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Das proaktive Verteilnetz Abschlussbericht

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Das proaktive Verteilnetz

Abschlussbericht

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ZUSAMMENFASSUNG

I

Zusammenfassung

Die steigende dezentrale Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und die Flexibilisierung der

Verbrauchsanlagen führen zu seltenen aber hohen Gleichzeitigkeiten im Verteilnetz. In Verbindung

mit Anreizen, wie u.a. variablen Strompreisen, wird die Häufigkeit und Höhe dieser Ereignisse weiter

zunehmen. Um eine bestmögliche Einbindung dieser Netznutzer in die vorhanden Infrastrukturen der

Verteilnetze zu ermöglichen, entwickelte das vom BMWi geförderte Forschungsprojekt „Das proakti-

ve Verteilnetz“ eine konkrete technischen Ausgestaltung der BDEW-Ampel zur Koordinierung zwi-

schen Markt und Netz und setzt diese in einem Feldtest praktisch um. Ein weiteres Ziel des Projektes

war vor Allem die (volks-)wirtschaftliche Analyse zum Einsatz von Flexibilität als eine sinnvolle Ergän-

zung zu konventionellen Netzausbau.

Während des Feldtestes im niedersächsischen Lengerich, einem Netzgebiet in dem die installierter

Erzeugungskapazität die Jahreshöchstlast deutlich übersteigt, konnten verschiedene Aspekte des

Forschungsprojektes in der Praxis umgesetzt und auf ihre Anwendbarkeit hin überprüft werden. Dies

waren, neben der konkreten Ausgestaltung der Netz-/Markt-Schnittstelle und dem damit verbunde-

nen Aufbau eines IT-Systems zur Übermittlung der Flexibilitätsbedarfe und -fahrpläne, eine Netzzu-

standsprognose für das Mittel- und Niederspannungsnetz sowie die reale Ansteuerung der Flexibilität

zu Beseitigung von Netzengpässen.

Die Untersuchungsergebnisse zeigen, neben dem positiv durchgeführten Feldtest, dass für das be-

trachtete Netzgebiet in Lengerich bei einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung deutlich gerin-

gere Kosten (bis zu 80% weniger) verglichen mit einem rein konventionellen Netzausbau anfallen.

Selbst im Vergleich zu reguliertem Einspeisemanagement (u.A. 3% Spitzenkappung) sind Einsparpo-

tentiale von bis zu 50% möglich.

Allerdings sehen heutigen regulatorischen Rahmenbedingungen nur sehr bedingt die explizite Nut-

zung netzdienlicher, marktlich kontrahierter Flexibilität durch Verteilnetzbetreiber vor. Das oben

genannte Einsparpotential kann daher unter den aktuellen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen

nicht gehoben werden. Hierzu wären Anpassungen an den Rahmenbedingungen notwendig, wie sie

ausführlich im Bericht beschrieben werden.

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INHALTSVERZEICHNIS

II

Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung .................................................................................................................................... I

Inhaltsverzeichnis .................................................................................................................................... II

Liste der Abkürzungen ............................................................................................................................. V

Abbildungsverzeichnis ........................................................................................................................... VII

Tabellenverzeichnis ................................................................................................................................. IX

1. Einleitung ......................................................................................................................................... 1

1.1. Aktuelle und zukünftige Herausforderungen für Verteilnetzbetreiber................................... 1

1.2. Neue Rolle des VNB ................................................................................................................. 2

1.3. Ziele des Projekts ..................................................................................................................... 3

1.4. Methodik/Vorgehen ................................................................................................................ 3

1.5. Struktur des Berichtes ............................................................................................................. 4

2. Bereitstellung lokaler Netzdienstleistungen .................................................................................... 5

2.1. Einordnung lokaler Netzdienstleistungen ............................................................................... 5

2.2. Das BDEW Ampelkonzept ........................................................................................................ 7

Marktbasierte Flexibilitätsnutzung im Rahmen des Ampelmodells ................................................ 8

Übersicht über bestehende Konzepte zum Ampelmodell ............................................................ 10

2.3. Analyse von lokalen Netzdienstleistungen ............................................................................ 12

Verfügbarkeit von lokalen Netzdienstleistungen .......................................................................... 12

Ermittlung der Preisuntergrenze für lokale Netzdienstleistungen ................................................ 12

2.4. Anforderungen an lokale Netzdienstleistungen aus Sicht des VNB ...................................... 14

3. Bereitstellung von lokalen Netzdienstleistungen........................................................................... 15

3.1. Ausgestaltung des Ampelmodells im Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“ ........................... 15

3.2. Der Prozessablauf im PaVn .................................................................................................... 16

3.3. Netzzustandsschätzung und -prognose ................................................................................. 17

Messstellenoptimierung ................................................................................................................ 20

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INHALTSVERZEICHNIS

III

Modell- und Pseudomesswerte .................................................................................................... 21

Algorithmen zur Netzzustandsschätzung ...................................................................................... 22

3.4. Flexibilitätsabruf über Flexibilitätsliste ................................................................................. 23

Flexibilitätsband für kontrahierte Flexibilitätsoptionen ............................................................... 23

Ermittlung von Sensitivitäten ........................................................................................................ 23

Ermittlung von Netzrestriktionen ................................................................................................. 24

Flex-Einschränkungsliste ............................................................................................................... 25

Diskriminierungsfreie Aufteilung .................................................................................................. 27

Missbrauchsanreize und Konzepte zur Verhinderung von Missbrauch ........................................ 27

3.5. Kommunikations- und Dienste-Plattform (KDP) ................................................................... 29

Bedarf einer Kommunikations- und Diensteplattform ................................................................. 29

Standardisierung der Schnittstellen zwischen den Unternehmen ............................................... 30

Vermittlung der Akteure ............................................................................................................... 31

Standardisierung der Schnittstellen zu den internen Systemen ................................................... 31

Sicherheit vor IT-technischem Missbrauch ................................................................................... 32

Begründung für die Systemvarianten ........................................................................................... 32

3.6. Übersicht Systemlandschaft und Schnittstellen .................................................................... 35

3.7. Abgeleitete Anwendungsfälle ............................................................................................... 38

High-Level-Anwendungsfall HLUC01 ............................................................................................. 42

4. Demonstration und Feldtestergebnisse ........................................................................................ 45

4.1. Allgemeine Informationen zu den Feldtests ......................................................................... 45

4.2. Ablauf der Demonstration .................................................................................................... 48

4.3. Ablauf der Feldtests .............................................................................................................. 51

4.4. Ergebnisse der Feldtests ....................................................................................................... 52

4.5. Fazit ....................................................................................................................................... 71

4.6. Simulationsumgebung ........................................................................................................... 72

Ziel der Simulation ........................................................................................................................ 72

Komponenten der Simulation ....................................................................................................... 72

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INHALTSVERZEICHNIS

IV

Simuliertes Zukunftsszenario ........................................................................................................ 74

Fazit der Simulation ....................................................................................................................... 75

5. Wirtschaftlichkeit lokaler Netzdienstleistungen ............................................................................ 77

5.1. Entwickelte Methodik ............................................................................................................ 77

Kostenbewertung von marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung................................................. 78

Netzausbauverfahren .................................................................................................................... 79

5.2. Exemplarische Untersuchungen ............................................................................................ 80

Vorstellung des Verteilnetzes ........................................................................................................ 80

Effizienz einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung im Vergleich zum regulierten

Einspeisemanagement .................................................................................................................. 83

Vergleich mit Netzausbau als Alternative zur Engpassbehebung ................................................. 85

Kosteneffizienter Netzausbau unter Berücksichtigung marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung

....................................................................................................................................................... 86

Bewertung der Wirtschaftlichkeit von marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung ........................ 89

6. Ergebnisse und Ausblick ................................................................................................................. 91

6.1. Ergebnisse und Erkenntnisse aus dem Projekt ...................................................................... 91

Zeitskalen zu Kontrahierung von Flexibilitätsoptionen ................................................................. 91

Bewertung der Wirtschaftlichkeit ................................................................................................. 92

6.2. Einschränkungen bei den heutigen regulatorischen Rahmenbedingungen ......................... 92

6.3. Handlungsempfehlungen und Schlussfolgerungen ............................................................... 95

Anforderungen an Veränderung des regulatorischen / rechtlichen Rahmens ............................. 95

Auswirkungen/Anforderungen für zukünftigen Netzbetrieb und Netzplanung ........................... 96

6.4. Ausblick .................................................................................................................................. 98

Literaturverzeichnis ............................................................................................................................. 102

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LISTE DER ABKÜRZUNGEN

V

Liste der Abkürzungen

BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft

BMA Biomasseanlage

BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Energie

BNE Bundesverband Neue Energiewirtschaft

CIM Common Information Model

CVUF Complex Voltage Unbalance Factor

EE Erneuerbare Energien

EEG Erneuerbare-Energien-Gesetz

EnWG Energiewirtschaftsgesetz

ETG Energietechnische Gesellschaft

GIS Geoinformationssystem

GLDPM Generation and Load Data Provision Methodology

HLUC High Level Use Case

HöS Höchstspannung

HS Hochspannung

IT Informationstechnologie

KDP Kommunikations- und Dienste-Plattform

MS Mittelspannung

NB Netzbetreiber

NDL Netzdienstleistung

NS Niederspannung

NZP Netzzustandsprognose

OT Operational Technology

PaVn Proaktives Verteilnetz

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LISTE DER ABKÜRZUNGEN

VI

PuB Planungs-und-Betriebsgrundsätze

PV Photovoltaik

PVA Photovoltaikanlage

SINTEG Schaufenster intelligente Energie

ÜNB Übertragungsnetzbetreiber

USEF Universal Smart Energy Framework

VDE Verband der Elektrotechnik, Elektronik und Informationstechnik

VES Venios Energy Solution

VN Verteilnetz

VNB Verteilnetzbetreiber

VPP Virtual Power Plant (Virtuelles Kraftwerk)

WEA Windenergieanlage

µ-PMUs (Micro Phasor Measurement Units)

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

VII

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1.1: Installierte EEG-Anlagenleistung 2014 [22] .................................................................... 2

Abbildung 2.1: Vielfältige Benutzung von Flexibilität ............................................................................. 6

Abbildung 2.2: Übersicht über die unterschiedlichen Kriterien zur Ausgestaltung der gelben

Ampelphase [25] ................................................................................................................................... 10

Abbildung 2.3: Erlöse aus der Vermarktung von Flexibilitätsoptionen ................................................ 14

Abbildung 3.1: Zusammenspiel der Komponenten zur Behebung des Netzengpasses und

Kommunikation von Markt und Netz in der gelben Ampelphase......................................................... 17

Abbildung 3.2: Einbindung von Netzzustandsschätzung und -prognose in den Prozess der

Engpassbehebung ................................................................................................................................. 19

Abbildung 3.3 Darstellung der Kommunikations- und Diensteplattform (KDP) ................................... 30

Abbildung 3.4 mögliche Akteure und ihre Teilnahme an kooperativen Ampelphasen und anderen

Prozessen über eine KDP und zugehörige Anwendungsmodule .......................................................... 30

Abbildung 3.5: Systemlandschaft .......................................................................................................... 36

Abbildung 3.6: Business-Case-Übersicht ............................................................................................... 39

Abbildung 3.7: Übersicht des High-Level-Anwendungsfalls (engl. High-Level Use Case, kurz: HUC) ... 40

Abbildung 3.8: Ablauf des High-Level-Anwendungsfalls ....................................................................... 41

Abbildung 3.9: Sequenzdiagramm zu HLUC01 ...................................................................................... 44

Abbildung 4.1: Netzgebiet der UA Lengerich ........................................................................................ 46

Abbildung 4.2 Ablauf Feldtesttag .......................................................................................................... 51

Abbildung 4.3 Festlegung von Grenzwerten ......................................................................................... 52

Abbildung 4.4 Engpässe werden erkannt und PAVN Dashboard visualisiert ........................................ 52

Abbildung 4.5 Engpass Spannungsüberschreitung ............................................................................... 56

Abbildung 4.6 Engpass Überlast durch Einspeisung ............................................................................. 57

Abbildung 4.7 Engpass Überlast durch Last .......................................................................................... 58

Abbildung 4.8 Engpass durch Überlast und Spannungsproblematik .................................................... 59

Abbildung 4.9 Messwerte PV-Anlagen eines Feldtesttages .................................................................. 60

Abbildung 4.10 Prognosewerte der PV-Anlagen eines Feldtesttages (inkl. Abregelung) ..................... 60

Abbildung 4.11 Messwerte Biogas-Anlagen eines Feldtesttages ......................................................... 61

Abbildung 4.12 Prognose Biogas-Anlagen eines Feldtesttages (inkl. Ansteuerung von ca. 13-15 Uhr) 61

Abbildung 4.13 Mess- und Sollwerte Industriekunden ......................................................................... 62

Abbildung 4.14 Vergleich Messwert und Prognose für den Fall Überlast durch Einspeisung .............. 63

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ABBILDUNGSVERZEICHNIS

VIII

Abbildung 4.15 Vergleich Messwert und Prognose für den Fall Überlast durch Einspeisung .............. 64

Abbildung 4.16 Vergleich Prognose und Messwert für den Fall Überspannung durch Einspeisung .... 64

Abbildung 4.17 Vergleich Messwert und Prognose für den kombinierten Fall Überspannung und

Überlast durch Einspeisung ................................................................................................................... 65

Abbildung 4.18: Häufigkeit der beobachteten relativen Abweichung von NZP-Ergebnissen gegenüber

den Messwerten für alle Tage mit approximierten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen ................. 66

Abbildung 4.19: Häufigkeit der beobachteten relativen Abweichung von NZP-Ergebnissen gegenüber

den Messwerten nach Datum mit approximierten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen .................. 67

Abbildung 4.20: Häufigkeit der beobachteten relativen Abweichung von NZP-Ergebnissen gegenüber

den Messwerten nach Uhrzeit mit approximierten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen ................. 69

Abbildung 4.21: Datenaustausch zwischen mosaik und den Simulationskomponenten ...................... 73

Abbildung 5.1: Überblick über die Gesamtmethodik und den Ablauf des entwickelten Verfahrens ... 78

Abbildung 5.2: Geografische Verteilung der dezentralen Einheiten im Netzgebiet ............................. 81

Abbildung 5.3: Maximale Leitungsauslastungen und Knotenspannungen im Jahr 2030 ...................... 83

Abbildung 5.4: Kosten des Netzengpassmanagements und netzbasierte Abregelung von EE-Anlagen

............................................................................................................................................................... 84

Abbildung 5.5: Kosten des Netzengpassmanagements im Vergleich zum konventionellen Netzausbau

............................................................................................................................................................... 86

Abbildung 5.6: Geografische Verteilung Netzausbauprojekte .............................................................. 87

Abbildung 5.7: Gesamtkosten der Ausbauiterationen zur Bestimmung des kosteneffizienten

Netzausbaus .......................................................................................................................................... 88

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TABELLENVERZEICHNIS

IX

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1:Flexibilitätseinschränkungsliste ............................................................................................. 26

Tabelle 2: Relative Abweichung der NZP-Ergebnisse gegenüber den Messwerten in Prozent nach

Datum .................................................................................................................................................... 66

Tabelle 3: Relative Abweichung der NZP-Ergebnisse gegenüber den Messwerten in Prozent nach

Tageszeit ................................................................................................................................................ 68

Tabelle 4: Ausprägung der Wetterlagen für die Testtage nach Datum ................................................ 70

Tabelle 5: Dezentrale Einheiten im betrachteten Netzgebiet im Jahr 2030 ......................................... 82

Tabelle 6: Erforderliche Ausbaumaßnahmen zur Behebung der Netzengpässe .................................. 85

Tabelle 7: Betrachtete Netzausbauprojekte ......................................................................................... 87

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EINLEITUNG

1

1. Einleitung

Der Anteil des aus erneuerbaren Energien erzeugten Stroms am Bruttostromverbrauch in Deutsch-

land wächst gemäß der Zielvorgaben der Bundesregierung und gemäß der darin referenzierten Plan-

zahlen (40% - 45% bis zum Jahr 2025). Es wird davon ausgegangen, dass mittelfristig (bis 2035) mehr

als die Hälfte der Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen stammt (55% - 60% bis zum Jahr 2035)

[3] [21]. Die Verteilnetze integrieren bereits heute 95% der Leistung erneuerbarer Energien [22] und

im Gegensatz zu zentraler Stromerzeugung kommen diverse neue, dezentrale Stromerzeugungsanla-

gen und Akteure zum heutigen Energieversorgungssystem hinzu. Die fluktuierende Einspeisung aus

Wind und Photovoltaik und ihre selten gleichzeitig auftretenden, jedoch außergewöhnlich hohen

Einspeisespitzen stellen elektrische Versorgungsnetze vor erhebliche Herausforderungen. Auf der

Lastseite lassen aktuelle Entwicklungen in den Bereichen Smart-Meter, Elektromobilität, Power-to-

Heat und Speicher erahnen, dass durch eine direkte Reaktion auf Preissignale des Marktes ebenfalls

hohe Gleichzeitigkeiten der Netznutzung auftreten werden.

Der Verteilnetzbetreiber, dessen Aufgabe u.a. ein sicherer Netzbetrieb ist, steht in dieser Situation

vor der Herausforderung, dass dem volkwirtschaftlichen Nutzen einer Netzverstärkung für seltene,

hohe Auslastungsspitzen in der Regel unverhältnismäßige Kosten gegenüberstehen. In diesen Fällen

ist ein intelligentes Netzkapazitätsmanagement durch das Zusammenspiel von Netz und Markt not-

wendig.

1.1. Aktuelle und zukünftige Herausforderungen für Verteilnetzbetreiber

Bedingt durch die Förderung der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien und Kraft-Wärme-

Kopplung mittels des Erneuerbare-Energien-Gesetzes bzw. des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes

wurde in Deutschland in den vergangenen Jahren eine hohe Anzahl an dezentralen Stromerzeu-

gungsanlagen installiert. Diese sind zu einem Großteil im Verteilnetz (Abbildung 1.1) angebunden

und führen zu einer starken Zunahme der fluktuierenden Einspeisung, welche zukünftig erhöhte An-

forderungen an die Netzbetreiber (NB) stellt, die Systemstabilität und den sicheren Netzbetrieb effi-

zient zu gewährleisten.

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EINLEITUNG

2

Abbildung 1.1: Installierte EEG-Anlagenleistung 2014 [22]

Aufgrund dieser Veränderungen entstehen neue Herausforderungen für die Netzbetreiber bei der

Planung und dem Betrieb der Mittel- und Niederspannungsnetze. Zugleich wird davon ausgegangen,

dass Netzbetreiber zukünftig eine zunehmend proaktive Rolle im Kontext der elektrischen Energie-

versorgung einnehmen, indem die vorhandenen Flexibilitäten der Netznutzer im Verteilnetz er-

schlossen und genutzt werden. Verteilnetzbetreiber können dadurch Netzengpässe beheben und

konventionellen Netzausbau einsparen und somit eine kostenoptimale Netzbewirtschaftung forcie-

ren.

1.2. Neue Rolle des VNB

§ 13 (1) EnWG verlangt vom systemverantwortlichen Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB), im Bedarfs-

fall netz- und marktbezogene Maßnahmen zu ergreifen, um in seiner Regelzone die Versorgungssi-

cherheit zu gewährleisten. Im Falle von Netzrestriktionen fordert der ÜNB Marktteilnehmer dazu auf,

gegen angemessene Vergütung die Wirkleistungs- oder Blindleistungseinspeisung anzupassen. Der

Verteilnetzbetreiber (VNB) wird gemäß § 13 EnWG lediglich im Einzelfall einbezogen, wenn die anzu-

steuernde Erzeugungsanlage in das jeweilige Verteilnetz (VN) eingebunden ist. Darüber hinaus ist der

VNB gemäß § 14 EnWG einerseits verpflichtet, den vorgelagerten Netzbetreiber durch eigene Maß-

nahmen zu unterstützen, andererseits ermächtigt, in seinem Netz entsprechende Maßnahmen zu

ergreifen, soweit er für die Sicherheit und Zuverlässigkeit der Elektrizitätsversorgung in seinem Netz

verantwortlich ist. Die mit dem Ausbau von EE einhergehende Zunahme dezentral fluktuierender

Einspeisung auf Nieder-, Mittel- und Hochspannungsebene (NS, MS, HS) beeinflusst in wachsendem

Maße das Systemverhalten und verlangt somit nach einer proaktiveren Rolle des VNB.

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EINLEITUNG

3

1.3. Ziele des Projekts

Ziel des Forschungsvorhabens ist die Entwicklung, Demonstration und Bewertung eines Systems zur

Nutzung von marktbasiert bereitgestellten, netzdienlichen Flexibilitäten für die lokale Engpassbehe-

bung im Verteilnetz. Nach der Ausschöpfung der lokalen Netzbetriebsmittel (inkl. Netzflexibilitäten)

zur Behebung lokaler Engpässe sollten lokale, netzdienliche Flexibilitäten genutzt werden. Als Eng-

pass werden im Projekt technische Grenzwertverletzungen der elektrischen Betriebsmittel betrach-

tet. Welche Anlagen dafür in Frage kommen, kann anhand topologischer und technischer Daten zur

Bewertung des Netzzustands ermittelt werden. Allerdings besteht zurzeit in dem weitaus überwie-

genden Teil der Verteilnetze in Deutschland keine genaue Kenntnis des aktuellen Zustands. Die

Sichtbarkeit und Steuerbarkeit der Netzelemente ist in der Hochspannungsebene sehr gut, in der

Mittelspannung gering, in der Niederspannung praktisch nicht vorhanden. Die Entwicklung und Er-

probung einer verlässlichen Zustandsschätzung und –prognose des Verteilnetzes (auf Basis einer

geringen Anzahl von Messstellen und Nutzung von probabilistischen Umfelddaten (z. B. Wetter))

bieten hier eine alternative Lösung. Sofern auf Basis der Netzzustandsschätzung ein Engpass prog-

nostiziert wird, kann der Verteilnetzbetreiber Flexibilitäten abrufen, welche im Voraus marktbasiert

kontrahiert wurden (gelbe Ampelphase). Die Flexibilitätsabrufe erfolgen dabei über eine Kommuni-

kations- und Dienste-Plattform, welche unternehmensübergreifende Prozesse koordiniert und den

Flexibilitätsabruf vom Verteilnetzbetreiber an die Flexibilitätsanbieter, beispielsweise Aggregatoren,

organisiert. In einem Feldtest wird schließlich die Funktionalität des Systems in einem realen Verteil-

netzgebiet unter Einbindung realer Flexibilitäten demonstriert. Weiterhin wird die Wirtschaftlichkeit

einer Nutzung von marktbasiert bereitgestellten, netzdienlichen Flexibilitäten gegenüber dem alter-

nativen konventionellen Netzausbau mit einem entsprechenden Simulationsverfahren bewertet.

1.4. Methodik/Vorgehen

Angelehnt an das „BDEW-Ampelkonzept für Smart Grids“ [2, 3] erarbeitet und erprobt das durch das

deutsche Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Forschungsprojekt „Das proakti-

ve Verteilnetz“ eine technische Ausgestaltung mit Schwerpunkten in der lokalen Engpasserkennung

in Netzen mit verteilter Flexibilität und in der geeigneten Kommunikation zwischen Markt und Netz

zur Bereitstellung der selbigen.

Dieser Bericht gibt einen Einblick in die wichtigen Kernaspekte des Projektes:

Konzipierung, Definition und Verifizierung eines Systemmodells

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EINLEITUNG

4

Entwicklung und Erprobung einer verlässlichen Zustandsschätzung und –prognose des Verteil-

netzes (auf Basis einer geringen Anzahl von Messstellen und Nutzung von Umfelddaten (z. B.

Wetter))

Konzeptionelle und technische Ausgestaltung und Schärfung des BDEW-Ampelkonzepts , insbe-

sondere der gelben Ampelphase

Sichere und diskriminierungsfreie Koordination von Netz- und Marktakteuren mit Fokus auf mi-

nimaler Einschränkung des Marktes bei Sicherstellung der Versorgungssicherheit

Konzipierung und Validierung einer Kommunikations- und Dienste-Plattform (KDP)

Nutzbarmachung von Flexibilität für das Verteilnetz, als eine Handlungsoption zur Vermeidung

von unnötigem Netzausbau

1.5. Struktur des Berichtes

Im Kapitel 2 werden unterschiedliche lokale Netzdienstleistungen und das BDEW-Ampelkonzept als

Basis für das Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“ vorgestellt. Ebenfalls wird auf Anforderungen an

lokale Netzdienstleistungen aus Sicht des Verteilnetzbetreibers eingegangen.

Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Ausgestaltung des Ampelkonzepts und insbesondere mit der Kon-

trahierung und dem Flexibilitätsabruf im PaVn. Anschließend werden der Prozessablauf, die wichtigs-

ten Komponenten im Projekt und deren Zusammenspiel zur Behebung des Netzengpasses in der

gelben Ampelphase sowie die Systemlandschaft ausführlich erläutert. Des Weiteren werden Anwen-

dungsfälle als Grundlage zur Realisierung der Prozesse einer gelben Ampelphase beschrieben.

Kapitel 4 befasst sich mit der Umsetzung der im Projekt erarbeiteten Lösungen im Rahmen eines

realen Feldtests einschließlich einer Simulation zur Validierung der Praxistauglichkeit der definierten

Netzszenarien.

Im Kapitel 5 werden die Wirtschaftlichkeit von marktbasiert bereitgestellten Netzdienstleistungen für

das Netzengpassmanagement im Verteilnetz und ergänzende Kombinationen zwischen klassischem

Netzausbau und Flexibilitätsnutzung untersucht.

Kapitel 6 stellt die Ergebnisse und Erkenntnisse aus dem Projekt, die Einschränkungen durch die heu-

tigen regulatorischen Rahmenbedingungen, Handlungsempfehlungen und Schlussfolgerungen sowie

einen detailliert ausgearbeiteten Ausblick vor.

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BEREITSTELLUNG LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

5

2. Bereitstellung lokaler Netzdienstleistungen

In diesem Kapitel werden die lokalen Netzdienstleistungen definiert und das BDEW-Ampelkonzept als

Basis für das Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“ vorgestellt. Anschließend folgt eine Übersicht über

einige der bestehenden Ampelkonzepte. Verfügbarkeit von lokalen Dienstleistungen und Anforde-

rungen an diese werden thematisiert und auf die Ermittlung einer Preisuntergrenze für lokale Netz-

dienstleistungen wird eingegangen. Abschließend werden weitere Projekte zur Bereitstellung lokaler

Netzdienstleistungen auf Basis des Ampelkonzepts vorgestellt.

2.1. Einordnung lokaler Netzdienstleistungen

Im Rahmen der Elektrizitätsversorgung können unterschiedliche Dienstleistungen zur Gewährleistung

der Versorgungssicherheit erbracht werden. Dazu kann grundsätzlich zwischen System-, Markt- und

Netzdienstleistungen unterschieden werden.

Im Zuge der Energiewende gewinnt der fluktuierend und dargebotsabhängig eingespeiste Strom aus

erneuerbaren Energiequellen an Bedeutung. Da dieser Anteil immer weiter steigt, wird davon ausge-

gangen, dass sich die konventionelle Stromerzeugung künftig zunehmend an der Residuallast orien-

tieren muss, die an vielen Tagen und in vielen Stunden von starken Fluktuationen geprägt ist. Hieraus

ergibt sich die Notwendigkeit einer Flexibilisierung der Akteure im Energiesystem zur Gewährleistung

einer effizienten Versorgungssicherheit [20].

Flexibilität kann dabei wie folgt definiert werden: „Flexibilität ist die Veränderung von Einspeisung

oder Entnahme in Reaktion auf ein externes Signal (Preissignal oder Aktivierung), mit dem Ziel eine

Dienstleistung im Energiesystem zu erbringen. Die Parameter um Flexibilität zu charakterisieren be-

inhalten: die Höhe der Leistungsveränderung, die Dauer, die Veränderungsrate, die Reaktionszeit,

den Ort etc.“ [20] [23].

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BEREITSTELLUNG LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Abbildung 2.1: Vielfältige Benutzung von Flexibilität

Die System-, Markt- und Netzdienstleistungen basieren auf den verfügbaren Flexibilitätsoptionen im

Netz (Abbildung 2.1).

Als Systemdienstleistungen werden in der Elektrizitätsversorgung diejenigen für die Funktions-

tüchtigkeit des Systems unbedingt erforderlichen Leistungen bezeichnet, die Netzbetreiber für

die Anschlussnehmer/Anschlussnutzer zusätzlich zur Übertragung und Verteilung elektrischer

Energie erbringen und damit die Qualität der Stromversorgung bestimmen: Spannungshaltung,

Frequenzhaltung, Versorgungswiederaufbau und Betriebs-/Systemführung. Systemdienstleistun-

gen dienen der Aufrechterhaltung des Gesamtsystems und werden üblicherweise für den Über-

tragungsnetzbetrieb erbracht.

Flexibilitäten können darüber hinaus als marktdienliche Maßnahmen Marktteilnehmern als

Energieausgleich oder zum Handel bei stark volatilen Marktpreisen eingesetzt werde [19].

Netzdienstleistungen werden für den Verteilnetzbetreiber zur Beherrschung lokaler kritischer

Netzsituationen erbracht. Dazu zählen insbesondere die Vermeidung thermischer Überlastungen

der Betriebsmittel, die Spannungshaltung, der Versorgungswiederaufbau und die Netzbetriebs-

führung im Verteilnetz.

Im Rahmen des Projektes liegt der Fokus auf der Nutzung von Flexibilitätsoptionen zur Erbringung

von Netzdienstleistungen im Verteilnetz. Deshalb ist ab hier vom Verteilnetz im Allgemeinen und

vom Verteilnetzbetrieb im Speziellen die Rede, insofern nicht anders explizit ausgewiesen.

Die Gewährleistung eines sicheren und zuverlässigen Netzbetriebs bedeutet insbesondere,

dass die Betriebsmittel nicht durch unzulässig hohe Ströme überlastet werden und sich die

Spannungen im Netz innerhalb eines zur Gewährleistung der Versorgungsqualität vordefi-

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nierten Bandes bewegen. Wenn diese Bedingungen nicht erfüllt werden, liegt ein Engpass im

Verteilnetz vor.

Der Verteilnetzbetreiber wirkt einem prognostizierten Engpass unter Einsatz verschiedener Maß-

nahmen mit ausreichend langer Vorlaufzeit vorzeitig entgegen.

Der Eingriff der Verteilnetzbetreiber in das Netz, aber auch in die Erzeugung und in den Ver-

brauch im Rahmen der Netzdienstleistung zur Erfüllung der gesetzlichen Pflicht zum sicheren

und zuverlässigen Betrieb des Verteilnetzes (§ 11 Abs. 1 EnWG) wird als Engpassmanage-

ment bezeichnet.

Als Maßnahmen zum Engpassmanagement stehen dem Verteilnetzbetreiber netzbezogene Maß-

nahmen, d.h. Stufung von Transformatoren, Topologieanpassungen und die Blindleistungsbereitstel-

lung von Erzeugungsanlagen, zur Verfügung. Zudem kann der Verteilnetzbetreiber Erzeugung und

Verbrauch im Verteilnetz reduzieren, wenn er durch netzbezogene Maßnahmen, wie beispielsweise

durch den Einsatz von Einspeisemanagement, eine Gefährdung oder Störung seines Verteilnetzes

nicht oder nicht rechtzeitig beheben kann (vgl. § 14 Abs. 1 i.V. § 13 Abs. 2 EnWG sowie § 14 EEG).

Zukünftig könnte die Nutzung der von Verbrauchern und Erzeugern marktbasiert bereitgestellten

Wirkleistungsflexibilität für das Engpassmanagement eine weitere Option darstellen. Dabei sind ge-

genüber den heute existierenden Maßnahmen, welche entsprechend der Regularien im EnWG und

EEG ergriffen werden können, ökonomische Vorteile zu erwarten [14].

Diese Bereitstellung marktbasierter Wirkleistungsflexibilität für das Engpassmanagement als Netz-

dienstleistung für den Verteilnetzbetreiber steht nachfolgend im Fokus der Betrachtung.

2.2. Das BDEW Ampelkonzept

Zur Ausgestaltung der Interaktion von Marktteilnehmern und Netzbetreibern zur Bereitstellung

marktbasierter Flexibilität für das Engpassmanagement kann das erstmals im Jahr 2013 vorgestellte

Ampelkonzept von BDEW in der BDEW-Roadmap „Realisierung von Smart Grids in Deutschland“ ge-

nutzt werden [19]. Das Konzept zählt zu den Flexibilitätsampelkonzepten, die die Interaktion von

Markt- und Netzteilnehmern in unterschiedlichen Ampelphasen (grün, gelb, rot) konkretisieren. Der

Unterschied zu sogenannten Netzampelkonzepten besteht darin, dass Flexibilitätsampelkonzepte

keinen Aufschluss über die aktuelle Kapazitätsauslastung des Netzes geben, sondern die Interaktion

der Akteure innerhalb einer Ampelphase in den Vordergrund stellen. [24]

Im heutigen Stromnetz existiert nur die grüne (marktorientierte Phase) bzw. die rote Ampelphase

(netzsichernde Phase). Der Übergang zwischen diesen zwei Phasen erfolgt unmittelbar. Da dieser

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Übergang allerdings in der Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, wenn marktbasiert bereitgestellte

Wirkleistungsflexibilität vom VNB für das Engpassmanagement genutzt werden soll, hat das Ampel-

konzept die Ausgestaltung der netzorientierten gelben Phase – die Interaktion von Markt und Netz -

zum Ziel [19].

Marktbasierte Flexibilitätsnutzung im Rahmen des Ampelmodells

Im Folgenden sind die drei Phasen des BDEW-Ampelkonzeptes sowie die Vorschläge des BDEW, Fle-

xibilitätsoptionen abzurufen, vorgestellt:

• Wenn keine kritischen Netzzustände im Verteilnetz vorliegen bzw. der VNB diese durch eige-

ne, rein netzbezogene Maßnahmen beheben kann, kennzeichnet dies die grüne Ampelphase, auch

Marktphase genannt. Diese Maßnahmen sind meist Schaltungen an eigenen Betriebsmitteln, um

einen sicheren Netzzustand zu gewährleisten / verbessern. Zusätzlich kann durch Netzzustandsschät-

zungen und Leiterseilmonitoring die Belastung in Mittelspannungsnetzen an die aktuelle Wetterlage

angepasst werden. Es findet keine Interaktion zwischen VNB und Marktakteuren statt. Die vorhande-

nen Flexibilitätsoptionen werden durch die Marktakteure ausschließlich zur Bereitstellung markt-

oder systemdienlicher Flexibilität eingesetzt. Die grüne Phase ist der Regelfall und wurde bisher

durch die gesetzliche Netzausbauverpflichtung gewährleistet.

• In der gelben Ampelphase, der Interaktionsphase, ruft der Verteilnetzbetreiber für erwartete

Netzengpässe vorab kontrahierte Flexibilität ab, die voraussichtlich ausreichend vorhanden sind.

Hierzu gibt der Verteilnetzbetreiber den Marktakteuren Einsatzbeschränkungen für die Flexibilitäts-

optionen vor, entsprechend der zugrundeliegenden vertraglichen Vereinbarung. Die genaue Auswahl

der einzuschränkenden Marktakteure und Anlagen muss diskriminierungsfrei geschehen. Daneben

können die Marktakteure verbleibende Flexibilität weiterhin markt- und systemdienlich nutzen.

Durch die Vergütung für die Bereitstellung der lokalen NDL können die Marktakteure ebenfalls profi-

tieren und mögliche Nutzungseinbußen, die aus der Einschränkung des Einsatzes und der Vermark-

tung ihrer Flexibilitätsoptionen resultieren, kompensieren.

• In der roten Ampelphase, der Netzphase, wird ein kritischer Netzzustand identifiziert oder

prognostiziert, der durch netzbezogene Maßnahmen oder die Nutzung marktbasiert bereitgestellter

Flexibilität nicht behoben werden kann und somit zu einer Gefährdung oder Störung des sicheren

Netzbetriebs führen würde. Um den Netzengpass zu beheben greift der Netzbetreiber nach den vor-

liegenden Regularien des EnWG und EEG direkt steuernd, ohne vertragliche Grundlage, in den Anla-

geneinsatz ein. Da der Eingriff nicht auf einer vertraglichen Grundlage basiert, werden betroffene

Anlagenbetreiber entschädigt. Im Sinne des wirtschaftlichen Optimums muss ein mehrmals betroffe-

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ner Netzbereich ausgebaut werden. Die rote Ampelphase dient der Absicherung und in keiner Weise

als alltägliche Netzsteuerung, da andernfalls kein freies Netz zur Verfügung stünde.

Der Wechsel zwischen den Ampelphasen lässt sich an verschiedenen Zuständen und Vorkommnissen

festmachen. Dabei sind alle Phasensprünge möglich, wobei der Normalfall die nacheinander ablau-

fenden Ampelphasen darstellen sollte.

Die Ampelphase ändert sich von Grün nach Gelb, wenn die netzbezogenen Maßnahmen des VNB

nicht ausreichen, um einen Netzengpass zu beseitigen. Die ungefähre Höhe kann durch die Netz-

prognose zuvor bestimmt werden, um Flexibilitäten am Markt anzufragen. Diese Flexibilitätsmaß-

nahmen sollen letztlich zur Netzsicherung eingesetzt werden.

Die Ampel geht von der gelben in die rote Phase über, wenn nach vorheriger Flexibilitätsnutzung eine

starke zusätzliche Netzbelastung auftritt, die über das Flexibilitätsband hinausgeht. Dieser Fall tritt

ebenfalls auf, wenn nicht ausreichend Flexibilitäten im überlasteten Netzbereich verfügbar sind. Die

relative Position der Belastungskompensation zum Engpass ist insofern relevant, dass durch weit

entfernte Flexibilitäten weitere Netzüberlastungen bei der Kompensation produziert werden können.

Des Weiteren kann dieses ebenfalls auftreten, wenn die verfügbaren Flexibilitäten elektrisch weit

vom Engpassort entfernt sind und hierbei neue Engpässe erzeugen.

Auch ein direkter Sprung der Ampelphasen von Grün nach Rot ist möglich, wenn nicht ausreichend

Flexibilitäten zur Verfügung stehen bzw. bei einem Ausfall der Kommunikation mit dem Marktteil-

nehmer nicht angesprochen werden können. In diesem Fall werden dennoch zunächst Flexibilitäten

zur Reduktion des Netzengpasses genutzt. Darüber hinaus gehende Belastungen werden im Rahmen

der roten Ampelphase gesteuert.

Auch der gegensätzliche Sprung von Rot nach Grün ist denkbar, wenn mit einem Mal genug netzge-

fährdende Einspeisung/Last wegfällt, sodass keine Flexibilitäten zur Kompensation benötigt werden,

sondern Netzmaßnahmen ausreichend sind.

Die Ampel wechselt von Rot nach Gelb, wenn statt der zuvor gesetzlich zugesicherten Eingriffe, Flexi-

bilitäten auf einer vertraglichen Grundlage basierend abgerufen werden. Dies geschieht entweder,

wenn sich die Netzbelastung auf ein zu kompensierendes Niveau gemindert hat, oder zusätzliche

Flexibilitäten verfügbar/ansprechbar geworden sind.

Der Wechsel von Gelb nach Grün erfolgt, wenn alle Flexibilitätsabrufe beendet sind und die Netzsi-

cherung mit Maßnahmen des Netzbetreibers erfolgen kann.

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Übersicht über bestehende Konzepte zum Ampelmodell

Für die Ausgestaltung der gelben Ampelphase gibt es unterschiedliche Vorschläge, welche sich insbe-

sondere hinsichtlich der Steuerung, der Aggregationsebene, der Art der Kontrahierung und der Dauer

der Vorlaufzeit unterscheiden (Abbildung 2.2).

Abbildung 2.2: Übersicht über die unterschiedlichen Kriterien zur Ausgestaltung der gelben Ampelphase [25]

In „Die verschiedenen Ampelkonzepte – Herausforderungen und Folgen für Verteilnetzbetreiber“(

[25]) werden fünf Flexibilitätsampelkonzepte gegenübergestellt, die verschiedene Schwerpunkte,

Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufweisen. Es werden das

VDE/ ETG-Konzept RegioFlex,

das Smart Grid Ampelkonzept des BDEW,

das Flexmarkt-Konzept des BNE,

der Diskussionsstand der „AG Intelligente Netze und Zähler“ des BMWi und

die europäische Sicht von EURELECTRIC und EDSO for Smart Grids auf Flexibilität im Verteil-

netz

betrachtet. Diese Konzepte beschreiben wie die verfügbare Flexibilität, der zeitlich oder in ihrer Leis-

tungshöhe variablen Akteure, auch für den Netzbetreiber nutzbar gemacht wird und sind somit die

Grundlage für die Entwicklung intelligenter Netze. Sie verfolgen alle den Ansatz die Interaktion zwi-

rot

Flexibilität wird durch Netzbetreiber auch ohne

vertragliche Grundlage zur Wahrung der

Netzsicherheit gesteuert.

gelb

Flexibilität wird durch Netzbetreiber auf

vertraglicher Basis netzdienlich zur Vermeidung

von volkswirtschaftlich ineffizientem

Netzausbau angefordert

Unterschiede in den Konzepten sind u. a.

grün

Flexibilität wird vom Vertrieb/ Aggregator markt-

und systemdienlich zur Portfoliooptimierung

und zum Bilanzausgleich angeboten.

indirekt Steuerung direkt

starr Aggregationsebene flexibel

langfristig Kontrahierung kurzzeitig

variabel Vorlaufzeiten day ahead

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schen Netz und Markt zu ermöglichen, setzen hierbei zum Teil jedoch deutlich unterschiedliche

Schwerpunkte und Ausrichtungen. Ein wesentlicher Unterschied besteht in der Ausrichtung der Kon-

zepte. Es lassen sich netzbetreiberorientierte oder vertriebsorientierte Tendenzen erkennen. So liegt

beispielsweise ein Kerngedanke des VDE/ ETG-Konzeptes RegioFlex in einer möglichen Ausgestaltung

von lokal begrenzten und kurzfristig agierenden Flexibilitätsmärkten. Ein Schwerpunkt des BDEW

Smart Grid Ampelkonzepts liegt in der Detaillierung eines Flexibilitätsabrufs und der sich hieraus

ergebenden Ableitung von Prozessen innerhalb der Ampelphasen. In den Ausführungen zum

Flexmarkt-Konzept vom BNE ist unter anderem eine klare Ausrichtung auf die Beschreibung vertrieb-

licher Flexibilitätsprodukte erkennbar. Die verschiedenen Konzepte können grundsätzlich hinsichtlich

der Ausrichtung unterschieden werden, ob in der gelben Phase vielmehr die Interessen der Netzbe-

treiber oder der Vertriebe/ Aggregatoren im Fokus stehen. Während das BDEW-Ampelkonzept eine

Interaktionsphase bei potenziellen oder tatsächlichen Netzengpässen vorschlägt, greift die gelbe

Ampelphase im Flexmarkt nur für absehbare Probleme im Netz. RegioFlex definiert sie als hybride

Phase mit Augenmerk auf die Interaktion zwischen Netzbetreiber und Marktpartnern. Allen betrach-

teten Konzepten ist gemein, dass sie zwischen der Nutzung von Flexibilität im marktlichen und im

regulierten Umfeld differenzieren.

Alle betrachteten Konzepte stützen die netzdienliche Allokation von Flexibilität für ein Kapazitätsma-

nagement im Netz als wirtschaftliche Option, die den Netzausbau zeitlich nach hinten verschieben

oder bestenfalls sogar ganz ersetzen kann. Gemeinsam ist den Entwürfen vor diesem Hintergrund,

dass im Gegensatz zu heute keine maximale, sondern eine optimale Netzleistungsfähigkeit ange-

strebt, also eine eingeschränkte Netznutzung für Planung und Betrieb zu einer regulären Option,

wird. Einige Konzepte gehen insbesondere darauf ein, dass erst durch die Nachfrage von (netzdienli-

cher) Flexibilität die vorhandenen Potenziale der Netznutzer erschlossen würden. In den Konzepten

wird berücksichtigt, dass häufig die Flexibilität der Netznutzer nicht direkt sondern über einen Ver-

trieb/Aggregator verfügbar ist.

Entscheidend für die Realisierbarkeit eines Ampelkonzeptes ist, inwieweit bereits jetzt bestimmte

Ausprägungen festgeschrieben werden bzw. in welchem Maß das Konzept auf Entwicklung angelegt

ist. Es erscheint zielführend, einen entwicklungsoffenen Rahmen des Ampelkonzepts zu skizzieren,

dessen Gestaltungsspielraum durch im Wettbewerb generierte Produkte dynamisch gefüllt wird. Das

Konzept des BDEW bietet diesen Gestaltungsspielraum, berücksichtigt nach [25] sowohl Vertriebs-

als auch Netzbetreiberinteressen angemessen und legt besonderen Fokus auf die Detaillierung des

Flexibilitätsabrufes in der gelben Ampelphase. Aus diesen Gründen wurde es den Entwicklungen im

Rahmen des Projektes “Das proaktive Verteilnetz“ zu Grunde gelegt und im Rahmen dessen, speziell

hinsichtlich der technischen Realisierbarkeit, weiterentwickelt. Es stellt aus den genannten Gründen

außerdem eine geeignete Grundlage für die Konzeptionen dieser Arbeit dar.

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2.3. Analyse von lokalen Netzdienstleistungen

Verfügbarkeit von lokalen Netzdienstleistungen

Für die Erbringung der in Kapitel 2.1 erläuterten lokalen Netzdienstleistungen können verschiedene

Flexibilitätsoptionen von Netznutzern eingesetzt werden. Zu den flexiblen Netznutzern zählen de-

zentrale Erzeugungsanlagen, Letztverbraucher und Speicher. Die unterschiedlichen Flexibilitätsoptio-

nen sowie deren technische Eigenschaften und Restriktionen werden im Folgenden beschrieben.

Zu den Flexibilitätsoptionen aus dezentralen Erzeugungsanlagen zählt zum einen die dargebotsab-

hängige Einspeisung von Windenergie- und Photovoltaik-Anlagen, welche zwischen keiner Einspeise-

leistung und der maximal verfügbaren Einspeiseleistung variiert werden kann. Dabei ist die verfügba-

re Leistung von den vorliegenden Windgeschwindigkeiten bzw. der auftretenden Solarstrahlung ab-

hängig. Zum anderen kann Flexibilität von kleinen thermischen Erzeugungseinheiten wie Biomasse-

und Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen (KWK-Anlagen) bereitgestellt werden. Die Flexibilität wird dabei

im Wesentlichen durch Verfügbarkeiten der Primärenergieträger, Restriktionen der Wärmeversor-

gung und verfügbare Freiheitsgrade der Wärmespeicher beeinflusst. Zudem sind technische Restrik-

tionen, wie beispielsweise Mindestbetriebsleistungen, limitierend.

Letztverbraucher innerhalb der Nieder- und Mittelspannungsbereiche kennzeichnen sich überwie-

gend durch Haushalts- und kleine Industrielasten und weisen daher nur geringe Flexibilitätspotentia-

le auf. Durch die zunehmende Netzintegration von neuartigen Verbrauchern wie Wärmepumpen,

Power-to-Heat-Anlagen (PtH-Anlagen) und Elektrofahrzeugen werden jedoch zukünftig die verfügba-

ren Flexibilitätsoptionen auf der Verbraucherseite zunehmen. Die wesentlichen technischen Parame-

ter, welche die Flexibilität dieser Verbraucher beschränken, sind die zu deckende Wärmenachfrage

sowie der elektrische Verbrauch und die Fahrzyklen der Elektrofahrzeuge.

Die einzige relevante Speichertechnologie innerhalb der Mittel- und Niederspannungsebene sind

elektrische Batterien. Die bereitzustellende Flexibilität von Batterien wird dabei limitiert durch die

maximale Speicherkapazität, die Lade- und Entladeleistung sowie die Speicherverluste. Diese Fakto-

ren hängen zudem stark vom eingesetzten Batterietyp ab.

Ermittlung der Preisuntergrenze für lokale Netzdienstleistungen

Wie bereits in Abschnitt 2.1 erwähnt, sind neben der Bereitstellung von Flexibilität für das lokale

Netzengpassmanagement weitere Vermarktungsoptionen möglich. Im Folgenden werden diese be-

schrieben.

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Flexibilitätsvermarktung am Spotmarkt: Dezentrale Erzeugungsanlagen, Letztverbraucher

und Speicher können zu einem Portfolio aggregiert werden und ein Virtuelles Kraftwerk bil-

den. Dieses Virtuelle Kraftwerk kann am Day-Ahead- und Intraday-Markt vermarktet werden.

Während am Day-Ahead-Markt stündliche Kontrakte in einer Auktion um 12 Uhr einen Tag

vor Lieferung gehandelt werden, ist am Intraday-Markt ein Handel von Viertelstunden-

Zeitscheiben bis zu 30 Minuten vor Erfüllung möglich.

Flexibilitätsvermarktung am Regelleistungsmarkt: Neben dem Day-Ahead- und Intraday-

Markt bietet der Markt für Regelleistung eine weitere Möglichkeit, die verfügbaren Flexibili-

tätsoptionen zu vermarkten. Regelleistung ist erforderlich, um die Netzfrequenz innerhalb

bestimmter Grenzen zu halten und somit das Stromnetz systemsicher zu betreiben. Zu die-

sem Zweck beschaffen die deutschen Übertragungsnetzbetreiber die erforderliche Regelleis-

tung am Regelleistungsmarkt. Die technischen Anforderungen bei der Vermarktung von Re-

gelleistung sind abhängig von den Anforderungen an die Präqualifikation, den Produktdefini-

tionen sowie den Ausschreibungsdetails. Aufgrund der vorliegenden Einschränkungen stellen

lediglich die Reservemärkte ausschließlich für Virtuelle Kraftwerke relevante Vermarktungs-

alternativen dar.

Die Bereitstellung von Flexibilität für das Netzengpassmanagement beim VNB führt zu einer Ein-

schränkung der Vermarktungsfreiheitsgrade am Regelleistungs- und Spotmarkt. Daher müssen die

Erlöse aus der Bereitstellung lokaler Netzdienstleistungen mindestens die Erlöseinbußen aus der

Vermarktung an konkurrierenden Märkten kompensieren, um eine marktbasierte, netzdienliche Fle-

xibilitätsbereitstellung anzureizen (siehe Abbildung 2.3). Somit stellen diese Opportunitätskosten

zugleich eine Preisuntergrenze für die dem VNB entstehenden Kosten für die Kontrahierung und Nut-

zung lokaler Netzdienstleistungen dar.

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Abbildung 2.3: Erlöse aus der Vermarktung von Flexibilitätsoptionen

2.4. Anforderungen an lokale Netzdienstleistungen aus Sicht des VNB

Der Abruf von lokalen Netzdienstleistungen durch Flexibilität sollte aus Sicht des VNBs mittels einer

Grenzwertvorgabe zur maximal zulässigen, gleichzeitigen Nutzung aller eingebundenen Flexibilitäten

erfolgen. Diese hat, verglichen mit der Vorgabe einer absoluten Leistungsänderung, den Vorteil, dass

die Vorgaben nicht auf Grundlage der Fahrpläne der Flexibilitäten erfolgen müssen.

Bei einer angeforderten Reduktion der Gleichzeitigkeit durch den VNB sind lediglich die in der jewei-

ligen Leistungsrichtung aktiven Flexibilitäten vertraglich verpflichtet ihre Leistung zu reduzieren. (s.

Kapitel 3.4) Diese Vorgabe folgt dem Gedanken des „Verursacherprinzip“. Das im Projekt verwendete

Modell sieht nicht vor, dass eine Flexibilität vom Netzbetreiber zur Erhöhung seiner Bezugs- bzw.

Einspeiseleistung und somit zu Mehrverbrauch bzw. -einspeisung verpflichtet wird. Diese Möglichkeit

eine zu hohe gleichzeitige Leistung zu substituieren, bietet vielmehr einen weiteren Freiheitsgrad für

die ausführenden Aggregatoren.

Des Weiteren sollten die Kosten für die Bereitstellung der Netzdienstleistung geringer sein als die

Kosten für eine Netzverstärkung. Um dieses berechnen und bewerten zu können, sind langfristige

Vereinbarungen über die Kosten der Flexibilitätsnutzung anzustreben.

Ohne Bereitstellung

lokaler NDL

MitBereitstellung

lokaler NDL

Erlö

se

Spotmarkt

Regelleistungsmarkt

Flexibilitätsbereitstellungals Netzdienstleistung

Minimale Erlöse aus der Bereitstellung lokaler NDL

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15

3. Bereitstellung von lokalen Netzdienstleistungen

3.1. Ausgestaltung des Ampelmodells im Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“

Im Rahmen des Projektes wurden verschiedene Randbedingungen für die gelbe Ampelphase konkret

definiert und ausgestaltet. Hierzu gehören insbesondere die Aspekte der Kontrahierung und des Fle-

xibilitätsabrufs, welche im Folgenden genauer beschrieben werden.

Die grüne Ampelphase stellt den Normalbetrieb des Netzes dar, in der die Flexibilitätsoptionen ohne

Einschränkung markt- und systemdienlich gehandelt werden können. In der roten Ampelphase wer-

den die Flexibilitätsoptionen gemäß EnWG und EEG zur Wahrung der Netzsicherheit durch den Ver-

teilnetzbetreiber auch ohne vertragliche Grundlage gesteuert (Abbildung 2.2).

Das Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“ ist eine der ersten Anwendungen des theoretischen Ampel-

modells, in dem die Ausgestaltung der gelben Ampelphase weiterentwickelt und in einem realen

Feldtest praktisch umgesetzt wird. Innerhalb des Projektes werden neue Vertriebskomponenten und

Anlagensteuerungen für die praktische Umsetzung ausgearbeitet und die entwickelten Konzepte und

Betriebsabläufe werden mit verschiedensten Testszenarien realitätsnah simuliert und verifiziert.

Der Innovationscharakter und die Zielsetzung des Projektes können folgendermaßen zusammenge-

fasst werden:

Entwicklung und Erprobung einer verlässlichen Netzzustandsschätzung und -prognose des Ver-

teilnetzes (auf Basis einer geringen Anzahl von Messstellen sowie der Nutzung von Umfelddaten

(z. B. Wetter))

Konzeptionelle und technische Ausgestaltung und Schärfung des BDEW-Ampelkonzepts , insbe-

sondere der gelben Ampelphase

Sichere und diskriminierungsfreie Koordination von Netz- und Marktakteuren mit Fokus auf mi-

nimaler Einschränkung des Marktes bei Sicherstellung der Versorgungssicherheit

Nutzbarmachung von Flexibilität für das Verteilnetz, als eine Handlungsoption zur Vermeidung

von unnötigem Netzausbau

In den nachfolgenden Abschnitten in diesem Kapitel wird genauer auf diese Ziel eingegangen.

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3.2. Der Prozessablauf im PaVn

Eine grundlegende Voraussetzung für die Ausgestaltung eines Flexibilitätsampelkonzepts ist die zu-

verlässige, vorausschauende Erkennung von Engpässen im Verteilnetz. Um diese zu erkennen und zu

bewerten, werden Verfahren zur Netzzustandsbestimmung und -prognose eingesetzt. Im Ergebnis

steht ein Werkzeug zur Verfügung, das eine fundierte Beurteilung des Netzzustands und ein Eng-

passmanagement ermöglicht. Bei Auftreten eines Engpasses werden mögliche Lösungen durch die

Nutzung flexibler Erzeuger- und Verbraucheranlagen (Flexibilitäten) ermittelt, die dem Engpass vor-

beugen und den normalen Betriebsbereich gewährleisten können. Dafür erfolgt eine diskriminie-

rungsfreie Auswahl der Flexibilitätsoptionen und die weitere Abwicklung des Flexibilitätsabrufs.

Drohende lokale Engpässe (gelbe Ampelphase) sollten nach der Ausschöpfung der lokalen Netzbe-

triebsmittel zunächst durch Nutzung lokaler Flexibilitäten vermieden werden. Welche Anlagen dafür

in Frage kommen, kann anhand topologischer und technischer Daten ermittelt werden. Mithilfe die-

ser kann die Zustandsprognose diskriminierungsfreie Lösungsvorschläge, d.h. insbesondere auch

ohne Kenntnis der Besitzer und Vertriebe, erarbeiten. Diese Lösungsvorschläge nutzen lediglich zuvor

bekannte und kontrahierte Flexibilitätspotentiale der Anlagen und stellen durch den Abruf dieser

Flexibilitäten somit eine Flexibilitätseinschränkungen dar, d.h. nachdem die Flexibilitäten teilweise zu

netzdienlichen Zwecken in ihrer maximalen Gleichzeitigkeit eingeschränkt und somit abgerufen wur-

den, stehen diese für andere Zwecke nicht mehr vollständig zur Verfügung.

Im Anschluss an die Ermittlung der Höhe notwendigen Flexibilitätseinschränkung, werden die Ver-

triebe der kontrahierten Flexibilitäten ermittelt und dabei auch die jeweiligen Anteile zur Engpasslö-

sung diskriminierungsfrei auf die unterschiedlichen Vertriebe aufgeteilt (siehe auch Abschnitt 3.4).

Für die Akteurs-übergreifende Kommunikation der Netzbetreiber mit den betroffenen Vertrieben ist

der Einsatz einer neuen, dezentralen Kommunikations- und Diensteplattform (KDP) vorgesehen. Die-

se vermittelt die erforderlichen Kommunikationspartner für den jeweiligen Anwendungsfall.

Aufgrund der lokalen Eingrenzung der Flexibilitätsbedarfe steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Flexibi-

litätsmengen aufgrund technischer Probleme nicht vollständig zur Verfügung gestellt werden kön-

nen. Deshalb sind die Vertriebe aufgefordert, die Abrufe zu bestätigen oder ggfs. aktiv abzulehnen.

Dies ist vergleichbar mit Sicherheitsmechanismen, die auch in Regelleistungsprozessen stattfinden. In

solchen Einzelfällen ist eine Neuverteilung der Flexibilitätsbedarfe notwendig. Kann ein Engpass un-

ter diesen Umständen immer noch nicht gelöst werden, erfolgt der Übergang in die rote Ampelpha-

se.

Das Zusammenspiel der oben beschriebenen Komponenten

Netzzustandsbewertung

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

17

Flexibilitätsabruf zur Netzengpassbeseitigung

Kommunikation mit Marktteilnehmern über KDP

kann Abbildung 3.1 entnommen werden.

Abbildung 3.1: Zusammenspiel der Komponenten zur Behebung des Netzengpasses und Kommunikation von Markt und Netz in der gelben Ampelphase

In folgenden Abschnitten werden die Komponenten und ihr Zusammenspiel beschrieben, die als

Grundlage benötigt werden, um den beschriebenen Prozess einer gelben Ampelphase zu realisieren,

wie sie in diesem Bericht dargestellt wird.

3.3. Netzzustandsschätzung und -prognose

Ein Engpassmanagement im Verteilnetz mittels lokaler Netzdienstleistungen setzt voraus, dass der

VNB die Netzzustände verlässlich berechnen und prognostizieren kann. Unter einem Netzzustand

versteht man in diesem Kontext den Vektor der komplexen Netzknotenspannungen für ein elektrisch

zusammenhängendes Netz, dessen Netzknoten mit Leitungen oder Transformatoren verbunden sind.

Die Information darüber, welche Netzknoten verbunden sind, in Kombination mit den elektrischen

Parametern von Leitungen und Transformatoren, ergeben zusammen die Netztopologie. Sind die

Netztopologie und der Netzzustand bekannt, können alle relevanten betrieblichen Größen bestimmt

werden. Relevante betriebliche Größen sind zum Beispiel die Spannungsbeträge an den Netzknoten

und die Leistungsflüsse über Leitungen und Transformatoren.

Erm

itte

lun

g Be

we

rtun

g

Berechnung

Handlung?

Netzsicherheitsmaßnahme

Ermittlung der Verfügbarkeit

Berechnung der Auswirkung

Bewertung des Ergebnis

Abruf der Flexibilität

NETZZUSTANDSBEWERTUNG

Flexibilität

NETZENGPASSBESEITIGUNG

FLEXIBILITÄT

eigene Mittel

SYSTEM- & UMFELDDATEN

Eingangsdaten

- Messwerte- Schaltzustände- Wetter- Kundenverhalten- ...

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

18

Anhand der Spannungsbeträge kann bestimmt werden, ob eine Spannungsbandverletzung vorliegt.

Von einer Spannungsbandverletzung spricht man, wenn die Grenzen eines zuvor definierten Span-

nungsbands über- oder unterschritten werden. Laut DIN EN 50160 muss für die Niederspannung ein

Spannungsband von ±10 % der Nennspannung an allen Netzknoten eingehalten werden [26]. Die

Aufteilung dieses Spannungsbands auf die Ebenen der Mittel- und Niederspannung liegt im Ermessen

des VNBs. Die Berechnung der Leistungsflüsse ist notwendig, um die Auslastung der Betriebsmittel

im Netz zu bestimmen. Grenzwerte für die Leistungsflüsse über die Leitungen und Transformatoren

ergeben sich aus der thermischen Belastbarkeit der im Netz verbauten Betriebsmittel.

Die Berechnung von Netzzuständen kann auf Basis von Messwerten, die im Netz erfasst und an das

Netzleitsystem übermittelt werden, oder aufgrund von Abschätzungen, Annahmen und Prognosen

einer wahrscheinlichen Last- und Einspeisesituationen erfolgen. Im ersten Fall wird häufig von einer

sogenannten Netzzustandsschätzung oder auch „State-Estimation“ gesprochen [27]. Neben der

Netztopologie gehen Messwerte, zum Beispiel Spannungsbetrags-, Leistungsfluss- oder Knotenleis-

tungsmesswerte, als Eingangsdaten in den Berechnungsalgorithmus. Die Ergebnisse der Netzzu-

standsschätzung können im „Echtzeit“-Betrieb für die Überwachung des Netzes genutzt werden.

Außerdem kann die Berechnung von Netzzuständen im Sinne einer zeitlichen Vorausschau erfolgen.

In diesem Fall ist der Begriff der Netzzustandsprognose eine passende Bezeichnung. Zur Netzzu-

standsprognose werden neben der bekannten Netztopologie für alle Netzknoten die Knotenleistun-

gen abgeschätzt, beispielsweise auf Basis von Last- und Einspeiseprognosen, und gemeinsam mit

einem abgeschätzten Spannungsbetrag für einen Referenzknoten zu einem Netzzustand berechnet.

Dabei kommen meist Verfahren der Lastflussrechnung zur Anwendung [28]. Es ist zu beachten, dass

hier keine Prognoseverfahren im eigentlichen Sinne zur Prognose des Netzzustands angewendet

werden, sondern die Eingangsdaten aus Prognosen stammen.

In den Netzen der Hoch- und Höchstspannungsebene besteht meist eine ausreichende Datengrund-

lage für die obengenannten Berechnungsverfahren. Zum einen werden im Sekundentakt Messwerte

im Netz erfasst, an das Netzleitsystem übermittelt und für Netzzustandsschätzungen genutzt. Zum

anderen werden Netzzustandsprognosen auf Basis von Last- und Einspeiseprognosen angestoßen,

um beispielsweise im Vorhinein optimierte Schalthandlungen zu bestimmen oder um die n-1-

Sicherheit zu überprüfen [29]. In den heutigen Verteilnetzen der Mittel- und Niederspannung sind in

der Regel deutlich weniger Möglichkeiten zur Berechnung der Netzzustände gegeben. Einerseits sind

nur wenige bis gar keine Messstellen im Netz installiert, die zeitlich hochauflösende Messwerte be-

reitstellen und damit eine Berechnung des Netzzustands für alle Knoten allein auf Basis von Mess-

werten ermöglichen könnten. Andererseits kommen in den Netzen der Mittel- und Niederspannung

deutlich weniger Aggregationseffekte zum Tragen, die in den höheren Spannungsebenen vergleichs-

weise genauere Prognosen über Last und Einspeisung zulassen. Zum Beispiel liefert die ausschließli-

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

19

che Anwendung von Standardlastprofilen zur Abschätzung der Last kaum ein realistisches Abbild der

realen Lastsituation, wenn man die Verteilnetze der Mittel- und Niederspannung betrachtet. Unter-

suchungen zu den stochastischen Abweichungen der Last in Relation zu den Standardlastprofilen in

einem Niederspannungsnetz finden sich in [30].

Aktuell entsteht durch neue Anwendungsfälle vermehrter Bedarf an einer besseren Berechenbarkeit

der Verteilnetze der Mittel- und Niederspannung auch für betriebliche Zwecke. Im Systemmodell des

„Proaktiven Verteilnetz“ soll der VNB in der Lage sein, zukünftige Engpässe zu erkennen und darauf

basierend Maßnahmen ergreifen können. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer zuverlässigen

Netzzustandsprognose. Damit im Nachgang die erfolgten Maßnahmen und die sich daraus ergeben-

den Netzzustände kontrolliert und nachvollzogen werden können, muss dementsprechend auch eine

Netzzustandsschätzung durchgeführt werden, die auf Basis aktueller Messwerte den augenblickli-

chen Netzzustand berechnet. Die tatsächlichen aufgetretenen Netzzustände können so mit den vor-

her prognostizierten Netzzuständen abgeglichen werden. Die Ergebnisse der Netzzustandsschätzung

werden also auch dazu verwendet, die Güte und Genauigkeit der Netzzustandsprognosen zu bewer-

ten und zu verbessern. Dieser Ablauf ist schematisch in Abbildung 3.2 dargestellt.

Abbildung 3.2: Einbindung von Netzzustandsschätzung und -prognose in den Prozess der Engpassbehebung

Generierung von Modell - und

Pseudomesswerten

Wetter- /Einspeise-

prognosen

Gebaäudedaten

Sozioökonomische

und Umfelddaten

...

Netzzustandsschätzung

Messwerte aus

dem Netz zum

Zeitpunkt t

Netztopologie

Schaltzustände

Aktueller Netzzustand zum Zeitpunkt t

Netzzustandsprognose

Prognost izierter Netzzustand / ggf .

Engpässe zum Zeitpunkt t

Fahrpläne

Abgleich „prognost iziert - real“ / ggf.

Überprüfung der Engpassbehebung

ckk

op

plu

ng

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

20

Da sich, wie zuvor beschrieben, die Basis an verfügbaren Informationen in Verteilnetzen der Mittel-

und Niederspannung gegenüber den Netzen der Hoch- und Höchstspannungsebene stark unter-

scheidet, ergeben sich für die Netzzustandsschätzung und -prognose drei zentrale Herausforderun-

gen, die im „Proaktiven Verteilnetz“ adressiert werden. Erstens wird ein Verfahren zur Messstellen-

positionierung und -optimierung entwickelt und auf das Testgebiet im Projekt angewendet, um eine

ausreichende Messdatenbasis zur Netzzustandsschätzung sicherzustellen. Zweitens werden Modell-

und Pseudomesswerte generiert, die einerseits eine vollständige Datengrundlage zur Berechenbar-

keit der Netzzustandsschätzung zur Verfügung stellen. Andererseits werden die Modellwerte als Ein-

gangsdaten einer Netzzustandsprognose verwendet. Drittens werden Algorithmen zur Netzzustands-

schätzung untersucht, die eine Verbesserung gegenüber bestehenden Verfahren darstellen und ins-

besondere die veränderte Datenlage hinsichtlich Anzahl der Messstellen und Integration von Pseu-

domesswerten berücksichtigt.

Messstellenoptimierung

Für die Kontrolle der zuvor prognostizierten Netzzustände und zur Validierung des Erfolgs der ge-

troffenen Maßnahmen zum Engpassmanagement muss eine zuverlässige Netzzustandsschätzung auf

Basis aktueller Messwerte durchgeführt werden. Im Testgebiet des Projekts steht gemessen an der

Knotenanzahl nur eine geringe Anzahl an Messstellen im Vorhinein zur Verfügung. Daher wird ein

Verfahren zur Positionierung neuer Messstellen entwickelt, auf dessen Basis dann neue bzw. bereits

vorhandene Messtechnik installiert und fernwirktechnisch angebunden werden kann. Da eine voll-

ständige messtechnische Erschließung des Netzes wirtschaftlich nicht sinnvoll ist, sollen Messstellen

möglichst so gezielt ausgewählt werden, dass mit einer geringen Anzahl maximaler Nutzen hinsicht-

lich der Beobachtbarkeit erzielt wird.

Zur Erreichung dieses Ziels wurde im Projekt ein zweistufiges Verfahren eingesetzt. Zunächst wird im

ersten Schritt ein im Rahmen des Projekts entwickeltes, heuristisches Verfahren zur Identifikation

neuralgischer Netzknoten angewendet. Diese neuralgischen Netzknoten sind im Hinblick auf die Auf-

gaben der Netzzustandsschätzung als besonders relevant einzuordnen und deren möglichst genaue

Berechenbarkeit stellt damit eine Zielvorgabe dar. Darauf aufbauend wird im zweiten Schritt ein im

Rahmen des Projekts entwickeltes Optimierungsverfahren durchgeführt, das für die zuvor bestimm-

ten Zielvorgaben die optimalen Messstellen vorschlägt und auch eine Empfehlung bezüglich der zu

messenden Größen (Spannungsbetrag, Knotenwirkleistung, etc.) gibt.

Das heuristische Verfahren integriert Erkenntnisse aus den bisherigen Arbeiten in Forschung und

Entwicklung zur Messstellenpositionierung mit dem Ziel der Netzzustandsschätzung. In dem heuristi-

schen Verfahren wird eine Topologie-Analyse durchgeführt, bei der Knoten identifiziert werden, die

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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ausgewählten, gewichteten Kriterien genügen. So spielen die elektrischen Distanzen (Beispiel „langer

Strang“), der Abstand von Messstellen untereinander oder auch der Vermaschungsgrad eine maß-

gebliche Rolle. Des Weiteren sind Netzknoten von besonderem Interesse, die potentiell hohe Leis-

tungsspitzen aufweisen können oder aber die generelle Leistungsflussrichtung (Last- oder Einspei-

sung) unklar ist. Hauptsächlich werden Ergebnisse aus den Arbeiten [30], [31], [32] und [33] in ge-

wichtete Kriterien überführt. Im Ergebnis des heuristischen Verfahrens steht eine Knotenliste, die mit

einer Priorisierung der Knoten als Zielvorgabe an die Optimierung übergeben werden kann.

Die Optimierung basiert auf einem evolutionären Algorithmus und ist ausführlich in Anhang C be-

schrieben. Als Grundlage für die Optimierung kommt eine Adaptive State-Estimation (ASE) zum Ein-

satz, die den oben beschriebenen Verfahren der Netzzustandsschätzung zuzuordnen ist [34].

Modell- und Pseudomesswerte

Zur Netzzustandsschätzung und -prognose werden im Projekt neben Last- und Einspeiseprognosen

weitere Umfelddaten zur Generierung von Modell- und Pseudomesswerten im Venios Energy Soluti-

on (VES) 1eingebunden. Da in der Mittel- und Niederspannung die Verwendung von Standardlastpro-

filen ohne Aggregationseffekte kein realistisches Abbild liefert, werden vielfältige Informationen aus

unterschiedlichen Datenquellen herangezogen, um detaillierte Last- und Einspeiseprofile bestimmen

zu können. Ein mögliches Beispiel für diese Datenquellen stellen Anlagenstammdaten dar. Diese ent-

halten neben der Anschlussleistung weitere wichtige Informationen, beispielsweise über den geogra-

fischen Standort, den Anlagentyp oder ggf. Steuerungsstrategien und Kennlinien, die bei der Generie-

rung von Modellwerten einen wichtigen Beitrag liefern können. Weiterhin können sozioökonomische

Daten, Gebäude- und Smart-Home-Daten, sowie Wetterdaten zu Modellwerten verarbeitet werden.

Diese können in konsistenter Form als Eingangsdaten für die Netzzustandsprognose bereitgestellt

werden, welche dann die Grundlage der Engpasserkennung ist. Außerdem können diese Modellwer-

te als sogenannte Pseudomesswerte in die Netzzustandsschätzung einfließen, um somit den Ein-

gangsdatensatz zu vervollständigen.

Die erweiterte Modellbildung für die Pseudomesswertgenerierung nutzt die folgenden Datenquellen:

• GIS-Daten/Netztopologiedaten

1 VES, ein Produkt der Venios GmbH, erlaubt die orts- und zeitaufgelöste Analyse von elektrischen Energiesys-

temen. Das Venios System ist dabei auf die massive parallele Verarbeitung verschiedenster Datenquellen und Modelle (Big Data) ausgelegt. Neben der Möglichkeit einer messtechnischen Erfassung des Netzgebietes kön-nen Analysen über lokale Erzeugung und lokalen Verbrauch auch über Modellierungsansätze mittels sekundä-rer Datenquellen generiert werden. Verknüpft mit vorliegenden oder abgeleiteten Informationen zur Topologie und Ausstattung des lokalen Netzes können Lastflüsse modelliert und berechnet, sowie mittels eines Geo-Informations-Systems (GIS) graphisch aufbereitet und bereitgestellt werden.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

22

• Stammdaten der Erzeuger und Verbraucher im Netz

• Daten der Betriebsmittel (Assetmanagement-Daten)

• Messdaten aus dem Netzleitsystem

• Messdaten aus dem Energiedatenbereich (Abrechnungsdaten, Lastprofile, Einspeiseprofile,

„Smart Meter-Daten“)

• Einspeise- und Lastprognosen von Erzeugern und Verbrauchern

• Sozioökonomische Daten der Prosumer im Netz („Geo-Marketing-Daten“)

Es werden verschiedene Ansätze der statistischen Auswertung und des maschinellen Lernens ver-

folgt. Umfangreichere Modellbildung berücksichtigt neben den reinen Zeitinformationen und Trai-

nings-Messungen weitere Eingangsdaten wie externe Umfelddaten (z.B. Temperatur) oder Nahzeit-

messungen. Die Genauigkeit der Ergebnisse derartiger Prognosen liegt im Bereich weniger Prozent.

In Anhang C werden die Verfahren näher ausgeführt.

Algorithmen zur Netzzustandsschätzung

Bedingt durch die Verwendung einer minimalen Messstellenkonfiguration und die Integration von

Pseudomesswerten werden bereits existierende Verfahren zur Netzzustandsschätzung auf ihre An-

wendbarkeit untersucht und außerdem alternative Algorithmen entwickelt, implementiert und be-

wertet. Zur allgemeinen Verbesserung der Schätzgüte wird im Rahmen des Projekts ein Extended-

Kalman-Filter [35] als alternativer Algorithmus zum üblicherweise verwendeten Weighted-Least-

Squares-Ansatz [27] getestet. Der Extended-Kalman-Filter bietet den Vorteil einer schnellen Konver-

genz und einer hohen Schätzgüte, da durch seine rekursive Struktur für die Berechnung eines Zeit-

schritts auf Informationen aus dem vorherigen Zeitschritt zurückgegriffen wird. Durch diese Einbin-

dung zeithistorischer Informationen können Netzzustände präziser geschätzt werden.

Sowohl der Weighted-Least-Squares-Ansatz als auch der Extended-Kalman-Filter gehen von normal-

verteilten Abweichungen in den Mess- und Pseudomesswerten aus. Da diese Annahme aufgrund der

vielfältigen Eingangsdaten für die Pseudomesswertberechnung in einigen Fällen nicht mehr zulässig

ist, wird ebenfalls ein Particle-Filter als alternativer Algorithmus untersucht [36]. Dieser ermöglicht

eine Netzzustandsschätzung bei unterschiedlichen, nicht-normalverteilten Abweichungen in der

Mess- und Pseudomesswerten und kann dazu verwendet werden systematische Fehler in den Ergeb-

nissen der Netzzustandsschätzung zu vermeiden. Damit bietet der Algorithmus eine höhere Robust-

heit, allerdings ist hierbei die Rechenintensität deutlich höher als bei dem Weighted-Least-Squares-

Ansatz oder dem Extended-Kalman-Filter. Exemplarische Untersuchungsergebnisse zu den beiden

Algorithmen im Vergleich finden sich in [37].

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

23

Bei allen drei Algorithmen zur Netzzustandsschätzung kommt dem Thema der „Gewichtung“ eine

besondere Bedeutung zu. Aufgrund der unterschiedlichen Genauigkeit der Eingangsdaten (aktuelle

Messwerte im Netz haben eine höhere Genauigkeit als zuvor beschriebene Pseudomesswerte) muss

dies in den Algorithmen in Form einer Gewichtung berücksichtigt werden. Eine ausführliche Be-

schreibung der Algorithmen findet sich in Anhang C.

3.4. Flexibilitätsabruf über Flexibilitätsliste

Flexibilitätsband für kontrahierte Flexibilitätsoptionen

Wie bereits in Kapitel 2.4 erwähnt, soll die Bereitstellung von lokalen Netzdienstleistungen durch

Flexibilität mittels einer „maximale Gleichzeitigkeit“ erfolgen, da hierbei nicht die Notwendigkeit

entsteht, den einzelnen Flexibilitäten detaillierte Fahrpläne seitens des Netzbetreibers vorzugeben,

die sie zwingend einhalten müssen. Vielmehr dienen die Fahrpläne seitens der Anlagen nur zur Er-

stellung einer verbesserten Prognose beim Netzbetreiber, um mögliche Einschränkungen frühzeitig

zu erkennen und den Markt geeignet zu informieren.

Diese „maximale Gleichzeitigkeit“ kann sowohl für Bezug als auch Einspeisung angegeben werden.

Bezogen auf die Summe der Nennleistungen aller eingebundenen Flexibilitäten kann dies zwischen

0% und 100% liegen. Ein Grenzwert von 0% für Bezugsleistung bewirkt somit, dass jeglicher Bezug

durch Flexibilität einzustellen ist oder durch ebenfalls eingebundene Einspeisung zu substituieren.

Die Gleichzeitigkeit ist somit nicht von jeder einzelnen Flexibilität einzuhalten, sondern lediglich in

der Summe aller Flexibilität.

Die im Projekt gewählte Variante eines Flexibilitätsbands beschreibt somit den für die Flexibilitäten

zulässigen Leistungsbereich zwischen den beiden Gleichzeitigkeitsvorgaben. Da die absoluten Be-

zugsgrößen für die maximale Gleichzeitigkeit auf Einspeise- und Bezugsseite nicht gleich sind, werden

die Grenzen dieses Bandes als absolute Leistungswerte angegeben.

Der Abruf von Flexibilitätsoptionen erfolgt über eine Flexibilitätseinschränkungsliste, die sich aus den

einzelnen Engpasssensitivitäten der Netznutzer und vorhanden Netzrestriktionen ergibt.

Ermittlung von Sensitivitäten

Um dem Anlagenbetreiber bzw. dem Aggregator den Freiheitsgrad zu belassen, welche seiner kon-

trahierten Flexibilitätsoptionen er für eine Bereitstellung netzdienlicher Flexibilität nutzen möchte,

werden Sensitivitäten bei einer Leistungsänderung aller verfügbaren Flexibilitätsoptionen auf die

Engpässe (Strom- und Spannungsbandverletzungen) berechnet. Dabei wird jeweils bestimmt, wie

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

24

stark eine inkrementelle Änderung der Leistung der Flexibilitätsoption die Spannung bzw. den Strom

an der Stelle des Netzengpasses verändert. Die Sensitivitäten können dann durch eine Vergleichslast-

flussberechnung bestimmt werden, in der die Wirkleistungen Pi aller verfügbaren flexiblen Netzak-

teure aus dem kritischen Arbeitspunkt Pi,0 ausgelenkt werden, um die daraus resultierende Änderung

der kritischen Spannungen ∆Uk bzw. Ströme ∆|Iz| berechnen zu können, und vgl. (1), (2).

∆Uk

∆Pi|

Pi,0

=Uk − Uk,0

Pi − Pi,0 (1)

∆|Iz|

∆Pi|

Pi,0

=|Iz| − |Iz,0|

Pi − Pi,0 (2)

Die sich ergebenen Sensitivitäten der Flexibilitätsoptionen auf den Engpass, werden anschließend

genutzt um die Netzrestriktionen zu ermitteln.

Ermittlung von Netzrestriktionen

Netzrestriktionen spiegeln die erforderliche aggregierte Leistungsanpassung zur Engpassbehebung

über alle Flexibilitätsoptionen mit sensitivem Einfluss wider. Die Netzrestriktion kann sowohl die

prognostizierten thermischen Überlastungen von einzelnen Netzbetriebsmitteln (Formel (3)) als auch

prognostizierte Spannungsbandverletzungen (Formel (4)) abbilden.

∑ (∆|𝐼𝑧|

∆𝑃𝑖(𝑃𝑖,𝑛𝑒𝑢 − 𝑃𝑖,0)) ≤ |𝐼𝑧,𝑚𝑎𝑥| − |𝐼𝑧,0|

𝑖𝜖𝑁

(3)

𝑈𝑘,𝑚𝑖𝑛 − 𝑈𝑘,0 ≤ ∑ (∆𝑈𝑘

∆𝑃𝑖(𝑃𝑖,𝑛𝑒𝑢 − 𝑃𝑖,0))

𝑖𝜖𝑁

≤ 𝑈𝑘,𝑚𝑎𝑥 − 𝑈𝑘,0 (4)

Dabei beschreiben Iz,0 bzw. Uk,0 den zur Grenzwertverletzung führenden Strom in dem Zweig z bzw.

die zur Grenzwertverletzung führende Spannung in dem Knoten k im kritischen Arbeitspunkt 0. Um

den kritischen Strom Iz,0 auf Werte unterhalb des maximal zulässigen Betriebsstroms Iz,max zu ver-

ringern bzw. die kritische Spannung Uk,0 auf Werte innerhalb des zulässigen Toleranzbandes zwi-

schen Uk,min und Uk,max zu erhöhen bzw. zu verringern, sind Leistungsanpassungen der ausgewähl-

ten Netzakteure notwendig. Folglich wird für jeden der ausgewählten Netzakteure iϵN eine Anpas-

sung des Wirkleistungsbedarfs Pi,0 im kritischen Arbeitspunkt 0 auf einen angepassten Wirkleistungs-

bedarf Pi,neu gefordert, sodass die Leistungsanpassungen aller Netzakteure multipliziert mit den

zugehörigen Sensitivitäten ∆|Iz|

∆Pi und

∆Uk

∆Pi in Summe die zugrundeliegende Grenzwertverletzung behe-

ben.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

25

Durch die gewählte Abbildung der Netzrestriktionen wird lediglich die aggregierte Wirkleistungsein-

speisung und -ausspeisung aller ausgewählten Netzakteure und nicht die Wirkleistung jeder Anlage

individuell eingeschränkt. Dadurch bleibt der Freiheitsgrad des Abrufes beim Anlagenbetreiber bzw.

Aggregator.

Flex-Einschränkungsliste

Grundsätzlich können Flexibilitäten nur dann netzdienlich genutzt werden, wenn der erforderliche

Netzdienstleistungsbedarf vom Netzbetreiber ermittelt und anschließend an die Marktakteure kom-

muniziert wird. Zentraler Bestandteil des Informationsaustauschs zwischen Netzbetreiber und

Marktakteuren ist die sogenannte Flexibilitätseinschränkungsliste, die auf Basis der im vorherigen

Kapitel eingeführten Netzrestriktionen ermittelt wird.

Im Folgenden wird die Flexibilitätseinschränkungsliste hergeleitet:

Durch Normierung der Gleichungen (3) und (4) auf die betragsmäßig größte Sensitivität (∆|𝐼𝑧|

∆𝑃𝑖)

𝑀𝑎𝑥

bzw. (∆𝑈𝑘

∆𝑃𝑖)

𝑀𝑎𝑥und durch Umstellung der Summanden können die Netzrestriktionen in Gleichungen

(5) bis (6) überführt werden. Aus den Netzrestriktionen in Gleichung (5) bis (6) wird ersichtlich, dass

die mit der normierten Sensitivität gewichteten Wirkleistungseinspeisung und -ausspeisungen der

ausgewählten Netzakteure durch einen maximalen bzw. minimalen Leistungswert 𝑃𝑀𝑖𝑛 und 𝑃𝑀𝑎𝑥

beschränkt werden.

∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

𝑃𝑖,𝑛𝑒𝑢

(∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

𝑖𝜖𝑁

≤≥

∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

𝑃𝑖,0

(∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

𝑖𝜖𝑁

+ |𝐼𝑧,𝑚𝑎𝑥| − |𝐼𝑧,0|

(∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

(5)

𝐸𝑛𝑡𝑠𝑝𝑟𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑖𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙 ≤ dem Wert 𝑃𝑀𝑎𝑥

𝐸𝑛𝑡𝑠𝑝𝑟𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑖𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙 ≥ dem Wert 𝑃𝑀𝑖𝑛

∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

𝑃𝑖,𝑛𝑒𝑢

(∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

𝑖𝜖𝑁

≤≥

∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

𝑃𝑖,0

(∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

𝑖𝜖𝑁

+ 𝑈𝑘,𝑚𝑎𝑥 − 𝑈𝑘,0

(∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

(6)

𝐸𝑛𝑡𝑠𝑝𝑟𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑖𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙 ≤ dem Wert 𝑃𝑀𝑎𝑥

𝐸𝑛𝑡𝑠𝑝𝑟𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑖𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙 ≥ dem Wert 𝑃𝑀𝑖𝑛

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

26

Gleichung (5) und (6) entsprechen einer Netzrestriktion, die bei der Überschreitung des maximalen

Betriebsstroms bzw. der maximalen Betriebsspannung angewendet wird. Gleichung (7) hingegen

wird bei Unterschreitung der minimalen Betriebsspannung angewendet.

∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

𝑃𝑖,0

(∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

𝑖𝜖𝑁

+ 𝑈𝑘,𝑚𝑖𝑛 − 𝑈𝑘,0

(∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

≤≥

∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

𝑃𝑖,𝑛𝑒𝑢

(∆𝑈𝑘∆𝑃𝑖

)𝑀𝑎𝑥

𝑖𝜖𝑁

(7)

𝐸𝑛𝑡𝑠𝑝𝑟𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑖𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙 ≤ dem Wert 𝑃𝑀𝑖𝑛

𝐸𝑛𝑡𝑠𝑝𝑟𝑖𝑐ℎ𝑡 𝑖𝑚 𝐹𝑎𝑙𝑙 ≥ dem Wert 𝑃𝑀𝑎𝑥

Nachdem die Netzrestriktionen in die Zusammenhänge aus Formel (5) bis Formel (7) überführt wur-

den, können diese folglich innerhalb einer Flexibilitätseinschränkungsliste dargestellt werden (siehe

Tabelle 1).

Flexibilitätseinschränkungsliste

Informationen zum Flexibilitäts-Abruf

Problem-ID Netzbetreiber Zeitraum

123456789 Westnetz GmbH 01.02.17 15:15 01.02.17 15:45

Aggregierte Wirkleistungsgrenzen

PMin -999 kW PMmax +112,5 kW

Eingeschränkte Netzakteure

Zählpunkt Norm. Sensitivität Fahrplan

1 1111 0.64 20 kW

2 1112 0.75 35 kW

… … … …

N 1575 1.00 10 kW

Tabelle 1:Flexibilitätseinschränkungsliste

Innerhalb der Flexibilitätseinschränkungsliste wird jede Grenzwertverletzung durch eine Problem-

Identifikations-Nummer sowie durch den Zeitpunkt und die Dauer des Auftretens der Grenzwertver-

letzung eindeutig identifiziert. Darüber hinaus enthält die Flexibilitätseinschränkungsliste die in Glei-

chung (5) bis (6) bestimmten Grenzwerte 𝑃𝑀𝑖𝑛 und 𝑃𝑀𝑎𝑥, durch die die aggregierten gewichteten

Wirkleistungseinspeisungen und -ausspeisungen aller ausgewählten Netzakteure eingeschränkt wer-

den. Zuletzt werden in der Flexibilitätseinschränkungsliste die ausgewählten Netzakteure inklusive

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

27

Zählpunkt, der zugehörigen normierten Sensitivität und dem individuellen Wirkleistungsbedarf im

kritischen Arbeitspunkt aufgeführt.

Diskriminierungsfreie Aufteilung

Sind Flexibilitätsoptionen von verschiedenen Aggregatoren 𝑎∈𝐴 Bestandteil einer Netzrestriktions-

gleichung, wird diese entsprechend der in Abschnitt 2.4 beschriebenen Anforderung an eine diskri-

minierungsfreie Zuteilung der Flexibilitätsabrufe aufgeteilt. Hierzu werden die betreffenden Netz-

restriktionen für Stromgrenzwertverletzungen mittels eines Aufteilungsfaktors 𝑥𝑎 gemäß Gleichung

(8) aufgeteilt.

∑ (∆|𝐼𝑧|

∆𝑃𝑖(𝑃𝑖,𝑛𝑒𝑢 − 𝑃𝑖,0)) ≤ (|𝐼𝑧,𝑚𝑎𝑥| − |𝐼𝑧,0|) ∙ 𝑥𝑎

𝑖𝜖𝑁𝑎

(8)

𝑥𝑎 =(∑

∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

∙ 𝑃𝑖𝐹𝑙𝑒𝑥

𝑖𝜖𝑁𝑎)

(∑∆|𝐼𝑧|∆𝑃𝑖

∙ 𝑃𝑖𝐹𝑙𝑒𝑥

𝑖𝜖𝑁 ) (9)

Der Aufteilungsfaktor ergibt sich dabei anhand der mit den Sensitivitäten gewichteten flexiblen Leis-

tung 𝑃𝑖𝐹𝑙𝑒𝑥 der betroffenen Flexibilitätsoptionen 𝑛∈𝑁𝑎 des Aggregators 𝑎 im Verhältnis zu der mit

den Sensitivitäten gewichteten flexiblen Leistung aller Flexibilitätsoptionen 𝑛∈𝑁 von allen Aggrega-

toren (vgl. Gleichung (9)). Für Verletzungen der Spannungsgrenzwerte erfolgt die Aufteilung analog.

Die so ermittelten und ggf. aufgeteilten Netzrestriktionen gehen schlussendlich als zusätzliche Ne-

benbedingungen in das jeweilige mathematische Optimierungsproblem des Aggregators 𝑎∈𝐴 ein.

Durch diese Nebenbedingungen werden die Freiheitsgrade in der zweiten Vermarktungs- und Ein-

satzsimulation zusätzlich eingeschränkt, so dass der Zielfunktionswert und damit der Deckungsbei-

trag geringer als in der ersten Vermarktungs- und Einsatzsimulation ohne Netzrestriktionen ausfallen.

Die Kosten für das Netzengpassmanagement können dann aus den Differenzen des Deckungsbeitra-

ges jedes einzelnen Akteurs abgeleitet werden

Je nach konkreter Ausgestaltung eines zukünftigen lokalen Flexibilitätsmarktes und der zugehörigen

Prozesse sind auch andere Varianten für eine diskriminierungsfreie Zuteilung der Flexibilitätsabrufe

denkbar, bspw. auf Basis der Kosten der Flexibilitätsbereitstellung.

Missbrauchsanreize und Konzepte zur Verhinderung von Missbrauch

Für den Fall einer „massenmarkt-ähnlichen“ Nutzung von Flexibilität während der gelben Ampelpha-

se im Verteilnetz ergeben sich Anreize für möglichen Missbrauch, der ebenso neue Konzepte für des-

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

28

sen Verhinderung erfordert. Im Rahmen des Projekts wurden daher die folgenden Missbrauchsansät-

ze und ihre möglichen Verhinderungen durchdacht.

Der finanzielle Anreiz zur Bereitstellung von Flexibilität ist intendiert und notwendig, um z.B. die Kos-

ten für die Flexibilisierung von Anlagen gegen zu finanzieren. Ein denkbarer Missbrauch dieses Anrei-

zes ist die Errichtung einer neuen, flexiblen Anlage genau dort, wo häufig Flexibilität benötigt wird,

um möglichst oft als Anbieter von Flexibilität ausgewählt zu werden. Daraus könnten unnötig hohe

Kosten für die Konsumenten der angebotenen Flexibilität entstehen; allerdings wird ein solcher

Missbrauch nicht ohne weiteres möglich sein, da die Lokalität von Netzengpässen für Anlagenbetrei-

ber nicht offensichtlich ist. Eine systematische Auswertung von Flexibilitätslisten könnte allerdings

eine gezieltere Platzierung von Anlagen erlauben; eine natürliche Grenze findet ein solcher Miss-

brauch aber dann, wenn dadurch die Kosten so sehr steigen, dass für den Netzbetreiber der Netz-

ausbau wieder zur günstigeren Option gegenüber der Nutzung von Flexibilität wird.

Da Verträge für die Bereitstellung von Flexibilität befristet abgeschlossen werden, ergibt sich daher

die Möglichkeit, einen Folgevertrag nur unter verbesserten Bedingungen einzugehen. Für den Anla-

genbetreiber würde das bedeuten, im Folgevertrag den Preis für die Bereitstellung von Flexibilität

willkürlich zu erhöhen. Diesem Missbrauchsansatz kann durch das Abschließen möglichst langfristiger

Verträge entgegengewirkt werden. Dabei sollte ggfs. darauf geachtet werden, sinnvolle Service Level

Agreements vertraglich zu vereinbaren, um kalkulierte Nicht-Verfügbarkeiten bzw. ein scheinbares

Anbieten von Flexibilität zu verhindern. Gleiches gilt auch für das Missbrauchspotenzial, Flexibilitäts-

abrufe zwar entgegenzunehmen, den Anlageneinsatz aber nicht tatsächlich anzupassen.

Um die Kalkulierbarkeit von Flexibilitätsverträgen weiter zu erhöhen, kann auch regulatorisch einge-

griffen und eine Vorgabe für Grenzen der Preisgestaltung bei der Bereitstellung von Flexibilität ge-

macht werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Anerkennung von Flexibilitätskosten als dauer-

haft nicht beeinflussbare Kosten das Potenzial bieten kann, verstärkt Flexibilität zu nutzen anstatt

einen langfristig ggfs. wirksameren Netzausbau vorzunehmen. Daher sollte eine geeignete Berück-

sichtigung bei der Kostenanerkennung stattfinden und ggfs. eine zeitliche oder finanzielle Grenze für

die Flexibilitätsnutzung eingeführt werden.

Anlagenbetreiber können sowohl die Auslöser von Netzengpässen sein als auch diejenigen, die ihnen

entgegenwirken. Daher besteht für Anlagenbetreiber ein Missbrauchsanreiz darin, Netzengpässe zu

provozieren, um sich anschließend für deren Lösung durch Nutzung von Flexibilität entlohnen zu

lassen. Dazu müssten Anlagenbetreiber allerdings bewusst falsche Angaben z.B. zur prognostizierten

Einspeisung von Anlagen machen (insofern ihm diese Möglichkeit offen steht, was etwa bei Biogas-

anlagen der Fall ist). Dauerhafte, systematische Diskrepanzen können aber durch einen automatisier-

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

29

ten Abgleich von gemeldeten Fahrplänen und Messwerten der Anlage aufgedeckt und ggfs. mit Ver-

tragsstrafen belegt werden.

3.5. Kommunikations- und Dienste-Plattform (KDP)

Im Folgenden sollen der Bedarf einer Kommunikations- und Diensteplattform (KDP) sowie die Anfor-

derungen an eine solche Plattform dargestellt werden.

Bedarf einer Kommunikations- und Diensteplattform

Durch den massiven Technologiewandel im Rahmen der Energiewende entsteht ein Innovations- und

Wettbewerbsdruck, dem auch durch das Unbundling und dem Aufbrechen monopolartiger Struktu-

ren in aufgetrennte Unternehmen entsprochen wird. Dies führt zu kleinteiligen Aufgaben innovativer

Spezialisten und geänderten Abläufen zwischen den neuen und bestehenden Unternehmen, die

neuerdings in unternehmensübergreifender Kooperation die Gesamtaufgabe des Energiesystems

gemeinsam aufrechterhalten und koordinieren müssen.

Daraus erwächst ein zunehmender unternehmensübergreifender Kooperations- und Kommunikati-

onsbedarf der Unternehmen, die für verschiedene neue Anwendungsfälle neue Lösungen und Abläu-

fe entwickeln, neue spezialisierte Akteure einbinden und entsprechende Informationen austauschen

und Prozesse koordinieren müssen. Dies betrifft nicht nur den Anwendungsfall der „gelben Ampel-

phase“ wie im Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“, sondern auch vielfältige andere Anwendungsfälle

z.B. die BDEW-Kaskade.

Ein entsprechender Bedarf einer Kooperationsplattform hat sich in verschiedenen Diskussionen be-

reits herauskristallisiert, allerdings besteht noch keine Klarheit oder gar Einigkeit, wie eine solche

Plattform konkret aussehen muss. Trotzdem wurde der Bedarf einer solchen Plattform im Projekt

vorausgesetzt und gemäß den Projektanforderungen umgesetzt, siehe Abbildung 3.3. Demnach

übernimmt die Kommunikations- und Diensteplattform mittels anwendungsfallspezifischer Module

die Kommunikation des jeweiligen Unternehmens nach außen mit anderen Unternehmen und kap-

selt auf diese Weise die unternehmensinternen Systeme.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

30

Abbildung 3.3 Darstellung der Kommunikations- und Diensteplattform (KDP)

Auf diese Weise können verschiedene Unternehmen miteinander kooperativ Prozesse umsetzen. Ein

solcher Prozess kann beispielsweise die Unterstützung der gelben Ampelphase sein, die in Abschnitt

3.2 beschrieben ist.

Abbildung 3.4 mögliche Akteure und ihre Teilnahme an kooperativen Ampelphasen und anderen Prozessen über eine KDP und zugehörige Anwendungsmodule

An dem in diesem Projekt erarbeiteten Anwendungsfall der gelben Ampelphase siehe Abbildung 3.4

zeigen sich auch bereits die Konsequenzen und Anforderungen, die für die meisten Anwendungsfälle

einer solchen Kommunikations- und Diensteplattform allgemein gelten und im Nachfolgenden be-

schrieben werden.

Standardisierung der Schnittstellen zwischen den Unternehmen

Die Versendung der Flexibilitätsabrufe an die Aggregatoren und die Akzeptanzrückmeldungen ge-

schehen von einem Netzbetreiber an mehrere Aggregatoren und zurück und umgekehrt kann ein

Aggregator solche Abrufe von mehreren unterschiedlichen Netzbetreibern erhalten, insofern er Fle-

xibilitäten in den Netzen unterschiedlicher Netzbetreiber vorhält, sodass jeder Akteur mit jeweils

mehreren anderen Akteuren der Gegenseite kommunizieren können muss und sich je nach Bedarf

Peer-to-Peer-Kommunikationen ergeben. Dies gilt genauso auch in anderen Anwendungsfällen, so-

dass je nach Bedarf prinzipiell jeder mit jedem kommunizieren könnte.

Prognose-

lieferant

Vertrieb

(VPP)

Markt

MSB

ÜNB

VNB

5, 10: Fahrplan melden 6, 11: Fahrplan weiterleiten

KDP

KDP

KDP

KDP KDP

etabliert

neu

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Es erscheint nicht sinnvoll, dass jeder Akteur dazu mit jedem anderen Akteur jeweils individuell eine

neue Schnittstelle stets für denselben Anwendungsfall von Flexibilitätsabrufen auf andere Art und

Weise entwickelt. Und genauso ist es nicht sinnvoll, dies in anderen Anwendungsfällen, z.B. auch in

Kaskadenprozessen zu tun. Daher müssen hierfür Prozess- und Kommunikationsstandards für derar-

tige unternehmensübergreifenden Kooperations- und Kommunikationsbedarfe geschaffen werden,

um solche Prozesse und Schnittstellen lediglich ein einziges Mal für alle Akteure umzusetzen und für

jeden Kommunikationspartner wiederverwenden zu können.

Ein möglicher Weg besteht also darin, für die neuen Bedarfe zweckdienliche Gremien und Standards

zu schaffen. Nach einer Gestaltung, Umsetzung und Erprobung entsprechender Lösungsansätze für

den jeweiligen Prozess und Anwendungsfall, gilt es entsprechend anschließend, die Lösungswege

(Prozesse und Schnittstellen) einer Standardisierung entgegen zu bringen.

Auf diese Weise können dann gemäß dem Bedarf standardisierte, kooperative Prozesse für ver-

schiedenste Anwendungsfälle zwischen den Unternehmen etabliert werden. So können bspw. auf

einer KDP verschiedene Anwendungsmodule spezifisch für den jeweiligen Anwendungsfall und Ak-

teur z.B. für verschieden Ampelphasen oder auch andere kooperative Prozesse eingerichtet werden.

Vermittlung der Akteure

Da sich die teilnehmenden Netzbetreiber und Aggregatoren täglich ändern können, müssen stets die

aktuell teilnehmenden Akteure bekannt sein bzw. aktualisiert werden bzw. eine dynamische Vermitt-

lung hergestellt werden. Die dynamische Einbindung sich neu ergebender Teilnehmer über eine Art

„Plug & Play“ wäre ohne Standardschnittstellen unter jeweiliger Neuentwicklung spezifischer Schnitt-

stellen und dynamischer Vermittlung undenkbar.

Standardisierung der Schnittstellen zu den internen Systemen

Anhand des umgesetzten Anwendungsfalls der KDP zur gelben Ampelphase zeigen sich also die Kon-

sequenzen und Anforderungen für standardisierte unternehmensübergreifende Kommunikations-

verbindungen zwischen Unternehmen. Genauso zeigen sich auch die Konsequenzen und daraus re-

sultierenden Anforderungen für Kommunikationsverbindungen innerhalb desselben Unternehmens.

Die neuen Funktionalitäten müssen oftmals mit Hilfe von geeigneten Daten aus internen Bestands-

systemen, die nicht über Standardschnittstellen bereit stehen, mühsam umgesetzt werden. Zudem

liegen diese Bestandssysteme in den verschiedenen Unternehmen desselben Akteurstyps nicht im-

mer über dieselben Systeme bereit, sondern befinden sich verteilt in einer Systemlandschaft des

jeweiligen Unternehmens, die in der Regel unterschiedlich gewachsen ist. Entsprechend müssen die

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Bestandssysteme in die neuen Standardprozesse über Adapter eingebunden werden. Die Bestands-

systeme müssen dabei absehbar in verschiedenen Prozessen mehrfach eingebunden werden. Damit

auch die Adapter für verschiedene Prozesse wiederverwendbar werden, sollen auch sie über Schnitt-

stellen zu den neuen Prozessen verfügen, die standardisiert sind.

Sicherheit vor IT-technischem Missbrauch

Selbstverständlich muss auch sichergestellt werden, dass immer nur berechtigte Kommunikations-

partner entsprechende Kommunikationskanäle und Informationen nutzen dürfen,

Ebenso müssen natürlich insbesondere bei Internetkommunikationen ganz besonders Abhören, Ma-

nipulieren und sonstige Störungen unterbunden werden. Zudem muss sichergestellt sein, dass die

Verfügbarkeit einer solchen Plattform den damit umgesetzten Anwendungsfällen entspricht.

Begründung für die Systemvarianten

Für die Umsetzung einer Kommunikations- und Diensteplattform bot sich zu Projektbeginn sowohl

ein zentraler als auch ein dezentraler Plattformansatz an.

Am Beispiel der gelben Ampelphase zeigten sich besondere Herausforderungen, die sich auch abseh-

bar in anderen Anwendungsfällen zeigen werden. Dazu gehört nicht nur der besondere Bedarf der

unternehmensübergreifenden Kooperation, sondern auch, dass

jeweils unternehmensintern eine Vielzahl von Datenquellen miteinander verknüpft werden

müssen,

deren konsistente Verknüpfung, die bis heute nur schwierig zu erreichen ist, spezifische in-

terne Systemkenntnisse erfordert,

diese zudem mit einer bislang unüblich hohen Performance geliefert werden müssen, und

die Daten z.T. auch aus kritischen System stammen und inhaltlich sensibelste Informationen

beinhalten.

So muss bspw. für eine qualitativ hochwertige Netzzustandsprognose ein besonderer Bedarf an zu-

grundeliegenden Daten erfüllt werden, z.B. mit sensibelsten topologischen Informationen aus dem

kritischen Netzleitsystem, Messwerten, Kundendaten etc. Nur so können neuartige Wertschöpfun-

gen durch Synergien in unternehmensübergreifenden Prozessen erreicht werden.

Zentraler Ansatz

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Ein zentraler Ansatz für den Datenaustausch wie z.B. der Central Data Hub (der europäischen Smart

Grid Task Force Expert Group 32) würde für das gesamte deutsche Stromnetz bspw. eine einzige Da-

tenbankinstanz oder wenige Datenbankinstanzen nutzen. Jeder zu beteiligende Akteur müsste all

seine vorgenannten unternehmensinternen Informationen, die z.B. im Projekt im CIM-Cache gebün-

delt werden (siehe Abschnitt 3.6), über zahlreiche Datenschnittstellen von unternehmensintern nach

unternehmensextern in eine solche zu schaffende, zentrale Datenbank vermutlich über Internet-

Verbindungen übermitteln, die mindestens verschlüsselt werden müssten. Dies würde auch kritische

Quellsysteme wie Netzleitsysteme betreffen. Schon die Daten eines einzelnen Akteurs für die gelbe

Ampelphase wären sehr umfangreich und eine solche zentrale Datenbank müsste die Daten aller

beteiligten Akteure umfassen. Dabei würde ein zentraler Ansatz, der universell für alle denkbaren

Anwendungsfälle vorgesehen ist, nicht nur die Daten aller Akteure eines Anwendungsfalles umfas-

sen, wie im Projekt PaVN verfolgt, sondern die Daten aller Akteure von beliebig vielen Anwendungs-

fällen. Eine solche Datenbank würde nicht nur höchst sensible Informationen wie detaillierte Topolo-

gien umfassen, sondern davon auch noch äußerst umfangreiche Bestände aller beteiligten Akteure

und wäre ganz besonders zu schützen. Als Quellen müssten absehbar fast sämtliche Quellsysteme

aller beteiligten Akteure angebunden werden. Dabei müsste die Übertragungsgeschwindigkeit je

nach Anwendungsfall sehr hohen Ansprüchen genügen, nicht nur beim Quellsystem eines jeden Ak-

teurs, sondern zudem auch im zentralen Datenbanksystem.

Eine zentrale Plattform müsste entsprechend skalierbar sein für eine entsprechende Vielzahl von

Anwendungsfällen, Datenflüssen, Datenbeständen, Performance-Anforderungen und ggfs. für Tau-

sende von Akteuren bzw. Mandanten.

Schon die Bereitstellung solcher Informationen an sich erfordert ein extrem hohes Vertrauen aller

Akteure in eine solche zentrale Plattform.

Allerdings sind für die erforderlichen Integrationsarbeiten und vor allem für die konsistente Verknüp-

fung der spezifischen Informationsquellen zusätzlich entsprechende sensibelste interne System-

kenntnisse und Kenntnisse ihrer Zusammenhänge erforderlich, die in der Regel aus Sicherheitsgrün-

den, wirtschaftlichen Erwägungen und anderen Gründen nicht herausgegeben werden.

Änderungen der internen Systemlandschaft würden ggfs. regelmäßig Änderungen in den Integrati-

onsteilen der zentralen Plattform nach sich ziehen und erhöhte unternehmensübergreifende Kom-

plexitäten bei internen Systemänderungen nach sich ziehen.

2 S. auch: https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/xpert_group3_first_year_report.pdf

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Daher erscheint eine zentrale Plattform kaum vereinbar mit solchen Aufgaben mit spezifischen Integ-

rationsarbeiten, die für die jeweiligen spezifischen Informationsquellen stets erforderlich sind.

Dezentraler Ansatz

Stattdessen erscheint es sinnvoller, die spezifischen Integrationsarbeiten vor Ort (on premise) bei

den jeweiligen Akteuren zu belassen und dort bereits auch spezifische informationsaggregierende

Funktionalitäten durchzuführen wie beispielsweise eine Netzzustandsprognose und Engpassbewer-

tung beim Netzbetreiber, ebenso wie die Allokation flexibler Anlagen je nach vorheriger und nachfol-

gend geplanter Nutzung und Kostenbewertung beim Aggregator.

Dann verbleibt ein minimierter Kommunikationsbedarf zwischen den Akteuren, der nicht unbedingt

einer zentralen Kommunikationsplattform bedarf, sondern auch direkt zwischen den Beteiligten Akt-

euren durchgeführt werden kann. Der resultierende minimale Kommunikationsbedarf zur unterneh-

mensübergreifenden Kooperation stellt trotzdem noch ausreichend hohe Anforderungen an eine in

die jeweilige Systemlandschaft des Akteurs integrierte, prozessunterstützende Kommunikations- und

Diensteplattform, wie in diesem Abschnitt angedeutet.

Fazit

Entsprechend wurde im Projekt entschieden, einen dezentralen Ansatz zu verfolgen. Auf diese Weise

können alle Akteure auf freiwilliger Basis an einer gemeinsamen Prozesskoordination teilnehmen,

um gemeinsam beliebige Probleme kooperativ zu lösen.

Eine derartige dezentrale Kommunikations- und Diensteplattform „on-premise“, die nach außen die

unternehmensübergreifende standardisierte Prozesskooperation unterstützt und nach innen hin die

spezifische Integration, bietet nicht nur eine bessere Integrationsfähigkeit für neue Funktionalitäten,

sondern bietet auch eine minimierte Angriffsfläche im Internet, muss nur eine geringere Skalierfähig-

keit beinhalten, die nur mit dem unternehmensübergreifenden Bedarf eines einzigen Akteurs an-

wächst, erfordert wesentlich weniger Vertrauensabgabe bzgl. sensibler Informationen und kritischer

Systemkenntnisse und ist als verteilte Plattform schwieriger im Internet anzugreifen. Trotzdem bleibt

zumindest ein Bedarf für zentrale Unterstützung in den Bereichen, in denen sich die bisherigen Ak-

teure nicht verantwortlich sehen, z.B. um die verfügbaren Kommunikationspartner dynamisch zu

ermitteln (Vermittlung) und die Verfolgung der Prozessverarbeitung bei externen Akteuren (Verfol-

gung), was bislang nicht die Verantwortung eines bestehenden Akteurs ist. Dazu müssten Folgearbei-

ten über das Projekt hinaus erfolgen.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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3.6. Übersicht Systemlandschaft und Schnittstellen

Gemäß Prozessablauf (Abschnitt 3.2) für die gelbe Ampelphase werden neben den bestehenden,

operativen Systemen wie Netzleitsystem und virtuelles Kraftwerk, welche die dezentralen Elemente

steuern, neue vorausschauende, planerische Funktionalitäten, Datenquellen und Kommunikations-

wege benötigt, letztere Kommunikationswege insbesondere zwischen Verteilnetzbetreiber und Be-

treiber des virtuellen Kraftwerks bzw. einem Aggregator, in der Regel ein Energievertrieb (siehe Ab-

bildung 3.5).

Auch ein Aggregator benötigt neue Funktionalität, um die Flexibilitätseinschränkungen, die vom

Netzbetreiber versendet werden, als mathematische Lösungsraumeinschränkungen im Rahmen sei-

ner geplanten Anlagennutzungen zeitlich vor und nach den jeweiligen Engpässen kostenoptimal zu

verteilen. Der Aggregator muss dazu auch seinerseits sensible Kundeninformationen, technische

Informationen und Geschäftsgeheimnisse über Preiskalkulationen etc. zusammenführen, um zu op-

timalen Entscheidungen zu kommen.

Eine erfolgreiche Durchführung der gelben Ampelphase steht und fällt mit einer qualitativ ausrei-

chenden Netzzustandsprognose. Eine entsprechend qualitativ hochwertige Netzzustandsprognose

stellt folglich eine besondere Herausforderung dar und eine solche wiederum stellt hohe Anforde-

rungen an die Datenversorgung, sowohl was den Datenumfang, die Datenkonsistenz bzw. die Daten-

verknüpfung als auch die Performance betrifft. Die Netzzustandsprognose verknüpft also eine Viel-

zahl von Datenquellen, die geeignet ermittelt und verfügbar werden müssen.

Da die Netzzustandsprognose periodisch wiederholt werden soll, sind auch die zugrundeliegenden

Daten periodisch nicht nur zu aktualisieren, sondern auch konsistent zu verknüpfen und performant

auszuliefern. Eine solche Anforderung können die liefernden Quelldatensysteme nicht einfach erfül-

len, daher wird insbesondere auch zu diesem Zweck ein spezialisiertes System eingeführt, dass für

die konsistente Zwischenspeicherung und Verknüpfung sowie eine performante Lieferung dieser

Daten sorgt, solange dies für die jeweiligen Daten erforderlich ist. Dieser Cache liefert die Daten in

einem standardisierten CIM-Datenformat aus und wird daher CIM-Cache genannt.

Eine diskriminierungsfreie Verteilung der Flexibilitätseinschränkungen auf mehrere, verschiedene

Aggregatoren erfordert eine verzahnte Kommunikation zwischen einem Netzbetreiber und mehreren

Aggregatoren und auch umgekehrt zwischen einem Aggregator und mehreren Netzbetreibern, so-

dass beide Akteursseiten mit jeweils mehreren Akteuren der Gegenseite kommunizieren müssen. Für

diese unternehmensübergreifende Prozesskoordination und -kommunikation wurde eine für solche

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Zwecke spezialisierte Kommunikations- und Diensteplattform (KDP) entwickelt.

Abbildung 3.5: Systemlandschaft

Diese neuen Systeme und Funktionalitäten werden in Abbildung 3.5 dargestellt. Die Systemland-

schaft gliedert sich matrixartig in zwei Säulen, die Netzbetreiber und Aggregatoren repräsentieren,

und drei Schichten für die üblichen Netzzonen OT, IT und Internet.

In der unteren OT-Schicht von Netzbetreiber und Aggregator befinden sich die operativen Zentralsys-

teme, also Netzleitsystem und virtuelles Kraftwerk, die die dezentralen Elemente fernsteuern. In der

IT-Schicht oben am Übergang zum Internet befinden sich Kommunikations- und Diensteplattformen,

um die verschiedenen Unternehmen zur unternehmensübergreifenden Prozesskoordination und

Kommunikation zu verbinden.

Insbesondere beim Netzbetreiber werden für die gelbe Ampelphase eine Reihe neuer Funktionalitä-

ten benötigt. Dazu gehört die Netzzustandsprognose, die auch eine Engpassbewertung durchführt.

Bevor die Netzzustandsprognose berechnet werden kann, müssen eine Reihe dazu benötigter Daten,

die bereits in den Quellsystemen vorliegen, ermittelt, konsistent verknüpft und performant an die

Netzzustandsprognose geliefert werden, wozu der CIM-Cache dient. Daher wird zunächst der CIM-

Cache mit den entsprechenden benötigten Daten befüllt, um die Daten dort zu prüfen und zu ver-

knüpfen. Dazu gehören die Schnittstellen:

1: statische Topologie inkl. der Schalter in Normalstellung

Netzbetreiber

NB-KDP

Aggregator

Vertrieb-KDP

Flexi-

bilitäten

Wetter-

prognose

Netzleit-

system MS

virtuelles

Kraftwerk

3 S

ch

alte

rste

llun

ge

n,

6 M

essw

ert

e

CIM-CacheNetzzustands-

prognose

CIM

-Date

nVisualisierung

MS + NS +

manuelle Prüf. 11

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au

bn

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5

11

c F

ah

rplä

ne

NS Mess-

werte

10 8

PrognosenTopologieSchalt-

anträge

4 71

historische

Messwerte

2

14b Engpässe, Sensitivitäten

Engpass-

ermittlung

Engpass-

behandlungFlexabruf

11b Fahrpläne, 16a Flexabrufe, 17b Rückmeldungen

12 Engpässe, Sensitivitäten

15 Engpässe, Sensitivitäten 18 Rückmeldung

9 W

ett

erm

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ert

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16

b F

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17

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OT

IT

Internet

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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2: Anlagenstammdaten und deren Flexibilitäten

3: die dynamische Topologie anhand der aktuellen Schalterstellungen aus dem Netzleitsys-

tem

4: die zukünftige Topologie anhand der zukünftigen Schalterstellungen gemäß zukünftig ge-

planter Schalterstellungen (Schaltanträge)

6: aktuelle Messwerte der Mittelspannung aus dem Netzleitsystem

7: aktuelle Messwerte der Niederspannung

10: Prognosen der Anlagen

11: Fahrpläne der flexiblen Anlagen

Zusätzlich verwertet die Netzzustandsprognose ggfs. weitere Daten, die nicht im CIM-Cache enthal-

ten sind, z.B.

5: historische Messwerte, um die Prognose anzulernen

9: aktuelle Wettermesswerte und

8: Wetterprognosen

Nachdem die Netzzustandsprognose berechnet wurde, werden die als Engpass bewerteten Netzzu-

stände sowie die wirksam zur Verfügung stehenden Flexibilitäten dem Netzführer visualisiert, sodass

er entscheiden kann, ob eine Engpassbehandlung sinnvoll möglich ist (Schnittstelle 14b).

Wenn der Netzführer sein Einverständnis signalisiert (Schnittstelle 12 und 14a), leitet die Engpasser-

mittlung einen Auftrag zur Engpassbehandlung weiter (Schnittstelle 15) und anschließend werden

dort die abzurufenden Flexibilitäten diskriminierungsfrei von der Engpassbehandlung an die teilneh-

menden Aggregatoren versendet (Schnittstelle 16a), die daraufhin verpflichtet sind, eine Akzeptanz

zurückzumelden (Schnittstelle 17b). Falls der Aggregator seine Verpflichtung vorhersehbar nicht er-

füllen kann, z.B. weil Anlagen ausgefallen sind, meldet er dies dabei entsprechend auch zurück.

Damit der Aggregator seine Akzeptanz prüfen kann, leitet das Modul Flexabruf innerhalb der Ver-

trieb-KDP die Flexibilitätsabrufe an das virtuelle Kraftwerk weiter (Schnittstelle 16b), damit dort eine

entsprechende Akzeptanz geprüft und zurückgemeldet werden kann (Schnittstelle 17a).

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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3.7. Abgeleitete Anwendungsfälle

In den folgenden Abschnitten werden die im Projektkontext an der gelben Ampelphase beteiligten

Systeme und ihre Verbindungen in Form formalisierter Anwendungsfälle beschrieben, die als Grund-

lage benötigt werden, um den beschriebenen Prozess einer gelben Ampelphase zu realisieren, wie

sie in diesem Bericht dargestellt wird. Dies dient zum einen dazu, die beteiligten Akteure und ihr Zu-

sammenwirken zum besseren Verständnis übersichtsartig darzustellen, und soll zum anderen eine

gewisse Vergleichbarkeit der Prozesse und Konzepte zu anderen Projekten, die im Kontext des Eng-

passmanagements bzw. der gelben Ampelphase aktiv sind bzw. später aktiv sein werden, ermögli-

chen.

Wie in Abschnitt 3.5 dargestellt, soll im Projekt eine Kommunikations- und Diensteplattform (KDP)

entwickelt werden, welche das Angebot der Flexibilitäten verwalten und eine diskriminierungsfreie

Aufteilung des Flexibilitätsbedarfs sicherstellen soll. Um den abstrakten Prozessablauf aus Abbildung

3.1 zu konkretisieren, wurden ein High-Level-Anwendungsfall sowie drei darunterliegende Anwen-

dungsfälle für die Abläufe identifiziert, die alle auf abstrakter Ebene beschrieben wurden, um ein

gemeinsames Strukturverständnis der Abläufe zu schaffen. Im Folgenden wird nur der High-Level-

Anwendungsfall (engl. High Level Use Case, kurz HLUC) dargestellt; die darunterliegenden Anwen-

dungsfälle finden sich im Anhang.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Abbildung 3.6: Business-Case-Übersicht

Unter Beachtung des Geschäftsziels sicherer Netzbetrieb ergibt sich der Geschäftsfall (Business Case)

Flexibilitäten nutzen auf Seiten des Verteilnetzbetreibers. Dieser steht in vertraglicher Bindung mit

dem Geschäftsfall Flexibilitäten bereitstellen aus Sicht der Vertriebe mit dem Geschäftsziel Energie-

kosten optimieren. Diese Seite ist nicht im Projektrahmen enthalten sondern es wird nur die Sicht

der Flexibilitätsnutzung betrachtet. Insbesondere stellt sich als Umsetzung des Geschäftsfalls der

High-Level-Anwendungsfall Abruf von Flexibilitäten (HLUC01) heraus, welcher die Hauptabläufe des

Projekts beschreibt. Dieser wiederum wird in drei unterliegende Anwendungsfälle aufgeteilt, welche

die entsprechenden Schritte weiter detaillieren.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Abbildung 3.7: Übersicht des High-Level-Anwendungsfalls (engl. High-Level Use Case, kurz: HUC)

Eine erste Skizze für die Abläufe des HLUC wurde wie in Abbildung 3.8entwickelt und diente als

Grundlage für die weiteren Unterteilungen. Insbesondere auch die dortigen Bezeichnungen VNB,

KDP(s) und Vertrieb(e) stehen nur für abstrakte Akteure und werden in den detaillierteren Anwen-

dungsfällen spezifischer aufgeteilt.

uc High Lev el Use Case Ov erv iew

High Level Use Case Overview

(from HLUC01 Abruf

von Flexibil itäten)

«High Level Us...

HLUC01 Abruf v on

Flexibilitäten

(from BC01

Flexibil itäten nutzen)

BC01 Flexibilitäten

nutzen

(from UC01)

«Primary Use C...

UC01

(from UC02)

«Primary Use C...

UC02

(from UC03)

«Primary Use C...

UC03

«invokes»

«invokes»«invokes»«invokes»

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Abbildung 3.8: Ablauf des High-Level-Anwendungsfalls

Dieser abstrakte Ablauf wird in drei Schritte unterteilt, aus denen jeweils ein Anwendungsfall zur

genaueren Beschreibung entsteht.

Der Anwendungsfall UC01 kümmert sich um die Netzzustandsschätzung, die periodisch aus-

geführt wird, und den Übergang zu den entsprechenden Ampelphasen je nach auslösenden

Ereignissen. In einem akuten Verdachtsfall kann eine Netzzustandsschätzung auch außer-

planmäßig von der Netzführung angeordnet werden. Bei Feststellung eines Netzengpasses,

der nicht mit eigenen Mitteln behoben werden kann, wird zunächst die gelbe Ampelphase

eingeleitet, die im nächsten Anwendungsfall behandelt wird.

Im Anwendungsfall UC02 ist die gelbe Ampelphase aktiviert und es wird eine Auflistung und

eine diskriminierungsfreie Aufteilung der vorhandenen Flexibilitäten der Vertriebe vorge-

nommen (siehe Abschnitt 3.4) um den vorliegenden Netzengpass zu beheben. Dabei müssen

die technischen Sensibilitäten der einzelnen angebotenen Flexibilitäten mit einberechnet

werden.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Der Anwendungsfall UC03 beschäftigt sich mit der Übermittlung der im vorigen Schritt be-

rechneten Aufteilung an die Vertriebe und deren Rückmeldung über die entsprechenden

Umsetzbarkeiten. Danach müssen eventuell noch Umverteilungen vorgenommen werden.

Falls diese logisch nicht mehr möglich sind, wird die rote Ampelphase ausgerufen. Ansonsten

wird die Aufteilung noch einmal auf Konsistenz und Erfüllung der Engpassbehebung über-

prüft und bei keinen Beanstandungen zur Ausführung freigegeben.

Eine detaillierte Darstellung der Anwendungsfälle UC01 bis UC03 findet sich im Anhang D – Use

Cases.

High-Level-Anwendungsfall HLUC01

Der High-Level-Anwendungsfall bildet das Grundgerüst für den Ablauf der Anwendungsfälle und be-

schreibt das grobe Vorgehen in abstrakter Sicht. In diesem Abschnitt wird eine Kurzbeschreibung, die

aus dem Anwendungsfalltemplate IEC 62559 entnommen ist, und entsprechende Ablauf- und Se-

quenzdiagramme vorgestellt.

Kurzbeschreibung

Eine Aufgabe im Projekt ist die Bereitstellung einer Netzzustandsschätzung für MS und NS zur infor-

mierten Entscheidung, ob Flexibilitäten gezogen werden müssen. Ein Engpass im Netz kann ggf.

durch einen Flexibilitätsabruf behoben werden. Dazu sendet der VNB Flexibilitätsabrufe an die KDPs,

welche von verschiedenen Vertrieben genutzt werden. Anlagen stehen in vertraglicher Bindung mit

je einem Vertrieb sowie dem abrufenden VNB und stellen die Flexibilitäten zur Verfügung.

Dieser Anwendungsfall dient der konzeptuellen Entwicklung eines Verfahrens zur Engpassbehebung

mittels Flexibilitäten und zeigt die Integration der Komponenten in einer Gesamtlösung für die Netz-

führung.

Beteiligte Akteure

Der High-Level-Anwendungsfall HLUC01 dient einer abstrakten Sicht und seine Akteure stehen als

Platzhalter für die feiner ausdefinierten und unterteilten Akteure der weiterführenden Anwendungs-

fälle. Sie werden mit den folgenden Bezeichnungen und Kurzbeschreibungen

VNB führt Netzzustandsschätzung durch

erkennt Engpass im Netz

o lokale Eingrenzung

o zeitliche Eingrenzung

o "Richtung"/Höhe des Engpasses

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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prüft, ob Flexibilitätsabruf den Engpass beheben kann

fordert Flexibilitätsabruf von Vertrieben über die mit ihm ver-

bundenen KDP(s) an

KDP Kommunikations- und Diensteplattform

verschiedene Vertriebe könnten eine KDP zusammen benutzen

Vertrieb Synonym für: Lieferant, Aggregator, Virtuelles-Kraftwerks-

Betreiber, Vermarktungsgesellschaft

mehrere Vertriebe können gemeinsam eine KDP benutzen

mehrere verschiedene Anlagen können Vertrag mit gleichem

Vertrieb haben

Optimierung innerhalb eines Vertriebs über Abruf einzelner Ab-

fragen

Entscheidung, welche Flexibilität gezogen wird, liegt beim Ver-

trieb (unter Berücksichtigung lokaler Verfügbarkeit)

versehen und beschreiben die Position, an der die entsprechende Aktion stattfindet. So sind bei-

spielsweise verschiedene beim VNB eingeordnete Module für die dort ausgeführten Ereignisse zu-

ständig und ebenso sind die Aktivitäten, welche hier bei der KDP einsortiert sind, später auf mehrere

genauer beschriebene Entitäten verteilt.

Ausgetauschte Informationen

Da in diesem High-Level-Anwendungsfall HLUC01 nur die übergeordnete Struktur beschrieben wird,

werden noch keine Details der ausgetauschten Informationen angegeben. Wie in dem Sequenzdia-

gramm in Abbildung 3.9 zu erkennen, erstellt der VNB ein Leistungsband, welches er an die KDP sen-

det. Diese teilt es auf die Vertriebe auf, welche wiederum eine Anlagenauswahl treffen und diese

zurückmelden. Diese abstrakten Objekte werden in den im Anhang detailliert aufbereiteten Anwen-

dungsfällen der einzelnen Schritte genauer aufgeteilt und dort definiert und beschrieben.

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BEREITSTELLUNG VON LOKALEN NETZDIENSTLEISTUNGEN

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Abbildung 3.9: Sequenzdiagramm zu HLUC01

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

45

4. Demonstration und Feldtestergebnisse

4.1. Allgemeine Informationen zu den Feldtests

Im Projekt wurden die erarbeiteten Lösungen im Rahmen eines realen Feldtests einschließlich einer

Simulation umgesetzt, um die Praxistauglichkeit anhand definierter Netzszenarien zu validieren. Im

Feldtest wurde der gesamte Prozess der gelben Ampelphase unter Einbindung realer Kundenanlagen

für eine Demoregion nahe der Umspannanlage Lengerich (Ems) in Niedersachsen durchgeführt. Da

einige Systeme aufgrund der hohen Komplexität im Rahmen des Projektes nicht entwickelt und real

eingebunden werden können, wird der Feldtest simulativ begleitet, um die Tests zu reproduzieren

und um Zukunftsszenarien zu erweitern.

Ziele des Feldtests

Die Zielstellung des Feldtestes umfasst die nachfolgend aufgeführten Punkte:

Test der einzelnen Systeme

Netzzustandsprognose

Optimierte Messstellenkonfiguration

Kommunikations- & Diensteplattform (KDP)

Ansteuerung realer Anlagen über die gesamte Kette eines Flexibilitätsabrufs in der gelben

Phase

Praxistauglichkeit des gesamten Konzepts in einem definierten Netzabschnitt

Validierung des erarbeiteten Gesamtprozesses zur Realisierung der gelben Ampelphase

Umsetzung bzw. Demonstration der gelben Ampelphase in verschiedenen Netzszenarien

Validierung und bei Bedarf iterative Verbesserung der Netzzustandsschätzung

Validierung des Kommunikationskonzeptes

Ermittlung von konzeptionellen Verbesserungsbedarfen

Vorstellung des Netzgebietes

Zur Durchführung des Feldtests wurde das Netzgebiet im Umkreis der Gemeinde Lengerich (Emsland)

ausgewählt. Das Gebiet wird von der Umspannanlage Lengerich (Ems) versorgt und ist dadurch cha-

rakterisiert, dass insbesondere mittelspannungsseitig bereits eine hohe Anzahl an dezentralen Ein-

speisern an das Netz angeschlossen ist. Dies sind insbesondere diverse Photovoltaikanlagen mit einer

installierten Leistung von jeweils bis zu 1 MW und Biogasanlagen mit einer installierten Leistung von

jeweils bis zu 1,2 MW, die regenerative Energie in das Netz einspeisen. Die an das Netz angeschlos-

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

46

senen Verbraucher haben im Verhältnis zu der Einspeisung eine geringe Leistung. Hierdurch wird in

den überwiegenden Zeiträumen Strom aus dem Netzgebiet exportiert. Folglich ist in dieser Region

nur noch in sehr wenigen Stunden im Jahr ein Netto-Strombezug zu messen. Aufgrund der ländlichen

Strukturen mit geringem Stromverbrauch in Verbindung mit der schwankenden Einspeisung aus den

Photovoltaikanlagen wird das Netz in Spitzenzeiten vereinzelt stark von den Erzeugungsspitzen belas-

tet. Aus diesem Grund waren in der nahen Vergangenheit bereits diverse Netzausbaumaßnahmen

notwendig, damit der Strom aus den dezentralen Erzeugungsanlagen aufgenommen und über die

Umspannanlage ein andere Regionen transportiert werden kann.

Abbildung 4.1: Netzgebiet der UA Lengerich

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

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Im Feldtest wurden insbesondere die beiden am stärksten durch Einspeisung belasteten Mittelspan-

nungsabgänge betrachtet, die u.a. die Gemeinden Lengerich, Gersten und Bawinkel versorgen. Hier-

für konnten neun angeschlossene Kunden akquiriert werden, darunter acht Kunden mit regenerati-

ven Einspeisern und ein Industriekunde. Die regenerativen Einspeiser unterteilen sich in fünf Photo-

voltaikanlagen mit einer installierten Leistung von insgesamt rund 2 MW und fünf Biogasanlagen mit

einer installierten Leistung von insgesamt rund 2,2 MW. Der Industriekunde betreibt zwei Produkti-

onslinien, von denen eine Produktionslinie flexibel zugeschaltet werden kann, um eine zusätzliche

Last von ca. 0,5 MW aus dem Netz zu beziehen. Daneben kann der Industriekunde durch gezieltes

Abschalten eines KWK-Systems eine um zusätzlich 0,8 MW höhere Leistung aus dem Netz beziehen

und in dieser Zeit seinen Gasbezug entsprechend reduzieren.

Berücksichtigte Flexibilitätsoptionen

Die folgenden Flexibilitätsoptionen kamen im Feldtest zum Einsatz:

Photovoltaikanlagen: Die teilnehmenden Photovoltaikanlagen konnten im Feldtestzeitraum

gezielt heruntergeregelt werden, um das Stromnetz temporär zu entlasten. Die hierdurch ent-

gangene Einspeisevergütung war zu entschädigen. Die nicht eingespeisten Energiemengen wur-

den auf Basis der Messwerte eines zentral installierten PV-Loggers kalkuliert und zur Abrech-

nung gebracht.

Biogasanlagen: Die teilnehmenden Biogasanlagen speisen i.d.R. mit einer konstanten Leistung in

das Mittelspannungsnetz ein und konnten im Feldtestzeitraum gezielt herunter geregelt wer-

den, um das Stromnetz temporär zu entlasten. Die hierdurch entgangene Einspeisevergütung

war zu entschädigen. Die nicht eingespeisten Energiemengen wurden durch Fortschreibung des

letzten Viertelstundenwertes von dem Zeitpunkt der Abregelung bis zum Erreichen des ur-

sprünglichen Zustandes kalkuliert und zur Abrechnung gebracht.

KWK-Anlage: Die teilnehmende KWK-Anlage konnte im Feldtestzeitraum gezielt herunter gere-

gelt werden, um das Stromnetz temporär zu entlasten. Die hierdurch entstandenen erhöhten

Strombezugskosten aus dem öffentlichen Netz unter Berücksichtigung der Wirkungsgradverluste

waren zu entschädigen.

Industriekunde: Der teilnehmende Industriekunde konnte seine Last gezielt in Zeiträume ver-

schieben, in denen eine Erhöhung der Last für das Stromnetz „hilfreich“ war. Sofern hierdurch

die Jahreshöchstlast erhöht wurde, sind die erhöhten Netzentgelte zu entschädigen.

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

48

4.2. Ablauf der Demonstration

Grundsätzlich unterteilte sich die Demonstrationsphase in zwei Testphasen. In der ersten Phase, der

Phase der Integrationstests (01.06.17-15.12.17), wurde der Feldtest ohne eine direkte Ansteuerung

der teilnehmenden Anlagen durchgeführt. Das gesamte System war in dieser Phase lauffähig und

wurde entsprechend getestet. Es wurden sämtliche Test Cases (siehe unten) getestet, lediglich die

finale Ansteuerung der teilnehmenden Anlagen wurde in dieser Phase nicht durchgeführt. Zudem

wurden Fehler an Schnittstellen behoben, sodass das System lauffähig wurde. Durch die Komplexität

des Systems und die diversen Schnittstellen verzögerte sich der Abschluss dieser Phase entgegen

ursprünglicher Pläne bis in den Dezember 2017. In der Phase zwei wurde das gesamte System ein-

schließlich der Ansteuerung der Kundenanlagen an insgesamt 15 mit den Kunden abgestimmten

Feldtesttagen getestet.

In der Demonstration wurden im Rahmen des Projektes insgesamt fünf Netzszenarien definiert, in

denen Grenzwerte von Netzbetriebsmitteln einzeln oder kombiniert manipuliert wurden, sodass das

Netz simulativ schwächer gerechnet wurde. Hierdurch konnte simulativ eine Grenzwertverletzung

erzeugt werden, die anschließend durch gezielte Ansteuerung der Kundenanlagen wieder behoben

werden konnte. Jeder der Test Cases wurde an drei unterschiedlichen Tagen erprobt, um Ergebnisse

zu reproduzieren und bei verschiedenen Wetterlagen zu bewerten. Außerdem wurden fünf System-

szenarien definiert, um das Verhalten des Gesamtsystems zu testen und zu untersuchen. Die System-

und Netzszenarien sind nachfolgend beschrieben.

Systemszenarien

Folgende Systemszenarien wurden im Rahmen der Feldtestphase definiert:

1. Engpasserkennung und Engpass zurücknehmen

Durch das Manipulieren von Grenzwerten soll geprüft werden, ob das Verletzen der Grenzwer-

te erkannt wird und entsprechende Engpässe detektiert und gemeldet werden.

2. Vermeidung neuer Engpässe

In diesem Szenario soll geprüft werden, ob durch die Definition der Ober- und Untergrenzen

für die Flexibilitäten sichergestellt wird, dass durch die Ansteuerung der Flexibilitäten keine

Engpässe in der Gegenrichtung erzeugt werden. Theoretisch wäre es denkbar, dass durch eine

zu hohe Lastzuschaltung zwar der Engpass in Einspeiserichtung vermieden wird, allerdings ein

neuer Engpass in Lastrichtung hervorgerufen wird.

3. Genauigkeit der Netzzustandsprognose im Normalfall

Innerhalb des Systemszenarios „Genauigkeit Netzzustandsprognose im Normalfall“ soll über-

prüft und ausgewertet werden, wie genau die Netzzustandsprognose die Netzbelastung vor-

hersagen kann.

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

49

4. Keine Rückmeldung durch Vermarkter

Sofern ein Flexibilitätsabruf nicht beantwortet wird, soll das System automatisch in die „rote

Phase“ übergehen, da der Flexibilitätsabruf nicht durch das Nutzen der Flexibilitätsoptionen

gelöst werden kann.

5. Rückmeldung durch Netzführer erfolgt erst nach 30 min

Sofern ein Flexibilitätsabruf erst nach 30 min beantwortet wird, soll das System automatisch in

die „rote Phase“ übergehen, da der Flexibilitätsabruf nicht durch das Nutzen der Flexibilitäts-

optionen gelöst werden kann.

Netzszenarien

Folgende Netzszenarien wurden im Rahmen der Feldtestphase definiert:

1. Spannungsproblematik (+)

Durch die Einspeisung von Strom aus den EE-Anlagen steigt die Spannung insbesondere am

Ende der Mittel- und Niederspannungsstränge an, was zu einer Grenzwertverletzung führen

kann.

Um diesen Fall nachzustellen wurde die zulässige obere Spannungsgrenze an spezifischen

Netzknoten auf einen Wert < 110 % reduziert. Der Grenzwert wurde basierend auf Prognosen

am Vortag des Feldtesttages festgelegt, um in Abhängig von der Wettersituation eine Grenz-

wertverletzung für den Feldtesttag zu provozieren.

2. Spannungsproblematik (-)

Sofern keine oder nur eine geringe Einspeisung aus EE-Anlagen zur Verfügung steht und gleich-

zeitig ein hoher Stromverbrauch stattfindet, sinkt die Spannung insbesondere am Ende der

Mittel- und Niederspannungsstränge deutlich ab, was zu einer Grenzwertverletzung führen

kann.

Um diesen Fall nachzustellen wurde die zulässige untere Spannungsgrenze für gezielte Netz-

knoten auf einen angemessenen Wert > 90 % erhöht. Der Grenzwert wurde basierend auf

Prognosen am Vortag des Feldtesttages festgelegt, um in Abhängig von der Wettersituation

eine Grenzwertverletzung für den Feldtesttag zu provozieren.

3. Überlast durch Einspeisung

Durch die Einspeisung von Strom aus EE-Anlagen kann es neben einer Erhöhung der Spannung

auch zu einer Überlastung von Betriebsmitteln kommen.

Um diesen Fall nachzustellen wurde die zulässige Belastungsgrenze für bestimmte Mittelspan-

nungskabel auf einen angemessenen Wert < 100 % reduziert. Der Grenzwert wurde basierend

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

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auf Prognosen am Vortag des Feldtesttages festgelegt um in Abhängig von der Wettersituation

eine Grenzwertverletzung für den Feldtesttag zu provozieren.

4. Überlast durch Last

Sofern keine oder nur eine geringe Einspeisung aus EE-Anlagen zur Verfügung steht und gleich-

zeitig ein hoher Stromverbrauch stattfindet kann es neben einem Absinken der Spannung auch

zu einer Überlastung von Betriebsmitteln kommen.

Um diesen Fall nachzustellen wurde die zulässige Belastungsgrenze für bestimmte Mittelspan-

nungskabel auf einen angemessenen Wert < 100 % reduziert. Der Grenzwert wurde basierend

auf Prognosen am Vortag des Feldtesttages festgelegt um in Abhängig von der Wettersituation

eine Grenzwertverletzung für den Feldtesttag zu provozieren.

5. Überlast und Spannungsproblematik

Als eine Kombination aus den Test Cases 1-4 wurde sowohl die Obere Spannungsgrenze für

den gesamten Mittelspannungsabgang und die unterlagerten Niederspannungsnetze auf einen

angemessenen Wert < 110 % verringert als auch die untere Spannungsgrenze auf einen ange-

messenen Wert > 90 %, sowie außerdem die Belastungsgrenze für bestimmte Mittelspan-

nungskabel auf einen angemessenen Wert < 100 % reduziert. Die Grenzwerte wurden basie-

rend auf Prognosen am Vortag des Feldtesttages festgelegt um in Abhängig von der Wettersi-

tuation eine Grenzwertverletzung für den Feldtesttag zu provozieren.

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

51

4.3. Ablauf der Feldtests

Im Rahmen des Feldtests wurde jeweils am Vortag des eigentlichen Testtages die Prognose für den

Folgetag betrachtet. Sofern Engpässe für den Testtag prognostiziert wurden, wurden entsprechende

Fahrplananpassungen vorgenommen.

Hierzu wird, wie in Abbildung 4.2dargestellt, während des gesamt Feldtestzeitraumes kontinuierlich

die Netzzustandsprognose (NZP) durchgeführt. Um beim Feldtest die verschiedenen Netzszenarien

testen zu können, wurden zunächst die Netzzustandsprognose betrachtet und die Grenzwerte für die

Leitungsbelastung sowie die Spannungsgrenzen manipuliert. Die manipulierten Grenzwerte wurden

dabei derart festgelegt, dass die zu betrachtenden Netzszenarien provoziert werden.

Nachdem die Grenzwerte eingestellt wurden und die Berechnung erneut durchgelaufen ist, wurden

die detektierten Engpässe im „PAVN-Dashboard“ visualisiert. In diesem Dashboard hat der Netzbe-

treiber die Möglichkeit, die Engpässe zu bestätigen und eine Behebung der Engpässe durch die Nut-

zung der Flexibilitäten entsprechend einzuleiten. Durch diesen Zwischenschritt konnten innerhalb

des Feldtestes gezielt einzelne Engpässe betrachtet werden, ohne direkt alle Engpässe bearbeiten zu

müssen. Bei einer zukünftigen Implementierung des Konzeptes wäre es denkbar, diesen Prozess-

schritt zu automatisieren.

Nach der manuellen Bestätigung wurde ein Flexabruf aus der NZP über die KDP an die entsprechen-

den Vertriebe ausgegeben. Im Rahmen des Feldtests wurde ein einzelner Vertrieb durch ein Excel-

basiertes „VPP-Tool“ simuliert. Über das VPP-Tool - dem simulierten Vertrieb - werden im Feldtest

manuell die Fahrpläne der einzelnen Anlagen gemäß den Vorgaben aus dem Flexabruf angepasst und

über die KDP zurück an die NZP gesendet. Nach der Anpassung der Fahrpläne werden diese in der

NZP berücksichtigt. Im Rahmen des Feldtests wurden die Anlagen an den Testtagen durch die Netz-

führung des Netzbetreibers angesteuert. Im Zielkonzept soll die Ansteuerung allerdings durch die

jeweiligen Vertriebe erfolgen.

ID Aufgabe Element Vortag Testtag

1 Netzzustandsprognose NZP

2 Grenzwerte für Testszenarien manipulieren NZP

3 Netzengpassberechnung NZP

4 Bestätigung Engpässe Dashboard

5 Erzeugung und Weitergabe Flexabruf NZP, KDP

6 Beantwortung Flexabruf VPP-Tool

7 NZS berücksichtigt angepasste Fahrpläne

8 Optional: Wiederholung der Schritte 4-6 bei ge-änderter Prognose

9 Ansteuerung der Anlagen Netzführung

Abbildung 4.2 Ablauf Feldtesttag

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

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4.4. Ergebnisse der Feldtests

Grundsätzlich wurden innerhalb der Feldtestphase sowohl verschiedene Systemszenarien als auch

verschiedene Netzszenarien untersucht. Die jeweiligen Szenarien wurden mehrfach an unterschiedli-

chen Testtagen durchgespielt und konnten sich je nach vorherrschender u.a. wetterabhängiger Last-

und Einspeisesituation entsprechend gut oder schlecht beobachten lassen. Nachfolgend werden aus-

zugsweise die Ergebnisse einzelner Feldtesttage dargestellt und mit Blick auf die jeweiligen Testsze-

narien bewertet. Hierzu werden zunächst die Ergebnisse der Systemszenarien und anschließend die

Ergebnisse der Netzszenarien vorgestellt.

Systemszenarien

1. Engpasserkennung und Engpass zurücknehmen

Wie in Abbildung 4.3 dargestellt, wurde zum Test der Engpasserkennung der Grenzwert für die Span-

nung für den 23.11.2017 an einem Knoten auf 101,2 % gesetzt.

Abbildung 4.3 Festlegung von Grenzwerten

Da die Spannung lt. Prognose in der Zeit von 13:30 Uhr bis 14:30 Uhr oberhalb der eingestellten

Spannungsgrenze lag, wurden entsprechende Engpässe erkannt und im PAVN-Dashboard visualisiert

(siehe Abbildung 4.4).

Abbildung 4.4 Engpässe werden erkannt und PAVN Dashboard visualisiert

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

53

Außerdem konnte getestet werden, dass ein Engpass automatisch zurückgenommen wird, so-

fern dieser nicht mehr existiert. Im Feldtestzeitraum wurden bspw. Engpässe zurückgenom-

men, sofern sich die Prognose aufgrund aktualisierter Inputdaten aktualisiert hat und die Eng-

pässe nach der neuen Prognose nicht mehr bestehen.

Es konnte somit erfolgreich getestet werden, dass Engpässe automatisch erkannt und zurück-

genommen werden.

2. Vermeidung neuer Engpässe

Das Systemszenario „Vermeidung neuer Engpässe“ wurde an zwei ausgewählten Testtagen ge-

testet. Hierzu wurde der Grenzwert für die Belastung einer Leitung auf 34 A gelegt. Hierdurch

wurden für die Leitung Belastungsengpässe in Einspeiserichtung festgestellt. Gemäß Flexibili-

tätsabrufe musste der Leistungssaldo der Anlagen, welche auf den Engpass einwirken, von

+1650 KW auf eine Leistung zwischen -430 kW und +670 kW angepasst werden, um den Eng-

pass zu beheben.

Bei einer Anpassung der Fahrpläne in den zulässigen Bereich konnte beobachtet werden, dass

die Engpässe behoben werden konnten. Sofern die Leistung der Anlagen manuell auf unter -

430 kW reduziert wurde (außerhalb des zulässigen Bereiches), konnte festgestellt werden,

dass hierdurch ein neuer Engpass in Gegenrichtung entstanden ist.

Es konnte somit erfolgreich getestet werden, dass durch die beiden berechneten Leistungs-

grenzen sowohl der Engpass behoben werden konnte, als auch ein neuer Engpass in die Ge-

genrichtung vermieden werden konnte.

Der gleiche Test wurde am 15.12.17 für das Netzszenario „Überspannung durch Einspeisung“

wiederholt. Hierbei wurde festgestellt, dass Engpässe in Gegenrichtung nicht vermieden wer-

den konnten. Die derzeitige Berechnungsmethodik arbeitet aus Gründen der Effizienz mit einer

Linearisierung der Abhängigkeiten deren Genauigkeit besonders bei der Spannung stark last-

abhängig ist.

In nachfolgenden Projekten wird empfohlen eine komplexere Abhängigkeitsfunktion, mit

Nachteilen in der Berechnungseffizienz, oder eine optimierte Wahl des wahrscheinlichsten Ar-

beitspunktes zu treffen. Des Weiteren wird empfohlen die hierarchische Problemschachtelung

zu optimieren, da die Spannungseinflüsse immer den gesamten Netzbereich umfassen, im Ge-

gensatz zu Strom- oder Leistung.

3. Genauigkeit NZP im Normalfall

Die Genauigkeit der NZP für die Netzszenarien wird nachfolgend beschrieben und untersucht.

Es wird gezeigt, in welchen Fällen Abweichungen zwischen den NZP-Ergebnissen und den tat-

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

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sächlich aufgetretenen Messwerten durch äußere Einflussfaktoren oder lokale Gegebenheiten

erklärt werden können und wie sich dies in den statistischen Kenngrößen niederschlägt. Auf

Basis dieser Untersuchungen können Erkenntnisse zur künftigen Verbesserung von Modell-

und Pseudomesswertgenerierung und NZP-Algorithmen gewonnen werden.

Als mögliche Einflussfaktoren auf die Entstehung von Abweichungen können angenommen

werden:

- Testtag: da der Modell- und Pseudomesswertgenerierung, wie in Anhang C beschrie-

ben, lernfähige Algorithmen zugrunde liegen, ist eine tendenzielle Verbesserung der

Genauigkeit der NZP im Laufe der Demonstration zu erwarten,

- Tageszeit: da die Tageszeit Einfluss auf die Variabilität der Last und der Einspeisung

hat (insbesondere Photovoltaik-Einspeisung) ist ein Einfluss der Tageszeit auf die Ge-

nauigkeit der NZP vorstellbar,

- Wetterlage: die Wetterlage ist ein treibender Faktor für das dezentrale Einspeisever-

halten und übt damit ggf. auch einen Einfluss auf die Genauigkeit der NZP aus.

Zur Auswertung der Genauigkeit werden die folgenden statistischen Kenngrößen herangezo-

gen:

- minimale und maximale Abweichung,

- arithmetischer Mittelwert und Median der Abweichung,

- Standardabweichung,

- mittlere Abweichung vom Durchschnitt,

- Varianz.

Diese ermöglichen eine strukturierte Bewertung der aufgetretenen Abweichungen der NZP-

Ergebnisse. Zum einen ist es so möglich, systematische Abweichungen zu erkennen und zu be-

schreiben. Zum anderen kann aber auch festgestellt werden, inwiefern welche Einflussfaktoren

beispielsweise die Streuung und damit die Unsicherheit in Bezug auf die Abweichung vergrö-

ßern. Des Weiteren werden die Häufigkeitsverteilungen der aufgetretenen Abweichungen zwi-

schen NZP-Ergebnissen und Messwerten mit angenäherten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktio-

nen dargestellt. Diese verdeutlichen einerseits, dass die Annahme normalverteilter Abwei-

chungen bei der Anwendung von Modell- und Pseudomesswerten in den meisten Fällen nicht

gültig ist, andererseits können die angenäherten Parameter der Wahrscheinlichkeitsdichte-

funktionen für die zukünftige Modellbildung und damit die Verbesserung von Modell- und

Pseudomesswertgenerierung genutzt werden.

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

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Eine Analyse der im Feldtest beobachteten NZP-Genauigkeit erfolgt im Anschluss an die Aus-

wertungen der Netzszenarien und der Prognosegüte.

4. Keine Rückmeldung durch Vermarkter / Rückmeldung durch Vermarkter erst nach 30 min

Am 12.10.17 wurden 3 Engpässe im PAVN Dashboard manuell auf „in Arbeit“ gesetzt, sodass

Flexabrufe erzeugt wurden. Zwei dieser Engpässe wurden innerhalb des VPP-Tools ordnungs-

gemäß bearbeitet, sodass der Status dieser Engpässe sich nach Bearbeitung automatisch auf

„erledigt“ setzt. Der dritte Engpass wurde im VPP-Tool nicht bearbeitet. Nach ca. 30 Minuten

hat sich der Status dieses Engpasses automatisch wieder auf „nicht erledigt“ geändert. Erwar-

tungsgemäß wurde somit nach einer Bearbeitungszeit von ca. 30 min signalisiert, dass der

Engpass nicht durch die Nutzung von Flexibilitäten behoben werden konnte.

Netzszenarien

Die Auswertung der Netzszenarien erfolgt getrennt in drei Abschnitten. Im ersten Abschnitt werden

nur die Engpassprognose und die durchgeführte Fahrplananpassung betrachtet. In diesem Abschnitt

wird besonders das Lösen von Engpässen auf Basis der Fahrpläne der Netzzustandsschätzung be-

schrieben. Im zweiten Abschnitt wird gezeigt, wie die einzelnen Anlagentypen auf die Abregelung

durch die Netzführung reagiert haben. Im letzten Abschnitt werden die Prognosen der betrachteten

Netzabschnitte mit den realen Messwerten verglichen. Da die einzelnen Feldtests nicht immer zur

gleichen Uhrzeit stattgefunden haben, sind in den folgenden Diagrammen teils unterschiedliche Zeit-

abschnitte dargestellt. Der Fokus der Darstellungen liegt somit auf dem Zeitraum der Engpassbe-

handlung.

Engpassprognose und Fahrplananpassung

Im folgenden Abschnitt werden jeweils die prognostizierten Fahrpläne mit den prognostizierten

Fahrplänen nach der Beantwortung eines Flexabrufs für die verschiedenen Feldtestszenarien vergli-

chen. Die Fahrpläne werden am Vortag vor dem eigentlichen Feldtesttag einmal ohne Fahrplanan-

passung und einmal mit Fahrplananpassung berechnet. In den folgenden Diagrammen entspricht die

blaue Kurve der Prognose ohne Fahrplananpassung, die grüne Kurve der Prognose mit Fahrplanan-

passung und die rote Kurve stellt den festgelegten Grenzwert für den betrachteten Netzpunkt dar.

1. Spannungsproblematik (+)

Das Szenario der Überspannung durch Einspeisung ließ sich im Feldtest erfolgreich lösen. In

der neu berechneten Netzzustandsschätzung liegt der Spannungswert nicht mehr über dem

gesetzten oberen Spannungsgrenzwert von 106,5%. Allerdings wurde der Spannungswert

durch die Netzzustandsschätzung um bis zu ca. 1,5 % stärker eingeschränkt als eigentlich er-

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forderlich. Die Systematik zur Berechnung der Grenzen für die Flexibilitäten ist im Spannungs-

szenario nicht gut geeignet. Sofern die Grenzen für die Flexibilitäten beachtet werden, wird die

Spannung deutlich stärker abgesenkt, als erforderlich. Im Szenario Überspannung durch Ein-

speisung kann durch die Grenzen der Flexibilitäten außerdem nicht sichergestellt werden, dass

ein Engpass in entgegengesetzter Richtung vermieden wird.

Abbildung 4.5 Engpass Spannungsüberschreitung

2. Spannungsproblematik (-)

In dem betrachteten Netzgebiet herrschen ein großer Erzeugungsüberschuss und nur ein ge-

ringer Lastbezug. Der Lastbezug war im Feldtestzeitraum derart gering, dass sich das Szenario

Unterspannung nicht sinnvoll nachbilden ließ. Aus diesem Grund konnte dieses Szenario im

Feldtest nicht getestet werden.

3. Überlast durch Einspeisung

Das Szenario Überlast durch Einspeisung konnte im Feldtest an verschiedenen Tagen erfolg-

reich getestet werden. An dem oben dargestellten beispielhaften Tag hat die Netzzustands-

schätzung zwischen 10 Uhr und 16 Uhr eine Verletzung des festgelegten 80A-Grenzwertes

prognostiziert. Die Verletzung des Grenzwertes wird durch einen Erzeugungsüberschuss im

Abgang 1 hervorgerufen. Durch die Ansteuerung einzelner Flexibilitäten konnte der Engpass

größtenteils behoben werden. Allerdings wurde der festgelegte Grenzwert besonders gegen

13 Uhr für einen längeren Zeitraum überschritten, da die Menge an abgeregelter Flexleistung

nicht ausreichend war. Bei einer realen Überlastung hätte in diesem Fall das Netzsicherheits-

management eingegriffen. Da es sich hier nur um künstlich erzeugte Szenarien und nicht um

tatsächliche Engpässe gehandelt hat, musste das Netzsicherheitsmanagement im Feldtest al-

105

106

107

108

U in % Spannungsknoten

Spannungsgrenze NZP Vortag NZP nach Anpassung

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lerdings nicht eingreifen. An anderen Feldtesttagen, an welchen der Grenzwerte weniger stark

überschritten wurde, konnte die Einhaltung des Grenzwertes erreicht werden, sowie eine

übermäßige Nutzung der Flexibilitäten, oder das Erzeugen eines Engpasses in Gegenrichtung

vermieden werden.

Abbildung 4.6 Engpass Überlast durch Einspeisung

4. Überlast durch Last

Zur Nachbildung des Szenarios Überlast durch Last wurde eine KWK-Anlage in dem betrachte-

ten Zeitraum gezielt heruntergeregelt und die flexible Last wurde bereits in der Prognose be-

rücksichtigt. Hierdurch wurde ca. für den Zeitraum 8 Uhr bis 11 Uhr ein Engpass auf einem Mit-

telspannungskabel in Lastrichtung prognostiziert. Indem die flexible Last dann zeitlich verscho-

ben wurde, konnte der Engpass beseitigt werden. Da dieses Szenario in dem betrachteten

Netzgebiet nur durch eine gezielte Anpassung der Anlagenfahrpläne provoziert werden konn-

te, wurde dieses Szenario nur an einem Feldtesttag betrachtet.

50

70

90

110

I in A

Abgang 1

Grenzwert NZP Vortag NZP nach Anpassung

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58

Abbildung 4.7 Engpass Überlast durch Last

5. Überlast und Spannungsproblematik

Das Szenario Überlast und Spannungsproblematik sollte im Rahmen des Feldtests zeigen, dass

zwei gleichzeitig in einem Abgang auftretende Probleme durch die Ansteuerung entsprechen-

der Flexibilitäten ebenfalls gelöst werden können. In dem entwickelten Gesamtsystem können

Überlast- und Spannungsengpässe allerdings nur getrennt voneinander beantwortet werden,

auch wenn diese physikalisch zusammenhängen. Die übergroße Reduktion der Leitungsbelas-

tung in der nachfolgenden Abbildung ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die Anlagen nicht

stufenlos regeln können. (nur 100% 60 %,30 % und0 %). Da sich die Engpässe auch zeitlich

überschnitten haben, mussten die Überlast –und Spannungsengpässe nacheinander bearbeitet

werden. Da sich die Anpassung der Fahrpläne bspw. für das Überlastszenario ebenfalls auf die

Spannungsengpässe auswirkt (und umgekehrt), ließ sich die Gesamtheit aller prognostizierten

Engpässe nur iterativ lösen.

8

10

12

14

16

I in A

MS-Kabel

Grenzwert NZP Vortag NZP nach Anpassung

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

59

Abbildung 4.8 Engpass durch Überlast und Spannungsproblematik

Fahrpläne und Ansteuerung der Flexibilitäten

Für eine technisch sinnvolle und wirtschaftlich günstige Behebung von Netzengpässen ist es unerläss-

lich, dass die Flexibilitäten für das richtige Zeitfenster und die geforderte Leistung abgeregelt werden.

Daher wird in diesem Abschnitt gezeigt, wie die einzelnen Anlagentypen auf geforderte Abregelun-

gen reagiert haben. Hierzu werden volatile Einspeiser, konstante Einspeiser und Lasten getrennt

voneinander betrachtet.

Volatile Einspeiser

Während des Feldtests wurden verschiedene PV-Anlagen in ihrer Einspeiseleistung zur Behebung von

Engpasssituationen gedrosselt. Die Abregelung der Anlagen erfolgte zuverlässig und zeitlich genau.

Dadurch konnten PV-Anlagen als sehr zuverlässige Flexibilitäten identifiziert werden. Die Fahrpläne

der Anlagen ließen sich über Solareinstrahlungsprognosen gut prognostizieren. Da die PV-Anlagen

allerdings über kein Speichervermögen verfügen, besteht lediglich die Möglichkeit diese gezielt in

netzkritischen Situationen abzuregeln, wobei die abgeregelte Energie in der Folge nicht mehr genutzt

werden kann. Die nachfolgenden Abbildungen zeigen zum einen die tatsächlichen Leistungsmesswer-

te (Abbildung 4.9) zum anderen die prognostizierten Lastgänge der angesteuerten PV-Anlagen

(Abbildung 4.10). Hier wird die Abregelung der Anlagen zwischen 11:00 Uhr und 15:30 Uhr deutlich.

80

85

90

95

100

105

I in A Abgang 1

Grenzwert NZP Vortag NZP nach Anpassung

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

60

Abbildung 4.9 Messwerte PV-Anlagen eines Feldtesttages

Abbildung 4.10 Prognosewerte der PV-Anlagen eines Feldtesttages (inkl. Abregelung)

Konstante Einspeiser

Als konstante Einspeiser wurden im Feldtest sowohl Biogas-Anlagen als auch KWK-Anlagen einge-

setzt. Die KWK-Anlagen konnten messtechnisch nicht separat erfasst werden, da diese mit mehreren

Verbrauchern an einem Netzpunkt angeschlossen sind. Eine Betrachtung zu den KWK-Anlagen findet

sich im nächsten Abschnitt zu den Lasten im Feldtest.

Grundsätzlich zeigte sich in den Messwerten (Abbildung 4.11), dass die betrachteten Biogasanlagen

außerhalb der Zeiten mit Ansteuerung (10-13 Uhr; 16-18Uhr), mit einer konstanten Leistung in das

Netz einspeisen, sodass sich deren Fahrpläne gut prognostizieren ließen (vgl. Abbildung 4.11mit Ab-

bildung 4.12). In den meisten Fällen konnte außerdem eine zuverlässige Reaktion auf die Ansteue-

rung der einzelnen Biogas-Anlagen festgestellt werden. Wie in Abbildung 4.11 dargestellt, reagierten

die Anlagen vereinzelt jedoch verzögert oder ließen sich wie die Anlage Bio-Flex 4 vereinzelt über-

0

20

40

60

80P in kW

Messwerte PV

PV-Flex1 PV-Flex2 PV-Flex3

0

20

40

60

80P in kW Prognose (inkl. Abregelung)

PV-Flex1 PV-Flex2 PV-Flex3

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

61

haupt nicht ansteuern. Der Grund für die oben dargestellte fehlerhafte Reaktion der Einzelanlage ließ

sich im Nachgang nicht eindeutig feststellen. Mögliche Gründe können Störungen in der kommunika-

tiven Anbindung über Mobilfunk sein, sowie Fehler in der Anlagentechnik.

Abbildung 4.11 Messwerte Biogas-Anlagen eines Feldtesttages

Abbildung 4.12 Prognose Biogas-Anlagen eines Feldtesttages (inkl. Ansteuerung von ca. 13-15 Uhr)

Lasten

Die im Feldtest ansteuerbare flexible Last und KWK-Anlage wurden messtechnisch an einem gemein-

samen Knotenpunkt, an welchem weitere Lasten angebunden sind, erfasst. In Abbildung 4.13 ist ei-

nerseits der tatsächliche Messwert des Industriekunden als Saldo aus KWK-Anlage und Lasten darge-

stellt (positiv: Einspeisung, negativ: Last), außerdem sind die Sollwerte für den flexiblen Anteil der

Last und der KWK-Anlage dargestellt. Demnach sollte die Einspeiseleistung der KWK-Anlage von ca.

08 Uhr bis ca. 12 Uhr heruntergeregelt und die flexible Last von ca. 11 Uhr bis ca. 12 Uhr zugeschaltet

werden. Da in den verfügbaren Messwerten nur der Saldo aller Lasten und der KWK-Anlage des In-

dustriekunden ersichtlich wird ist nicht zweifelsfrei erkennbar, ob die Anlagen die Ansteuerung kor-

0

100

200

300

400

500

600P in kW Messwerte Biogas

Bio-Flex3 Bio-Flex4 Bio-Flex5

0

100

200

300

400

500

600P in kW Prognose Biogas

Bio-Flex3 Bio-Flex4 Bio-Flex5

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62

rekt umgesetzt haben. Aus den Messwerten könnte man vermuten, dass der insgesamt erhöhte

Lastbezug von ca. 08 Uhr bis ca. 12 Uhr auf die herunter Regelung der KWK-Anlage, sowie die Last-

spitze von 11-12 Uhr auf eine Zuschaltung der flexiblen Last zurückzuführen ist. Ob tatsächlich die

gewünschte Fahrweise umgesetzt wurde, konnte aufgrund der Durchmischung der KWK-Anlage, der

Flexible Last und der sonstigen Last in dem zur Verfügung stehenden Messwert nicht zweifelsfrei

nachgewiesen werden.

Des Weiteren ließ sich das starke Rauschen der wenigen aber verhältnismäßig großen Lasten nur

sehr schwer prognostizieren, was bei dem Lastgang von Industriekunden mit einem kontinuierlichen

Produktionsprozess ggf. anders zu erwarten gewesen wäre. Die Schwierigkeit in der Prognose der

verhältnismäßig großen Lasten wirkt sich grundsätzlich negativ auf die Prognostizierbarkeit der Netz-

belastungen aus.

Abbildung 4.13 Mess- und Sollwerte Industriekunden

Betrachtung der Prognosegüte

In diesem Abschnitt werden die Prognosen der Netzzustandsschätzung mit den realen Messwerten

aus dem Netzgebiet für die im Projekt betrachteten Leitungsabschnitte und Feldtestzeiträume vergli-

chen.

Während des Feldtests haben sich zwischen Prognose und Messwerten teilweise große Differenzen

ergeben. Durch die Verschiebung des Zeitfensters für den Feldtest in den Winter waren die Leitungs-

auslastungen generell niedriger, weshalb auch kleinere absolute Fehler bei der Prognose stärker ins

Gewicht fallen.

-1200

-800

-400

0

400

800

P in kW Mess- und Sollwerte Industriekunden

Messwert Industriekunden Sollwert KWK-Flex-1 Sollwert Last-Flex1

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63

. In Abbildung 4.14 wird ersichtlich, dass der prognostizierte Strom teilweise bis zu 4-mal so hoch

ausfällt, wie der gemessene Strom (12 Uhr). An anderen Feldtesttagen kommt es teilweise zu noch

deutlich größeren Abweichungen zwischen Prognose und tatsächlichem Messwert, wie beispielhaft

für einen weiteren Feldtesttag in Abbildung 4.15 dargestellt ist, bei dem der prognostizierte Wert um

11 Uhr bspw. das 6-fache des Messwertes entspricht.

Die Ansteuerung der Anlagen wird jeweils am Vortag basierend auf der Prognose festgelegt. Sofern

die Netzbelastung, anders als prognostiziert, dennoch geringer ausfällt, existiert kein Mechanismus

wonach der Fahrplan der Anlagen erneut angepasst wird. Wie an dem Testtag in Abbildung 4.14 zu

sehen ist, kann dieses Konzept bei einer Abweichung zwischen Prognose und tatsächliche Netzbelas-

tung dazu führen, dass Anlagenfahrpläne angepasst werden, obwohl das Netz ohne die Ansteuerung

der Anlagen tatsächlich gar nicht überlastet worden wäre.

Hierbei wird sehr gut deutlich, dass eine hohe Prognosegüte für eine effiziente Nutzung der Flexibili-

täten elementar ist. Die hier beobachtete Prognosegüte ist entsprechend deutlich verbesserungs-

würdig.

Abbildung 4.14 Vergleich Messwert und Prognose für den Fall Überlast durch Einspeisung

0

5

10

15

20

25

30

0

25

50

75

100

Auslastung in % I in A Abgang 1

NZP Vortag NZP nach AnpassungMesswert ohne Ansteuerung MesswertGrenzwert

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64

Abbildung 4.15 Vergleich Messwert und Prognose für den Fall Überlast durch Einspeisung

Im Fall Überspannung durch Einspeisung zeigen sich in Abbildung 4.16 ebenfalls deutliche Abwei-

chungen zwischen Prognose und gemessenen Werten. Der tatsächlich erzielte Effekt durch die An-

steuerung ließ sich für dieses Szenario im Gegensatz zu dem Szenario Überlast nicht rechnerisch er-

mitteln.

Abbildung 4.16 Vergleich Prognose und Messwert für den Fall Überspannung durch Einspeisung

In Abbildung 4.17 sind die Spannungsverläufe eines kombinierten Sonderfalls dargestellt, bei dem

zwei verschiedene Engpässe im gleichen Abgang aufgetreten sind. Es zeigt sich, dass es mit dem Kon-

zept theoretisch möglich ist, mehrere Engpässe gleichzeitig zu lösen. Ein Einfluss der Leistungsabre-

gelung auf den Messwert der Spannung ist in diesem Fall ebenfalls nicht erkennbar, bzw. nicht rech-

nerisch abbildbar.

0

5

10

15

20

25

0

25

50

75

100Auslastung in % I in A

Abgang 1

NZP Vortag NZP nach Anpassung

Messwert ohne Abregelung Messwert

98

100

102

104

106

108

U in % Spannungsknoten

Grenzwert NZP Vortag NZP nach Anpassung Messwert

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65

Abbildung 4.17 Vergleich Messwert und Prognose für den kombinierten Fall Überspannung und Überlast

durch Einspeisung

Auswertung Genauigkeit NZP im Normalfall

In diesem Abschnitt werden die Auswertungen zur NZP-Genauigkeit am Beispiel eines Netzknoten

mit angeschlossenem Kunden im Detail aufgezeigt und eine kurze Zusammenfassung für alle weite-

ren Testtage gegeben. Die detaillierten Informationen zu den weiteren Testtagen finden sich im An-

hang C. Bei den hier beispielhaft dargestellten Auswertungen handelt es sich um „Überlast durch

Einspeisung“-Netzszenarien, welche jeweils einen Flexibilitätsabruf pro Tag enthalten. Es werden,

wie zuvor beschrieben, die Einflussfaktoren „Testtag“, „Tageszeit“ und „Wetterlage“ zur Bewertung

herangezogen.

Nachfolgend sind in Tabelle 2 die nach Datum des Testtags sortierten Ergebnisse der statistischen

Kennzahlen dargestellt, wobei die zugrunde liegenden Daten den vorherigen Abschnitten entspre-

chen. Eine positive Abweichung entspricht dabei einer Überschätzung des tatsächlich aufgetretenen

Wertes, in diesem Fall dem berechneten und dem gemessenem Strom in Ampere. Es wird deutlich,

dass im Verlauf der vier untersuchten Testtage eine Tendenz der Verbesserung der NZP-Ergebnisse

erkennbar ist, wenn der arithmetische Mittelwert der Abweichung betrachtet wird. Ebenso nimmt

die Streuung der Ergebnisse, gemessen an der Entwicklung der Standardabweichung, kontinuierlich

ab.

98

102

106

110

U in % Spannungsknoten

Grenzwert NZP Vortag NZP nach Anpassung Messwert

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66

Tabelle 2: Relative Abweichung der NZP-Ergebnisse gegenüber den Messwerten in Prozent nach Datum

Gesamt 04.12.2017 05.12.2017 09.01.2018 11.01.2018

Minimale Abweichung 0,45 21,99 15,06 9,83 0,45

Maximale Abweichung 255,65 255,65 161,21 93,18 138,78

Mittelwert (arithm.) 65,21 76,58 74,04 60,65 50,04

Median 61,22 67,95 71,53 60,02 51,34

Standardabweichung 27,73 39,58 23,31 14,90 18,07

Mittlere Abweichung 17,99 26,72 17,01 10,56 11,60

Varianz 769,18 1566,26 543,58 222,11 326,57

In Abbildung 4.18 folgt die grafische Darstellung der Häufigkeitsverteilung der Abweichungen der

NZP-Ergebnisse gegenüber den Messwerten gemeinsam mit den angenäherten Wahrscheinlichkeits-

dichtefunktionen. Es zeigt sich eine Asymmetrie in der Häufigkeitsverteilung, weshalb als angenäher-

te Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen auch entsprechend asymmetrische Funktionen gefunden

wurden und keine Normalverteilung.

Abbildung 4.18: Häufigkeit der beobachteten relativen Abweichung von NZP-Ergebnissen gegenüber den Messwerten für alle Tage mit approximierten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen

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Eine detailliere Darstellung in Bezug auf die einzelnen Testtage ist in Abbildung 4.19 gegeben.

(a) 04.12.2017 (b) 05.12.2017

(c) 09.01.2018 (d) 11.01.2018

Abbildung 4.19: Häufigkeit der beobachteten relativen Abweichung von NZP-Ergebnissen gegenüber den

Messwerten nach Datum mit approximierten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen

Es zeigt sich, dass der Mittelwert der Häufigkeitsverteilung zwar für alle Testtage in etwa der gleichen

Größenordnung entspricht, dass aber die Schiefe der angenäherten Wahrscheinlichkeitsdichtfunktio-

nen deutliche Unterschiede aufweist. So kann die Verteilung (a) am 04.12.2017 als rechtsschief klas-

sifiziert werden, während für (c) am 09.01.2018 eher linksschief ist. Eine mögliche Erklärung für die-

sen tagesspezifischen Unterschied könnte sein, dass zwischen den einzelnen Testtagen eine Anpas-

sung bei der Dimensionierung des Flexibilitätsabrufs vorgenommen wurde.

Zur Untersuchung des Einflusses der Tageszeit werden in Tabelle 3 die Abweichungen nach der Ta-

geszeit, aufgeteilt in je 4-Stunden-Blöcke, dargestellt.

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Tabelle 3: Relative Abweichung der NZP-Ergebnisse gegenüber den Messwerten in Prozent nach Tageszeit

00:00-04:00

04:00-08:00

08:00-12:00

12:00-16:00

16:00-20:00

20:00-00:00

Minimale Abweichung 40,45 42,92 15,06 0,45 53,23 39,50

Maximale Abwei-chung 102,43 133,06 89,64 203,39 255,65 118,54

Mittelwert (arithm.) 62,16 65,92 55,90 59,82 84,69 61,99

Median 56,81 59,59 58,68 64,23 72,40 56,93

Standardabweichung 17,60 19,62 15,84 36,62 37,20 17,81

Mittlere Abweichung 14,32 15,08 12,98 25,24 24,42 13,65

Varianz 309,69 384,82 250,75 1341,18 1383,58 317,20

Es lässt sich feststellen, dass in dem Zeitfenster 08:00 – 12:00 Uhr, bezogen auf den Mittelwert der

Abweichungen, die geringsten Abweichungen auftreten, wobei selbst diese mit 59,82 % insgesamt

als kritisch für die Prognosegüte zu bewerten sind. Weiterhin ist mit Blick auf die minimalen und ma-

ximalen Abweichungen erkennbar, dass diese zu ähnlichen Zeiten auftreten (hier 12:00 – 16:00 Uhr

für die minimale und 16:00 – 20:00 Uhr für die maximale Abweichung). Dementsprechend sind die

Standardabweichung und damit auch die Streuung für diese Zeitfenster auch am größten. Folglich

ergibt sich in diesen Zeitfenstern in der Netzzustandsprognose eine besonders stark ausgeprägte

Unsicherheit für die Berechnungsergebnisse, weshalb diese für künftige Untersuchungen im Fokus

der Verbesserung stehen sollten. In Abbildung 4.20 sind die zugehörigen Häufigkeitsverteilungen

dargestellt.

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(a) 00:00 - 04:00 Uhr (b) 04:00 - 08:00 Uhr

(c) 08:00 - 12:00 Uhr (d) 12:00 - 16:00 Uhr

(e) 16:00 - 20:00 Uhr (f) 20:00 - 00:00 Uhr

Abbildung 4.20: Häufigkeit der beobachteten relativen Abweichung von NZP-Ergebnissen gegenüber den

Messwerten nach Uhrzeit mit approximierten Wahrscheinlichkeitsdichtefunktionen

Bei der Betrachtung der Häufigkeitsverteilungen nach Tageszeit fällt auf, dass diese grundsätzlich

eine Rechtsschiefe aufweisen. Das bedeutet, dass neben Abweichungen nahe dem Mittelwert auch

größere Ausreißer vornehmlich in eine Richtung bestehen. Diese treten verstärkt in den Zeitblöcken

00:00 – 04:00 Uhr, 04:00 – 08:00 Uhr, 16:00 – 20:00 Uhr und 20:00 – 24:00 Uhr. Dieses Phänomen

könnte gegebenenfalls dadurch erklärt werden, dass die eigentliche, unbekannte zugehörige Dichte-

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70

funktion bimodal bzw. multimodal ist und daher zwei unterschiedliche Ursachen der Entstehung der

Abweichungen in den Beobachtungen im Messdatensatz zugrunde liegen.

Als weiterer möglicher Einflussfaktor wurde ebenfalls das Wetter identifiziert, da aber für alle Testta-

ge ähnliche Wetterbedingungen gemäß Tabelle 4vorlagen, ist in diesem Fall eine Zuordnung der

Messabweichungen in Abhängigkeit des Wetters kaum möglich.

Tabelle 4: Ausprägung der Wetterlagen für die Testtage nach Datum

04.12.2017 05.12.2017 09.01.2018 11.01.2018

Temperatur 4 - 8° 6 - 8° -1 - 3° 3 - 7°

Niederschlag etwas Nieder-

schlag kaum Nieder-

schlag kein Niederschlag kein Niederschlag

Sonnenstunden weniger als 1 keine weniger als 1 weniger als 1

Für künftige Untersuchungen leitet sich aus dieser Erkenntnis der Bedarf ab, entsprechende Testtage

besser auf die zu untersuchenden Einflussfaktoren abzustimmen, was in diesem Fall bedeutet hätte,

eine saisonübergreifende Verteilung der Testtage vorzusehen. Eine saisonübergreifende Untersu-

chung unter Einbindung von Kundenanlagen konnte im Rahmen des Projekts und des eingeschränk-

ten Umfangs des Feldtests nicht mehr geleistet werden und stellt damit ein potentielles Handlungs-

feld für anschließende Untersuchungen dar.

Auch an weiteren Testtagen und Netzknoten konnten vergleichbare Beobachtungen gemacht wer-

den, wie zum Beispiel eine asymmetrische Verteilung der Messabweichungen mit Tendenz zur

Rechtsschiefe bei einspeiseverursachten Überlastungen. In einem Beispiel zeigte sich allerdings, dass

die Messabweichungen nicht nur positive, sondern auch negative Werte annahmen, damit auch in

wenigen Fällen unterschätzt wurde. Äquivalent zur häufigeren Überschätzung der Überlast durch

Einspeisung, konnten bezogen auf die Spannungsbeträge häufiger auch Überschätzungen beobachtet

werden, allerdings in Kombination mit einer leichten Linksschiefe der Verteilung der Messabwei-

chung.

Es gilt zu beachten, dass bei den hier gezeigten Auswertungen der Stichprobenumfang bedingt durch

die Rahmenbedingungen des Feldtests beschränkt ist. Dementsprechend sollten insbesondere die

aufgezeigten statistischen Kenngrößen differenziert und nicht mit dem Anspruch der Allgemeingül-

tigkeit betrachtet werden. Vielmehr bieten die Ergebnisse einen Einblick in die Handlungsfelder, mit

denen künftige NZP-Verfahren und die vorgelagerte Modell- und Pseudomesswertberechnung

stückweise verbessert werden können. Aufgrund der Vielfalt der hier beobachteten statistischen

Verteilungen lässt sich jedoch ableiten, dass die Verfahren zur Modell- und Pseudomesswertberech-

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71

nung eine stark individuelle Modellbildung der im Netz vorhandenen Anlagen und Flexibilitäten er-

fordern.

4.5. Fazit

Zusammenfassend hat sich während des Feldtests gezeigt, dass das entwickelte Gesamtsystem

grundsätzlich zur Ausgestaltung der gelben Ampelphase geeignet ist. Netzbelastungen werden prog-

nostiziert, Engpässe werden erkannt, Flexibilitätsabrufe werden an den simulierten Vertrieb weiter-

geleitet und mit der Beantwortung der Flexibilitätsabrufe durch den simulierten Vertrieb lassen sich

die prognostizierten Engpässe lösen. Dabei gilt es zu beachten, dass sich Überlastungsengpässe gut

durch das entwickelte Gesamtsystem beheben lassen, die entwickelte Methode zur Berechnung von

Leistungsgrenzen für die Flexibilitäten zur Lösung von Spannungsengpässen allerdings nicht gut ge-

eignet ist. Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass Kapazitäts- und Spannungsengpässe im entwickelten

Gesamtsystem nur getrennt voneinander zu bearbeiten sind. Somit ergibt sich für eine spätere Um-

setzung des Konzeptes noch Weiterentwicklungsbedarf bezogen auf eine effiziente Lösung von

Spannungsengpässen und die gemeinschaftliche Behandlung von zeitgleich auftretenden Spannungs-

und Kapazitätsengpässen.

Im Rahmen der Feldtestphase mit Ansteuerung von echten Anlagen hat sich gezeigt, dass sich die

Fahrpläne von PV- und Biogasanlagen gut prognostizieren lassen und dass diese Anlagen im Feldtest

gut der Ansteuerung gefolgt sind. Bei den betrachteten Industriekunden hat sich gezeigt, dass bei

einer Durchmischung verschiedener Lasten und Einspeiser (z.B. KWK) zwingend eine direkte mess-

technische Erfassung der einzelnen Flexibilitäten erforderlich ist, um den durch die Anlagen erzielten

Effekt nachweisen zu können. Auch hat sich gezeigt, dass die betrachteten größeren Industrielasten

starke Schwankungen aufweisen und anders als erwartet nur schlecht zu prognostizieren sind.

Grundsätzlich konnte gezeigt werden, welcher Effekt durch die Ansteuerung der Anlagen im Netz

erzielt werden kann. Damit allerdings auch genau der gewünschte Effekt eintritt und die gelbe Am-

pelphase auch tatsächlich zu einer effizienten Entlastung des Netzes führt, ist in dem entwickelten

Gesamtsystem eine hohe Prognosegüte erforderlich. Dies ist erforderlich, damit prognostizierte

Netzbelastungen und der gewünschte Effekt der genutzten Flexibilitäten mit der tatsächlichen Netz-

belastung und dem tatsächlichen Effekt der genutzten Flexibilitäten übereinstimmen und Engpässe

somit effizient vermieden werden können. Die im Feldtestzeitraum beobachtete Prognosegüte ist

dabei deutlich verbesserungswürdig.

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

72

4.6. Simulationsumgebung

Ziel der Simulation

Das Ziel der Simulation im Projekt ist die Erweiterung der Demonstration des Feldtests auf ein zu-

künftiges System. Dazu wird in einer computergestützten Simulationsumgebung ein theoretisches

Zukunftsszenario entworfen und durchgerechnet. Dieses Zukunftsszenario entspricht der Strom-

netzumgebung des Feldtests, erweitert jedoch den vorhandenen Anlagenpark, sodass eine wesent-

lich größere Zahl von Anlagen sowie weitere Anlagentypen Batteriespeicher zum Einsatz kommen,

die in zukünftigen System voraussichtlich eine wichtige Rolle spielen werden. Die Simulation erlaubt

somit, die zukünftige Relevanz und Verwendbarkeit des Prozesses der gelben Ampelphase zu ana-

lysieren.

Komponenten der Simulation

Die Simulationsumgebung folgt dem Prinzip der Co-Simulation. Unabhängig entwickelte und lauffähi-

ge Simulationskomponenten werden hierbei miteinander zur Laufzeit via Datenaustausch gekoppelt.

Dieses Verfahren bietet den Mehrwert einer beschleunigten Modellierung komplexer dynamischer

Systeme, da bereits existierende und implementierte Modelle für die einzelnen Teilsysteme verwen-

det werden können. Zudem sind die entsprechenden Komponenten in der Regel langfristiger validiert

als neu entwickelte Modelle. Die einfachste Umsetzung von Co-Simulation besteht in der direkten

Kopplung von zwei Simulatoren (sogenannte ‚ad-hoc‘ Kopplung). In diesem Fall wird die Implemen-

tierung jedes Simulators so angepasst, um mit dem anderen interagieren zu können. Um Co-

Simulation noch flexibler und anwendbarer zu gestalten, wird diese oft durch ein dediziertes Frame-

work gestützt. Dies ist in der Regel dafür zuständig, den Datenaustausch zwischen den Simulations-

komponenten zu synchronisieren. Des Weiteren stellt es standardisierte Schnittstellen für die Kopp-

lung der Komponenten bereit. Wird eine Komponente durch das Implementieren einer Schnittstelle

in das Co-Simulations-Framework integriert, kann sie fortan mit jeder anderen integrierten Kompo-

nente zur Laufzeit Daten austauschen.

In diesem Projekt wird das Co-Simulations-Framework „mosaik“ verwendet. Eine genauere Beschrei-

bung der Funktionalität dieser Software findet sich im Anhang A – Simulation. Die eigentliche Simula-

tion wird von vier Komponenten ausgeführt:

Einer Stromnetzsimulation basierend auf der VES (siehe Abschnitt 3.3),

einer Anlagensimulation,

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

73

einer Netzzustandsschätzung (ebenfalls ein VES-System) und

der Kommunikations-und-Dienstleistungsplattform (KDP).

Mit der Netzzustandsschätzung und der KDP sind dabei zwei Komponenten im Einsatz, die bereits in

Feldtest verwendet werden, um die Übertragbarkeit der Ergebnisse zu gewährleisten. Diese Kompo-

nenten werden im Abschnitt KDP-NZP genauer beschrieben. Die VES-Netzsimulation simuliert das

reale Stromnetz auf Basis der Berechnung des quasi-stationären Zustands während einer gegebenen

Lastsituation. Sie basiert auf ähnlichen Algorithmen wie die Netzzustandsschätzung. Die Anlagensi-

mulation berechnet den zeitlichen Verlauf von Erzeugung und Verbrauch aller Anlagen im System. Sie

basiert auf der Analyse-Software des IAEW, beschrieben im Abschnitt 5.1.

Abbildung 4.21 zeigt den Datenaustausch zwischen mosaik und den Simulationskomponenten. Die

KDP ist dabei in ihre Teilkomponenten aufgegliedert: CIM-Cache, Engpasserkennung, Engpassbe-

handlung und Flexabruf.

Abbildung 4.21: Datenaustausch zwischen mosaik und den Simulationskomponenten

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

74

Es ist erkennbar, dass die Komponenten der Simulation aufgrund des höheren Abstraktionsgrades

stärker aggregiert sind, als die der Feldtestumgebung. So werden die von der KDP bereitgestellten

Flexlisten etwa über mosaik direkt an die Anlagensimulation weitergeleitet, die in diesem Fall die

Funktionalitäten von Vertrieben und Anlagen in sich vereint. Weiterhin ist zu bemerken, dass ver-

schiedene Datenformate in den Schnittstellen zwischen Komponenten und mosaik verwendet wer-

den. Datenaustausch über CSV-Dateien ist durch gelbe Vierecke gekennzeichnet, Austausch über

Web-Services dagegen durch rote Vierecke. Die Heterogenität der Datenformate ist zu erklären

durch die unterschiedlichen Entwicklungsansätze der einzelnen Komponenten und die Anforderun-

gen aus dem Feldtest. Die benötigten Datenumwandlungen finden in den mosaik-Schnittstellen statt,

die im Anhang A – Simulation beschrieben werden.

Ein weiterer wichtiger Punkt in Abbildung 4.21 ist die Verteilung der Simulationsumgebung auf ver-

schiedene Rechensysteme. Die Kernkomponenten der KDP sowie mosaik werden auf virtuellen Ma-

schinen des Smart Energy Simulation and Automation Lab im OFFIS ausgeführt. Sämtliche VES-

Komponenten (Netzsimulation und Netzzustandsschätzung) laufen auf einem von Venios bereit ge-

stellten Server. Die Anlagensimulation schließlich wird auf einem Rechen-Cluster der RWTH Aachen

ausgeführt. Diese Aufteilung der Simulation verringert den Aufwand von zusätzlichem Deployment

und erlaubt eine lokale Wartung der einzelnen Komponenten durch die jeweiligen Experten. Der

Datenaustausch zwischen den einzelnen Rechensystemen wird über mosaik organisiert (schwarze

Pfeile in Abbildung 4.21). Innerhalb der Systeme werden einige Datenübertragungen direkt (ohne

Einwirken von mosaik) durchgeführt, um gemeinsame Software-Architekturen für gesteigerte Per-

formance auszunutzen. Erkennbar ist dies bei der Signal- und Datenübertragung zwischen den Teil-

komponenten der KDP, sowie beim Netzdatenaustausch zwischen den VES-Komponenten (graue

Pfeile in Abbildung 4.21). Eine Besonderheit stellt die direkte Datenübertragung zwischen Netzzu-

standsschätzung und Engpasserkennung bzw. CIM-Cache dar. Dieser Austausch findet zwar zwischen

verschiedenen Rechensystemen statt, ist aber bereits ein integraler Teil der Feldtestumgebung, wes-

halb hier auf die Integration von mosaik verzichtet werden kann.

Wie bereits erwähnt verbindet die Simulationsumgebung Komponenten des Feldtests mit Simulati-

onskomponenten, die die reale Welt abstrahiert darstellen. Erstere Komponententypen werden in

Abbildung 4.21 grün dargestellt, während die Simulationskomponenten blau dargestellt werden.

Simuliertes Zukunftsszenario

Das simulierte zukünftige Energiesystem beinhaltet, wie bereits erwähnt, die gleiche Netztopologie

wie das Feldtestsystem. Die Schalterstellungen weichen nicht von der Standardkonfiguration ab.

Lediglich der Anlagenpark wurde, basierend auf Analysen des IAEW, um zusätzliche Anlagen erwei-

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

75

tert. Zum einen wurden über 100 weitere PV-Anlagen in das System integriert, sowie einige Wind-

kraftanlagen. Des Weiteren wurde das System mit etwa 300 Batteriespeichern und etwa 80 Elektro-

fahrzeugen bestückt, die erweiterte Flexibilitätsoptionen, aber auch neue Lastsituationen ermögli-

chen.

Am IAEW ist eine Vorabberechnung des Systems mit historischen Einspeisedaten des Jahres 2013

durchgeführt worden. Dabei ist ein Zeitraum (01.06.2013 – 07.06.2013) identifiziert worden, der

aufgrund des Zusammenspiels von Verbrauch und Erzeugung diverse Engpässe aufzeigt. Einige Tage

dieses Zeitraums werden daher in der gesamtsystemischen Co-Simulation nachvollzogen, um die

Zukunftsfähigkeit des Prozesses der gelben Ampelphase zu überprüfen.

Fazit der Simulation

Die Kausalkette der Datenübertragung zwischen den Komponenten wurde in der Simulation erfolg-

reich durchgespielt. Damit wurde die grundsätzliche Übertragbarkeit des Projektansatzes auf ein

zukünftiges Systems mit zusätzlichen Anlagentypen technisch gezeigt. Allerdings konnte der techni-

sche Prozessablauf nur für einen reduzierten Problemfall komplett durchgegangen werden. Hierbei

wurde in der Netzzustandsprognose nur ein Teilstrang des gesamten Netzes betrachtet, wodurch die

Anzahl der auftretenden Engpässe wesentlich reduziert wurde. Des Weiteren wurde nur ein Simula-

tionsschritt durchlaufen, der eine Zeit von 15 Minuten abbildet.

Probleme in der Simulation bei kompletter Netzbetrachtung lassen sich auf verschiedene Aspekte

zurückführen. Zum einen besitzt der verwendete Algorithmus der Netzzustandsprognose einen star-

ken Fokus auf Genauigkeit, was wiederum die Rechenzeit für große Problemfälle stark ansteigen

lässt. So kann die Berechnung für ein Intervall von 15 Minuten simulierter Zeit 40 Minuten oder län-

ger dauern. Des Weiteren ist die Kopplung der Netzzustandsschätzung und der damit verbundenen

Netzsimulation über einen Web-Service mit den anderen Simulations-Tools verbunden. Diese Inter-

net-gestützte Kopplung ist in einigen Testläufen durch mögliche Verbindungsprobleme gestört wor-

den. Unglücklicherweise haben sich diese Probleme erst im endgültigen Simulationsszenario in vol-

lem Umfang manifestiert, sodass sie in vorgelagerten Tests nicht abgefangen wurden. Beim Auftre-

ten der Probleme war im Projekt nicht mehr genug Zeit zur Verfügung, um die Ursachen zweifelsfrei

zu klären und zu beheben, da sich im Projekt im Vorfeld einige Verzögerungen durch gestiegene Ent-

wicklungszeit mancher Komponenten insbesondere im Hinblick auf den Feldtest und Änderungen in

Schnittstellenspezifikationen ergeben hatten.

Aus diesen Umständen lässt sich für Projekte mit Betrachtung zukünftiger Systeme die folgende „Les-

sons Learned“ festhalten: Es ist dabei von Bedeutung, frühzeitig sämtliche Komponenten und

Schnittstellen im Hinblick auf ihre Rechenzeitkomplexität und ihre Performanz bei großen Problem-

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DEMONSTRATION UND FELDTESTERGEBNISSE

76

fällen zu untersuchen. Nur so lässt sich sichergehen, dass mögliche Rechenzeitprobleme erkannt und

rechtzeitig behoben werden können. Dies ist umso mehr von Bedeutung, wenn Komponenten, die

für einen Feldtestbetrieb unter realen Bedingungen entwickelt wurden, für die simulationsbasierte

Analyse zukünftiger Systeme genutzt werden sollen. Des Weiteren ist festzuhalten, dass ein mög-

lichst frühzeitiger Test der Systemkopplung empfehlenswert ist. Dieser wurde aus zeitlichen Gründen

entgegen der ursprünglichen Planung nur für Teile der Komponenten (Mosaik-Kopplung zur Netzsi-

mulation) durchgeführt.

In Hinblick auf das Projekt „Das proaktive Verteilnetz“ lässt sich schließen, dass eine zukünftige Be-

rücksichtigung größerer Anlagenzahlen technisch möglich ist, dazu aber der Algorithmus der Netzzu-

standsprognose optimiert und eventuell angepasst werden muss, da in der momentanen Konfigura-

tion keine echtzeitfähige Behandlung sehr komplexer Problemfälle möglich zu sein scheint.

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

77

5. Wirtschaftlichkeit lokaler Netzdienstleistungen

In diesem Abschnitt wird die Wirtschaftlichkeit von marktbasiert bereitgestellten Netzdienstleistun-

gen für das Netzengpassmanagement im Verteilnetz untersucht. Um den volkswirtschaftlichen Nut-

zen zu quantifizieren, sind sowohl die Kosten für die Nutzung von Netzdienstleistungen als auch die

Kosten für den Netzausbau in das Bewertungskalkül miteinzubeziehen. Dabei sind nicht nur die Kos-

ten des konventionellen Netzausbaus den Kosten der Netzdienstleistungsnutzung gegenüberzustel-

len, sondern auch sich ergänzende Kombinationen zwischen Netzausbau und Flexibilitätsnutzung zu

untersuchen. Die dazu erforderliche Methodik wird im folgenden Abschnitt dargestellt und anschlie-

ßend auf einen realitätsnahen Anwendungsfall angewendet. Detaillierte Ausführungen sind [15] zu

entnehmen.

5.1. Entwickelte Methodik

Um den wirtschaftlichen Nutzen von Netzengpassmanagement mit marktbasiert bereitgestellter

Flexibilität gegenüber dem Netzausbau zu quantifizieren und einen optimalen Verteilnetzausbau zu

ermitteln, sind sowohl die Kosten des Netzengpassmanagements als auch die Kosten des Netzaus-

baus zu berücksichtigen. Erstere werden mittels des im nachfolgenden Abschnitt beschriebenen Si-

mulationsverfahrens für die Kostenbewertung von marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung ermit-

telt. Die Kosten für Netzausbau ergeben sich aus den annuitätischen Investitionskosten für neue Be-

triebsmittel wie Kabel oder Transformatoren.

In der entwickelten Gesamtmethodik werden für verschiedene vorgegebene Ausbauoptionen die

erforderlichen Bedarfe an lokalen Netzdienstleistungen sowie die Kosten des Netzengpassmanage-

ments ermittelt. Dazu wird das Simulationsverfahren zur Kostenbewertung von marktbasierter Flexi-

bilitätsbereitstellung für das Netzengpassmanagement für die sich jeweils ergebenden Netzausbau-

zustände angewendet. Anschließend werden diejenigen Ausbauoptionen mit den geringsten Ge-

samtkosten, welche sich aus Investitionskosten und Kosten für das Netzengpassmanagement zu-

sammensetzen, realisiert.

Die beiden Verfahren werden solange iterativ miteinander gekoppelt angewendet, bis keine der vor-

handenen Ausbauoptionen mehr günstiger ist als die ausschließliche Behebung der verbleibenden

Netzengpässe durch Netzengpassmanagement. Abbildung 5.1 gibt einen Überblick über die Ge-

samtmethodik und den Ablauf der beiden Teilverfahren, welche in den folgenden Abschnitten näher

beschrieben werden.

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

78

Abbildung 5.1: Überblick über die Gesamtmethodik und den Ablauf des entwickelten Verfahrens

Kostenbewertung von marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung

Ziel des Verfahrens ist die Ermittlung von Kosten für eine marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung für

das Netzengpassmanagement im Verteilnetz, um eine Bewertung der marktbasierten Flexibilitätsbe-

reitstellung zu ermöglichen.

Zunächst werden hierfür in einer ersten Verfahrensstufe die Vermarktung und der Einsatz der de-

zentralen Einheiten ohne Betrachtung des Netzes simuliert, um die im Verlauf eines Jahres auftre-

tenden Last- und Einspeisesituationen im betrachteten Verteilnetzgebiet zu ermitteln. Dabei werden

die verfügbaren Vermarktungsmöglichkeiten sowie die wirtschaftlichen Ziele der verschiedenen Ak-

teure, welche die dezentralen Einheiten betreiben bzw. für deren Vermarktung zuständig sind, be-

rücksichtigt.

Anschließend wird in einer zweiten Stufe basierend auf den resultierenden Netznutzungsfällen eine

Netzbetriebssimulation durchgeführt. Eine Lastflussberechnung für jede Last-/Einspeisesituation des

Jahres stellt dabei den Kern der Netzbetriebssimulation dar. Mithilfe der Lastflussberechnung wird

die Einhaltung der technischen Randbedingungen überprüft, um Netzengpässe zu identifizieren. Bei

vorhandenen Netzengpässen werden die bestehenden Maßnahmen des Netzengpassmanagements

abgebildet, indem entsprechende Netzrestriktionen auf Basis von Sensitivitäten einzelner Flexibili-

tätsoptionen auf die identifizierten Engpässe bestimmt werden.

Verfahren zur Kostenbewertung von marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung für das Netzengpassmanagement

Vermarktungs- und Einsatzsimulation• Ermittlung von Last-/Einspeisesituationen sowie

Deckungsbeiträgen für ein Jahr ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen

Netzbetriebssimulation• Identifizierung von Netzengpässen• Sensitivitäten und Ermittlung Netzrestriktionen

Vermarktungs- und Einsatzsimulation• Ermittlung von Last-/Einspeisesituationen

sowie Deckungsbeiträgen für ein Jahr mit Berücksichtigung von Netzrestriktionen

Iterative Ausführung, bis für alle Ausbauszenarien gilt:NEM-Kosten + kein Ausbau < NEM-Kosten + Ausbaukosten

Ausbauiteration

AusbauszenarioAusbauszenarioAusbauszenario

Wirtschaftliche Bewertung

Netz aus vorheriger Ausbauiterationinkl. betrachteter Ausbauoption

Kosten Netzeng-passmanagement

Netzausbau-kosten

Auswahl und Umsetzung kostengünstigste Ausbauoption

Ist-NetzNetzausbaumaßnahmen

Optimaler Netzausbau

Netzausbauverfahren

Kost

en v

on

mar

ktb

asie

rter

Fl

exib

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tsb

erei

tste

llun

g

1

2

3

Netzrestriktionen

Last-/ Einspeisesituationen

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

79

Die ermittelten Netzrestriktionen werden abschließend in einer dritten Stufe bei einer erneuten Si-

mulation von Vermarktung und Einsatz der dezentralen Einheiten berücksichtigt. Das mathematische

Modell für die Vermarktungs- und Einsatzsimulation wird in diesem Fall um die zusätzlichen aus der

Netzbetriebssimulation resultierenden Nebenbedingungen ergänzt.

Aus der Summe der Differenzen der Deckungsbeiträge der einzelnen Netznutzer aus der ersten Ver-

marktungs- und Einsatzsimulation ohne Berücksichtigung von Netzrestriktionen und der zweiten

Vermarktungs- und Einsatzsimulation unter Berücksichtigung von Netzrestriktionen ergeben sich die

resultierenden Kosten bzw. eine Kostenuntergrenze für das Netzengpassmanagement.

Netzausbauverfahren

Vor dem Hintergrund einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung verfolgt die Netzausbauplanung das

Ziel der Erstellung eines gesamtwirtschaftlich effizienten Netzausbauplans. Um verschiedene mögli-

che Netzausbaumaßnahmen der alternativen Nutzung einer marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung

gegenüberzustellen, wurde ein Netzausbauverfahren entwickelt, das in Abbildung 5.1 rechts darge-

stellt ist.

Auf Basis des Ist-Netzes und der bekannten möglichen Netzausbaumaßnahmen, die im Verfahren

geprüft werden sollen, werden Ausbauszenarien modelliert. Diese Szenarien unterscheiden sich aus-

schließlich hinsichtlich der gewählten Ausbauoption. So basiert das erste Szenario immer auf dem

Ausgangsnetz und alle weiteren Szenarien basieren auf einem um die entsprechende Ausbaumaß-

nahme modifizierten Netz.

Für jedes Ausbauszenario erfolgt eine wirtschaftliche Bewertung. Dazu werden zum einen die Kosten

des Netzengpassmanagements mithilfe des Verfahrens zur Kostenbewertung von marktbasierter

Flexibilitätsbereitstellung ermittelt. Zum anderen werden die annuitätischen Netzausbaukosten der

betrachteten Ausbauoption errechnet.

Nachdem die wirtschaftliche Bewertung für jedes Ausbauszenario durchgeführt wurde, wird die kos-

tengünstigste Ausbauoption ausgewählt und permanent im Netz umgesetzt. Darauf folgt die nächste

Ausbauiteration, in der das Ausgangsnetz nun dem permanent modifizierten Netz entspricht. Dieses

Vorgehen endet, sobald für alle verbleibenden Ausbauoptionen gilt, dass die Reduzierung der Kosten

des Netzengpassmanagements durch die Umsetzung von Ausbaumaßnahmen geringer ist als die

zusätzlichen annuitätischen Netzausbaukosten. Im Anschluss werden die im Netzausbauverfahren

gewählten Ausbauoptionen als optimierter Netzausbauplan zusammengefasst ausgegeben.

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

80

5.2. Exemplarische Untersuchungen

Nachfolgend werden mit dem entwickelten Simulationsverfahren exemplarische Untersuchungen

durchgeführt und die Ergebnisse diskutiert. Dazu wird zunächst das betrachtete Verteilnetz und die

zugrundeliegende Versorgungsaufgabe vorgestellt. Darauf aufbauend wird mit dem Verfahren die

Effizienz einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung für das Netzengpassmanagement bewertet.

Hierzu wird zunächst das Netzengpassmanagement mit marktbasiert bereitgestellter Flexibilität mit

einem regulierten Einspeisemanagement verglichen. Anschließend erfolgen eine Gegenüberstellung

der Kosten des Netzengpassmanagements mit denen des alternativen Netzausbaus und die Ermitt-

lung eines kosteneffizienten Netzausbaus unter Berücksichtigung marktbasierter Flexibilitätsbereit-

stellung.

Vorstellung des Verteilnetzes

In den nachfolgenden Untersuchungen wird ein ländliches Verteilnetz mit einer in die Zukunft proji-

zierten Versorgungsaufgabe für das Jahr 2030 betrachtet. Abbildung 5.2 gibt einen Überblick über

das Netzgebiet und die geografische Verteilung der angeschlossenen dezentralen Einheiten. Das

Netzgebiet zeichnet sich durch eine niedrige Bevölkerungsdichte, eine geringe Anzahl an Haushalts-

kunden und kleinen Gewerbekunden sowie durch eine hohe Anzahl an dezentralen Erzeugungsanla-

gen aus. Es ist zu erkennen, dass im Versorgungsgebiet zwei dichter besiedelte Ortschaften existie-

ren, in denen sich die meisten in der NS-Ebene angeschlossenen dezentralen Einheiten befinden.

Weiterhin wird ein Teil der Ortschaften über ein Nahwärmenetz von einem mit Erdgas betriebenen

BHKW mit Wärme versorgt. Das restliche Versorgungsgebiet ist relativ dünn besiedelt. Hier finden

sich einige größere Gewerbekunden, vorwiegend Landwirtschaftsbetriebe, sowie die in der MS-

Ebene angeschlossenen PV-, Wind- und Biogasanlagen wieder.

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

81

Abbildung 5.2: Geografische Verteilung der dezentralen Einheiten im Netzgebiet

Es wird angenommen, dass die installierte Leistung der dezentralen Erzeugungsanlagen von 2013

(12,3 MW) bis 2030 (22,7 MW) deutlich ansteigt, entsprechend der Annahmen für die deutschland-

weite Entwicklung im genehmigten Szenariorahmen für die Netzentwicklungspläne Strom 2017-2030

[38]. Ebenso wird in Anlehnung an [38] von einer zunehmenden Anzahl neuartiger Verbrauchsanla-

gen und Speicher ausgegangen. So ist ein signifikanter Anteil der Gebäude mit Wärmepumpen aus-

gestattet, und etwa die Hälfte der Haushalts- und Gewerbekunden in der NS-Ebene, die eine PV-

Anlage besitzen, haben auch einen Batteriespeicher zur Steigerung des Eigenverbrauchs. Ebenso

nimmt der Anteil der Elektrofahrzeuge am Fahrzeugbestand in den betrachteten Gemeinden analog

zur deutschlandweiten Entwicklung zu. Weiterhin wird davon ausgegangen, dass alle Wärmepumpen

und KWK-Anlagen zur Flexibilisierung der Wärmebereitstellung mit Wärmespeichern ausgestattet

sind. Darüber hinaus werden zur Deckung von Wärmelastspitzen Power-to-Heat-Anlagen in Kombi-

nation mit den KWKAnlagen- eingesetzt. Die Anzahl der dezentralen Einheiten im Netzgebiet als auch

die zugehörige kumulierte Jahreshöchstlast bzw. installierte Leistung sind in Tabelle 5 differenziert

nach der Spannungsebene angegeben.

Aufgrund der großen Anzahl an dezentralen Erzeugungsanlagen und der Tatsache, dass die installier-

te Leistung dieser die Verbraucherleistung übersteigt, wird von einem leistungsabhängigen Blindleis-

tungsmanagement der dezentralen Erzeugungsanlagen ausgegangen. Dabei werden die aktuell vom

Netzbetreiber in den Netzanschlussbedingungen festgelegten 𝑐𝑜𝑠(𝜑)(𝑃)-Kennlinien verwendet.

Legende

PtH WP

WEA

Last

BGA

BAT

PVA

KWK

Umspannwerk

4 MW

1 MW

Freileitung

KabelEKFZ

1 km

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

82

Tabelle 5: Dezentrale Einheiten im betrachteten Netzgebiet im Jahr 20303

In Abbildung 5.3 sind zur Veranschaulichung der bestehenden Netzengpässe die innerhalb des Jahres

maximal auftretenden Leitungsauslastungen und Knotenspannungen dargestellt, sofern das beste-

hende Ist-Netz bis zum Jahr 2030 nicht ausgebaut wird.

Es ist zu erkennen, dass insbesondere in der Ortschaft im Nordwesten des Netzgebietes, aber auch

an anderen vom Umspannwerk weit entfernten Netzknoten, das zulässige Spannungsband aufgrund

der hohen Einspeisung aus dezentralen Erzeugungsanlagen nicht eingehalten werden kann. Darüber

hinaus treten auf den zum Umspannwerk führenden MS-Leitungen Betriebsmittelauslastungen von

bis zu 165 % bezogen auf den maximal zulässigen Betriebsstrom auf. Ebenso führt die hohe Einspei-

sung der Wind- und Biogasanlagen im Norden des Netzgebietes zu Überlastungen der Anschlusslei-

tungen mit Auslastungen von bis zu 131 %. Außerdem wird die maximale thermische Betriebsmittel-

belastbarkeit einer Ortsnetzstation sowie zweier NS-Leitungen überschritten.

3 Bei Haushalts- und Gewerbekunden ist die kumulierte Jahreshöchstlast angegeben. Bei allen anderen dezent-

ralen Einheiten ist die kumulierte installierte elektrische Leistung angegeben, wobei diese bei Batteriespeichern und Elektrofahrzeugen der maximalen Ladeleistung entspricht.

Dezentrale Einheiten MS (10 kV) NS (0,4 kV)

Anzahl Leistung Anzahl Leistung

Haushaltskunden - - 774 8.054 kW

Gewerbekunden 59 996 kW 107 1.540 kW

Windenergieanlagen 1 3.400 kW - -

Photovoltaikanlagen 56 9.320 kW 606 6.301 kW

Biogasanlagen 6 2.787 kW 1 75 kW

KWK-Anlagen 1 734 kW 4 35 kW

Wärmepumpen - - 117 231 kW

PtH-Anlagen 1 783 kW 4 61 kW

Batteriespeicher - - 303 455 kW

Elektrofahrzeuge - - 82 303 kW

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

83

Abbildung 5.3: Maximale Leitungsauslastungen und Knotenspannungen im Jahr 2030

Effizienz einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung im Vergleich zum regulierten Einspeise-

management

Zur Bewertung einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung für das Netzengpassmanagement wird

zunächst die Bereitstellung netzdienlicher Flexibilität durch den Aggregator untersucht. Dabei wer-

den einerseits die Kosten des Netzengpassmanagements und andererseits die netzbasiert abgeregel-

te Stromerzeugung aus EE-Anlagen ausgewertet. Die Ergebnisse werden mit denen eines regulierten

Einspeisemanagements verglichen.

Um die marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung („marktbasiert“) mit einem regulierten Einspeisema-

nagement („EisMan“) vergleichen zu können, werden zwei Simulationen mit dem entwickelten Ver-

fahren durchgeführt. Für die marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung werden bei der Ermittlung der

Netzrestriktionen alle dezentralen Einheiten des Aggregators als verfügbare Flexibilitätsoptionen für

eine Bereitstellung netzdienlicher Flexibilität berücksichtigt. In der zweiten Variante stehen hingegen

ausschließlich die Wind- und PV-Anlagen des Aggregators als Flexibilitätsoptionen für das Netzeng-

passmanagement zur Verfügung. Da es sich hierbei um alle fernsteuerbaren PV-Anlagen im Netzge-

biet handelt, kann so ein Einspeisemanagement in Form einer selektiven Abregelung von Wind- und

PV-Anlagen, welche auch in der Netzplanung im Rahmen der Spitzenkappung bereits heute berück-

sichtigt werden kann, abgebildet werden.

Die Kosten des Netzengpassmanagements, die sich aus der Differenz des Deckungsbeitrages des Ag-

gregators ergeben, sowie die netzbasierte Abregelung von EE-Anlagen, die durch das Netzengpass-

management zusätzlich zur marktbasierten Abregelung hinzukommt, sind in Abbildung 5.4 für die

beiden betrachteten Varianten dargestellt. Es zeigt sich, dass durch eine marktbasierte Flexibilitäts-

bereitstellung die im gesamten Jahr anfallenden Kosten für das Netzengpassmanagement gegenüber

einem regulierten Einspeisemanagement von 15,8 Tsd. €/a auf 7,6 Tsd. €/a in etwa halbiert werden

Leit

un

gsau

slas

tun

g

%

200

100

50

0

Span

nu

ng

1,2

p.u.

1,0

0,9

0,8

Freileitung

Kabel

Umspannwerk

Netzknoten

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

84

können. Ebenso reduziert sich die aufgrund des Netzengpassmanagements abgeregelte Stromerzeu-

gung aus EE-Anlagen von 375 MWh/a (2,07 %/a) auf 167 MWh/a (0,92 %/a). Bezogen auf die beim

Einspeisemanagement abgeregelte Stromerzeugung von 375 MWh/a, welche als Referenz für die

erforderliche Engpassarbeit herangezogen werden kann, verringern sich die durchschnittlichen

Netzengpassmanagementkosten somit von ca. 42 €/MWh auf ca. 20 €/MWh.

Abbildung 5.4: Kosten des Netzengpassmanagements und netzbasierte Abregelung von EE-Anlagen

Dabei haben vor allem die entgangenen Erlöse am Regelleistungs- und Spotmarkt einen signifikanten

Einfluss auf die Gesamtkosten der marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung für das Netzengpassma-

nagement. Dies ist darauf zurückzuführen, dass die Flexibilität der dezentralen Einheiten nicht mehr-

fach genutzt werden kann. Daher kann bei einer netzdienlichen Flexibilitätsbereitstellung nicht mehr

so viel Regelleistung vermarktet werden, und der Strom muss am Spotmarkt teilweise zu schlechte-

ren Marktpreisen gekauft bzw. verkauft werden. Daneben spielen die zusätzlichen regulatorischen

Bezugskosten durch den erhöhten Strombezug von Power-to-Heat-Anlagen- sowie die entgangenen

Marktprämienzahlungen aufgrund der verbleibenden netzbasierten Abregelung von EE-Anlagen eine

Rolle. Auf der anderen Seite kommt es zu etwas verringerten Betriebskosten durch den zurückge-

henden Einsatz der KWK-Anlagen sowie zu einer Reduzierung der Kosten für den Bezug von Aus-

gleichsenergie, da die absoluten Prognosefehler durch die verringerte Vermarktung von Stromerzeu-

gung aus EE-Anlagen geringer ausfallen. Im Gegensatz dazu setzen sich die Kosten, die dem VNB für

das Einspeisemanagement entstehen, hauptsächlich aus den entgangenen Erlösen des Aggregators

am Spotmarkt sowie der zusätzlich entgangenen Marktprämie zusammen. Die Veränderungen der

anderen Kosten- bzw. Erlöskomponenten resultieren aus einem geringfügig veränderten Anlagenein-

-5

0

5

10

15

20

25

marktbasiert EisMan

Regul. Bezugskosten Ausgleichsenergie

Betriebskosten Marktprämie

Spotmarkt Regelleistungsmarkt

Gesamtkosten

Ko

sten

Tsd. €a

ΔA

bre

gelu

ng

0

125

250

375

500

marktbasiert EisMan

marktbasiert EisMan

MWha

2,07%/a

0,92%/a

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

85

satz der restlichen dezentralen Einheiten, da bspw. die Prognosefehler aufgrund der netzbasierten

Abregelung der EE-Anlagen anders ausfallen. Insgesamt spielen diese Komponenten aber nur eine

untergeordnete Rolle.

Der Grund für die deutlich geringeren Kosten einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung im Ver-

gleich zum regulierten Einspeisemanagement liegt im Wesentlichen darin, dass durch eine zeitliche

Verschiebung des Einsatzes der Flexibilitätsoptionen ein höherer Anteil an dargebotsabhängiger Ein-

speisung aus EE-Anlagen in das Netz integriert werden kann.

Vergleich mit Netzausbau als Alternative zur Engpassbehebung

Nachfolgend werden die ermittelten Netzengpassmanagementkosten den Kosten des vollständigen

konventionellen Netzausbaus zur Behebung aller Netzengpässe gegenübergestellt. Dafür werden die

Netzausbaukosten abgeschätzt, indem die bestehenden Betriebsmittel durch Zubau standardisierter

Kabel und Transformatoren verstärkt bzw. ersetzt werden. Die Berechnung soll zunächst den Nutzen

gegenüber einem vollständigen Netzausbau quantifizieren. Hierfür müssen weitere MS- und NS-

Kabel sowie ein Ortsnetztransformator zugebaut werden (siehe Tabelle 6). Da neben dem Zubau und

Austausch von Betriebsmitteln die Anpassung der Netzstruktur einen weiteren Freiheitsgrad im kon-

ventionellen Netzausbau darstellt, handelt es sich bei dem ermittelten Netzausbaubedarf um eine

konservative Abschätzung.

Um die Netzausbaukosten mit den Kosten des Netzengpassmanagements für ein Jahr vergleichen zu

können, wird für erstere die jährliche Annuität errechnet. Die sich daraus ergebenden annuitätischen

Netzausbaukosten liegen bei ca. 47 Tsd. €/a.

Tabelle 6: Erforderliche Ausbaumaßnahmen zur Behebung der Netzengpässe

Wie in Abbildung 5.5 zu erkennen ist, liegen die Kosten des Netzengpassmanagements für das unter-

suchte Netzgebiet bei einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung ca. 84% unterhalb der Kosten

des konventionellen Netzausbaus. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Netzengpässe nur bei hoher

Einspeisung aus EE-Anlagen auftreten, was nur in relativ wenigen Stunden des Jahres der Fall ist [15].

Der Netzausbau führt hingegen für den Großteil des Jahres zu einer Überdimensionierung der Netz-

Ausbau-maßnahme

Anzahl GesamtlängeInvestitions-

kostenBetriebs-

kosten

NS-Kabel 2 0,107 km 75.000 €/km 1 %/a

MS-Kabel 8 6,116 km 105.000 €/km 1 %/a

Ortsnetz-transformator

1 - 12.000 €/Stück 2 %/a

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

86

kapazität. Daher können die Netzengpässe in dem hier betrachteten Fall kosteneffizienter durch die

Nutzung marktbasiert bereitgestellter Flexibilität behoben werden.

Abbildung 5.5: Kosten des Netzengpassmanagements im Vergleich zum konventionellen Netzausbau

Prinzipiell gilt dies in diesem Fall ebenso für die Durchführung eines Einspeisemanagements, wenn-

gleich die Kosteneinsparung nur bei ca. 66% liegt. Die Möglichkeit, eine Nutzung marktbasiert bereit-

gestellter Flexibilität bereits in der Netzplanung zu berücksichtigen, würde dementsprechend auch

gegenüber der Spitzenkappung, welche in der Netzplanung das Pendant zum Einspeisemanagement

darstellt, gewisse Vorteile mit sich bringen. Einerseits fallen die Kosten des Netzengpassmanage-

ments nochmals niedriger aus, wodurch sich die Vorteilhaftigkeit eines Netzengpassmanagements

gegenüber bestimmten Netzausbaumaßnahmen erhöht. Andererseits kann die Spitzenkappung in

der Netzplanung nur berücksichtigt werden, solange die netzbasierte Abregelung einer jeden Wind-

und PV-Anlage weniger als 3% der jährlichen Stromerzeugung beträgt. Die Berücksichtigung einer

Nutzung marktbasiert bereitgestellter Flexibilität würde dem VNB somit in der Netzplanung zusätzli-

che Freiheitsgrade eröffnen und könnte damit zu einem insgesamt kosteneffizienteren Netzausbau

führen. Die Ermittlung eines gesamtwirtschaftlich effizienten Verhältnisses aus Netzausbau und

marktbasierter Flexibilitätsnutzung ist Gegenstand des nachfolgenden Kapitels.

Kosteneffizienter Netzausbau unter Berücksichtigung marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung

Die Ergebnisse des vorherigen Kapitels haben gezeigt, dass Netzengpassmanagement durch marktba-

siert bereitgestellte Flexibilität deutlich kostengünstiger ist, als der vollständige Netzausbau zur Be-

hebung aller Netzengpässe. Betrachtet der Netzbetreiber jedoch einzelne Netzausbauprojekte und

bewertet diese gegenüber der alternativen Nutzung marktbasierter Flexibilität, so könnten sich ein-

zelne Ausbauprojekte als kostengünstiger herausstellen. Um dies näher zu untersuchen, werden im

Folgenden die im vorherigen Abschnitt identifizierten Maßnahmen (vgl. Tabelle 6) in fünf verschie-

dene Netzausbauprojekte unterteilt. Dabei wurden geografisch nahe beieinanderliegende Maßnah-

men zu Netzausbauprojekten zusammengelegt, um eine möglichst kosteneffiziente Umsetzung zu

0

10

20

30

40

50

Netzausbau marktbasiert EisMan

Ko

ste

nTsd. €

a

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

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gewährleisten. Abbildung 5.6 zeigt die geografische Verteilung der Netzausbauprojekte und die in-

nerhalb des Jahres maximal auftretenden Leitungsauslastungen und Knotenspannungen für die proji-

zierte Versorgungsaufgabe im Jahr 2030.

Abbildung 5.6: Geografische Verteilung Netzausbauprojekte

In Tabelle 7 sind die Zuordnung der fünf Netzausbauprojekte zu den jeweiligen Netzausbaumaßnah-

men sowie die jeweils resultierenden annuitätischen Kosten dargestellt.

Tabelle 7: Betrachtete Netzausbauprojekte

Netzausbauprojekt I beinhaltet drei MS-Kabel im Norden des Netzgebietes in der Nähe der Wind-

energieanlage (vergleiche Abbildung 5.2). Dem Netzausbauprojekt II ist ein MS-Kabel in direkter Nä-

he zu einer größeren Biogasanlage zugeordnet (vergleiche Abbildung 5.2). Ausbauprojekt III be-

schreibt zwei NS-Kabel im nordöstlichen NS-Netz und Ausbauprojekt IV einen Ortsnetztransformator

in der näheren Umgebung. Zuletzt sind im Netzausbauprojekt V vier MS-Kabel, die direkt zur Um-

spannstation im Süden des Netzgebietes führen, enthalten.

Um das gesamtwirtschaftlich effiziente Kostenverhältnis aus Netzausbau und marktbasierter Flexibili-

tätsbereitstellung ermitteln zu können, wird das in Abbildung 5.1 vorgestellte Netzausbauverfahren

in Kombination mit dem Verfahren zur Kostenbewertung von marktbasierter Flexibilitätsbereitstel-

lung auf die fünf identifizierten Netzausbauprojekte angewendet. Dazu wird iterativ eine Kostenbe-

wertung für jedes zur Verfügung stehende Netzausbauprojekt durchgeführt. Diese Kostenbewertung

Leit

un

gsau

slas

tun

g

%

200

100

50

0

Span

nu

ng

1,2

p.u.

1,0

0,9

0,8

Freileitung

Kabel

Umspannwerk

Netzknoten

I

V

II

III IV

Ausbauprojekte

Ausbauprojekte Ausbaumaßnahme Gesamtlänge Annuitätische Kosten

I 3 MS-Kabel 2,064 km 15.719,50 €/a

II 1 MS-Kabel 0,466 km 3.322,65 €/a

III 2 NS-Kabel 0,107 km 541,50 €/a

IV Ortnetztransformator - 1.016,47 €/a

V 4 MS-Kabel 3,586 km 25.566,60 €/a

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

88

vergleicht die sich für jedes der Ausbauprojekte ergebenden Gesamtkosten, die aus annuitätischen

Kosten für das jeweilige Netzausbauprojekt und den Kosten für die verbleibende Nutzung marktba-

sierter Flexibilität bestehen. Anschließend wird das gesamtkostengünstigste Ausbauprojekt ausge-

wählt und ausgebaut. Diese Methodik wird so lange wiederholt bis kein weiteres Ausbauprojekt ver-

bleibt, dessen Ausbau zu geringeren Gesamtkosten führen würde. Abbildung 5.7 zeigt die resultie-

renden Gesamtkosten jeder Iteration, die aus aggregierten annuitätischen Kosten für die umgesetz-

ten Netzausbauprojekte und den verbleibenden Kosten für die marktbasierte Flexibilitätsbereitstel-

lung bestehen.

Abbildung 5.7: Gesamtkosten der Ausbauiterationen zur Bestimmung des kosteneffizienten Netzausbaus4

Wird das Stromnetz für die betrachtete Versorgungsaufgabe nicht ausgebaut, ist über marktbasierte

Flexibilitätsbereitstellung ein sicherer und zuverlässiger Netzbetrieb zu gewährleisten. In diesem Fall

belaufen sich die Kosten auf etwa 7,6 Tsd. €/a. In der ersten Ausbauiteration wird folglich das Netz-

ausbauprojekt IV ausgewählt und ausgebaut, da dessen Umsetzung zu einer Reduzierung der jährli-

chen Gesamtkosten um ca. 10 % führt. Die Gesamtkosten sind nun die Summe aus den annuitäti-

schen Kosten für das Ausbauprojekt IV und den verbleibenden Kosten für die marktbasierte Flexibili-

4 Vor dem Hintergrund des Digitalisierungsgesetzes und des damit einhergehenden Smart-Meter-Rollouts wird

in diesem Szenario im Jahr 2030 angenommen, dass die zur Flexibilitätsbereitstellung erforderliche IKT flächen-deckend vorhanden ist. Somit sind die Kosten zur Ausrüstung der Anlagen mit IKT zu diesem Zeitpunkt bereits angefallen und werden deshalb bei der Berechnung der Gesamtkosten nicht berücksichtigt.

0

5

10

15

20

25

30

35

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45

ohne Ausbau 1 2 3 4 5

Ko

sten

Ausbauiteration

marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung

aggregierte Netzausbaukosten

Tsd. €a

IIIIVII

I

V

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

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tätsbereitstellung. In der zweiten Ausbauiteration, in der das Netzausbauprojekt IV bereits zugebaut

ist, kann mit dem Netzausbauprojekt III die größte Gesamtkostenreduzierung mit ca. 6 % pro Jahr

erreicht werden. Zwar erhöhen sich die aggregierten Netzausbaukosten um die annuitätischen Kos-

ten dieses Ausbauprojektes, jedoch sinken die Kosten für die verbleibende marktbasierte Flexibili-

tätsbereitstellung noch stärker. Demzufolge wird auch dieses Netzausbauprojekt ausgewählt und

umgesetzt. In der dritten Ausbauiteration kann mit keinem der verbleibenden Netzausbauprojekte

eine Verringerung der Gesamtkosten erreicht werden. Aus Gründen der Vollständigkeit sind die ver-

bleibenden Netzausbauprojekte mit deren aggregierten Netzausbaukosten und den Kosten für die

verbleibende marktbasierte Flexibilitätsbereitstellung als Ausbauiteration 3, 4 und 5 in der Abbildung

5.7 aufgenommen.

Zusammenfassend ergibt sich durch die Realisierung der Netzausbauprojekte III und IV eine Reduzie-

rung der Gesamtkosten. Diese beiden Projekte verringern die jährlichen Gesamtkosten um insgesamt

ca. 16 % und können nicht gesamtwirtschaftlich günstiger durch den Einsatz marktbasierter Flexibili-

tätsbereitstellung ersetzt werden. Alle weiteren Netzausbauprojekte (I, II und V) würden die Gesamt-

kosten allerdings erhöhen. Bei diesen ist es gesamtwirtschaftlich vorteilhafter, die Planungsprojekte

nicht umzusetzen und stattdessen auf marktbasierte Flexibilität zur Behebung der Netzengpässe

zurückzugreifen.

Bewertung der Wirtschaftlichkeit von marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung

Die in den vorangegangenen Abschnitten beschriebenen Untersuchungsergebnisse zeigen, dass für

das betrachtete ländliche Netzgebiet bei einer marktbasierten Flexibilitätsbereitstellung deutlich

geringere Netzengpassmanagementkosten im Vergleich zu einem regulierten Einspeisemanagement,

bei welchem ausschließlich Wind- und PV-Anlagen abgeregelt werden, anfallen. Bezogen auf die

Engpassarbeit können die durchschnittlichen Netzengpassmanagementkosten von 42 €/MWh auf

20 €/MWh verringert werden. Zugleich kann die netzbasiert abgeregelte Stromerzeugung aus

EE-Anlagen signifikant reduziert werden, so dass mehr Stromerzeugung aus EE-Anlagen in das System

integriert werden kann.

Weiterhin liegen die Kosten des Netzengpassmanagements im betrachteten Fall deutlich unterhalb

der Kosten des alternativen konventionellen Netzausbaus. Somit stellt in diesem Fall die Nutzung

marktbasiert bereitgestellter Flexibilität für das Netzengpassmanagement die kosteneffizienteste

Alternative zur Behebung der Netzengpässe dar.

Die einzelne Bewertung von verschiedenen Netzausbauprojekten – bestehend aus teilweise mehre-

ren Ausbaumaßnahmen – gegenüber der alternativen Nutzung marktbasiert bereitgestellter Flexibili-

tät zeigt jedoch, dass einzelne Netzausbaumaßnahmen gesamtwirtschaftlich kostengünstiger sind als

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WIRTSCHAFTLICHKEIT LOKALER NETZDIENSTLEISTUNGEN

90

die alternative Nutzung marktbasierter Flexibilitätsbereitstellung. Somit stellt das gesamtwirtschaft-

lich kostengünstigste Verhältnis eine Kombination der beiden Alternativen dar, sodass eine differen-

zierte Bewertung von einzelnen Netzausbauprojekten sinnvoll ist.

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

91

6. Ergebnisse und Ausblick

6.1. Ergebnisse und Erkenntnisse aus dem Projekt

Zeitskalen zu Kontrahierung von Flexibilitätsoptionen

Es erweist sich empirisch auch international als vorteilhaft, netzdienliche Flexibilität nach klaren Re-

geln für längere Zeiträume (z.B. Jahre) zu kontrahieren und nicht täglich oder in noch kürzeren In-

krementen über deren Nutzung neu zu entscheiden. Dabei erfolgt die Nutzung von Flexibilität in der

gelben Ampelphase auf der Grundlage reduzierter Netzentgelte oder einer pauschalen Vergütung,

die im Gegenzug dem Netzbetreiber eine definierte Steuerung der Verbrauchseinrichtungen ermög-

licht.

Hierfür gibt es u.a. zwei wesentliche Gründe:

Eine kurzfristige Kontrahierung bedingt erhebliche Transaktionskosten durch die höhere An-

zahl der Transaktionen und deren innerhalb enger Fristen anspruchsvollere Umsetzung im

Vergleich zu langfristigen Verträgen. Mit weiter automatisierten Verfahren sinken diese Kos-

ten perspektivisch, sind auf absehbare Zeit aber immer noch deutlich höher als der Einsatz

längerfristig kontrahierter Flexibilitäten.

Bei kurzfristiger Kontrahierung wird der Netzbetreiber öfter keine ausreichenden Angebote

erhalten. Um die Systemsicherheit zu gewährleisten, erfolgt dann eine unfreiwillige Steue-

rung von Netznutzern im Rahmen der roten Ampelphase. Dies wird tendenziell öfter der Fall

sein als bei langfristiger Kontrahierung. Wenn aber die Nutzung der roten Ampelphase zum

Regelfall wird, ist eine optimale Allokation der Flexibilitäten nicht mehr gewährleistet, die auf

freiwilligen Entscheidungen der Marktteilnehmer im Rahmen der gelben Ampelphase beruht.

Somit könnten auch vorhandene gesamtwirtschaftliche Vorteile gegenüber der langfristigen

Alternative Netzausbau nicht oder nur teilweise gehoben werden. Damit wäre die Grundidee

des Ampelkonzeptes hinfällig.

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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Bewertung der Wirtschaftlichkeit

Um markt-, system- und netzdienliche Flexibilität optimal nutzen zu können, gilt es, voneinander

differenzierte Preismechanismen in den unterschiedlichen Marktsegmenten mit geeigneten Anreiz-

mechanismen zu verbinden.

6.2. Einschränkungen bei den heutigen regulatorischen Rahmenbedingungen

Die heutigen regulatorischen Rahmenbedingungen sehen bislang sehr bedingt die explizite Nutzung

netzdienlicher, marktlich kontrahierter Flexibilität durch Verteilnetzbetreiber vor. Die folgenden Ab-

schnitte befassen sich mit den Themen rechtliche Zulässigkeit der Zu-/Abschaltung von Erzeugern

und Verbrauchern, der Kostenanerkennung und Anreizsetzung für Netzbetreiber, der Anreizsetzung

für Anlagenbetreiber sowie weiteren notwendigen regulatorischen Rahmenbedingungen wie die

Fahrplanlieferung und das Subsidiaritätsprinzip.

Rechtliche Zulässigkeit der Zu-/Abschaltung von Erzeugern und Verbrauchern

Da in der gelben Ampelphase das Zusammenführen von Flexibilitätsangebot und Flexibilitätsnachfra-

ge auf freiwilliger Basis erfolgt, ist grundsätzlich von keiner Einschränkung der rechtlichen Zulässig-

keit der Zu-/Abschaltung von Erzeugern und Verbrauchern auszugehen. Die Regelungen im EnWG

und EEG beschreiben vielmehr den rechtlich verordneten Eingriff in den Markt, die Entschädigungs-

zahlungen sowie die Kostenanerkennung für den Netzbetreiber. Insofern wäre für die Umsetzung des

proaktiven Verteilnetzes lediglich die Frage der Kostenanerkennung zu klären.

Kostenanerkennung der Flexibilitätsnutzung durch den Netzbetreiber

Das proaktive Verteilnetz sieht vor, dass Aggregatoren die im Portfolio enthaltenen Einspeiser und

Verbraucher untereinander optimieren können, um die Flexibilitätsbereitstellungskosten zu minimie-

ren. Zudem soll ein secondary Trading mit dritten Aggregatoren eine weiterführende betriebswirt-

schaftliche Optimierung ermöglichen. Anhand des Konzeptes wird ersichtlich, dass der Verteilnetzbe-

treiber keinen direkten Einfluss auf die Auswahl von Einspeisern oder Verbrauchern zur Erfüllung

seines Flexibilitätsbedarfes hat. Insofern würde auch die Vergütung anhand des Ausmaßes der Flexi-

bilitätsbereitstellung bestimmt und nicht zwischen Einspeisern oder Verbrauchern differenziert wer-

den. Eine Vergütung der Flexibilitätsanbieter über reduzierte Netzentgelte ist wegen der in Deutsch-

land fehlenden Netzentgelte für Einspeiser demnach nicht möglich, sodass eine Vergütung über ex-

plizite Zahlungsströme notwendig ist. Es besteht aktuell Unsicherheit, ob diese Zahlungsströme als

Betriebskosten (OPEX) seitens des Netzbetreibers ansetzbar wären.

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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Sollte in einer Vorstufe das proaktive Verteilnetz bei der Kontrahierung von Flexibilität zwischen Ein-

speisern und Verbrauchern unterscheiden, sind die nachfolgenden gesetzlichen Regelungen für Ver-

braucher und Einspeiser vorhanden.

§14a EnWG verpflichtet Verteilnetzbetreiber, Lieferanten und Letztverbrauchern reduzierte Netzent-

gelte für steuerbare Verbrauchseinrichtungen in der Niederspannung anzubieten. Eine Rechtsver-

ordnung über die Ausgestaltung wesentlicher Rahmenbedingungen (Steuerung, Höhe der Entgelte)

steht allerdings noch aus. Ein freiwilliges Anbieten von reduzierten Netzentgelten für steuerbare

Verbraucher in höheren Spannungsebenen durch den VNB ist nicht möglich, da der VNB nicht eigen-

händig eine weitere Differenzierung der Netzentgelte nach Verbrauchern vornehmen darf (siehe

gemäß §17 Abs. 8 i.V.m. §30 Abs. 2 Nr. 6 StromNEV).

Eine Anpassung der Einspeisung in Verbindung mit einer Entschädigung ist für den Verteilnetzbetrei-

ber aktuell mittels des Einspeisemanagements (§ 14 EEG) für EEG- und KWKG-Anlagen unter Berück-

sichtigung des Vorrangs erneuerbarer Energien vor Kraft-Wärme-Kopplung vor konventionellen Ein-

speisern möglich. Gleichwohl dürfen Anlagenbetreiber und VNB vertraglich eine Abweichung vom

Einspeisevorrang gem. §11 Abs. 3 EEG vereinbaren, deren Kosten der VNB als Betriebskosten (beein-

flussbare Kosten) ansetzen kann (§18 EEG). Weitere gem. §13 Abs. 1 Nr. 2 EnWG marktbezogene

dem ÜNB zur Verfügung stehende Maßnahmen, wie vertraglich vereinbarte abschaltbare und zu-

schaltbare Lasten oder der Redispatch, sind gemäß §14 EnWG grundsätzlich auch für VNB zulässig.

Deren Ausgestaltung begrenzt jedoch faktisch die Nutzung auf den ÜNB. Zuschaltbare Lasten (§13

Abs. 6a EnWG) werden auf das EEG-Netzausbaugebiet (§36c Abs. 1 EEG) begrenzt und sind zeitlich

befristet. Abschaltbare Lasten (§13 Abs. 6 EnWG i.V.m. AbLaV) sind nur im Wirkungsbereich eines

HöS-Knotens kontrahierbar. Die Anpassung der Einspeisung konventioneller Anlagen (§13a EnWG) ist

erst ab 10 MW Nennleistung vorgesehen und steht damit vorrangig den ÜNB zur Verfügung.

Anreizsetzung der Flexibilitätsnutzung für Netzbetreiber

Im heutigen regulatorischen Rahmen werden die Kosten von Einspeisemanagement und Redispatch

als dauerhaft nicht beeinflussbare Kosten eingestuft (siehe §11 Abs. 2 ARegV). Freiwillige vertragliche

Vereinbarungen zwischen Netzbetreiber und EEG-Direktvermarkter/Anlagenbetreiber gemäß §11

Abs. 3 EEG i.V.m. §18 EEG werden wiederum als beeinflussbare Kosten eingestuft. Auf Verbraucher-

seite werden die reduzierten Netzentgelte für steuerbare Einrichtungen in der Niederspannung im

Sinne des §14a EnWG durch höhere Netzentgelte für nicht steuerbare Verbraucher kompensiert.

Netzbetreiber müssen steuerbaren Verbrauchern das reduzierte Netzentgelt anbieten, sofern diese

sich steuern lassen wollen. Es besteht somit ein Kontrahierungszwang seitens des Netzbetreibers,

welcher dem Ansatz der Wahlfreiheit des Netzbetreibers zur Flexibilitätsnutzung entgegensteht.

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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Aus den bisherigen Ausführungen ist ersichtlich, dass es mit den Optionen der Netzentgeltsystema-

tik, beeinflussbare und dauerhaft nicht beinflussbare Kosten, keinen konsistenten Umgang mit der

Flexibilitätskostenanerkennung im regulatorischen Rahmen gibt.

Grundsätzlich gilt zudem zu bedenken, dass Netzbetreibern nur auf Investitionen eine Verzinsung

gewährt wird und somit keine Eigenkapitalverzinsung bei dem Einsatz von Flexibilität gewährt wird.

Um ihren Gewinn zu maximieren, neigen Netzbetreiber daher zum Präferieren kapitalkostenintensi-

ver Maßnahmen gegenüber betriebskostenintensiver Flexibilitätsnutzung. Dieser Effekt ist auch als

Averch-Johnsen-Mechanismus5 bekannt und steht bei Nichtberücksichtigung der kostenoptimalen

Auswahl von Flexibilität und Netzausbau entgegen. Darüber hinaus werden Investitionskosten im

Rahmen des Kapitalkostenaufschlags im Jahr der Investition wirksam, während Betriebs- und damit

Flexibilitätskosten im Basisjahr für die folgende Regulierungsperiode erfasst werden. Bei höherer

Flexibilitätsnutzung außerhalb des Basisjahres würden daher Flexibilitätskosten nicht in der Auf-

wandbasis für die folgende Regulierungsperiode berücksichtigt werden können.

Anreizsetzung der Flexibilitätsnutzung für Anlagenbetreiber

Der Anreiz für Anlagenbetreiber, netzdienliche Flexibilität bereitzustellen, gelingt nur über einen

höheren monetären Verdienst gegenüber anderen Erlösmöglichkeiten wie Regelleistungs-, Strom-

marktvermarktung oder Eigennutzung der Flexibilität. Zu berücksichtigen sind hierbei auch unter-

schiedliche vertragliche Bindungsdauern bei den verschiedenen Vermarktungsmöglichkeiten für Fle-

xibilität. Einschränkungen sind im aktuellen regulatorischen Rahmen insbesondere aufgrund der

Sondernetzentgelte für Verbraucher möglich. §19 Abs. 2 S. 1 StromNEV gewährt Kunden mit atypi-

scher Netznutzung reduzierte Netzentgelte. Diese Anreizsetzung zum Verbrauch von Strom in

Schwachlastzeiten würde durch eine Einführung von Flexibilitätsmärkten im Rahmen des PaVn abge-

löst werden können, steht im Allgemeinen dem Ansatz des PaVn jedoch nicht Wege. §19 Abs. 2 S. 2

StromNEV wiederum fördert den konstanten Verbrauch von Strom für Großabnehmer ab 10 GWh.

Der Anreiz netzdienlicher Flexibilität würde die Benutzungsstunden reduzieren und somit ggf. die

Gewährung der Sondernetzentgelte gefährden.

Möchte ein Aggregator im Rahmen des PaVn netzdienliche Flexibilität durch die temporäre Substitu-

tion von brennstoffbasierten (Bsp.: Gaskessel) durch strombasierte Technologien (Bsp.: Wärmepum-

pe) erreichen, so ist die Wirtschaftlichkeit strombasierter Technologien durch die umfangreichen

Umlagen und Steuern auf den Energieträger Strom stark beeinträchtigt und schränkt somit das Flexi-

bilitätsangebot ein.

5 Siehe dazu auch Müller, C., Growitsch, C., Wissner, M. (2010): Regulierung und Investitionsanreize in der öko-

nomischen Theorie. IRIN Working Paper im Rahmen des Arbeitspakets: Smart Grid-gerechte Weiterentwicklung der Anreizregulierung. Erschienen als WIK-Diskussionsbeitrag Nr. 349.

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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Fahrplanlieferung

Um die Netzsicherheitsberechnungen durchführen zu können, muss der Netzbetreiber möglichst

exakt Einspeisung und Verbrauch aller Marktteilnehmer sowie deren vermarkteten Regelleistungs-

scheiben prognostizieren können. Mit der Umsetzung des PaVn kennt der Netzbetreiber die Fahrplä-

ne der kontrahierten Flexibilitäten. Zudem kann dieser heute schon die Einspeisung erneuerbarer

Energien sowie der nicht steuerbaren Lasten abschätzen. Steuerbare Verbraucher und Einspeiser wie

BHKWs, welche nicht durch den Netzbetreiber kontrahiert sind, können bislang jedoch nicht prog-

nostiziert werden und erschweren daher eine möglichst exakte Prognose und damit auch die Opti-

mierung der Netzauslastung. Die jüngste Einführung der Generation and Load Data Provision Metho-

dology (GLDPM) sieht die Fahrplanlieferung von konventionellen Einspeisern ab 10 MW und 110 kV,

von Verbrauchern ab 50 MW vor. Insofern fehlt im Verteilnetz weitgehend die Rechtsgrundlage für

die Fahrplanlieferung volatiler, nicht dargebotsabhängiger Netznutzer.

Subsidiaritätsprinzip

Neben der Fahrplanlieferung nicht prognostizierbarer Netznutzer für eine möglichst exakte Netzzu-

standsprognose fehlt ein eindeutig verankertes Subsidiaritätsprinzip im deutschen Rechtsrahmen,

um den Ansatz des PaVn über mehrere Netzbetreiber hinweg zu ermöglichen. Im bestehenden

Rechtsrahmen kann die nicht optimale Koordination zwischen Netzbetreibern neue Netzengpässe

hervorrufen und im schlimmsten Fall die Sicherheit einzelner Netzabschnitte gefährden. Zudem be-

steht die Möglichkeit des Auftretens gegen- oder gleichgerichteter Flexibilität. So können ÜNB im

Verteilnetz Flexibilitäten kontrahieren, was zu kostspieligen Gegenmaßnahmen führt oder vom VNB

kontrahierte Flexibilität überflüssig machen würde. Eine kaskadierte Netzbetriebsführung ist im ak-

tuellen regulatorischen Rahmen jedoch nicht vorgesehen.

6.3. Handlungsempfehlungen und Schlussfolgerungen

Anforderungen an Veränderung des regulatorischen / rechtlichen Rahmens

Die Notwendigkeit der besseren Auslastung der Netzbetriebsmittel zur Vermeidung von ineffizien-

tem Netzausbau verlangt einen neuen regulatorischen Rahmen, welcher die explizite Nutzung von

netzdienlicher Flexibilität auf Einspeiser- und Verbraucherseite auf marktlichen Prinzipien anreizt, ein

entsprechendes Kostenoptimum realisiert und die Koordination zwischen Netz und Markt effizient

regelt. Aufgrund der Freiwilligkeit der Flexibilitätsbereitstellung ist kein regulatorischer Zwang, wie

dies etwa beim Einspeisemanagement der Fall ist, notwendig. Es sollte jedoch Rechtssicherheit bei

der Anerkennung der Flexibilitätskosten für den Netzbetreiber bestehen. Darüber hinaus müsste eine

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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sachgemäße Anerkennung der Kosten einer Flexibilitätsnutzung (Averch-Johnsen-Effekt) für den

Netzbetreiber gewährt werden. Ziel sollte demnach ein level-playing-field für Flexibilität und Netz-

ausbau sein, sodass sich intelligente, kostenreduzierende Maßnahmen auch für den Netzbetreiber

betriebswirtschaftlich rechnen und damit Innovationen möglich gemacht werden.

Mit der Einführung von netzdienlichen Flexibilitätsmärkten und entsprechenden Koordinationsme-

chanismen wie dem PaVn wird das heute bestehende netzdienliche Sondernetzentgelt für atypische

Netznutzung gemäß §19 Abs. 2 S. 1 StromNEV obsolet. Die Vergünstigung für konstante Stromab-

nahme gemäß §19 Abs. 2 S. 2 StromNEV gilt es insofern zu überdenken, dass eine netzdienliche Än-

derung des Verbrauchsverhaltens die Kalkulationsgrundlage der Benutzungsstunden nicht beeinflus-

sen sollte.

Darüber hinaus ist für eine präzise Netzzustandsprognose die Fahrplanlieferung nicht prognostizier-

barer Netznutzer im angeschlossenen Verteilnetz mit angemessenem Vorlauf erforderlich. Genaue

Ausgestaltungen wie Erheblichkeitsschwellen sind noch zu definieren.

Um einen sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten und gegen- sowie gleichgerichtete Flexibilität zu

reduzieren ist der kaskadierte Abruf von Flexibilität und damit auch die kaskadierte Betriebsführung

der Spannungsebenen sinnvoll und sollte im zukünftigen Strommarktdesign, unter Wahrung marktli-

cher Prinzipien, Berücksichtigung finden.

Auswirkungen/Anforderungen für zukünftigen Netzbetrieb und Netzplanung

Bei der Betrachtung der geänderten Aufgaben, die sich beim Betrieb des Verteilnetzes während des

Projekts ergeben haben, fällt auf, dass auch mit geringen Anpassungen die Umsetzung des Proakti-

ven Verteilnetzes realisiert werden kann. Ausgehend von den Auswirkungen in der Netzführung wer-

den diese über die Kommunikationswege bis zu den primär- und sekundärtechnischen Anlagen be-

schrieben.

Im zentralen Leitsystem ist keine Umstellung erfolgt, da bereits eine grafische bzw. geografische Dar-

stellung der Anlagen vorhanden ist. Diese kann zur Umschaltung der Anlagen genutzt werden. Eine

besondere Kennzeichnung der beteiligten Anlagen ist nicht erfolgt. Hier ist bei einer größeren Zahl

von Anlagen, zur Wahrung der Übersichtlichkeit, eine Anpassung der visuellen Darstellung hilfreich.

In der Netzführung wurde eine zusätzliche Visualisierung der Flexibilitätsanlagen erforderlich. Die

Netzberechnung erfolgte nicht mit dynamischen Anlagenwerten sondern mit Maximalwerten (Worst

Case-Werten) und nur bei Störungen im Netzbetrieb.

Die Kommunikation zwischen Netzführung und Anlagen erfolgte über Kleinfernwirktechnik, die teil-

weise vor Ort für das Projekt installiert wurde. Allerdings ließen sich über diese Geräte Messwerte

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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nur verzögert oder teilweise überhaupt nicht austauschen, da die kommunikative Anbindung nicht

immer sichergestellt werden konnte. Die Ansteuerung der Anlagen erfolgte durch einen Mitarbeiter

der Westnetz per Hand, allerdings ließen sich nicht alle vorgesehenen Abstufungen realisieren, da

sich besonders Biogasanlagen bei Leistungswerten <40% ausgeschaltet haben. Zukünftig sollte die

Ansteuerung, auch aufgrund der Menge an Anlagen, automatisiert durch das Leitsystem erfolgen. Die

Umsetzung der geforderten Abregelungen an den Anlagen sowie die Rückmeldung der Leistungswer-

te an das Leitsystem erfolgten teilweise mit zeitlicher Verzögerung. Für einen zuverlässigen Netzbe-

trieb wäre zukünftig eine überwachte und schnellere Kommunikation erforderlich. Gleichzeitig ist ein

zusätzlicher Aufwand bei der Entstörung und Wartung der Kleinfernwirktechnik im Netzbetrieb un-

verzichtbar. Hierbei kann eine automatisierte Meldung über gestörte Anlagen erforderliche Repara-

turzeiten reduzieren. Die individuellen Fahrpläne einer jeden Anlage müssten im Voraus an den

Netzbetreiber kommuniziert werden, um die korrekten Leistungswerte bei der Netzberechnung be-

rücksichtigen zu können. Im Projekt wurde davon ausgegangen, dass die Anlagen einer vorgegebe-

nen Netznutzung zeitlich exakt gefolgt sind. Hier wäre eine automatisierte Überprüfung der tatsächli-

chen Netznutzung erforderlich.

Bei den primärtechnischen Anlagen waren keine zusätzlichen Komponenten erforderlich, da im Rah-

men des Projekts eine Optimierung des Netzes und kein Ausbau erfolgen sollte. Eine Ansteuerung

der Netzkomponenten, wie zum Beispiel Transformatoren, erfolgte während der grünen Ampelphase

über die üblichen Stufenschaltungen. Weiterhin gilt als Folge einer gehäuften Anzahl von roten Am-

pelphasen in einem Netzabschnitt der Netzausbau als Lösungsmaßnahme.

Bei der zukünftigen Netzplanung werden die heute als Flexibilität genutzten Anlagen bereits als nor-

male Anlagen über einen Quotienten berücksichtigt, der angibt in wie weit eine Anlage trotzdem als

Flexibilität genutzt werden kann. Ein heutiger Netzausbau ist erforderlich, wenn die rote Ampelphase

zu oft, zur Wahrung der Versorgungssicherheit, in einem Netzabschnitt erforderlich wurde. Als zu-

sätzlicher Faktor, der einen Netzausbau erforderlich macht, wird die mögliche Gefahr eines Netzeng-

passes gesehen, der mit den vorhandenen Flexibilitäten nicht behoben werden kann. In diesem Fall

ist in dem betroffenen Netzabschnitt ebenfalls ein Ausbau des Netzes erforderlich. Im Vergleich zum

konventionellen Netzbetrieb könnten sich Einsparpotentiale beim Einsatz von Flexibilitäten ergeben.

Zum Beispiel durch die bessere Ausnutzung des Netzes ließe sich der Umfang der erforderlichen

Netzausbaumaßnahmen reduzieren und der Ausbau effizienter gestalten. Die Kosten für Entschädi-

gungszahlungen im Vergleich zur roten Ampelphase ließen sich ebenfalls senken. Allerdings müssten

die zusätzlichen Kosten für den Betrieb des Proaktiven Verteilnetzes, also Flexibilitätsverträge, Um-

rüstung der Kundenanlagen oder die Umstellung des Leitsystems, mit berücksichtigt werden. Die

Spitzenkappungs-Regelung zur Abregelung von Anlagen muss bei zukünftigen Kalkulationen ebenfalls

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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mit einbezogen werden.6 Der Betrieb eines Proaktiven Verteilnetzes kann zukünftig für einen Image-

gewinn sorgen und somit zu einer erhöhten Wertschöpfung des Netzes führen.

6.4. Ausblick

Die im Projekt erprobte Variante der gelben Ampelphase basiert auf einem sehr stark digitalisierten

und automatisierten Prozess zwischen Aggregatoren und Netzbetreibern. Für eine Einführung einer

Ampelsystematik ist jedoch mit einer schrittweisen Einführung zu rechnen. Das erprobte Konzept

bietet auch die Möglichkeit einer zunächst eher statischen Nutzung der Flexibilitätseinschränkungs-

liste. Hierbei könnten die Vorgaben für typische Situationen langfristig vorher ausgetauscht werden

und kurzfristig nur den aktuell aktiven Typ bekanntgeben. So besteht die Möglichkeit die Lösungsop-

tionen bereits im Vorfeld auf beiden Seiten zu prüfen und vorzubereiten.

Mögliche Vergütungsmechanismen

Die im Kapitel 5 hergeleitete und angewandte Methodik zur Bestimmung der Wertigkeit der Flexibili-

tät stellte für den Untersuchungsgegenstand des Projektes eine hinreichende Genauigkeit des unter-

liegenden Marktmodells dar. An dieser Stelle sei jedoch festgestellt, dass es nicht Ziel des Projektes

war, Preisanreize und Marktmechanismen für den Flexibilitätshandel zu untersuchen, herzuleiten

und zu definieren. Von daher wurde im Projekt keine konkrete Ausgestaltung eines Marktmodells für

Flexibiltäten für das Verteilnetz vorgenommen und deshalb auch keine konkreten Empfehlungen

hierfür herausgearbeitet (s. auch Kapitel 6.2, 6.3). Im Zuge der Diskussionen hierzu wurden sowohl

projektintern als auch mit anderen Projekten wie z.B. grid-control (Konsortialführer Netze BW) und

internationalen Initiativen wie z.B. USEF (Universal Smart Energy Framework) verschiedene Mecha-

nismen und Kriterien identifiziert, nach denen sich solche Flexibilitätsmärkte für Verteilnetze charak-

terisieren lassen. Ein Großteil dieser Erkenntnisse ist über die Konsortialpartner in die inhaltlich an

das Projekt „Das Proaktive Verteilnetz“ anschließenden SINTEG Projekte „enera“ und „Designetz“

eingeflossen, um den dort deutlich stärker ausgeprägten Aspekt von Flexibilitätsmärkten in den dort

geplanten Demonstratoren zu beleuchten und auszugestalten.

Secondary Trading

Dem innerhalb des „Proaktiven Verteilnetzes“ gewählten Ansatz zur Marktkommunikation der Netz-

restriktionen ist inhärent, dass die an die KDP angeschlossenen Vermarkter (Vertriebe / Aggregato-

ren) innerhalb der Engpasszone eine freie Auswahl ihrer Anlagen zur Einhaltung des Flexibilitätsban-

des vornehmen können. Voraussetzung hierfür ist (neben der vertraglichen Regelung), dass die für

6 §11 Abs. 2 EnWG

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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die gelbe Ampelphase vom VNB gemachten Restriktionen (Leistungsband, Sensitivität) eingehalten

werden. Mit dieser Abkehr von bisherigen Steuerungsmechanismen wie EinsMan, in welchem der

VNB die Anlagenauswahl und Steuerung übernahm, entstehen einerseits über die Anlagenauswahl

der Aggregatoren sowie andererseits über einen Sekundärmarkt Potentiale zur wirtschaftlichen Op-

timierung für den Vermarkter. Mit dem gewählten Ansatz sind diese in der Lage, die vom VNB erhal-

tenen Obligationen durch andere Anbieter von Flexibilitäten erfüllen zu lassen, solange die Vorgaben

des VNB insgesamt eingehalten werden. Eine solche Übertragung der Flexibilitätseinschränkung kann

sinnvoll oder nötig sein, wenn die Anlagen des Anbieters nicht über ausreichend Flexibilität verfügen

oder die Flexibilitätsbereitstellung für den Aggregator im Verhältnis zum Endkunden teurer ist als der

Kauf von externer Flexibilität. Somit können sowohl Netzbetreiber eine erhöhte Liquidität in der Eng-

passzone erreichen, als auch Vermarkter bessere Produktbündel und Vereinbarungen mit den Ihnen

zur Verfügung stehenden Flexibiltäten abschließen. Da dieser beschriebene Sekundärhandel im Pro-

jekt erst zu einem späteren Zeitpunkt aufkam und kein Vermarkter von Flexibilitäten im Projektkon-

sortium vertreten war, wird dieser in die Diskussionen in Folgeprojekten (z.B. SINTEG) und Verbands-

arbeit (z.B. BDEW) mit einfließen.

Netzzustandsschätzung und -prognose

Aus den Untersuchungen im Proaktiven Verteilnetz lassen sich verschiedene Forschungsfelder für die

Weiterentwicklung von Methoden zur Netzzustandsschätzung und -prognose ableiten. Zum einen

lässt sich mit Blick auf die Demonstrationsergebnisse feststellen, dass bei Vortags-Prognosen teils

merkliche Abweichungen gegenüber den gemessenen Netzzuständen auftreten. Wie zu erwarten ist,

verringern sich diese Abweichungen, je kürzer der zeitliche Abstand zwischen der Prognosezeitpunkt

und dem betrachteten Zeitpunkt rückt, allerdings wurde im Rahmen der Demonstration mit Flexibili-

tätsabruf nur die Prognose am Vortag getestet. Es konnten erste Erfahrungen mit den getesteten

Verfahren zur Pseudomesswert- und Modellwertbildung gemacht werden, welche auch im Laufe der

Demonstration zu einer Verbesserung der Genauigkeit der Ergebnisse geführt haben. Jedoch bleibt

noch ein erhebliches Potential zur verbesserten Modellierung bestehen. Es ist zu erwarten, dass eine

detailliertere Analyse über längere Zeiträume aufgrund der zugrunde liegenden Verfahren (bei-

spielsweise maschinelles Lernen) zur verbesserten Modellierung führen wird. Außerdem sollten Un-

tersuchungen dabei flächendeckend und technologieübergreifend durchgeführt werden. Im Rahmen

des Proaktiven Verteilnetz konnten nur beispielhafte Untersuchungen für einzelne dezentrale Anla-

gen durchgeführt werden. Da jedoch auch Anlagen und Netzteilnehmer, deren genaues Verhalten

nicht im Rahmen des Projektes gemessen werden konnte, einen Einfluss auf die aufgetretenen Netz-

zustände hatten, besteht Bedarf, diese Art von Untersuchungen künftig weiterzuverfolgen. Außer-

dem haben die Erfahrungen der Demonstration gezeigt, dass eine Präqualifikation von Flexibilitäten

zwingend notwendig ist, welche die Fähigkeit der Anlagen überprüft, Fahrpläne auch gemäß Mel-

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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dung am Vortag abzufahren, sofern dies nicht durch Dargebotsabhängigkeit eingeschränkt wird. Wei-

terhin ist es erforderlich an Anschlusspunkten im Netz, wo neben der eigentlichen Flexibilität auch

weitere Last- oder Einspeiseinheiten verortet sind, sowohl die bilanzielle als auch die einheiten-

scharfe Leistungseinspeisung oder -entnahme zu messen, damit das Einhalten des gemeldeten Fahr-

plans und ggf. der Abruf von Flexibilität überhaupt nachvollzogen werden kann und nicht durch Über-

lagerungseffekte intransparent ist.

Die Analyse der Demonstrationsergebnisse legt nah, dass die durch Pseudomesswert- und Modell-

wertbildung verursachten Messabweichungen in den meisten Fällen keiner Normalverteilung folgen.

Dementsprechend ist die Anwendung eines Bayesschen Ansatz, wie er mit dem Particle-Filter gemäß

[37] realisiert wurde, grundsätzlich als sinnvoll zu bewerten. Der zeitliche Umfang des Feldtests bot

jedoch nicht ausreichend Gelegenheit, die Ergebnisse der Analyse zu auftretenden Verteilungsfunkti-

onen in die Berechnung zurückzuspielen und diesen Ansatz damit vollumfänglich zu bewerten. For-

schungsarbeiten anderer Autoren außerhalb des Projekts haben gegen Ende der Projektlaufzeit vom

Proaktiven Verteilnetz ebenfalls einen Bayesschen Ansatz für die Berechnung von Netzzuständen im

Verteilnetz im Zusammenhang mit Pseudomesswerten untersucht und sind ebenfalls zu einer positi-

ven Bewertung gekommen [7]. Daraus lässt sich schließen, dass ein Bayesscher Ansatz die zweckmä-

ßige Wahl zur Integration von Pseudomesswerten und Modellwerten darstellt. Die Bewertung, wel-

cher der beiden Algorithmen die effizientere und angemessenere Alternative darstellt, sollte Aufgabe

zukünftiger Forschungsarbeiten sein.

Die Untersuchungen des Extended-Kalman-Filters haben gezeigt, dass sich dieser unter Anwesenheit

starker Abweichungen – verursacht durch Pseudomesswert- und Modellwertbildung – nachteilhaft

bezogen auf die Schätzgüte und Genauigkeit verhält und daher nicht die gewünschten Eigenschaften

für den im Proaktiven Verteilnetz untersuchten Anwendungsfall darstellt. Der Algorithmus eignet sich

besser für eine Umgebung, in der deutlich mehr Messtechnik mit hoher Genauigkeit vorhanden ist.

Mit Blick auf die aktuelle Forschungslandschaft lässt sich die Netzzustandsschätzung unter Nutzung

sogenannter µ-PMUs (Micro Phasor Measurement Units) [39] als potentielle Anwendung für künftige

Forschung identifizieren.

(Phasen-) Unsymmetrien

Für künftige Untersuchungen sollte weiterhin in Betracht gezogen werden, dass in der Mittel- und

Niederspannung zwischen den verschiedenen Phasen Unsymmetrien in den betrieblichen Größen

wie Spannungen oder Strömen auftreten können. Diese werden verursacht durch ein- oder zweipha-

sig angeschlossene Lasten und Einspeiser und durch unsymmetrische dreiphasige Lasten wie bei-

spielsweise Induktionsöfen oder Schweißmaschinen. Als Maß für die unsymmetrischen Belastungen

der einzelnen Phasen kann der sogenannte komplexe Spannungsunsymmetriefaktor (engl. Complex

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ERGEBNISSE UND AUSBLICK

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Voltage Unbalance Factor, kurz CVUF) nach [40] oder der Unsymmetriegrad nach [41] genutzt wer-

den. In der Mittelspannung ist für den Anschluss und Betrieb vorgeschrieben, dass der über 10 Minu-

ten gemittelte Unsymmetriegrad je Kundenanlage 0,7 % nicht überschreiten darf [41]. In der Nieder-

spannung gilt statt einer relativen Grenze für die Spannung eine absolute Grenze für die leistungs-

mäßige Abweichung der Belastung der Phasen durch Erzeugungsanlagen, die mit 4,6 kVA beziffert ist

[42].

Im Proaktiven Verteilnetz wurden Berechnungen der Netzzustandsschätzung und -prognose einpha-

sig durchgeführt. Diese vereinfachende Annahme ist auf Mittelspannungsebene durchaus noch ak-

zeptabel, bei der Anwendung auf Niederspannungsebene jedoch für ein realitätsnahes Abbild des

Netzzustands nur noch bedingt zulässig [43]. Bei der Erweiterung zu mehrphasigen Berechnungsver-

fahren stehen mehrere Umsetzungsmöglichkeiten zur Verfügung. So können beispielsweise zur Mo-

dellierung von Leitungen gekoppelte oder nicht-gekoppelte Leitermodelle verwendet werden. Bei

nicht-gekoppelten Leitermodellen kann die Berechnung jeder Phase einzeln durchgeführt werden,

was zu einer einfacheren Parallelisierbarkeit der Berechnung führt und damit ist zeiteffizienteste

Alternative darstellt. Dagegen können die gekoppelten Leitermodelle durch die Berücksichtigung der

Koppelimpedanzen die tatsächlich auftretende gegenseitige elektro-magnetische Beeinflussung der

Phasen bei unsymmetrischem Betrieb untereinander realitätsnäher abbilden und stellen damit die

genauere Alternative für das Berechnungsverfahren dar. Allerdings ist es abzuwägen, ob die höhere

Genauigkeit durch Berücksichtigung der Kopplung verglichen mit den auftretenden Ungenauigkeiten

durch die allgemeine Qualität der Netzmodelldaten und der Eingangsdaten überhaupt einen Mehr-

wert bietet. Außerdem hängt die Machbarkeit einer mehrphasigen Berechnung stark von der Ver-

fügbarkeit mehrphasiger Eingangsdaten ab.

Simulation

In der Simulation wurde eine grundsätzliche Übertragbarkeit des Projektkonzepts auf ein zukünftiges

System gezeigt. Allerdings hat sich ein starker Anstieg der Rechenkosten bei deutlich erhöhter Zahl

von Verbrauchern und Einspeisern angedeutet. Die genauen Auswirkungen dieser Abhängigkeit

konnten im Rahmen des Projekts noch nicht untersucht werden. Insbesondere die Untersuchung von

Optimierungsbedarf und –potenzialen in der Netzzustandsschätzung stellt eine interessante For-

schungsfrage dar. Mit der beschriebenen Co-Simulations-Umgebung besteht schon ein Framework

für entsprechende Studien, in dem verschiedene Kombinationen und Anzahlen von Anlagen flexibel

simuliert werden können. Des Weiteren kann die Umgebung durch Methoden der Unsicher-

heitsquantifizierung erweitert werden [44], um einen Trade-Off zwischen Ergebnisgenauigkeit und

Rechenkosten der Netzzustandsschätzung zu untersuchen.

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