Das Problem der Moral 22.11.2011

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Nonkognitivismus in der Nonkognitivismus in der Metaethik Metaethik Das Problem der Moral 22.11.2011 Prof. Dr. Sabine A. Döring

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Nonkognitivismus in der Nonkognitivismus in der MetaethikMetaethik

Das Problem der Moral22.11.2011

Prof. Dr. Sabine A. Döring

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Das Problem der Moral

1) Moralische Urteile drücken die Überzeugungen des Sprechers über objektiv bestehende Tatsachen aus.

=> Objektivitätsanspruch moralischer Urteile

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Das Problem der Moral

2) Moralische Urteile sind intrinsisch handlungsmotivierend.

=> Praktizitätsanspruch moralischer Urteile.

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Das Problem der Moral

3) Alle Motivation geht von den Wünschen der handelnden Person aus.

Humesche Theorie der Motivation.

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Das Problem der Moral

1) Moralische Urteile drücken die Überzeugungen des Sprechers über objektiv bestehende Tatsachen aus.

2) Moralische Urteile sind intrinsisch handlungsmotivierend.

3) Alle Motivation geht von den Wünschen der handelnden Person aus.

4) Überzeugungen und Wünsche sind zwei distinkte und einander wechselseitig ausschließende Klassen mentaler Zustände.

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Das Problem der Moral

Nonkognitivistische Theorien lehnen 1) ab.

Objektivität der Moral wird zugunsten ihrer Praktizität preisgegeben.

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Kognitivismus und Nonkognitivismus

Grundlegende Fragen der Metaethik:

Welche Funktion haben moralische Äußerungen (z. B. „Diebstahl ist moralisch verwerflich“ oder „Es war falsch von Dir, das Geld zu stehlen“)?

Sind moralische Äußerungen wahrheitswertfähig?

Stellen wir mit moralischen Äußerungen Behauptungen über das Bestehen und Nichtbestehen von Tatsachen auf?

Formulieren wir mit moralischen Äußerungen potentielle Erkenntnisse?

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Grundlagen: Kognitivismus und Nonkognitivismus

Kognitivismus und Nonkognitivismus sind (semantische) Thesen über die Bedeutung moralischer Äußerungen.

Kognitivismus: Moralische Äußerungen sind wahrheitswertfähig.

Moralische Äußerungen werden als Behauptungssätze analysiert, die die Überzeugungen des Sprechers über normative Tatsachen ausdrücken.

Nonkognitivismus: Moralische Äußerungen sind nicht wahrheitswertfähig.

Moralische Äußerungen werden als Gefühlsausdrücke oder als Ausdruck anderer nonkognitiver Einstellungen des Sprechers analysiert und haben gar nicht die Funktion (normative) Tatsachen zu beschreiben.

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Ayers Theorie als Ausweg aus einem Dilemma

Kognitivismus

Naturalismus: scheitert an G. E. Moores Argument der „offenen

Frage“

Non-Naturalismus: widerspricht den Grundsätzen des

Logischen Empirismus

Klassischer Utilitarismus Subjektivismus

Erste Person Allgemeine Meinung

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Grundlagen: Logischer Empirismus

In Kap. VI seines Buches Language, Truth and Logic will Ayer abschließend zeigen, daß alle „synthetischen Sätze empirische Hypothesen sind“ (102).

Hintergrund: Programm des Logischen Empirismus.

Alle sinnvollen Sätze sind entweder empirische Sätze oder analytische Sätze.

Zurückgewiesen wird damit die Position Kants, der bei aller Kritik für die Metaphysik noch die synthetischen Sätze (Urteile) a priori retten wollte.

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Grundlagen: Logischer Empirismus

Kritik der Logischen Empiristen an der bisherigen Philosophie:

1) Empirismus (vs. Rationalismus): Überwindung der spekulativen Metaphysik.

Alle Erkenntnis über die Welt ist empirische Erkenntnis, d.h. stammt aus der Sinneserfahrung, der Beobachtung oder dem Experiment.

2) Logisch (vs. psychologisch): Überwindung des „Psychologismus“ in der Philosophie.

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Grundlagen: Logischer Empirismus

Zu 2) Gegenstand der philosophischen Analyse sind die sprachlich vollständig ausdrückbaren Inhalte von Gedanken, nicht Gedanken als psychische Ereignisse.

Zu Beginn der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert wird Sprache zum Gegenstand der philosophischen Analyse (Linguistic Turn).

Freges These der „Priorität der Sprache gegenüber dem Denken“ (nach Michael Dummett):

Gedanken sind nur über Sprache verfügbar und lassen sich sprachlich vollständig mitteilen.

Damit hat die Philosophie einen intersubjektiv zugänglichen Gegenstand.

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Grundlagen: Logischer Empirismus

Philosophische Analyse fragt nach Wahrheit und Rechtfertigbarkeit von Sätzen als dem intersubjektiv zugänglichen Ausdruck der Inhalte von Gedanken.

Sie fragt nicht nach ihrer „psychologischen Entstehungsweise“, d. h., nicht nach den Ursachen, aufgrund derer jemand zu dem Urteil gelangt sein mag (G. Frege, Begriffsschrift, IX).

Strikte Trennung von Philosophie und Psychologie

Genese vs. Geltung

Ursachen vs. Gründe

Philosophische Analyse prüft die Geltung der Inhalte von Gedanken, indem sie Sätze (als den vollständigen Ausdruck) von Gedanken und die in diesen vorkommenden Teilausdrücke untersucht.

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Grundlagen: Logischer Empirismus

Z. B. Hans meint, daß p.

p = Proposition = Satzinhalt = gedanklicher Inhalt

Nicht: wie läßt es sich (psychologisch) erklären, daß Hans meint, daß p?

Stattdessen: Ist Hans in seiner Meinung, daß p, gerechtfertigt und ist diese Meinung wahr?

Z. B. weil er außerdem meint, daß q p, und meint, daß q (modus ponens).

Oder weil er meint, daß p sich sich auf einfachste Sätze über empirisch Gegebenes zurückführen („verifizieren“) läßt.

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Grundlagen: Logischer Empirismus

Zu 1) Kandidaten für p sind entweder empirische oder analytische Propositionen bzw. Sätze (Aussagen).

Empirischer Satz: Satz, dessen Wahrheit sich nur abhängig von Erfahrung feststellen läßt.

Z. B. wissenschaftliche Hypothesen, aber auch „Ophthalmologen sind humorlos“.

Analytischer Satz: Satz, dessen Wahrheit sich unabhängig von Erfahrung feststellen läßt.

Z. B. „p ˅ ¬p“, aber auch „Ophthalmologen sind Ärzte“ und „Die Winkelsumme im Dreieck ist gleich 180°“.

Bei Kant: synthetisch a priori, bei Carnap: analytisch

Erkenntnis oder „sinnlose Sätze“ (Wittgenstein)?

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Vom Logischen Empirismus zu Ayer

These: Alle Sätze, die weder empirische noch analytische Sätze sind, sind unsinnige Scheinsätze.

Z. B. „Caesar ist eine Primzahl“, aber auch „Das Nichts nichtet“.

Empiristisches Verifikationskriterium.

Z. B. Carnap, Überwindung der Metaphysik durch logische Analyse der Sprache.

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Vom Logischen Empirismus zu Ayer

Frage: Wie verhält es sich mit den Sätzen der Ethik?

Was sind überhaupt „Sätze der Ethik“?

Ayer (103) unterscheidet:

1) Metaethische Definitionen ethischer Terme (z. B. „gut“).

2) Beschreibungen moralischer Erfahrung („Heinrich! Mir graut vor dir!“)

3) Tugendappelle („Sei barmherzig!“)

4) Moralische Äußerungen („Diebstahl ist moralisch verwerflich“ oder „Es war falsch von Dir, das Geld zu stehlen“).

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Vom Logischen Empirismus zu Ayer

Gegenstand der Moralphilosophie sind nach Ayer ausschließlich Definitionen ethischer Terme:

„In fact, it is easy to see that only the first of the four classes, namely that which comprises the propositions relating to the definitions of ethical terms, can be said to constitute ethical philosophy.“ (103)

Auf diesem Wege, so Ayer, läßt sich dann bestimmen, was für eine Art von Sätzen moralische Äußerungen sind:

„A strictly philosophical treatise on ethics should therefore make no ethical pronouncements. But it should, by giving an analysis of ethical terms, show what is the category to which all such pronouncements belong.“ (103 f.)

Ethik wird hier zu reiner Metaethik, die selbst keine moralischen Normen aufstellt.

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Von Moore zu Ayer: die Definition von „gut”

Ayers Vorbild: (nicht Logischer Empirismus, sondern) G. E. Moore.

Moore: „The direct object of Ethics is knowledge and not practice...“ (Principia Ethica, 1903)

Vorrang des ethischen Wissens gegenüber der ethischen Praxis:

Um entscheiden zu können, was wir tun sollen, müssen wir zunächst wissen, was das ethisch Gute ist.

Im Hintergrund steht hier die konsequentialistische Annahme, die Moore mit den von ihm kritisierten Naturalisten und Utilitaristen Jeremy Bentham und John Stuart Mill teilt:

Der Wert einer Handlung hängt vom Wert ihrer Folgen ab.

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Von Moore zu Ayer: die Definition von „gut”

Richtig ist diejenige Handlung, die das ethische Gute (am meisten) befördert.

Also hängt das Richtige vom Guten ab (und nicht umgekehrt), und müssen wir zunächst herausfinden, was ethisch gut ist.

Moores These: Das Adjektiv „gut“ ist, sofern damit „ethisch gut“ gemeint ist, undefinierbar.

Folglich läßt „gut“ sich durch keine natürliche Eigenschaft N definieren (aber auch nicht durch eine metaphysische Eigenschaft M).

Kritik an Bentham und Mill, die „ethisch gut“ als „lust-“ oder „glückbringend“ oder als „das, was von allen gewünscht wird“, zu definieren versuchten.

Kritik an dem Versuch moralische Urteile zu einer Teilklasse empirischer Urteile zu machen:

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Von Moore zu Ayer: die Definition von „gut”

Kognitivismus

Naturalismus: scheitert an G. E. Moores Argument der „offenen

Frage“

Non-Naturalismus: widerspricht den Grundsätzen des

Logischen Empirismus

Klassischer Utilitarismus

Subjektivismus

Erste Person Allgemein

Page 22: Das Problem der Moral 22.11.2011

Von Moore zu Ayer: der naturalistische Fehlschluß

Warum läßt sich „(ethisch) gut“ nicht definieren?

Moore: Wer die normative Eigenschaft ethischer Güte durch eine natürliche, nicht-normative Eigenschaft definiert, begeht einen „naturalistischen Fehlschluß“.

Das Beispiel Mill:

Laut Mill besteht der „Beweis“ dafür, daß „Lust“ das (einzige) ist, das ethisch gut ist, darin, daß Lust das (einzige) ist, das von allen Menschen gewünscht wird.

„... the sole evidence it is possible to produce that anything is desirable, is that people do actually desire it.“ (John Stuart Mill, Utilitarianism, Kap. 4)

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Von Moore zu Ayer: der naturalistische Fehlschluß

„Lust wird von allen gewünscht, also ist Lust gut“ ist ein Fehlschluß.

Es ist aber kein spezifisch naturalistischer Fehlschluß.

„x ist A, darum ist x B“ gilt grundsätzlich nicht, unabhängig davon, ob A und B natürliche oder nicht-natürliche Eigenschaften bezeichnen.

In Mills Argument fehlt eine Prämisse:

P 1 Lust wird von allen gewünscht.

P 2 Was von allen gewünscht wird, ist wünschenswert bzw. gut.

Also K: Lust ist gut

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Von Moore zu Ayer: der naturalistische Fehlschluß

Moore attackiert P 2:

„Was von allen gewünscht wird, ist gut“ ist nicht analytisch wahr.

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Von Moore zu Ayer: die „offene Frage”

Moore formuliert diesen Einwand als das Argument der „offenen Frage“:

Einmal angenommen, „Was von allen gewünscht wird, ist gut“ wäre analytisch wahr.

Dazu müßten „wird von allen gewünscht“ und „gut“ bedeutungsgleich sein.

Entsprechend wäre „x wird von allen gewünscht“ bedeutungsgleich mit „x ist gut“.

Das würde aber heißen, daß die Frage „Ist ein x, das von allen gewünscht wird, gut?“ unsinnig wäre.

„Ist ein x, das von allen gewünscht wird, gut?“ wäre gleichbedeutend mit „Ist ein x, das gut ist, gut?“

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Von Moore zu Ayer: die „offene Frage”

Moore: Man kann nicht zustimmen, daß x gut ist, und trotzdem noch sinnvoll fragen, ob x gut ist.

Dagegen: Man kann zustimmen, daß x von allen gewünscht wird, und trotzdem noch sinnvoll fragen, ob x gut ist.

Die Frage, ob x gut ist, bleibt offen.

Folglich können „wird von allen gewünscht“ und „gut“ nicht bedeutungsgleich sein.

Folglich kann die durch das Prädikat „wird von allen gewünscht“ bezeichnete natürliche Eigenschaft nicht identisch mit der Eigenschaft der ethischen Güte sein.

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Von Moore zu Ayer: die „offene Frage”

Analog Ayer: Man kann nicht widerspruchsfrei behaupten „Manchmal ist es falsch, diejenige Handlung zu wählen, die richtig ist“ oder „Manchmal ist, was gut ist, schlecht“.

Dagegen: Man kann widerspruchsfrei behaupten „Manchmal ist es falsch, diejenige Handlung zu wählen, die die Wünsche aller Betroffenen bestmöglich erfüllen würde“ oder „manchmal ist, was von allen gewünscht wird, schlecht“.

Wären „gut“ und „was von allen gewünscht wird“ bedeutungsgleich, wäre das nicht möglich.

Folglich lassen sich normative ethische Terme wie „gut“ oder „richtig“ nicht auf die im Utilitarismus vorgeschlagenen nicht-normativen, natürlichen Terme reduzieren.

Page 28: Das Problem der Moral 22.11.2011

Von Moore zu Ayer: was ist eine Definition?

Gefordert ist jeweils ist eine Realdefinition im Unterschied zu einer Nominaldefinition oder einer Standarddefinition.

Nominaldefinition: willkürliche Verbaldefinition (z. B. „The Brain“ für den scharfsinnigsten Philosophen Tübingens)

Standarddefinition: Bestimmung des normalen, alltagssprachlichen Gebrauchs eines Wortes (z. B. den Ausdruck „Wasser“ gebrauchen Sprecher der deutschen Sprache für eine „durchsichtige, geschmacks- und geruchlose Flüssigkeit, die wir trinken können und die Seen, Flüsse und Ozeane füllt“)

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Von Moore zu Ayer: was ist eine Definition?

Eine Realdefinition müßte nach Moore ein analytisch wahrer Satz sein, um so das Wesen oder die Natur des definiendum zu erfassen.

Einen solche Satz könne es aber nicht geben:

„... propositions about the good are all of them synthetic and never analytic...“ (G. E. Moore, From Principia Ethica, 52)

Analog Ayer: „...we reject utilitarianism not...not as proposals to replace our existing ethical notions by new ones, but as analyses of our existing ethical notions“ (Ayer, Language, Truth and Logic, 105; Hervorhebung S.D.)

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Von Moore zu Ayer: was ist eine Definition?

Das Argument der offenen Frage wendet Ayer auch gegen den Subjektivismus:

Man kann nicht widerspruchsfrei sagen

a) „Einige Handlungen, die richtig sind, sind falsch“ (oder „einiges, was gut ist, ist schlecht“).

Man kann widerspruchsfrei sagen

a) „Einige Handlungen, die von allen für richtig gehalten werden, sind falsch“ oder

b) „Manchmal halte ich für richtig, was falsch ist“.

Folglich scheitern beide Optionen eines naturalistischen Kognitivismus, Utilitarismus und Subjektivismus, und können moralische Sätze keine empirischen Sätze sein:

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Von Moore zu Ayer: die Definition von „gut”

Kognitivismus

Naturalismus: scheitert an G. E. Moores Argument der „offenen

Frage“

Non-Naturalismus: widerspricht den Grundsätzen des

Logischen Empirismus

Klassischer Utilitarismus

Subjektivismus

Erste Person Allgemeine Meinung

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Moores Intuitionismus

Bliebe als Alternative Moores non-naturalistischer Kognitivismus.

Nach Moore bezeichnet das Prädikat „gut“ nicht-natürliche Eigenschaften, die wir vermittels eines besonderen Erkenntnisvermögens, der Intuition, erkennen können.

Widerspricht dem Logischen Empirismus.

So genannte ethische Einsichten wären dann nicht empirisch überprüfbar (bzw. nicht „empirisch verifizierbar).

=> Empiristisches Verifikationskriterium.

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Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

Wenn nun weder ein naturalistischer noch ein non-naturalistischer Kognitivismus wahr sein können und moralische Sätze demnach nicht wahrheitswertfähig sind:

Sind sie damit unsinnige Scheinsätze?

„Die vermeintlichen Sätze ... der Ethik (wenn sie eine normative Disziplin und nicht eine psychologisch-soziologische Tatsachenuntersuchung sein soll) sind Scheinsätze (...) sie haben keinen theoretischen Gehalt, sondern sind nur Gefühlsäußerungen, die beim Hörer wiederum Gefühle und Willenseinstellungen anregen.“ (R. Carnap, Logische Syntax der Sprache [1934], S. 204)

Page 34: Das Problem der Moral 22.11.2011

Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

Dagegen Ayer:

„In putting forward the principle of verification as a criterion of meaning, I do not overlook the fact that the word ‘meaning‘ is commonly used in a variety of senses, and I do not wish to deny that in some of these senses a statement may properly be said to be meaningful even though it is neither analytic nor empirically verifiable.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, S. 15; Hervorhebung S.D.)

Worin besteht die Bedeutung moralischer Sätze?

Inwiefern bleibt Ayer damit dem idealsprachlichen Programm des Logischen Empirismus tatsächlich verpflichtet und betreibt nicht stattdessen (wie Moore) Philosophie der normalen Sprache?

Grundsätzlich geht es um „analyses of our existing ethical notions“.

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Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

Ayer: Moralische Äußerungen haben emotive Bedeutung.

(1) Moralische Äußerungen drücken keine moralischen Überzeugungen aus.

(2) Statt dessen drücken sie (bestimmte) Gefühle aus (Emotivismus).

(3) Gefühle unterscheiden sich von Überzeugungen dadurch, daß sie nichts als der Fall seiend repräsentieren und daher von vornherein nicht wahr oder falsch sein können.

(4) Als der Ausdruck von Gefühlen repräsentieren demnach auch moralische Äußerungen nichts als der Fall seiend und können daher ebenfalls nicht wahr oder falsch sein (Nonkognitivismus).

Page 36: Das Problem der Moral 22.11.2011

Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

„If ... I ... say, ‘Stealing money is wrong‘, I produce a sentence which has no factual meaning - that is, expresses no proposition which can be either true or false. It is as if I had written ‘Stealing money!‘ - where the shape and the thickness of the exclamation marks show, by a suitable convention, that a special sort of moral disapproval is the feeling which is being expressed. It is clear that nothing is said here which can be true or false ... in every case in which one would commonly be said to be making an ethical judgement, the function of the relevant ethical word is purely ‘emotive‘. It is used to express feeling about certain objects, but not to make any assertion about them.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, 107)

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Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

Vorausgesetzt ist hier die Humesche Theorie des Gefühls in dem folgenden Sinne:

„A passion [...] contains not any representative quality, which renders it a copy of any other existence [...] When I am angry, I am actually possest with the passion, and in that emotion have no more a reference to any other object, than when I am thirsty, or sick, or more than five foot high.“ (D. Hume, A Treatise of Human Nature, [1739/40], 1978, 415)

Wie Hume spricht Ayer den Gefühlen die Intentionalität (die Gerichtetheit auf von ihnen selbst verschiedene Dinge in der Welt) und damit den repräsentationalen Charakter ab.

Page 38: Das Problem der Moral 22.11.2011

Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

Wenn moralische Äußerungen Propositionen beinhalten, so sind das keine moralischen Propositionen.

Z. B. „Du hast Dich falsch verhalten, indem Du das Geld gestohlen hast“

hat die empirische Bedeutung (drückt die Proposition aus)

„Du hast das Geld gestohlen“.

Die Wahrheit dieses Satzes ist unabhängig von der emotionalen moralischen Bewertung der beschriebenen Handlung durch den Sprecher.

Wer die Handlung moralisch bewertet („Du hast Dich falsch verhalten“) schreit sozusagen aus Mißbilligung „Buh“ oder vor Schmerz „Aua“.

Page 39: Das Problem der Moral 22.11.2011

Ayers „Buh- und Hurra-Theorie”

„... if I say to someone ‘You acted wrongly in stealing that money‘, I am not saying anything more than if I had simply said, ‘You stole that money‘. In adding that this action is wrong, I am not making any further statement about it. I am simply evincing my moral disapproval about it. It is as if I had said, ‘You stole that money‘, in a peculiar tone of horror, or written with the addition of some special exclamation marks. The tone, or the exclamation marks, adds nothing to the literal meaning of the sentence. It merely serves to show that the expression of it is attended by certain feelings in the speaker.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, 107)

Wertbegriffe sind keine genuinen (empirischen) Begriffe, sondern bloße Pseudo-Begriffe.

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Ayers nonkognitivistische Position vs. kognitivistischer Subjektivismus

Ayers Emotivismus: Moralische Äußerungen drücken die Gefühle des Sprechers aus.

Subjektivismus: Moralische Äußerungen beschreiben Gefühle, und zwar entweder die Gefühle des Sprechers oder die Gefühle der (meisten) Mitglieder der Gemeinschaft, der der Sprecher angehört.

Beispiel: „Diebstahl ist moralisch verwerflich“

Subjektivismus der ersten Person: „Ich mißbillige den Diebstahl von Geld“ (wahrheitswertfähig)

Subjektivismus der allgemeinen Meinung: „Die meisten mißbilligen den Diebstahl von Geld“ (wahrheitswertfähig)

Ayers Emotivismus: „Diebstahl von Geld - Buh!“ (nicht wahrheitswertfähig)

Page 41: Das Problem der Moral 22.11.2011

Ayers nonkognitivistische Position vs. kognitivistischer Subjektivismus

Standardeinwand gegen den Subjektivismus (Moore):

Moralischen Meinungsverschiedenheiten kann nicht Rechnung getragen werden.

Wenn ein Sprecher A urteilt, daß x (ethisch) gut ist, wohingegen B x für schlecht erklärt, beschreiben beide ihre jeweiligen Gefühle der Billigung bzw. Mißbilligung, so daß ihre Urteile von vornherein nicht miteinander konfligieren.

Ayer: In der Tat sind moralische Meinungsverschiedenheiten nicht möglich.

„...one really never does dispute about questions of value.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, S. 110)

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Ayers nonkognitivistische Position vs. kognitivistischer Subjektivismus

Wann immer wir über Werte zu streiten scheinen, streiten wir in Wahrheit über (nicht-normative) empirische Tatsachen.

„When someone disagrees with us about the moral value of a certain action or type of action, we do admittedly resort to argument in order to win him over to our way of thinking. But we do not attempt to show by our arguments that he has the wrong ethical feeling towards a situation which he has correctly apprehended. What we attempt to show is that he is mistaken about the facts of the case.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, 110 f.; Hervorhebung S.D.)

Ob eine moralische Meinungsverschiedenheit auf diesem Wege beseitigt werden kann, hängt davon ab, daß die Opponenten dieselbe moralische Erziehung genossen haben und daher ein gemeinsames „Wertesystem” teilen.

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Vorzüge des Nonkognitivismus

Indem moralische Äußerungen zum Ausdruck von Gefühlen erklärt werden, kann der Nonkognitivismus der motivierenden Kraft moralischer Urteile Rechnung tragen.

Mit Michael Smith gesprochen, wird die Praktizität moralischer Urteile auf Kosten ihrer Objektivität gerettet.

Den historischen Hintergrund bildet auch hier die Theorie Humes:

Moralische Urteile gründen nicht in der Vernunft, sondern in arationalen (nonkognitiven) Gefühlen.

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Vorzüge des Nonkognitivismus

Expliziter als Ayer ist hier der Nonkognitivist Charles Stevenson.

Er macht den Anspruch des Nonkognitivismus explizit, der motivierenden Kraft moralischer Äußerungen Rechnung zu tragen.

Stevenson schreibt Ausdrücken wie „(ethisch) gut“ einen „Magnetismus“ zu:

Wer anerkenne, daß x gut sei, müsse motiviert sein, so zu handeln, daß x herbeigeführt werde (vgl. C. Stevenson, The Emotive Meaning of Ethical Terms, [1936] 1997, 73).

Page 45: Das Problem der Moral 22.11.2011

Vorzüge des Nonkognitivismus

Ayer betont außerdem die Beeinflussung der Gefühle und Handlungen des Hörers:

„It is worth mentioning that ethical terms do not serve only to express feeling. They are calculated also to arouse feeling, and so to stimulate action. ... In fact we may define the meaning of the various ethical words in terms both of the different feelings they are ordinarily taken to express, and also the different responses which they are calculated to provoke.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952,108)

Demnach erschöpft sich die Bedeutung moralischer Äußerungen nicht im Ausdruck der Gefühle des Sprechers.

Zugleich sollen im Hörer entsprechende Gefühle geweckt werden mit dem Ziel, diesen zum entsprechenden Handeln zu bewegen.

„ ... we hold that ethical statements are expressions and excitants of feeling ... “ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, 108; Hervorhebung S.D.)

Page 46: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

1) Wie kann ein Sprecher, indem er seine eigenen Gefühle ausdrückt, im Hörer entsprechende Gefühle erzeugen?

Beispiel:

Wenn Hans seiner Trauer über den Tod Onkel Peters gegenüber Dieter Ausdruck verleiht, Dieter Onkel Peter aber für einen üblen Halunken hielt, wird Hans’ Trauer schwerlich Trauer bei Dieter auslösen.

Page 47: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

Ayer will hier dem „Aufforderungscharakter“ moralischer Äußerungen Rechnungen tragen.

Wer sagt, daß es geboten ist, seine Organe zu spenden, will damit nicht nur seine subjektive Billigung zum Ausdruck bringen.

Er erwartet vielmehr, daß der Hörer seine Gefühle teilt und dementsprechend ebenso wie er selbst dazu motiviert ist, sich einen Organspendeausweis zuzulegen.

Page 48: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

Aufforderungscharakter ergibt sich seinerseits aus dem Anspruch moralischer Äußerungen auf allgemeine Verbindlichkeit.

Moralische Überzeugungen sind „indexlos“, d.h. haben keinen Bezug auf ein bestimmtes Subjekt und seine jeweiligen Zwecke (Wünsche, Interessen, Neigungen).

Wer behauptet, es sei es geboten ist, seine Organe zu spenden, sagt damit, daß ceteris paribus jede Person dazu verpflichtet ist, und zwar auch dann, wenn sie das lieber nicht täte.

Ausnahmen können nur damit begründet werden, daß eine konfligierende Vernunftforderung ins Spiel gebracht und höher gewichtet wird – was dann aber gerade nicht mehr ceteris paribus wäre.

Page 49: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

Allgemeine Verbindlichkeit unterschiedet moralische Äußerungen von bloßen Geschmacksäußerungen.

Z. B. „Erdbeereis ist gut“ als „Erdbeereis – hm, lecker!“

Wer sagt, daß Erdbeereis gut ist, kann normalerweise gut damit leben, wenn andere Schokoladeneis vorziehen.

Es gibt einen Aspekt der Bedeutung moralischer Äußerungen – ihren Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit und ihren hieraus resultierenden Aufforderungscharakter – der von Ayers Analyse nicht erfaßt wird.

Page 50: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

2) Obwohl er dies behauptet: Ayer kann dem Anspruch moralischer Äußerungen auf allgemeine Verbindlichkeit und ihrem hieraus resultierenden Aufforderungscharakter nicht Rechnung tragen.

Page 51: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

3) Indem die allgemeine Verbindlichkeit moralischer Äußerungen nicht erfaßt wird, kann Ayer auch dem tatsächlichen Charakter moralischer Meinungsverschiedenheiten nicht Rechnung tragen.

„Über Geschmack läßt sich nicht streiten”

Aber: Im Alltag geben wir uns nicht damit zufrieden, daß moralische Urteile nur innerhalb einer Gruppe von Personen gelten sollen, die zufällig die gleiche moralische Erziehung genossen haben.

Geltungsanspruch moralischer Urteile betrifft alle moralfähigen Wesen (z. B. Menschenrechte).

Page 52: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

Ayer scheint dieses Problem dergestalt angehen zu wollen, daß er (ähnlich wie Hume) spezifisch moralische Gefühle ansetzt:

Moralische Äußerungen drücken demnach nicht irgendwelche, sondern spezifisch moralische Gefühle aus.

„In adding that this action is wrong, I am not making any further statement about it. I am simply evincing my moral disapproval about it.“ (s. o.)

„[A] special sort of moral disapproval is the feeling which is being expressed.“ (Ebenda)

„Ethical symbols ... occur in sentences which simply express ethical feeling about a certain type of action or situation.“ (A. J. Ayer, Language, Truth and Logic, [1936] 1952, 108; Hervorhebungen alle S.D.)

Page 53: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

4) Was aber sind moralische Gefühle?

Ayer kann hier klarerweise nicht einfach sagen, daß moralische Gefühle genau diejenigen Gefühle sind, die in moralischen Äußerungen ausgedrückt werden.

Umgekehrt sollen moralische Äußerungen ja genau dadurch definiert sein, daß sie moralische Gefühle ausdrücken.

Kandidaten für moralische Gefühle?

Gibt es überhaupt spezifisch moralische Gefühle?

Kann es Gefühle geben, deren Ausdruck Anspruch auf allgemeine Verbindlichkeit erhebt?

Page 54: Das Problem der Moral 22.11.2011

Fragen und Einwände

5) Insofern er unsere Praxis in Frage stellt, bedarf der Emotivismus einer Irrtumstheorie.

Wenn wir dem Emotivismus zustimmten: müßten wir dann nicht unsere Praxis ändern? Ist das vorstellbar?

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Fragen und Einwände

6) Verhält es sich aber wirklich so, daß unsere moralischen Urteile sich in direkter Abhängigkeit von unseren Gefühlen ändern (würden)?

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Fragen und Einwände

7) Wie analysiert der Emotivismus die Bedeutung moralischer Äußerungen in nicht-assertorischer Verwendung?

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Fragen und Einwände

Problem manifestiert sich im „Frege-Geach-Problem“ (vgl. P. Geach, Ascriptivism, in: Philosophical Review 69, 221-5; Assertion, in: Philosophical Review 74, 449-65).

Z. B. welche Bedeutung hat „Abtreibung ist moralisch unzulässig“ in „Wenn Abtreibung moralisch unzulässig ist, sollst Du Deine Freundin nicht dazu überreden“?

Da hier nicht behauptet wird, Abtreibung sei moralisch unzulässig, kann die Bedeutung nicht sein:

„Abtreibung -Buh!“

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Das Frege-Geach-Problem

Betrachten wir zudem den folgenden Schluß, der dem Schema des modus ponens entspricht:

P 1 Abtreibung ist moralisch unzulässig.

P 2 Wenn Abtreibung moralisch unzulässig ist, sollst Du Deine Freundin nicht dazu überreden.

Also:

K Du sollst Deine Freundin nicht zur Abtreibung überreden.

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Das Frege-Geach-Problem

Da der Sprecher in P 2 keine Mißbilligung zum Ausdruck bringt bzw. keinen Quasi-Imperativ äußert, muß „Abtreibung ist schlecht“ in diesem Kontext eine andere Bedeutung haben als im assertorischen Kontext von P 1.

Der Schluß muß folglich auf einer bloßen Äquivokation beruhen wie:

P 1 Dieses Metallstück ist eine Mutter.

P 2 Wer eine Mutter ist, hat Kinder.

Also:

K Dieses Metallstück hat Kinder.