidet die Existenzana-

    lytiker von den Logotherapeuten, die in der strengen Tradition des ‚späten Frankl’ aus-schließlich mit dem Sinntheorem arbeiten.

    2. Zielsetzung der vorliegenden Arbeit

    Im außerwissenschaftlichen Sprachgebrauch kommt der Begriff ‚Person’ heute nicht mehr

    häufig vor. So spricht man in der Alltagssprache von ‚Person’, wenn man z. B. den Namen

    eines Menschen vermeiden will. Man möchte auf eine ganz bestimmte Person hinweisen,

    hat aber zugleich ein Interesse daran, eine gewisse Distanz herzustellen und die Anonymi-

    tät der Person aufrechtzuerhalten. Oder man benutzt den Person-Begriff in einem ganz

    formalen Sinn zu einer Mengenangabe. Mit Person bezeichnet man also im Alltagssprach-

    gebrauch in unterschiedlichem Präzisionsgrad einen Menschen, sofern er ein ganz konkre-

    ter Einzelner ist (vgl. BRASSER 1999, S. 16).

    Im Gegensatz zu diesem rein deskriptiven Personbegriff, für den ‚Person’ gewöhnlich

    nichts anderes als ‚Mensch’ oder ‚menschliches Individuum’ bedeutet, finden sich in der Tradition dieses Begriffs auch ethisch-moralische Anteile im Verständnis der Person, die

    den Begriff zu einem normativen Begriff machen. Wie kein anderer Begriff hat der Begriff

    der Person das Wesen und Selbstverständnis des Menschen in der abendländischen Geis-

    tesgeschichte geprägt. Er hat sich überall dort eingebürgert, wo es um die Kennzeichnung

    des Menschlichen im Menschen, das spezifisch oder eigentlich Menschliche geht. Dass

    dem Menschen als Person unveräußerliche Menschenrecht zukommen, ist zur Grundlage

    des modernen Rechtsstaates geworden und inzwischen global respektiert. In der Allgemei-

    nen Erklärung der Menschenrechte (1948) bekräftigten die Völker der Vereinten Nationen

    ihren Glauben „an die Würde und den Wert der Person“. So ist der Personbegriff zur

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    Grundlage allgemeiner Menschenrechtserklärung geworden und damit ein weltweit ver-stehbarer und universaler Begriff (vgl. KOBUSCH 1997).

    Im aktuellen wissenschaftlichen Diskurs wird das Selbstverständliche dieser langen Tradi-tion heute vielfach in Frage gestellt.1

    Sowohl in der abendländischen Geistesgeschichte als auch in der gegenwärtigen philoso-

    phischen Diskussion hat der Begriff der Person vielfältige Konfusionen hervorgerufen, da

    es sich nicht um einen bloßen Begriff handelt, vielmehr enthält der Begriff der Person ei-

    nen beschreibenden und einen normativen bzw. wertenden Bestandteil. Der Personbegriff

    ist daher hochgradig interpretationsfähig und -bedürftig.

    Die Krise des Personverständnisses ist die Folge ei-

    nes Reduktionismus gegenüber der geschichtlich gewachsenen Auffassung von Person.

    Kobusch charakterisiert diese Krise in seinem Buch Die Entdeckung der Person. Metaphy-sik der Freiheit und modernes Menschenbild folgendermaßen: „Während […] die Person

    als Person ein Seiendes eigener Art ist, nämlich ein durch Freiheit bestimmtes und ausge-

    zeichnetes und in diesem Sinne moralisches Wesen, das weder auf ein bloß Naturhaftes noch auf ein Artifizielles reduziert werden kann, droht durch manche Ansätze in der Ky-

    bernetik und in der Ethik die Grenze zwischen Person und artifiziellem Sein einerseits und

    Person und physischem Sein andererseits verwischt und eingeebnet zu werden“ (KOBUSCH 1997, 263).

    Durch ihre Bezugnahme auf die philosophische Anthropologie stellt die Logotherapie und

    Existenzanalyse ein Menschenbild in ihr Zentrum, in dem die Voraussetzungen für gelin-

    gendes Menschsein als Ausgangspunkt für Beratung und Therapie gewählt werden. Logo-

    therapie und Existenzanalyse lassen sich in diesem Sinne als „angewandte Anthropologie“

    verstehen. In der vorliegenden Arbeit geht es mir um eine Explikation der anthropologi-

    schen Grundlagen und damit um das Menschenbild der Existenzanalyse und Logotherapie.

    Dem Begriff der Person kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu, bezeichnet er doch das

    eigentlich Humane, das den Menschen von allen anderen Lebewesen unterscheidet. Die

    Logotherapie und Existenzanalyse steht dabei zutiefst in der Tradition der abendländischen

    Geistesgeschichte und des über die Theologie in die Philosophie eingegangenen Verständ-

    nisses der Person. Ihre Anthropologie, wie sie von Frankl grundgelegt wurde und von A. Längle für die neuere Existenzanalyse weiterentwickelt wurde, hat im Kontext philosophi-

    scher und theologischer Theorieansätze unterschiedliche Auslegungen und Ausdifferenzie-

    rungen erfahren, die ich in der vorliegenden Arbeit darstellen und diskutieren möchte.

    1 Über Sinn und Bedeutung von ‚Person’ wird heute in öffentlichen und philosophischen Diskussionen hauptsächlich dort diskutiert, wo ethische Grundlagenforschung betrieben wird, z.B. in Fragen der Gentechnologie, des humanen Sterbens oder die Diskussion der To-desstrafe, in denen immer der Mensch im Zentrum steht und das Verhältnis ihm gegenüber, ein Verhalten, auf das der Mensch qua Mensch ein Anrecht hat.

  • 8

    3. Aufbau der Arbeit

    Im ersten Teil geht es um die geschichtliche Entwicklung des Personverständnisses aus der

    christlichen Theologie und den Aufweis komplementärer Aspekte des

    Personverständnisses, die die Diskussion um die Person bis in die Gegenwart hinein maß-geblich bestimmt haben (1. 1 – 1. 5). Die Entwicklung der Psychologie aus der Metaphysik

    hin zu einer empirisch orientierten Wissenschaft führte dazu, dass der Personbegriff vor

    allem in geisteswissenschaftlich orientierten Ansätzen der Psychologie noch einen zentra-len Stellenwert behielt (1. 6).

    Das Verständnis der Person in der Anthropologie Frankls wurde maßgeblich von der Personlehre Schelers mitbestimmt. Im zweiten Abschnitt gehe ich daher zunächst auf

    Scheler ein, um einerseits den Einfluss der Scheler’schen Philosophie auf Frankl zu zeigen,

    andererseits um auf Aspekte in seiner Philosophie hinzuweisen, die bei Frankl keine adä-

    quate Berücksichtigung gefunden haben wie z.B. die Bedeutung der Gefühle für den Men-

    schen (2. 2).

    Im dritten Abschnitt stelle ich die Grundzüge der Anthropologie Frankls genauer vor. Sei-

    ne Bestimmung der Person als „das Geistige im Menschen“ verbindet das Verständnis der

    Person mit der Fragestellung, wie der Aufbau und die Einheit der Person genauer zu ver-

    stehen ist. In seiner Dimensionalontologie versucht Frankl auf diese Frage eine Antwort zu

    geben (3. 1). Die existenzanalytische Anthropologie ist dadurch zutiefst mit der philoso-

    phischen Fragestellung des Leib-Seele-Problems bzw. des Körper-Geist-Problems ver-

    knüpft. In einem Exkurs (3. 2) möchte ich dazu zentrale Grundpositionen vorstellen Da-

    durch möchte ich Frankls Bemühungen in einen größeren philosophiegeschichtlichen Kon-

    text einbinden. Im Mittelpunkt der Frankl’schen Anthropologie steht die personale Geistigkeit des Men-

    schen, die Frankl in dem Begriff der Person, aber auch in dem Begriff des Gewissens ge-

    nauer zu fassen versucht. Dabei bilden Selbsttranszendenz und Selbstdistanzierung die zentralen Kompetenzen der geistigen Person, durch die der Mensch sich selbst verwirkli-

    chen kann. Am Ende dieses Abschnitts möchte ich auf einige Gesichtspunkte der

    Frankl’schen Anthropologie näher eingehen, die aus meiner Sicht weiter zu diskutieren sind (3. 8).

    Abschnitt vier meiner Ausführungen stellt die Weiterentwicklung der existenzanalytischen Anthropologie in den Mittelpunkt, wie sie vor allem in der neueren Existenzanalyse durch

    A. Längle formuliert wurde. Er entwickelte ein erweitertes und differenziertes Verständnis

    der Person in der Theorie der Personalen Existenzanalyse (PEA) und der Theorie der Grundmotivationen. Ausgehend von Bubers Dialogbegriff zeigt sich nun die Person stärker

    als bei Frankl in ihrer doppelten Bezogenheit: sowohl auf sich selbst als auch auf die Welt.

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    Die Weiterentwicklung der Existenzanalyse führte zu einer Neubewertung der psychischen

    Dimension des Menschen, wodurch neue Impulse für den Therapieprozess freigelegt wer-

    den konnten. In der Theorie der Grundmotivationen erfährt die geistige Dimension des Menschen eine Rückbindung an die psychische Dimension, sodass geistige Inhalte ge-

    fühlsmäßig empfunden werden können und den Charakter von Bedürfnissen erhalten.

    Die Weiterentwicklung des Personverständnisses ermöglicht es, die Person als Grundlage der Ich-Bildung und des Selbstwertes zu verstehen, wodurch es der Existenzanalyse mög-

    lich wird, auf zentrale Fragen der psychischen Struktur des Menschen eine Antwort zu

    geben. Ich beende diesen Abschnitt mit einer synoptischen Übersicht (4. 6), die die anthro-pologischen Grundannahmen von Frankl und Längle einander gegenüberstellt.

    In einem abschließenden Ausblick (4. 7) möchte ich die Bedeutung des Personbegriffs in der Existenzanalyse und Logotherapie zusammenfassen und für einen weiterführenden

    Dialog der Existenzanalyse und Logotherapie mit der Philosophie, der Theologie und den

    Neurowissenschaften plädieren, um die anthropologischen Grundlagen weiterzuentwickeln

    und begrifflich besser abzusichern. Nur so wird es m.E. möglich sein, der existenzanalyti-

    schen Anthropologie eine breitere, auch wissenschaftliche Anerkennung zu verschaffen.

  • 10

    1 Aspekte des Personverständnisses in historischer Perspektive

    1. 1 Person als Substanz

    Die Entstehung des Begriffs ‚Person’ ist auf das Engste mit der Geschichte des Christen-tums verbunden. Auch wenn das Wort ‚Person’ aus der vorchristlichen Antike stammt, so

    hat es seine Inhaltsbestimmung, durch die die Personalität zum Inbegriff der Würde des

    Menschen geworden ist, erst durch die christliche Theologie und Philosophie gewonnen.

    Die Ursprünge des Begriffs ‚Person’ liegen im Dunkeln. Die wohl wahrscheinlichste ety-mologische Erklärung ist die vom etruskischen ‚persu’, das eine Übersetzung des griechi-

    schen ‚prosopon’ (dt. Antlitzt) ist und das die Maske eines Schauspielers bzw. seine Rolle

    im Schauspiel kennzeichnet. Person in diesem Verständnis bedeutet zunächst die Maske,

    die einer trägt, und die die Rolle charakterisieren soll, die er im Theater spielt (vgl. SPECK

    1970, 292). Aus dem Zusammenhang mit der Schauspielkunst entwickelten sich im

    Sprachgebrauch der Römer die übertragenen Verwendungsweisen von ‚Person’ als Rolle,

    die ein Schauspieler darstellt, aber bereits auch schon die Bedeutung ‚Rolle, die ein

    Mensch in der Gesellschaft spielt’ (vgl. FUHRMANN 1983).

    Die für die römische Antike bereits beanspruchte Bedeutung von ‚Person’ im Sinne von

    ‚Persönlichkeit’, ‚Individualität’ ist eine Schöpfung der christlichen Tradition. Den wich-

    tigsten Anstoß zu dieser Entwicklung hat die antike Grammatik gegeben, in der man ‚Per-

    son’ zur Kennzeichnung unterschiedlicher Sprecherrollen in literarischen Dialogen benutz-

    te. Über die Exegese gelangte dann der Begriff in die Dogmatik der Theologie der ersten

    christlichen Jahrhunderte, wo er eine inhaltliche Vertiefung erhielt. ‚Person’ charakterisier-

    te hier zunächst nicht das Selbstverständnis des Menschen, sondern diente vielmehr dazu, das Glaubensgeheimnis der Trinität und der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus zu

    erklären. Erst in zweiter Linie wurde die Frage gestellt, inwiefern dem Menschen Person-

    Sein zukommt (vgl. FUHRMANN 1983, 283).

    Für die mittelalterliche Theologie und Philosophie wurde die formalontologische Definiti-

    on, wie sie der Aristoteles-Übersetzer Boethius (480 – 525 n. Chr.) in seinem Traktat Contra Eutychen et Nestorium vorlegte, von nachhaltiger Bedeutung. Boethius definierte

    die Person als „naturae rationalis individua substantia (dt. die unteilbare Substanz eines

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    vernünftigen Wesens).2

    Person ist im Verständnis des Boethius die unteilbare individuelle Substanz einer zur Ver-

    nunft befähigten Natur. Sein Vollmaß erreicht solcher Selbststand, wo ein Selbst in Be-wusstsein und Freiheit über sich bestimmt. Dann ist es nicht bloß Substanz, sondern Sub-

    jekt. Fuhrmann charakterisiert die Definition des Boethius als geschichtlich überaus erfolg-

    reich: „Sie gab dem seit Jahrhunderten verschwommenen Ausdruck wieder einen festen Inhalt: ‚Person’ diente nunmehr als Bezeichnung für das vernunftbegabte Individuum, für

    die Individualität“ (FUHRMANN 1983, 280).

    „Substanz“ (sub-stare, dt. von unten her zum Stehen kommen) bedeutet hier so viel wie ‚Von-selbst-zu-Stande-kommen’, ‚In-sich-selbst-gegründet-Sein’,

    ‚Selbstständigkeit’ und Unabhängigkeit. Mit Substanz (usia, hypostasis) bezeichnete die

    philosophische Tradition jenes Seiende, das autonom in sich steht und letztes Subjekt und Träger aller anderen Eigenschaften ist.

    Angestoßen durch die Person-Definition des Boethius, welche die Substantialität in das

    Zentrum der Denkbemühungen stellt, haben sich im mittelalterlichen Denken die Schlüs-

    selbegriffe ‚Vernunftnatur’, ‚Individualität’, ‚Nichtmitteilbarkeit’, ‚Substantialität’ und

    ‚Würde’ zur Kennzeichnung der Person herausgebildet. Hier bahnte sich auch die Ver-

    wandtschaft zum Begriff „Individuum“ an: Die Unteilbarkeit wird als menschliches

    Merkmal angesehen, das Personsein kennzeichnet. Im allgemeinen Sprachgebrauch des

    Mittelalters findet man eine vielfältige Skala von Verwendungsmöglichkeiten des

    Personbegriffs, die das Bedeutungsspektrum von ‚Mensch/menschliches Individuum’ auf

    der einen Seite und ‚Funktions-/ Würdenträger/Funktion sowie Würde’ andererseits umfas-

    sen (vgl. FUHRMANN 1983, 282).

    Die Definition der Person bei Boethius als vernünftiges Individuum überspannt den ganzen

    Weg der Geschichte des Personbegriffs von seinem griechischen Ausgangspunkt bis hin

    zum transzendentalphilosophischen Begriff des Subjekts als Selbstbewusstsein. Dabei ver-

    deckt die Formel ‚individua substantia’ allerdings die tief greifenden Wandlungen im Ver-

    ständnis der Individualität, die sich auf diesem Wege ereignet hat (vgl. PANNENBERG 1979,

    409). Die Definition des Boethius hat sich bis heute als klassisch behauptet. Sie gibt ein

    entscheidendes Moment des Personseins wieder, das in der christlichen Theologie und Phi-losophie nie aufgegeben wurde. Aus dem zunächst theologisch Erarbeiteten wurde dann im

    Laufe der Geschichte eine genuin philosophische Thematik.

    2 Etwas anders , aber sinngemäß gleich, lautet die Definition an einer anderen Stelle: „persona est rationabilis naturae individua

    substantia“

  • 12

    1. 2 Person als Selbstbewusstsein

    Seine Bedeutung für die Moderne gewinnt der Personbegriff durch Locke und Kant im Kontext der praktischen Philosophie. Bei Locke ( 1632-1704) ist Person „a thinking intel-

    ligent Being, that has reason and reflection, and can consider it self as it self“ (LOCKE

    1975, 223), d.h. ein denkendes verständiges Wesen, das Vernunft und Überlegung besitzt und sich selbst als sich selbst betrachten kann. Sie denkt sich als dieselbe zu verschiedenen

    Zeiten und an verschiedenen Orten. Das geschieht durch das Bewusstsein, das vom Den-

    ken unabtrennbar ist. Für Locke begleitet das Bewusstsein das Denken und macht jeden Menschen zu dem, was er sein Selbst nennt und wodurch er sich von allen anderen den-

    kenden Wesen unterscheidet. Hierin besteht die Identität der Person, d.h. das Sich-selbst-

    gleich-Bleiben eines vernünftigen Wesens (vgl. dazu HONNEFELDER 1993, 248).

    Die Identität der Person beruht für Locke auf der Identität des Bewusstseins, das in Form

    des Gedächtnisses die früheren Taten als die eigenen identifiziert und sich anzueignen

    vermag und so Träger von Verantwortung sein kann. „An die Stelle der einheitsstiftenden

    Funktion der aristotelischen substantiellen Form tritt die synthetisierende Funktion des

    Selbstbewusstseins. Die Einheit des Bewusstseins ist nicht mehr ein Merkmal der Person,

    sondern deren Wesen“ (HONNEFELDER 1993, 248). Damit reduzierte Locke die personale

    Identität auf die Kontinuität des Bewusstseins. Vetter charakterisiert Lockes Personbegriff

    folgendermaßen: „Er knüpft in einer für die Neuzeit charakteristischen Weise an den klas-

    sischen Personbegriff von Boethius an, behält das Moment der Individualität bei, akzentu-

    iert aber gegenüber dem aristotelischen, substanzialen Ansatz das Bewusstsein, indem er

    die personale Identität von der Identität der Substanz in die Identität des Bewusstseins ver-

    legt“ (VETTER 1998, 16f.). Lockes Theorie erfolgt damit metaphysikfrei, indem sie perso-

    nale Identität als Bewusstseinsleistung qua Erinnerung deutet und damit rein empirisch

    verifizierbare Merkmale enthält. Sie trennt den rein biologischen Gattungsbegriff des Men-

    schen strikt von einem rein psychologisch definierten Begriff der Person“ (vgl. REHBOCK

    1998, 65)

    ‚Person’ wird häufig im Sinne der neuzeitlichen Identitätsthese von Locke gebraucht. Die-se unzulässige Identifizierung von Person und Selbstbewusstsein entspricht nicht der Weite

    des Personbegriffs, wie er sich in der abendländischen Geistesgeschichte herausentwickelt

    hat.3

    Lockes Personbegriff ist auch für den zeitgenössischen Streit in der Philosophie um den Begriff der Person verantwortlich, bei dem es um die Frage nach dem Kriterium der

    Identität, im Unterschied zur Definition des Artbegriffs „Mensch“, geht.

    3 Für die weitere Auseinandersetzung mit Lockes Personbegriff verweise ich auf den Artikel von F. Ricken: Ist die Person oder der Mensch Zweck an sich selbst? (RICKEN 1997).

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    1. 3 Person als „ens morale“

    In seinem Buch Die Entdeckung der Person. Metaphysik der Freiheit und modernes Men-schenbild (1997) zeigt Kobusch auf, wie das gegenwärtige Verständnis der Metaphysik

    selbst in einer einseitigen, am Naturding orientierten ontologischen Tradition steht. Dem-

    gegenüber möchte Kobusch eine zweite Linie metaphysischen Denkens in Erinnerung bringen, die – weithin in Vergessenheit geraten – wesentlich nicht mit physischen, sondern

    mit ethischen Kategorien arbeitet.

    Kobusch macht deutlich, dass der Begriff ‚Person’ ohne seine metaphysische Vorgeschich-te heute unverständlich wird. So beinhaltet die traditionelle Metaphysik der Freiheit die

    konstitutiven Sinnelemente und Geltungsbedingungen unseres heutigen, auf dem

    Personbegriff basierenden Verständnisses von Moral und Recht. Er zeigt auf, dass die Freiheit das Fundament ist, auf dem Phänomene wie Solidarität, Gemeinschaft, Liebe,

    Mitsein, überhaupt die verschiedenen Arten des Verhältnisses der Personen untereinander,

    und auch die personae compositae, Staat, Ehe usw. beruhen (vgl. ebd., 17).

    Kobusch versucht nicht eine Definition des Personbegriffs zu geben, vielmehr entfaltet er

    die große Reichweite seines Bedeutungsspektrums im Durchgang durch dessen Geschich-

    te. Aus dem begriffsgeschichtlichen Hintergrund wird es ihm möglich, die heutigen Ausei-

    nandersetzungen um den Personbegriff bewusst zu machen und kritisch zu reflektieren.

    Die Metaphysik des ‚ens morale’ beschäftigt sich nicht wie die aristotelische Metaphysik

    mit dem Sein der Dinge, sondern mit der Seinsart des „moralischen Seins“. Damit wurde

    bereits im Hochmittelalter ein Denken eingeleitet, das sich in den folgenden Jahrhunderten

    immer mehr durchsetzte und über die modernen Freiheitsmetaphysiken bis in die Verfas-

    sung der demokratischen Staaten hineinwirkte. Es ist die Geschichte der Idee der Freiheit

    des modernen Menschen, die als Freiheit der Person verstanden wird. Eine Person ist in

    dieser Tradition ein Wesen, das über Willensfreiheit verfügt und sich zu sich selbst verhal-ten und zu sich selbst Abstand gewinnen kann (vgl. ebd., 19).

    Diese Geschichte der Entdeckung der Person beginnt für Kobusch in der dominikanischen und franziskanischen Metaphysik-Tradition, die sich gegen eine Naturalisierung und Ver-

    dinglichung des Personseins durch die aristotelische Naturdingontologie wendet. Der wei-

    tere Verlauf dieser Entdeckungsgeschichte reicht von der Philosophie des Franciscus Sua-rez über Samuel Pufendorfs Ontologie des moralischen Seins, den Einfluss der Metaphysik

    der Freiheit auf die amerikanische und französische Revolution und das Allgemeine Land-

    recht der Preußischen Staaten, J.-J. Rousseaus Lehre von der Freiheit bis hin zu Kants Me-taphysik der Sitten, die als eine ‚Form der kritischen Metaphysik’ die alte Metaphysik nicht

    über Bord wirft, sondern deren Einsichten in eine methodisch angemessene Form bringt

    und weiterentwickelt (vgl. ebd., 136).

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    Kobusch betont die besondere Bedeutung Kants und seine Gründung der Begriffe der Ach-tung und der Würde der Person auf die menschliche Autonomie. Kant begreife den Men-

    schen aber nicht als autarkes, atomisiertes Individuum, sondern, v.a. in der Rechtslehre und

    Tugendlehre der Metaphysik der Sitten, von vornherein als ein in wechselseitiger Bezie-hung zu anderen Personen stehendes Gemeinschaftswesen (vgl. ebd., 143). Dieser moral-

    philosophische Personbegriff überlebte die Kritik der Freiheit von Christian Thomasius,

    Schopenhauer und Nietzsche ebenso wie den ‚Tod des Subjekts’ in der französischen Phi-losophie.

    Kobusch möchte für das Personverständnis heute vor allem die Einsicht festhalten, dass das moralische Sein der Person eine fundamental andere Seinsart ist als das Sein der Na-

    turdinge. Es muss mit den Kategorien des Handelns, des Wollens, der Verantwortung und

    vor allem der Freiheit begriffen werden. Person darf nicht auf ihr „natürliches“ psychisch-physisches Sein reduziert werden, weil dadurch konstitutive moralische Merkmale des

    Personbegriffs wie Freiheit, Verantwortung, Schuldfähigkeit usw. ausgeblendet werden.

    Kobusch sieht in der gegenwärtigen Ethik-Diskussion die Tendenz einer Fragmentierung

    der Person, die die Person auf ihren Körper oder auf einzelne Erfahrung reduziert. Die Per-

    son ist das moralische Subjekt einer ganzen Lebensgeschichte und damit mehr als die

    Summe ihrer Einzelteile. Mit seiner Arbeit will Kobusch deutlich machen, dass die moder-

    ne Diskussion um den Personbegriff häufig einen Mangel an Geschichtsbewusstsein zeigt

    und dadurch wichtige Einsichten verloren gehen.

    1. 4 Person als Relation Die Geschichte der theologischen Trinitätslehre zeigt ein beständiges Ringen, die Einheit

    Gottes und die Dreiheit Gottes in dieser Einheit zu begreifen. Der auf Boethius zurückge-

    hende Personbegriff, der die Wirklichkeit des Selbstbesitzes des Menschen und damit auch der Selbstzwecklichkeit meinte, ist bereits innerhalb der mittelalterlichen Scholastik selbst

    in Frage gestellt worden. Besonders für die Trinitätslehre stellte sich der Personbegriff des

    Boethius als unzulänglich heraus, da er die Person nicht als Relation begriff.4

    In der abendländischen Theologiegeschichte entstand daher schon relativ früh ein zweiter

    Überlieferungsstrom, an dessen Beginn Augustinus und die Kirchenväter stehen, die Per-

    son vor allem als Bezogenheit verstanden haben. Dieser Begriff ist aus dem Umgang mit

    der Bibel erwachsen und dem Phänomen des dialogisch sprechenden Gottes.

    4 In meiner theologischen Diplomarbeit bin ich auf diese Fragestellungen näher eingegangen, sodass ich sie hier nur kurz behan-

    dele: Manfred Zmy: Trinitarische Geschichte Gottes. Ansätze zu einer Trinitätstheologie in theologischen Entwürfen der Ge-genwart. Frankfurt/M.: Phil.-theol. Hochschule St. Georgen, 1976.

  • 15

    Seit Augustinus ist in der abendländischen Kirche die Trinität als Relationseinheit verstan-den worden. Person heißt in Gott Relation, Bezogenheit. Sie ist nicht etwas, was zur Per-

    son hinzukommt, sondern sie ist die Person. „Person in Gott ist die reine Relativität des

    Einander-zugewandt-Seins, sie liegt nicht auf der Substanzebene – die Substanz ist eine –, sondern auf der Ebene des Dialogischen, der Relativität aufeinander hin“ (RATZINGER

    1975, 151).

    Richard von St. Viktor (+ 1173) war der Erste gewesen, der den Zusammenhang von Per-

    son und Interpersonalität gesehen hat, indem er bei seiner Bestimmung von Person von

    dem Begriff ‚ex-sistentia’ ausging: persona est intellectualis naturae incommunicabilis existentia (De Trinitate IV), d.h. Person ist die unmitteilbare Existenz einer geistigen Na-

    tur. Er versteht Person nicht als Subsistenz, sondern als ex-sistentia, als ein Bestehen

    (sistere), das sich von einem anderen her (ex-) empfängt. Ek-sistenz, also von außen her, als Gegenüber-Stehendes, durch andere zu-Stande kommend. Nur in diesem Gegenüber

    einer Ursprungsrelation ist die Person unübertragbar (incommunicabilis): Nur in Bezug auf

    den göttlichen Vater ist der Sohn Sohn und nichts anderes. Person ist nun gerade der, der

    durch andere er selbst ist.

    In seinem Aufsatz Zum Personverständnis in der Dogmatik charakterisiert Ratzinger die

    Leistung Richards von St. Victor für die Ausbildung des Personbegriffs: „Richard von St.

    Victor hat [...] am Eingang des Mittelalters einen mitten aus dem Christlichen herausge-

    nommenen Personbegriff gefunden, wenn er Person definiert als [...] die unmittelbar eige-

    ne Existenz geistiger Natur. Damit ist richtig gesehen, dass Person im theologischen Ver-

    stand nicht auf der Ebene der Essenz, sondern auf der der Existenz liegt, womit Richard

    den Anstoß zu einer Philosophie der Existenz gegeben hat, welche letztere in der Antike

    als solche überhaupt nicht zum Gegenstand der Philosophie gemacht worden war. Hier war

    Philosophie ausschließlich auf die Ebene der Essenz beschränkt. Die Schultheologie hat

    von diesem Zuschuss christlichen Glaubens an den menschlichen Geist her Kategorien der Existenz entwickelt; ihre Grenze lag nur darin, dass sie sie auf die Christologie und Trini-

    tätslehre beschränkte und nicht in die volle Weite des Geistigen hinein fruchtbar gemacht

    hat“ (RATZINGER 1975, 155).

    Der Beitrag der christlichen Trinitätstheologie für das Verständnis der Person ist darin zu

    sehen ist, dass der trinitarische Personbegriff von seinem Ursprung her die Idee des Dia-logs aus und in Gott selbst als dem dialogischen Wesens ausdrückt. Er meint Gott als das

    Wesen, das im Worte lebt und im Wort als Ich und Du und Wir besteht. Von dieser Er-

    kenntnis Gottes her ist dem Menschen auf eine neue Weise sein eigenes Wesen deutlich geworden. Das Wesen von Geist ist ganz allgemein das In-Beziehung-sein, die Fähigkeit,

    sich selbst und das andere zu sehen (vgl. RATZINGER 1975, 150).

  • 16

    Lange trat auch in der Neuzeit das Verständnis der Person als Relation hinter der Auffas-sung der Person als geistiger Individualität zurück. Der Bezugs-Aspekt ist hinter dem der

    Selbstständigkeit immer wieder zurückgetreten. Das „Für-andere-Sein“ blieb durch die

    Geschichte hin im Schatten des „Selbst-Seins“, nicht nur in theoretischer, sondern auch in praktischer Hinsicht. Ein Grund dafür ist darin zu sehen, dass im antiken Denken ‚Bezie-

    hung’ die wirklichkeitsärmste Kategorie war. Sie gehörte zu den Grundbestimmungen, die

    in der Nachfolge der aristotelischen Philosophie ‚Akzidentien’ heißen: ‚Zustand’, ‚Zuständlichkeiten’. Gemeint ist damit ein bestimmtes Wie, beziehungsweise So-Sein, das

    einem Gegenstand zufallen mag oder auch fortfallen kann. Unter solchen So-seins-

    Begriffen ist das Bezogen-sein offenbar jenes Wie, über das ein Ding am wenigsten ver-fügt und das am wenigsten ihm selber zugehört.

    Hierin ist sicherlich ein Grund dafür zu sehen, dass sich in der europäischen Neuzeit vor

    allem ein liberalistischer Individualismus durchsetzen konnte.

    Das Verständnis der Person aus ihrer Bezogenheit heraus erlangte eine besondere Bedeu-

    tung in den dialogphilosophischen Ansätzen, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

    als Gegenbewegung gegen die idealistische Transzendentalphilosophie entstanden. Der

    einzelne Mensch ist nicht durch sich selbst, er ist immer schon durch die Beziehung zum

    anderen, zum Du, konstituiert. Das ist der Grundgedanke des dialogischen Personalismus,

    der von Ferdinand Ebner und Franz Rosenzweig auf verschiedenen Wegen begründet und

    durch Buber weiten Kreisen bekannt wurde.5

    Buber unterscheidet die Ich-Du-Beziehung, in der das Ich überhaupt erst begründet wird

    durch Anruf und Anspruch des Du, von der Ich-Es-Beziehung, in der der Mensch als Sub-

    jekt über Gegenstände verfügt. „Das Geltendmachen der Ich-Du-Beziehung gegen eine auf

    die Ich-Es-Beziehung beschränkte philosophische Perspektive verbindet sich mit einer

    scharfen Kritik an der idealistischen Transzendentalphilosophie: Indem sie die Welt der

    Gegenstände durch das Subjekt konstituiert sein lassen und ihre Reflexion sich nur in die-

    sem Kreise bewegt, bleiben die Denker des transzendentalen Idealismus von Kant bis zum

    Neukantianismus und bis zu E. Husserls Phänomenologie befangen in der Ich-Es-

    Beziehung. Sie übergehen mit der Realität des Du zugleich die ganze Dimension, in der

    das Ich selber gründet“ (PANNENBERG 1983, 174f.).

    Für Buber heißt Person-sein bezüglich sein. Die vollendete Bezüglichkeit macht nach Bu-

    ber den Menschen zur Person. In der Beziehung vollzieht sich der Durchbruch zum Ande-ren. Die Personhaftigkeit des Menschen ist konstitutiv für die Begegnung. ‚Begegnung’ ist

    für Buber die höchste und intensivste Art und Weise des menschlichen Kontakts. Unter

    Begegnung versteht Buber eine besondere Qualität des Bezogenseins und des Kontakts, die

    5 Hier sind vor allem folgende Arbeiten zu nennen: ROSENZWEIG F (1921): Stern der Erlösung; EBNER F (1921): Das Wort und

    die geistigen Realitäten; BUBER M (1923): Ich und Du. Vgl. dazu auch CASPER B (1967): Das dialogische Denken..

  • 17

    im Kontext des Zwischenmenschlichen ihren eigentlichen Ort hat. „Was immer in anderen Bereichen der Sinn des Wortes ‚Wahrheit’ sein mag, im Bereich des Zwischenmenschli-

    chen bedeutet es, dass Menschen sich einander mitteilen als das, was sie sind“ (BUBER

    1962, 279f.). In seiner Schrift Elemente des Zwischenmenschlichen weist Buber darauf hin, dass für eine wirkliche Begegnung wichtig ist, sich dem anderen Menschen in einer echten,

    authentischen und aufrecht-aufrichtigen Weise zu nähern. Dann wird Unechtheit verhin-

    dert, die das Wachstum des Zwischenmenschlichen hemmt. Die Hauptvoraussetzung für die Entstehung eines echten Gesprächs ist, dass jeder seinen Partner als diesen, als eben

    diesen Menschen meint und ihn annimmt – das bedeutet vor allem auch ein „Akzeptieren

    der Andersheit“ (vgl. BUBER 1962, 283ff). Buber meint damit, den anderen in seinem Menschsein zu akzeptieren. Die Wahrnehmungsfähigkeit muss imstande sein, den anderen

    in der Tiefendimension seines Menschseins zu erkennen.

    Noch radikaler als im Dialogischen Personalismus denkt Emmanuel Lévinas (1906 –

    1995)6

    Taureck fasst in seiner Einführung in die Philosophie von Lévinas die Argumente gegen

    Buber folgendermaßen zusammen: „Einerseits behauptet die Ich-Du-Philosophie zu viel:

    Indem man von einer Zweiheit ausgeht, wird die Isolation des Ich, wird das Ausmaß der

    Trennung unterschätzt, die zwischen Subjekten besteht, die als autonome Personen vorge-

    stellt werden. Andererseits besagt die Ich-Du-Beziehung jedoch zu wenig: Die Beziehung

    zwischen Ich und Du bleibt eine äußerliche Relation von für sich frei seienden und frei

    bleibenden Menschen. Die Beziehung zum anderen Menschen ist nicht selbst zur Basis

    geworden und vermag dies bei Buber auch gar nicht, weil Buber noch im Horizont der

    Ontologie philosophiert“ (TAURECK 2002, 37).

    vom Anderen her und macht dessen absolutes Anderssein zum Ausgangspunkt sei-

    nes Denkens. Lévinas versucht sich in seiner Philosophie der Bedeutung des Anderen für

    die Einzigartigkeit und Unvertretbarkeit des Subjekts anzunähern. Diese Subjektivität ist

    eine empfängliche Subjektivität als radikale Offenheit und Verwundbarkeit des Ich für den

    Anderen. Das Zentralmotiv der Philosophie von Lévinas ist der extreme Humanismus einer

    sich verpflichtenden Hinwendung zum anderen Menschen. Lévinas will seinen extremen

    Humanismus im Unterschied zu Buber jedoch nicht auf eine reziproke Ich-Du-Beziehung

    gründen.

    6 Lévinas ist in Kaunas, Litauen, geboren und stammte aus einer strenggläubigen jüdischen Familie. Er studierte bei Husserl und Heidegger (1927/1928) und promovierte 1930 an der Sorbonne in Paris mit einer Arbeit über Husserl. Lévinas nimmt die französische Staatsbürgerschaft an und wird 1939 zur Armee einberufen. 1941 gerät er in deutsche Gefangenschaft. Seine gesamte litauische Familie fiel der Vorfolgung der Nazis zum Opfer. Nach dem Krieg wurde Lévinas Leiter der „Ecole nor-male Israelite orientale“, einer Anstalt zur Lehrerausbildung. 1962 wurde er Professor an der Universität Paris-Nanterre, 1973 folgte er einem Ruf an die Sorbonne. 1976 wurde er emeritiert. Neben Sartre, Merleau-Ponty und Ricoeur gehörte Lévinas zu den Kernfiguren der Phänomenologie in Frankreich. Er setzte sich zunächst kritisch vom phänomenologischen Idealismus Husserls als auch von Heideggers Fundamentalontologie ab.

  • 18

    Die Erfahrung des Anderen wird für Lévinas zum Fundament jeglichen Denkens und zum Fundament einer Ethik, die sich für ihn als „erste Philosophie“ darstellt. Damit kehrt Lévi-

    nas die traditionelle Denklinie der abendländischen Philosophie um. Er geht von einem

    „Ende des Subjekts“ aus, das er als eine Spätfolge der bisherigen Ontologie erblickt. Der Mensch erscheint nicht mehr als ein Ego, das die Welt primär auf sich zentriert. Subjektivi-

    tät im Verständnis von Lévinas wird ermöglicht durch die immer schon geschehene Öff-

    nung zum Anderen. Der Andere ist nicht ein Alter Ego, sondern ein absolut Anderer. Er ‚sucht uns heim’. Lévinas verwendet dafür die Metapher ‚Antlitz’. Dieses Antlitz spricht

    den Menschen an, und aus der Begegnung erwächst die Verpflichtung zur Antwort (vgl.

    TAUREK 2002).

    Lévinas verbleibt nicht bei der Zweiheit des Ich-Du. Es gibt den Anderen immer nur in der

    Gegenwart des ‚Dritten’, es gibt die Anderen der Anderen. In Jenseits des Seins oder an-ders als Sein geschieht schreibt Lévinas: Es gibt immer die „Gegenwart des Dritten an der

    Seite des Nächsten, dem die Annäherung gilt, auch dem Dritten gilt sie; die Beziehung

    zwischen dem Nächsten und dem Dritten kann mir, der ich mich annähre nicht gleichgültig

    sein. Es braucht eine Gerechtigkeit und den Unvergleichlichen“ (LÉVINAS 1992, 53).

    Lévinas sprengt den Kerngedanken der neuzeitlichen Ethik, die Autonomie des freien Sub-

    jekts. Das ethische Selbstverhältnis des Menschen folgt für Lévinas aus dem Akt des Sich-

    Stellens, in dem dieser dem bedrängenden Anruft antwortet, der von der Hilfsbedürftigkeit

    des Anderen ausgeht. Die Selbstbestimmung des Einzelnen muss sich mit sozialer Offen-

    heit verbünden. Dies kann geschehen, wenn der selbstbestimmte Eine der Selbstbestim-

    mung des Anderen für sich Maßgeblichkeit zuerkennt. Für Lévinas verändert sich der

    Mensch durch eine neue Form der Selbst-Bestimmung zur Empfänglichkeit des Anderen, zur Passivität eines Mich-Bestimmen-Lassens, zur Verantwortung für Andere. Dies setzt

    Verwundbarkeit für den Anderen voraus und entfaltet diese zugleich.

    Taurek kennzeichnet Lévinas sowohl als „Existenzphilosophen“ als auch als „Poststruktu-

    ralisten“. Bei keinem anderen Denker verknüpfen sich beide Strömungen mit einem ver-

    gleichbaren Anspruch, einem Anspruch auf Freilegung einer ursprünglichen Verknotung dessen, was Existenzphilosophie und Poststrukturalismus jeweils voraussetzen (vgl.

    TAUREK 2002). Auch wenn Lévinas den Begriff der Person in seiner Philosophie nicht ex-

    plizit gebraucht, können von seiner Philosophie wichtige Impulse für ein vertieftes Denken der Relationalität ausgehen.

  • 19

    1. 5 Die Person denken aus dem Geist der theologisch - philosophischen Tradition

    Ich möchte im Folgenden auf zwei Denker des 20. Jahrhunderts beispielhaft hinweisen, die die geschichtlich gewachsenen Traditionslinien eines christlichen Personverständnisses in

    ihren Arbeiten, wenn auch auf unterschiedliche Art, zusammengeführt haben.

    Es ist der besondere Verdienst von R. Guardini (1885 – 1968)7

    Guardini hat sich zeit seines Lebens immer wieder mit dem Personbegriff beschäftigt. Hier

    ist vor allem sein 1939 erschienenes Buch Welt und Person. Versuche zur christlichen Leh-

    re vom Menschen zu nennen. Das Zusammenkommen des Ich und des Anderen in der ‚Be-gegnung’ spielt in Guardinis Denken eine große Rolle. Jede Sache bedarf, um wirklich

    erkannt zu werden, einer Haltung, die ihr zugeordnet ist. Zwischenmenschlichen Bezie-

    hungen kann man nur gerecht werden, wenn man sich auf die Person des anderen vertrau-

    ensvoll einlässt. Zur Person gehört für Guardini wesentlich das Ich-Du-Verhältnis. Darum

    kann es Person nicht in der Einzigkeit geben. Sie vollzieht und aktuiert sich vielmehr in der

    Ich-Du-Beziehung, aber sie entsteht nicht aus ihr. Letztlich liegt für Guardini das Wesen

    der Person in ihrem Verhältnis zu Gott.

    , den klassischen

    Personbegriff aufzunehmen und ihn mit den Erkenntnissen aus der Existenzphilosophie

    und der Dialogik sowie der Phänomenologie zu verbinden.

    Die eigentliche Auszeichnung der Person sieht Guardini in ihrer absoluten

    Selbstgehörigkeit, die sich jedem fremden Zugriff entzieht. Die Person steht in sich und

    kann daher von niemandem besessen werden. In dieser Selbstgehörigkeit gründet für

    Guardini auch die Würde der Person.

    Der katholische Theologe Kardinal Lehmann hat in seinem Vortrag Romano Guardinis

    Erbe für die Kirche der Gegenwart (1998) darauf hingewiesen, dass Guardini einer Reduk-

    tion der Person auf Bewusstseinsakte widerspricht. Die Personhaftigkeit des Menschen hängt nicht daran, inwieweit dieses Lebewesen von seiner geistigen Befähigung Gebrauch

    macht, auch nicht daran, ob der Mensch sich seines Geistseins reflexiv bewusst ist. Der

    Mensch ist und bleibt in allen seinen Vollzügen immer dieser eine und einzige. Er kann seine leibseelische Ganzheit nicht wechseln. Seine Personwürde hängt nicht von seinem

    Bewusstseinsstand ab (vgl. LEHMANN 1998).

    7 Romano Guardini, am 17. Februar 1885 in Verona geboren, ist in Deutschland aufgewachsen. Er studierte an verschiedenen Universi-täten zunächst Natur- und Staatswissenschaften, bevor er sich der Philosophie und der Theologie zuwandte. 1922 habilitierte sich Guardini und wurde ein Jahr später auf den neu gegründeten Lehrstuhl "Christliche Weltanschauung" an die Berli-ner Universität berufen. Sein Leitmotiv für dieses bis dahin nicht definierte Fach war der "Blick aufs Ganze". Nachdem ihm die Nationalsozialisten Lehrverbot erteilt hatten, konnte er erst 1945 in Tübingen seine Vorlesungen wiederaufnehmen. 1948 wurde er auf den bis heute bestehenden, eigens für ihn eingerichteten "Guardini"-Lehrstuhl in München berufen.

  • 20

    G. Brüske entwickelt in ihrem Buch Anruf der Freiheit. Anthropologie bei Romano Guardini8

    Im Bemühen um die Frage nach der Auslegung des Menschseins finden die Arbeiten von Guardini auch im Kontext der Logotherapie und Existenzanalyse ihre Beachtung.

    die Struktur und die Inhalte seiner theologischen Anthropologie. Sie zeigt auf,

    dass in der Mitte seines Entwurfs der Begriff der Person steht, der sich der Erfahrung der

    jüdisch-christlichen Offenbarungsgeschichte verdankt und zugleich philosophische Ratio-nalität freisetzt. Guardini hat beide Aspekte gebündelt in der Deutung der Person als eine

    im Anruf der Freiheit geschaffene.

    Im Zusammenhang der bioethischen Debatte um die Lebensrechte des Menschen hat R. Spaemann9

    mit seinen Arbeiten zu einem Personverständnis aus der christlichen Tradition

    immer wieder seine Position eingebracht. Ausführlich hat sich Spaemann mit dem Ver-

    ständnis der Person in seinem Buch Personen. Versuche über den Unterschied zwischen „etwas“ und „jemand“ (1996) auseinandergesetzt.

    Durch die kategoriale Differenz von „etwas“ und „jemand“ will Spaemann zwischen Na-

    turdingen und Personen unterscheiden. Personsein ist für ihn nicht Natur, sondern macht

    die charakteristische Beziehung des Menschen zur Natur aus. Daher sind die Merkmale des

    Personseins nicht als empirische Kriterien zu deuten.

    Gemäß dem traditionellen Verständnis des Personseins als ‚Selbstsein’ im Sinne der aristo-

    telischen ‚Substanz’ ist für Spaemann die Singularität ein wesentliches Charakteristikum

    der Personalität. Entscheidend für die Identität der Person ist nicht die qualitative, sondern

    die numerische Identität. Das Sein der Person ist weder vom psychischen noch vom physi-

    schen Sein des Menschen ablösbar und als eigenständiges Sein hypostasierbar. Spaemann

    bezeichnet die Personalität als Existenzweise, als modus existentiae, die durch zwei

    Grundzüge charakterisiert ist: der Selbstdifferenz und der Interpersonalität.

    Selbstdifferenz ist das bewusste Verhalten zu sich selbst. Dies setzt eine „Nicht-Identität“

    der Person mit ihren physisch-psychischen Eigenschaften voraus. Die Selbstdifferenz be-

    steht darin, dass der Mensch bewusst auf etwas aus sein kann, z.B. Ziele und Wünsche. Zu

    psychischen Regungen, Wünschen und Bedürfnissen kann er sich ebenso wie zum leiblich-

    physischen Sein, einschließlich aller natürlichen Beeinträchtigungen wie Schmerz, Krank-

    heit, Leiden usw. verhalten (vgl. SPAEMANN 1996, 21). Die gesamte leiblich-psychische

    Dimension des Menschseins gewinnt durch die Selbstdifferenzierung gegenüber anderen Lebewesen eine von Grund auf verschiedene personale Qualität. Spaemann deutet die

    8 BRÜSKE G (1998): Anruf der Freiheit.. Anthropologie bei Romano Guardini. Paderborn: Schöningh.

    9 Robert Spaemann wurde 1927 in Berlin geboren. Er promovierte 1952 in Münster, war dann vier Jahre lang als Verlagslektor tätig. 1962 habilitierte er in den Fächern Philosophie und Pädagogik und war bis 1992 ordentlicher Professor an verschiedenen deutschen Universitä-ten.

  • 21

    Selbstdifferenz in einem größeren anthropologischen Kontext als ein ‚Aus-sich-Heraustreten’, als ‚exzentrische Position’ im Sinne Plessners.

    Diese Differenz ist in der Tradition des Personbegriffs darin gesehen worden, dass der Mensch nicht durch besondere Eigenschaften oder Leistungen zu etwas wird – und sei dies

    „eine Person“; vielmehr wird er als Person geachtet und anerkannt, bevor er solche Eigen-

    schaften oder Leistungen überhaupt zu entwickeln in der Lage ist. Dieser ontologische Befund findet seine Entsprechung in der Beobachtung, dass die Ausbildung der Eigen-

    schaften, an denen sich einer verbreiteten Auffassung zufolge die Personalität eines Men-

    schen zeigt – zum Bespiel Selbstbewusstsein oder Selbstbestimmung – bereits voraussetzt, dass der Betreffende als Person akzeptiert und behandelt wurde. Dem entspricht auch die

    rechtliche Beobachtung, dass einem menschlichen Wesen „in statu nascendi“ bereits per-

    sonale Rechte zuerkannt werden. An der Rechtsstellung des noch nicht geborenen Kindes sieht man, dass es ein Angriff auf die Personalität selbst ist, wenn man deren Anfang und

    Ende eindeutig und ein für allemal zu definieren beansprucht. Eben darin, dass sie sich

    einer abschließenden Definition entzieht, zeigt sich die Würde der menschlichen Person.

    Wenn es den Unterschied von „jemand“ und „etwas“ nicht mehr gäbe, dann verschwände

    auch diese Würde. Jeder freilich, der diese Würde nur für sich oder seinesgleichen gelten

    lassen würde, verspielt sie damit selbst.

    Anders als klassifikatorische oder ‚sortale’ Begriffe ist der Personbegriff nach der Ansicht

    von Spaemann überhaupt nicht durch Merkmale definierbar, die als Identifikationskriterien

    dienen könnten. Er fasst Personsein vielmehr als ‚charakteristische Struktur einer Entwick-

    lung’ oder ‚transzendentale Bedingung von Möglichkeiten’ des Menschen (ebd., 261f.)

    auf, als den konstitutiven Sinnhorizont für unsere Auffassung und empirische Beschrei-

    bung menschlicher Zustände, Eigenschaften oder Situationen, wie man diese Äußerungen

    vielleicht übersetzen könnte. Außerhalb dieses Horizontes könnten wir nicht nur positiv

    vorliegende personale Eigenschaften eines Menschen, sondern ihr Reduziertsein oder Feh-len nicht beschreiben“ (vgl. REHBOCK 1998, 75).

    Der zweite Grundaspekt der Personalität ist für Spaemann die Interpersonalität wechselsei-tiger Anerkennung. Als Person ist der Mensch immer schon eingebunden in zwischen-

    menschliche, soziale, institutionelle Beziehungen zu anderen Menschen. Interpersonalität

    versteht Spaemann nicht äußerlich-empirisch, sondern sie macht für ihn die Sinnstruktur des Personbegriffs aus. Zur Erklärung dafür benutzt Spaemann das Modell des physikali-

    schen Raums von Leibniz, in dem die einzelnen Örter nicht absolut, sondern durch ihre

    wechselseitigen Relationen zueinander bestimmt sind. Spaemann vergleich das Personsein mit dem Einnehmen eines Platzes, den es gar nicht

    gibt ohne einen Raum, in dem andere Personen ihre Plätze haben (vgl. SPAEMANN 1996,

    193). Dieser Raum ist ein apriorischer Beziehungsraum, der durch die Personalität konsti-

  • 22

    tuiert wird. In diesem Raum erfahren Mensch wechselseitig sich selbst und andere als Per-sonen, d.h. als Platzhalter eines einmaligen Ortes in diesem Raum. Spaemann versteht die-

    sen Raum abstrakt-formell, gleichsam als logischen Raum, der alle Möglichkeiten persona-

    ler Qualitäten und Beziehungen in sich enthält. Der Grundaspekt der Interpersonalität ver-bietet es, Personalität als Eigenschaft voneinander unabhängiger Individuen aufzufassen.

    Personsein ist primär nur zugänglich, indem Menschen im gemeinsamen Kommunizieren

    mit anderen selbst Personen sind, vermittelt durch eine gemeinsame Sprache und Kommu-nikation, eine gemeinsame Vernunft, eine gemeinsame leiblich-natürliche Verfassung,

    gemeinsame moralisch-normative Orientierungen und rechtlich-politische Verhältnisse

    sowie einer dadurch eröffneten und intentional zugänglichen gemeinsamen Welt (vgl. ebd., 196).

    1. 6 Metaphysik und Psychologie

    In der Tradition der griechischen Philosophie wurde durch Aristoteles eine Philosophie

    gefordert und skizziert, die von einem letzten übergeordneten Standpunkt aus nach der

    Wirklichkeit im Ganzen fragt. Dieser Standpunkt muss unabhängig von sinnlich-

    physikalischen Erfahrungen sein, will er den Anspruch auf letzte Allgemeingültigkeit er-

    füllen. Entsprechend bezieht sich die Metaphysik auf das im Sinne der gewöhnlichen Er-

    fahrung wesenhaft Unerfahrbare, Unwandelbare und irgendwie Geistige10

    Aristoteles und Platon unterschieden den letzten umfassender Grund der Wirklichkeit und

    das Göttliche nicht. Die Metaphysik als „erste Philosophie“ mündete daher in eine philo-

    sophische Gotteslehre.

    . Den Einheits-

    grund aller Erscheinung nennt die Metaphysik „Sein“.

    Im Verlauf der Philosophiegeschichte kam es zu einer Ausdifferenzierung des Metaphysik-

    Begriffs, wobei eine „allgemeine“ oder „reine“ Metaphysik als abstrakte Prinzipienlehre

    des Seins von der besonderen bzw. angewandten Metaphysik unterschieden wurde, die

    sich als Kosmologie mit der materiellen Welt, als Psychologie mit der geistig verstandenen Seele und als Gotteslehre mit dem philosophischen Gottesbegriff beschäftigte. Da sich die

    Metaphysik auf das Allgemeingültige bezieht, ist ihr eigentlicher Gegenstand nicht die

    Erscheinung, sondern etwas, was darüber hinaus (metá) existiert, also das Nicht-

    Empirische und Transzendente. Die zentrale Frage der Metaphysik ist die, ob es möglich

    sein kann, unbedingt gültige Aussagen auch über empirisch nicht nachprüfbare Momente

    der Wirklichkeit zu formulieren (vgl. WEISSMAHR 1985, 14).

    10 Hinweisen möchte ich in diesem Zusammenhang besonders auf die Arbeiten meiner früheren Lehrer: J. B. Lotz und B.

    Weissmahr: vgl. dazu WEISMAHR (1985).

  • 23

    Ein Grundbegriff der klassischen Metaphysik ist der Begriff der Transzendenz, der zu-nächst ganz allgemein von der Vorstellung einer Grenze des Gegebenen und Verfügbaren

    ausgeht. Eine Transzendenzerfahrung lässt sich als Grenzüberschreitung verstehen, die den

    Rahmen der alltäglichen Bewusstseins- und Erlebnisgrenze übersteigt. Für den Transzen-denzbegriff lassen sich folgende begrifflichen Differenzierungen vornehmen (vgl. UTSCH

    1998):

    1. Bewusstseinstranszendenz im Sinne der phänomenologischen Psychologie. Durch

    Husserl und Heidegger wurde das traditionell-philosophische Transzendenzver-

    ständnis auf die Möglichkeit der Transzendenz des Bewusstseins reduziert. Weil das Bewusstsein immer Bewusstsein von etwas ist, existiert es nicht ohne den Be-

    zug zu einem Objekt. Merleau-Ponty spricht in diesem Zusammenhang von der

    „Natur der Akte des Ichs, sich selbst zu übersteigen. Eine Intimität des Bewusst-seins gibt es nicht, Bewusstsein ist durch und durch Transzendenz“ (zit. nach HER-

    ZOG 1992, 450).

    2. Selbsttranszendenz. Dieser Begriff kennzeichnet die von Heidegger herausgestellte psychologische Konsequenz des „In-der-Welt-Seins“. Weil zur Grunderfahrung des

    Menschen sein unbedingter Bezug zur (Um-) Welt gehört und jedes Erleben ein

    „Erleben von etwas“ und jedes Verhalten ein „Verhalten zu etwas“ ist, ist mensch-

    liches Dasein immer schon auf Welt bezogen. Transzendenz bezeichnet in diesem

    Sinne das Wesen des Subjekts und kennzeichnet die Grundstruktur der Subjektivi-

    tät. Der unauslöschliche Mensch-Welt-Bezug wird in der Psychologie unter dem

    Begriff der Intentionalität untersucht. Sie ist eine Grundfunktion des Menschen.

    3. Personale Transzendenz bezeichnet das Überschreiten personaler Grenzen auf „Überweltliches“ hin (das Heilige, das Numinose, Gott usw.).

    Eine zunehmende Säkularisierung der Gesellschaft und die angewachsene Wissenschafts-

    gläubigkeit führten, besonders seit der Mitte des 20. Jahrhundert, zu einer „Entmachtung und Abdankung der Transzendenz“ (Berger). Diese Entwicklung lässt sich auch in der

    Psychologie verfolgen. Utsch nennt als Gründe für die Missachtung der personalen Trans-

    zendenz vor allem methodische und wissenschaftsgeschichtliche Gründe. „Solange eine umfassend konzipierter psychologischer Personbegriff in Anlehnung an philosophische

    Gedankenmodelle und im Rückgriff auf anthropologische Basisannahmen im Zentrum des

    psychologischen Forschungsinteresses stand, enthielten diese Theorien Raum und Hinwei-se auf transzendente Bezüge der Person“ (UTSCH 1998, 132f.).

    Durch die zunehmende Pluralisierung und Spezialisierung der Psychologie wurde ein ganzheitlicher Person-Begriff in der Psychologie aufgegeben. Jüttemann interpretiert die

    Entwicklung so, dass unter dem Einfluss des Behaviorismus „nicht nur die Begriffe Psyche

    und Seele völlig in den Hintergrund [traten], sondern es wurden sämtliche Termini, die auf

  • 24

    Bewusstseinstatbestände verwiesen, aus dem fachlichen Wortschatz verbannt. […] Indem die streng naturwissenschaftliche Psychologie Objektivität und Messbarkeit gleichsetzt, …

    kommt es zu einer Reduktion des Psychischen auf ein subjektloses System (JÜTTEMANN

    1993, 253f.). Die Verdrängung der Person aus dem Blickfeld der Psychologie ist eine Folge der Über-

    nahme naturwissenschaftlicher Forschungsstrategien. „Der einzelwissenschaftlichen Psy-

    chologie, die sich nicht ohne Stolz durch ein naturwissenschaftlich-positives Forschungs-verständnis von ihren geisteswissenschaftlichen „Vorfahren“ abgrenzen wollte, mussten

    metaphysische Fragestellungen ein Dorn im Auge sein. Der Positivismus sah als einzigen

    legitimen Erben der Metaphysik die Wissenschaften, deren Erfolge jetzt die sicheren ratio-nalen Stützen eines wissenschaftlichen Weltbildes anstelle der morsch gewordenen meta-

    physischen Deutung bildeten“ (Herzog, zit. nach UTSCH 1998, 119). Die Loslösung der

    Psychologie von der Philosophie ist möglicherweise eine wichtige Ursache für den, auch von Frankl beklagten Reduktionismus in der Psychologie.

    Seit der antiken Philosophie hatte der Begriff ‚Seele’ immer die Funktion eines Unter-

    scheidungsbegriffs zum Körper hin. Im Rahmen der Loslösung der Psychologie aus der

    Philosophie und der Ausbildung der modernen wissenschaftlichen Psychologie spielte

    dann der Begriff der Seele keine Rolle mehr. Sie wurde zu einer ‚Psychologie ohne Seele’.

    Die Frage nach dem Kern des Seelenproblems blieb jedoch weiterhin bestehen. Vor allem

    in der Persönlichkeitstheorie stellte sich die Frage, was die Einheit in der Fülle miteinander

    koordinierter Prozesse im Menschen stiftet. Die zentrale Frage einer philosophisch gepräg-

    ten Psychologie war daher das Leib-Seele-Problem. In der gegenwärtigen akademischen

    Psychologie wird es zwar nicht explizit thematisiert, bleibt aber ein aktuelles Problem, z.B.

    in der Ätiologie von Geisteskrankheiten, in der Emotionspsychologie, in der Psychosoma-

    tik und in der Neuropsychologie, die die Zusammenhänge zwischen Erleben und dem Pro-

    zess des zentralen Nervensystems erforscht (vgl. GOLLER 1995, 16).

    Der Personbegriff hat nach Goller gegenüber dem Seelenbegriff den Vorteil, dass er den

    Körper- und Weltbezug des psychischen Lebens einbezieht. Der Personbegriff ist nicht

    rein geistig-immateriell wie der Seelenbegriff, da er alle Aspekte des Menschseins umfasst. Personsein bedeutet eine unteilbare Einheit, die einmalig und unwiederholbar ist; die indi-

    viduelle, lebendige, ganzheitlich körperlich-seelische Grundlage des Menschseins (vgl.

    GOLLER ebd.).

    Eine Thematisierung der Transzendenz innerhalb der Psychologie erfolgte in der geistes-

    wissenschaftlichen Persönlichkeitsforschung mit den daraus entstandenen Schichten- bzw. Stufentheorien der Person. Mit ihrer ganzheitlichen Konzeption der Person konnte sie die

    Transzendenzbezüge des Menschen thematisieren. Eine personalistisch-anthropologische

    Orientierung in der Persönlichkeitspsychologie findet sich bei ganz unterschiedlichen Au-

  • 25

    toren, neben Frankl auch bei Allport, Gebsattel, von Dürckheim u.a. Außerhalb der univer-sitären Hauptströmungen kam es zu einer Vielzahl von psychologischen Schulen, die im

    Wesentlichen auf fixierten Menschenbild-Konstruktionen beruhen (vgl. JÜTTEMANN 1993,

    253).11

    Wyss (1977) sieht den Anspruch der verschiedenen Vertreter dieser Richtung in dem Be-

    mühen, die seit Descartes die Naturwissenschaften auszeichnende Subjekt-Objekt-Spaltung

    zu überwinden. Anthropologische Aspekte aus der Lebensphilosophie, der Phänomenolo-gie und der Existenzphilosophie führten zu einer erweiterten Konzeption der Person. „Der

    Mensch lässt sich nicht … naturwissenschaftlich verdingen, ohne dass er als spezifischer

    Mensch verfälscht wird. Er ist Leib-Seele-Einheit, die in der existenzialen Personenhaftig-keit, auf eine Transzendenz letztlich bezogen, dort ihre Sinnerfüllung findet“ (WYSS 1977,

    936).

    Auch wenn die Logotherapie und Existenzanalyse Frankls im Kontext der Personalen Psy-chotherapie gelegentlich Erwähnung findet, ist Frankls Persönlichkeitsmodell weltanschau-

    lich neutral gefasst und entspricht nicht der Intention der Begründer der Personalen Psy-

    chotherapie.

    Hinsichtlich der Metaphysikfeindlichkeit der Psychologie sieht Utsch Anzeichen dafür,

    dass in den vergangenen Jahren auch in der akademischen Psychologie der innere Zusam-

    menhang zwischen Philosophie und Psychologie wieder stärker thematisiert wird. Ein

    Umdenken ist seiner Meinung nach notwendig, weil ein wissenschaftliches Weltbild mit

    rein rationalen Gedankengebäuden keine Antwort auf die dringenden Fragen nach Sinn,

    nach gerechter Gesellschaftsethik und menschenfreundlicher Zukunftsgestaltung geben

    könne (vgl. UTSCH, 120f.).

    Wissenschaft kann nicht wertfrei betrieben werden und metaphysische Vorannahmen

    nehmen einen großen Einfluss auf den wissenschaftlichen Erkenntnisprozess. „Psychologi-

    sche Erkenntnis ist abhängig von Voraussetzungen. Jede wissenschaftliche Aussage bewer-

    tet einen Sachverhalt und enthält dadurch weltanschauliche und ideologische Aspekte.

    Wertfreie Erkenntnis ohne metaphysische Implikationen gibt es nicht. Deshalb ist es sinn-

    voll, die impliziten Erkenntnisgrundlagen zu reflektieren und von Methoden expliziter Er-kenntnisgewinnung zu unterscheiden. Der Gefahr einer subjektiven Beeinflussung des wis-

    senschaftlichen Erkenntnisprozesses wird am besten dadurch begegnet, dass man die ‚me-

    taphysischen’ Voraussetzungen des Forschungsprozesses, besonders den anthropologi-schen Standpunkt, die persönliche Meinung über die Natur des Menschen, offen legt. Da- 11 Ein Beispiel dafür ist die so genannte Personale Psychotherapie, in der der Transzendenzbezug des Menschen einen zentralen

    Stellenwert einnimmt. 1979 erschien der von Sborowitz herausgegebene Sammelband Der leidende Mensch. Personale Psychotherapie in anthropologischer Sicht mit Beiträgen von Gebsattel, Bally, Buber, Dürckheim, Görres, Guardini, Schottlaender, Wyss, Wiesen-hütter, Herzog-Dürck, Binswanger, Jores u.a. Die Personale Psychotherapie hat ihre Wurzeln in einer Verbindung aus Katholi-zismus und Psychotherapie, was zu einer bestimmten weltanschaulichen Prägung führte und wodurch sie in Gefahr steht, ih-ren Anspruch auf Wissenschaftlichkeit aufzugeben (vgl. Utsch 1998, 139).

  • 26

    von können Rückschlüsse über Werthaltung und die Weltanschauung des Forschers gezo-gen werden. Die Bewusstmachung und Veröffentlichung dieser Voraussetzungen sensibili-

    sieren den Forscher […] für mögliche ‚unwissenschaftliche’ ideologische Fallen“ (UTSCH

    1998, 122).

  • 27

    2 Schelers Anthropologie und ihre Bedeutung für das Personverständnis Frankls 2. 1 Die Sonderstellung des Menschen

    Die philosophische Anthropologie – vor allem mit ihren Hauptvertretern Scheler, Plessner

    und Gehlen – hat es als zentrale Aufgabe dieser Disziplin angesehen, die Dichotomie von Geist und Natur, von naturalistischer und historischer, naturwissenschaftlicher und geis-

    teswissenschaftlicher Sicht des Menschen zu überwinden. Auch für die psychologische

    Forschung hat die philosophische Anthropologie relevante Einsichten und Entwürfe be-reitgestellt. Durch die Arbeiten Schelers (1874 – 1928) wurde die klassische, durch die

    christliche Metaphysik begründete Anthropologie mit ihrer charakteristischen Geist-

    Leben-Polarität erneuert und aktualisiert.

    Scheler räumt dem Menschen aufgrund des Prinzips „Geist“ eine Sonderstellung gegen-

    über allen anderen Lebewesen ein (vgl. PANNENBERG 1983). Dabei geht er davon aus, dass

    der Mensch als Person ein geistiges Wesen sei, dessen Geistigkeit aus den biologischen

    Gegebenheiten seines Daseins nicht ableitbar ist. Das leibliche Korrelat dieser Geistigkeit

    sieht Scheler in der Weltoffenheit des Menschen. Er meint damit, dass der Mensch nicht

    mehr trieb- und umweltgebunden, sondern „umweltfrei“ ist. Die menschlichen Triebimpul-

    se können von der Person gehemmt werden, und solche „freie Hemmung“ weist nach

    Scheler auf die Person oder den Geist als ihren Ursprung zurück, der nach Scheler außer-

    halb alles dessen steht, was wir „Leben“ im weitesten Sinne nennen können. Das Zentrum,

    von dem her der Mensch in der Lage ist, sich seinem eigenen Leben, seinen Trieben entge-

    genzusetzen und so sich selbst zu vergegenständlichen, sieht Scheler im obersten

    Seinsgrund selbst. „Die Behauptung einer Sonderstellung des Menschen in der Natur auf

    Grund seiner Weltoffenheit ist bei Scheler noch so gefasst, dass sie zu ihrer Erklärung des

    Geistes als eines dem Leben entgegengesetzten Prinzips bedarf, das gleichsam von außen in den Prozess der Evolution eingreift und deshalb unmittelbar auf Gott zurückgeführt

    wird. Für Scheler war der Gottesgedanke unentbehrlich, um die Frage nach dem Ursprung

    des Geistes und so der Sonderstellung des Menschen beantworten zu können“ (PANNEN-

    BERG 1983, 34).

    Diese Sonderstellung des Menschen im Kosmos ist für Scheler dadurch bestimmt, dass der Mensch Person ist, d.h. das Aktzentrum, in dem der Geist innerhalb endlicher Seinssphären

    erscheint. Revers weist in seinem Aufsatz Philosophisch orientierte Theorien der Person

    und Persönlichkeit (1960) darauf hin, dass bei Scheler die Personalität ähnlich wie bei

  • 28

    Klages durch einen inneren Gegensatz von Vitalität und Geistigkeit, von Drang und Geist konstituiert ist. „Im Gegensatz zu Klages aber ist der Geist im Menschen bei Scheler nicht

    der antipersonale Störer und Widersacher des ‚personalen Lebens, sondern ist selbst das

    personale Prinzip des Menschen; also nicht das Prinzip, welches die Lebensharmonie des beseelten menschlichen Individuums zerstört, sondern das Prinzip, das erst den Menschen

    in seiner Ganzheit zum Menschen, nämlich zur Person macht. Telos des Geistes ist nach

    Scheler die Transzendenz des Lebens im Leben, die Überhöhung des Nur-Vitalen durch die Transformation zum Personalen“ (REVERS 1960, 400).

    Scheler spricht allein dem Vitalen, d.h. dem Leben, allein Drang, Macht, Kraft und Tätig-

    keit zu, während dem Geist jegliche Macht fehlt. Der ohnmächtige Geist kann sich allein nur durch seine Macht der Verneinung dem allein mächtigen Leben widersetzen. „War es

    bei Klages der Gegensatz zwischen personalem Leben und antipersonalem Geist, so steht

    an dieser Stelle bei Scheler der Gegensatz zwischen apersonalem Leben und der Person als Aktzentrum des Geistes in der Endlichkeit des Lebens“ (REVERS ebd., 400).

    Die Sonderstellung des Menschen zeigt sich für Scheler im Aufbau der Persönlichkeit.

    Ordnungsaspekt dieses Aufbaus ist die Stufenfolge der psychischen Kräfte und Fähigkei-

    ten, durch welche sich ‚höheres’ von ‚niederem’ Leben unterscheidet, nämlich vegetatives

    von animalischem Leben, animalisches von menschlichem Leben. Der Aufbau des

    menschlichen Seelenlebens tritt für Scheler als ‚Mikrokosmos’ in Erscheinung, der alle

    Stufen des Lebens in sich begreift. Die Grenze des Psychischen fällt zusammen mit der

    Grenze des Lebendigen. Das ‚psychische Urphänomen des Lebens’ ist gekennzeichnet

    durch Selbstbewegung, Selbstformung, Selbstdifferenzierung, Selbstbegrenzung in zeitli-

    cher und räumlicher Hinsicht, aber auch durch das Phänomen des Fürsich- und Inneseins

    (vgl. REVERS ebd., 401). Über diesen Stufen des seelischen Lebens steht, das Prinzip des

    Geistes, das menschliches Verhalten durch ein ‚Hemmen’ (non fiat) und ‚Enthemmen’

    (non non fiat) von Triebimpulsen durch den geistigen Willen lenkt.

    2. 2 Die kognitive Funktion des Fühlens Die Rationalität des Menschen konstituiert sich für Scheler durch die ontologische

    Vorgängigkeit ethischer Vollzüge. Er ist bestrebt, die Person von einem rein rationalen

    Begründungszusammenhang abzukoppeln und sie auf einer der Vernunft vorausgehenden Ebene ethischer Vollzüge zu verankern. Dazu bedarf es eines integrativen Konzepts geisti-

    ger Fähigkeiten des Menschen, in dem auch außervernünftigen Faktoren, wie z.B. Gefüh-

    len, ihrer kognitives Recht zugestanden wird (vgl. SANDER 2001, 31).

    Scheler entwickelt eine Analyse des Fühlens, das er als eigenständigen intentionalen geis-

    tigen Akt gegenüber allen bloß empirisch-psychischen Gefühlszuständen ansieht. Er knüpft dabei an den berühmten Satz von Blaise Pascal an, dass das Herz seine Gründe hat, die der

  • 29

    Verstand nicht kennt. Diese logique du coeur arbeitet Scheler mit phänomenologischen Mitteln heraus. „Dem Fühlen einen geistigen Stellenwert, eine apriorische Ordnung und

    Logik, sowohl was die Akte als auch was die Gehalte betrifft, nachzuweisen, das ist die

    grundlegende philosophische Leistung Schelers“ (GOOD 2000, 14). Scheler hält jedoch an einer prinzipiellen Verschiedenheit von Fühlen und Denken fest. Dadurch gelingt es ihm,

    die Eigenständigkeit und Gleichrangigkeit der jeweiligen Erkenntnisweisen zu bewahren.

    Den spezifischen Gegenstandsbereich des Fühlens bilden die Werte.

    Scheler geht gegen Kant davon aus, dass der Personbegriff nicht im Ausgang von Vernünf-

    tigkeit gewonnen werden darf. Seine Kritik an Kant ist, dass dieser die Ebene des konkre-ten Personseins, des konkreten menschlichen Erlebens überspringt. Kant konnte aufgrund

    seiner Vernunftkonzeption keinen formalen Begriff von Person entwerfen, der gleichzeitig

    Individualität stiftende Funktion besitzt (vgl. SANDER 2001, 93). Vernunft ist bei Kant allgemeine Vernunft, die für alle Vernunftwesen gleichermaßen gilt.

    Scheler betont dagegen: „ ... dass jede endliche Person ein Individuum ist und dies als Per-

    son selbst – nicht erst durch ihren besonderen (äußeren und inneren) Erlebnisinhalt, d.h.

    das, was sie denkt, will, fühlt usw., und auch nicht erst durch den Leib (seine Raumerfül-

    lung usw.), den sie zu eigen hat. Das besagt: Das Sein der Person kann nie darin aufgehen,

    ein Subjekt von Vernunftakten einer gewissen Gesetzlichkeit zu sein – wie immer ihr Sein

    sonst genauer zu fassen sei und wie falsch es auch wäre, es als dingliches oder

    substanziales Sein zu fassen“ (SCHELER 1980, 371).

    An die Stelle der Selbstinterpretation des Menschen als ‚animal rationale’ als durch ratio-

    nale Reflexion spezifiziertes Lebewesen, tritt bei Scheler die Interpretation des Menschen

    als ‚ens amans’, als Wesen, das durch die Fähigkeit zu einer ethisch-liebenden Einstellung

    gekennzeichnet ist. Scheler sieht Rationalität in einer affektiv-ethischen Befähigung des

    Menschen fundiert, das Seiende in seinem Selbstwert und nicht nur unter der Rücksicht

    eines partikularen Interesses wahrzunehmen (vgl. SANDER 2001, 30).

    Immer wieder stellt Scheler als Potenz der Transzendenz die Liebe heraus. Liebe ist der

    Horizont erschließende Urakt, das Wesen des Intentionalen, des sich über sich selbst hin-ausstreckenden Seins selber. „Liebe ist ein ‚anderes’ als Erkennen, doch sie ist dem Erken-

    nen gegenüber nicht heteronom, sondern im Gegenteil die Bedingung der Möglichkeit ei-

    ner wahrhaft objektiv ‚sachbezogenen’ Stellung zur Welt überhaupt. Die heimliche Quelle der Achtung der Vernunft ist für Scheler die Fundierung des Verstehens in einer ethischen

    Stellungnahme. Sie beruht für ihn auf der untergründigen, stillschweigenden Vorausset-

    zung, dass der wahren Ansicht der Dinge die respektvolle Erfassung des ihnen von sich selbst her zukommenden, auf sie selbst verweisenden Wertes vorhergehen muss. Im Rah-

    men geistiger Vollzüge schreibt Scheler der Liebe zentrale Bedeutung zu“ (SANDER 2001,

    30). In der Liebe tritt der Mensch in seinem Personzentrum aus sich als Leibeinheit heraus.

  • 30

    Liebe ist die transzendierende personale und geistige Urkraft des Gefühlsdrangs im Men-schen. Der Kern der Persönlichkeit ist letztlich ein Kern des Fühlens, den Scheler mit Herz

    bezeichnet (vgl. REVERS 1960, 404).

    2. 3 Grundzüge der Personlehre

    Schelers großes Thema in seiner mittleren Schaffensperiode ist die Person. 1913 und 1916

    erschien sein erstes großes Werk Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wert-ethik in den beiden ersten Bänden des Jahrbuchs für Philosophie und phänomenologische

    Forschung. Scheler kündigt im Untertitel zu dieser Arbeit einen ‚neuen Versuch der

    Grundlegung eines ethischen Personalismus’ an. In seinem Formalismus-Buch behandelt Scheler die Person an zwei unterschiedlichen Stellen: einmal im Kapitel VI. A. Zur theore-

    tischen Auffassung der Person überhaupt und im Kapitel VI. B. Die Person in ethischen

    Zusammenhängen. Da die Ethik im weitesten Sinne bei Scheler für alle geistigen Akte

    grundlegend ist, muss man das ethische Konzept von Person für seine ‚theoretische’ Auf-

    fassung mitberücksichtigen.

    Nach Scheler ist es nicht möglich, die Person selbst zum Ausgangspunkt der Untersuchung

    zu machen. Die Person ist nie als Gegenstand gegeben, sondern immer nur in einem Erle-

    bensvollzug. Person ist das, was die konkrete individuelle Identität eines Menschen konsti-

    tuiert und damit a priori allen möglichen Weltbezügen eines Menschen eine bestimmte

    Färbung verleiht. Sie ist ein Sein, das für die individuelle Selbsterfahrung des Menschen

    unhintergehbar, konstitutiv und qualitativ prägend zugleich ist (vgl. SANDER 2001, 101).

    Die Person konkretisiert sich im Erleben: „Da die Person ihre Existenz ja eben erst im Er-

    leben ihrer möglichen Erlebnisse vollzieht, hat es gar keinen Sinn, sie in den gelebten Er-

    lebnissen erfassen zu wollen. Sofern wir auf diese sog. ‚Erlebnisse’ sehen und nicht auf das

    Erleben dieser Erlebnisse, bleibt die Person also völlig transzendent“ (SCHELER 1980, 385).

    Die Menschen unterscheiden sich nach Scheler nicht nur durch ihre Erlebnisgehalte, son-dern durch die Art ihres Erlebens, durch die Struktur ihrer Welterfassung. Die Person ist

    die konkrete Einheit dieser Struktur der Welterfassung. Person konkretisiert sich nur im

    Vollzug des Erlebens. In jedem voll konkreten Akt steckt die ganze Person und es variiert in und durch jeden Akt auch die ganze Person (vgl. ebd., 384). „ ... Dass nämlich Person

    niemals als ein Ding oder eine Substanz gedacht werden darf, die irgendwelche Vermögen

    und Kräfte hätte, darunter auch ein ‚Vermögen’ oder eine ‚Kraft’ der Vernunft usw. Person ist vielmehr die unmittelbar miterlebte Einheit des Erlebens – nicht ein nur gedachtes Ding

    hinter und außer dem unmittelbaren Erleben“ (SCHELER 1980, 370). Nach Scheler existiert

    und lebt die Person im Vollzug intentionaler Akte. Und die einzige und ausschließliche Art

  • 31

    ihrer Gegebenheit ist allein ihr Aktvollzug selbst, in dem lebend sie sich gleichzeitig erlebt (vgl. SCHELER 1980, 386).

    Die Person ist phänomenologisch immer präsent als der in jedem Erleben involvierte Akt-

    vollzieher, der der Grund dafür ist, dass das Erleben eine Einheit wird. Der Aktvollzieher liegt allen Unterscheidungen an den Erlebnisse (z.B. innere oder äußere Wahrnehmung)

    voraus. Für Scheler kann die Person nur als Akt im Vollzug erfasst werden: „Person ist die

    konkrete, selbst wesenhafte Seinseinheit von Akten verschiedenartigen Wesens, die an sich ... allen wesenhaften Aktdifferenzen (insbesondere auch der Differenz äußerer und innerer

    Wahrnehmung, äußeren und inneren Wollens, äußeren und inneren Fühlens und Liebens,

    Hassens usw.) vorhergeht. Dasein der Person ‚fundiert’ alle wesenhaften verschiedenen Akte. [...] Vielmehr steckt in jedem voll konkreten Akt die ganze Person und ‚variiert’ in

    und durch jeden Akt auch die ganze Person – ohne dass ihr Sein doch in irgendeinem ihrer

    Akte aufginge, oder sich wie ein Ding in der Zeit ‚veränderte’“ (SCHELER 1980, 382f.).

    Scheler nimmt für die ganze Sphäre der Akte den Terminus ‚Geist’ in Anspruch. Geist ist

    für ihn alles, was das Wesen von Akt, Intentionalität und Sinnerfülltheit hat. Das sagt je-

    doch noch nichts über das Wesen der Person aus. Die Person tritt erst auf, wenn nicht nach

    dem Wesen der geistigen Akte, sondern nach ihrem Sein gefragt wird. Das Sein der geisti-

    gen Akte aber ist ‚Vollzug’: Die Person wird somit dann relevant, wenn es um die Frage

    des Vollzugs geistiger Akte geht. „Wohl aber nehmen wir für die gesamte Sphäre der Akte

    ... den Terminus ‚Geist’ in Anspruch, indem wir alles, was das Wesen von Akt, Intentiona-

    lität und Sinnerfülltheit hat – wo immer es sich finden mag, also nennen. Dass aller Geist

    dann auch wesensnotwendig ‚persönlich’ ist und die Idee eines ‚unpersönliches Geistes’

    widersinnig ist, folgt dann ohne weiteres aus dem früher Gesagten. Keineswegs aber gehört

    ein ‚Ich’ zum Wesen des Geistes; und darum auch keine Scheidung von ‚Ich und Außen-

    welt’. Vielmehr ist Person die wesensnotwendige und einzige Existenzform des Geistes,

    sofern es sich um konkreten Geist handelt“ (SCHELER 1980, 288f.).

  • 32

    3 Das Verständnis der Person bei Frankl

    3. 1 Dimensionalontologie

    Frankl schreibt in seinem Buch Der leidende Mensch. Anthropologische Grundlagen der

    Psychotherapie: „Wer die Position der Existenzanalyse verstehen will, der muss ihre Aus-gangsposition kennen. Die Ausgangsposition der Existenzanalyse war jedoch eine Opposi-

    tion, und zwar die Opposition gegen den Psychologismus innerhalb der Psychotherapie“

    (FRANKL 1996a, 176).

    Frankl sah in den beiden großen Richtungen der Psychotherapie seiner Zeit, der Psycho-

    analyse und der Individualpsychologie, den Menschen um die geistig-personale Dimension

    verkürzt. Das zentrale Anliegen seiner Anthropologie ist daher die wesentliche Ergänzung

    des Menschenbildes, die geistige Person. „Während Freuds Anthropologie vorrangig von

    der klinischen Empirie ausging und Adler versuchte, ‚biologisch, aber auch philosophisch

    und psychologisch das Leben und seine Varianten im Zusammenhang zu erfassen’, band

    Frankl seine Anthropologie in einen philosophischen Diskurs über Ontologie und Existenz

    ein“ (RIEDEL 2002, 21). Frankls Verständnis von Person lässt sich nur über die Geistigkeit

    des Menschen bestimmen, wie er sie in seinem Konzept der Dimensionalontologie näher

    entwickelt hat.

    Der Mensch ist für Frankl ein dreidimensionales Wesen: Er ist leiblich, seelisch und geistig

    zugleich. Jede Dimension besitzt ihr Eigenwesen und ihr Eigenständigkeit, gleichzeitig

    stehen sie in einem besonderen Verhältnis zueinander. Frankl sieht den Menschen weder als einen aus Leib, Seele und Geist „zusammengesetzten“, noch sein Geistiges als einen

    von Leib und Seele abgetrennten Seinsbereich. In seinem Buch Ärztliche Seelsorge

    schreibt Frankl: „Ich möchte den Menschen definieren als Einheit trotz der Mannigfaltig-keit. Denn es gibt eine anthropologische Einheit trotz der ontologischen Differenzen, trotz

    der Differenzen zwischen den unterschiedlichen Seinsarten“ (FRANKL 1997, 46). Im An-

    schluss an Thomas von Aquin bezeichnet Frankl die menschliche Existenz auch als „unitas multiplex“.

    Frankls Vorstellung der Dimensionalontologie12

    12 Frankl nennt die Dimensionalontologie eine Betrachtungsweise ‚more geometrico’ (Spinoza), ein Vorgehen in Analogie zur

    Mathematik.

    ist seine spezifische Antwort auf das Kör-per-Geist-Problem der traditionellen Philosophie. Er hält die Dimensionalontologie für das

    bessere Erklärungsmodell gegenüber dem Stufenaufbau der Person bei N. Hartmann oder

  • 33

    dem Schichtenmodell Schelers. Dabei geht es Frankl in seinem Modell mehr um die Beto-nung des einheitlich-ganzheitlichen Menschseins. Aus der Dimensionalontologie ergibt

    sich für Frankl, dass das eigentlich Menschliche erst aufscheinen kann aus der Dimension

    des Geistigen. „So wie ein Erlebnis, aus dem Raum des Menschlichen in die Ebene des bloß Leiblich-Seelischen hineinprojiziert, mehrdeutig wird, ebenso wird nämlich auch ein

    Ereignis mehrdeutig, sofern es nicht in seiner Transparenz in die Dimension des Überwelt-

    lichen hinein betrachtet, sondern in den Welt-Raum hineinprojiziert, also stur und borniert in seiner bloßen Weltlichkeit gesehen wird“ (FRANKL 1987, 67).

    Frankl entwickelt seinen Begriff des Geistigen aus der phänomenologischen Analyse her-aus. Dabei folgt er Husserl in der Ablehnung der Entzweiung des Daseins in Subjekt und

    Objekt. Frankl nimmt den Geistbegriff aus der kognitiven Relation von Subjekt