Das Problem der Moral 18.10.2011

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Ethik, Metaethik und Moral Ethik, Metaethik und Moral Das Problem der Moral 18.10.2011 Prof. Dr. Sabine A. Döring

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Ethik, Metaethik und MoralEthik, Metaethik und Moral

Das Problem der Moral18.10.2011

Prof. Dr. Sabine A. Döring

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Theorie der Ethik

Was ist Theorie der Ethik?

Metaethik

Was ist Ethik?

Ethik ist die Theorie der Moral.

Moralphilosophie

Ethik ist also eine Teildisziplin der Philosophie (ebenso wie z.B. Erkenntnistheorie, Wissenschaftstheorie oder Handlungstheorie).

Sie ist eine Teildiziplin der praktischen Philosophie.

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Theorie der Ethik

Theoretische Philosophie

Praktische Philosophie

Theorie der Ethik

Logik, Wissenschaftstheorie, Erkenntnistheorie u.a.

Ethik, Handlungstheorie u.a.

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Theorie der Ethik

Theorie der Ethik hat in zweierlei Hinsicht einen Sonderstatus:

(1) Sie hat ihrerseits schon eine philosophische Disziplin zum Gegenstand.

(2) Sie ist sowohl praktische als auch theoretische Philosophie.

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Ethik als Theorie der Moral

Zunächst zu (1), also zum Gegenstand der Theorie der Ethik.

Ethik ist Theorie der Moral.

Was ist nun Moral?

Moral ist ein System von Wertmaßstäben und Normen (bestehend aus bestimmten Prinzipien oder Regeln des richtigen Handelns).

Insofern ist sie eine Theorie des richtigen Handelns.

Moral soll die Grundfrage der Ethik beantworten:

„Was soll ich tun?“

Grundfrage der Ethik ist normativ.

Ethik ist eine normative philosophische Disziplin.

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Normative Ethik

Einmal angenommen, Sie entdecken, daß sich unter Ihren Büchern immer noch eines befindet, das Sie bereits vor Jahren von einem Freund entliehen haben. Offensichtlich hat Ihr Freund das Buch vergessen. Sie hingegen würden es gerne behalten.

Sollen Sie das Buch dennoch zurückgeben?

Fünf mögliche Gründe:

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Normative Ethik

1) Sie befürchten, daß Ihr Freund sich doch noch erinnert und Sie dadurch in eine peinliche Situation geraten.

2) Sie rechnen damit, daß Ihr Freund Ihnen aus Freude über das Wiederauftauchen des Buches einen Gefallen tun wird.

3) Sie wollen der gängigen Praxis entsprechen, entliehene Bücher zurückzugeben.

4) Sie glauben, daß Sie gegen die geltende Rechtssprechung verstoßen, wenn Sie das Buch behalten.

5) Sie halten es für moralisch falsch, das Buch zu unterschlagen.

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Normative Ethik

1) und 2) sind nicht-moralische Gründe.

Es geht schlicht darum, den eigenen Nutzen zu optimieren (z. B. Ärger zu vermeiden oder sich einen Gefallen zu ergaunern), unabhängig davon, ob das moralisch oder unmoralisch ist.

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Normative Ethik

Auch 3) ist kein moralischer Grund.

In ethischer Absicht fragt „Soll ich das Buch zurückgeben?“ nicht nach einer gängigen Praxis.

Normative Ethik versus „deskriptive Ethik“:

Ethik ist nicht Anthropologie, Soziologie oder Ethnologie.

Eine gängige Praxis muß ethisch nicht gerechtfertigt sein (z. B. Mitgiftmorde und Tötung weiblicher Säuglinge in Indien).

Sie muß mit Ethik und Moral gar nichts zu tun haben (z.B. Rechts- oder Linksverkehr).

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Normative Ethik

Auch 4) ist kein moralischer Grund.

In ethischer Absicht fragt „Soll ich das Buch zurückgeben?“ nicht nach dem geltenden Recht.

Ethik ist nicht Recht.

Gesetze müssen ethisch nicht gerechtfertigt sein (z.B. Gesetzgebung in totalitären Staaten).

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Normative Ethik

5) ist ein moralischer Grund.

Aber was heißt es, daß eine Handlung „moralisch falsch“ ist?

(Normative) Ethik beantwortet diese Frage durch die Konstruktion einer allgemeinen Theorie, d.h. eines kohärenten Systems von Prinzipien und Regeln des richtigen Handelns.

Zugleich soll sie einsichtig machen, warum bestimmte Handlungen moralisch falsch sind.

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Normative Ethik

Weitere Instantiierungen der ethischen Grundfrage („Was soll ich tun?“) sind z.B.:

„Soll ich im Bus eine Fahrkarte lösen?“

„Soll ich das Produkt kaufen, obwohl ich weiß, daß es in einem Land der dritten Welt durch Kinderarbeit hergestellt wurde?“

„Soll ich auf einen Teil meines Lebensstandards verzichten, um das Geld statt dessen für humanitäre Zwecke zu spenden?“

„Soll ich die Schwangerschaft abbrechen, weil das Kind voraussichtlich am Down Syndrom leiden wird?“

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Von der Ethik zur Metaethik

Probleme:

Es gibt verschiedene, konkurrierende Antworten auf die Frage, was es heißt und unter welchen Bedingungen eine Handlung moralisch falsch ist.

Z.B. Kantische Ethik vs. Konsequentialismus:

„Ob eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist, hängt allein vom ‚guten Willen‘ des Akteurs ab, d.h. der Übereinstimmung oder Nichtübereinstimmung mit dem Vernunftgesetz (kategorischen Imperativ).“

„Ob eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist, hängt allein von ihren Konsequenzen ab, d.h. davon, ob durch sie das Wohlergehen der Betroffenen insgesamt befördert wird.“

(1) Welche Antwort ist richtig bzw. welche moralische Theorie wahr?

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Von der Ethik zur Metaethik

(2) Läßt sich die Frage „Was soll ich tun?“ überhaupt durch eine Theorie i.S. allgemeiner Prinzipien oder Regeln des richtigen Handelns beantworten?

Alternative: Tugendethik

„Ob eine Handlung moralisch richtig oder falsch ist, hängt allein davon ab, ob sie vom idealen tugendhaften Akteur (phronimos) als solche angesehen wird (Aristoteles‘ „inneres Auge der Seele“).

Moralskeptizismus oder –nihilismus und Fiktionalismus:

„Was wir ‚moralisch richtig‘ oder ‚falsch‘ nennen, ist bloß eine nützliche Fiktion.“

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Von der Ethik zur Metaethik

(3) Was bedeuten überhaupt sprachliche Ausdrücke wie „moralisch richtig“?

Subjektivismus/Nonkognitivismus:

„Was wir ‚moralisch richtig‘ oder ‚falsch‘ nennen, beschreibt nichts in der Welt, sondern beschreibt/drückt bloß unsere subjektiven Präferenzen aus. Moralische Äußerungen sind keine Behauptungssätze, sondern haben den Charakter von Gefühlsausdrücken, Empfehlungen oder Befehlen.“

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Von der Ethik zur Metaethik

Welche moralische Theorie korrekt ist, ob es eine Theorie der Moral überhaupt geben kann und was unser moralisches Vokabular bedeutet:

All dies sind bereits Fragen der Theorie der Ethik (Metaethik).

Insofern befaßt sich die Metaethik mit Fragen über Fragen.

„In meta-ethics we are concerned not with questions which are the province of normative ethics like ‘Should I give to famine relief?’, or ‘Should I return the wallet I found on the street?’, but rather with questions about questions like these.“ (Michael Smith, The Moral Problem, S. 2)

Dazu gehört auch die Frage:

(4) Wie läßt sich Ethik anwenden?

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Angewandte Ethik

Ethik (als Theorie der Moral)

Medizin TiereWirtschaftRecht

angewandt z. B. auf die Bereiche

Umwelt

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Status der Metaethik

Metaethik ist nicht neutral gegenüber normativer Ethik.

Bestimmte metaethische Positionen schließen bestimmte normative Ethiken aus.

Beispielsweise ist ein Moralnihilismus oder ein Nonkognitivismus nicht mit der Kantischen Ethik oder dem Konsequentialismus vereinbar.

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Status der Metaethik

Manchmal sind metaethische Argumente auch gezielt gegen bestimmte Ethiken gerichtet.

Z.B. Williams‘ wider den Konsequentialismus und speziell den Utilitarismus:

Ein Botaniker stößt während einer Dschungelexpedition auf ein Dorf, in dem gerade zehn unschuldige Menschen erschossen werden sollen. Ihm wird mitgeteilt, daß er das Leben von neun der Betroffenen retten kann, wenn er den zehnten selbst erschießt (Williams, Utilitarianism, S. 98 f.).

Williams: Eine Theorie, die die Ermorderung des zehnten als normativ geboten ausweist, steht mit unseren alltäglichen Intuitionen in offenkundigem Widerstreit.

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Status der Metaethik

Peter Singers Replik: Solange sie einer metaethischen Fundierung ermangeln, sind Beispiele wie das von Williams lediglich Appelle an anti-konsequentialistische Intuitionen.

Sie besagen nicht mehr als „Wenn die konsequentialistische Theorie K wahr wäre, dann sollte ich unter den Bedingungen B die Handlung φ wählen. Aber wir alle wissen doch (intuitiv), daß es falsch wäre zu φ-en“.

(5) Was aber ist der begründungstheoretische Status moralischer Intuitionen?

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Status der Metaethik

Ein weiteres Beispiel:

Das „Straßenbahn-Dilemma“ (trolley dilemma)

Variante 1: Eine führerlose Straßenbahn rast auf fünf Personen zu, die durch diese ums Leben kommen würden. Die einzige Möglichkeit, die Personen zu retten, besteht darin, eine Weiche dergestalt umzustellen, daß die Bahn auf ein Gleis geleitet wird, auf dem sie nur noch eine Person überrollen würde.

Soll man die Weiche umstellen?

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Status der Metaethik

Variante II: Eine führerlose Straßenbahn auf fünf Personen zu, die durch diese ums Leben kommen würden. Die einzige Möglichkeit, die Personen zu retten, besteht darin, einen schwergewichtigen Fremden, neben dem man auf einer über die Schienen führenden Fußgängerbrücke steht, vor die Straßenbahn zu stürzen.

Soll man den Fremden stürzen?

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Status der Metaethik

Problem: Bezüglich ihrer Konsequenzen stimmen beide Handlungen exakt überein. Trotzdem befürworten fast alle Probanden die erste Handlung, lehnen die zweite aber ab.

Ist diese Intuition gerechtfertigt oder irrational?

Allerdings müssen sich ethische Theorien an unserem Vorverständnis messen lassen (wovon sonst sollen wir ausgehen?).

Weiterführende metaethische Frage (6): Wie revisionistisch ist normative Ethik und kann sie sein?

Aristoteles, Kant oder Schopenhauer vs. Utilitarismus.

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Zwischen Theorie und Praxis

Resumée: Beispiele für metaethische Fragen

(1) Welche Antwort ist richtig bzw. welche moralische Theorie wahr?

(2) Läßt sich die Frage „Was soll ich tun?“ überhaupt durch eine Theorie allgemeiner Prinzipien oder Regeln des richtigen Handelns beantworten?

(3) Was bedeuten überhaupt sprachliche Ausdrücke wie „moralisch richtig“?

(4) Wie läßt sich Ethik anwenden?

(5) Was ist der begründungstheoretische Status moralischer Intuitionen?

(6) Wie revisionistisch ist normative Ethik und kann sie sein?

Deutet schon an, daß theoretische und praktische Philosophie verbindet.

Moore vs. Aristoteles

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Zwischen Theorie und Praxis

Fragen deuten schon an: Metaethik fällt sowohl in den Bereich der theoretischen als auch der praktischen Philosophie.

Revisionismusfrage (6): allgemeine methodologische Frage

Frage zu moralischen Intuitionen (5): epistemologische Frage

Frage nach der Bedeutung des moralischen Vokabulars (3): prima facie sprachphilosophische Frage

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Zwischen Theorie und Praxis

Tatsächlich ist Metaethik zu Beginn wesentlich Sprachanalyse.

G.E. Moores zuerst 1903 erschienenem Buch Principia Ethica als Auftakt zur Metaethik als einer eigenständigen Disziplin.

Kernfrage: Was das bezeichnet das Prädikat „gut“ als ethisches Prädikat.

Aber: Dieser Ansatz schuldet sich dem linguistic turn.

Analyse der Sprache als allgemeine philosophische Methode, die auf alle Gegenstände der Philosophie, einschließlich der Moral und Ethik, angewendet wird.

Sprachanalytische Philosophie versus analytische Sprachphilosophie.

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Zwischen Theorie und Praxis

Moore: In der Ethik geht es primär um Wissen (Gegensatz etwa zu Aristoteles)

„The direct object of Ethics is knowledge and not practice...“ (G. E. Moore, From Principia Ethica, S. 59)

Um entscheiden zu können, was wir tun sollen, müssen wir zunächst wissen, was das ethisch Gute ist.

Heutige Metaethik: sowohl Theorie als auch Praxis.

Nicht mehr nur Analyse des ethischen Vokabulars, sondern auch ethische Erkenntnistheorie und ethische Metaphysik (Ontologie).

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Wichtige metaethische Fragen

(1) Sind moralische Äußerungen Behauptungssätze und können dementsprechend wahr oder falsch sein?

Wenn moralische Äußerungen Behauptungssätze sind, beschreiben sie dann objektiv bestehende Tatsachen?

(2) Sind moralische Äußerungen, sofern sie tatsächlich die Urteile des Sprechers ausdrücken, notwendigerweise handlungsmotivierend?

(3) Hängt die Motivation zu einer Handlung grundsätzlich von gegebenen Wünschen der Person ab?

Nächste Woche: wer alle diese Fragen bejaht, hat ein Problem!