Das Schutzregime der FFH-Richtlinie und seine Umsetzung in nationales Recht Dr. Ahmet M. Güneş,...

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Das Schutzregime der FFH-Richtlinie und seine Umsetzung in nationales Recht Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines Doktors der Rechtswissenschaft der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld vorgelegt von Ahmet Mithat Günes, LL.M. Aus Batman/Türkei 2007

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Das Schutzregime der FFH-Richtlinie und seine Umsetzung in nationales Recht

Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades eines

Doktors der Rechtswissenschaft der Fakultät für Rechtswissenschaft der Universität Bielefeld

vorgelegt von

Ahmet Mithat Günes, LL.M. Aus Batman/Türkei

2007

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Erster Gutachter: Prof. Dr. Andreas Fisahn

Zweiter Gutachter: Prof. Dr. Michael Kotulla

Tag der mündlichen Prüfung: 14. November 2007

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Meinen Eltern

in Dankbarkeit gewidmet

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I

Vorwort

Die vorliegende Arbeit wurde im Herbst 2007 von der Fakultät für Rechtswissenschaft der

Universität Bielefeld als Dissertation angenommen. Das Manuskript wurde im März 2007

abgeschlossen; Rechtsprechung und Literatur konnten vor Drucklegung noch bis Oktober

2007 berücksichtigt werden.

Mein ganz besonderer Dank gilt zuvorderst meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Andreas

Fisahn für die stets freundliche Betreuung, wissenschaftliche Unterstützung und die

rasche Erstellung des Erstgutachtens. Besonders danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr.

Michael Kotulla für die zügige Erstattung des Zweitgutachtens. Bedanken möchte ich

mich außerdem bei Herrn Dipl. jur. Tarkan Baran für das sorgfältige Korrekturlesen.

Nicht zuletzt danke ich aber meinen Eltern, denen meine Ausbildung am herzen lag.

Bielefeld, im November 2007 Ahmet Mithat Günes, LL.M

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Inhaltsverzeichnis

Einleitung 1

Erster Teil: Rechtliche Grundlagen zur Schaffung des europäischen

Netzes „Natura 2000“ 5

A. Entstehungsgeschichte, Ziele und Mittel der FFH-Richtlinie 5

I. Entstehungsgeschichte 5

II. Zielvorgaben der FFH-Richtlinie und Natura 2000 als Kernelement

der europäischen Naturschutzpolitik 6

III. Übersicht über Aufbau, Regelungskonzept

und Zeitvorgaben der FFH-Richtlinie 9

B. Verfahren zur Schaffung des europäischen Habitatschutzgebietsnetzes

Natura 2000 11

I. Die mitgliedstaatliche Auswahl der FFH-Gebiete 12

1. Auswahlkriterien und Auswahlgesichtspunkte 13

2. Abschließender Charakter der Auswahlkriterien und Berücksichtigung

anderweitiger Belange 15

3. Mitgliedstaatlicher Auswahlspielraum 18

II. Erstellung der Gemeinschaftsliste durch Kommission 22

1. Erstellung der vorläufigen Gemeinschaftsliste 22

2. Härtefallklausel des Art.4 Abs.2 UAbs.2 FFH-RL 24

3. Konzertierungsverfahren nach Art. 5 FFH-RL 25

4. Festlegung der endgültigen Gemeinschaftsliste 27

III. Mitgliedstaatliche Ausweisung von Schutzgebieten 27

Zweiter Teil: Schutzregime der FFH-Richtlinie 31

A. Allgemeines 31

B. Erhaltungsmaßnahmen 32

I. Begriff und sachlicher Anwendungsbereich 32

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IV

II. Räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich 37

III. Inhaltliche Ausgestaltung der Erhaltungsmaßnahmen 40

C. Verschlechterungs- und Störungsverbot 43

I. Verschlechterungsverbot 44

1. Begriff und Umfang des Verschlechterungsverbotes 44

2. Sachlicher Anwendungsbereich 47

3. Zeitlicher Anwendungsbereich 51

4. Räumlicher Anwendungsbereich 52

5. Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot 54

II. Störungsverbot 57

1. Gemeinsamkeiten zwischen Verschlechterungs- und Störungsverbot 57

2. Begriff und sachlicher Anwendungsbereich 58

D. Verträglichkeitsprüfung 61

I. Pläne und Projekte 62

1. Planbegriff im Sinne der FFH-Richtlinie 63

2. Projektbegriff im Sinne der FFH-Richtlinie 66

3. Begrenzung der Verträglichkeitsprüfung 69

II. Zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL 70

III. Umgebungsschutz und Summationseffekte 72

IV. Grenzüberschreitende Prüfungspflicht 74

V. Verfahrensablauf der Verträglichkeitsprüfung 74

1. Vorprüfung 75

a) Erheblichkeit als Voraussetzung der Verträglichkeitsprüfung 76

b) Bewertungsmaßstab in der Vorprüfung 81

2. Verträglichkeitsprüfung 82

a) Prüfungsinhalt 82

b) Prüfungsmaßstab 84

c) Verfahrensanforderungen 87

E. Verträglichkeitsgrundsatz (Zulassungsentscheidung) 90

I. Entscheidungsbefugnis 90

II. Gebiet als Solches 91

III. Beteiligung der Öffentlichkeit 95

IV. Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung 97

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V

F. Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz 99

I. Generelle Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL 100

1. Alternativlösungen 100

a) Nullvariante 103

b) Zumutbarkeit der Alternative 104

c) Territoriale Reichweite der Alternativenprüfung 108

2. Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses 112

a) Das öffentliche Interesse 112

b) Zwingende Gründe 114

aa) Allgemeines 114

bb) Gründe wirtschaftlicher und sozialer Art 116

c) Das Überwiegen der Gründe 117

3. Ausgleichsmaßnahmen 119

a) Inhalt und Reichweite der Ausgleichsmaßnahmen 119

b) Nichtvornahme von Ausgleichsmaßnahmen wegen Unmöglichkeit 121

c) Zeitliche Dimensionen 123

d) Unterrichtung der Kommission 125

II. Spezielle Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL 127

1. Allgemeines 127

2. Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL 128

3. Benannte Rechtfertigungsgründe 129

4. Andere Ausnahmegründe im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL 134

5. Stellungnahme der Kommission 140

III. Regelung des Art. 7 FFH-RL 147

1. Sachlicher Anwendungsbereich 147

2. Inkrafttreten des Schutzregimes der FFH-Richtlinie in zeitlicher Hinsicht 148

3. Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL auf

besondere Vogelschutzgebiete 150

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VI

Dritter Teil: Die Umsetzung der Schutzbestimmungen der FFH-Richtlinie

in das deutsche Naturschutzrecht 155

A. Das System der Richtlinien der EG und ihre Wirkungsweise 155

I. Allgemeines 155

II. Umsetzungsfrist und Vorwirkung der Richtlinien 155

III. Gebot effektiver Umsetzung 156

IV. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung 157

V. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien 158

1. Unbedingtheit und Bestimmtheit 159

2. Erfordernis der begünstigenden Wirkung 159

3. Belastungsverbot 161

B. Umsetzungsprozess des nationalen Rechts 163

I. Allgemeines 163

II. Gesetzgebungskompetenzen und unmittelbar geltende Regelungen 164

III. Stand der Gebietsmeldungen, Beginn der Schutzverpflichtungen und

Umgang mit potenziellen und faktischen Schutzgebieten 166

1. Stand des Meldeverfahrens und die sich daraus ergebende Probleme 166

2. Faktische Vogelschutzgebiete 169

a) Allgemeines 169

b) Rechtslage nach Inkrafttreten der FFH-Richtlinie 170

3. Potenzielle FFH-Gebiete 174

a) Allgemeines 174

b) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 175

c) Meinungsstand in der Literatur 177

d) Das Dragaggi Urteil des EuGH 180

e) Zwischenergebnis: Schutzverpflichtungen bei potenziellen FFH-Gebieten 184

C. Die Umsetzung des Verschlechterungs- und Störungsverbots 186

I. Allgemeines 186

II. Bekanntmachung im Bundesanzeiger als Anwendungsvoraussetzung 187

III. Inhaltliche Reichweite 189

1. Erheblichkeitserfordernis 189

2. Die untersagten Aktivitäten 191

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VII

3. Schutzwirkungen in Konzertierungsgebieten 192

4. Räumlicher Bezug 192

D. Die Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL 193

E. Besondere Anforderungen an Pläne und Projekte 194

I. Projektbezogene Verträglichkeitsprüfung 194

1. Die Grundregel der §§ 34 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG 194

a) Der Projektbegriff 195

aa) Die erfassten Vorhaben 195

bb) Gebietsrelevanz der Vorhaben 200

b) Prüfungsmaßstab 202

c) Verträglichkeitsprüfung bei speziellen Anlagen 205

aa) Anlagen nach dem BImSchG: die Regelung des § 36 BNatSchG 205

bb) Erlaubnis- oder bewilligungspflichtige Gewässerbenutzungen:

die Regelung des § 6 Abs. 2 WHG 209

2. Die Regelung des § 34a BNatSchG 211

II. Planbezogene Verträglichkeitsprüfung 213

1. Die Grundregeln der §§ 35, 10 Abs. 1 Nr. 12 i.V.m. 34 Abs. 1 BNatSchG 213

a) Der Planbegriff 213

aa) Relevante planerische Akte 214

bb) Gebietsrelevanz 216

b) Verweis auf § 34 Abs. 1 BNatSchG 216

2. Raumordnungspläne 217

3. Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB 220

III. Der Verträglichkeitsgrundsatz 222

IV. Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz 225

1. Erfordernis einer Sonderprüfung 225

2. Voraussetzungen der Zulassungsfähigkeit 226

3. Besonderheiten bei prioritären Lebensraumtypen und Arten 228

a) Betroffenheit der prioritären Bestandteile 228

b) Kreis der Erfassten Gebiete 229

c) Rechtfertigungsgründe 230

4. Sicherungsmaßnahmen 232

5. Unterrichtung der Kommission 234

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VIII

Viertel Teil: Zusammenfassung 235

Literaturverzeichnis 251

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1

Einleitung

Bereits in den siebziger Jahren hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich der Zustand

der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten global unaufhörlich verschlechtert.1 Viele Arten

wurden vorangehend durch den direkten Zugriff des Menschen oder durch die von Men-

schenhand verursachte Vernichtung der Lebensräume ausgerottet. Andere Arten sind vom

Aussterben bedroht. Dieser erschreckende Rückgang zahlreicher wildlebender Tier- und

Pflanzenarten gilt nicht nur für gerne thematisierte Regenwaldgebiete der Tropen, sondern

auch für das hoch industrialisierte Europa.2

Diese negative Entwicklung hat zwar vielfältige Ursachen, der bedeutendste Faktor dürfte

jedoch in der fortschreitenden Zerstörung und Verschlechterung der natürlichen Lebens-

räume vieler Tier- und Pflanzenarten liegen.3 In Europa haben Lebensraumvernichtung und

Artenschwund, insbesondere aufgrund land- und forstwirtschaftlicher Aktivitäten, zum Teil

katastrophale Dimensionen erreicht.4

Die Europäische Union hat sich, anders als etwa auf den Gebieten des Immissionsschutzes

und des Wasserhaushalts, mit der Rechtsetzung auf dem Gebiet der Naturschutzpolitik lan-

ge Zeit zurückgehalten.5 Allerdings hat sie angesichts der Tatsache, dass diese katastropha-

le Entwicklung nicht nur national, sondern gemeinschaftsweit Maßnahmen erfordert, mit

dem Erlass zweier Rechtsakte reagiert, um dem ungebremsten Fortgang dieser Entwick-

lung europaweit Einhalt zu geben. Die zwei wichtigsten Regelwerke auf dem Gebiet des

europäischen Naturschutzrechts6 sind die Vogelschutzrichtlinie (kurz: VRL)7 und die Flo-

ra-Fauna-Habitat-Richtlinie (kurz: FFH-Richtlinie).8

1 Gellermann, Natura 2000, S. 7 ff.; Wichert, Natura 2000, S. 1; Wagner, Die planbezogene Umweltverträg-

lichkeitsprüfung nach dem Entwurf der EG-Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“, S. 1; Leist, Lebensraum-schutz, S. 10 ff.; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 2824; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 1 ff.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 2 ff.; Kerkmann, Natura 2000, S. 2 ff.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 18; vgl. dazu Erwägungsgründe der FFH-Richtlinie, Bundesamt für Naturschutz, Natura 2000, S. 432.

2 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 1; Gellermann, Natura 2000, S. 7 ff.; vgl. Rat von Sachverständi-gen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1994, S. 182; Umweltbundesamt, Daten zur Umwelt, 1998/99, S. 132 ff.; Gorke, Artensterben, S. 1 ff.; Wilson, Der Wert der Vielfalt, S. 341 ff.

3 Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 2; Wilson, Der Wert der Vielfalt, S. 341 ff.; Kerkmann, Natura 2000, S. 2 ff.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 2 ff.

4 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 1; Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 1 ff.; ders., Natura 2000, S. 7 ff.; Gorke, Artensterben, S. 1 ff.; vgl. Rat von Sachverständigen für Umweltfragen, Umweltgutachten 1994, S. 182; zu den konkreten Daten in Deutschland und in Europa vgl. Niederstadt, NuR 1998, S. 515; Kerkmann, Natura 2000, S. 2.

5 Ramsauer, in: Erbguth, S. 107. 6 Ferner gibt es die EG-Artenschutzverordnung vom 09.12.1996, die zwar zum europäischen Naturschutz-

recht gezählt werden kann, jedoch im Wesentlichen lediglich Einschränkungen des freien Warenverkehrs

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Zunächst wurde die Richtlinie über die Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, die so ge-

nannte Vogelschutzrichtlinie erlassen, die inhaltlich die Erhaltung der in Europa heimi-

schen Vogelarten bezweckt, wobei dem Schutz und der Wiederherstellung der Vögel be-

sondere Bedeutung zukommt. Darüber hinaus hat der Rat der Europäischen Gemeinschaft

am 21. Mai 1992 die Richtlinie zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild-

lebenden Tiere und Pflanzen, die so genannte Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie verabschie-

det, die auf den Schutz, den Erhalt und die Wiederherstellung der biologischen Artenviel-

falt insgesamt abzielt.

Beide Rechtsakte enthalten insbesondere Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Auswei-

sung von Schutzgebieten und zur Anwendung von Schutzregimen. Die Vogelschutzrichtli-

nie dient aber lediglich dem Schutz der wildlebenden Vogelarten, während die FFH-

Richtlinie insgesamt auf den Schutz der wildlebenden Tiere und wildwachsenden Flora

sowie den Schutz ihrer Habitate abzielt. Die FFH-Richtlinie tritt dabei neben die Vogel-

schutzrichtlinie und dient ihrer Ergänzung. Mit diesen beiden Richtlinien sind erstmals

Rechtsakte der Europäischen Gemeinschaft erlassen worden, die eine umfassende und ge-

meinschaftsweite verbindliche Vorgabe zur Erhaltung und Entwicklung des europäischen

Naturerbes vorsehen.9

Die FFH-Richtlinie ist dabei bisheriger Höhepunkt im europäischen Bemühen, einen über

die Grenzen der Mitgliedstaaten funktionsfähigen Naturschutz zu etablieren und ihr liegt

die Erkenntnis zugrunde, dass dem Rückgang zahlreicher wildlebender Tier- und wild-

wachsender Pflanzenarten nur durch koordinierte Schutzmaßnahmen entgegenwirkt wer-

den kann. Um diesen Zweck zu realisieren, sieht die Richtlinie die Errichtung eines kohä-

renten europäischen ökologischen Biotopverbundnetzes besonderer Schutzgebiete („Speci-

al Areas of Conversation“, SAC) mit der Bezeichnung „Natura 2000“ vor, so dass wildle-

enthält und damit auch eine wirtschaftpolitische Zielsetzung hat. Sie ist daher im Rahmen dieser Arbeit nicht von großer Relevanz.

7 Richtlinie des Rates 79/409/EWG vom 2. April 1979 über Erhaltung der wildlebenden Vogelarten, ABl. EG Nr. L 103, S. 1; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 807/2003 des Rates vom 14.04.2003, ABl. EG Nr. L 122 , S. 36.

8 Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21 Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, ABl. 1992 Nr. L 206 S. 7 ff.; zuletzt geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.09.2003, ABl. EG Nr. L 284, S. 1.

9 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 2; Sands, Principles of international environ-mental law I, S. 398; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 109; Leist, Lebensraumschutz, S. 23 f.; Wrase, Rechts-schutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 1; Krämer, EC Environmental Law, S. 135; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 2824; vgl. auch Czybulka, UTR 1996, S. 251.

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bende Tiere und Pflanzen in ihren natürlichen Lebensräumen überleben und sich fortentwi-

ckeln können. Bestandteile dieses ökologischen Netzwerkes sind neben den die nach der

FFH-Richtlinie ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete auch die auf der Grundlage der

Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen europäischen Vogelschutzgebiete. Dieses Schutzin-

strument ist eine Reaktion auf den konservierenden Naturschutz, der regelmäßig mit der

Einrichtung isolierter Schutzgebiete einhergeht. Durch die Ausweisung von Schutzgebieten

und deren Vernetzung in dieses Netz sollen Rückzugsräume zur Verfügung gestellt und der

genetische Austausch ermöglicht werden.10

Anliegen der vorliegenden Arbeit ist es, auf der Basis der europäischen Vorgaben das

Schutzregime der FFH-Richtlinie und seine Umsetzung in das deutsche Naturschutzrecht

zu untersuchen. Die Untersuchung lässt sich in vier Teile gliedern.

Im ersten Teil soll zunächst ein Überblick über die rechtlichen Grundlagen gegeben wer-

den, die für die Errichtung des europäischen Netzes Natura 2000 von Bedeutung sind.

Hierbei soll kurz auf die Entstehungsgeschichte, Ziele, Mittel und Inhalte der FFH-

Richtlinie eingegangen werden. Im Anschluss soll das Verfahren zur Schaffung des Netzes

Natura 2000 dargestellt werden.

Der zweite Teil der Untersuchung widmet sich den europarechtlichen Vorgaben der Art. 6

und Art. 7 FFH-RL. Hierbei wird mithin auf das Schutzregime der FFH-Richtlinie fokus-

siert. Zunächst werden die Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL über das Gebietsmanage-

ment analysiert. Danach soll das in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geregelte Verschlechterungs-

und Störungsverbot untersucht werden. Im Anschluss daran werden die Vorgaben der Art.

6 Abs. 3 und 4 FFH-RL erläutert. Das Kernstück des Schutzregimes der FFH-Richtlinie

bilden diese Anforderungen, die an die Zulassung von Plänen und Projekten zu stellen sind.

Die Schlüsselstellung nimmt dabei die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1

FFH-RL ein. Hierbei wird im Einzelnen auf den Plan- und Projektbegriff der FFH-

Richtlinie sowie auf die inhaltliche Reichweite und den Verfahrensablauf der Verträglich-

keitsprüfung einzugehen sein. Ferner konstruiert Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL den sog.

Verträglichkeitsgrundsatz. Von besonderer Bedeutung ist hierbei die Beantwortung der

Frage, wie die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigen sind. Sodann

kommt die Regelung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL, die Ausnahmen vom Verträglichkeits-

grundsatz möglich macht. Diese Vorschrift unterscheidet dabei die Ausnahmezulassung bei 10 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 1; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen

Vielfalt, S. 6 ff.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 6; Kerkmann, Natu-ra 2000, S. 4.

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einfachen und bei prioritären Gebieten. Zunächst werden die Vorgaben der generellen

Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL erläutert. Anschließend soll ge-

klärt werden, unter welchen Voraussetzungen eine Ausnahmezulassung für Gebiete mit

prioritären Bestandteilen nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL möglich ist. Der zweite Teil

der Arbeit endet mit den Vorgaben des Anwendungsbefehls des Art. 7 FFH-RL.

Der dritte Teil befasst sich mit der Umsetzung von Schutzbestimmungen der FFH-

Richtlinie in das nationale Naturschutzrecht. Es soll damit untersucht werden, inwiefern die

zur Umsetzung der europäischen Vorgaben erlassenen Vorschriften des nationalen Rechts

den im zweiten Teil der Arbeit ermittelten Ergebnissen gerecht werden. In diesem Zusam-

menhang werden auch Regelungslücken idenfiziert und Lösungsvorschläge erarbeitet. Zu-

nächst wird ein Überblick über das System der Richtlinien der EG und ihre Wirkungsweise

gegeben. Danach soll auf den Umsetzungsprozess des nationalen Rechts eingegangen wer-

den. Anschließend wird die immer noch aktuelle Thematik der potenziellen FFH- und fak-

tischen Vogelschutzgebiete erörtert. Ferner soll aufgezeigt werden, inwiefern die nationale

Umsetzung des Verschlechterungs- und Störungsverbots des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sowie

die Umsetzung des Gebietsmanagements des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL den Anforderungen der

FFH-Richtlinie Rechnung trägt. Abschließend wird der Frage nachgegangen, wie die von

der FFH-Richtlinie vorgesehenen besonderen Anforderungen an Pläne und Projekte in na-

tionales Recht umgesetzt worden sind. Zu behandeln sind hierbei Themenkomplexe wie

projekt- und planbezogene Verträglichkeitsprüfung, Verträglichkeitsgrundsatz und Aus-

nahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz.

Im vierten und letzten Teil werden die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusam-

mengefasst.

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Erster Teil: Rechtliche Grundlagen zur Schaffung des europäischen Netzes „Natura

2000“

A. Entstehungsgeschichte, Ziele und Mittel der FFH-Richtlinie

I. Entstehungsgeschichte

Die Entstehungsgeschichte des europäischen Naturschutzrechts im Bereich des Lebens-

raumschutzes geht mehrere Jahrzehnte zurück. Schon im ersten Aktionsprogramm der Eu-

ropäischen Gemeinschaft für den Umweltschutz11 von 1973 waren Aktionen zur Verbesse-

rung der Umwelt, dem Schutz der Vögel und anderer Tiere vorgesehen. Solche Aktions-

programme entbehren jedoch aufgrund ihrer rechtlichen Unverbindlichkeit, wie etwa bei

völkerrechtlichen Übereinkommen mit vergleichbarer Zielsetzung,12 effektiven Durchset-

zungsmöglichkeiten13.

Diese Unzulänglichkeiten führten zum Erlass der Vogelschutz- und FFH-Richtlinie.14 So

wurde am 02.04.1979 im Bereich des Habitatschutzes die Vogelschutzrichtlinie verab-

schiedet, wodurch die wesentlichen Elemente des Ramsarer Übereinkommens in verbindli-

ches Recht umgesetzt wurden.15 Nachdem mit der Vogelschutzrichtlinie der erste Schritt

hin zu einem gemeinschaftsweiten Lebensraumschutz unternommen wurde, hat die Kom-

mission der Europäischen Gemeinschaft am 16.08.1988 den ersten Entwurf der FFH-

Richtlinie vorgelegt.16 Dieser vom 21.09.1988 stammende Entwurf der FFH-Richtlinie

wurde, angespornt durch den damals unmittelbar bevorstehenden Rio-Gipfel,17 als Richtli-

nie 92/43 EWG vom Rat am 21.05.1992 erlassen. Die Geltende Fassung der Richtlinie 11 ABl. EG Nr. C 112 vom 20.12.1973, S. 1 ff. 12 Vgl. das sog. Ramsarer Übereinkommen vom 02.02.1971 zur Erhaltung von international bedeutsamen

Sumpfgebieten als Lebensraum für Wasservögel, BGBl. II, 1976, S. 1265 ff.; Das Berner Übereinkommen vom 10.02.1982 zur Erhaltung der europäischen wildlebenden Pflanzen und Tiere und ihrer natürlichen Lebensräume, BGBl. II, 1984, S. 620 ff.; das Bonner Übereinkommen vom 23.06.1979 zur Erhaltung der wandernden wildlebenden Tierarten, BGBl. 1984, S. 569 ff.; sowie das Übereinkommen über biologische Vielfalt von Rio, ABl. EG Nr. L 309 vom 13.12.1993, S. 1 ff.

13 Eingehend zu diesen Übereinkommen Czybulka, UTR 1996, S. 261 ff.; Leist, Lebensraumschutz, S. 14 ff.; Wagner, NuR 1990, S. 396 f.; Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 8 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 4 ff.

14 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 39; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 8.

15 Leist, Lebensraumschutz, S. 16; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 9. 16 ABl. EG 1988, Nr. C 247, S. 3 ff.; vgl. Wagner, NuR 1990, S. 396 ; Freiburg, Die Erhaltung der biologi-

schen Vielfalt, S. 28 f. 17 Das Übereinkommen über die biologische Vielfalt vom 05.0.1992, BGBl. II 1993, S. 1741 ff.; Vgl. dazu

Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 29; Czybulka, UTR 1996, S. 262 f.

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weicht jedoch erheblich von dem ersten Entwurf ab. Ursache für diese Veränderungen war

die umfangreiche Kritik, die sich insbesondere auf die willkürlich erscheinenden Zahlan-

gaben für die Ausweisung von Schutzgebieten und die relativ knapp bemessenen Umset-

zungsfristen bezog.18 Diese Kritik wurde im Verfahren zum Erlass der geltenden Fassung

im Wesentlichen berücksichtigt.

Die FFH-Richtlinie greift schließlich wesentliche Inhalte des sog. Berner Übereinkommens

zum Artenschutz auf und erweitert dieses Übereinkommen im Bereich des Lebensraum-

schutzes.19 Durch diese Erweiterung hat die FFH-Richtlinie auf europäischer Ebene einen

Paradigmenwechsel vollzogen, als ein Übergang von der Erhaltung bestimmter gefährdeter

Arten hin zu einer generellen Erhaltung ganzer Lebensräume stattgefunden hat.20

II. Zielvorgaben der FFH-Richtlinie und Natura 2000 als Kernelement der europäi-

schen Naturschutzpolitik

In Anbetracht der stetigen Verschlechterung des Zustandes der natürlichen Lebensräume

und der zunehmenden Bedrohung verschiedener wildlebender Tier- und Pflanzenarten in

Europa sind Ziel und Funktion der FFH-Richtlinie in Art. 2 Abs. 1-3 FFH-RL in Verbin-

dung mit dem dritten Erwägungsgrund festgeschrieben und zielen auf den Schutz, den Er-

halt und die Wiederherstellung der biologischen Artenvielfalt insgesamt ab.21

18 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 9; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen

Vielfalt, S. 28; Mader, NuL 1990, S. 11; vgl. dazu die Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialschusses vom 06.02.1991, Abl. EG Nr. C 31, S. 2; Berner, Der Habitatschutz, S. 38 ff.; eingehend dazu Wirths, Na-turschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 33 ff.

19 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 5; Krämer, EC Environmental Law, S. 137; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 4 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 9; Gebhard, NuR 1999, S. 362; Wagner, NuR 1990, S. 396.

20 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 5 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 9.

21 Zur Zielsetzung der FFH-Richtlinie vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 113 ff.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 18; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 31 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 1; Erbguth/ Schlacke, Umweltrecht, § 19, Rn. 47; Czybulka, UTR 1996, S. 255; Schink, GewArch 1998, S. 41; Schmidt/ Müller, Einführung in das Umweltrecht, § 6, Rn. 50; Fis-ahn, ZUR 1996, S. 3; ders./Cremer, NuR 1997, S. 268; Epiney, UPR 1997, S. 303; dies., Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 379; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 109 ff.; Sands, Principles of international en-vironmental law I, S. 398; Gebhard, NuR 1999, S. 362; Niederstadt, NuR 1998, S. 515; Hösch, NuR 2004, S. 210; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 55; Koch, Umweltrecht, § 7, Rn. 68; Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 13; ders., NVwZ 2001, S. 501; Berner, Der Habitatschutz, S. 40 f.; Kirchberg, Flora, Fauna, Habitat, S. 164; Frenz, Europäisches Um-weltrecht, Rn. 376; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 156; Koch, Europäi-sches Habitatschutzrecht, S. 13.

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Dabei ist es erforderlich zwischen dem Hauptziel bzw. primären Ziel der Richtlinie und

den Zielen der einzelnen Maßnahmen zu unterscheiden.22 Das primäre Ziel der FFH-

Richtlinie beschreibt Art. 2 Abs. 1, wonach die Richtlinie zur Sicherung der Artenvielfalt

durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume und der wildlebenden Tiere und Pflanzen

im europäischen Gebiet der Mitgliedstaaten beizutragen hat. Das Ziel der einzelnen Maß-

nahmen ist daneben in Art. 2 Abs. 1 FFH-RL niedergelegt. Danach müssen die aufgrund

der Richtlinie zu treffenden Maßnahmen der Bewahrung oder Wiederherstellung eines

günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensräume und wildlebender Tier- und

Pflanzenarten von gemeinschaftlichem Interesse dienen.

Ferner verfolgt die FFH-Richtlinie sekundär einige generelle, nicht explizit aufgeführte

Ziele. Zum einen dient sie der Angleichung der naturschutzrechtlichen Maßnahmen der

einzelnen Mitgliedstaaten.23 Darüber hinaus soll die FFH-Richtlinie nach ihrem dritten Er-

wägungsgrund wirtschaftliche, soziale und ökologische Ansprüche miteinander in Einklang

bringen. Diese Zielvorgabe findet ihren Ausdruck in Art. 2 Abs. 3 FFH-RL, indem die auf-

grund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen den Anforderungen von Wirtschaft, Gesell-

schaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung tragen.

Diese Norm sieht mithin einen entsprechenden Ausgleich der gegenläufigen Interessen im

Rahmen der Aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen vor.24

Um die aufgeführten Ziele verwirklichen zu können, ist es erforderlich neben den Rege-

lungen des direkten Artenschutzes auch lebensraumbezogene Regelungen vorzusehen. In

diesem Sinne hat sich mittlerweile die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich die Erhaltung der

Artenvielfalt nur durch Bereitstellung ausreichender Lebensräume, ihre Vernetzung und die

daraus resultierende Wanderungsmöglichkeiten erreichen lässt.25 Aus diesem Grunde be-

darf es der Einrichtung ganzer Biotopverbundsysteme, die der „Verinselung“ einzelner Le-

22 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 10; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 1;

Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 31; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 11.

23 Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 24 ff.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 4; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 34; Bun-desamt für Naturschutz, Natura 2000, S. 11; vgl. dazu Begründung des Vorschlags des Europäischen Kommission für eine FFH-Richtlinie, BR.- Drs. 445/ 88, S. 1.

24 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 4; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 10; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 120 ff.

25 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 6; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 5; Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 13; Wagner, Die planbezogene Umweltver-träglichkeitsprüfung nach dem Entwurf der EG-Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“, S. 1; Niederstadt, NuR 1998, S. 516; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 109; Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts- Ziele, Wege und Irrwege, S. 69 ff.

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bensräume entgegenwirken und in einer Weise gestaltet werden, die den unterschiedlichen

ökologischen Anforderungen der zu schützenden Arten gerecht wird.26 Dementsprechend

schreibt Art. 3 Abs. 1 FFH-RL die Errichtung eines kohärenten europäischen ökologischen

Netzes besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung „Natura 2000“ vor, dessen Aufgabe

darin besteht, einen wirksamen Beitrag zur langfristigen Erhaltung der Lebensräume und

der in ihnen beheimateten Tier- und Pflanzenarten zu leisten.27

Die angestrebte Vernetzung besonderer Schutzgebiete bestätigt eine Abkehr vom traditio-

nellen Ansatz des konservierenden Naturschutzes, der die Erhaltung einzelner isolierter

Biotope zur Bewahrung der biologischen Vielfalt für genügend hält, wobei die wildleben-

den Arten keine ausreichenden Wanderungsmöglichkeiten zur Verwirklichung der erfor-

derlichen genetischen Austausch besitzen.28 Das Gebietsnetz Natura 2000 liegt dement-

sprechend die Überlegung zugrunde, dass mit dem Schutz einzelner, isolierter, nicht ver-

netzter Gebiete allein die biologische Vielfalt auf Dauer nicht aufrecht zu erhalten ist. Die

Schaffung eines solchen Schutzgebietsnetzes ist damit das Kernelement der europäischen

Naturschutzpolitik, dem eine Schlüsselrolle für die Erhaltung des europäischen Naturerbes

zukommt. Die Einrichtung eines solchen Netzes ist in erster Linie das Mittel zur Verwirkli-

chung der Ziele der FFH-Richtlinie.29

Die Bestandteile des europäischen Netzes sind die Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeu-

tung,30 die von den Mitgliedstaaten als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen sind und da-

mit unter besonderen Schutz gestellt wurden. Diese Gebiete umfassen die in Anhang I zur

FFH-RL aufgestellten natürlichen Lebensraumtypen sowie die Habitate der in Anhang II

zur FFH-RL aufgezählten Arten.31 Hinzu treten nach Art. 3 Abs. 1 UAbs. 2 FFH-RL ferner

die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen besonderen

26 Gellermann, Natura 2000, S. 14; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 123;

Kador, FFH-Richtlinie, S. 18. 27 Gellermann, Natura 2000, S. 14. 28 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 38; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 5;

Sands, Principles of international environmental law I, S. 400; Niederstadt, NuR 1998, S. 515 f.; Geller-mann, HdEUDUR, § 78, Rn. 13; Kloepfer, Umweltrecht, § 11, Rn. 161 f.

29 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 5; Gellermann, Natura 2000, S. 13; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 38; Kerkmann, Natura 2000, S. 4; Wirths, Naturschutz durch europäisches Ge-meinschaftsrecht, S. 123; Epiney, UPR 1997, S. 305; Wagner, Die planbezogene Umweltverträglichkeits-prüfung nach dem Entwurf der EG-Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“, S. 19; vgl. dazu Begründung des Vorschlags der Europäischen Kommission, BR-Drs. 445/88 S. 2.

30 Zur Definition des Begriffs „das Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung“ siehe Art. 1 lit. k) FFH-RL. 31 Vgl. Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz FFH-RL

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Vogelschutzgebiete, unter denen richtigerweise nur die Areale zu verstehen sind, die gem.

Art.4 Abs. 1,2 VRL dem Vogelschutz gewidmet wurden.32

Welchem Ziel das zu erreichende Netz Natura 2000 dient, ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1

UAbs.1 Satz 2 FFH-RL. Demgemäß hat das Netz den Fortbestand oder gegebenenfalls die

Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Lebensräume und Habitate in

ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet zu gewährleisten.33 Dabei kann nach Art. 1 lit. i)

FFH-RL der Erhaltungszustand der natürlichen Lebensräume des Anhangs I zur FFH-RL

und der Habitate der Arten des Anhangs II zur FFH-RL dann als günstig bezeichnet wer-

den, wenn ihr Bestand langfristig gesichert ist, ohne dass es künstlicher Erhaltungsmaß-

nahmen bedarf.34

III. Übersicht über Aufbau, Regelungskonzept und Zeitvorgaben der FFH-Richtlinie

Die FFH-Richtlinie lässt sich inhaltlich in vier Teile gliedern:35 In einem ersten Teil (Prä-

ambel und Art. 1-3) finden sich die Begriffs- und Zielsetzungen der Richtlinie wieder. In

einem zweiten Teil (Art. 4-11) werden Bestimmungen zum Lebensraumschutz und zum

Ausweisungsverfahren der Schutzgebiete in detaillierter Weise geregelt. In einem dritten

Teil (Art. 12-16) werden spezielle Regelungen zum Artenschutz36 dargestellt und schließ-

lich enthält sie in einem vierten Teil (Art. 12-24) weitere Bestimmungen zur Durchführung

der Richtlinie, zur Information der Kommission, zu den Umsetzungsfristen etc.

Den Schwerpunkt der FFH-Richtlinie bilden jedoch die Art. 6 und 7, die auch für die vor-

liegende Untersuchung von besonderer Bedeutung sind. Diese beiden Artikel begründen

die wichtigsten Verpflichtungen der Mitgliedstaaten. Diese sind, die Vorgaben für die

Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL), Verschlechterungs- und

Störungsverbote (Art. Abs. 2 FFH-RL) sowie die in Art. 6 Abs. 3 und Abs. 4 geregelte

Verträglichkeitsprüfung, der Verträglichkeitsgrundsatz und die Ausnahmen vom Verträg-

32 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 6; Jarass, NuR 1999, S. 481. 33 Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 156; Wirths, Naturschutz durch europäi-

sches Gemeinschaftsrecht, S. 124; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 9; vgl. dazu Art. 3 Abs. 1 Satz 2, 2. Halbsatz FFH-RL.

34 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 10; Niederstadt, NuR 1998, S. 515; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 109 f.

35 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 12; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 7; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 6.

36 Ausführlich zu Bestimmungen der FFH-RL zum Artenschutz, vgl. Hellenbroich, Europäisches und deut-sches Artenschutzrecht, S. 73 ff.

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lichkeitsgrundsatz. Art. 7 FFH-RL erstreckt dabei die Verpflichtungen des Art. 6 Abs. 2-4

FFH-RL auch auf Vogelschutzgebiete.

Zur Konkretisierung der einzelnen Vorschriften verfügt die Richtlinie daneben auch über

sechs Anhänge. In den beiden ersten Anhängen sind Lebensraumtypen sowie Tier- und

Pflanzenarten, für deren Erhaltung besondere Schutzgebiete auszuweisen sind, aufgezählt.

Im Anhang III sind die Kriterien festgelegt, die zur Beurteilung der einzelnen Gebiete im

Rahmen der Auswahl der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung heranzuziehen sind.

In den Anhängen IV und V werden Artenschutzregelungen sowie Tier- und Pflanzenarten

aufgelistet, für die Nutzungsbeschränkungen oder Managementpläne festgelegt werden

sollen, während Anhang VI schließlich verbotene Methoden und Mittel des Fangs, der Tö-

tung und der Beförderung beschreibt.37

Der Ansatzpunkt des Regelungskonzeptes der FFH-Richtlinie ist dabei zweigeteilt.38 Einer-

seits wird das Richtlinienziel über das Instrument der Flächenbewirtschaftung verfolgt, was

insbesondere den raumbezogenen Schutz der Umwelt, wie etwa Schutzgebietsausweisun-

gen nach Art. 4, Erhaltungs- und Schutzmaßnahmen nach Art. 6, zum Gegenstand hat.

Daneben sieht sie andererseits auch das klassische Instrument zum Artenschutz vor, das die

gefährdete Art zum Gegenstand von Regelungen macht, ohne den Lebensraum zu berück-

sichtigen.

Die FFH-Richtlinie wurde am 5. Juni 1992 an die Bundesrepublik Deutschland bekannt

gegeben und trat an diesem Datum in Kraft. Sie sieht unterschiedliche Fristen für die ein-

zelnen Stufen der Umsetzung und des Vollzugs vor. Allerdings sind teilweise einige Fris-

ten bereits verstrichen, ohne dass die Bundesrepublik Deutschland die mitgliedstaatlichen

Verpflichtungen erfüllt hätte. Die nachfolgende tabellarische Darstellung verdeutlicht die

wichtigsten Umsetzungs- und Vollzugsfristen der Richtlinie:39

21. Mai 1992 Verabschiedung der Richtlinie 92/43/EWG

05. Juni 1992 Bekanntgabe der Richtlinie an die Mitgliedstaaten und gleichzeitige

Anwendbarkeit der Richtlinie

22. Juli 1992 Veröffentlichung der Richtlinie im Amtsblatt der EG

37 Vgl. Ssymank, NuL 1994, S. 395, dort findet sich auch ein tabellarischer Überblick über den Regelungs-

gehalt der Richtlinie. 38 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 8. 39 Vgl. dazu Berner, Der Habitatschutz, S. 57; Naturschutz-Infoblatt der Europäischen Kommission, 1. Aus-

gabe, Mai 1996, S. 7; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 9; Koch, Die Verträglich-keitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 223 ff., ähnliche Darstellungen finden sich auch bei ihnen.

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Bis 05. Juni 1994 Umsetzung der FFH-RL mit dem Erlass der Erforderlichen Rechts-

und Verwaltungsvorschriften (Art. 23 Abs. 1)

Bis 05. Juni 1995 Zuleitung der nationalen Gebietslisten an die Kommission

(Art.4 Abs. 1)

Bis 05. Juni 1998 Festlegung der Kommissionsliste und Beginn der Geltung der Bestim-

mungen des Art. 6 Abs. 2 und 3 (Art. 4 Abs. 2, 5)

Bis 05. Juni 2000 Bericht der Mitgliedstaaten über die Durchführung der getroffenen

Maßnahmen (Art. 17 Abs. 1)

Bis 05. Juni 2002 Veröffentlichen des Gesamtberichts der Kommission über die Durch-

führung der Maßnahmen (Art. 17 Abs. 2)

Bis 05. Juni 2004 Ausweisung der besonderen Schutzgebiete (Art. 4 Abs. 4).

Bis 05 Juni 2006 Überprüfung des Aktionsrahmens der Richtlinie (nämlich ab der

Schutzgebietsausweisung alle zwei Jahre nach Art. 8 Abs. 5)

B. Verfahren zur Schaffung des europäischen Habitatschutzgebietsnetzes Natura

2000

Zur Errichtung des kohärenten europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebie-

te „Natura 2000“ sieht die FFH-Richtlinie insgesamt ein dreistufiges Verfahren vor.40

In der ersten Phase obliegt es den Mitgliedstaaten nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL und anhand

der in Anhang III, Phase 1 der FFH-RL aufgeführten Kriterien eine nationale Gebietsliste

zu erstellen und diese dann an die Kommission zu übermitteln. Dieser erste Schritt hätte

nach Art. 4 Abs. 1 Satz 5 FFH-RL binnen drei Jahren nach der Bekanntgabe der FFH-

Richtlinie, nämlich bis zum 05.06.1995, geschehen müssen.

40 Kerkmann, Natura 2000, S. 10 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 33; Diet-

rich/Au/Dreher, Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 281; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, § 6, Rn. 224; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 339; Schumacher, EurUP 2005, 261 f.; Kratsch, VBlBW 2001, S. 341; Schmidt/ Müller, Einführung in das Umweltrecht, § 6, Rn. 51; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 82 f.; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 268; Leist, Lebensraumschutz, S. 30 ff. Der EuGH geht allerdings, Urt. vom 11.09.2001, Rs. C-71/99 (Kommissi-on/BRD) (ähnliche Ansicht Gellermann, Natura 2000, S. 49 ff.; ders., HdEUDUR, § 78, Rn. 23), von ei-nem vierstufigen Verfahren aus, in dem der Gericht hier als eine Phase gesehene Erstellung der Gebietslis-te zwei Verfahrensschritte sieht, nämlich die Erstellung des Entwurfs der Liste und das Verfahren gemäß Art. 21 FFH-RL. Diese beiden Schritte dienen aber der Erstellung der Gebietsliste, sodass es überzeugen-der erscheint, mit der in der Literatur vorherrschenden Auffassung von einem dreistufigen Verfahren aus-zugehen (so auch Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 33 (Fn. 8); Kerkmann, Natu-ra 2000, S. 12 ff.). Ausführlich zu Diskussionen und unterschiedlichen Auffassungen im Schrifttum siehe Kerkmann, Natura 2000, S. 12 ff.

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Die sich anschließende zweite Phase dient der Erstellung des Entwurfs einer Liste der Ge-

biete von gemeinschaftlicher Bedeutung, der nach Art 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL von der

Kommission im Einvernehmen mit dem jeweiligen Mitgliedstaat auf der Grundlage der in

Anhang III, Phase 2 zur FFH-RL aufgeführten Kriterien zu erarbeiten ist. Die endgültige

Liste wird dann von der Kommission festgelegt und den Mitgliedstaaten als Entscheidung

mitgeteilt. Dies hätte gem. Art. 4 Abs. 3 FFH-RL binnen sechs Jahren nach Bekanntgabe

der Richtlinie, also bis zum 05.06.1998, erfolgen müssen.

Schließlich müssen in der dritten Phase des Verfahrens die in der endgültigen Gemein-

schaftsliste aufgeführten Gebiete von den Mitgliedstaaten gem. Art. 4 Abs. 4 FFH-RL so

schnell wie möglich- spätestens aber binnen sechs Jahren ausgewiesen werden. Diese letzte

Frist ist bereits am 05.06.2004 abgelaufen.

Den normativen Anknüpfungspunkt zur Schaffung von FFH-Gebieten bilden in diesem

Zusammenhang die Bestimmungen des Art. 4 FFH-RL, wobei dieser den in Art. 3 Abs. 1

FFH-RL genannten Zielen Rechnung trägt.

I. Die mitgliedstaatliche Auswahl der FFH-Gebiete

In der ersten Phase zur Erstellung der Gemeinschaftsliste ist jeder Mitgliedstaat aufgrund

Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 FFH-RL verpflichtet, anhand der Kriterien des Anhangs III,

Phase 1 zur FFH-RL und einschlägiger wissenschaftlicher Informationen41, eine nationale

Liste potentiell für das Schutzgebietsnetz geeigneter Flächen in seinem Staatsgebiet als

Vorauswahl zusammenzustellen, in der die in diesen Gebieten vorkommenden natürlichen

Lebensraumtypen des Anhangs I und einheimischen Arten des Anhangs II enthalten sind.

Deutlich wird demnach, dass für die Erstellung der nationalen Meldeliste die Auswahlkrite-

rien des Anhangs III sowie die einschlägigen Informationen heranzuziehen sind. Überdies

dürfen die Mitgliedstaaten nur solche Lebensraumtypen und Arten in die nationale Melde-

liste aufnehmen, die in Anhang I und II aufgeführt sind. Bei dieser Phase geht es noch nicht

um die Festlegung der endgültigen Natura 2000-Gebiete, sondern nur um eine Bestandauf-

nahme von Gebieten, aus deren Gesamtheit jene auszuwählen sind, denen mit Blick auf die

41 Diese werden verkörpert durch die anerkannten wissenschaftlichen Veröffentlichungen hinsichtlich des

Vorkommens der natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I und der Arten des Anhangs II im Gebiet des jeweiligen Mitgliedstaates, Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 11; Vgl. auch die Klageschrift der Kommission vom 24.02.1999 - Rs. C- 71/99 (Kommission./.Deutschland) wegen Verstoßes gegen Art. 4 FFH-RL, dort stützt die Kommission ihre Argumentation auf ein vom Bundesamt für Naturschutz he-rausgegebenes Handbuch zur Umsetzung der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie.

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Einrichtung eines kohärenten und funktionsfähigen Netzes eine gemeinschaftliche Bedeu-

tung zukommt.42 Die nationale Meldeliste soll also die Grundlage, für die später in der

zweiten Phase zu erstellende Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, bilden.

1. Auswahlkriterien und Auswahlgesichtspunkte

Wie bereits oben ausgeführt wurde, wenden die Mitgliedstaaten bei der Ermittlung der ge-

eigneten Gebiete in ihrem Hoheitsgebiet die in Anhang III bezeichneten Auswahlkriterien

an. Dabei sind die Mitgliedstaaten allein die maßgeblichen Akteure bei dieser Vorauswahl

der für eine Aufnahme in das Gebietnetz Natura 2000 in Betracht kommenden Gebiete.43

Die in Anhang III vorgesehenen Auswahlkriterien dienen gem. Anhang III, Phase 1 A., B.

zur FFH-RL dazu festzustellen, welche Bedeutung ein in Aussicht genommenes FFH-

Gebiet für die in ihm vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen des Anhangs I bzw.

Arten des Anhangs II hat.44 So müssen die in die Liste aufzunehmenden Gebiete im Ein-

zelnen fünf naturschutzfachliche Kriterien erfüllen. Zunächst müssen der Erhaltungszu-

stand und die Wiederherstellbarkeit der Gebiete sowohl für Lebensräume als auch für Ar-

ten beachtet werden. Für die Lebensräume sind außerdem deren Repräsentativität und rela-

tive Fläche, für Arten deren relative Populationsgröße und Isolierungsgrad entscheidend.45

Die Bedeutung eines Gebiets für einen natürlichen Lebensraumtyp bzw. für eine Art hängt

insoweit von diesen fünf Aspekten ab. Diese Aspekte geben naturschutzfachliche Bewer-

tungskriterien dafür, wann ein Gebiet als schutzwürdig einzustufen ist.

Ferner sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, bei der Vorauswahl der Gebiete das Ziel der

Erreichung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen Lebensraumtypen und

Arten zu berücksichtigen und abschließend eine Gesamtbeurteilung des Wertes des Gebiets

für die Erhaltung des betreffenden natürlichen Lebensraumtyps und der betreffenden Art

42 Gellermann, Natura 2000, S. 50. 43 Gellermann, Natura 2000, S. 49. 44 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 12; Wegener, in: Erbguth, S. 51; Bundesamt für Naturschutz,

Natura 2000, S. 448. 45 Vgl. dazu Bundesamt für Naturschutz, Natura 2000, S. 25, Tabelle 5; eingehend hierzu Wichert, Natura

2000, S. 28 ff.; Ellwanger/Balzer/Hauke/Ssymank, NuL 2000, S. 486 ff.; Gebhard, NuR 1999, S. 362 ff.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 126 ff.; Dietrich/Au/Dreher, Umweltrecht der Europäischen Gemeinschaften, S. 281 ff.

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vorzunehmen.46 Im Rahmen dieser Gesamtbeurteilung müssen Mitgliedstaaten eine qualita-

tive und quantitative Gewichtung einzelner Auswahlkriterien vornehmen.47

Insoweit ist festzustellen, dass die Auswahlkriterien in Anhang III, Phase 1 zur FFH-RL

insgesamt rein naturschutzfachlicher Natur sind.48 Dabei haben diese Auswahlkriterien

zugleich einen bindenden Charakter. Den Mitgliedstaaten steht es somit nicht frei, sie bei

der Erstellung der nationalen Meldeliste anzuwenden oder dies zu unterlassen.49 Das wird

zum einen aus dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 FFH-RL deutlich, welches

aussagt, dass die Gebietsauswahl ausschließlich anhand der in Anhang III, Phase 1 zur

FFH-RL zu erfolgen hat. Zum anderen würde die Verwendung von national unterschiedli-

chen und nicht verbindlichen Auswahlkriterien dazu führen, dass mit der FFH-RL nicht das

von ihr angestrebte europaweit einheitliche Schutzniveau erreicht werden könnte.50

Klärungsbedürftig ist darüber hinaus die Festlegung eines räumlichen Bezugsrahmens, auf

den die Auswahlkriterien des Anhangs III anzuwenden sind. Ausgehend vom Wortlaut der

Art. 4 Abs.1, 2 FFH-RL und des Anhangs III ergibt sich bereits, dass es sich bei der Erstel-

lung der nationalen Liste lediglich um die Beurteilung der relativen Bedeutung der Gebiete

auf nationaler Ebene handelt.51 Die Systematik der in Art. 4 FFH-RL umgeschriebenen

Abfolge der Verfahrensschritte hat auch hiermit übereinstimmend durch die Stufung des

sich auf unterschiedlichen Ebenen vollziehenden Auswahlprozesses zum Ausdruck ge-

bracht, dass der räumliche Bezugsrahmen in der ersten Phase derjenige des jeweiligen mit-

gliedstaatlichen Hoheitsgebiets ist.52 Es muss mithin ein Unterschied zwischen der Phase

der mitgliedstaatlichen Vorauswahl und der Phase der gemeinschaftlichen Festlegung der

FFH-Gebiete bestehen.53

46 Vgl. Anhang III, Phase 1, A. lit. d), B. lit. d) zur FFH-RL. 47 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 126; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 268;

Iven, UPR 1998, S. 361 f. 48 Wichert, Natura 2000, S. 28; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205; Berner, Der Habitatschutz, S.

67; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 13; 49 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 14; Berner, Der Habitatschutz, S. 67; Rödiger-Vorwerk, Die

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 25 f. 50 Berner, Der Habitatschutz, S. 67; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 14; Rödiger-Vorwerk, Die

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 25 f. 51 Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 633; Kerkmann, Natura 2000, S. 41; Spannowsky, in: Jarass, EG-

Naturschutzrecht, S. 43; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 15; Wirths, Naturschutz durch europäi-sches Gemeinschaftsrecht, S. 125; Leist, Lebensraumschutz, S. 32 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 51 f.

52 Gellermann, Natura 2000, S. 51; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 125; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 38 f; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 15.

53 Leist, Lebensraumschutz, S. 33; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 15.

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Dabei ist die Auffassung, dass bei der Erstellung der nationalen Meldeliste das in Art. 3

Abs. 1 UAbs. 1 S. 1 FFH-RL formulierte Ziel der Schaffung eines europaweiten zusam-

menhängenden Schutzgebietsnetzes beachtet werden müsse,54 abzulehnen. Der tatsächliche

Umstand widerspricht dieser Auffassung, da die einzelnen Mitgliedstaaten mangels ausrei-

chender Sachkenntnis gar nicht in der Lage sind, die Bedeutung eines Gebiets für die Ko-

härenz von Natura 2000 angemessen zu beurteilen.55 Um eine solche Beurteilung realisie-

ren zu können, wäre eine über nationale Grenzen hinausgehende Datenansammlung zwi-

schen den Mitgliedstaaten zwingend notwendig,56 was bisher nicht existiert. Eine solche

Beurteilung kann nämlich sachgerecht erst nach Eingang sämtlicher Informationen aus al-

len Mitgliedstaaten also in der Phase der Erstellung der Gemeinschaftsliste geschehen.

Es spielt für die mitgliedstaatliche Vorauswahl der potentiellen FFH-Gebiete daher keine

Rolle, ob einem Gebiet eine gemeinschafts- oder europaweite Bedeutung zukommt; ent-

scheidend ist vielmehr, ob die von den Mitgliedstaaten gemeldeten Gebiete unter nationa-

len Gesichtspunkten die Voraussetzung eines kohärenten Schutzgebietsnetzes erfüllen.57

2. Abschließender Charakter der Auswahlkriterien und Berücksichtigung anderwei-

tiger Belange

Die bisherigen Ausführungen legen es nahe, dass für die Auswahl von FFH-Gebieten prin-

zipiell die Auswahlkriterien des Anhangs III, Phase 1 zur FFH-RL entscheidend sind, wel-

che rein naturschutzfachlicher Art und für die Mitgliedstaaten verbindlich sind. Unbeant-

wortet geblieben ist jedoch, ob sie auch abschließend sind, bzw. ob bei der Aufstellung von

nationalen Vorschlagslisten noch andere, nichtnaturschutzfachliche Aspekte berücksichtigt

werden dürfen.

Hierbei erwähnt der FFH-Richtlinie in ihrem Art. 2 Abs. 3 in Übereinstimmung mit dem

dritten Erwägungsgrund, dass die aufgrund der FFH-Richtlinie getroffenen Maßnahmen

den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und ört- 54 Iven, NuR 1996, S. 376; Spannowsky, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 46 f.; Carlsen, Die Umsetzung

der FFH-RL, S. 205; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 268; vgl. auch Jarass, NuR 1999, S. 485. 55 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 16 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 53; Kerkmann, Natura 2000,

S. 41. 56 Kerkmann, Natura 2000, S. 41; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 16. 57 In dieser Richtung auch die Rechtsprechung des EuGH für Vogelschutzgebiete, EuGH, Urt. vom

19.05.1998 - C-3/96 (Kommission / Niederlande) Slg. 1998 I-3069, Rn. 56.; Gellermann, Natura 2000, S. 52; Kerkmann, Natura 2000, S. 41 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 16; Leist, Lebensraum-schutz, S. 32 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 99; Bundesamt für Naturschutz, Natura 2000, S. 23; Wichert, Natura 2000, S. 30.

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lichen Besonderheiten Rechnung tragen. Diese Norm enthält allerdings nur einen allgemei-

nen Abwägungsvorbehalt, welcher für alle Handlungen gilt, die zur Verwirklichung der

Richtlinienbestimmungen vorgenommen werden, während es sich bei Art. 4 FFH-RL im

Gegensatz zu dieser Vorschrift um eine spezielle Regelung (lex specialis) handelt; Art 2

Abs. 3 FFH-RL wird deswegen durch die spezielle Regelung des Art. 4 FFH-RL ver-

drängt.58

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 07.11.200059 auch klargestellt, dass die Mitgliedstaa-

ten verpflichtet sind, bei der Aufstellung der nationalen Vorschlagslisten allein die in An-

hang III aufgeführten Kriterien anzuwenden. Der Gerichtshof hat damit eine Berücksichti-

gung der in Art.2 Abs. 3 FFH-RL genannten ökologieexternen Anforderungen abgelehnt

und ausdrücklich auf die ausschließliche Maßgeblichkeit der in Bezug genommenen natur-

schutzfachlichen Auswahlkriterien für die mitgliedstaatliche Entscheidung verwiesen.60

Diese Auffassung entspricht auch dem in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 gesetzten Ziel der FFH-

Richtlinie, ein europäisches ökologisches Netz der besonderen Gebiete zur Wahrung und

Wiederherstellung der Lebensräume und Arten zu errichten, da nur eine ausschließlich an

den naturschutzfachlichen Kriterien des Anhangs III orientierte Auswahl der FFH-Gebiete

durch die Mitgliedstaaten die Verwirklichung eines derartigen Ziels sichert.61

Dies stimmt im Übrigen auch mit der ständigen Rechtsprechung des EuGH zur Vogel-

schutzrichtlinie62 überein, wonach zwar gem. Art. 2 VRL - welcher dem Art. 2 Abs. 3

FFH-RL eine inhaltlich vergleichbare Regelung der FFH-Richtlinie darstellt - der Schutz

der Vögel gegen andere nichtnaturschutzfachliche Anforderungen abgewogen werden

muss, aber bei der Auswahl und Abgrenzung von besonderen Schutzgebieten die natur-

schutzfachliche Kriterien des Art. 4 Abs. 1, 2 VRL nicht gegen die in Art. 2 VRL genann-

ten Belange abgewogen werden, so dass dem Art. 2 Abs. 3 FFH-RL vergleichbare Vor-

58 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 17 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 54; Freiburg, Die Erhaltung

der biologischen Vielfalt, S. 87; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzge-bieten, S. 11; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 65; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 27 ff.

59 EuGH, Urt. vom 7.11.2000 - C-371/98 (Severn-Mündung-Urteil), abgedruckt auch in DVBl. 2000, S. 1841 f.; vgl. EuGH, Urt. vom 11.09.2001 (Kommission/ BRD), DVBl. 2001, S. 1827.

60 EuGH, DVBl. 2000, S. 1841 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 53 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 18; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 29; ausführlich dazu Kerkmann, Natura 2000, S. 48 ff.

61 EuGH, DVBl. 2000, S. 1842; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 19 f.; Kerkmann, Natura 2000, S. 70 f.; ausführlich dazu Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 142 ff.

62 EuGHE, 1993, I- S. 4276 f. (Santoña-Urteil); EuGHE 1996, I- S. 3852 (Lappen-Bank-Urteil).

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schrift der Vogelschutzrichtlinie Art. 2 hierbei keine Berücksichtigung findet.63 Es handelt

sich in diesem Zusammenhang um eine Vergleichbarkeit der ökologischen Zielsetzungen

der FFH- und der Vogelschutzrichtlinie und es besteht zwischen beiden Richtlinien ein

enger sachlicher Regelungszusammenhang, der sich bereits aus dem siebten und fünfzehn-

ten Erwägungsgrund der FFH-RL ableiten lässt.64 Außerdem liegen teilweise Überschnei-

dungen hinsichtlich des Schutzzweckes beider Gemeinschaftsakte vor und so zielen beide

Normen auf die Erhaltung von natürlichen Lebensräumen und bedrohten Arten ab und so

wurden in den Regelungsbereich der FFH-RL auch Vogelschutzgebiete einbezogen.65 Eine

Übertragbarkeit diese Rechtsprechung auf die FFH-Richtlinie ist damit denkbar.66

Als Ergebnis bleibt insofern festzustellen, dass die naturschutzfachlichen Auswahlkriterien

des Anhangs III, Phase 1 abschließend sind und für eine Abwägung der Belange des Natur-

schutzes mit nichtnaturschutzfachlichen, wie etwa wirtschaftlichen oder sozialen Belangen,

kein Raum ist.67

Klärungsbedürftig ist letztlich die Frage, ob die Mitgliedstaaten in Ausnahmefällen von der

strikten Bindung der Gebietsmeldungen an die naturschutzfachlichen Kriterien des An-

hangs abweichen dürfen.

Der EuGH hat bereits in seinem Urteil vom 28.2.1991 festgestellt, dass die Mitgliedstaaten

von den fachlichen Auswahlgesichtpunkten des Art. 4 Abs. 1, 2 VRL abweichen dürfen,

wenn es sich um außerordentliche Gründe des Allgemeinwohls, die Vorrang vor den mit

der Vogelschutzrichtlinie verfolgten Umweltbelangen haben, handelt.68 Demnach soll eine

63 Europäische Kommission, ABl. EG 1998, Nr. C 223, S. 164; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 21;

Gellermann, Natura 2000, S. 53 f.; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205 f.; Leist, Lebensraum-schutz, S. 31 ff.; Schink, GewArch 1998, S. 46; a.A. Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 58 ff.

64 Berner, Der Habitatschutz, S. 70. 65 Berner, Der Habitatschutz, S. 70. 66 Gellermann, Natura 2000, S. 53 f.; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 69; Berner, Der Habitat-

schutz, S. 70 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 20; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 65; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 34 f.; eingehend dazu Kerkmann, Natura 2000, S. 61 ff.

67 So auch BVerwG Urt. vom 27.01.2000, BVerwGE 110, S. 308; Leitsatz des Beschlusses des BVerwG vom 24.08.2000, DVBl. 2000, S. 376; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 23; Wegener, in: Erbguth, S. 52; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 62; Wichert, Natura 2000, S. 31; Fisahn, ZUR 2000, S. 336 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 11, Rn. 171; Gellermann, Natura 2000, S. 53 f.; Winter, ZUR 1994, S. 308; Wirths, Naturschutz durch europä-isches Gemeinschaftsrecht, S. 141; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutz-gebieten, S. 11 f.; Bundesamt für Naturschutz, Natura 2000, S. 175; Kerkmann, Natura 2000, S. 72; Leist, Lebensraumschutz, S. 31; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 87; a.A. Koch, Europäi-sches Habitatschutzrecht, S. 69 ff.; Schrödter, NdsVBl. 1999, S. 177; vgl. auch Goppel, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 11 f.; Spannowsky, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 50.

68 EuGHE, 1991, I- S. 931 (Leybucht-Urteil); vgl. auch EuGHE 1993, I- S. 4277; zustimmend Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 24 ff.; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205; Berner, Der Habitat-schutz, S. 76; Epiney, UPR 1997, S. 307; Iven, NuR 1996, S. 374 f.; Kirchberg, Flora, Fauna, Habitat, S.

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derartige Ausnahme sich auf das Allernotwendigste beschränken.69 Die in Art. 2 VRL ge-

nannten Belange, wie etwa wirtschaftliche und freizeitbedingte Erfordernisse, können da-

bei nicht berücksichtigt werden.70 Als derartige Ausnahmekonstellationen können nur die

Gründe des Allgemeinwohls in Betracht kommen, also beispielsweise Maßnahmen, die

unmittelbar dem Schutz des Lebens und der menschlichen Gesundheit dienen.71

Dementsprechend scheint es aufgrund des vergleichbaren Regelungsansatzes und der Ziel-

richtung von FFH- und Vogelschutzrichtlinie angebracht, diese Rechtsprechung des EuGH

bei der mitgliedstaatlichen Vorauswahl auf die FFH-Richtlinie zu übertragen.72 Parallel zu

den Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie gilt dies nicht für die in Art. 2 Abs. 3 FFH-

RL aufgeführten Anforderungen von Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft sowie regionalen

und örtlichen Besonderheiten.73

3. Mitgliedstaatlicher Auswahlspielraum

Erläuterungsdürftig ist im Weiteren, ob den Mitgliedstaaten bei der Auswahl der FFH-

Gebiete auf der ersten Stufe des Verfahrens einen Spielraum zusteht.

Dabei wird in der Literatur74 und Rechtsprechung75 allgemein darauf hingewiesen, dass bei

der Auswahl und Meldung der in die Liste aufzunehmenden Gebiete einen Spielraum zu-

kommt. Das lässt sich zum einen aus der Überschrift des Anhangs III herleiten, wobei die

Kriterien zur Auswahl möglicher FFH-Gebiete vorgeschrieben sind. Weiterhin setzt die in

Anhang III, Phase 1 A. lit. d), B. lit. d) niedergelegte Gesamtbeurteilung des Wertes des

170; Leist, Lebensraumschutz, S. 32; ablehnend Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-recht, S. 147 f.; Schink, GewArch 1998, S. 41; Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 174, die außeror-dentliche Gründe des Allgemeinwohls lediglich im Rahmen der Zulassungsanforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL berücksichtigen und nicht schon bei der mitgliedstaatlichen Vorauswahl.

69 EuGHE, 1991, I- S. 931. 70 EuGHE, 1991, I- S. 931; EuGHE 1993, I- S. 4277. 71 Berner, Der Habitatschutz, S. 76; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 24 ff.; Gatawis, Grundfragen

eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 132. 72 Gellermann, Natura 2000, S. 53 f.; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S.

132; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 13; Berner, Der Habitatschutz, S. 76 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 26 ff.; Iven, NuR 1996, S. 374.

73 Berner, Der Habitatschutz, S. 76 f. 74 Allg. Meinung, vgl. Kadelbach, Der Einfluss des Europarechts auf das deutsche Planungsrecht, S. 903;

Wichert, Natura 2000, S. 30 f.; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 2826; Koch, Um-weltrecht, § 7, Rn. 75; Schink, GewArch 1998, S. 46; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 268; Epiney, Umwelt-recht in der Europäischen Union, S. 339; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205; Berner, Der Habi-tatschutz, S. 71; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 52; ausführlich dazu Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 30 ff.; Kerkmann, Natura 2000, S. 23 ff.

75 EuGH, Urt. vom 11.09.2001, C-71/99, Rn.26; EuGHE, 1991, I- S. 931 (Leybucht-Urteil); BVerwG, NuR 2001, S. 383.

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Gebietes ihrem Wesen nach eine Gewichtung der in Betracht kommenden FFH-Gebiete

mit anderen möglichen Schutzgebieten und eine abschließende Entscheidung durch den

Mitgliedstaaten voraus.76 Es handelt sich außerdem bei der Anwendung der Kriterien des

Anhangs III überwiegend um unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Mitgliedstaaten konkre-

tisieren und ausfüllen müssen.77 Dadurch orientieren die Kriterien des Anhangs III zwar die

mitgliedstaatliche Gebietsauswahl im Allgemeinen, überlassen aber die konkrete Benen-

nung der zu meldenden Gebiete dem jeweiligen Mitgliedstaat.78

Problematisch scheint dagegen die inhaltliche Gestaltung dieses Spielraums. Selbst der

EuGH verwendet keine einheitlichen Begriffe, sondern spricht einerseits von einem „Er-

messenspielraum“79 und andererseits von einem „Beurteilungsspielraum“80. Er weicht so-

mit deutlich von der deutschen Dogmatik ab, die streng zwischen Ermessensentscheidung

und Beurteilungsspielraum differenziert81, und behandelt alle der Verwaltung normativ

eröffneten Spielräume grundsätzlich gleich. Für den EuGH kommen bei der Verwendung

der unbestimmten Rechtsbegriffe und Einräumung von Ermessen lediglich zwei Teilaspek-

te eines Phänomens in Betracht, welches sich mit Entscheidungs- und Gestaltungsfreiheit

für die Verwaltung generalisierend umreißen lässt.82 Da aber das Gemeinschaftsrecht prin-

zipiell autonom auszulegen ist und es sich um europarechtliche Normen handelt, tritt die

unterschiedliche Terminologie der einzelnen Mitgliedstaaten in den Hintergrund.83 Der

Spielraum wird dadurch inhaltlich durch die europarechtlichen Vorgaben determiniert. Es

76 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 30. 77 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 52; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung

von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 12; Berner, Der Habitatschutz, S. 71; Iven, NuR 1996, S. 376; Rö-diger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 29.

78 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 30; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 52; Gellermann, Natura 2000, S. 53.

79 EuGHE, 1993, I- S. 4278 (Santoña-Urteil); EuGH, DVBl. 2001, S. 1827. 80 EuGHE, 1991, I- S. 930 (Leybucht-Urteil); diese Urteile sind zwar zur VRL ergangen, sind aber aufgrund

der bereits aufgeführten Gründen auf die FFH-RL übertragbar, Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 52; Stüer, DVBl. 2007, S. 418; Schink, GewArch 1998, S. 46; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 271; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 34.

81 Der Beurteilungsspielraum ergibt sich bei der Verwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe auf der Tat-bestandsseite, während die Ermessensentscheidung auf der Rechtsfolgenseite im konkreten Fall erscheint, vgl. Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 478 ff.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 26 ff.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 53; Berner, Der Habitatschutz, S. 71 f.; Streinz, Europarecht, § 8, Rn. 598.

82 Schwarze, Europäisches Verwaltungsrecht, S. 280 f.; Kerkmann, Natura 2000, S. 28; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 31.

83 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 54; Bleckmann, Europarecht, Rn. 556 f.; Ber-ner, Der Habitatschutz, S. 72.

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wird im Folgenden daher der Begriff des Auswahlspielraums verwandt, wenn von dem

Entscheidungsspielraum der Mitgliedstaaten die Rede ist.84

Wie bereits erwähnt, soll die Bewertung der Gebiete zwar nach den Kriterien der Anhänge

I bis III zur FFH-RL erfolgen. Die Mitgliedstaaten sind jedoch nicht verpflichtet, alle Ge-

biete, in denen die betreffenden Habitate und Lebensraumtypen vorkommen, auszuwäh-

len.85 Vielmehr dürfen sie die ökologisch und flächenmäßig geeignetsten Gebiete auswäh-

len.86 Sie haben hierbei einen Auswahlspielraum dahin, gemessen an den Anforderungen

der FFH-Richtlinie, die naturschutzfachliche Qualität der einzelnen Gebiete zu bewerten

und festzulegen, welche Gebiete schutzbedürftig sind und daher als Gebiet von gemein-

schaftlicher Bedeutung in Betracht kommen.87 Dieser Spielraum hat einen rein naturschutz-

fachlichen Charakter, da die mitgliedstaatliche Vorauswahl sich ausschließlich an den na-

turschutzfachlichen Kriterien des Anhangs III orientieren muss.88 Allein das Vorkommen

bestimmter Arten bzw. Lebensraumtypen kann somit für die Frage, ob ein Gebiet in die

Liste aufzunehmen ist, nicht ausschlaggebend sein.89

Da in diesem Zusammenhang aber nicht allein das Vorkommen bestimmter Arten bzw.

Lebensraumtypen für eine Aufnahme in die Liste entscheidend ist, zieht das Vorliegen pri-

oritärer Gebiete, in denen nach Art.1 lit. d), h) FFH-RL die im europäischen Gebiet der

Mitgliedstaaten vom Verschwinden bedrohte prioritäre Lebensraumtypen und Arten vor-

kommen und für deren Erhaltung der Europäischen Gemeinschaft eine besondere Verant-

wortung zukommt, eine Verpflichtung zur Meldung nicht zwingend nach sich.90 Das Vor-

kommen oder Nichtvorkommen eines prioritären Lebensraums und oder einer prioritären

84 So auch Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 54; Wrase, Rechtsschutz gegen die

Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 12 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 50. 85 Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 634; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 31; Iven, NuR 1996,

S. 374; Schink, GewArch 1998, S. 46. 86 Schink, GewArch 1998, S. 46; Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 634; Iven, NuR 1996, S. 374; Span-

nowsky, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 46 ff. 87 Kerkmann, Natura 2000, S. 33; Schink, GewArch 1998, S. 46; Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 634;

Iven, NuR 1996, S. 374. 88 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 71; Koch, Umweltrecht, § 7, Rn. 75; Stüer,

Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 2826; Kloepfer, Umweltrecht, § 11, Rn. 172; vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 32; Schink, GewArch 1998, S. 46; die der Meinung sind, dass ökologie-externe Belange bei der Ausübung des mitgliedstaatlichen Spielraums als Hilfskriterien berücksichtigt werden könnten.

89 Kerkmann, Natura 2000, S. 35. 90 BVerwG, NVwZ 2001, S. 93; Kerkmann, Natura 2000, S. 35 f.; Gellermann, NdsVBl. 2000, S. 163; Ren-

geling, UPR 1999, S. 285; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 32; Wirths, Naturschutz durch europä-isches Gemeinschaftsrecht, S. 136 f.; Iven, UPR 1998, S. 363; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 160; a.A. Czybulka, UTR 1996, S. 256.

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Art kann dabei nur ein Anzeichen für die Entscheidung über die Aufnahme eines Gebietes

in die nationale Vorschlagsliste sein.91

Ungeachtet des den Mitgliedstaaten zustehenden Auswahlspielraums kann in Ausnahme-

fällen, wegen hervorragender ökologischer Bedeutung und Schutzwürdigkeit eines Gebiets,

eine Reduzierung des Auswahlspielraums auf Null in Betracht kommen, wobei die Mit-

gliedstaaten eine absolute Meldepflicht trifft.92 Dies wird auch durch die Rechtsprechung

des EuGH zur Vogelschutzrichtlinie bestätigt.93

Eine derartige Reduzierung des Auswahlspielraums liegt in den Fällen vor, in denen die

ökologische Wertigkeit des Gebiets - gemessen an dem in der FFH-RL niedergelegten na-

turschutzfachlichen Anforderungsprofil und im Vergleich zu anderen ähnlichen Gebieten -

zwangsläufig nur zu dem Ergebnis kommt, dass die besondere Bedeutung des Gebiets für

einen Lebensraumtyp, eine Art oder für das kohärente Schutzgebietsnetz seine Meldung in

die nationale Meldeliste unabdingbar macht.94 Wann nun allerdings diese hervorragende

ökologische Bedeutung eines Gebiets gegeben ist, lässt sich abstrakt nicht bestimmen, son-

dern hängt von den Umständen des Einzellfalls ab.95 Dabei können das Vorkommen priori-

tärer Lebensraumtypen und Arten, die Anzahl der in einem Gebiet festgestellten verschie-

denen Lebensraumtypen und Arten, die Häufigkeit ihres Vorkommens im Mitgliedstaat

und die Qualität ihres Erhaltungszustandes als wichtige Indizien für eine solche Reduzie-

rung berücksichtigt werden.96

91 Siehe Fn. 96. 92 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 63; Gellermann, Natura 2000, S. 55; Stüer,

Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 2826; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 41; Carl-sen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205; Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 175; Berner, Der Habi-tatschutz, S. 73; Wegener, in: Erbguth, S. 52 f.; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungs-rechts, S. 134 f.; Schink, GewArch 1998, S. 46; zur Reduzierung des Beurteilungsspielraums im deutschen Recht Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 7, Rn. 26 ff.

93 EuGHE, 1993, I- S. 4279 f. (Santoña-Urteil); EuGHE, 1999, I- S. 1737; EuGHE, 1999, I- S. 8557; vgl. auch EuGH, DVBl. 2001, S. 359 f.

94 Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 135; Gellermann, Natura 2000, S. 55; Kerkmann, Natura 2000, S. 37; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 40; Berner, Der Habitatschutz, S. 73 f.

95 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 41; Kerkmann, Natura 2000, S. 39; Berner, Der Habitatschutz, S. 73 f.; Iven, NuR 1996, S. 374; Schink, GewArch 1998, S. 46.

96 Gellermann, Natura 2000, S. 55 f.; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 135; Wegener, in: Erbguth, S. 52 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 42; vgl. dazu Kerkmann, Na-tura 2000, S. 38.

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II. Erstellung der Gemeinschaftsliste durch Kommission

Im Anschluss an die mitgliedstaatliche Vorauswahl findet die Festlegung der Gemein-

schaftsliste als zweite Phase zur Errichtung des Gebietsnetzes Natura 2000 statt. Sie ist

geregelt in Art. 4 Abs. 2 FFH-RL und zerfällt in zwei Verfahrensabschnitte. Zunächst stellt

die Europäische Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten aus den nationalen

Vorschlagslisten den Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung

auf. In einem zweiten Schritt wird dieser Entwurf dem Habitatsschuss zur Stellungnahme

zugeleitet und wird sodann von der Kommission als endgültige Gemeinschaftsliste festge-

legt.

Während in der mitgliedstaatlichen Vorauswahl aus dem Kreis sämtlicher in Betracht kom-

mender Gebiete eine Teilmenge gebildet wird, geht es in dieser Phase darum, aus der

Summe der gemeldeten Gebiete diejenigen auszuwählen, denen eine gemeinschaftliche

Bedeutung zukommt und für deren Erhaltung daher eine besondere Verantwortung der

Gemeinschaft besteht.97 Ziel dieser Phase ist daher die abschließende Auswahl der notwen-

digen Gebiete für das Habitatnetz Natura 2000 und die Festlegung der Gebiete von ge-

meinschaftlicher Bedeutung, die in das Habitatnetz eingehen sollen.

1. Erstellung der vorläufigen Gemeinschaftsliste

Vor der endgültigen Gemeinschaftsliste erstellt die Kommission nach Art. 4 Abs. 2 UAbs.

1 FFH-RL jeweils im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten auf der Grundlage der in An-

hang III Phase 2 FFH-RL aufgeführten Kriterien und im Rahmen der sechs in Art. 1 lit. c)

Ziff. iii) FFH-RL genannten biogeographischen Regionen98 sowie des in Art. 2 Abs. 1

FFH-RL erwähnten Gesamtgebietes aus den Listen der Mitgliedstaaten den Entwurf einer

Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung (die sog. Kommissionsliste).99 Für die

Aufnahme eines Gebiets in die Kommissionsliste sind hierbei die Kriterien des Anhangs III

Phase 2 FFH-RL ausschlaggebend.

97 Gellermann, Natura 2000, S. 56; Kador, FFH-Richtlinie, S. 101. 98 Diese sind nämlich alpine, atlantische, kontinentale, makaronesische, mediterrane und borealen Regionen

und für jede dieser Regionen ist eine vorläufige Gemeinschaftsliste auszuarbeiten. Vgl. Gebhard, NuR 1999, S. 366.

99 Die Zusammenstellung dieser Kommissionsliste erfolgt in einem fünfstufigen Verfahren. Vgl. Gebhard, NuR 1999, S. 365 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 51.

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Bei der Erarbeitung einer Gemeinschaftsliste ist von vornherein zwischen den von den Mit-

gliedstaaten gemeldeten prioritären und nichtprioritären Gebieten zu differenzieren. Nach

der Definition des Art. 1 lit. d), h) FFH-RL handelt es sich bei prioritären Lebensraumty-

pen bzw. Arten um natürliche Lebensraumtypen bzw. Arten, die im europäischen Gebiet

der Mitgliedstaaten vom Verschwinden bedroht sind und für deren Erhaltung eine besonde-

re Verantwortung der Gemeinschaft besteht. Zur Konkretisierung dieser Definition sind die

prioritäre Lebensraumtypen und Arten in den Anhängen I und II zur FFH-RL mit einem

Sternchen (*) gekennzeichnet. Solche prioritären Gebiete werden in diesem Zusammen-

hang gem. Anhang III Phase 2, Nr. 1 FFH-RL ohne eine vorherige Auswahlentscheidung

oder Einzelbewertung automatisch in die Kommissionsliste aufgenommen. Daher steht der

Kommission hierbei bezüglich dieser Gebiete keinerlei Auswahlspielraum zu.100 Diese

Aufnahmepflicht erklärt sich zwanglos aus der speziellen Gefährdungssituation prioritärer

Lebensraumtypen bzw. Arten und der folgenden besonderen Verantwortung der Gemein-

schaft für ihre Erhaltung.101

Die Aufnahme der übrigen nichtprioritären Gebiete in die Kommissionsliste orientiert sich

an den Kriterien des Anhangs III Phase 1, Nr. 2 FFH-RL. Es kommt dabei auf den in der

mitgliedstaatlichen Vorauswahl ermittelten relativen Wert eines Gebiets auf nationaler E-

bene, die Gesamtfläche des Gebietes, die Anzahl der in ihm vorkommenden natürlichen

Lebensraumstypen und Arten, die Relevanz des Gebietes im Hinblick auf die Kohärenz des

Netzes Natura 2000 und seinen ökologischen Gesamtwert für die betroffene biogeographi-

sche Region oder das gesamte europäische Gebiet der Mitgliedstaaten an.102 Diese Krite-

rien sind gem. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 sowie gem. Anhang III Phase 2 FFH-RL verbindlich

und infolge derselben Erwägungen, die bei der mitgliedstaatlichen Vorauswahl erläutert

wurden, abschließend.103 Bei der Anwendung dieser Kriterien kommt der Kommission

darüber hinaus einen Auswahlspielraum in naturschutzfachlicher Hinsicht zu und wie bei

der mitgliedstaatlichen Vorauswahl kommt eine Reduktion dieses Spielraums in Betracht,

100 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 52; Kador, FFH-Richtlinie, S. 101; Gellermann, Natura 2000, S.

57. 101 Gellermann, Natura 2000, S. 57; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 52. 102 Gellermann, Natura 2000, S. 57; eingehend zu diesen Kriterien Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

53 ff.; Gebhard, NuR 1999, S. 365 f.; vgl. auch Anhang III Phase 2 Nr.2 lit. a) ff. zur FFH-RL. 103 M.w.N. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 53; so auch Wirths, Naturschutz durch europäisches

Gemeinschaftsrecht, S. 151; Gellermann, Natura 2000, S. 58; vgl. oben 1. Teil, B. I. 2.

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wenn das betreffende nichtprioritäre Gebiet einen hervorragenden ökologischen Wert auf-

weist.104

Bei dieser Phase ist gem. Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL außerdem ein Einvernehmen des

jeweiligen Mitgliedstaates erforderlich.105 Im Gegensatz zu einer allgemeinen Abwägung

setzt dies eine einvernehmliche Beurteilung der gemeinschaftsweiten Beurteilung und Be-

wertung der gemeldeten Gebiete anhand der Kriterien des Anhangs III Phase 2 FFH-RL

voraus. Dementsprechend hat das zwischen der Kommission und dem jeweiligen Mitglied-

staat herzustellende Einvernehmen einen rein naturschutzfachlichen Charakter, so dass

wirtschaftliche, kulturelle oder sonstige Belange von den einzelnen Mitgliedstaaten nicht

geltend gemacht werden können. 106

2. Härtefallklausel des Art.4 Abs.2 UAbs.2 FFH-RL

Eine Aufweichung hinsichtlich der Anwendung der Kriterien bei der Erstellung der Ge-

meinschaftsliste sieht lediglich Art. 2 Abs. 2 UAbs. 2 FFH-RL vor. Demnach können die

Mitgliedstaaten, die Gebiete mit einem oder mehreren prioritären Lebensraumtyp(en) und

einer oder mehreren prioritären Art(en) mehr als 5 % des Hoheitsgebiets ausmachen, im

Einvernehmen mit der Kommission beantragen, dass die in Anhang III Phase 2 FFH-RL

angeführten Kriterien bei der Auswahl aller in ihrem Hoheitsgebiet liegende Gebiete von

gemeinschaftlicher Bedeutung flexibler gehandhabt werden.

Dadurch wird der Tatsache Rechnung getragen, dass die prioritären Lebensraumtypen und

Arten im Gebiet der Europäischen Gemeinschaft ungleich verteilt sind.107 Diese Regelung

bietet in diesem Zusammenhang den Mitgliedstaaten, die wegen eines hohen Anteils priori-

tärer Gebiete bedeutende Beiträge zum Aufbau von Natura 2000 und zur Bewahrung des

gemeinsamen Naturerbes erbringen, eine gewisse Entlastung.108 Diese Norm kommt vor

allem den südlichen Mitgliedstaaten zugute, die über ein hohes Maß an prioritären Gebie-

104 Gellermann, Natura 2000, S. 58; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 54 f.; Wirths, Naturschutz

durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 152; vgl. dazu oben B. I. 3. 105 Vgl. zum Rechtsbegriff des Einvernehmens Ipsen, Allgemeines Verwaltungsrecht, Rn. 365 f. 106 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 55; Gellermann, Natura 2000, S. 58; Wirths, Naturschutz durch

europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 151 f.; a.A. GA Léger, Schlussanträge zu EuGH, Rs. C-371/98, der eine Berücksichtigung ökologieexterne Belange zwar nicht bei der mitgliedstaatlichen Vorauswahl, wohl aber bei der Phase der Erstellung der vorläufigen Gemeinschaftsliste für möglich hält.

107 Vgl. hierzu den 11. Erwägungsgrund der FFH-RL. 108 Gellermann, Natura 2000, S. 59.

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ten verfügen; für die Auswahl der von der Bundesrepublik Deutschland gemeldeten Gebie-

te spielt sie allerdings keine Rolle.109

3. Konzertierungsverfahren nach Art. 5 FFH-RL

Wenn die Kommission bei der Erstellung des Listenentwurfs feststellt, dass ein Mitglied-

staat ein Gebiet nicht gemeldet hat, obwohl dieses Gebiet aus der fachlichen Sicht der

Kommission für den Fortbestand eines dort vorkommenden prioritären Lebensraumtyps

oder das Überleben einer prioritären Art unerlässlich ist, so kann sie gem. Art. 5 Abs. 1

FFH-RL ein bilaterales Konzertierungsverfahren einleiten. Dementsprechend ist dieses

Verfahren auf Konsensusfindung angelegt und bezweckt die gütliche Beilegung der Streit-

frage, ob ein prioritäres Gebiet vom Mitgliedstaat gemeldet werden muss.110

Das Konzertierungsverfahren beginnt mit einem Abgleich der auf der Seite der Kommissi-

on und des betroffenen Mitgliedstaates verwendeten wissenschaftlichen Daten. Das Kon-

zertierungsverfahren kann also erst dann in Betracht kommen, wenn eine vollständige nati-

onale Meldeliste nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL vorliegt.111 Wenn die Meinungsverschieden-

heiten dabei nicht beseitigt werden können, übermittelt die Kommission dem Rat binnen

sechs Monaten einen Vorschlag über die Aufnahme eines Gebiets in die Liste der Gebiete

von gemeinschaftlicher Bedeutung (Art 5 Abs. 2 FFH-RL), über den der Rat binnen einer

Dreimonatsfrist einstimmig entscheidet (Art 5 Abs. 3 FFH-RL). Da gem. Art. 205 Abs. 3

EGV eine derartige Einstimmigkeit nur dann gegeben ist, wenn der jeweilige Mitgliedstaat

zustimmt oder sich der Stimme enthält, folgt daraus, dass der jeweilige Mitgliedstaat ein

Vetorecht hat, mittels dessen er die Aufnahme eines fraglichen Gebiets in die Gemein-

schaftsliste verhindern kann.112 Insoweit versteht sich Art. 5 FFH-RL als Ausdruck der ge-

setzgeberischen Intention, dass Naturschutz nicht gegen bzw. ohne den Willen eines Mit-

gliedstaates durchgeführt werden kann.113

109 Gellermann, Natura 2000, S. 59; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 205, Fn. 29; vgl. Freiburg, Die

Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 69. 110 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 77; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 269. 111 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 152; Fisahn, ZUR 1998, S. 37; Iven,

UPR 1998, S. 362; Niederstadt, in: Erbguth, S. 66; a.A. Stüber, NuR 1998, S. 533. 112 Iven, NuR 1996, S. 380; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 98; Gellermann, NuR

1996, S. 550; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 153. 113 So die ganz herrschende Meinung Gellermann, Natura 2000, S. 60; Schink, GewArch 1998, S. 47; Kerk-

mann, Natura 2000, S. 158; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 340; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454; Leist, Lebensraumschutz, S. 38; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 71; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 2829; Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 645; Stüber, NuR

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Daneben unterliegt nach Art. 5 Abs. 4 FFH-RL ein von einem Mitgliedstaat nicht gemelde-

tes prioritäres Gebiet während der Konzertierungsphase dem Verschlechterungs- und Stö-

rungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL.114 Diese Schutzmaßnahmen sind allerdings vorläu-

figer Art, sie finden Anwendung bis das Konzertierungsverfahren abgeschlossen und eine

Entscheidung für einen der beiden Standpunkte gefallen ist.115

Ausweislich des Wortlauts des Art. 5 Abs. 1 FFH-RL ist das Konzertierungsverfahren le-

diglich prioritären Lebensraumtypen bzw. Arten vorbehalten und dieses Verfahren kommt

nur in Ausnahmefällen zur Anwendung. Diese Norm sieht ein Konzertierungsverfahren in

den Fällen nicht vor, in denen der Fortbestand der nichtprioritärer Lebensraumtypen bzw.

Arten gefährdet ist.116

Das Konzertierungsverfahren schließt dabei ein Vertragsverletzungsverfahren nach Art.

226 EGV vor dem EuGH wegen der Verletzung der Pflichten aus Art. 3 FFH-RL nicht aus;

es ist somit nicht als abschließendes Verfahren konzipiert, sondern als ein zusätzliches

Verfahren außergerichtlicher Streitbeilegung anzusehen.117 Das Konzertierungsverfahren

entlastet im Erfolgsfall den EuGH und bietet eine zügige Streitbeilegung, während eine

Klage vor dem EuGH mehr Zeit (ca. 17-18 Monate) in Anspruch nimmt.118 Die Kommissi-

on kann aber dabei erst dann eine Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH erheben,

wenn das Konzertierungsverfahren abgeschlossen ist oder die fristen des Art 5 FFH-RL

abgelaufen sind.119

1998, S. 533; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 154; a.A. Koch, NuR 2000, S. 376 f.

114 Da innerhalb der neunmonatige Frist eine Verträglichkeitsprüfung in der Praxis nicht durchführbar ist, erübrigt sich ein Verweis und eine Anwendung der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL im Konzertierungsverfahren. So auch Kerkmann, Natura 2000, Fn. 605; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 80.

115 Kerkmann, Natura 2000, S. 155; Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 645. 116 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 97; Wirths, Naturschutz durch europäisches Ge-

meinschaftsrecht, S. 152; der Schutz derartiger Arten bzw. Lebensraumtypen kann lediglich nach Art 226 EGV durch eine Vertragverletzungsklage vor dem EuGH erzwungen werden.

117 M.w.N. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 99; Kerkmann, Natura 2000, S. 161; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 80 f.; im Ergebnis zustimmend Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 155; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 274; Leist, Lebensraumschutz, S. 38; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 67; a.A. Koch, NuR 2000, S. 376 f.; ders., Europäisches Habitatschutzrecht, S. 19 f.

118 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 99; Kerkmann, Natura 2000, S. 161; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 77.

119 Ausführlich dazu Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 100; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 84; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 274.

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4. Festlegung der endgültigen Gemeinschaftsliste

Die von der Kommission im Einvernehmen mit den Mitgliedstaaten erstellte vorläufige

Gemeinschaftsliste bedarf abschließend nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 FFH-RL auf Kommis-

sionsebene im Verfahren gem. Art. 21 FFH-RL einer endgültigen Festlegung. Die vorläufi-

ge Gemeinschaftsliste wird zunächst dem Habitatausschuss zur Stellungnahme zugeleitet,

welcher sich gem. Art. 20 FFH-RL aus Vertretern der Mitgliedstaaten unter dem Vorsitz

eines Kommissionsvertreters zusammensetzt und mit qualifizierter Mehrheit im Sinne des

Art. 205 Abs. 2 EGV entscheidet. Stimmt der Habitatausschuss der vorläufigen Gemein-

schaftsliste zu, wird sie zur endgültigen Gemeinschaftsliste und von der Kommission nach

Art 21 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL als Entscheidung erlassen. Lehnt der Habitatausschuss sie

ab oder enthält sich er einer Stellungnahme, so unterbreitet die Kommission dem Rat nach

Art 21 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL einen Vorschlag, der einem Beschluss mit einer qualifi-

zierten Mehrheit durch den Rat bedarf.

Dabei legt Art. 4 Abs. 5 FFH-RL ausdrücklich fest, dass das Schutzregime des Art. 6 Abs.

2-4 FFH-RL mit der Aufnahme eines Gebietes in die endgültige Gemeinschaftsliste be-

ginnt. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz regelt das Konzertierungsverfahren des Art. 5

FFH-RL, wobei das jeweilige Gebiet bereits vor dem Abschluss der zweiten Phase des

Auswahlverfahrens den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL unterliegt.

III. Mitgliedstaatliche Ausweisung von Schutzgebieten

Mit der Fertigstellung der endgültigen Gemeinschaftsliste sind die Mitgliedstaaten gem.

Art. 4 Abs. 4 FFH-RL verpflichtet, die von Art. 4 Abs. 2 FFH-RL erfassten Gebiete als

besondere Schutzgebiete auszuweisen. In dieser letzten Phase findet die Errichtung des

europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000 ihren Abschluss.

Nach Art. 4 Abs. 4 FFH-RL muss die Ausweisung der Schutzgebiete so schnell wie mög-

lich, spätestens aber binnen sechs Jahren erfolgen. Wann diese Frist beginnt, ergibt sich

zwar nicht unmittelbar aus Art. 4 Abs. 4 FFH-RL, es scheint aber sachgerecht, den Fristbe-

ginn an Art. 4 Abs. 3 FFH-RL anzulehnen, der den Fristablauf für die zweite Phase als un-

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abdingbare Voraussetzung der letzten Stufe vorsieht.120 Dementsprechend hat die Auswei-

sungsfrist spätestens im Juni 1998 begonnen und im Juni 2004 geendet.121 Da aber die end-

gültige Gemeinschaftsliste nicht bis Juni 1998 erstellt wurde, verschiebt sich diese Frist

nach hinten auf den entsprechenden Termin der Beendigung der zweiten Phase.122

Die zwingende Formulierung des Art. 4 Abs. 4 FFH-RL legt es nahe, den Mitgliedstaaten

hinsichtlich der Frage, ob ein Gebiet zum besonderen Schutzgebiet ausgewiesen wird, kei-

nen Spielraum zuzugestehen, vielmehr ist in dieser dritten Phase von einer Ausweisungs-

pflicht auszugehen.123 Die mitgliedstaatliche Ausweisung der FFH-Gebiete hat folglich

eher einen deklaratorischen Charakter.124

Im Gegensatz zum Ob der Schutzgebietsausweisung finden sich in Art. 4 FFH-RL keine

konkreten Vorgaben hinsichtlich der Art und Weise der Schutzgebietsausweisung. Nach

Art. 249 Abs. 3 EGV sind die Richtlinien allgemein für jeden Mitgliedstaat nur hinsichtlich

des zu erreichenden Ziels verbindlich, während die Wahl und Form der Mittel innerstaatli-

chen Stellen überlassen bleibt. Die Mitgliedstaaten sind allerdings verpflichtet, diejenigen

Mittel zu wählen, die sich zur Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie

unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks am besten eignen.125 Um die Anfor-

derungen an die Ausweisung der FFH-Gebiete festzusetzen, ist die Frage dabei von maß-

geblicher Bedeutung, ob es sich bei der Ausweisung als Schutzgebiet um einen Akt der

Richtlinienumsetzung oder um einen Akt des Richtlinienvollzugs handelt.

Zunächst wird die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Schutzgebietsausweisung um

die Richtlinienumsetzung handele, die die Anwendung der Anforderungen an die Umset-

zung von Richtlinien nach sich ziehe.126 Dabei erfordere dies aufgrund des durch die

Rechtsprechung des EuGH geprägten Gebotes der Rechtsicherheit und Rechtsklarheit ei-

nen publizierten, allgemeinverbindlichen und rechtsförmlichen Akt zur Ausweisung der

120 Kador, FFH-Richtlinie, S. 103; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 72 f.; Kues,

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 66; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 160; Kerkmann, Natura 2000, S. 167.

121 Im Ergebnis ebenso Kerkmann, Natura 2000, S. 167; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 67; Kador, FFH-Richtlinie, S. 103; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 159 f.; a.A. Schink, Eildienst Landkreistag NRW, 1999, S. 485 f.

122 Kerkmann, Natura 2000, S. 167; Berner, Der Habitatschutz, S. 87. 123 Kerkmann, Natura 2000, S. 167 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 88; Freiburg, Die Erhaltung der biologi-

schen Vielfalt, S. 102; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 66. 124 Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 269; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 66; a.A. Kador, FFH-

Richtlinie, S. 103. 125 EuGH, Urteil vom 26.02.1976- Rs. 52/75; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S.

82; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 249, Rn. 46; Wegener, in: Erbguth, S. 61. 126 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 80; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111; Carlsen,

Die Umsetzung der FFH-RL, S. 207.

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FFH-Gebiete.127 Deswegen könne eine Ausweisung zum besonderen Schutzgebiet nicht

durch vertragliche Vereinbarungen oder durch Verwaltungsvorschriften erfolgen.128

Allerdings widerspricht diese Ansicht der in Art. 1 lit. l) enthaltenen Legaldefinition des

besonderen Schutzgebietes, wonach er als ein von den Mitgliedstaaten durch Rechts- oder

Verwaltungsvorschrift und/oder eine vertragliche Vereinbarung ausgewiesenes Gebiet von

gemeinschaftlicher Bedeutung, in dem die Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstel-

lung eines günstigen Erhaltungszustandes durchgeführt werden, definiert wird.129 Diese

gesetzliche Begriffbestimmung führt dazu, dass die Schutzgebietsausweisung nicht als

Umsetzungsakt der FFH-Richtlinie, sondern als reiner Vollzugsakt zu verstehen ist.130 Da-

für spricht auch der Umstand, dass die Umsetzung von Richtlinien den Erlass allgemeiner

Regelungen erfordert, während der Richtlinienvollzug als Anwendung dieser allgemeinen

Regelungen für den Einzelfall zu begreifen ist.131 Da es sich hierbei nicht um eine Richtli-

nienumsetzung handelt, kommen der Grundsatz der Rechtsicherheit und Rechtsklarheit

nicht in Betracht; vielmehr sind bei der Ausweisung die gemeinschaftsrechtliche Mindest-

anforderungen für die mitgliedstaatliche Vollzugsmaßnahmen maßgebend. Diesbezüglich

müssen die Mitgliedstaaten das Effizienzgebot und das Diskriminierungsverbot beach-

ten.132 Nach dem Effizienzgebot darf nationales Recht die Anwendung des Gemeinschafts-

rechts nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren und nach dem Dis-

kriminierungsverbot dürfen im Vollzug des Gemeinschaftsrechts keine Unterschiede im

Vergleich zu solchen Verfahren gemacht werden, in denen über gleichartige innerstaatliche

Sachverhalte entschieden werden.133 Entscheidend ist also nur, dass die gewählte Auswei-

sungsform nach dem jeweiligen mitgliedstaatlichen Recht diesen Anforderungen genügt.134

Somit können auch Verwaltungsvorschriften oder vertragliche Vereinbarungen denkbar

127 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 207; Berner, Der Habitat-

schutz, S. 92; Breuer, Entwicklungen des europäischen Umweltrechts- Ziele, Wege und Irrwege, S. 70 128 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111; Berner, Der Habitatschutz, S. 92 f.; Iven, NuR 1996, S. 375; so auch

EuGHE 1999, I-8543 (Poitou-Urteil). 129 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 68; Gellermann, Natura 2000, S. 62 f. 130 Kerkmann, Natura 2000, S. 41; Gellermann, Natura 2000, S. 63; Rengeling, HdEUDUR, § 27, Rn. 18;

Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 20; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 68 f.; Wahl, Europäisches Planungsrecht, S. 642 f.

131 Rengeling, HdEUDUR, § 27, Rn. 3; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 69. 132 Gellermann, Natura 2000, S. 63; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutz-

gebieten, S. 20 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 69 f.; Kahl, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 10, Rn. 24.

133 Jarass/Beljin, NVwZ 2004, S. 10; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutz-gebieten, S. 20 f.; Kahl, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 10, Rn. 24.

134 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 70; Wegener, in: Erbguth, S. 61.

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sein, um ein Gebiet gemeinschaftlichkonformer Weise unter den Schutz der FFH-RL zu

stellen.135

Überdies muss die Unterschutzstellungserklärung das Schutzgebiet flächenmäßig festlegen

und im Hinblick auf das in Art. 6 FFH-RL normierte Schutzregime die für das jeweilige

Gebiet festgelegten Erhaltungsziele beinhalten.136 Im Übrigen ist den Mitgliedstaaten hin-

sichtlich der Art und Weise der Ausweisung der FFH-Gebiete ein großer Spielraum einge-

räumt.137 Sie sind nicht verpflichtet neue Schutzkategorien zu schaffen, vielmehr können

Mitgliedstaaten auf bestehende Gebietskategorien im nationalen Recht zurückgreifen.138

Ausschlaggebend ist allein, dass mit den Ausweisungsmaßnahmen das von der FFH-

Richtlinie vorgeschriebene Schutzniveau eingehalten wird.139

Über die Ausweisung hinaus haben die Mitgliedstaaten im Rahmen dieser dritten Phase

gem. Art. 4 Abs. 4 FFH-RL auch die Prioritäten festzulegen. Die Festlegung von Prioritä-

ten erfolgt nach Maßgabe der Wichtigkeit der Gebiete für die Wahrung und Wiederherstel-

lung eines günstigen Erhaltungszustandes eines natürlichen Lebensraumtyps oder einer Art

Im Hinblick auf die Kohärenz des Netzes Natura 2000. Entscheidend ist dabei auch, in-

wieweit diese Gebiete von Schädigung oder Zerstörung bedroht sind.

135 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 70; Stüber, NuR 2000, S. 625; Bundesamt für Naturschutz, Na-

tura 2000, S. 21; Gellermann, Natura 2000, S. 63; Leist, Lebensraumschutz, S. 40; Wegener, in: Erbguth, S. 60; a.A. EuGHE 1999, I-8543 (Poitou-Urteil).

136 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 70; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111. 137 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111; Kerkmann, Natura 2000, S. 168. 138 Kador, FFH-Richtlinie, S. 103; Niederstadt, NuR 1998, S. 518; Wegener, in: Erbguth, S. 61; Leist, Le-

bensraumschutz, S. 40; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111. 139 Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 269; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 71; Leist, Lebensraum-

schutz, S. 40; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 162.

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Zweiter Teil: Schutzregime der FFH-Richtlinie

A. Allgemeines

Die Ausweisung von Lebensräumen und Arten als Bestandteile des europäischen Habitat-

schutzgebietsnetzes Natura 2000 vermag noch nicht den Zweck der FFH-Richtlinie, be-

stimmte Arten und Lebensräume zu erhalten, zu garantieren. Die Erreichung dieses Ziels

hängt in hohem Maße von den Pflichten ab, die an die Ausweisung geknüpft sind. Nach der

Untersuchung des Verfahrens zur Schaffung des Netzes Natura 2000 stellt sich diesbezüg-

lich die Frage, wie der Schutz der nach Art. 4 Abs. 4 FFH-RL ausgewiesenen besonderen

Schutzgebiete sichergestellt wird.

Die Antwort auf diese Frage wird vom Schutzregime der FFH-Richtlinie geliefert, welches

in Art. 6 FFH-RL detailliert normiert ist. Diese zentrale Vorschrift sieht drei, jeweils eigen-

ständige Schutzinstrumente vor. Sie fordert einerseits die Durchführung der nötigen Erhal-

tungsmaßnahmen für die besonderen Schutzgebiete (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL). Andererseits

statuiert sie das allgemeine Verschlechterungs- und Störungsverbot (Art. 6 Abs. 2 FFH-

RL). Sie schreibt weiterhin unter bestimmten Voraussetzungen die Durchführung der Ver-

träglichkeitsprüfung für Pläne und Projekte gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL, sowie den

in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL normierte Verträglichkeitsgrundsatz vor, von dem nur in

besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden kann. Art. 6 FFH-RL stellt somit in seiner

Gesamtheit das Schutzregime für die besonderen Schutzgebiete dar.

Dabei ist eine weitere Unterscheidung zwischen dem sog. Grundschutz und dem speziellen

Schutz im Bereich der Schutzmaßnahmen möglich. Unter Grund- bzw. Mindestschutz sind

all jene Maßnahmen zu verstehen, die einheitlich für sämtliche FFH-Gebiete anzuwenden

sind und damit ein allgemein gültiges Schutzregime schaffen.140 Im Gegensatz dazu sind

die speziellen Schutzmaßnahmen solche, die auf das jeweilige Gebiet zugeschnitten sind

und zur Erhaltung des einzelnen Schutzgebietes notwendig sind.141 Während der spezielle

Schutz für ausgewiesene FFH-Gebiete in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL geregelt ist, gehören die in

Art. 6 Abs. 2-3 FFH-RL vorgesehenen Schutzinstrumente zum Grundschutz der FFH-

Richtlinie.

140 Leist, Lebensraumschutz, S. 60; Gellermann, Natura 2000, S. 67. 141 Leist, Lebensraumschutz, S. 60.

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Das Ziel der FFH-Richtlinie besteht, wie oben ausgeführt, darin, ein kohärentes Schutzge-

bietsnetz Natura 2000 zu erstellen. Dies kann nur erreicht werden, wenn ein möglichst ef-

fektiver Biotopschutz gewährleistet wird. Dieses Ziel verfolgt auch Art. 6 FFH-RL, was in

Anbetracht der in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 2 FFH-RL normierten Zielvorgabe für das

Netz Natura 2000 nichts anderes bedeutet, als dass ein günstiger Erhaltungszustand der

Natura 2000 Gebiete sichergestellt werden soll.142 Zur Realisierung dieser Ratio Legis,

weist diese Vorschrift diesbezüglich einen präventiven bzw. antizipatorischen Charakter

auf.143 Die drohenden Beeinträchtigungen sind demnach zu vermeiden, bevor sie entstehen.

Dieses Element ist zentrales Anliegen des gesamten Schutzregimes der FFH-Richtlinie und

fordert nicht nur die nachträgliche Beseitigung bereits eingetretener Gebietsbeeinträchti-

gungen sondern als sekundärrechtliche Ausprägung des Vorsorgeprinzips nach Art. 174

Abs. 2 UAbs. 1 Satz EGV auch vorbeugende Maßnahmen.144

Im Übrigen gilt das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2-4 FFH-RL nach Art. 7 FFH-RL aus-

drücklich auch für die schon ausgewiesenen Vogelschutzgebiete nach der Vogelschutz-

richtlinie. Die Verpflichtungen aus der FFH-Richtlinie treten an die Stelle der Pflichten, die

sich aus Art. 4 Abs. 1 Satz 1 ergeben. Somit unterstehen alle ausgewiesenen Vogelschutz-

und FFH-Gebiete einem einheitlichen Schutzregime.

B. Erhaltungsmaßnahmen

I. Begriff und sachlicher Anwendungsbereich

Den Ausgangspunkt der Schutzvorgaben der FFH-Richtlinie bildet Art. 6 Abs. 1, wonach

die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, für die besonderen Schutzgebiete die nötigen Erhal-

tungsmaßnahmen festzulegen, die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufge-

stellte oder in andere Entwicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne und geeignete

Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art umfassen, die den ökologi-

schen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach

Anhang II entsprechen, die in diesen Gebieten vorkommen. Diese Norm begründet ein all-

142 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 87 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-

recht, S. 176. 143 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 87 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-

recht, S. 176; Kador, FFH-Richtlinie, S. 32; Gellermann, Natura 2000, S. 70. 144 Kador, FFH-Richtlinie, S. 32; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 176;

Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 88.

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gemeines Erhaltungssystem, das von den Mitgliedstaaten für die besonderen Schutzgebiete

festzulegen ist, und findet auf alle besonderen Schutzgebiete des Netzes Natura 2000 und

alle Lebensraumtypen im Sinne von Anhang I und Arten im Sinne von Anhang II Anwen-

dung. Sie ermöglicht dadurch ein umfassendes Gebietsmanagement.

Eine genauere Betrachtung des Wortlauts dieser Vorschrift lässt dabei erkennen, dass der

Halbsatz „… die gegebenenfalls… umfassen…“ lediglich eine beispielhafte Konkretisie-

rung der Art und Weise der Umsetzung der Erhaltungsmaßnahmen enthält, wobei die Aus-

richtung der Erhaltungsmaßnahmen anhand der ökologischen Erfordernisse der natürlichen

Lebensraumtypen nach Anhang I und der Arten nach Anhang II erfolgt.145 Der sachliche

Anwendungsbereich der Norm hängt insoweit von der Auslegung des Merkmals der Erhal-

tungsmaßnahmen ab.

Der Begriff der Erhaltungsmaßnahme richtet sich am Begriff der Erhaltung und an dem

Erhaltungskonzept aus, welches der FFH-Richtlinie zugrunde liegt.146 Das Erhaltungskon-

zept der FFH-Richtlinie wird im sechsten Erwägungsgrund bestimmt. Dort heißt es: „Zur

Wiederherstellung oder Wahrung eines günstigen Erhaltungszustandes der natürlichen

Lebensräume und der Arten von gemeinschaftlichem Interesse sind besondere Schutzgebie-

te auszuweisen, um nach einem genau festgelegten Zeitplan ein zusammenhängendes euro-

päisches ökologisches Netz zu schaffen.“ Im achten Erwägungsgrund heißt es weiterfüh-

rend: „In jedem ausgewiesenen Gebiet sind entsprechend den einschlägigen Erhaltungszie-

len die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen.“ Die Legaldefinition des Art. 1 Abs. 1

lit. a) FFH-RL liefert aber in diesem Kontext den wichtigsten Anhaltspunkt, wonach zu den

Erhaltungsmaßnahmen alle Maßnahmen gehören, die erforderlich sind, um die natürlichen

Lebensräume und die Populationen wildlebender Tier- und Pflanzenarten in einem günsti-

gen Zustand zu erhalten oder diesen wiederherzustellen. Das Ziel der Erhaltungsmaßnah-

men ist demnach der Erhalt und die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustan-

des.

Es geht dem Richtliniengeber diesbezüglich einerseits um die Erhaltung der Lebensräume

und Populationen, zu der konsequenterweise sämtliche dafür notwendige Schutz- und Pfle-

gemaßnahmen gehören müssen; andererseits soll die Pflege und Wiederherstellung der Le-

bensräume und Populationen gesichert werden.147 Schutzmaßnahmen als Bestandteil des

145 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 88; Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 597; Kador, FFH-

Richtlinie, S. 27. 146 Kador, FFH-Richtlinie, S. 27. 147 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 33.

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engen Erhaltungsbegriffs bezwecken die Abwehr menschlicher Einwirkungen auf das zu

erhaltende Objekt, während es sich bei Pflegemaßnahmen um Eingriffe in die natürliche

Entwicklung handelt, um einen bestehenden Zustand zu sichern und nachteilige Verände-

rungen natürlicher Faktoren zu verhindern.148 Wiederherstellungsmaßnahmen dienen

schließlich der Schaffung eines schutzwürdigen Zustandes von gestörten bzw. zerstörten

Lebensräumen oder Habitaten der Arten, welche stets auf die Veränderung einer bestehen-

den Lage gerichtet sind.149 Durch diese Maßnahmen soll die in Art. 3 Abs. 1 UAbs. 1 Satz

2 FFH-RL zum Ausdruck kommende Zielsetzung des europäischen Netzes Natura 2000,

nötigenfalls einen günstigen Erhaltungszustand der natürlichen Lebensraumtypen und Ha-

bitate der Arten aktiv zu schaffen, auch auf der Ebene des Schutzregimes realisiert wer-

den.150 Erhaltungsmaßnahmen sichern damit nicht nur den Status quo, sondern gewährleis-

ten auch die Weiterentwicklung eines Gebietes und orientieren sich somit am Entwick-

lungspotential des Gebietes.151 Dabei ist auch zu beachten, dass Erhaltungsmaßnahmen

nicht allein auf die Bewahrung des im Zeitpunkt der Unterschutzstellung aktuellen Ge-

bietszustandes gerichtet sind, sondern umfassen auch die auf Wiederherstellung eines güns-

tigen Erhaltungszustandes gerichteten Aktivitäten, die als Optimierungsmaßnahmen be-

zeichnet werden zu pflegen.152

Nach alledem bleibt es festzuhalten, dass der Begriff der Erhaltungsmaßnahmen im Sinne

von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL nicht nur konservierende sondern auch regenerierende Aspekte

enthält.153 Und soweit zu den Erhaltungsmaßnahmen nach diesen allgemein Begrifflichkei-

ten sowohl Schutz- als auch Pflegemaßnahmen gehören können, erfasst Art. 6 Abs. 1 FFH-

RL von seinem sachlichen Anwendungsbereich her grundsätzlich sämtliche menschliche

Aktivitäten und natürliche Einwirkungen, die ein Gebiet betreffen.154

Notwendig ist darüber hinaus, den sachlichen Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 1 FFH-

RL von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL abzugrenzen. Der in der Literatur überwiegend vertretenen

Auffassung liegt die Annahme zugrunde, dass es sich bei den Erhaltungsmaßnahmen nach 148 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 35; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 89;

Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 34; Louis, BNatSchG, § 12, Rn. 119; J. Schmidt-Räntsch, in: Gassner, BNatSchG, § 22, Rn. 30.

149 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 35 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 89. 150 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 89; Gellermann, Natura 2000, S. 68. 151 Kador, FFH-Richtlinie, S. 27; Gellermann, Natura 2000, S. 68; Leist, Lebensraumschutz, S. 148; Gata-

wis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 175. 152 Gellermann, Natura 2000, S. 68. 153 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 89; Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 597; Leist, Lebensraum-

schutz, S. 148 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 68; Kador, FFH-Richtlinie, S. 27. 154 In diesem Sinne auch Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 89; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaf-

fung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 34; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 34 f.

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Art. 6 Abs. 1 FFH-RL nur um die Bekämpfung von gebietstypischen Einflüsse handele,

während Art. 6 Abs. 2 FFH-RL der Beseitigung der gebietsfremden bzw. menschlichen

Einwirkungen diene.155 Dies ergebe sich zum einen aus der Systematik des Art. 6 FFH-RL.

Da in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bereits der Schutz der Natura 2000 Gebiete vor menschlichen

Beeinträchtigungen normiert sei, müssten die Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1

FFH-RL über den Grundschutz des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL hinausgehend nur auf die Be-

wahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der jeweiligen Le-

bensräume oder Arten abzielen.156 Daher sei beiden Vorschriften ein je eigenständiger Re-

gelungsbereich zuzuerkennen.157 Zum anderen nehmen Art. 4 Abs. 5 und Art. 7 FFH-RL

nur auf Art. 6 Abs. 2-4 FFH-RL Bezug, nicht aber auf Art. 6 Abs. 1 FFH-RL. Daraus lasse

sich ableiten, dass zwischen den beiden Absätzen ein Unterschied bestehe, so dass die Er-

haltungsmaßnahmen des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL nicht zum eigentlichen Schutzregime der

FFH-Richtlinie gehörten.158

Diese Auffassung erscheint aber nicht unproblematisch. Dem kann nicht entgegengehalten

werden, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL einen für alle Natura 2000 Gebiete geltenden Mindest-

bzw. Grundschutz garantiert, der auf die Sicherung des Status quo gerichtet ist.159 Sämtli-

che Schutzmaßnahmen müssen in diesem Zusammenhang immer zumindest das in Art. 6

Abs. 2 FFH-RL vorgesehene Schutzniveau erreichen. Aus dieser Begrenzung nach unten

folgt aber keine Begrenzung nach oben.160 Dabei ist die Gewährleistung eines Mindest-

schutzes durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL in systematischer Hinsicht so auszulegen, dass Art. 6

Abs. 1 FFH-RL die Möglichkeit eröffnet, über diesen allgemeinen Schutzstandard hinaus

strengere Schutzmaßnahmen festzulegen, sofern die ökologischen Erfordernisse der kon-

kret zu schützenden natürlichen Lebensraumtypen und Arten dies verlangen. Hierin liegt

der eigenständige materielle Gehalt des Art. 6 Abs. 1 gegenüber Art. 6 Abs. 2 FFH-RL be-

züglich der Schutzmaßnahmen.161

155 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 109; Leist, Lebensraumschutz, S. 75 ff.; Schlade-

bach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 173; Berner, Der Habitatschutz, S. 111 f.; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 386; Gellermann, NuR 1996, S. 550.

156 Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 38; ders., Natura 2000, S. 73; ähnlich Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 209 ff.

157 Gellermann, Natura 2000, S. 73; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 209 ff. 158 Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 209 f.; Gebhard, NuR 1999, S. 367; Wirths, Naturschutz durch

europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 164 f.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 108 f.; a.A. Schink, UPR 1999, S. 418 .

159 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 90; Gellermann, NuR 1996, S. 549. 160 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 90 f. 161 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 91.

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Überdies liefert auch die rechtliche Qualität des Art. 6 FFH-RL einen möglichen Ansatz-

punkt, der für eine Unterscheidung der beiden Absätze herangezogen werden kann. Wäh-

rend Art. 6 Abs. 2 FFH-RL als ausschließlich materiell-rechtliche Regelung angesehen

werden muss, wird in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL bestimmt, wie bzw. durch welche Maßnahmen

dieser Schutz der FFH-Gebiete bewirkt werden kann.162 Ausschlaggebend ist dabei allein,

dass der in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vorgesehene Schutzstandard erreicht wird. Dementspre-

chend ermöglicht Art. 6 Abs. 1 FFH-RL unter formellen und materiellen Aspekten den Er-

lass von Schutzmaßnahmen, so dass eine strikte Trennung der Anwendungsbereiche von

Art.6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht vorgenommen werden kann.163 Das Verhält-

nis der beiden Vorschriften zueinander kann damit dergestalt verstanden werden, dass Art

6 Abs. 2 FFH-RL einen gewissen Mindestschutz für alle FFH-Gebiete gewährleistet, wäh-

rend Art. 6 Abs. 1 FFH-RL unter voller Berücksichtigung dieses Schutzstandards konkrete

Regelungen für die Ausgestaltung des jeweiligen FFH-Gebietes trifft.164

Ferner ist der fehlende Verweis des Art. 4 Abs. 5 auf Art. 6 Abs. 1 FFH-RL mit dem Um-

stand zu erklären, dass Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht bereits mit der Erstellung der endgülti-

gen Gemeinschaftsliste, sondern erst ab der mitgliedstaatlichen Ausweisung Wirkung ent-

faltet.165 Der Grund für den daraus folgenden unterschiedlichen zeitlichen Anwendungsbe-

reich von Art. 6 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist nicht der differierende Gehalt der

beiden Normen.166 Dafür ist vielmehr der Umstand verantwortlich, dass die Pflicht zum

Erlass von Erhaltungsmaßnahmen nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL wegen ihrer starken Abhän-

gigkeit von dem jeweils betroffenen FFH-Gebiet in hohem Maße unbestimmt ist und ihre

Erfüllung daher einen gewissen Zeitraum erfordert, während Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine

viel genauere Verpflichtung zur Vermeidung von Verschlechterungen und Störungen vor-

schreibt, deren Realisierung unverzüglich möglich ist.167

Der fehlende Verweis des Art. 7 auf Art. 6 Abs. 1 FFH-RL erklärt sich daneben schlicht

durch die Tatsache, dass die Vogelschutzrichtlinie in seinem Art. 4 Abs.1 UAbs. 1 zuguns-

162 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 34; Kues, Flora-Fauna-

Habitat-Richtlinie, S. 91; vgl. Jarass, ZUR 2000, S. 184. 163 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 91; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und

Vogelschutzgebieten, S. 34. 164 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 34; Kues, Flora-Fauna-

Habitat-Richtlinie, S. 91. 165 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 91; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 12 f.;

Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 155. 166 So aber Leist, Lebensraumschutz, S. 76 f.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 108 ff. 167 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 92; Gebhard, NuR 1999, S. 367.

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ten der besonderen Vogelschutzgebiete eine entsprechende Pflicht statuiert.168 Diese paral-

lele Vorschrift macht eine Modifizierung des Schutzregimes für die besonderen Vogel-

schutzgebiete unerforderlich.

Aus allen diesen Überlegungen bleibt damit festzuhalten, dass Art. 6 Abs. 1 FFH-RL in

diesem Zusammenhang als eine Norm mit einem individuellen Charakter zu bezeichnen

ist.169

II. Räumlicher und zeitlicher Anwendungsbereich

Klärungsbedürftig sind ferner die Bestimmungen des räumlichen Anwendungsbereiches

des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, in dem Erhaltungsmaßnahmen ergriffen werden müssen. Es

handelt sich dabei um zwei Fragestellungen.

Einerseits ist es fraglich, ob die Verpflichtung des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL zur Durchführung

von Erhaltungsmaßnahmen sich nur auf menschliche und natürliche Einwirkungen be-

schränkt, die ihre Ursache innerhalb des FFH-Gebietes haben, oder ob auch Einwirkungen

erfasst sind, die ihre Ursache außerhalb des FFH-Gebietes finden. Zur Lösung dieser Prob-

lematik kann hierbei der Zweck der Norm herangezogen werden. Maßgebend ist diesbe-

züglich Art. 1 lit. a) FFH-RL, welcher den Terminus „Erhaltung“ legal definiert. Demnach

erfasst Erhaltung alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die in einem Schutzgebiet

vorkommenden natürlichen Lebensräume und Populationen wildlebender Tier- und Pflan-

zenarten in einem günstigen Erhaltungszustand zu bewahren oder wiederherzustellen. Die-

se Zweckstellung legt es nahe, dass nach Art. 6 Abs. 1 FFH-RL sämtliche menschliche und

natürliche Einwirkungen zu unterbinden sind, die die Realisierung dieser Ratio Legis ge-

fährden; und zwar unabhängig davon, ob deren Ursache außerhalb oder innerhalb der

Schutzgebietsgrenzen zu finden ist.170 Art 6 Abs. 1 FFH-RL verfolgt somit einen ergebnis-

orientierten bzw. wirkungsbezogenen Ansatz, da er insgesamt auf eine Vermeidung negati-

ver Auswirkungen auf die Erhaltungsziele und den Schutzzweck abzielt.171

168 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 92; Kador, FFH-Richtlinie, S. 26;Gellermann, Natura 2000, S.

68 f.; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 11. 169 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 92. 170 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 94; vgl. auch Leist, Lebensraumschutz, S. 73; Gellermann, Na-

tura 2000, S. 71 f. 171 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 94; vgl. auch Leist, Lebensraumschutz, S. 73; Kador, FFH-

Richtlinie, S. 29; Fischer-Hüftle, NuR 2004, S. 157; Gellermann, Natura 2000, S. 71 f.

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Umstritten ist des Weiteren, ob die Mitgliedstaaten Erhaltungsmaßnahmen nur innerhalb

eines FFH-Gebietes vorzunehmen haben oder ob sie auch diese Maßnahmen außerhalb

eines Schutzgebietes durchführen müssen. Der Wortlaut der Vorschrift „Für die besonde-

ren Schutzgebiete…“ ist indessen nicht eindeutig. Aus dieser Formulierung kann einerseits

geschlossen werden, dass die von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL geforderten Erhaltungsmaßnah-

men sich auf den Schutzgebietsbereich beschränken müssen; andererseits lässt sie sich

auch so interpretieren, dass hierdurch lediglich das Objekt, dem die Erhaltungsmaßnahmen

dienen, näher beschrieben wird.172 Diese Erwägungen stellen mithin klar, dass die Wort-

auslegung des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL in diesem Kontext zu keinem zwingenden Ergebnis

führt.

Dabei vertritt in der Literatur eine von einem Vergleich mit dem ursprünglichen Richtli-

nienvorschlag aus dem Jahr 1988173 ausgehende Ansicht, dass die Verpflichtung zur

Durchführung von Erhaltungsmaßnahmen nur innerhalb des Schutzgebietes gelte. Im Ge-

gensatz zur geltenden Fassung nehme dieser Richtlinienvorschlag in seinem Art. 8 Abs. 1

eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen den innerhalb und außerhalb von Schutzge-

bieten durchzuführenden Maßnahmen vor, wonach die Mitgliedstaaten sich auch um die

Vermeidung von Belastungen und Beeinträchtigungen der natürlichen und naturnahen Ha-

bitate bemühen sollten. Da diese räumliche Differenzierung in der geltenden Richtlinien-

fassung weggefallen sei, spreche die geltende Formulierung dafür, dass sich die Erhal-

tungsmaßnahmen nur auf die Fläche innerhalb der besonderen Schutzgebiete beziehen

müssten.174

Die von dieser Ansicht vorgebrachte Argumentation erscheint aber nicht plausibel, denn

aus dem Wegfall der räumlichen Differenzierung im Vergleich zu endgültigen Richtlinien-

fassung wäre nämlich ebenso der gegenteilige Schluss, dass es gerade nicht auf den Ort der

Durchführung der Erhaltungsmaßnahmen ankommen soll, denkbar.175

Schließlich ist es zu untersuchen, ob die Legaldefinition der besonderen Schutzgebiete in

Art. 1 lit. l) FFH-RL diesbezüglich einen Anhaltspunkt geben kann, wonach ein besonderes

Schutzgebiet als „von den Mitgliedstaaten… ausgewiesenes Gebiet, in dem die Maßnah-

men die zur Wahrung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes… er-

172 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 94; vgl. auch Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 105. 173 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie

der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, ABl. EG 1988, Nr. C. 247, S. 6. 174 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 105. 175 Berner, Der Habitatschutz, S. 110; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 95.

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forderlich sind, durchgeführt werden.“ Beschrieben wird. Berücksichtigt man diese Beg-

riffbestimmung, so spricht es dafür, dass die von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL geforderten Erhal-

tungsmaßnahmen sich nur auf die Fläche des jeweiligen besonderen Schutzgebietes bezie-

hen müssten.176 Solch eine einschränkende Interpretation des Wortlautes könnte allerdings

dazu führen, dass exogene Einflüsse ausschließlich im Schutzgebiet selbst bekämpft wer-

den können, was mit dem Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL nur schwer vereinbar

wäre. Außerdem wären dann ein effektiver Schutz und eine Pflege der im Schutzgebiet

vorkommenden natürlichen Lebensraumtypen und Arten auch kaum möglich.177 Vor die-

sem Hintergrund müssen die Mitgliedstaaten bei der Vornahme zu Erhaltungsmaßnahmen,

auch zur Einführung eines Umgebungsschutzes verpflichtet sein, der auch außerhalb des

Schutzgebietes liegende negative Einflüsse umfasst, sofern sich diese Einflüsse auf die Ge-

bietsbestandteile beeinträchtigend auswirken könnten.178 Infolgedessen ist es festzustellen,

dass Art. 6 Abs. 1 FFH-RL einen Umgebungsschutz im weitesten Sinne vorsieht.179

Erläuterungsbedürftig ist darüber hinaus der Anwendungsbereich der Erhaltungsmaßnah-

men in zeitlicher Hinsicht. Wie bereits oben kurz dargelegt wurde, trifft die Verpflichtung

zur Vornahme der Erhaltungsmaßnahmen die Mitgliedstaaten - anders als die Vorgaben

des Art. 6 Abs. 2 - 4 FFH-RL - nicht schon mit Aufnahme eines Gebietes in die Gemein-

schaftsliste, sondern erst mit dem Abschluss der dritten Phase bzw. mit der Ausweisung

des Areals als besonderes Schutzgebiet durch den Mitgliedstaat.180 Für diesen Zeitpunkt

spricht zum einen der Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL, wonach die für die besonderen

Schutzgebiete nötigen Erhaltungsmaßnahmen mit der Ausweisung des Areals als besonde-

res Schutzgebiet erfolgen sollen. Dies steht zum anderen auch mit der systematischen Stel-

lung des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL in Einklang. Da erst mit der Erstellung der endgültigen

Gemeinschaftsliste verbindlich besteht, dass für ein bestimmtes Gebiet Erhaltungsmaß-

nahmen festgelegt werden müssen, soll der Zeitpunkt des Inkrafttretens des Art. 6 Abs. 1

FFH-RL notwendigerweise hinter dem Zeitpunkt des Anwendungsbereichs des Art. 6 Abs.

2 FFH-RL liegen.181 Dabei ist der in Art. 4 Abs. 4 FFH-RL normierte sechsjährige Zeit-

176 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 106; Berner, Der Habitatschutz, S. 110; Kues,

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 95. 177 Ebenso Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 95. 178 Leist, Lebensraumschutz, S. 74; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 95. 179 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 95. 180 So auch Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 594; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 155;

Gebhard, NuR 1999, S. 367; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommu-nale Bauleitplanung, S. 171.

181 Vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 92.

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raum deswegen gegeben, da die Erarbeitung der Erhaltungsmaßnahmen für die FFH-

Schutzgebiete einen gewissen zeitlichen Spielraum erfordert.182

III. Inhaltliche Ausgestaltung der Erhaltungsmaßnahmen

Unter Erhaltungsmaßnahmen des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL sind Maßnahmen allgemeiner Art

zu verstehen, die anders als das Verschlechterungs- und Störungsverbot oder die Verträg-

lichkeitsprüfung nicht notwendig einer Rechtsgrundlage bedürfen, weil sie nicht zwangs-

läufig die Rechtstellung des einzelnen berühren.183 Gemäß Art. 6 Abs. 1 FFH-RL müssen

sie den ökologischen Erfordernissen der natürlichen Lebensraumtypen nach Anhang I und

der Arten nach Anhang II, die in diesen Gebieten vorkommen, entsprechen. Somit hängen

die Erhaltungsmaßnahmen inhaltlich von den spezifischen Gegebenheiten des jeweiligen

Schutzgebietes ab.184 Es ist daher nicht möglich, eine konkrete Festlegung zu treffen, wel-

che Schutzmaßnahmen für welche Schutzgebiete im Einzelnen zu ergreifen sind.185 Sie

können je nach geschütztem Lebensraumtyp bzw. zu erhaltender Art und mit Blick auf den

jeweiligen Zustand des einzelnen Gebietes stark variieren.186 So können sie zum einen die

Fortführung oder Förderung bestimmter menschlicher Tätigkeiten umfassen. Weiterhin

besteht die Möglichkeit, dass sie die Wiederherstellung natürlicher Lebensraumtypen und

Arten beinhalten, die selbst die Beseitigung bestandkräftiger Belastungen, vor denen Art. 6

Abs. 2 – 4 FFH-RL keinen Schutz bietet, erfasst.187

Mangels spezifischer Richtlinienbestimmungen steht dabei den Mitgliedstaaten hinsichtlich

der konkreten Ausgestaltung der erforderlichen Maßnahmen nach Art 249 Abs. 3 EGV ein

breiter Gestaltungsspielraum zu.188 Die Mitgliedstaaten sind aber bei ihrer Entscheidung

nicht völlig frei. Die Mitgliedstaaten müssen, anders als bei der Gebietsauswahl, im Rah-

men der Aufstellung von Erhaltungsmaßnahmen den in Art. 2 Abs. 3 FFH-RL genannten

182 Natura 2000, Naturschutz-Infoblatt der Europäischen Kommission, 1. Ausgabe, Mai 1996, S. 6; Kues,

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 73. 183 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 106; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 111; Carlsen, Die

Umsetzung der FFH-RL, S. 209. 184 Gellermann, Natura 2000, S. 68; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 96; Carlsen, Die Umsetzung

der FFH-RL, S. 210. 185 Leist, Lebensraumschutz, S. 146. 186 Gellermann, Natura 2000, S. 68; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 96; Europäische Kommission,

Gebietsmanagement, S. 18 f.; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 210. 187 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 96; Gellermann, Natura 2000, S. 68 f. 188 Iven, NuR 1996, S. 377; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 155; Wirths, Naturschutz

durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 207; Leist, Lebensraumschutz, S. 146; Berner, Der Habitat-schutz, S. 103; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 21.

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wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Forderungen Rechnung tragen.189 Zu-

dem müssen sie unter Berücksichtigung des Grundsatzes effet utile darauf achten, dass mit

den einzelnen Maßnahmen die mit der Richtlinie bezweckten Ziele erreicht werden.190 Es

steht damit im Belieben der Mitgliedstaaten, die Richtlinienvorgaben hinsichtlich der Art

und Weise umzusetzen. So können sich die Mitgliedstaaten, wie sich dem Verweis der

Vorschrift auf Bewirtschaftungspläne und geeignete Maßnahmen rechtlicher, administrati-

ver und vertraglicher Art entnehmen lässt, sämtlicher in Betracht kommenden Handlungs-

formen bedienen.191 Aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ergeben sich dabei zu-

mindest zwei Formen von Erhaltungsmaßnahmen.

Die Bewirtschaftungspläne sind naturschutzfachliche Pläne, in denen Erhaltungsmaßnah-

men festzulegen sind. Es handelt sich dabei um Managementpläne, die die Nutzung, Pflege

und naturschutzfachliche Entwicklung des Gebietes festschreiben.192 Durch die Aufstellung

von Bewirtschaftungsplänen kann insbesondere die zukünftige Nutzung der Flächen gere-

gelt werden.193 Derartige Pläne müssen sämtliche geplante und voraussehbare gebietsspezi-

fische Aktivitäten umfassen und sind nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL vom Anwen-

dungsbereich der Verträglichkeitsprüfung ausgeschlossen. In Art.6 Abs. 1 FFH-RL geht es

um die gegebenenfalls geeignete, eigens für die Gebiete aufgestellte oder in andere Ent-

wicklungspläne integrierte Bewirtschaftungspläne. Die Bewirtschaftungspläne sind in die-

sem Sinne nicht obligatorisch. Die Formulierung „gegebenenfalls“ bedeutet, dass die Mit-

gliedstaaten frei in ihrer Entscheidung sind, die Erhaltungsmaßnahmen in einer planeri-

schen Gesamtschau zu sicherstellen.194 Zudem müssen die Bewirtschaftungspläne und an-

dere Arten der Erhaltungsmaßnahmen geeignet sein, die Erhaltungsmaßnahmen zu gewähr-

leisten. Dem Kriterium der Geeignetheit kommt allerdings kein eigenständiger Charakter

zu.195 Maßgebend ist hierbei, dass die Bewirtschaftungspläne die in Art. 2 Abs.1 FFH-RL

niedergelegte Zielsetzung der Richtlinie gewährleisten und den ökologischen Erfordernis-

189 Gebhard, NuR 1999, S. 367; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 208; Euro-

päische Kommission, Gebietsmanagement, S. 21. 190 Leist, Lebensraumschutz, S. 146; Iven, NuR 1996, S. 377; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von

FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 33; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 21; zum effet u-tile Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 444.

191 Gellermann, Natura 2000, S. 68; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 96. 192 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 102; Iven, NuR 1996, S. 377; Gatawis, Grund-

fragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 175. 193 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 35. 194 Kador, FFH-Richtlinie, S. 27; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 20. 195 Kador, FFH-Richtlinie, S. 27.

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sen der im FFH-Gebiet vorkommenden Lebensraumtypen und Arten entsprechen.196 Dabei

steht es den Mitgliedstaaten frei, die Bewirtschaftungspläne „eigens für die Gebiete“ aufzu-

stellen oder „in andere Entwicklungspläne“ zu integrieren. Bei der Integration der Bewirt-

schaftungspläne in andere Planungen sind, andere, dem Naturschutz entgegenlaufende Pla-

nungen und Aktivitäten, zu beachten. Auf diese Weise können die einzelnen Schutzmaß-

nahmen optimiert werden und innerhalb des Schutzgebietes bestmöglich eingesetzt wer-

den.197

Neben den Bewirtschaftungsplänen besteht auch die Möglichkeit, geeignete Maßnahmen

rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art zu ergreifen. Der Begriff „gegebenen-

falls“ in Art. 6 Abs. 1 FFH-RL bezieht sich ausschließlich auf die Bewirtschaftungspläne

und nicht auf diese drei Maßnahmenkategorien. Daraus folgt, dass ein Mitgliedstaat auch

dann, wenn er Bewirtschaftungspläne nicht für erforderlich erachtet, eine der drei genann-

ten Maßnahmenkategorien zu ergreifen hat.198 Die Maßnahmen rechtlicher, administrativer

oder vertraglicher Art müssen daher die Mitgliedstaaten durchführen, sofern sie keine Be-

wirtschaftungspläne aufstellen.199 Unter diesen drei Gruppen besteht keine Hierarchie. Die

Mitgliedstaaten sind ebenso frei, für ein Gebiet nur eine Kategorie dieser Maßnahmen oder

eine Kombination verschiedener Maßnahmen festzulegen.

Die Erstellung der Bewirtschaftungspläne ist ratsam, da sie die Beteiligung der betroffenen

lokalen Interessengruppen ermöglichen und dadurch einen effektiven Gebietsschutz herbei-

führen.200 Deren Nachteil besteht jedoch darin, dass mit ihnen nicht zügig auf aktuelle Ver-

änderungen reagiert werden kann, da sie in der Handhabung relativ starr sind und ihre An-

passung einen gewissen Zeitraum erfordert.201 Die rechtlichen, administrativen und vertrag-

lichen Handlungsformen sind dagegen flexibler handhabbar, da sie eine einzelfallbezogene

Reaktion auf die konkreten Erhaltungserfordernisse in dem betroffenen Gebiet sowie die

Umsetzung und den Vollzug der Planfeststellungen aus den Bewirtschaftungsplänen er-

196 Vgl. auch Kador, FFH-Richtlinie, S. 28; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 102;

Gellermann, Natura 2000, S. 69; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 20. 197 Leist, Lebensraumschutz, S. 147; „Der Gedanke der Integration ist insbesondere bei großflächigen

Schutzgebieten relevant, da hier oft anderweitige Nutzungsansprüche (z.B. Verkehrswege- oder Industrie-anlagenbau, Land- und Fortwirtschaft, Fischerei, Tourismus) denen des Naturschutzes entgegenhalten werden.“ (Leist, Lebensraumschutz, Fn. 358)

198 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 20. 199 Kador, FFH-Richtlinie, S. 28. 200 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 96; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 20; vgl.

hierzu Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 103. 201 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 103; vgl. Gellermann/Middeke, NuR 1991, S.

459.

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möglichen.202 Die vertraglichen Maßnahmen bieten beispielsweise den Vorteil, mit den

jeweiligen Grundstückeigentümern oder sonstigen Nutzungsberechtigten ganz individuell

konkrete Schutzmaßnahmen vereinbaren zu können und auf diese Weise die Akzeptanz

naturschützerischer Maßnahmen bei den Betroffenen entsprechend zu erhöhen.203 Eine

Kombination beider Instrumente ermöglicht dabei sowohl die längerfristig angelegte Ent-

wicklung eines Gebietes, wodurch dem Wiederherstellungsgebot der Richtlinie Rechnung

getragen werden kann, als auch, dass flexibel auf konkrete Erhaltungserfordernisse reagiert

werden kann.204

C. Verschlechterungs- und Störungsverbot

Nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL treffen die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen um in

den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der

Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden

sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im Hinblick auf die Ziele der FFH-

Richtlinie erheblich auswirken könnten. Diese Norm ist die erste Vorschrift in der Reihe

der Regelungen zum Grundschutz, wobei sie zwei voneinander zu unterscheidende Pflich-

ten begründet. Dabei handelt es sich um ein Verschlechterungs- und Störungsverbot. Zu-

nächst verpflichtet das Verschlechterungsverbot die Mitgliedstaaten dazu, geeignete Maß-

nahmen zu ergreifen, um eine Verschlechterung der in den besonderen Schutzgebieten vor-

kommenden natürlichen Lebensräume und Habitate der Arten zu vermeiden. Weiterhin

gebietet das Störungsverbot, dass Störungen von Arten, deretwegen die Gebiete ausgewie-

sen sind, ebenfalls zu vermeiden sind.

Wie der Wortlaut der Vorschrift „vermeiden“ aufweist, kommt ihr ein präventiver Gehalt

zu.205 Solche Maßnahmen sind daher dann zu treffen, bevor es zu einer Verschlechterung

202 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 103; Gatawis, Grundfragen eines europäischen

Raumordnungsrechts, S. 176 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 208; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 171.

203 Leist, Lebensraumschutz, S. 147; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 210; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 208; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 385; eingehend zum Vertragnaturschutz Gellermann/ Middeke, NuR 1991, S. 459.

204 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 103. 205 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 97; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 24.

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oder zu Störungen kommen kann. Um einen effektiven Biotopschutz zu gewährleisten,

sieht diese Vorschrift diesbezüglich einen vorbeugend wirkenden Ansatz vor.206

I. Verschlechterungsverbot

1. Begriff und Umfang des Verschlechterungsverbotes

Gemäß Art. 6 Abs. 2 FFH-RL haben die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen zu

treffen, um in den besonderen Schutzgebieten Verschlechterungen der natürlichen Lebens-

räume und Habitate zu vermeiden. Da die FFH-Richtlinie keine näheren Angaben zum In-

halt des Verschlechterungsverbots liefert, soll zunächst die Fragen beantwortet werden,

was unter dem Begriff Verschlechterung zu verstehen ist und was dieses Verschlechte-

rungsverbot konkret beinhaltet.

Die FFH-Richtlinie definiert zwar den Begriff der Verschlechterung nicht, das erklärte Ziel

der FFH-Richtlinie, die Wahrung eines günstigen Erhaltungszustandes, kann aber zur ihrer

Bestimmung hilfreich sein. Welche Umstände bei der Wahrung des Erhaltungszustandes

für die Lebensräume eine Rolle spielen, erklären die Legaldefinitionen aus Art. 1 lit. e)

FFH-RL. Bedingungen und Umstände, die diese günstigen Erhaltungszustände von Le-

bensräumen beeinträchtigen, also negativ beeinflussen, können insoweit als Verschlechte-

rung qualifiziert werden.207 Als Verschlechterung stellt sich damit, unter Zugrundelegung

von Art. 1 lit. e) FFH-RL jede psychische Degradation von Lebensräumen dar, die den Er-

haltungszustand der Lebensräume weniger günstig als vorher machen.208 Dementsprechend

ist eine Verschlechterung dann gegeben, wenn sich die Fläche, die der Lebensraum in dem

jeweiligen Gebiet einnimmt, verringert oder die spezifische Struktur und die spezifischen

Funktionen, die für den langfristigen Fortbestand notwendig sind oder der gute Erhaltungs-

zustand der für den Lebensraum charakteristischen Arten im Verhältnis zum Ausgangszu-

stand beeinträchtigt werden.209 Erfasst sind auch mittelbare Beeinträchtigungen der Le-

bensräume und Habitate durch die Schädigung sonstiger Gebietsbestandteile.210 Die Be-

206 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 87 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 70; siehe dazu oben 2. Teil.

A. 207 Kador, FFH-Richtlinie, S. 29; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 27. 208 Kador, FFH-Richtlinie, S. 29; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 27. 209 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-

ordnung, S. 237; Kador, FFH-Richtlinie, S. 29 f. 210 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 173.

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wertung, ob eine Verschlechterung vorliegt, erfolgt dabei gesondert für jeden einzelnen

Fall und zwar anhand des Erhaltungszustandes des betroffenen Schutzgebietes und des Bei-

trags des Gebietes zur Kohärenz des Netzes Natura 2000.211

Damit ist zwar der Begriff der Verschlechterung bestimmt, doch tauchen an dieser Stelle

Fragen zum Inhalt des Verschlechterungsverbots auf. Zunächst ist fraglich, ob den Mit-

gliedstaaten ein Ermessen hinsichtlich des „Ob“ der Durchführung dieser Schutzmaßnah-

men im Rahmen des Verschlechterungsverbots zukommt.

Für eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten, konkrete Schutzmaßnahmen zu erlassen,

spricht zum einen der Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, der den Mitgliedstaaten aufgibt,

Maßnahmen zur Vermeidung von Verschlechterungen zu treffen. Aus der Textbestimmung

der Vorschrift kann aufgrund einer darin fehlenden, ein Entschließungsermessen nahe le-

gender Formulierung, abgeleitet werden, dass im Falle der Notwendigkeit von Schutzmaß-

nahmen die Mitgliedstaaten zum Erlass der geeigneten Handlungen verpflichtet sind.212 Die

Vogelschutzrichtlinie enthält in ihrem Ar. 4 Abs. 4 Satz 1 auch eine vergleichbare Vor-

schrift.213 Diese Vorschrift wurde bereits mehrfach Gegenstand der Entscheidungen des

EuGH214, wobei der Gerichtshof betonte, dass die Vogelschutzrichtlinie eine Verpflichtung

begründet, wonach präzise Maßnahmen zur Sicherung des ökologischen Wertes des Gebie-

tes zu treffen sind. Da der dem Urteil zugrunde liegende Wortlaut zu der Vorschrift der

Vogelschutzrichtlinie mit Art. 6 Abs. 2 der FFH-Richtlinie nahezu identisch ist und auf-

grund der Tatsache, dass vergleichbare Zusammenhänge in verschiedenartigen Richtlinien

gleich zu behandeln sind, kann diese Rechtsprechung des EuGH auf die FFH-Richtlinie

übertragen werden.215

Zudem weist der Gerichtshof im in seinem „Santoña Urteil“216 darauf hin, dass die Schutz-

maßnahmen entsprechend der neunten Begründungserwägung der Vogelschutzrichtlinie

eine präventive Ausrichtung haben müssen, wonach der Schutz, die Pflege oder die Wie-

derherstellung einer ausreichenden Vielfalt und Flächengröße der Lebensräume für die Er-

211 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28; Kador, FFH-Richtlinie, S. 30; Berg, Europäisches

Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 237 f. 212 Berner, Der Habitatschutz, S. 104; vgl. Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 104. 213 Vgl. Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL „Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmut-

zung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, in den Absätzen 1 und 2 genannten Schutzgebieten zu vermeiden.“

214 EuGHE, 1991, I- S. 932; EuGHE, 1993, I- S. 4280. 215 Berner, Der Habitatschutz, S. 105; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 104; Wirths,

Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 176. 216 EuGHE, 1993, I- S. 4276, Rn. 15.

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haltung aller Vogelarten unentbehrlich ist. Dieser Schutzzweck ist auch vergleichbar mit

dem der in dem vierten und achten Erwägungsgrund und in Art. 3 Abs. 1 der FFH-

Richtlinie zum Ausdruck kommenden Schutzzweck der FFH-Richtlinie. Es wird damit

ersichtlich, dass beide Richtlinien mit ihrer präventiven Ausrichtung auf die Verpflichtung

zum Erlass von konkreten Schutzmaßnahmen hindeuten.217 Daher ist allgemein davon aus-

zugehen, dass die Mitgliedstaaten eine Pflicht zur Durchführung von Schutzmaßnahmen im

Rahmen des Verschlechterungsverbotes trifft.218

Fraglich ist weiterhin, ob es im Ermessen der Mitgliedstaaten steht, über die Art und Weise

der durchzuführenden Maßnahmen zu entscheiden. Ausgehend vom Wortlaut des Art. 6

Abs.2 FFH-RL, der den Mitgliedstaaten aufgibt, geeignete Maßnahmen zu treffen, kann

einerseits geschlossen werden, dass die Formulierung „geeignete“ bereits begrifflich das

Vorhandensein eines Spielraums hinsichtlich des „Wie“ der zu ergreifenden Maßnahmen

voraussetzt.219 Diese Auslegung wird auch durch die Argumentation des EuGH im „Ley-

bucht Urteil“ bestätigt, in dem er für die nahezu gleichlautende Vorschrift der Vogel-

schutzrichtlinie festgestellt hat, dass die Mitgliedstaaten über einen gewissen Spielraum bei

der Auswahl der Schutzmaßnahmen verfügen.220

Dieser Spielraum ist jedoch eingeschränkt, als die FFH-Richtlinie die erforderlichen Maß-

nahmen näher konkretisiert. Eine Einschränkung dieses Spielraums lässt sich aus dem Ziel

der FFH-Richtlinie in Art. 2 ableiten. Nach dieser Norm soll die FFH-Richtlinie durch die

Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebender Tier und Pflanzen zur Si-

cherung der Artenvielfalt beitragen. Die zur Verwirklichung dieser Zielsetzung getroffenen

Maßnahmen müssen demzufolge eine Verschlechterung der natürlichen Lebensräume oder

Habitate vermeiden. Die Mitgliedstaaten müssen ihre Maßnahmen somit am status quo der

spezifischen abiotischen und biotischen Faktoren der Lebensräume der Arten, für die das

Schutzgebiet ausgewiesen worden ist, und den geographischen, abiotischen und biotischen

Faktoren ausrichten, die die natürlichen Lebensräume kennzeichnen.221 Da hierbei die von

den Mitgliedstaaten zu treffenden Maßnahmen sich an der Erhaltung des status quo zu ori-

217 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 104; Berner, Der Habitatschutz, S. 105 f. 218 Im Ergebnis ebenso Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 105; Berner, Der Habitat-

schutz, S. 104 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 31; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-recht, S. 173 f.

219 Berner, Der Habitatschutz, S. 106; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 106; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 176; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 37.

220 EuGHE, 1991, I- S. 930, Rn. 20. 221 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 106; Berner, Der Habitatschutz, S. 106.

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entieren haben, müssen sie konservierend ausgerichtet sein.222 Folglich dürfen nur solche

Maßnahmen zulässig sein, die einzig und allein dazu dienen, eine betroffene Fläche in ih-

rem derzeitigen Zustand zu erhalten.223

Um die erforderlichen Maßnahmen auszuwählen, haben die Mitgliedstaaten zunächst den

status quo im Hinblick auf die konkreten Erhaltungsziele festzustellen und die speziellen

Schutzerfordernisse für das besondere Schutzgebiet zu beschreiben um dann potentielle

Quellen der Verschlechterung zu identifizieren und schließlich auf dieser Grundlage die

Maßnahmen abzuleiten, die sicherstellen, dass Verschlechterungen vermieden werden.224

Die Festlegung der aufgrund dieser Vorschrift zu ergreifenden Maßnahmen hängt folglich

von den Gegebenheiten des jeweiligen Schutzgebietes, speziell von den Schutzerfordernis-

sen der zu bewahrenden natürlichen Lebensräume ab. Diese Maßnahmen können daher

sowohl inhaltlich als auch bezüglich der Art und Weise ihrer Verwirklichung nur mit Blick

auf den konkreten Einzelfall bestimmt werden. Insofern dürfen aus fachlicher Sicht erfor-

derliche Maßnahmen nicht aufgrund wirtschaftlicher Interessen von Bewirtschaftern oder

sozialer Erwägungen, wie etwa die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Erschließung

eines Gewerbegebietes, unterlassen werden.225

2. Sachlicher Anwendungsbereich

Das Verschlechterungsverbot bezieht sich nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht auf das gesam-

te Schutzgebiet, sondern nur auf die Lebensräume und Habitate, zu deren Schutz das Ge-

biet ausgewiesen ist; mithin ist das Verschlechterungsverbot lediglich auf die für seine Er-

haltungsziele maßgeblichen flächenmäßigen Bestandteile bezogen.226 Konkret bedeutet

das, dass wenn z.B. die Erhaltung eines bestimmten Moores zum Erhaltungsziel erklärt

wurde, sich das Verschlechterungsverbot auch nur auf die Fläche dieses Moores und damit

auf den eigentlichen Kernbereich des Schutzgebietes beschränkt.227 Das Verschlechte-

rungsverbot intendiert damit allein die Erhaltung des eigentlichen Grundes der Unter- 222 Berner, Der Habitatschutz, S. 106; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 106; Leist,

Lebensraumschutz, S. 78. 223 Leist, Lebensraumschutz, S. 78. 224 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 107. 225 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 176; Wrase, Rechtsschutz gegen die

Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 37. 226 VG Lüneburg, NuR 2000, S. 397; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 173;

Berner, Der Habitatschutz, S. 110; Gellermann, NuR 1996, S. 550; Europäische Kommission, Gebietsma-nagement, S. 24.

227 Leist, Lebensraumschutz, S. 72.

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schutzstellung.228 Dementsprechend können die Beeinträchtigungen etwaiger Gebietskulis-

sen einbezogenen Puffer- und Randzonen das Verschlechterungsverbot nicht nach sich zie-

hen, solange die natürlichen Lebensräume und Habitate der Arten, für die das Gebiet aus-

gewiesen wurde, hiervon unberührt bleiben.229

Es kommt hierbei nicht auf das Überschreiten einer Erheblichkeitsschwelle an, denn der

Vorbehalt der Erheblichkeit bezieht sich nach dem Wortlaut der Vorschrift nur auf Störun-

gen.230 Folglich sind alle Verschlechterungen zu verhindern, die Qualität eines Schutzge-

bietes negativ beeinflussen können und damit auch solche, die nur zu geringfügigen Ver-

schlechterungen führen können.231

Da nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL die Mitgliedstaaten aus-

schließlich der Vermeidung von Verschlechterungen und erheblichen Störungen aufgefor-

dert sind, ergibt sich aus dieser Vorschrift keine Pflicht Wiederherstallungsmaßnahmen

durchzuführen.232 Die Vorschrift zielt damit allein auf die Sicherung des Status quo des

jeweiligen Gebietes ab. So werden etwaige, bereits vor der Aufnahme des jeweiligen Ge-

bietes in die Gemeinschaftsliste vorhandene Vorbelastungen, die sich negativ auf die Le-

bensräume auswirken, von vornherein vom Verschlechterungsverbot nicht erfasst.233 Daher

können Wiederherstellungsmaßnahmen lediglich auf Art. 6 Abs. 1 FFH-RL gestützt wer-

den.234

Abgesehen von diesen Erkenntnissen ergibt sich jedoch ein weiteres Problem, die bereits

im Rahmen des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL dargelegt wurde. Bezüglich des sachlichen Anwen-

dungsbereiches des Verschlechterungsverbotes ist weiter klärungsbedürftig, ob Art. 6 Abs.

2 FFH-RL nur die Abwehr menschlicher Aktivitäten bezweckt oder ob er auch die natürli-

che Sukzession erfasst, durch die sich der Charakter eines Gebietes ebenfalls nachhaltig

ändern kann.

228 Gellermann, NuR 1996, S. 550; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzge-

bieten, S. 37; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 102; Leist, Lebensraumschutz, S. 71. 229 Gellermann, Natura 2000, S. 71; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 101; Leist, Lebensraumschutz,

S. 72; Berner, Der Habitatschutz, S. 111; Kador, FFH-Richtlinie, S. 31. 230 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 174; Epiney, UPR 1997, S. 308; Europä-

ische Kommission, Gebietsmanagement, S. 22; a.A. Iven, NuR 1996, S. 377. 231 Leist, Lebensraumschutz, S. 75; Fisahn, ZUR 1998, S. 36; Gellermann, NuR 1996, S. 551. 232 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 99; Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 596; Gellermann, Natura

2000, S. 73. 233 VG Lüneburg, NuR 2000, S. 397; Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 596; Gellermann, Natura 2000, S. 72;

Leist, Lebensraumschutz, S. 78. 234 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 99; Gellermann, Natura 2000, S. 72.

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Der überwiegende Teil des Schrifttums235 geht davon aus, dass das Verschlechterungsver-

bot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausschließlich menschliche und somit keine natürlichen Be-

einträchtigungen der Natura 2000 Gebiete erfasse. Zur Begründung wird dabei auf die Sys-

tematik des Art. 6 FFH-RL verwiesen. Demnach erfasse Art. 6 Abs. 1 FFH-RL bereits nur

die gebietstypischen bzw. natürlichen Einwirkungen, die sich negativ auf die in den jewei-

ligen Schutzgebieten verfolgten Erhaltungsziele auswirken. Da die Steuerung natürlicher

Entwicklungsprozesse den Mitgliedstaaten bereits schon über Art. 6 Abs. 1 FFH-RL auf-

gegeben werde, bestehe kein Anlass, eine entsprechende Pflicht auch noch aus Art. 6 Abs.

2 FFH-RL abzuleiten. Stattdessen solle beiden Vorschriften ein je eigenständiger Rege-

lungsbereich zugesprochen werden, so dass nur Beeinträchtigungen, die auf menschliche

Aktivitäten zurückzugreifen sind, in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL

fielen. Abgesehen von diesen Überlegungen wird von Vertretern dieser Ansicht jedoch

nicht bestritten, dass natürliche Einwirkungen im Einzelfall eine Verschlechterung der Le-

bensräume im Sinne von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auslösen können.236

Diese Auffassung ist zu Recht nicht ohne Widerspruch geblieben. Das Verschlechterungs-

verbot ist vor allem vor dem Hintergrund der Ziele der FFH-Richtlinie zu sehen. Das Ziel

der Richtlinie besteht gem. Art 2 Abs. 1 FFH-RL in der Sicherung der Artenvielfalt, wobei

dieses Ziel durch die Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie wildlebenden Arten

erreicht werden soll. So werden die FFH-Gebiete nicht um ihrer selbst willen geschützt,

sondern um zur Erhaltung der natürlichen Lebensraumtypen und Arten beizutragen, deret-

wegen sie ausgewiesen wurden.237 Eine sich selbst überlassende Weiterentwicklung des

Gebietes, d.h. die natürliche Sukzession, könnte hierbei allerdings zur Verschlechterung

der Lebensräume führen, so dass in ihm vorkommende Arten nicht mehr existieren könn-

ten. In diesem Sinne wären dann die Maßnahmen erforderlich, um solche Verschlechterun-

gen zu unterbinden. Das Verschlechterungsverbot verlangt damit unter Umständen auch,

235 Gellermann, Natura 2000, S. 73; ders., NuR 1996, S. 551; Berner, Der Habitatschutz, S. 111 f.; Leist,

Lebensraumschutz, S. 76 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 174; Malz-burg, NuR 2000, S. 382; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 382; Freiburg, Die Erhaltung der biologi-schen Vielfalt, S. 109 f.; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 173.

236 Gellermann, Natura 2000, S. 73; ders., NuR 1996, S. 550. 237 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 93; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112; Carlsen, Die Umsetzung

der FFH-RL, S. 210; a.A. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 155.

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dass die Mitgliedstaaten gehalten sind, positive Maßnahmen zu ergreifen, um einer Verän-

derung des Gebietes durch natürliche Einwirkungen entgegenzuwirken.238

Der Auffassung, die von einer strikten Trennung der Anwendungsbereiche von Art. 6 Abs.

1 und Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ausgeht, ist entgegenzubringen, dass natürliche Einwirkungen

nur über Art. 6 Abs. 1 FFH-RL abgewehrt werden könnten, so wäre dies in zeitlicher Hin-

sicht erst ab der mitgliedstaatlichen Ausweisung der FFH-Gebiete möglich. Das hätte zur

Folge, dass die Gebiete während des maximal sechsjährigen Zeitraumes zwischen der Er-

stellung der endgültigen Gemeinschaftsliste und ihrer Ausweisung durch die Mitgliedstaa-

ten gegen natürliche Einwirkungen schutzlos gestellt wären, so dass die jeweiligen Gebiete

eventuell ihren Wert und ihre Bedeutung für die Einrichtung des Netzwerkes Natura 2000

verlieren würden.239

Daher ist es davon auszugehen, dass den Natura 2000 Gebieten über Art. 6 Abs. 2 FFH-RL

auch hinsichtlich natürlicher Einflüsse Schutz eingeräumt wird, der unmittelbar mit ihrer

gemeinschaftlichen Festlegung Anwendung findet.240 Das Verhältnis der beiden Vorschrif-

ten lässt sich damit derart beschreiben, dass Art 6. Abs. 2 FFH-RL allen Natura 2000 Ge-

bieten einen gewissen Mindestschutz bietet, während Art. 6 Abs. 1 FFH-RL unter voller

Beachtung dieses Schutzstandards die konkrete Ausgestaltung des Schutzes vor natürlichen

Veränderungen für das jeweilige FFH-Gebiet betrifft.241 Vor diesem Hintergrund ist beiden

Vorschriften gemein, dass sie sowohl auf Beeinträchtigungen der Schutzgebiete aufgrund

natürlicher Sukzession als auch menschlicher Einflüsse abzielen.

Das Verschlechterungsverbot statuiert in diesem Kontext zum einen eine Umfassende Un-

terlassungspflicht für die Mitgliedstaaten, die es untersagt, beeinträchtigende Handlungen

in dem Schutzgebiet vorzunehmen.242 Die den Mitgliedstaaten zuzurechnenden Stellen dür-

fen somit gebietsbeeinträchtigende Aktivitäten weder selbst vornehmen noch entsprechen-

de Maßnahmen seitens privater Dritter fördern.243 Dieses Verbot begründet gleichzeitig

238 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112; Baum, NuR 2006, S. 148; Epiney, UPR 1997, S. 308; Iven, NuR 1996,

S. 377; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 110. 239 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 101; Baum, NuR 2006, S. 148; vgl. auch Gellermann, Natura

2000, S. 70. 240 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 101; vgl. dazu Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112; Epiney, UPR

1997, S. 308; Iven, NuR 1996, S. 377. 241 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 34; Kues, Flora-Fauna-

Habitat-Richtlinie, S. 101; vgl. auch oben 2. Teil, B. I. 242 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 36; Wirths, Naturschutz

durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175; Leist, Lebensraumschutz, S. 77; Halama, NVwZ 2001, S. 506.

243 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 36; Kador, FFH-Richtlinie, S. 32.

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auch eine staatliche Pflicht zum Tätigwerden, die ausweislich des zwingenden Wortlautes

des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht unter Ermessensvorbehalt steht.244

3. Zeitlicher Anwendungsbereich

Die in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL normierte Schutzbestimmung zur Vermeidung von Ver-

schlechterungen und Störungen beansprucht Geltung für diejenigen FFH-Gebiete, die von

den Mitgliedstaaten nach Maßgabe des Art. 4 Abs. 4 FFH-RL als besonderes Schutzgebiet

ausgewiesen werden müssen. Ausschlaggebend ist hierbei nicht der Zeitpunkt der tatsäch-

lichen Ausweisung der Mitgliedstaaten, sondern die Aufnahme der Gebiete in die endgülti-

ge Gemeinschaftsliste. Dies ergibt sich aus Art. 4 Abs. 5 FFH-RL. Demnach unterliegt ein

Gebiet den Bestimmungen des Art. 6 Abs. 2-4 FFH-RL, sobald es in die endgültige Ge-

meinschaftsliste Aufnahme gefunden hat.

Eine derartige Vorverlagerung lässt sich zum einen mit der sechsjährigen Frist begründen,

die den Mitgliedstaaten zur ihrer Ausweisungsverpflichtung in Art. 4 Abs. 4 FFH-RL ein-

geräumt ist.245 Würden die in Art. 6 Abs. 2 vorgegebenen Verbote erst ab der mitgliedstaat-

lichen Ausweisung der FFH-Gebiete eingreifen, so bestünde die Gefahr, dass diese Gebiete

während dieses maximal sechsjährigen Zeitraumes durch die Mitgliedstaaten so beeinträch-

tigt würden, dass sie keinen Beitrag mehr zum Netzwerk Natura 2000 leisten könnten.246

Zu berücksichtigen ist zum anderen, dass die verbindliche Festlegung der FFH-Gebiete mit

ihrer Aufnahme in die endgültige Gemeinschaftsliste erfolgt, so dass den Mitgliedstaaten

ab diesem Zeitpunkt bezüglich der Ausweisung kein Spielraum mehr verbleibt.247 Eine

Vorverlagerung auf den Zeitpunkt der Erstellung der nationalen Gebietslisten würde dabei

angesichts der strengen Schutzbestimmungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine ungerechtfer-

tigte Übergewichtung naturschutzrechtlicher Interessen bedeuten, da zu diesem Zeitpunkt

noch nicht feststeht, welche der von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Gebiete letztlich

in das Netz Natura 2000 aufgenommen werden.248 Daher ist es nur sinnvoll, wenn die von

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL vorgesehenen Verbote bereits mit der verbindlichen Ausweisung der

244 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 176; vgl. auch Wrase, Rechtsschutz ge-

gen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 36; Kador, FFH-Richtlinie, S. 32. 245 Gellermann, Natura 2000, S. 70; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 98. 246 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 98; Gellermann, Natura 2000, S. 70. 247 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 98; Epiney, UPR 1997, S. 307. 248 Leist, Lebensraumschutz, S. 61.

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FFH-Gebiete auf Gemeinschaftsebene in Kraft treten.249 Schließlich ist Art. 6 Abs. 2 FFH-

RL von seiner Normstruktur her so eindeutig, dass die Mitgliedstaaten, im Gegensatz zu

ihrer Pflicht des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL keinen mehrjährigen Zeitraum benötigen, um ihm

nach der Festlegung der endgültigen Gemeinschaftsliste nachzukommen.250 So knüpft das

Verschlechterungsverbot an den zum Zeitpunkt der Anwendbarkeit aus Art. 6 Abs. 2-4

FFH-RL vorhandenen status quo des Gebietes an. Die Beeinträchtigungen in der Vergan-

genheit sind daher nicht erfasst, wohl aber bestehende Nutzungen, die geeignet sind, eine

Verschlechterung des vorgefundenen Zustandes zu bewirken.251

Ergänzend anzumerken ist zudem, dass die in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL genannten Verbote bei

der Durchführung des Konzertierungsverfahrens gem. Art. 5 Abs. 4 FFH-RL sogar noch

vor dem in Art. 4 Abs. 5 FFH-RL vorgesehenen Zeitpunkt zur Anwendung gelangen kön-

nen.252 Hierbei ergreifen diese Verbote aber zur einstweiligen Sicherstellung des jeweiligen

Gebietes.

4. Räumlicher Anwendungsbereich

Als problematisch erweist sich ferner die Bestimmung des räumlichen Anwendungsbe-

reichs des Verschlechterungsverbotes im Rahmen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL. In diesem

Zusammenhang ist zunächst fraglich, ob Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur Aktivitäten innerhalb

der Schutzgebiete erfasst oder –wie dies für Pläne und Projekte nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL

anerkannt ist- auch solche, die zwar außerhalb der Gebiete vorgenommen werden aber

Auswirkungen auf die Schutzgebiete haben.

Aufgrund der Formulierung der Vorschrift, dass Verschlechterungen und Störungen „in

den besonderen Schutzgebieten“ zu vermeiden sind, wird teilweise angenommen, dass nur

Aktivitäten in den Schutzgebieten von den Verboten des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfasst sei-

en.253 Da diese Formulierung sich nicht auf die zu ergreifenden Maßnahmen, sondern nur

auf die Verschlechterung für natürliche Habitate und Störungen für wildlebende Tier- und

249 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 98; Epiney, UPR 1997, S. 307; Leist, Lebensraumschutz, S. 61. 250 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 98. 251 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175. 252 Vgl. 1. Teil, B. II. 3. 253 Berner, Der Habitatschutz, S. 110; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 387; Freytag/Iven, NuR 1995,

S. 112; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 105; Iven, NuR 1996, S. 377; vgl. auch Gellermann, NuR 1996, S. 550, der in dieser frühen Veröffentlichung nur solche negativen Einflüsse er-fasst sah, die ihre Ursprung innerhalb der Gebietsabgrenzung haben, anders nunmehr Gellermann, Natura 2000, S. 71 f.

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Pflanzenarten beziehe, könnten nur endogene Ursachen diese Verbote nach sich ziehen, so

dass hierbei ein Umgebungsschutz nicht gewährleistet sei.254

Eine derartige Auslegung der Vorschrift erscheint jedoch nicht zwingend. Der zitierte

Normtext liefert keine eindeutigen Anhaltspunkte, weil er nicht nur auf die Ursache der

Beeinträchtigung, sondern auch auf die Verschlechterung bezogen werden kann. Er spricht

nämlich nur davon, dass Verschlechterungen und Störungen in den Schutzgebieten zu ver-

meiden sind. Eine Eingrenzung auf Handlungen und Aktivitäten, die ihre Ursache aus-

schließlich in dem jeweiligen Gebiet haben, lässt sich dem Wortlaut in dieser Form nicht

entnehmen.255 Die Vorschrift kann daher durchaus dahin verstanden werden, dass sie auf

Unterbindung jeder Verschlechterung der in den Schutzgebieten gelegenen Lebensräume

und Habitate abzielt, und zwar unabhängig davon, ob deren Ursache außerhalb oder inner-

halb der Schutzgebietsgrenzen zu finden ist.

Für die letztere Auffassung spricht zum einen der Regelungszweck der Vorschrift, nämlich

die Sicherung eines günstigen Erhaltungszustandes der Gebiete nach Art. 2 Abs. 2 FFH-

RL.256 Eine derartige Eingrenzung des räumlichen Anwendungsbereiches würde dem

Schutzzweck des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zuwiderlaufen, da auch Beeinträchtigungen, die

außerhalb des Gebietes entstehen, zu erheblichen Verschlechterungen im Schutzgebiet füh-

ren können. Würde man dem Verschlechterungsverbot keinen Umgebungsschutz entneh-

men wollen, so hätte dies die Konsequenz, dass Einflüsse, die ihren Ursprung außerhalb

von Schutzgebieten haben, die sich aber beeinträchtigend auf ein Schutzgebiet auswirken

könnten, nicht erfasst werden.257 Ein solches Ergebnis wäre mit dem Sinn und Zweck der

Vorschrift kaum vereinbar und würde zu einer bedeutsamen Regelungslücke führen.

Untermauert wird diese Auffassung auch durch den ergebnisorientierten bzw. wirkungsbe-

zogenen Ansatz der Richtlinie.258 Hinsichtlich der zu unterbindenden Beeinträchtigungen

kommt es danach allein auf die Wirkung der Beeinträchtigung auf die betreffenden Lebens-

254 Berner, Der Habitatschutz, S. 110; Iven, NuR 1996, S. 377; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112. 255 Leist, Lebensraumschutz, S. 73; Ramsauer, in: Erbguth, S. 115; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und

Raumordnung, S. 236 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 104; Wirths, Naturschutz durch europäi-sches Gemeinschaftsrecht, S. 175; Kador, FFH-Richtlinie, S. 29; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 68.

256 In dieser Hinsicht vgl. BVerwG, NuR, S. 265; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-recht, S. 175; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 237; Leist, Lebensraumschutz, S. 72 ff.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 108; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 104; Kador, FFH-Richtlinie, S. 29; Gellermann, Natura 2000, S. 71 f.

257 Leist, Lebensraumschutz, S. 74; Gellermann, Natura 2000, S. 72. 258 Niederstadt, in: Erbguth, S. 72; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 237; Fischer-

Hüftle, NuR 2004, S. 157; Leist, Lebensraumschutz, S. 72 ff.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 104; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175; Kador, FFH-Richtlinie, S. 29; Gellermann, Natura 2000, S. 71 f.

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räume oder Arten an. Nicht entscheidend ist, ob es sich um eine bestimmte Kategorie von

Beeinträchtigung handelt. Die Richtlinie gibt insoweit lediglich vor, dass keine Schutzlü-

cken bestehen dürfen.259 Folglich ist die Herkunft der Bedrohungen irrelevant, zu unterbin-

den sind alle Handlungen, die eine zu vermeidende negative Auswirkung auf die Erhal-

tungsziele und den Schutzzweck der Richtlinie hervorrufen können.260 Denn die Bewah-

rung der Lebensraumtypen oder Arten erfordert die Vermeidung jeglicher Handlungen, die

sich negativ auf ihren Erhaltungszustand auswirken.261

Auch ein Vergleich mit Art. 6 Abs. 3 FFH-RL, der unbestrittenermaßen auch die außerhalb

der Schutzgebiete liegende Einflüsse erfasst, spricht für diese Auslegungsvariante. Wenn

die speziell auf Pläne und Projekte zugeschnittene Schutzregel des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL

allein auf unerwünschte Konsequenzen abstellt und einen erfolgsbezogenen Ansatz ver-

folgt, liegt es nahe, dass entsprechendes für die auf anderweitige Beeinträchtigungen zuge-

schnittene Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gilt.262 Beide Vorschriften zielen ge-

meinsam darauf ab, den Status quo ihres jeweiligen Bezugsobjekts zu sichern, ungeachtet

dessen, an welchem Ort die beeinträchtigenden Aktivitäten vorgenommen werden.263 Dies

wird auch dem primärrechtlichen Ursprungs- und Vorsorgeprinzip gerecht.264

Im Ergebnis bleibt damit festzuhalten, dass nach Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch Einflüsse er-

fasst werden, die Außerhalb des Schutzgebietes auftreten und zu negativen Auswirkungen

führen können. Diese Vorschrift sieht damit einen Umgebungsschutz im weitesten Sinne

vor, wie es in Art. 6 Abs. 1 FFHRL der Fall ist.265

5. Ausnahmen vom Verschlechterungsverbot

Das Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL steht unter keinem Vorbehalt und

gilt grundsätzlich unbedingt und absolut.266 Diese strenge Ausgestaltung des Verschlechte-

259 Niederstadt, in: Erbguth, S. 72. 260 Vgl. BVerwG, ZUR 1998, S. 32; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 94; Niederstadt, in: Erbguth,

S. 72; vgl. auch Leist, Lebensraumschutz, S. 73; Kador, FFH-Richtlinie, S. 29; Gellermann, Natura 2000, S. 71 f.

261 Gellermann, Natura 2000, S. 72; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 108. 262 Gellermann, Natura 2000, S. 72; Leist, Lebensraumschutz, S. 74; Berg, Europäisches Naturschutzrecht

und Raumordnung, S. 237; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175. 263 Gellermann, Natura 2000, S. 72; Leist, Lebensraumschutz, S. 74; Berg, Europäisches Naturschutzrecht

und Raumordnung, S. 237; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175. 264 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 175. 265 Vgl. oben 2. Teil, B. II. 266 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 177; Berg, Europäisches Naturschutz-

recht und Raumordnung, S. 238; Epiney, UPR 1997, S. 308; Gellermann, Natura 2000, S. 74; a.A. Ram-

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rungsverbotes erklärt sich mit der Tatsache, dass die Bewahrung der natürlichen Lebens-

räume und Habitate der Arten, die entscheidende Voraussetzung für die Erhaltung der Ar-

tenvielfalt ist.267 Dabei bleibt aber die Frage erörterungsbedürftig, ob und gegebenenfalls in

welchem Umfang dennoch bestimmte Handlungen im Schutzgebiet, die keine Pläne und

Projekte im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL darstellen aber mit Verschlechterungen der

Lebensräume oder Habitate der Arten im Gebiet einhergehen, von diesem Verschlechte-

rungsverbot ausgenommen werden können.

Im Schrifttum268 wird zunächst, unter Hinweis auf die ausdrückliche Erwähnung der Aus-

nahmemöglichkeiten in Art. 6 Abs.4 FFH-RL, die Ansicht vertreten, dass Ausnahmen nur

im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung zulässig seien und alle Einwirkungen, die nicht

unter die Regelung des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL fallen, verboten seien. Dieser Ansicht liegt

die Annahme zugrunde, dass das Verschlechterungsverbot ausschließlich negative Einwir-

kungen verbiete, die nicht von Plänen oder Projekten im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL

ausgehen. Da in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL lediglich derartige Gebietsbeeinträchtigungen aus-

nahmsweise zulässig seien, die durch Pläne und Projekte verursacht werden, könne es kei-

ne Ausnahme vom Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geben, so dass die

letztgenannte Norm uneingeschränkte Geltung beanspruche.

Dabei sind in tatsächlicher Hinsicht Fallkonstellationen denkbar, bei denen zum Schutze

eines überragend wichtigen Rechtsgutes von einem solchen strikten Verschlechterungsver-

bot eine Ausnahme gemacht werden muss. Dieses Bedürfnis kann mit einem Beispiel so

illustriert werden, dass die besonders empfindlichen und daher in hohem Maße schutzwür-

digen Bestandteile eines Natura 2000- Gebietes mit einem Kraftfahrzeug befahren werden

müssen, um einen Menschen zu bergen, der sich in akuter Lebensgefahr befindet.269 Die

erste Auffassung ist insofern abzulehnen. Fraglich ist indes, wie man eine solche Ausnah-

me begründen kann.

Der EuGH hat sich in diesem Zusammenhang im „Leybucht Urteil“270 mit dieser Proble-

matik befasst, wobei ihm aber zur Entscheidung die Parallelvorschrift des Art. 4 Abs. 4

sauer, in: Erbguth, S. 114, Hösch, NuR 2004, S. 211; die sowohl das Verschlechterungsverbot als auch das Störungsverbot für absolut halten.

267 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 103; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 77.

268 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 110; Iven, NuR 1996, S. 377; Ramsauer, in: Erb-guth, S. 114; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 238; ebenso Europäische Kom-mission, Gebietsmanagement, S. 46.

269 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 107. 270 EuGHE, 1991, I- S. 883 ff.

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VRL zugrunde lag. Ähnlich wie Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verbietet Art. 4 Abs. 4 VRL die

Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel

in den Schutzgebieten, ohne eine Ausnahme von diesem Verbot vorzusehen. In diesem

Urteil hat der Gerichtshof entschieden, dass etwas anderes gelten soll, wenn es um den

Schutz von nach dem Gemeinschaftsrecht höherrangigen Rechtsgütern geht. So kann infol-

ge einer vertragskonformen Auslegung der Vogelschutzrichtlinie von dem eigentlichen

strikten Schutzregime des Art. 4 Abs. 4 VRL abgewichen werden, wenn Gründe des Ge-

meinwohls vorliegen, die Vorrang vor den mit der Vogelschutzrichtlinie verfolgten Um-

weltbelangen haben.271 Zu diesen höherrangigen Rechtsgütern gehören der Schutz des Le-

bens und die menschliche Gesundheit, nicht aber wirtschaftliche oder freizeitbedingte Er-

fordernisse.272 Diese Rechtssprechung kann aufgrund des identischen Inhalt und der ver-

gleichbaren Zielrichtung beider Vorschriften auf die FFH-Richtlinie übertragen werden.

Eine weitere Ausnahme vom Verschlechterungsverbot dürfte nach der gemeinschaftsrecht-

lichen Normenhierarchie auch dann in Betracht kommen, wenn die Vornahme des Ver-

schlechterungsverbotes im Einzellfall zu einem unverhältnismäßigen und deshalb nicht

gerechtfertigten Eingriff in einfachrechtliche materielle Rechtspositionen oder Gemein-

schaftsgrundrechte führen würde.273 Ein Konflikt des Naturschutzes mit solchen Rechtsgü-

tern ist mangels einer ausdrücklichen Ausnahmeregelung so aufzulösen, dass eine Ver-

schlechterung eines Lebensraumes dann hinzunehmen ist, wenn sie für den Schutz der ge-

nannten Rechtsgüter erforderlich ist, die Einwirkungen auf das Schutzgebiet auf das unbe-

dingt notwendige Maß beschränkt bleiben und Einbußen an ökologischem Wert des Gebie-

tes, insbesondere hinsichtlich der Kohärenz des Schutzgebietsnetzes, an anderer Stelle

kompensiert werden.274 Ein absoluter Vorrang des Naturschutzes gegenüber diesen Belan-

gen würde im Endergebnis sowohl den Zielen der FFH-Richtlinie als auch der gemein-

schaftsrechtlichen Wertordnung zuwiderlaufen.275

271 EuGHE, 1991, I- S. 931, Rn. 21 f.; EuGHE, 1993, I- S. 4277, Rn. 19; Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 110. 272 EuGHE, 1991, I- S. 931, Rn. 22; ebenso EuGHE, 1993, I- S. 4277, Rn. 19; EuGHE 1996, I- S. 3853, Rn.

30; Wrase, NuR 2004, S. 359; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 110; Winter, NuR 1992, S. 21 ff. 273 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 177; Wrase, NuR 2004, S. 359. 274 So Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 177; vgl. Apfelbacher/Adenauer/Iven,

NuR 1999, S. 67 f. 275 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 177; dies übersehen allerdings Berg,

Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 238; Epiney, UPR 1997, S. 308; Hösch, NuR 2004, S. 211; Ramsauer, in: Erbguth, S. 114; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 154 f. und 174 f.

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II. Störungsverbot

Neben dem Verschlechterungsverbot enthält Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auch ein Störungsver-

bot, welches den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegt, innerhalb der besonderen Schutzge-

biete erhebliche Störungen der Tier- und Pflanzenarten, zu deren Schutz das Gebiet ausge-

wiesen wurde, zu vermeiden. Das Verschlechterungsverbot ähnelt strukturell und inhaltlich

dem bereits dargestellten Verschlechterungsverbot. Allerdings bestehen auch maßgebliche

Unterschiede zwischen den beiden Verboten.

1. Gemeinsamkeiten zwischen Verschlechterungs- und Störungsverbot

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL normiert einerseits ein Verschlechterungsverbot hinsichtlich der

Lebensräume und andererseits ein Störungsverbot für betroffene Arten als die erste in der

Reihe der Regelungen zum Grundschutz.276 Daraus lässt sich schließen, dass beide Verbote

in einem gewissen Zusammenhang stehen bzw. sich gegenseitig ergänzen.277 Wenn sich

jedoch diese Verbote ergänzen sollen, liegt es nahe, dass sie die gleiche Zielrichtung ha-

ben.278 Dem Störungs- und Verschlechterungsverbot ist damit gemein, dass beide Verbote

allein die Erhaltung des eigentlichen Grundes der Unterschutzstellung intendieren. Das

Störungsverbot dient folglich nicht der Sicherung der in einem Schutzgebiet vorkommen-

den gesamten Lebensgemeinschaft, sondern besteht nur zugunsten der Arten, deren Vor-

kommen die Unterschutzstellung veranlasst haben. Die Ergebnisse, die bereits bei dem

sachlichen und räumlichen Anwendungsbereich des Verschlechterungsverbotes festgestellt

wurden, gelten dabei ebenso für das Störungsverbot. Daher ist davon auszugehen, dass das

Störungsverbot auch die Abwehr solcher Beeinträchtigungen erfasst, die ihre Ursache au-

ßerhalb der Gebietsabgrenzungen haben. Im Übrigen ist auch die natürliche Sukzession,

durch die sich der Charakter eines Schutzgebietes nachhaltig ändern kann, vom Störungs-

verbot erfasst. Ferner beanspruchen die oben dargelegten Ausnahmen vom Verschlechte-

rungsverbot ebenfalls für die Störungen Geltung, die eine erhebliche Auswirkung auf die

Richtlinienziele haben.

276 Leist, Lebensraumschutz, S. 80. 277 Ebenso Leist, Lebensraumschutz, S. 80. 278 Leist, Lebensraumschutz, S. 80.

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2. Begriff und sachlicher Anwendungsbereich

Zunächst ist zu untersuchen, was unter dem Begriff der Störung zu verstehen ist. Störungen

im Sinne von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL können allgemein als jedwede Beeinträchtigung der

Lebensverhältnisse der in einem Gebiet vorkommenden Tier- und Pflanzenarten definiert

werden.279 Dabei ist aber zu berücksichtigen, dass Störungen im Gegensatz zu den Ver-

schlechterungen, die psychischen Bedingungen eines Gebietes nicht direkt beeinträchti-

gen.280 Von einer signifikanten Störung kann dann gesprochen werden, wenn der Erhal-

tungszustand einer Art im Sinne von Art. 1 lit. i) FFH-RL beeinträchtigt wird.281 Dies ist

der Fall, wenn Entwicklungen entweder zur langfristigen Abnahme der Populationen der

Arten führen, eine Reduzierung des Verbreitungsgebietes einer Art nach sich ziehen, das

Risiko einer solchen Reduzierung erhöhen oder aber zu einer Verringerung der Größe des

Lebensraumes für die Arten in einem Schutzgebiet beitragen.282 Die notwendigen Daten

zur Populationsdynamik der Arten liefern dabei die im Rahmen der Phase 1 zu erstellenden

Standard- Datenbögen.283 Für die Beurteilung, ob eine Störung vorliegt, sind sowohl der

Erhaltungszustand des besonderen Schutzgebietes als auch dessen Beitrag zur Kohärenz

des Netzes Natura 2000 zu berücksichtigen.284

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sieht auch einen Unterschied hinsichtlich der Grenzen der Zulässig-

keit zwischen der Verschlechterung von Lebensräumen und der Störung von Arten vor.

Demnach erfasst das Störungsverbot lediglich diejenigen störenden Einflüsse, die sich im

Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswirken könnten, während nach dem Ver-

schlechterungsverbot jede Beeinträchtigung der natürlichen Lebensräume und Habitate der

Arten zu verhindern ist.285 Die Störungen müssen dementsprechend jedoch nur dann ver-

mieden werden, wenn sie eine gewisse Erheblichkeitsschwelle im Hinblick auf die Beein-

279 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 178; vgl. etwa Stock, ZUR 1995, S. 289

f., der von zwei unterschiedlichen Begriffsbestimmungen der Störung ausgeht. 280 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28; Kador, FFH-Richtlinie, S. 30. 281 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28; Kador, FFH-Richtlinie, S. 30. 282 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 30. 283 Kador, FFH-Richtlinie, S. 30; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28. 284 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 29; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-

ordnung, S. 237; Kador, FFH-Richtlinie, S. 30; a.A. Gellermann, NuR 1996, S. 551, der per se jede Beein-trächtigung als erheblich einstuft.

285 A.a. Jarass, ZUR 2000, S. 185, der den Vorbehalt der Erheblichkeit über den Wortlaut der Vorschrift hinaus auch auf Verschlechterungen beziehen will. Damit wird aber nicht nur der eindeutige Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, sondern auch der sachliche Unterschied zwischen Verschlechterungen und Störun-gen ignoriert.

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trächtigung der Ziele der Richtlinie überschreiten,286 wobei das Merkmal der Erheblichkeit

die Reichweite des europäischen Naturschutzes der FFH-Richtlinie einschränkt.287 Es wird

damit deutlich, dass zumindest Störungen von geringerer Intensität geduldet werden kön-

nen.

Dabei stellt sich die Frage, ab welcher Wirkung eine Störung als erheblich im Sinne von

Art. 6 Abs. 2 anzusehen ist. Um den materiellen Inhalt des Begriffs „Erheblichkeit“ zu

bestimmen, ist auf die Ziele der Richtlinie zurückzugreifen, auf die Art. 6 Abs. 2 FFH-RL

abstellt. Neben dem in der dritten Begründungserwägung eher allgemein genannten Haupt-

ziel, namentlich der Erhaltung der biologischen Vielfalt, ist zur Beantwortung der Frage

nach dem Inhalt des Störungsverbotes insbesondere auf Art. 2 Abs. 1 und 2 FFH-RL abzu-

stellen, welcher eine Konkretisierung dieses Hauptziels darstellt.288 Nach Art. 2 Abs. 1

FFH-RL ist dieses Ziel die Sicherung der Artenvielfalt durch die Erhaltung der natürlichen

Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten. In Art. 2 Abs. 2 FFH-RL heißt es

weiter, dass die Aufgrund der Richtlinie getroffenen Maßnahmen auf die Bewahrung und

Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes dieser Lebensräume und Arten

abzielen. Wenn nämlich das Störungsverbot als eine Schutzmaßnahme der Richtlinie zur

Bewahrung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der Arten beitra-

gen soll, dann kann das unter Beachtung der Legaldefinition des Art. 1 lit. i) FFH-RL nur

bedeuten, dass damit die langfristige Sicherung überlebensfähiger Populationen angestrebt

wird.289 Die Erheblichkeitsschwelle ist in diesem Sinne dann überschritten, wenn infolge

der Störungen langfristig ein Überleben der Arten nicht mehr gewährleistet wird.290 Das

Störungsverbot erfasst daher alle Beeinträchtigungen der Arten, die sich qualitätsmindernd

auf die geschützten Populationen und Lebensgemeinschaften insoweit auswirken können,

als sie die Erreichung der Ziele, die mit der Schutzgebietsausweisung verfolgt werden, ge-

fährden.291

286 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 107; Wirths, Naturschutz durch europäisches

Gemeinschaftsrecht, S. 178; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 154; Ka-dor, FFH-Richtlinie, S. 30.

287 Kador, FFH-Richtlinie, S. 30; Gellermann, NuR 1996, S. 551. 288 Leist, Lebensraumschutz, S. 81 f; vgl. auch Niederstadt, in: Erbguth, S. 72. 289 Leist, Lebensraumschutz, S. 82; Berner, Der Habitatschutz, S. 107; Gellermann, Natura 2000, S. 74;

Niederstadt, in: Erbguth, S. 72. 290 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 178; Freiburg, Die Erhaltung der biologi-

schen Vielfalt, S. 108; Epiney, UPR 1997, S. 308; Fisahn, ZUR 1996, S. 5; Gellermann, NuR 1996, S. 551; Niederstadt, in: Erbguth, S. 72.

291 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 109; Gellermann/Schreiber, NuR 2003, S. 210; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 342; Berner, Der Habitatschutz, S. 107; Gellermann,

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Im Übrigen hängt die Feststellung, ob eine erhebliche Störung im genannten Sinne vorliegt,

von der Schutzbedürftigkeit der konkret zu erhaltenden Art ab, so dass es einer einzelfall-

bezogenen Betrachtung bedarf, die von Art zu Art stark variieren kann.292 Eine Vornahme

der konkreten Bestimmung, was als erheblich im Sinne von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gelten

muss, erscheint daher kaum möglich. Welcher Art diese Störungen sein müssen, lässt sich

aber verallgemeinernd dahin umschreiben, dass sie jedenfalls von einigem Gewicht und

nach den Umständen geeignet sein müssen, die Lebensqualität der im jeweiligen Schutzge-

biet vorkommenden Arten zu mindern.293 Somit müssen die so zu unterbindenden Beein-

trächtigungen in der Regel von einer entsprechenden Intensität, Dauer und Wiederholungs-

frequenz sein, um vom Störungsverbot erfasst zu werden.294Allein die Wahrscheinlichkeit,

dass eine solche Wirkung eintreten könnte, ist entsprechend dem Vorsorge- und Vorbeu-

gungsprinzip als Begründung zu ergreifenden Abhilfemaßnahmen ausreichend.295

Über diese Ausführungen hinaus hat der EuGH im „Leybucht Urteil“ zutreffend darauf

hingewiesen, dass eine Störung jedoch dann als unerheblich anzusehen ist, wenn sie einer

ökologischen Kompensation gegenübersteht.296 In diesem Urteil ist zwar nicht die Rede

von Störungen, sondern unter anderem von einer zu vermeidenden Verschmutzung, Beein-

trächtigung und Belästigung im Sinne von Art. 4 Abs. 4 VRL. Dabei ist aber zu beachten,

dass es sich bei dem Begriff der Störungen des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL um einen allgemei-

nen Überbegriff handelt, so dass er alle von der Vogelschutzrichtlinie angeführten Eingriffe

umfasst.297 Es besteht nebenbei, wie oben aufgezeigt wurde, eine Vergleichbarkeit sowohl

hinsichtlich des materiellen Regelungsgehaltes der Vorschriften als auch der Regelungssys-

tematik der beiden Richtlinien.298 Ausgehend von diesen Gründen lässt sich schließen, dass

diese für die Vogelschutzrichtlinie entwickelte Rechtsprechung des EuGH auch auf die

FFH-Richtlinie zu übertragen ist.

NuR 1996, S. 551; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 387; vgl. dazu GA Van Gerven, EuGHE, 1991, I- S. 903, Rn. 33.

292 Gellermann, Natura 2000, S. 74; Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, S. 342; Leist, Lebens-raumschutz, S. 83; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 103.

293 Gellermann, Natura 2000, S. 74; Berner, Der Habitatschutz, S. 107; Epiney, Umweltrecht in der Europäi-schen Union, S. 342.

294 Leist, Lebensraumschutz, S. 82; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 28. 295 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 26. 296 EuGHE, 1991, I- S. 932, Rn. 26; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 108 f.; Berner,

Der Habitatschutz, S. 108; Winter, NuR 1992, S. 22. 297 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 108; Berner, Der Habitatschutz, S. 108. 298 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 108; Berner, Der Habitatschutz, S. 108; vgl.

auch oben 2. Teil, C. I.1.

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Der Gerichtshof hat dabei zum Ausdruck gebracht, dass eine Störung nur durch eine öko-

logische Kompensation gerechtfertigt werden kann; wirtschaftliche oder sonstige Vorteile

für das betroffene Gebiet genügen hingegen nicht.299 Eine ökologische Kompensation für

erhebliche Störungen kommt dann in Betracht, wenn die Beeinträchtigung nur einen vorü-

bergehenden Charakter hat, die zu keiner erheblichen Bestandsänderung einer Art führt und

nicht das für ihre Durchführung notwendige Maß überschreitet.300 Zudem muss für die Stö-

rung der relativ günstigste Zeitraum gewählt werden.301 Ferner müssen bisherige Beein-

trächtigungen des Gebietes nach der Beendigung der Störung wegfallen.302 Abschließend

muss die Möglichkeit bestehen, dass sich unter den veränderten Umständen weitere Arten

in dem Gebiet ansiedeln und/oder eine flächenmäßige Beeinträchtigung des Gebietes durch

eine flächenmäßige Neuausweisung mit vergleichbarem ökologischen Wert ausgeglichen

wird.303 Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, kann eine erhebliche Störung innerhalb

dieses Schutzgebietes zulässig sein.

D. Verträglichkeitsprüfung

Das Kernstück des Schutzregimes der FFH-Richtlinie bilden die besonderen Anforderun-

gen der Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL, die an die Zulassung von Plänen und Projekten zu

stellen sind.304 Die Schlüsselstellung nimmt dabei die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6

Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ein. Demnach erfordern Pläne und Projekte, die nicht unmittelbar

mit der Verwaltung des Schutzgebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig

sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen

und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den

für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um die

Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung, von deren Ergebnis grundsätzlich

die Genehmigung des beantragten Planes oder Projektes abhängig ist.

299 EuGHE, 1991, I- S. 917 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 109; Berner, Der

Habitatschutz, S. 108; Winter, NuR 1992, S. 22. 300 Berner, Der Habitatschutz, S. 108; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 109. 301 Berner, Der Habitatschutz, S. 108; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 109. 302 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 109; Berner, Der Habitatschutz, S. 108; Winter,

NuR 1992, S. 22. 303 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 110; Berner, Der Habitatschutz, S. 108. 304 So Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 211; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 354.

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Diese Vorschrift konstruiert damit ein neues Verfahrensinstrument zur Überprüfung der

Zulassung von Vorhaben,305 welches schlagwortartig in der wissenschaftlichen Auseinan-

dersetzung mit dem Begriff Verträglichkeitsprüfung erfasst wird. Das Instrument der Ver-

träglichkeitsprüfung stellt neben dem Verschlechterungs- und Störungsverbot das weitere

tragende Element des einheitlichen Grundschutzes für Gebiete von gemeinschaftlicher Be-

deutung und für europäische Vogelschutzgebiete dar.306

In Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL ist in diesem Zusammenhang ein dreistufiges Verfahren für

die Prüfung von Plänen und Projekten auf Verträglichkeit festgesetzt.307

- Die erste stufe dieses Verfahrens besteht aus einer Verträglichkeitsprüfung, auf die Art. 6

Abs.3 Satz 1 FFH-RL Anwendung findet.

- Die zweite Stufe des Verfahrens, auf die sich Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL bezieht, be-

trifft die Entscheidung der zuständigen einzelstaatlichen Behörden.

- Die dritte Stufe des Verfahrens, auf die Art. 6 Abs. 4 FFH-RL Anwendung findet, greift

dann ein, wenn trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung vorgeschlagen wird,

einen Plan oder ein Projekt nicht abzulehnen, sondern erneut zu erwägen.

I. Pläne und Projekte

Ausweislich des Wortlautes des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ist eine Verträglichkeitsprü-

fung immer dann durchzuführen, wenn Pläne oder Projekte ein solches Gebiet erheblich

beeinträchtigen könnten. Aus dieser Formulierung geht hervor, dass die Verträglichkeits-

prüfung im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL das Vorliegen eines Planes oder eines

Projektes voraussetzt. Die Begriffe des Projektes und des Planes haben daher für die Ver-

träglichkeitsprüfung zentrale Bedeutung, da der sachliche Gehalt der Verträglichkeitsprü-

fung von diesen beiden Begriffen determiniert wird.

Als problematisch erweist sich dabei im Hinblick auf den sachlichen Anwendungsbereich,

welcher Begriff des Planes und Projektes der Richtlinie zugrunde liegt. Die FFH-Richtlinie

gibt in seinem Art.1, der Begriffsbestimmungen für die besonderen Formulierungen ent-

hält, keine Legaldefinition vor. Außerdem verfügt die FFH-Richtlinie im Gegensatz zur

UVP-Richtlinie über keinen Katalog, der die einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen- 305 Der Begriff des „Vorhabens“ wird im Folgenden als Oberbegriff für das Begriffspaar „Pläne und Projek-

te“ verwandt. 306 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 21; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung

von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 40. 307 So Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 32; vgl. Edhofer, BayVBl. 2000, S. 554 f.

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den Pläne und Projekte enumerativ aufzählt. Da auch eine Festlegung dieser Begriffe im

Primärrecht der Gemeinschaft nicht erfolgt, kann der sachliche Anwendungsbereich nur

anhand des Sachzusammenhanges und des Ziels der Richtlinie ermittelt werden.308 Diese

Begriffe sollen folglich europarechtlich interpretiert werden.

1. Planbegriff im Sinne der FFH-Richtlinie

Um die Vorschrift des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL handhabbar zu machen, ist es zunächst

einmal notwendig, den von der Richtlinie gebrauchten Planbegriff näher zu bestimmen.309

Diesbezüglich ist zu untersuchen, was unter dem Begriff der Pläne im Sinne der FFH-

Richtlinie zu verstehen ist und welche Pläne und Planverfahren nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1

FFH-RL der Verträglichkeitsprüfung unterliegen.

Unter dem Begriff der Pläne sind in der Regel normative Elemente zu verstehen, die eine

Orientierungshilfe für spätere Entscheidungen bieten und zumeist nicht einzelfallbezogen

sind.310 Zur Abgrenzung vom Begriff des Projektes, der nach seinem Sinngehalt im norma-

len Sprachgebrauch eine Gesamtheit einzelner, auf einen konkreten Sachverhalt bezogener,

der Verwirklichung eines bestimmten Zieles dienender Handlungen umschreibt, betrifft der

Terminus Plan grundsätzlich abstrakte, späteren Vorhaben vorgelagerte und strategisch

geordnete politische Entscheidungen.311 Mit der Einbeziehung von Plänen in den Anwen-

dungsbereich der Verträglichkeitsprüfung dürfte insbesondere ein Schutz auf der Ebene

308 Berner, Der Habitatschutz, S. 47; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S.

27; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 179; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 113; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 66 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 112; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 33.

309 Obwohl „Pläne und Programme“ in Art. 2 lit. a) des Richtlinienvorschlages der Plan-UVP-Richtlinie (ABl. EG 1999, Nr. c 83, S. 13) als solche definiert wurden, die „von einer zuständigen Behörde ausgear-beitet und angenommen… werden und die einen Rahmen für künftige Genehmigungen von Projekten vor-geben, indem sie auf Standort, Art… dieser Projekte Bezug nehmen“, findet sich keine solche Definition in der geltenden Fassung der Plan-UVP-Richtlinie (Die Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parla-ments und des Rates über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme, ABl. L 197 vom 21.7.2001, S. 30). Vgl. dazu Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungsplänen, S. 31 ff.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 112 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-recht, S. 180; Jarass, ZUR 2000, S. 185.

310 Berner, Der Habitatschutz, S. 47; vgl. auch Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 113; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 49; Kador, FFH-Richtlinie, S. 34; Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungsplänen, S. 40 f.; Freiburg, Die Erhaltung der biologi-schen Vielfalt, S. 120; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 180; Wagner, NuR 1990, S. 399.

311 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 180; Wagner, NuR 1990, S. 399; vgl. auch Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 120.

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bezweckt sein, die der Zulassung von Projekten vorgeschaltet ist.312 Die Pläne können da-

bei in vielfältiger form ausgestaltet sein und sich auf verschiedensten Plangegenstände be-

ziehen.313

Da es sich bei den Habitatschutzregeln der Art. 3- 11 FFH-RL um Vorschriften des flä-

chenbezogenen Naturschutzes handelt, sind solche Planungsakte jedenfalls gebietsbezogen.

Durch Pläne im Sinne der Richtlinie muss daher Grund und Boden in Anspruch genommen

werden oder die räumliche Entwicklung eines Gebietes beeinflusst werden.314 Ebenso fal-

len aber Pläne ohne raumordnenden Charakter unter den Planbegriff, sofern ihnen Stand-

ortaussagen entnommen werden können, deren Verwirklichung die Beeinträchtigung be-

sonderer Schutzgebiete verursachen kann, etwa Luftreinhaltepläne, Abfallbewirtschaf-

tungspläne oder wasserwirtschaftliche Rahmen oder Bewirtschaftungspläne.315 Nicht er-

fasst sind mit der Definition lediglich allgemeine politische Absichtserklärungen.316

Diese Feststellungen vermögen jedoch den Planbegriff noch nicht hinreichend zu konkreti-

sieren, da Pläne notwendigerweise auf eine weitere Umsetzung angelegt sind und daher

nicht unmittelbar die von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL geforderten negativen Wirkungen

bezüglich eines Natura 2000-Gebietes verursachen können.317 Deshalb ist einschränkend zu

fordern, dass nur solche Pläne die Verträglichkeitsprüfung auslösen können, die zur Steue-

rung nachgelagerter Zulassungsverfahren in der Lage sind.318 Denn nur in diesem Fall kön-

nen ihre Festsetzungen für die Integrität eines Schutzgebietes von Relevanz sein. Dies ist

etwa der Fall, wenn die Pläne konkrete Standorte für Projekte oder andere konkrete Maß-

nahmen festlegen. Der weite Planbegriff ist folglich einschränkend dahingehend zu verste-

hen, dass nur solche Pläne einer Verträglichkeitsprüfung unterliegen, deren Vorgaben ge-

genüber den nachgelagerten Verfahren in irgendeiner Form rechtsverbindliche Wirkungen

312 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 42; Jarass, ZUR 2000,

S. 185. 313 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 113; Berner, Der Habitatschutz, S. 47; Europä-

ische Kommission, Gebietsmanagement, S. 34. 314 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 113; Berner, Der Habitatschutz, S. 48; Kirch-

hof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 49; Wirths, Naturschutz durch europäi-sches Gemeinschaftsrecht, S. 180; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112; Thyssen, DVBl. 1998, S. 879; Geller-mann, HdEUDUR, § 78, Rn. 29; Jarass, ZUR 2000, S. 185; vgl. dazu den Wortlaut des § 3 Nr. 6 ROG.

315 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 180; Carlsen, Biotopschutz, S. 153; Eu-ropäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 34.

316 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 34; Kador, FFH-Richtlinie, S. 35. 317 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 112; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

114. 318 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 112; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

114; Berner, Der Habitatschutz, S. 48; Leist, Lebensraumschutz, S. 86; Wagner, Die planbezogene Um-weltverträglichkeitsprüfung nach dem Entwurf der EG-Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“, S. 27.

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haben können.319 Ein Plan kann dann spätere Verfahren beeinflussen, wenn er für diese

zwingend beachtlich ist oder für diese Abwägungsrelevanz hat und durch die Entscheidung

die Nutzung eines Schutzgebietes bzw. seiner Umgebung maßgeblich beeinflusst wird.320

Ein Plan wird daher dann einer Verträglichkeitsprüfung unterworfen, wenn drei Kriterien

kumulativ erfüllt sind.321

- Die Planaussagen müssen auf die Gestaltung des Raumes eines Natura 2000-Gebietes

lenkenden Einfluss nehmen, indem sie Standorte für konkrete Projekte festlegen oder ande-

re konkrete Vorgaben für nachfolgende Verfahren vorsehen.

- Die Planfestsetzungen müssen Bindungswirkung oder Abwägungsrelevanz für nachfol-

gende Verfahren besitzen.

- Die spätere Umsetzung der Planfestsetzungen muss an sich oder im Zusammenwirken mit

der Umsetzung anderer Pläne geeignet sein, das besondere Schutzgebiet erheblich zu be-

einträchtigen.

Zweck der Regelung des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ist es daher, bereits frühzeitig die

Auswirkungen von Maßnamen, die durch eine Bodennutzung entstehen können, auf ihre

Übereinstimmung mit den Schutzzwecken des jeweiligen Gebietes überprüfen zu kön-

nen.322 Der Vorschrift liegt damit die Erkenntnis zugrunde, dass zulassungslenkende Pla-

nungsentscheidungen im weiteren Verfahren regelmäßig nicht mehr rückgängig zu machen

sind, so dass ein effektiver Biotopschutz nur gegeben ist, wenn er zur Anwendung gelangt,

bevor derartige Entscheidungen über die weitere Entwicklung eines Natura 2000-Gebietes

gefällt werden.323 Dies erklärt sich zwanglos mit der präventiven Zielausrichtung der Richt-

linie und mit dem Gedanken des vorsorglichen Umweltschutzes, der in Art. 174 Abs. 2

Satz 2 EGV niedergelegt ist.324

319 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

112; Wagner, Die planbezogene Umweltverträglichkeitsprüfung nach dem Entwurf der EG-Richtlinie „Fauna, Flora, Habitat“, S. 27; Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungsplänen, S. 37.

320 Berner, Der Habitatschutz, S. 48; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Leist, Lebensraumschutz, S. 86; Rödi-ger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Uebbing, Umweltprüfung bei Raumordnungs-plänen, S. 37.

321 So Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114. 322 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 115; Kues,

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 113. 323 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 113; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

115; Schink, GewArch 1998, S. 43. 324 Berner, Der Habitatschutz, S. 113 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 115;

Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 69; vgl. dazu Callies, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 174, Rn. 25 ff.

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2. Projektbegriff im Sinne der FFH-Richtlinie

Neben Plänen begründen gem. Art 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL auch Projekte die Pflicht zur

Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung. Der Begriff Projekte wird in der FFH-

Richtlinie ebenfalls nicht definiert. Im Gegensatz zum Begriff der Pläne bietet sich dabei

unter systematischen Gesichtspunkten an, die in der UVP-Richtlinie325 enthaltene Legalde-

finition des Projektbegriffes heranzuziehen.326 So zählen nach der allgemeinen Definition

der Art. 1 Abs. 2, Art. 2 Abs. 1 UVP-RL die Errichtung baulicher und sonstiger Anlagen

sowie Eingriffe in Natur und Landschaft einschließlich diejenigen zum Abbau von Boden-

schätzen zu den Projekten. Konkretisiert wird dieser Projektbegriff durch eine enumerative

Nennung der UVP-pflichtigen Projekte in den Anhängen zu Art. 4 UVP-RL. Zwischen der

UVP-Richtlinie und der FFH-Richtlinie bestehen zahlreiche Gemeinsamkeiten und Über-

schneidungen. So verlangt die UVP-Richtlinie ebenso wie die FFH-Richtlinie die Ermitt-

lung der Auswirkungen eines Projektes auf die Flora-Fauna.327 Zudem handelt es sich so-

wohl bei der Verträglichkeitsprüfung als auch bei der Umweltverträglichkeitsprüfung um

die Verwirklichung konkreter Vorhaben, die die Umwelt erheblich beeinflussen können.328

Aufgrund dieses gemeinsamen Sachzusammenhanges zwischen beiden Prüfungsarten liegt

es nahe, den Projektbegriff der FFH-Richtlinie unter Rückgriff auf die Begriffsbestimmun-

gen der UVP-Richtlinie zu definieren.329

Über dies hinaus spricht für eine Auslegung des Projektbegriffes im Sinne der UVP-

Richtlinie auch, dass in dem Entwurf zur FFH-Richtlinie aus dem Jahr 1988330 ausdrück-

325 Richtlinie des Rates über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten

Projekten vom 27.06.1985 (85/337 EWG), ABl. EG Nr. 175 S. 40. 326 Allg. Meinung Jarass, NuR 2007, S. 372; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Koch, Die FFH-

Richtlinie, S. 67; Gellermann, Natura 2000, S. 76; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 33; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 115; Leist, Lebensraumschutz, S. 87; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 28 ff.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 181; Erbguth/Schink, UVPG, Einl. Rn. 100 ff.; Jarass, ZUR 2000, S. 185; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 388.

327 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Stollmann, NuL 1999, S. 473 ff.; Erbguth/Schink, UVPG, Einl. Rn. 100b; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitpla-nung, S. 207; vgl. auch den Wortlaut des Art. 3 UVP-RL.

328 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 118; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; vgl. dazu Art. 2 Abs. 1 Satz 1 UVP-RL.

329 So im Ergebnis Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 181; Jarass, ZUR 2000, S. 185; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 115; Gellermann, Natura 2000, S. 76.

330 Der Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zum Schutz der natürlichen und naturnahen Lebensräume sowie der wildlebenden Tier- und Pflanzenarten, ABl. EG Nr. C 247 vom 21.9.1988 , S. 3.

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lich auf die Regelung der UVP-Richtlinie verwiesen wurde.331 Nach diesem Kommissions-

vorschlag sollte eine mitgliedstaatliche Pflicht zur Überprüfung schutzgebietsrelevanter

Projekte durch Änderung des Art. 4 Abs. 2 UVP-RL eingeführt werden.332 Wenn auch sich

diese Verknüpfung mit der UVP-Richtlinie im weiteren Verlauf des Gesetzgebungsverfah-

rens nicht durchsetzen konnte, so zeigt der Vorentwurf doch, dass in erster Linie an Projek-

te im Sinne der UVP-Richtlinie gedacht war.333

Da im Gemeinschaftsrecht der Grundsatz gilt, dass Begriffe innerhalb einer Rechtsord-

nung, die in sachverwandten Bereichen Verwendung finden, gleich auszulegen sind, kann

grundsätzlich die Projektdefinition der UVP-RL auch für die konkreten Vorhaben nach Art.

6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL übernommen werden.334 Daher dürften Projekte im Sinne des Art.

6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL jedenfalls solche sein, die in den Anhängen zu Art. 4 UVP-RL als

Anlagen und Maßnahmen angeführt sind.335

Trotz dieses relativ klar erscheinenden Ergebnisses ist eine Begrenzung auf die Vorgaben

der UVP-Richtlinie nicht sachgerecht. Da die UVP-Richtlinie über ihre Anhänge eindeutig

definiert, was als Projekt anzusehen ist, besteht die Gefahr, dass solche Vorhaben, die dort

nicht aufgeführt sind, jedoch dennoch eine Beeinträchtigung eines Schutzgebietes hervor-

rufen könnten, nicht der Überprüfung durch eine Verträglichkeitsprüfung unterfielen.336

Ein solcher Katalog wäre bei FFH-Gebieten auch nicht sinnvoll, denn nach Sinn und

Zweck will die FFH-Richtlinie alle Vorhaben erfassen, die sich auf den Erhaltungszustand

des Gebietes negativ auswirken können.337 Maßgeblich nach Art. 6 Abs. 3 Satz1 FFH-RL

ist allein die naturschutzrechtliche Relevanz eines Vorhabens, nämlich dessen Eignung, ein

331 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 115; Wirths, Naturschutz durch europäisches

Gemeinschaftsrecht, S. 185; Berner, Der Habitatschutz, S. 50; Jarass, ZUR 2000, S. 185; a.A. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 118, die ein solches Argument für ambivalent hält.

332 Dazu siehe Art. 11a des Vorschlages (ABl. 1988, Nr. C 247, S. 3); vgl. auch Wagner, NuR 1990, S. 396. 333 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 116; Gellermann, Natura 2000, S. 76; Berner,

Der Habitatschutz, S. 50; Leist, Lebensraumschutz, S. 87 f. 334 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Berner, Der Habitatschutz, S. 50; Leist, Lebensraumschutz, S. 88; Iven,

NuR 1996, S. 378; zur Auslegungsmethodik des europäischen Gemeinschaftsrechts Meyer, Jura 1994, S. 455 ff.

335 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Jarass, ZUR 2000, S. 185; Gellermann, NuR 1996, S. 551.

336 Leist, Lebensraumschutz, S. 88; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 116.

337 Niederstadt, NuR 1998, S. 523; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzge-bieten, S. 42; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitpla-nung, S. 208; Egner/Fischer-Hüftle, BayVBl. 1999, S. 684 f.

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besonderes Schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen.338 Folglich müssen auch nicht UVP-

pflichtige Vorhaben, von denen erhebliche Beeinträchtigungen zu erwarten sind, einer

FFH-Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden. Der Projektbegriff der FFH-Richtlinie ist

somit weiter als der der UVP-Richtlinie; er schließt aber die UVP-relevanten Projekte mit

ein.339 Insofern kann auf die allgemeine Definition der UVP-Richtlinie als Anhaltspunkt

bzw. Definitionshilfe zurückgegriffen werden.340

Das Vorhandensein eines Projektes nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ist somit dadurch zu

ermitteln, dass zunächst die Bestimmungen der Anhänge zu Art. 4 UVP-RL herangezogen

werden. Erfüllt ein Vorhaben eines dieser Katalogtatbestände, dann liegt –unabhängig von

einer weiteren Prüfung am Maßstab der Erheblichkeit der Beeinträchtigung- ein Projekt im

Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL vor. Fällt dagegen eine geplante Maßnahme nicht

unter Bestimmungen dieser Anhänge, so soll darüber hinaus konkret geprüft werden, ob für

dieses konkrete Projekt die Gefahr besteht, dass zwischen seiner Durchführung und einer

möglichen erheblichen Beeinträchtigung des Schutzgebietes ein kausaler Zusammenhang

besteht.341 Wenn dies der Fall ist, soll eine Verträglichkeitsprüfung trotz fehlender Erwäh-

nung in den Anhängen der UVP-Richtlinie durchgeführt werden.

Ungeachtet der Trägerschaft eines Vorhabens sind sowohl private als auch öffentliche Pro-

jekte vom Anwendungsbereich der Prüfung erfasst.342 Im Übrigen erfüllen planerisch vor-

bereitete Vorhaben und Maßnahmen auch dann den Projektbegriff, wenn zugrunde liegen-

de Planung zwar bereits Gegenstand einer Verträglichkeitsprüfung war, sich aus der nun

erfolgten Konkretisierung des Vorhabens aber neue habitatschutzrechtlich relevante Ge-

sichtspunkte oder Details ergeben.343

Klärungsbedürftig ist ferner die Frage, ob auch Änderungen bereits bestehender Anlagen

den Projektbegriff der FFH-Richtlinie erfüllen. Ausgehend von einer Rechtsprechung des

338 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 42; Wirths, Naturschutz

durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 181; Berner, Der Habitatschutz, S. 49 ff.; Niederstadt, NuR 1998, S. 523; Jarass, ZUR 2000, S. 185; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113.

339 Jarass, NuR 2007, S. 372; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 42 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 117; Leist, Lebensraumschutz, S. 88; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 181; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 119;

340 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 43; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 181; Jarass, ZUR 2000, S. 185; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 114.

341 Berner, Der Habitatschutz, S. 5 1 f.; Leist, Lebensraumschutz, S. 89; Iven, UPR 1998, S. 378. 342 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 182; Ramsauer, in: Erbguth, S. 118. 343 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 182; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1698;

Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 35.

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EuGH344 zur UVP-Richtlinie wird hierzu die Ansicht vertreten, dass der Projektbegriff

durch ein Änderungsvorhaben dann erfüllt sei, wenn dieses nach dem einschlägigen natio-

nalen Fachrecht einer Genehmigungs- bzw. Gestaltungspflicht unterliege.345 Dieser Auffas-

sung kann mangels einer gemeinschaftsrechtlichen Regelung gefolgt werden, da das Erfor-

dernis einer behördlichen Zustimmung nach nationalem Fachrecht dafür ein Indiz ist, dass

die Änderung von Bedeutung für die Umweltauswirkungen des Vorhabens sein wird und

damit möglicherweise erhebliche Beeinträchtigung im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-

RL befürchten lässt.346

3. Begrenzung der Verträglichkeitsprüfung

Der Kreis der planerischen oder projektbedingten Vorhaben, die grundsätzlich eine Ver-

träglichkeitsprüfung nach sich ziehen können, erfährt in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL noch

eine Beschränkung. Danach unterfallen Pläne und Projekte, die unmittelbar mit der Ver-

waltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür notwendig sind, von vornherein

keiner Prüfungspflicht. Gemeint sind damit die sog. Managementpläne für Schutzgebiete

im Sinne von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL.347

Diese Freistellung von der Prüfungspflicht des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 rechtfertigt sich durch

die Tatsache, dass Maßnahmen, die Teil des Gebietsmanagements sind, zwar durchaus von

einer das Gesamtgebiet beeinträchtigenden Qualität sein können, jedoch primär der Erhal-

tung der konkret zu schützenden natürlichen Lebensräume oder Arten dienen.348 Dieser

Rechtsgedanke ist dabei verallgemeinerungsfähig und kann daher auch auf Art. 6 Abs. 2

FFH-RL übertragen werden, so dass das Verschlechterungs- und Störungsverbot durch Art.

6 Abs. 1 FFH-RL legitimierte Erhaltungsmaßnahmen, die zu einer Beeinträchtigung der

natürlichen Lebensräume und Arten führen, nicht verbieten.349

Aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL ergibt sich dabei, dass Managementpläne

entweder eigens für die Gebiete aufgestellt oder in andere Entwicklungspläne integriert

344 Urteil vom 11.8.1995, Rs. C – 431/ 92 (Großkrotzenburg); NuR 1996, S. 104. 345 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 70 f.; Iven, UPR 1998, S. 364. 346 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 182. 347 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 120; Europäische Kommission, Gebietsmanage-

ment, S. 34; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 116; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 388. 348 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 116; Gellermann, Natura 2000, S. 77; Freiburg, Die Erhaltung

der biologischen Vielfalt, S. 120. 349 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 116; vgl. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S.

109.

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70

sein können. Während Managementpläne, die eigens für die Gebiete aufgestellt wurden,

vom Erfordernis der Verträglichkeitsprüfung befreit sind, gilt anderes für die Letzteren. In

diesen Fällen, liegt ein „Mischplan“ vor, der sowohl der Erhaltung als auch anderen Zielen

dient und dessen nicht der Erhaltung dienende Bestanteile einer Verträglichkeitsprüfung zu

unterziehen sind.350 Außerdem ist aber zu beachten, dass Pläne oder Projekte, die gemäß

Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL unmittelbar mit der Verwaltung eines Gebietes stehen oder

hierfür notwendig sind, sich unter Umständen negativ auf ein anderes Gebiet auswirken

können. In einem solchen Fall müssen solche Pläne und Projekte einer Verträglichkeitsprü-

fung im Hinblick auf das betroffene Gebiet unterzogen werden, so dass sie nicht von vorn-

herein der Prüfungspflicht des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL entzogen sind.351

II. Zum Verhältnis von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL zu Art. 6 Abs. 2 FFH-RL

Erläuterungsbedürftig ist darüber hinaus das Verhältnis von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL zu Art.

6 Abs. 3, 4 FFH-RL. Hierzu wird zunächst die Ansicht vertreten, dass Art. 6 Abs. 2 eine

übergreifende Regelung sei, die materielle Vorgaben enthält, während Art. 6 Abs. 3 und 4

FFH-RL überwiegend verfahrensmäßige Fragen regele.352 Danach führten Pläne und Pro-

jekte eher zu größeren Gefahren für die Habitate, als die unter Art. 6 Abs. 2 FFH-RL fal-

lenden Verschlechterungen und Störungen. Durch die Ausnahmeregelungen des Art. 6

Abs. 4 FFH-RL würden aber Pläne und Projekte einem milderen Rechtsregime unterstellt.

Deshalb solle diese Abschwächung durch die absolut und unbedingt geltenden Verbote des

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL kompensiert werden. So müsse Art. 6 Abs. 2 FFH-RL grundsätzlich

auch für Pläne und Projekte gelten. Diese Auffassung liefert allerdings keine Erklärung

dafür, welche Rolle Art. 6 Abs. 4 FFH-RL tatsächlich spielen soll.

350 Gellermann, Natura 2000, S. 78; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 116 f.; Kador, FFH-Richtlinie,

S. 35; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 179, Fn. 876; vgl. dazu Europäi-sche Kommission, Gebietsmanagement, S. 34, die Kommission nennt in diesem Kontext das Beispiel des kommerziellen Holzeinschlags, der Bestandteil eines Erhaltungszwecken dienenden Bewirtschaftungs-plans für ein als besonderes Schutzgebiet ausgewiesenes Waldgebiet sein kann. Soweit der kommerzielle Aspekt für die Erhaltungsbewirtschaftung des Gebietes nicht erforderlich ist, muss er einer Verträglich-keitsprüfung unterzogen werden.

351 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 117; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 34; die Kommission nennt beispielsweise, den Vorschlag zur Verbesserung des Hochwasserschutzes in einem Gebiet, welcher beinhalten kann, dass in einem anderen Gebiet ein Staudamm gebaut werden soll, der in diesem jedoch zu erheblichen Auswirkungen führen kann. In einem solchen Fall soll der Plan bzw. das Projekt einer Verträglichkeitsprüfung im Hinblick auf das betroffene Gebiet unterzogen werden.

352 So Jarass, ZUR 2000, S. 184.

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Eine andere Auffassung geht zutreffend davon aus, dass die Bestimmung des Art. 6 Abs. 3

FFH-RL für Pläne und Projekte eine Spezialregelung gegenüber dem strengeren allgemei-

nen Verschlechterungs- und Störungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL enthält.353 Während

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL für alle Maßnahmen, mit negativer Wirkung Geltung beansprucht,

stellt Art. 6 Abs. 3 FFH-RL eine Spezialvorschrift dar, die nur bei Plänen und Projekten zur

Anwendung kommt und die generelle Bestimmung des Art. 6 Abs. 2 FH-RL verdrängt.

Zwar kann dem nicht entgegengehalten werden, dass ein größeres Gefährdungspotential

von Plänen und Projekten ausgeht als von Verschlechterungen und Störungen. Art. 6 Abs.

3, 4 FFH-RL ist aber keineswegs nur eine Vorschrift verfahrensrechtlicher Natur.354 Die

FFH-Richtlinie stellt nämlich in Art. 6 Abs. 3, 4 klare materielle Anforderungen an die

Verträglichkeitsprüfung, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müssen.355 Die

Verknüpfung mit Art. 6 Abs. 4 spricht auch für eine Einordnung von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL

als Spezialregelung. Während Art. 6 Abs. 4 FFH-RL die Regelungen über die Ausnahme-

zulassung beinhaltet und untrennbar über ein Regel-Ausnahme-Verhältnis mit Art. 6 Abs. 3

FFH-RL verknüpft ist, besteht ein solcher Kontext zwischen Art. 6 Abs. 4 FFH-RL und

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nicht.356 Durch die Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL

wollte der Richtliniengeber dem Eigentumsrecht Privater und der Planungshoheit der Mit-

gliedstaaten Rechnung tragen und die Planungs- und Projektfreiheit in ein ausgewogenes

Verhältnis zum widerstreitenden Naturschutz bringen.357 So sind Pläne und Projekte ge-

genüber anderen Beeinträchtigungsquellen privilegiert und der Anwendungsausschluss von

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erklärt sich mit dieser Privilegierung.358 Folglich soll Art. 6 Abs. 2

FFH-RL dort nicht zur Anwendung kommen, wo es sich um die Realisierung eines Projek-

tes oder Planes handelt.

353 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 32; OVG Münster, NWVBl. 2000, S. 54; Günes/Fisahn,

EurUP 2007, S. 221; Wirths, ZUR 2000, S. 191; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 32; Ramsauer, in: Erbguth, S. 115; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 65; Geller-mann, Natura 2000, S. 75; Kokott, NuR 2004, S. 589 f.; Iven, NuR 1996, S. 377; Thyssen, DVBl. 1998, S. 881; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 32; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 110.

354 Kador, FFH-Richtlinie, S. 33. 355 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 112. 356 Kador, FFH-Richtlinie, S. 33. 357 Kador, FFH-Richtlinie, S. 33; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 136; Gellermann, Natura 2000, S.

88; Berner, Der Habitatschutz, S. 119 f. 358 Kador, FFH-Richtlinie, S. 33; vgl. dazu Kirchhof, Die Implementierung der FFH-

Verträglichkeitsprüfung, S. 32 f.

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III. Umgebungsschutz und Summationseffekte

Weitere Voraussetzung einer Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL

ist, dass die zu erlassenden Pläne oder Projekte ein Natura 2000-Gebiet einzeln oder zu-

sammen mit anderen Plänen oder Projekten beeinträchtigen könnten. Dem lässt sich zum

einen entnehmen, dass die Vorschrift allein auf die unerwünschte Konsequenz einer erheb-

lichen Gebietsbeeinträchtigung abstellt. Diese Regelung verfolgt somit einen rein ergebnis-

orientierten Ansatz.359 Daher spielt es für die Begründung der Pflicht zur Durchführung

einer Verträglichkeitsprüfung keine Rolle, ob die zu prüfenden Pläne oder Projekte inner-

halb oder außerhalb des Schutzgebietes realisiert werden sollen.360 Maßgeblich ist vielmehr

ausschließlich ihre potenzielle Fähigkeit, dieses Schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen.

So kann zum Beispiel ein Feuchtgebiet durch ein Entwässerungsprojekt geschädigt werden,

das in einiger Entfernung von Grenzen des Feuchtgebietes angesiedelt ist.361 Demnach be-

gründet Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ebenso wie Art. 6 Abs. 1362 und Art. 6 Abs. 2 FFH-

RL363 einen Umgebungsschutz im weitesten Sinne, der auch Fernwirkungen von Eingriffen

und sonstigen Veränderungen im Umfeld eines besonderes Schutzgebietes erfasst.364 Die-

ses Ergebnis wird auch durch einen Vergleich mit Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bestätigt: Wenn

sich schon die Verbote des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf Maßnahmen außerhalb wie innerhalb

der Schutzgebiete erstrecken, dann muss erst recht die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6

Abs. 3 Satz 1 FFH-RL außer- und innerhalb des Schutzgebietes gelegene Pläne und Projek-

te erfassen.365

Aus dem zitierten Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL folgt zum anderen, dass es bei

der Feststellung der Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung nicht nur auf mögliche

gebietsbeeinträchtigende Wirkungen der zu prüfenden Pläne oder Projekte ankommt, son-

dern auch ihr Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten zu berücksichtigen sind.

Folglich sind Pläne und Projekte, welche für sich betrachtet die in Art. 6 Abs. 2 Satz 1 359 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 117; Gellermann, Natura 2000, S. 81; ders., NuR 1996, S. 552. 360 Allgemeine Meinung vgl. BVerwGE, 107, S. 17; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 222; Berg, Europäisches

Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 118; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 37; Schrödter, NdsVBl 1999, S. 179; Ssymank, NuL 1994, S. 398; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 121; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 117; Jarass, DÖV 1999, S. 667; Gellermann, Natura 2000, S. 81; Fisahn, ZUR 1996, S. 6; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 197.

361 Beispiel nach Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 37 362 Siehe 2. Teil, B. II. 363 Siehe 2. Teil, C. I. 4. 364 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 118; Jarass, NuR 2007, S. 374; Gellermann,

Natura 2000, S. 81; ders., NuR 1996, S. 552; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 117. 365 BVerwG, ZUR 1998, S. 32; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 121.

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FFH-RL festgesetzte Erheblichkeitsschwelle nicht überschreiten, dennoch einer Verträg-

lichkeitsprüfung zu unterziehen, wenn sie zusammen mit anderen Plänen oder Projekten

ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten.366 Die Verträglichkeitsprüfung soll

sich mithin nicht nur auf Wirkungen des einzelnen Vorhabens beschränken, sondern muss

auch Summationseffekte im Zusammenhang mit anderen Plänen und Projekten einbezie-

hen. Mit der Einbeziehung von Summationseffekten in die Verträglichkeitsprüfung wird

der Erkenntnis Rechnung getragen, dass ein für sich gesehen unschädliches Vorhaben im

Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten durchaus negative Folgen für ein

Schutzgebiet zeitigen kann.367 Zu erwartende Summationseffekte sind daher gleichermaßen

geeignet, die Prüfungspflicht zu aktivieren.368 Dementsprechend ist die Planung einer emit-

tierenden Anlage, die bei isolierter Betrachtung keine relevanten Emissionen verursacht,

dennoch einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, wenn sie gemeinsam mit anderen

Anlagen zu stofflichen Belastungen führt, die erhebliche Beeinträchtigungen eines Schutz-

gebietes möglich machen.369

Mit dem Merkmal der „anderen Pläne und Projekte“ verbindet sich allerdings die Schwie-

rigkeit, den Kreis der zu beachtenden Vorhaben angemessen zu begrenzen, denn die Richt-

linie trifft keine Aussage darüber, in welchem Stadium sie sich befinden müssen. Insofern

soll auf den Regelungszweck des Art. 6 Abs.3 Satz 1 FFH-RL zurückgegriffen werden, der

darin besteht, ein Frühzeitigkeitsgebot zu statuieren.370 Dementsprechend sind „andere Plä-

ne und Projekte“ im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL die bereits bestehenden Vorbe-

lastungen sowie künftig zu erwartende planungs- und projektbedingte Einflüsse, soweit

letztere im relevanten Prüfungszeitraum bereits hinreichend konkretisiert sind. Dies wird

beispielsweise bei Projekten wohl erst im Stadium der Einleitung eines behördlichen Zu-

lassungsverfahrens der Fall sein und bei Plänen, sobald sie eine gewisse planerische Ver-

festigung erreicht haben.371 Für die Berücksichtigungsfähigkeit solcher bereits bestehenden

366 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 117 f.; Jarass, NuR 2007, S. 374; Cosack, UPR 2002, S. 252;

vgl. auch Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 117; Gellermann, NuR 1996, S. 552. 367 Gellermann, NuR 1996, S. 552; vgl. auch Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 118; Apfelba-

cher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 70; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 37. 368 Gellermann, NuR 1996, S. 552; Ssymank, NuL 1994, S. 398. 369 So Gellermann, NuR 1996, S. 552; vgl. auch Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S.

117. 370 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 118; vgl. dazu Gellermann, NuR 1996, S. 552. 371 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 117 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie,

S. 118; Krautzberger/Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 102; Cosack, UPR 2002, S. 252; vgl. auch Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 38, die die Anwendung dieser Bestimmung über die Zusammenwirken auf andere Pläne und Projekte beschränken will, die tatsächlich vorgeschlagen worden sind.

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Vorbelastungen und künftig zu erwartenden planungs- und projektbedingten Einflüsse

kommt es dabei infolge des dargelegten ergebnisorientierten Ansatzes des Art. 6 Abs. 3

Satz 1 nicht darauf an, ob sie innerhalb oder außerhalb des jeweiligen Schutzgebietes zu

verzeichnen sind.372

IV. Grenzüberschreitende Prüfungspflicht

Zu beachten ist ferner, dass die Betrachtung exogener Ursachen keinen Halt vor den Gren-

zen eines europäischen Nachbarn macht, so dass die Verträglichkeitsprüfung in politisch-

geographischer Hinsicht gegebenenfalls auch grenzüberschreitend zu erfolgen hat.373 Die

Zulassung eines Vorhabens in einem Mitgliedstaat muss mithin die Auswirkungen auf ein

Schutzgebiet auch bei einem anderen EU-Nachbarn berücksichtigen. Dies ergibt sich aus

der Tatsache, dass das Gebot der Kohärenz des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura

2000 einen einheitlichen Schutz ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen fordert. Da mit der

Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung kein verbindlicher Hoheitsakt auf fremdem

Schutzgebiet gesetzt wird, sondern es sich vielmehr um informatorische Verwaltungstätig-

keit handelt, kommt hierbei keine Verletzung des völkerrechtlichen Territorialitätsprinzips

in Betracht.374 Zudem kann ein Mitgliedstaat auch gegenüber einem anderen Mitgliedstaat

die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung durchsetzen, wenn eine erhebliche Beein-

trächtigung grenznaher Gebiete droht.375

V. Verfahrensablauf der Verträglichkeitsprüfung

Wenn Art. 6 Abs. 3 FFH-RL als Verträglichkeitsprüfung (im weiteren Sinne) verstanden

wird, dann kann davon ausgegangen werden, dass sich aus den Vorgaben dieser Norm

prinzipiell ein dreistufiger Aufbau der Verträglichkeitsprüfung ergibt, in denen jeweils

eine zentrale Prüffrage beantwortet werden muss.376

372 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 118. 373 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 187; Kador, FFH-Richtlinie, S. 36; Fi-

scher-Hüftle, ZUR 1999, S. 69. 374 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 187; vgl. dazu Stein/von Buttlar, Völker-

recht, Rn. 535 ff. 375 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 187. 376 So Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 74; Kador, FFH-Richtlinie, S. 33; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsrege-

lungen, S. 306; Sporbeck, UVP-Report 1998, S. 241; Edhofer, BayVBl. 2000, S. 554 f.; Lorenz, Harmoni-

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1. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL sieht zunächst eine allgemeine Vorprüfung vor, in der ge-

prüft werden soll, ob überhaupt die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung besteht

(Vorprüfung bzw. FFH-Screening).

2. Erst bei Bejahung der erstgenannten Frage wird die Pflicht zur Durchführung einer Ver-

träglichkeitsprüfung ausgelöst. In diesem Schritt geht es um die Prüfung der Verträglich-

keit des Vorhabens mit den Erhaltungszielen (Verträglichkeitsprüfung bzw. Verträglich-

keitsprüfung im eigentlichen Sinne).

3. Abschließend wird in einem dritten Schritt nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL auf

Grundlage der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung über die Zulassung des Planes oder

Projektes entschieden. Hierbei soll die Frage beantwortet werden, ob eine Beeinträchtigung

des Gebietes als solches vorliegt (Verträglichkeitsgrundsatz bzw. Zulassungsentscheidung)

1. Vorprüfung

Die Vorprüfung377 ist eine überschlägige Prüfung, in der ermittelt wird, ob Pläne oder Pro-

jekte überhaupt geeignet sind, um zu einer Erheblichen Beeinträchtigung zu führen. Recht-

liche Grundlage für die Vorprüfung, die Bestandteil der Verträglichkeitsprüfung im weite-

ren Sinne ist, bildet Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL.378 Die Vorprüfung ist der eigentlichen

Verträglichkeitsprüfung vorgeschaltet und mit ihrer Hilfe wird die Notwendigkeit der

Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung festgestellt.379 Mittels dieses Instruments sol-

len Pläne und Projekte ausgesondert werden, die keine erheblichen Beeinträchtigungen im

Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL aufweisen. Sie übernimmt mithin eine Filterfunkti-

on und dient damit der Verfahrensökonomie. Neutrale Pläne und Projekte, sollen somit

nicht dem erheblichen Prüfungsaufwand der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3

sierung des Verfahrens S. 79; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 58 f.; vgl. dazu Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 32.

377 Begriff so verwendet bei Kador, FFH-Richtlinie, S. 33; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 222; Kremer, ZUR 2007, S. 300; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 306; Burmeister, NuR 2004, S. 297; Lo-renz, Harmonisierung des Verfahrens S. 79; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 167; Edhofer, BayVBl. 2000, S. 554 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 114; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 59, Fn. 202; Fisahn, in: Erbguth, S. 95; auch als vorläufige fachliche Prognose wird bezeichnet bei Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 184.

378 Kador, FFH-Richtlinie, S. 34; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 40 f.; Bur-meister, NuR 2004, S. 298; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 305.

379 Kador, FFH-Richtlinie, S. 34; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 222; Kremer, ZUR 2007, S. 300; Köp-pel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 305.

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Satz 1 FFH-RL und der Ausnahmezulassung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL unterworfen

sein.380

Im Rahmen einer indiziellen Wirkung liefert die Vorprüfung einen Anfangsverdacht, den

es mit der Verträglichkeitsprüfung zu überprüfen gilt. Das heißt, ob ein Plan oder Projekt

tatsächlich zu einer erheblichen Beeinträchtigung eines Schutzgebietes im Sinne von Art. 6

Abs. 3 Satz 1 FFH-RL führen kann, ist erst im Rahmen der eigentlichen Verträglichkeits-

prüfung zu untersuchen.381 Die Vorprüfung befreit somit bei bestimmten Plänen und Pro-

jekten den Vorhabensträger von der Verpflichtung zur Durchführung einer Verträglich-

keitsprüfung. Da die Verträglichkeitsprüfung ein umfangreiches und zeitraubendes Verfah-

ren ist, dient die Vorprüfung diesbezüglich auch der Verfahrensbeschleunigung.382

In der Vorprüfung sind grundsätzlich zwei Fragen zu beantworten. Zunächst ist zu klären,

ob es sich bei den vorgesehenen Aktivitäten um ein Projekt oder einen Plan im Sinne von

Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL handelt (Rechtliche Prüfpflichtigkeit). Weiterhin ist zu ermit-

teln, ob es in der konkreten Konstellation von Plan bzw. Projekt und Natura 2000-Gebiet

die Möglichkeit besteht, dass es zu einer erheblichen Beeinträchtigung kommen kann oder

erhebliche Beeinträchtigung hinreichend sicher ausgeschlossen werden können (Sachliche

Möglichkeit erheblicher Beeinträchtigungen).383

Eine Vorprüfung ist in diesem Kontext immer dann entbehrlich, wenn schon ohne weitere

Prüfung erkennbar ist, dass das Vorhaben geeignet ist, erhebliche Beeinträchtigungen des

Schutzgebietes hervorzurufen. In diesem Fall kann ohne Vorprüfung direkt in die Verträg-

lichkeitsprüfung eingestiegen werden.384

a) Erheblichkeit als Voraussetzung der Verträglichkeitsprüfung

Aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL, wonach Pläne und Projekte einer Ver-

träglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, sobald sie ein Schutzgebiet erheblich beeinträch-

tigen könnten, folgt, dass bereits die ernsthafte Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügt,

380 Kador, FFH-Richtlinie, S. 34. 381 Kador, FFH-Richtlinie, S. 34; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 222; Berg, Europäisches Naturschutzrecht

und Raumordnung, S. 114; vgl. dazu Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 167; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 306.

382 Kador, FFH-Richtlinie, S. 34; Burmeister, NuR 2004, S. 298; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 79.

383 Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 308; Kremer, ZUR 2007, S. 300. 384 Burmeister, NuR 2004, S. 298; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 116; vgl.

auch Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 33 f.

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um die Prüfungspflicht zu aktivieren.385 So ist die Durchführung einer Verträglichkeitsprü-

fung an Tatbestandsmerkmale gebunden, die mit Blick auf das Kriterium der Erheblichkeit

positiv festgestellt werden müssen. Daher ist im Rahmen einer Vorprüfung zu untersuchen,

ob die geplanten Aktivitäten geeignet sind, das Schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen,

bevor die Verträglichkeitsprüfung im engeren Sinne durchgeführt wird.

Dabei sind Intensitätskriterien wie das Merkmal der Erheblichkeit mit der Schwierigkeit

verknüpft, sich einer abstrakten Beschreibung weitgehend zu entziehen. So findet die Fra-

ge, wann genau eine Beeinträchtigung als erheblich anzusehen ist, im Schrifttum keine ein-

deutige Antwort. Zu klären ist diesbezüglich zum einen die Frage, welche Intensität eine

Beeinträchtigung annehmen muss, um als erheblich eingestuft zu werden. Umstritten ist

zum anderen, ob sich eine erhebliche Beeinträchtigung auf das gesamte Schutzgebiet oder

nur auf die zu schützenden Arten und Lebensräume beziehen muss.

Bezüglich der ersten Frage wird teilweise die Meinung vertreten, dass eine erhebliche Be-

einträchtigung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL bei jeder Beeinträchtigung der durch Art.

6 Abs. 2 FFH-RL geschützte Gebietsbestandteile vorliege.386 Daher sei eine Verträglich-

keitsprüfung immer dann durchzuführen, wenn die notwendigen Gebietsbestandteile in

negativer Weise beeinflusst werden könnten, und zwar unabhängig von der Schwere der

Beeinträchtigung. Wirke sich dagegen ein Vorhaben nicht auf jene Gebietsteile, sondern

allein auf die sich umgebenden Rund- oder Pufferzonen im Schutzgebiet aus, müssten die

zu erwartenden nachteiligen Auswirkungen von einigem Gewicht und einer Schwere sein,

um eine Verträglichkeitsprüfung auszulösen.387 Diese Auffassung geht insoweit von einer

weiteren Auslegung des Merkmals der Erheblichkeit aus. Zur Begründung wird dabei auf

Unterschiede zwischen Art. 6 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL verwiesen: Art. 6 Abs. 2

FFH-RL sehe mit Blick auf geschützte Lebensraumtypen und Habitate geschützter Arten

ein generelles Verschlechterungsverbot vor, welches nicht von einer Erheblichkeitsschwel-

le abhänge. Dagegen beziehe sich Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL auf das gesamte Schutzge-

385 Vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 134, Rn. 40; BVerwG, ZUR 1998, S. 32; Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 118 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 78; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 70; Ka-dor, FFH-Richtlinie, S. 37; Thyssen, DVBl. 1998, S. 879.

386 Gellermann, Natura 2000, S. 79; ders., NuR 1996, S. 551; Kremer, ZUR 2007, S. 300; Beck-mann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2; Erbguth, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 66; Wirths, ZUR 2000, S. 192; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 390; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 212; Düppen-becker/Greiving, UPR 1999, S. 176; vgl. dazu Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 122; Erbguth/Schink, UVPG, Einl. Rn. 100a, die bei jeder potentiellen Gefährdung der Erhaltungsziele eines besonderen Schutzgebietes dieses Merkmal bejahen.

387 Erbguth, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 66; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2; Gellermann., NuR 1996, S. 551.

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biet unter Einfluss von Rand- und Pufferzonen, setze aber dafür die Schwelle möglicher

Beeinträchtigungen höher an. Um Wertungswidersprüche zwischen dem zugunsten der

notwendigen Gebietsbestandteile begründeten absoluten Verschlechterungsverbot und der

Pflicht zur Durchführung der Verträglichkeitsprüfung zu vermeiden, müsse jede Beein-

trächtigung der von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfassten Gebietsbestandteile als erhebliche Be-

einträchtigung des Schutzgebietes im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL verstanden

werden.388

Eine andere Ansicht im Schrifttum geht hingegen davon aus, dass die Erheblichkeits-

schwelle erst dann überschritten sei, wenn eine Beeinträchtigung von solchem Ausmaß ist,

dass mögliche negative Auswirkungen auf den zu schützenden Artenbestand oder die zu

schützenden Habitate dauerhaft und nicht nur ganz vorübergehend sowie in schwerwiegen-

der Weise möglich seien.389 Dagegen wird aber zu Recht darauf hingewiesen, dass die Be-

stimmung des Merkmals Erheblichkeit nicht pauschal von der Dauerhaftigkeit der Auswir-

kungen abhängen kann, auch wenn eine nachhaltige Wirkung eher erheblich beeinträchtigt

wird als eine nur vorübergehende.390

Schließlich werden von einer dritten Auffassung alle möglichen negativen Auswirkungen

als erheblich eingestuft, die den ökologischen Zustand eines Schutzgebietes in nennenswer-

tem Umfang verschlechtern können, wobei die Schutzwürdigkeit der betroffenen natürli-

chen Lebensraumtypen und Arten zu berücksichtigen sei.391

In einem solchen Meinungsspektrum erscheint es angebracht, den Sinngehalt der Tatbe-

standsvoraussetzungen der erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen näher zu ermitteln.

Dementsprechend ist zunächst zu klären, welches Bezugsobjekt die Vorprüfung nach Art. 6

Abs. 3 Satz 1 FFH-RL haben muss. Der Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL spricht

insoweit lediglich von Plänen und Projekten, die ein solches Gebiet erheblich beeinträchti-

gen könnten. Mit dem Begriff „Gebiet“ unterscheidet diese Vorschrift im Hinblick auf das

Bezugsobjekt deutlich von Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, der für das Störungs- und Verschlechte-

rungsverbot die zur Erreichung des Erhaltungsziels notwendigen Gebietsbestandteile als

Bezugsobjekt konkretisiert. Ein Vergleich des Wortlautes beider Vorschriften legt somit

die Interpretation nahe, dass der Begriff Gebiet nicht nur die notwendigen Gebietbestand-

teile im Sinne derjenigen natürlichen Lebensräume und Arten umfasst, die die Unterschutz- 388 Gellermann, Natura 2000, S. 79; ders., NuR 1996, S. 551; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2. 389 Schink, UPR 1999, S. 423; ders., BauR 1998, S. 1173; ders., FS Hoppe, S. 602; Koch, Europäisches Ha-

bitatschutzrecht, S. 33. 390 Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 91. 391 Niederstadt, NuR 1998, S. 524; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74.

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stellung veranlasst haben, sondern das Schutzgebiet in seiner Gesamtheit in den Blick

nimmt.392 Folglich ist in der Vorprüfung der gesamte Naturhaushalt des Gebietes als Be-

zugsobjekt zu wählen.393 Dabei wird aber auch die Auffassung vertreten, dass das Bezugs-

objekt des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL allein die zu Schützende Art oder der zu schützen-

de Lebensraum sei.394 Dies ergebe sich aus dem Zweck der Unterschutzstellung. Da die

Einrichtung des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 der Erhaltung der Lebensräume und Ar-

ten diene, derentwegen das Schutzgebiet ausgewiesen wurde, solle die Bestimmung der

Erheblichkeit wesentlich davon abhängen, ob die Gefahr besteht, dass es zu einer Beein-

trächtigung der Lebensräume und der dort vorkommenden geschützten Arten komme. In

diesem Sinne müsse sich der Plan bzw. das Projekt erheblich auf die mit der Ausweisung

eines Gebiets verfolgten Erhaltungsziele im Sinne des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auswirken, so

dass nicht jede negative Auswirkungen auf das Schutzgebiet und auch nicht auf dessen

Kernbereich genüge, um eine Prüfungspflicht auszulösen.395 Diese Ansicht berücksichtigt

jedoch nicht die Filterfunktion der Vorprüfung und die Aufgabe des gestuften Verfahrens,

die ausdrücklich zwischen der Vorprüfung und der Verträglichkeitsprüfung unterschei-

det.396 Die Vorprüfung dient grundsätzlich nur einer groben Orientierung und ist deshalb

nicht im Hinblick auf den Unterschutzstellungsgrund durchzuführen. Die von dieser An-

sicht zum Ausdruck gebrachte Betrachtung kann erst die Verträglichkeitsprüfung leisten.397

Während durch die Vorprüfung ermittelt werden soll, ob durch Pläne und Projekte erhebli-

che Beeinträchtigungen eines Schutzgebietes in seiner Gesamtheit auftreten können, ist in

der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung zu klären, ob ein Plan oder Projekt zu einer erheb-

lichen Beeinträchtigung eines Schutzgebietes in seinen für die Erhaltungsziele maßgebli-

chen Bestandteilen führen kann.

Nachdem festgestellt wurde, auf welches Bezugsobjekt sich die Vorprüfung zu beziehen

hat, soll nun die Frage nach der Bestimmung der Bedeutung des Merkmals Erheblichkeit

im Sinne von Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL nachgegangen werden. Dabei ist es auffällig, 392 Gellermann, Natura 2000, S. 78 f.; ders., NuR 1996, S. 551; Kador, FFH-Richtlinie, S. 36; vgl. dazu

Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 186. 393 Gellermann, Natura 2000, S. 78 f.; ders., NuR 1996, S. 551; Kador, FFH-Richtlinie, S. 36; Erb-

guth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 453; vgl. Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 90 f. 394 Jarass, ZUR 2000, S. 185 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 120 f.; Schink, GewArch 1998, S.

45; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 31; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumord-nung, S. 116.

395 Jarass, ZUR 2000, S. 185 f. 396 Kador, FFH-Richtlinie, S. 37; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 316; vgl. auch Berg, Euro-

päisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 116. 397 Kador, FFH-Richtlinie, S. 37; vgl. dazu Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 116;

Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 90 f.; Burmeister, NuR 2004, S. 297.

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dass die Richtlinie bei der Vorprüfung das Merkmal der Erheblichkeit einfordert, während

es bei der Zulassungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL ausdrücklich keine

Erwähnung mehr findet. Dies erklärt sich mit dem Umstand, dass die Vorprüfung den ge-

samten Naturhaushalt eines Schutzgebietes als Bezugsobjekt wählt, während das restliche

Schutzregime der FFH-Richtlinie, einschließlich der Verträglichkeitsprüfung, funktions-

spezifisch ist und sich an den für die notwendigen Gebietsbestandteile festgelegten Erhal-

tungszielen ausrichtet.398 Die Bestimmung des Begriffs Erheblichkeit kann daher unter Be-

rücksichtigung des Bezugsobjekts festgelegt werden.

Schon um Wertungswidersprüche zwischen dem zugunsten der notwendigen Gebietsbe-

standteile begründeten Verschlechterungsverbot und der Pflicht zur Durchführung der Ver-

träglichkeitsprüfung zu vermeiden, muss jede nicht ausschließbare Beeinträchtigung der

durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL geschützten Gebietsbestandteile als erheblich im Sinne des

und Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL eingestuft werden.399 Denn es ist kaum anzunehmen, dass

das Gemeinschaftsrecht einerseits jede Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und

Habitate der Arten in den Schutzgebieten verhindert wissen wollte, andererseits aber nur

solche Pläne und Projekte einer Verträglichkeitsprüfung unterziehen wollte, deren Realisie-

rung möglicherweise zu schwerwiegenden Beeinträchtigungen eben jener Gebietsbestand-

teile führt.400

Die Erheblichkeitsschwelle soll in diesem Kontext jedenfalls überschritten sein, wenn die

Gefahr besteht, dass mit den Plänen oder Projekten die für das Schutzgebiet festgelegten

Erhaltungsziele vereitelt werden.401 Jede Folge eines Plans oder Projektes, die sich nachtei-

lig auf die Erhaltungsziele eines Schutzgebietes auswirken kann, ist damit als erheblich

anzusehen.402 Dabei erscheint eine Differenzierung zwischen Vorhaben angebracht, die

sich auf notwendige Gebietsbestanteile beziehen, und solche, die lediglich die Gebietsku-

lisse beanspruchen oder außerhalb der Grenzen eines Schutzgebietes realisiert werden, da

die Vorprüfung nicht die Beeinträchtigung notwendiger Gebietsbestandteile, sondern die

Beeinträchtigung des Schutzgebietes in seiner Gesamtheit voraussetzt. Zunächst sollen Be- 398 Kador, FFH-Richtlinie, S. 37; vgl. auch Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 30; Kirchhof, Die

Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 64. 399 Gellermann, Natura 2000, S. 79; ders., NuR 1996, S. 551; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 212

f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 118; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 390; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2; vgl. auch Kremer; ZUR 2007, S. 300; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 33:

400 Gellermann, Natura 2000, S. 79; ders., NuR 1996, S. 551. 401 Vgl. EuGH, Urteil vom 7.9.2004 – C-127/02, Slg. 2004, I-7405, Rn. 49 ff.; BVerwG, Urteil vom

17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 41; Kremer; ZUR 2007, S. 300; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 222; Stüer, DVBl. 2007, S. 421 f.

402 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 41; Kremer; ZUR 2007, S. 300.

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einträchtigungen als erheblich eingestuft werden, die sich auf maßgebliche Gebietsbestand-

teile beziehen. Die Beeinträchtigungen der maßgeblichen Gebietesbestandteile sind daher

grundsätzlich als erheblich anzusehen. Die letzteren, die nur die Gebietskulisse beanspru-

chen oder außerhalb des Schutzgebietes durchgeführt werden sollen, sind dagegen nur dann

als erheblich einzustufen, wenn sie zu einer nicht auszuschließenden Beeinträchtigung der

maßgeblichen Gebietsbestanteile führen können. Bei Beeinträchtigungen der Gebietskulis-

se im Rahmen einer Vorprüfung kommt dem Merkmal der Erheblichkeit deswegen kein

absoluter, sondern nur ein indizieller Charakter zu. Wenn bereits in der Vorprüfung erheb-

liche Beeinträchtigungen der Gebietskulisse möglich erscheinen, ist regelmäßig die für die

Vorprüfung notwendige Schwelle der Möglichkeit erreicht, um dann die Durchführung

einer Verträglichkeitsprüfung erforderlich zu machen.403

b) Bewertungsmaßstab in der Vorprüfung

Im Rahmen der Vorprüfung soll grundsätzlich ermittelt werden, ob die konkrete Möglich-

keit einer erheblichen Beeinträchtigung eines Schutzgebietes besteht. Der Vorprüfung liegt

dementsprechend nicht die Gewissheit, sondern die Wahrscheinlichkeit von erheblichen

Auswirkungen zugrunde. Der Bewertungsmaßstab bei der Vorprüfung ist damit eine Wahr-

scheinlichkeitsbeurteilung.404 Die Wahrscheinlichkeit stellt im Sinne des Vorsorgeprinzips

eine verhältnismäßig niedrige Schwelle dar. Danach soll eine nicht offensichtlich auszu-

schließende Möglichkeit einer Beeinträchtigung genügen, die Pflicht zur Verträglichkeits-

prüfung auszulösen.405 Grundsätzlich gilt im Rahmen der Vorprüfung ein strenger Vorsor-

gegrundsatz. Dementsprechend soll die anschließende Verträglichkeitsprüfung bereits dann

erforderlich sein, wenn die Wahrscheinlichkeit oder Gefahr besteht, dass Vorhaben das

betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen. Grad der Wahrscheinlichkeit ist dann er-

reicht, wenn anhand objektiver Umstände nicht ausgeschlossen werden kann, dass ein Vor-

haben das fragliche Gebiet in erheblicher Weise beeinträchtigt.406 Das Vorsorgeprinzip

verlangt jedoch nicht, die FFH-Verträglichkeitsprüfung auf ein Nullrisiko auszurichten.

403 Kador, FFH-Richtlinie, S. 39; vgl. Gellermann, NuR 1996, S. 551. 404 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 36 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 39; Gellermann, Na-

tura 2000, S. 79; vgl. auch Jarass, ZUR 2000, S. 187; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 313 f.; Cosack, UPR 2002, S. 251.

405 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 58; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 224. 406 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 58; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 224; vgl. dazu Ka-

dor, FFH-Richtlinie, S. 39.

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Denn ein Nullrisiko ist wissenschaftlich nicht nachweisbar.407 Rein theoretische Besorgnis-

se sind zudem nicht entscheidungsrelevant und bei der Behördenprüfung sind sie damit

nicht zu berücksichtigen. Bei der Vorprüfung, ob eine FFH-Verträglichkeitsprüfung gebo-

ten ist, müssen zumindest vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträch-

tigungen bestehen, d.h. eine Verträglichkeitsprüfung ist nur erforderlich, wenn und soweit

derartige Beeinträchtigungen nicht offen-sichtlich ausgeschlossen werden können.408

Während in der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung sowohl endogene als auch exogene

Beeinträchtigungsquellen gleichermaßen zu berücksichtigen sind, erfordert die Vorprüfung

eine differenzierende Behandlung von endogenen und exogenen Beeinträchtigungsquellen.

Im Rahmen einer Vorprüfung liegt die für die Vorprüfung notwendige Wahrscheinlichkeit

grundsätzlich vor, sofern es sich um Pläne und Projekte handelt, die notwendige Gebietsbe-

standteile benötigen. Bei exogenen Beeinträchtigungsquellen, die nur mittelbaren Einfluss

auf das Schutzgebiet nehmen liegt indes eine solche notwendige Wahrscheinlichkeit nicht

vor. In diesem Fall dürfen lediglich offensichtliche Fallvarianten zu einer ausreichend

prognostizierten Einschätzung führen.409

2. Verträglichkeitsprüfung

a) Prüfungsinhalt

Als Rechtsfolge ordnet Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL die Pflicht zur Prüfung des mögli-

cherweise gebietsbeeinträchtigenden Vorhabens, auf die Verträglichkeit mit den für das

jeweilige Schutzgebiet festgelegten Erhaltungszielen, an. Erfüllt ein Plan bzw. ein Projekt

die in dieser Vorschrift niedergelegten Voraussetzungen, so muss eine Verträglichkeitsprü-

fung durchgeführt werden, die der Beantwortung der Frage dient, ob das Vorhaben mit den

für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen vereinbar ist.410 Die abschließende Prüfung,

407 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 60; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 224; Kremer; ZUR

2007, S. 302. 408 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 60; EuGH, ZUR 2006, S. 134, Rn. 40; Gü-

nes/Fisahn, EurUP 2007, S. 224; Kremer; ZUR 2007, S. 303; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 314; Kador, FFH-Richtlinie, S. 39; dazu auch Gellermann, Natura 2000, S. 79; Jarass, ZUR 2000, S. 187; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 116.

409 Kador, FFH-Richtlinie, S. 39; vgl. dazu Burmeister, NuR 2004, S. 299. 410 Gellermann, Natura 2000, S. 82; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 123; Kues, Flora-

Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 123.

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ob ein Plan oder ein Projekt tatsächlich zu einer Beeinträchtigung eines Gebietes führen

kann, erfolgt damit im Rahmen der (eigentlichen) Verträglichkeitsprüfung.411

Die Verträglichkeitsprüfung liefert die notwendige Grundlage für die Zulassungsentschei-

dung und auch wertvolle Informationen für eine sachgerechte Entscheidung im Rahmen

der Ausnahmezulässigkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL.412 Die Verträglichkeitsprüfung hat

nicht zum Ziel, erhebliche Beeinträchtigungen eines Gebietes mit letzter Sicherheit vorher-

zusagen; sie ist eher eine Prognoseentscheidung und bewertet keine realen, sondern nur die

durch den Plan bzw. das Projekt zu erwartenden Auswirkungen.413 Der Prognosemaßstab

der Verträglichkeitsprüfung unterscheidet sich allerdings vom Maßstab der Vorprüfung.

Anders als bei der Vorprüfung, in der die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung

untersucht wird, kommt es bei der Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich darauf an, ob eine

Beeinträchtigung hinreichend wahrscheinlich ist und mit ausreichender Sicherheit tatsäch-

lich festgestellt werden kann.414 Bei der ausreichenden Sicherheit müssen überwiegend die

Gründe für die Beeinträchtigung sprechen und Unsicherheiten müssen zu Lasten des Vor-

habensträgers gehen.415 Im Gegensatz zur Vorprüfung müssen bei der Verträglichkeitsprü-

fung außerdem auch weiter entfernt liegende Daten ermittelt und analysiert werden. Das

Bundesverwaltungsgericht verlangt diesbezüglich die Berücksichtigung der besten ein-

schlägigen wissenschaftlichen Erkenntnisse und damit die Ausschöpfung aller wissen-

schaftlichen Mittel und Quellen.416 Dabei sind unter Mittel die besten Untersuchungsme-

thoden, unter Quellen vorhandene Erkenntnisse zu verstehen.417 Erst die Gesamtschau aller

zugänglichen und verwertbaren Daten schafft die nötige Sicherheit im Ergebnis.418 Wann

diese ausreichende Sicherheit vorliegt, dürfte dabei, wie das generell im Umweltrecht gilt,

411 Vgl. BVerwG, NuR 2002, S. 740; Hösch, NuR 2004, S. 212; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

123. 412 Kador, FFH-Richtlinie, S. 40. 413 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 185; Kador, FFH-Richtlinie, S. 40. 414 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 133; Jarass, ZUR 2000, S. 187; Kador, FFH-

Richtlinie, S. 40. 415 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 185; Kador, FFH-Richtlinie, S. 40. 416 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 61 ff.; in dieser Richtung auch EuGH, Urteil vom

7.9.2004 – C-127/02, Slg. 2004, I-7405, Rn. 54. Das BVerwG spricht in diesem Urteil zudem von einer Dokumentationspflicht. Danach sind die im Rahmen der FFH-Verträglichkeitsprüfung gewonnenen fach-wissenschaftlichen Erkenntnisse grundsätzlich zu dokumentieren, um den Beleg dafür zu liefern, dass der beste wissenschaftliche Standard erreicht worden ist. Ohne eine Dokumentation ist die als rechtswidrig anzusehen. Vgl. dazu Kremer; ZUR 2007, S. 302 f.; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 224 f.

417 Kremer; ZUR 2007, S. 302. 418 Kador, FFH-Richtlinie, S. 40; vgl. auch Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 316.

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relativ zu ermitteln sein.419 Der Habitatschutz darf allerdings hierbei nicht durch einen zu

hohen Grad der Wahrscheinlichkeit ausgehebelt werden. Nicht geboten ist in diesem Kon-

text ein Maßstab der absoluten Sicherheit, der dazu zwingen würde, dass annähernd alle

Gründe für eine Beeinträchtigung sprechen.420 Dabei gilt der Grundsatz, je größer die dro-

hende Gefahr und je seltener die bedrohende Arten sind, desto geringere Anforderungen an

die ausreichende Sicherheit zu stellen.421 Hierbei spielt die Einordnung eines Gebietes mit

prioritärer Bedeutung ebenso eine Rolle, wie Größe, Funktion und geographische Lage des

Gebietes.422

b) Prüfungsmaßstab

Bereits aus dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ergibt sich, dass die Erhal-

tungsziele des Gebietes, die an denjenigen Lebensräumen und Arten ausgerichtet werden,

denen das Schutzgebiet gewidmet ist, bei der Verträglichkeitsprüfung als Maßstab heran-

zuziehen sind.423 Als Bewertungsmaßstab für die Beurteilung der Erheblichkeit und damit

für die Verträglichkeit des Planes oder Projektes kommt den Erhaltungszielen zentrale Be-

deutung zu. Die Verträglichkeitsprüfung ist auf diese Weise funktionsspezifisch und ver-

folgt unter Berücksichtigung der Erhaltungsziele den Schutz der notwendigen Gebietsbest-

anteile.424

Wie bereits ausgeführt, beschreiben die Erhaltungsziele allgemein den für ein Gebiet von

gemeinschaftlicher Bedeutung angestrebten Zielzustand, der für die nachhaltige Sicherung

der Lebensräume und Arten nach den Anhängen I und II der FFH-RL. Sie sind daher re-

gelmäßig naturschutzrechtlicher Art. Die Informationen, die gemäß dem von der Kommis-

419 Jarass, ZUR 2000, S. 187; vgl. dazu Jarass, BImSchG, § 3, Rn. 42 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 14, Rn.

63 f. 420 Kador, FFH-Richtlinie, S. 40; vgl. auch Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S.

185. 421 Jarass, ZUR 2000, S. 187; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 133; Schink, DÖV

2002, S. 53; Cosack, UPR 2000, S. 315; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74; vgl. auch OVG NW, NVwZ 1991, S. 1202.

422 Kador, FFH-Richtlinie, S. 40. 423 Vgl. Leist, Lebensraumschutz, S. 94; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 214; Wirths, Naturschutz

durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 185; Fisahn, in: Erbguth, S. 100; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74; Jarass, ZUR 2000, S. 186.

424 Kador, FFH-Richtlinie, S. 41; Jarass, NuR 2007, S. 374; vgl. Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 324.

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sion nach Art. 4 Abs. 2 FFH-RL ausgearbeiteten Standardbogen übermittelt werden, sind

dabei als Grundlage für die Festlegung der Erhaltungsziele für das Gebiet heranzuziehen.425

Da die Festlegung der Erhaltungsziele nach der Konstruktion der Richtlinie erst mit Ab-

schluss der dritten Verfahrensstufe durch die nationale Ausweisung im Sinne von Art. 4

Abs. 4 FFH-RL geschieht, kann sich im Falle der Anwendung des Art. 6 Abs. 3 Satz 1

FFH-RL vor der Ausweisung einer Fläche als besonderes Schutzgebiet das Problem stellen,

dass die Erhaltungsziele noch nicht im Ausweisungsakt festgelegt wurden. Aus dem Um-

stand, dass einer solchen Festlegung nicht vorgegriffen werden darf, folgt, dass im Falle

ihres Fehlens auf sämtliche im Gebiet signifikant vorhandenen Lebensräume des Anhangs I

und Arten des Anhangs II als Prüfungsmaßstab abzustellen ist.426 Nichtsignifikante Lebens-

räume und Arten, die mithin für die Aufnahme des Gebietes in das Netz Natura 2000 keine

Bedeutung haben, sind bei der Bestimmung der Erhaltungsziele nicht zu berücksichti-

gen.427

Das Bundesverwaltungsgericht weist in seinem Urteil zur Westumfahrung Halle diesbe-

züglich darauf hin, dass mit Blick auf die Erhaltungsziele des Schutzgebietes allein der

„günstige Erhaltungszustand“ der geschützten Lebensräume und Arten ein geeignetes Be-

wertungskriterium sein kann.428 Die in der Legaldefinition des günstigen Erhaltungszustan-

des in Art. 1 lit. e) und i) FFH-RL aufgeführten Unterschiede lassen nach Auffassung des

Bundesverwaltungsgerichts die Schlussfolgerung zu, dass dementsprechend unterschiedli-

che naturschutzfachliche Kriterien eine Rolle spielen können. Außerdem sei zu beachten,

dass einzelne Lebensräume und Arten in der Regel jeweils unterschiedliche Empfindlich-

keiten, d.h. „Reaktions- und Belastungsschwellen“ haben. Es soll gefragt werden, ob sicher

ist, dass ein günstiger Erhaltungszustand trotz Durchführung des Vorhabens stabil bleiben

wird, wobei in der Ökosystemforschung „Stabilität“ die Fähigkeit bezeichne, nach einer

Störung wieder zum ursprünglichen Gleichgewicht zurückzukehren.429 Somit seien bei der

Bewertung des günstigen Erhaltungszustandes Reaktions- und Belastungsschwellen der

geschützten Arten und Lebensraumtypen zu berücksichtigen. Dabei stellt das Gericht klar, 425 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 41; Burmeister, NuR 2004, S. 301; vgl. Apfelba-

cher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1700. 426 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 185; Berg, Europäisches Naturschutz-

recht und Raumordnung, S. 132; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 325; Burmeister, NuR 2004, S. 301; Thyssen, DVBl. 1998, S. 880; vgl. dazu OVG Münster, NuR 2000, S. 172; a.A. Weihrich, DVBl. 1999, S. 1700, der von einer Antizipierung der Erhaltungsziele ausgeht.

427 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 132; Kador, FFH-Richtlinie, S. 41; Europäi-sche Kommission, Gebietsmanagement, S. 41.

428 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 43; vgl. auch Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 223. 429 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 43.

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dass die Frage des günstigen Erhaltungszustandes spezifisch für einzelne Lebensräume und

Arten zu ermitteln ist.430

Da der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 2 Abs. 2 FFH-RL gegebenenfalls auch die Wie-

derherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes des jeweiligen Gebietes fordert, soll

neben der Erhaltung des gegenwärtigen Zustandes der Lebensräume und Arten des Gebie-

tes (Ist-Zustand) auch die Entwicklungspotentiale bzw. Entwicklungsziele des Gebietes

(Soll-Zustand) bei der Verträglichkeitsprüfung berücksichtigt werden.431 Dementsprechend

ist der Prüfungsumfang der Verträglichkeitsprüfung nicht nur auf den Status quo zu be-

schränken, sondern darüber hinaus auch auf eventuell vorhandene Entwicklungspotentiale

auszudehnen.

In seinem Urteil zur Westumfahrung Halle geht das Bundesverwaltungsgericht zudem zu

Recht davon aus, dass bei der Verträglichkeitsprüfung auch Schutz- und Kompensations-

maßnahmen, die der Minimierung oder Vermeidung von schädlichen Auswirkungen des zu

prüfenden Vorhabens dienen, durchaus zu berücksichtigen sind.432 Wenn durch Schutz-

und Kompensationsmaßnahmen gewährleistet sei, dass ein günstiger Erhaltungszustand der

geschützten Lebensraumtypen und Arten stabil bleibt, könne das Vorhaben zugelassen

werden. Die Anforderungen, die das Bundesverwaltungsgericht an Schutz- und Kompensa-

tionsmaßnahmen stellt, sind allerdings hoch. Das Gericht weist hierbei zunächst darauf hin,

dass es nachzuweisen sei, dass Schutz- und Kompensationsmaßnahmen erhebliche Beein-

trächtigungen wirksam verhindern. Risiken und Beurteilungsschwierigkeiten zur Wirksam-

keit der Maßnahmen gingen dabei zu Lasten des Vorhabens. Des Weiteren sei in zeitlicher

Hinsicht erforderlich, dass solche Maßnahmen bereits zum Zeitpunkt der Beeinträchtigung

wirkten. Schließlich könne das Vorhaben, welches erhebliche beeinträchtigende Auswir-

kungen auf ein besonderes Schutzgebiet zeitigen kann, nicht zugelassen werden, wenn ein

durch das Vorhaben verursachter ökologischer Schaden durch das Schutzkonzept nur ab-

gemildert würde. Die dann allenfalls konfliktmindernden Vorkehrungen seien nur als Aus-

gleichsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu werten. Diese sind damit allein

430 Vgl. Kremer, ZUR 2007, S. 301; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 223. 431 Eingehend dazu Leist, Lebensraumschutz, S. 94 f.; vgl. auch Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 223; Köp-

pel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 326; Wirths, ZUR 2000, S. 192; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 68; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74; Cosack, UPR 2002, S. 251 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 124; Gellermann, Natura 2000, S. 82; a. A. Freytag/Iven, NuR 1995, S. 112, die die Verträglichkeitsprüfung nur auf den derzeitigen Zustand eines Gebietes beschränken wollen.

432 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 58 ff.; dazu auch Kremer, ZUR 2007, S. 302; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 124; Jarass, NuR 2007, S. 375; Stüer, DVBl. 2007, S. 421; Friedrich-sen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 198; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74 f.

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bei der Abweichungsentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu berücksichtigen, dürfen

aber im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nicht berücksichtigt werden.433 Das ergibt

sich zum einen daraus, dass die Richtlinie deutlich zwischen der Pflicht zur Durchführung

einer Verträglichkeitsprüfung und dem Ergreifen der notwendigen Ausgleichmaßnahmen,

falls ein verträgliches Vorhaben ausnahmsweise zulässig sein sollte, differenziert. Zum

anderen besteht die Gefahr, dass die strengen verfahrensrechtlichen Vorgaben des Art. 6

Abs. 4 FFH-RL, der eine Unterrichtung sowie gegebenenfalls eine Stellungnahme der

Kommission vorsieht, in der Praxis ausgehöhlt werden, wenn ein Vorhaben aufgrund der

vorgesehenen Ausgleichmaßnahmen für verträglich erklärt werden kann, da dann nicht

mehr auf den Ausnahmetatbestand des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zurückgegriffen werden

muss.434

Eine Pflicht, im Zuge der Verträglichkeitsprüfung zugleich etwaige Alternativenlösungen

zu untersuchen, lässt sich dabei den einschlägigen Richtlinienbestimmungen nicht entneh-

men.435 Ungeachtet dessen erscheint es indes für den Fall angebracht, dass ein negativer

Ausgang der Verträglichkeitsprüfung abzusehen ist, mögliche Planungs- und Projektvari-

anten in die Prüfung einzubeziehen, um frühzeitig abschätzen zu können, ob eine Ausnah-

me gemäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL überhaupt in Betracht kommt.436

c) Verfahrensanforderungen

Die FFH-Richtlinie enthält hinsichtlich des genauen Inhalts des Verfahrens der Verträg-

lichkeitsprüfung keine näheren Angaben. Insoweit kommt den Mitgliedstaaten gemäß Art.

249 Abs. 3 EGV ein breiter Umsetzungsspielraum zu.437 Es bleibt demnach den Mitglied-

staaten überlassen, die für die Durchführung der Verträglichkeitsprüfung zuständigen Stel-

433 Vgl. Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 198; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 224; Kues, Flo-

ra-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 124; Kremer, ZUR 2007, S. 302; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelun-gen, S. 335; Koch, NuR 2000, S. 375 f.; Louis, DÖV 1999, S. 379; a.A. OVG Münster, NuR 2000, S. 170; VG Oldenburg, NuR 2000, S. 402; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74 f.; Stüer, NdsVBl 2000, S. 29.

434 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 124; a.A. OVG Oldenburg, NuR 2000, S. 402. 435 Gellermann, Natura 2000, S. 82. 436 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 125; Gellermann, Natura 2000, S. 82; vgl. dazu Carlsen, Die

Umsetzung der FFH-RL, S. 214; Leist, Lebensraumschutz, S. 98; Europäische Kommission, Gebietsmana-gement, S. 40.

437 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 187; Berg, Europäisches Naturschutz-recht und Raumordnung, S. 121; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 68; Freiburg, Die Erhaltung der biologi-schen Vielfalt, S. 125; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 125; Thyssen, DVBl. 1998, S. 880; Ber-ner, Der Habitatschutz, S. 114; Gellermann, Natura 2000, S. 83; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 213.

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len zu bestimmen. Des Weiteren bleibt es ihnen überlassen, ein eigenständiges Prüfverfah-

ren in ihrem staatlichen Recht vorzusehen oder die Verträglichkeitsprüfung in vorhandene

Verwaltungsverfahren zu integrieren.438 Abgesehen von diesen Überlegungen muss die

Verträglichkeitsprüfung nicht mit einer nach außen wirkenden Verwaltungsentscheidung

abgeschlossen werden. Dies ergibt sich aus Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, der ausdrücklich

zwischen der Verträglichkeitsprüfung und der nach außen wirksamen Zulassungsentschei-

dung differenziert.439

Fraglich ist indes, ob die projektbezogene Verträglichkeitsprüfung zur Verfahrensvereinfa-

chung im Rahmen einer ohnehin durchzuführenden Umweltverträglichkeitsprüfung nach

Art. 2 ff. UVP-RL stattfinden kann. Wie die Umweltverträglichkeitsprüfung zielt auch die

Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 FFH-RL darauf ab, die Auswirkungen eines

Planes bzw. Projektes zu erkennen und dies in den Zulassungsverfahren zu berücksichti-

gen. So sind im Rahmen der Umweltverträglichkeitsprüfung die Auswirkungen eines Pro-

jektes auf Fauna und Flora, die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft sowie die Land-

schaft und auch Wechselwirkungen zwischen den vorgenannten Faktoren zu Prüfen (Art. 3

UVP-RL).440 Damit werden letztlich auch die Auswirkungen auf die nach der FFH-

Richtlinie relevanten Schutzgebiete erfasst. Dabei ist aber zu beachten, dass sich die Um-

weltverträglichkeitsprüfung und die Verträglichkeitsprüfung sowohl in der inhaltlichen

Reichweite und im Verfahren der durchzuführenden Prüfung, als auch in den rechtlichen

Vorgaben, die im Hinblick auf das Berücksichtigungsgebot bei der Entscheidung bestehen,

unterscheiden. In inhaltlicher Sicht wird die Verträglichkeitsprüfung gegenüber den Vor-

gaben der UVP-Richtlinie reduziert; während die Umweltverträglichkeitsprüfung unter

Einbeziehung der Wechselwirkungen medienübergreifend erfolgt (Art. 3 UVP-RL), bein-

haltet die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ein Vorgehen, das

allein auf die für das Schutzgebiet festgelegten Erhaltungsziele gerichtet ist.441 Die Verträg-

lichkeitsprüfung ist mithin eine gebietsbezogene, nicht aber eine projektbezogene Prü-

438 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 125; Gellermann, Natura 2000, S. 83; Jarass, ZUR 2000, S.

186; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 122; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 3; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 118.

439 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 125. 440 Erbguth/Schink, UVPG, Einl. Rn. 100b; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 68 f.; Erbguth/Stollmann, DVBl.

1997, S. 457. 441 Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 457; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 68; Gellermann, Natura 2000, S.

83.

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fung.442 Daneben ist der Prüfungsumfang der Umweltverträglichkeitsprüfung enger als der

der Verträglichkeitsprüfung, weil sie nur den aktuell vorhandenen Zustand der Umweltgü-

ter in den Blick einnimmt, während die Verträglichkeitsprüfung gerade auch Beeinträchti-

gungen des Entwicklungspotentials eines Schutzgebietes nachzugehen hat.443 Die Umwelt-

verträglichkeitsprüfung ist für alle in den Anhängen zu Art. 4 UVP-RL enumerativ aufge-

listeten Vorhaben durchzuführen. Dahingegen kommt es für die Anwendung der Verträg-

lichkeitsprüfung ausschließlich darauf an, ob Pläne oder Projekte allein oder zusammen mit

anderen Vorhaben zu einer erheblichen Beeinträchtigung von Schutzgebieten führen kön-

nen. Eine Beschränkung auf bestimmte Vorhaben wäre mit der Zielsetzung der FFH-

Richtlinie unvereinbar.444 In verfahrensmäßiger Hinsicht bestehen ebenfalls weitere wichti-

ge Unterschiede zwischen der Umweltverträglichkeitsprüfung und der Verträglichkeitsprü-

fung. Bei der Umwelterträglichkeitsprüfung sind neben den beizubringenden Unterlagen

des Projektsträgers auch eine Behörde- und Öffentlichkeitsbeteiligung vorgesehen (Art. 6

Abs. 2 UVP-RL). Demgegenüber enthält die FFH-Richtlinie keinen Katalog von notwen-

digen oder von der Zulassungsbehörde anzufordernden Angaben des Projektsträgers. Zu-

dem sieht die FFH-Richtlinie in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 nur eine fakultative und auf eine An-

hörung beschränkte Öffentlichkeitsbeteiligung vor.445 Die verfahrensmäßigen Anforderun-

gen der Verträglichkeitsprüfung sind damit gegenüber denjenigen der Umweltverträglich-

keitsprüfung reduziert.446 Schließlich sind Rechtsfolgen eines negativen Prüfungsergebnis-

ses bei der Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2, 4 FFH-RL härter ausgestaltet

als bei der Umweltverträglichkeitsprüfung nach Art. 8 UVP-RL: Während die Prüfungser-

gebnisse bei der Umweltverträglichkeitsprüfung lediglich als Gesichtspunkt in der ab-

schließenden Zulassungsentscheidung zu berücksichtigen sind, führt ein negatives Ergebnis

der Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich zur Unzulässigkeit des Vorhabens.447 Trotz die-

ser Unterschiede wird im Schrifttum überwiegend zu Recht darauf hingewiesen, dass im

442 Niederstadt, NuR 1998, S. 522; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kom-

munale Bauleitplanung, S. 208; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 68; Berner, Der Habitatschutz, S. 115. 443 Gellermann, Natura 2000, S. 83; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 124. 444 Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 208;

Niederstadt, NuR 1998, S. 522. 445 Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 208;

Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 457; Kloepfer, Umweltrecht, § 11, Rn. 179; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 125.

446 Erbguth/Schink, UVPG, Einl. Rn. 100b; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 457. 447 Niederstadt, NuR 1998, S. 523; Erbguth/Schink, UVPG, Einl. Rn. 100c; Schladebach, Der Einfluss des

europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 208; Freiburg, Die Erhaltung der bio-logischen Vielfalt, S. 124 f.; Kloepfer, Umweltrecht, § 11, Rn. 179; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 69; Schmidt-Eichstaedt, Städtebaurecht, S. 143.

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Rahmen des Prüfverfahrens nach den Art. 2 ff. UVP-RL auch die Verträglichkeitsprüfung

gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFHRL durchgeführt werden kann, sofern ihre strukturellen

Besonderheiten, vor allem der Prüfungsmaßstab der Erhaltungsziele, die höhere Prüftiefe

und strikten materiell-rechtlichen Konsequenzen des Verträglichkeitsgrundsatzes nach Art.

6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, beachtet werden.448

E. Verträglichkeitsgrundsatz (Zulassungsentscheidung)

Im engen Zusammenhang mit der nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL durchzuführenden

Verträglichkeitsprüfung konstituiert Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL den so genannten Ver-

träglichkeitsgrundsatz. Danach dürfen die zuständigen Behörden einem Plan oder Projekt

unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich der

in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL vorgesehenen Ausnahmen nur dann zustimmen, wenn sie festge-

stellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem gegebenen-

falls zuvor die Öffentlichkeit angehört wurde. Somit schreibt Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL

vor, dass kein Projekt oder Plan im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ohne eine prä-

ventive behördliche Kontrolle zugelassen werden darf.449

I. Entscheidungsbefugnis

Ausweislich des Wortlauts des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL liegt die Zuständigkeit für die

Zulassungsentscheidung in den Händen der zuständigen einzelstaatlichen Behörden. Die

Benutzung des Begriffs „einzelstaatliche Behörden“ im Richtlinientext dient der Abgren-

zung von den Begriffen „gemeinschaftlich“ bzw. „international“. Der Begriff knüpft inso-

weit an die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung an und adressiert damit die Pflichten

448 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 188; ders., ZUR 2000, S. 192; Geller-

mann, Natura 2000, S. 83; ders., NuR 1996, S. 552; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 38 ff.; Hoppe/Beckmann/Kauch, Umweltrecht § 15, Rn.159; Thyssen, DVBl. 1998, S. 880; Kirchberg, Flora, Fauna, Habitat, S. 167; Iven, NuR 1996, S. 378; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Kloepfer, Umweltrecht, § 11, Rn. 179; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 213; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 389; a.A. Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 208; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 457; Berner, Der Habitatschutz, S. 115 f.; die im Rahmen des Prüfverfahrens nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ein Rückgriff auf die Umweltverträglichkeitsprüfung nicht für möglich halten.

449 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 69; Gellermann, Natura 2000, S. 84.

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aus Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL unmittelbar an die jeweils zuständigen Behörden.450 Die

Entscheidungsbefugnis liegt dabei nicht allein bei den mitgliedstaatlichen Organen des

Zentralstaates, sondern auch auf der Ebene der Länder, Bezirke, Kreise und Gemeinden,

die einen Plan oder ein Projekt genehmigen oder diesem zustimmen müssen.451 Zu beach-

ten ist dabei, dass die Entscheidungsbefugnis über die Beurteilung der Zulässigkeit und die

Zuständigkeit zur Durchführung der Verträglichkeitsprüfung keineswegs immer in dersel-

ben Hand liegen muss.452 Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL begründet auch keine eigenständige

Genehmigungspflicht. Es kommt damit die Entscheidungszuständigkeit nach nationalem

Recht bei der Aufstellung und Genehmigung von Plänen und Projekten zum tragen.453

II. Gebiet als Solches

Nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL darf einem schutzgebietsrelevantem Plan oder Projekt

die Zustimmung grundsätzlich nur erteilt werden, wenn die zur Entscheidung berufene Be-

hörde festgestellt hat, dass „das Gebiet als solches“ nicht beeinträchtigt wird. Die Vor-

schrift spricht insoweit von einer Beeinträchtigung des Gebietes „als solchem“, ohne näher

zu erläutern, was darunter zu verstehen ist. Fraglich ist somit, ob damit an die jeweiligen

Erhaltungsziele der einzelnen Schutzgebiete angeknüpft wird, oder ob dadurch ein eigen-

ständiges Tatbestandsmerkmal statuiert wird, das neben der Verträglichkeitsprüfung unter-

sucht werden muss.

Eine Auffassung, die mittlerweile auch vom Bundesverwaltungsgericht vertreten wird, geht

davon aus, dass es sich bei der Gebietsbeeinträchtigung als solcher nicht um ein eigenstän-

diges Tatbestandsmerkmal, sondern nur um eine andere Umschreibung für die mangelnde

Erhaltungszielkonformität handle.454 Eine derartige Gebietsbeeinträchtigung liege immer

dann vor, wenn im Falle der Realisierung eines Vorhabens das Schutzgebiet in seinen für

den Schutzzweck beziehungsweise die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen erheb-

450 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 188; Kador, FFH-Richtlinie, S. 41; Eu-

ropäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 41 f. 451 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 42; Kador, FFH-Richtlinie, S. 41 f. 452 Kador, FFH-Richtlinie, S. 42; vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 84. 453 Kador, FFH-Richtlinie, S. 42; Schrödter, NuR 2001, S. 13. 454 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 41; Jarass, NuR 2007, S. 373; Apfelba-

cher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 75; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 214; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 131 ff.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 142 ff.; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 55 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 189; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Leist, Lebensraumschutz, S. 100 ff.; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 70.

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lich oder nachhaltig beeinträchtigt werden kann. Da letzteres auch Inhalt der Verträglich-

keitsprüfung sei, komme dem Merkmal der Gebietsbeeinträchtigung als solcher somit kei-

ne eigenständige Bedeutung zu. Auch die Kommission vertritt in dieser Richtung die Mei-

nung, dass sich aus dem Kontext der Richtlinie eindeutig ergebe, dass die Beeinträchtigung

des Gebietes als solchem im Verhältnis zu den für ein Gebiet festgelegten Erhaltungszielen

zu betrachten sei.455 Dementsprechend solle die Entscheidung, ob eine Beeinträchtigung

vorliegt, sich auf die für das Schutzgebiet festgelegten Erhaltungsziele konzentrieren und

auf diese beschränkt bleiben.456

Die Gegenauffassung vertritt hingegen die Ansicht, dass es sich bei der Gebietsbeeinträch-

tigung als solcher um ein eigenständiges Tatbestandsmerkmal handle, dem neben der Prü-

fung der Beeinträchtigung der Erhaltungsziele im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung eine

eigenständige Bedeutung zukomme.457 Zur Begründung wird einerseits auf den Wortlaut

des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL verwiesen, der zwischen dem Ergebnis der Verträglich-

keitsprüfung und Beeinträchtigung des Gebietes als solches differenziere.458 Andererseits

wird auch argumentiert, dass sich Art. 6 Abs. 2 FFH-RL auf die Lebensräume und Habitate

der Arten beziehe, während Art. 6 Abs. 3 FFH-RL das Schutzgebiet in seiner Gesamtheit

als Bezugsobjekt wähle.459 Folglich sei eine Gebietsbeeinträchtigung als solche immer

dann zu bejahen, wenn die durch den Plan oder das Projekt hervorgerufenen Beeinträchti-

gungen so gravierend seien, dass dadurch der Charakter des Schutzgebietes grundlegend

verändert werde.460

Zur Ermittlung des genauen Bedeutungsinhalts der Beeinträchtigung des Gebietes als sol-

ches soll zunächst geklärt werden, was überhaupt mit dem Begriff „Gebiet“ gemeint ist,

welches das Schutzobjekt des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL verkörpert. Zunächst könnte

die Legaldefinition des Begriffs Gebietes in Art. 1 lit. j) FFH-RL zur Ermittlung des Be-

deutungsgehaltes dieses Ausdrucks herangezogen werden, wonach ein Gebiet als ein geo-

graphisch abgegrenzter Bereich mit abgegrenzter Fläche definiert wird. Daraus würde fol-

gen, dass eine Beeinträchtigung des Gebietes als solchem immer dann vorliegt, wenn ent-

455 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 42. 456 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 43. 457 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127; Kador, FFH-Richtlinie, S. 43 ff.; Epiney, UPR

1997, S. 308; Fisahn, ZUR 1996, S. 6; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 125; Gel-lermann, Natura 2000, S. 85 ff.

458 Epiney, UPR 1997, S. 308; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127. 459 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 86, 173. 460 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 124 f.; Fisahn, ZUR 1996, S. 6; Epiney, UPR 1997, S. 308.

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weder die Fläche des Gebietes oder seine geographischen Eigenschaften verändert werden.

Folglich könnte jede geringfügige Maßnahmen im Schutzgebiet bzw. jede Beeinträchti-

gung von außerhalb, die zu geographischen Veränderungen im Schutzgebiet führt, einen

Versagungsgrund einer Zulassung bilden. Allerdings ist es kaum hinnehmbar, dass der

Richtliniengeber derart weitreichende Einschränkungen gewollt hat.461 Daher ist davon

auszugehen, dass mit dem Begriff Gebiet nicht der Oberbegriff des Art. 1 lit. j) FFH-RL,

sondern vielmehr in einheitlicher Auslegung mit Art. 6 Abs. 1 FFH-RL das Schutzgebiet

gemeint ist. So legt ein Vergleich des Verträglichkeitsgrundsatzes und des Verschlechte-

rungs- und Störungsverbotes, wie es bereits im Rahmen des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 erörtert

wurde,462 die Überlegung nahe, dass hiermit das Schutzgebiet in seiner Gesamtheit, und

nicht nur die natürlichen Lebensräume und Arten gemeint sind, derentwegen die Unter-

schutzstellung erfolgte.463 Wird in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL dieselbe Begrifflichkeit in

demselben Sachzusammenhang verwandt, so ist unter systematischen Gesichtspunkten da-

von auszugehen, dass ihr auch der gleiche Sinngehalt zukommt. Ferner knüpft der Verträg-

lichkeitsgrundsatz sowohl zeitlich als auch inhaltlich an die Verträglichkeitsprüfung an, die

das Schutzobjekt in seiner Gesamtheit als Bezugobjekt wählt. Das legt es ebenfalls nahe,

nicht nur die zu erhaltenden natürlichen Lebensräume und Arten, sondern das Schutzgebiet

in seiner Gesamtheit als Bezugsobjekt des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL anzusehen.464 Wä-

ren mit dem Begriff Gebiet im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, wie von den Vertre-

tern der erstgenannten Auffassung behauptet wird, nur die natürlichen Lebensräume und

Arten gemeint, derentwegen die Unterschutzstellung erfolgte, würde nur die Beeinträchti-

gung maßgeblicher Bestandteile des Gesamtgebietes die Versagung eines Vorhabens nach

sich ziehen. So würde vor allem den Puffer- und Randzonen der gemeinschaftsrechtlich

gebotene Schutz vorenthalten werden.465 Wenn Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL auf das

Schutzgebiet als Ganzes Bezug nimmt, so soll man der Gebietsbeeinträchtigung als solcher

eine eigenständige Bedeutung beimessen, damit nicht nur den maßgeblichen Bestandteilen

sondern auch den Puffer- und Randzonen eines Gebietes der gemeinschaftsrechtlich gebo-

tene Schutz gewährleistet wird. Diesbezüglich ist dem entgegenzuhalten, dass mit der For-

461 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127; Kador, FFH-Richtlinie, S. 42; vgl. Geller-

mann, NuR 1996, S. 553; Schink, GewArch 1998, S. 49. 462 Vgl. 2. Teil, D. IV. 1. a). 463 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 86; Leist, Lebensraumschutz, S. 102. 464 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 86; Kador, FFH-Richtlinie, S. 42; a.A. Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 128 f. 465 Gellermann, Natura 2000, S. 174.

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mulierung Gebiet als solches nur die Erhaltungsziele gemeint sind. Dem Gemeinschaftsge-

setzgeber kann nicht unterstellt werden, dass er diesem Tatbestandsmerkmal keine eigen-

ständige Bedeutung beimessen wollte. Diese Auslegung wird auch durch Art. 6 Abs. 4 Satz

1 FFH-RL bestätigt, der speziell die Konsequenzen einer negativen Verträglichkeitsprü-

fung regelt, in der die Unvereinbarkeit der Maßnahmen mit den Erhaltungszielen festge-

stellt wurde.466 Wenn der Richtliniengeber mit dem Tatbestandsmerkmal Gebiet als solches

ein eigenständiges Erfordernis geschaffen hat, das zu einer Versagung der Zulassung führt,

so erscheint im Hinblick auf die Zielsetzung der Richtlinie, die Erhaltung der biologischen

Vielfalt, sinnvoll, die Regelung des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 insgesamt restriktiv, als Absiche-

rung eines „Mindesterhaltungsstandards“ auszulegen.467 Die Beeinträchtigung eines Gebie-

tes als solche soll in diesem Zusammenhang immer dann anzunehmen sein, wenn der Cha-

rakter des Gebietes so grundlegend verändert wird, dass das Gebiet in seiner Funktion als

besonderes Schutzgebiet nicht mehr existiert.468 Die Zustimmung zu einem geplanten Vor-

haben in derartigen Fällen ist zwingend zu versagen. Unterhalb dieser Schwelle, wenn also

das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt ist, ist der Eingriff grundsätzlich zuzulassen. Die

Auffassung entspricht zum einen dem Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, der zwi-

schen dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung und der Beeinträchtigung des Gebietes

unterscheidet. Dies scheint ebenfalls die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass der Richt-

liniengeber beiden Tatbestandsmerkmalen eine eigenständige Bedeutung zuschreibt. Zum

anderen trägt die Statuierung eines Mindesterhaltungsstandards, der keiner Ausnahme ge-

mäß Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zugänglich ist, dem Richtlinienziel der Erhaltung der biologi-

schen Vielfalt Rechnung, indem schwerwiegende Eingriffe in die Kohärenz vom Gebiets-

netz Natura 2000 von vornherein vermieden werden.469 Die Aufrechterhaltung eines zu-

sammenhängenden Schutzgebietssystems soll, wie es in Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL zum

Ausdruck kommt, in jedem Fall gewährleistet bleiben.470

Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass die zuständigen Behörden ein Vorhaben un-

ter Berücksichtigung des Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung grundsätzlich nur dann

zulassen dürfen, wenn sie Gewissheit darüber erlangt haben, dass die durch das Vorhaben

466 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127. 467 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127. 468 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127; Fisahn, ZUR 1996, S. 6; vgl. Epiney, UPR

1997, S. 308. 469 So Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 128; vgl. Epiney, UPR 1997, S. 308. 470 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 128; vgl. Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-

Habitat-Richtlinie, S. 124 f.

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hervorgerufenen Beeinträchtigungen nicht so gravierend sind, dass dadurch der Charakter

des Schutzgebietes grundlegend verändert wird. Dies kann aber nur dann der Fall sein,

wenn aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass es keine

solchen Beeinträchtigungen gibt. Die Beweislast liegt hierbei auf der Seite des Vorha-

benträgers.471

II. Beteiligung der Öffentlichkeit

Bei dem Genehmigungsverfahren für Pläne und Projekte sollen die Behörden nicht nur

darauf achten, ob das Gebiet als solches beeinträchtigt wird. In Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-

RL heißt es weiter, dass die Behörden einem Plan oder Projekt nur zustimmen sollen, nach

dem sie „gegebenenfalls“ die Öffentlichkeit angehört haben. Damit ist die Öffentlichkeits-

beteiligung, die im europäischen Umweltrecht eine große Rolle spielt,472 nicht in jedem

Fall obligatorisch.473

Aus diesem Umstand wird teilweise der Schluss gezogen, dass den Mitgliedstaaten bei der

Umsetzung dieser Richtlinienvorschrift sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch des „Wie“

ein erheblicher Entscheidungsspielraum zukomme.474 So wird die Auffassung vertreten,

dass die Mitgliedstaaten gänzlich von einer Öffentlichkeitsbeteiligung absehen könnten.475

Dieser Auffassung ist zunächst deshalb entgegenzuhalten, weil sich Art. 6 Abs. 3 Satz 2

FFH-RL nach seinem Wortlaut eindeutig auf die Einzelfallentscheidung der nach nationa-

lem Recht zuständigen Behörde und nicht auf eine grundsätzliche Entscheidung eines Mit-

gliedstaates bezieht.476 Daher kann hierauf nicht bereits im Rahmen der Richtlinienumset-

zung, sondern nur anlässlich des konkreten Einzelfalles verzichtet werden, so dass der zu-

ständigen Behörde grundsätzlich die Möglichkeit der Öffentlichkeitsbeteiligung eröffnet

471 Vgl. dazu EuGH, Urteil vom 7.9.2004 – C-127/02, Slg. 2004, I-7405, Rn. 59 ff.; BVerwG, Urteil vom

17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 41; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 222; Stüer, NVwZ 2007, S. 1148. 472 Hierbei sind Art. 9 der Industrieanlagen Richtlinie (84/360/EWG), Art. 6 der UVP-Richtlinie

(85/337/EWG), Art. 15 der IVU-Richtlinie (96/61/EG) und Art 5 der Plan-UVP-Richtlinie (2001/42/EG) als Beispiel zu nennen.

473 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 128; Gellermann, Natura 2000, S. 88; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 389; Leist, Lebensraumschutz, S. 109 f.

474 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Iven, NuR 1996, S. 378; Epiney, UPR 1997, S. 308. 475 In diesem Sinne wohl Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; Iven, NuR 1996, S. 378; Epiney, UPR 1997, S.

308; Thyssen, DVBl. 1998, S. 879 f.; Müller-Terpitz, NVwZ 1999, S. 28. 476 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 128; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

126 f.; vgl. Berner, Der Habitatschutz, S. 117.

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sein muss.477 Für eine derartige Auslegung spricht auch die englische Auffassung des

Richtlinientextes, nach der die Öffentlichkeit beteiligt werden soll, wenn dies „apporiate“

also passend, geeignet oder zweckdienlich ist. Auch diese Formulierung indiziert, dass die

zuständige Behörde über die Beteiligung der Öffentlichkeit im Einzelfall entscheiden

muss.478 Für eine einzelfallbezogene Entscheidung über die Beteiligung der Öffentlichkeit

spricht auch der Sinn und Zweck der Regelung. Durch die Öffentlichkeitsbeteiligung soll

zunächst die Öffentlichkeit vor der Durchführung des jeweiligen Planes oder Projektes die

Möglichkeit erhalten, ihr Einwände und Bedenken vor einer Entscheidung geltend zu ma-

chen.479 Zudem soll die Öffentlichkeitsbeteiligung die Behörde davor bewahren, bisher

noch nicht bedachte Aspekte bei ihrer Entscheidung unberücksichtigt zu lassen und damit

eine eventuelle Rechtswidrigkeit der Entscheidung zu riskieren.480 Schließlich dient die

Beteiligung der Öffentlichkeit auch dazu, die behördlichen Entscheidungsverfahren trans-

parent zu gestalten und darüber hinaus die Legitimation und Überzeugungskraft der Zulas-

sungsentscheidung zu stärken.481 Dieser sinn und Zweck würde jedoch vereitelt, wenn die

Mitgliedstaaten generell von einer Öffentlichkeitsbeteiligung absehen könnten.482

Entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift kann die zuständige Behörde von einer

Öffentlichkeitsbeteiligung absehen, wenn von der Beteiligung der Öffentlichkeit keine

neuen Erkenntnisse zu erwarten sind, die behördlicherseits keine unbekannte, also keine

zusätzlichen Informationen hinsichtlich der Auswirkungen des konkret zu prüfenden Pro-

jektes oder Planes auf ein Natura 2000 Gebiet liefern.483 Ferner ist eine Öffentlichkeitsbe-

teiligung überflüssig, wenn der Allgemeinheit bereits aufgrund einer anderen Bestimmung

477 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 127; Gellermann, HdEUDUR, § 78, Rn. 31; ders., Natura

2000, S. 88; Jarass, ZUR 2000, S. 186; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 191; ders., ZUR 2000, S. 192 f.; im Ergebnis ebenso Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Verei-nigten Königreich, S. 77.

478 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 128; Leist, Lebensraumschutz, S. 111 f.; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 389, Fn. 36; vgl. dazu R. von Eichborn, Wirtschaftswörterbuch I, Englisch/Deutsch, 1974, S. 45 f.

479 Leist, Lebensraumschutz, S. 112; ausführlich zu den Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung vgl. Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 73, Rn. 8 ff.

480 Leist, Lebensraumschutz, S. 112 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 128 f.; Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 73, Rn. 9 ff.

481 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 127; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 129; Jarass, ZUR 2000, S. 186, Fn. 46; vgl. dazu Bonk/Neumann, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, § 73, Rn. 9.

482 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 129; vgl. Leist, Lebensraumschutz, S. 112 f.; Wirths, ZUR 2000, S. 192 f.

483 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 127; Jarass, ZUR 2000, S. 186.

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Gehör zu verschaffen ist und dadurch der Zweck der Öffentlichkeitsbeteiligung gemäß Art.

6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL vollständig verwirklicht wird.484

Die zuständige Behörde soll bei ihrer Entscheidung über die Beteiligung der Öffentlichkeit

berücksichtigen, welches Gewicht die Beeinträchtigung hat und welche Erkenntnisse von

einer Öffentlichkeitsbeteiligung voraussichtlich zu erwarten sind.485 Je mehr private Belan-

ge von dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung betroffen sein können, umso wichtiger

und unerlässlicher wird eine Beteiligung der Öffentlichkeit sein.486 Zudem soll die Beteili-

gung der Öffentlichkeit unter Berücksichtigungen der Bestimmungen in der UVP-

Richtlinie und Århus Konvention durchgeführt werden.487

IV. Berücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung

Klärungsbedürftig ist letztlich die Frage, wie die Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung

bei der Entscheidung der zuständigen Behörde über die Zulassung eines Vorhabens Ein-

gang finden. Die Zulassungsentscheidung ist nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL „unter Be-

rücksichtigung der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung“ zu treffen. Die Vorschrift

spricht hierbei von „berücksichtigen“, wobei damit noch nicht gesagt ist, in welchem Aus-

maß eine solche Berücksichtigung des Ergebnisses erfolgen muss.

Aufgrund des Wortlauts des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL, der von einer bloßen Berücksichtigung

des Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung spricht, geht eine im Schrifttum verbreitete

Meinung davon aus, dass das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung für die entscheidende

Behörde keine strikte Bindungswirkung entfalte, sondern nur in die behördliche Entschei-

dung über die Zulassung des Vorhabens einfließen müsse,488 so dass die zuständige Behör-

de also auch bei einem negativen Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung das Vorhaben zu-

lassen kann. Der Verträglichkeitsgrundsatz würde damit der mitgliedstaatlichen Behörde

Entscheidungsspielräume eröffnen, also ein Ermessen im Sinne der deutschen Rechtster-

minologie. Dieser Auffassung kann jedoch nicht zugestimmt werden. Zum einen kann

484 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 127; vgl. Wirths, ZUR 2000, S. 193. 485 Jarass, ZUR 2000, S. 186; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 129; vgl. Leist,

Lebensraumschutz, S. 113 f. 486 So Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 129. 487 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 42; Jarass, ZUR 2000, S. 186; Berg, Europäisches

Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 129. 488 Berner, Der Habitatschutz, S. 116; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 69; Gellermann, Natura 2000, S. 87;

ders., NuR 1996, S. 552; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 122; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 212.

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nicht davon ausgegangen werden, dass die in einem europäischen Rechtsakt verwandten

Begriffe notwendigerweise im Sinne der deutschen Rechtsterminologie zu verstehen

sind.489 Außerdem ist zu beachten, dass das Ziel der FFH-Richtlinie, Erhalt der biologi-

schen Vielfalt, nur dann gewährleistet wird, wenn dem Ergebnis der Verträglichkeitsprü-

fung eine die zuständige Behörde bindende rechtliche Einflussmöglichkeit zukommt. Nur

wenn sichergestellt ist, dass eine Genehmigung unter Hinweis auf das Ergebnis der Ver-

träglichkeitsprüfung verweigert oder zumindest mit Auflagen versehen werden kann, wird

man der Bedeutung der Verträglichkeitsprüfung gerecht.490 Folglich ist davon auszugehen,

dass der zuständigen Behörde bei der Verwertung der Verträglichkeitsprüfung grundsätz-

lich keine Entscheidungsfreiheit, sondern eine strikte Bindung an das Ergebnis der Verträg-

lichkeitsprüfung zukommt.491 So soll es sich bei der Zulassungsentscheidung um eine ge-

bundene Entscheidung handeln, sofern eine Beeinträchtigung des Schutzgebietes als sol-

ches vorliegt.

Zu beachten ist dabei, dass das Tatbestandsmerkmal Berücksichtigen jedenfalls keine Aus-

sage über die stets gleichbleibende Wirkung eines negativen Ergebnisses der Verträglich-

keitsprüfung trifft. Wie sich aus Art. 6 Abs. 4 FFH-RL ergibt, darf einem Vorhaben trotz

negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung zugestimmt werden, wenn bestimmte

Ausnahmesituationen vorliegen.492 Demnach kann die zuständige Behörde ein Vorhaben,

die ein Gebiet als solches beeinträchtigt, trotz eines negativen Ausganges zulassen, wenn

die abschließend konzipierten Ausnahmetatbestände des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL erfüllt sind.

Der Ausdruck Berücksichtigen in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL dürfte sich in diesem Kon-

text vielmehr dadurch erklären lassen, dass das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung einer-

seits bindend ist, die Richtlinie jedoch andererseits unter bestimmten Voraussetzungen die

Bewilligungen von Ausnahmen ermöglicht. Liegen die Voraussetzungen für die Bewilli-

gungen hingegen nicht vor, unterliegt das negative Ergebnis einer strikten Bindung.493 Die-

se durch das negative Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung determinierte strikte Entschei-

489 Vgl. EuGHE, I-1980, S. 84, Rn. 6; EuGHE, II-1986, S. 2144, Rn. 16; Berg, Europäisches Naturschutz-

recht und Raumordnung, S. 138; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 134; Bleckmann, Europarecht, Rn. 556 f.; Jarass, ZUR 2000, S. 187.

490 Leist, Lebensraumschutz, S. 108; Kador, FFH-Richtlinie, S. 45 f. 491 Jarass, NuR 2007, S. 376; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 133; Jarass, ZUR 2000, S. 187;

Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 191; Kador, FFH-Richtlinie, S. 45 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 138.

492 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 133; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 126. 493 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 138 f.; Jarass, ZUR 2000, S. 187; Freiburg,

Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 126; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2; Gellermann, Na-tura 2000, S. 87; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 55.

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dungsvorgabe stellt einen gravierenden Unterschied gegenüber der allgemeinen Umwelt-

verträglichkeitsprüfung dar. Während das Ergebnis der Umweltverträglichkeitsprüfung im

Rahmen der Zulassungsentscheidung lediglich zu berücksichtigen ist, müssen die Ergeb-

nisse der Verträglichkeitsprüfung von der Behörde strikt beachtet werden.494

F. Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz

Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass die lebensraumbezogenen Vorgaben der

FFH-Richtlinie strikt an einem naturschutzfachlichen Maßstab ausgerichtet sind. Der

Richtliniengeber trägt damit der im 4. Erwägungsgrund zum Ausdruck kommenden Er-

kenntnis Rechnung, dass das Naturerbe der Europäischen Gemeinschaft in Form der natür-

lichen Lebensräume und wildlebenden Tier- und Pflanzenarten ernsthaft bedroht ist und

daher eines effektiven Schutzes bedarf.495 Obwohl der Gemeinschaftsgesetzgeber den Na-

turschutzbelangen einen hohen Rang zuerkannt hat, können sich die Interessen des Natur-

schutzes nicht in jeder Situation durchsetzen, da - wie schon der Rechtsprechung des EuGH

zur Vogelschutzrichtlinie zu entnehmen ist -496 durchaus Entscheidungslagen vorstellbar

sind, in denen außerökologischen Belangen gegenüber den Interessen des Naturschutzes

der Vorrang einzuräumen ist.497 Deshalb findet sich mit Art. 6 Abs. 4 FFH-RL eine Vor-

schrift in der Richtlinie, die in Verwirklichung der im 3. Erwägungsgrund der FFH-

Richtlinie zum Ausdruck kommenden Zielsetzung sowie gerade dazu dient, die widerstrei-

tenden ökologischen und außerökologischen Belange zu einem gerechten Ausgleich zu

führen und einer mit dem auch im Gemeinschaftsrecht beachtlichen Übermaßverbot498 un-

vereinbaren Übertonung der Naturschutzbelange zu entgehen.499 So wurde den Mitglied-

staaten die Möglichkeit eröffnet, unter Durchbrechung des Verträglichkeitsgrundsatzes

ausnahmsweise Pläne und Projekte zuzulassen, obgleich sie mit den gebietsbezogen festge-

stellten Erhaltungszielen unvereinbar sind.

494 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 139; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2;

vgl. Erbguth/Schink, UVPG, § 12, Rn. 19. 495 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 136; Berner, Der Habitatschutz, S. 119. 496 EuGHE, 1991, I- S. 931; EuGHE 1993, I- S. 4277; EuGHE 1996, I- S. 3853. 497 Gellermann, Natura 2000, S. 88; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 136. 498 Vgl. Art. 174 Abs. 1 2. Spiegelstrich EGV. 499 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 136; Berner, Der Habitatschutz, S. 119 f.; Gellermann, Natura

2000, S. 88.

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100

Die als Ausnahmevorschrift ausgestaltete und daher restriktiv auszulegende500 Bestimmung

des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL knüpft ausweislich des eindeutigen Wortlautes nicht an die fest-

gestellte Gebietsbeeinträchtigung eines besonderen Schutzgebietes,501 sondern an ein ne-

gatives Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung an.502 Diese Vorschrift beinhaltet eine Grund-

regel, die für alle Natura 2000-Gebiete Geltung beansprucht. Demnach darf ein mit den

Erhaltungszielen unvereinbares Vorhaben nur zugelassen werden, wenn dies durch ein qua-

lifiziertes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden kann und keine alternativen Lö-

sungsmöglichkeiten bestehen. Nur wenn beide Voraussetzungen, die voneinander unab-

hängig zu prüfen sind,503 kumulativ vorliegen, ist ein Ausnahmeverfahren einzuleiten. Die

Vorschrift unterscheidet ferner gemäß Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL die Ausnahmezulas-

sung bei einfachen FFH-Gebieten und gemäß Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL die Ausnah-

mezulassung bei prioritären Gebieten. Letztere erfahren hinsichtlich der weiteren Voraus-

setzungen eines qualifizierten öffentlichen Interesses in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

eine Sonderregelung, die zumindest in verfahrensrechtlicher Hinsicht eine Verschärfung

gegenüber der Grundregel des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL beinhaltet.504 Anzumerken

ist im Übrigen, dass die Mitgliedstaaten im Falle einer positiven Sachentscheidung unab-

hängig von der jeweiligen Gebietskategorie jedenfalls verpflichtet sind, die zur Sicherstel-

lung der Kohärenz von Natura 2000-Gebiete erforderlichen Ausgleichsmaßnahmen zu er-

greifen, über die die Europäische Kommission zu unterrichten ist.

I. Generelle Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL

1. Alternativlösungen

Als für alle FFH-Schutzgebiete geltende Grundregel schreibt Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-

RL vor, dass trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung ein Plan oder Projekt

500 Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 359; Hösch, NuR 2004, S. 214; Gellermann, Natura 2000, S. 89; Ka-

dor, FFH-Richtlinie, S. 46; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 4; Erbguth, DVBl. 1999, S. 591; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 77; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 46; Schrödter, NdsVBl. 1999, S. 181; Niederstadt, NuR 1998, S. 524.

501 So wohl Iven, NuR 1996, S. 378; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113. 502 Ebenso Gellermann, NuR 1996, S. 553; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 215; Berner, Der Habi-

tatschutz, S. 120; Schink, GewArch 1998, S. 49; Epiney, UPR 1997, S. 308. 503 Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 358 f.; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 200; vgl.

BVerwG, DVBl. 2002, S. 1488; a.A. Erbguth, DVBl. 1999, S. 592; Hoppe, UPR 1999, S. 429. 504 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 136; Gellermann, Natura 2000, S. 88; ders., HdEUDUR, § 78,

Rn. 33.

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durchzuführen ist, wenn für dessen Realisierung zwingende Gründe des überwiegenden

öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art sprechen

und eine Alternativlösung nicht vorhanden ist. Sollten diese Tatbestandsvoraussetzungen

vorliegen, fordert diese Vorschrift weiterhin, dass der jeweilige Mitgliedstaat alle notwen-

digen Ausgleichsmaßnahmen zur Wahrung der globalen Kohärenz des Netzes Natura 2000

vorsieht und die Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen unter-

richtet.

Entsprechend der Systematik der Vorschrift und zur Vermeidung unnötiger Doppelprüfun-

gen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen ist stets zunächst zu prüfen, ob eine Alterna-

tivlösung für einen Plan oder ein Projekt besteht.505 Die Alternativenprüfung soll somit vor

der Erwägung zwingender öffentlicher Interessen erfolgen. Das bedeutet, wenn eine Alter-

nativlösung existiert, kommt auch ausnahmsweise eine Zulässigkeit des ursprünglichen

Vorhabens aufgrund von zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses

nicht mehr in Betracht, da jede gefundene Alternative die Zulassung der entsprechenden

Ausnahme verhindert.506

Im Rahmen der Alternativenprüfung ist nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL grundsätzlich

zu untersuchen, ob eine Vorhabenvariante besteht, die unter der Wahrung des Vorhabens-

ziels mit keinen oder geringeren Beeinträchtigung für das Schutzgebiet vorhanden ist.507

Besteht die Möglichkeit, den mit einem Vorhaben verfolgten Zweck ohne oder mit gerin-

geren Beeinträchtigungen zu erreichen, soll dieser Alternative der Vorrang gegeben wer-

den. Das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung hängt insoweit von der Frage ab, ob sich der

Zweck des Planes oder Projektes in einer Weise verwirklichen lässt, der den Erhaltungszie-

len des jeweiligen Schutzgebietes besser gerecht wird.508 Hierbei haben weder der Vorha-

benträger noch die Genehmigungsbehörde Ermessen oder einen Gestaltungsspielraum.509

505 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113; vgl. Michler, VBlBW 2004, S. 89. 506 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 147; Köck, ZUR 2005, S. 467; Cosack, UPR

2002, S. 253; Michler, VBlBW 2004, S. 89; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 94; Ramsauer, in: Erbguth, S. 117; Jessel, UPR 2004, S. 412; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 17; vgl. Koch, Die Verträglich-keitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 168 f., der insoweit zu Recht von einer Sperrwirkung spricht; a.A. Rö-diger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 127.

507 Jarass, NuR 2007, S. 377; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 94; Berg, Europäisches Natur-schutzrecht und Raumordnung, S. 147; Louis, DÖV 1999, S. 379; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113.

508 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 142; Gellermann, NuR 1996, S. 554; Berg, Europäisches Natur-schutzrecht und Raumordnung, S. 147; Wrase, NuR 2004, S. 357; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 94.

509 Hösch, NuR 2004, S. 215; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 169; Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, A1, § 34, Rn. 16.

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Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL konstruiert damit ein strikt beachtliches Vermeidungsver-

bot.510

Die gemeinschaftliche Forderung nach Alternativlösungen bezieht sich dabei auf Standort-

und Ausführungsalternativen. Das bedeutet, es handelt sich nicht nur dann um eine Alter-

nativlösung, wenn das Vorhaben in einem anderen Ort ausführbar ist, sondern auch dann,

wenn es in einer anderen Weise realisiert werden kann. Was nicht als zu berücksichtigende

Alternative gilt, sind grundsätzlich andere Lösungen der Planungsaufgabe, die sog. Sys-

temalternativen, wie etwa ein Schienenweg statt einer Fernstraße.511 Denn die gewählte

Form eines Vorhabens stellt in den meisten Fällen einen unmittelbaren Ausdruck des öf-

fentlichen Interesses dar.512

Anzumerken ist ferner, dass es Sache der zuständigen einzelstaatlichen Behörden ist, die

notwendigen Vergleiche zwischen den Alternativlösungen anzustellen.513 Ihre Entschei-

dung ist aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar.514

Aus der Formulierung der Vorschrift geht aber noch nicht hervor, was unter dem Begriff

Alternative genau zu verstehen ist. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach dem

Inhalt und der Reichweite der Alternativenprüfung. Der Begriff Alternative wird definiert

als „die Möglichkeit, ein Vorhaben in anderer Weise oder an einem anderen Standort aus-

zuführen, ohne dass es seine eigentliche Zweckbestimmung verliert“.515 Da aber die Gefahr

besteht, dass eine derart weit gefasste Definition jede denkbare Alternative umfassen kann,

was dem Sinne und Zweck der Vorschrift nicht gerecht wird, erscheint es angebracht, den

Begriff Alternative in mehrfacher Hinsicht einzuschränken.

510 Jarass, NuR 2007, S. 377; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 169; Fisahn, ZUR

2003, S. S.27; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 202; Gellermann, NuR 1996, S. 554. 511 Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 344; Jarass, NuR 2007, S. 378; Friedrichsen, Umweltbe-

lastende Vorhaben, S. 238; Hösch, NuR 2004, S. 215; Ramsauer, in: Erbguth, S. 123; Cosack, UPR 2002, S. 254; a.A. Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 77; Kador, FFH-Richtlinie, S. 49.

512 Ramsauer, in: Erbguth, S. 123 f.; Jarass, NuR 2007, S. 378; Hösch, NuR 2004, S. 215; Erbguth, DVBl. 1999, S. 589.

513 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 47; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 148; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 343.

514 Cosack, UPR 2002, S. 253; Jarass, NuR 2007, S. 377; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 78; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 218; Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, A1, § 34, Rn. 16; Schrödter, NuR 2001, S. 14; Burmeister, ZUR 1997, S. 93.

515 Hösch, NuR 2004, S. 215.

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a) Nullvariante

Fraglich ist zunächst, ob im Rahmen der Suche einer Alternative auch die sog. Nullvariante

in Betracht zu ziehen ist. Eine Nullvariante, also der vollständige Verzicht auf die Verwirk-

lichung des beabsichtigten Vorhabens, ist im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

keine Alternative. Zum einen kann die Möglichkeit, ein Projekt oder einen Plan zu unter-

lassen, nicht als Alternative gewertet werden, da der Sinn und Zweck der Alternativensu-

che gerade darin besteht, einen Gegenvorschlag und damit eine Wahlmöglichkeit zu schaf-

fen, mit dem der Zweck des Vorhabens ohne oder mit weniger Beeinträchtigungen für das

betroffene Gebiet erreicht werden kann. Durch einen derartigen Verzicht auf die Realisie-

rung des Vorhabens würde der Zweck des Vorhabens aufgegeben.516 Dies würde die Aus-

nahmeregelung ad absurdum geführt, da durch sie die Ausnahmetatbestände des Art. 6

Abs. 4 FFH-RL überflüssig wären.517 In diesem Fall würde die Einbeziehung der Nullvari-

ante dazu führen, dass stets eine Alternative vorhanden, das Vorhaben also unzulässig wä-

re, was mit dem Sinn und Zweck der Vorschrift unvereinbar ist.518 Zum anderen würde es

auch an Maßstäben zur Beantwortung der Frage fehlen, wann eine Nullvariante als Alter-

native in Frage kommt. Denn ein Absehen von einem Vorhaben ist nach den einschlägigen

Vorschriften nur dann erforderlich, wenn keine Alternative besteht und zwingende Gründe

des öffentlichen Interesses nicht überwiegend sind.519 Aus diesen Gründen steht die ganz

überwiegende Auffassung zu Recht auf dem Standpunkt, dass die sog. Nullvariante keine

Alternative im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL darstellt.520

516 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79; Jarass, NuR 2007, S. 378; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 228. 517 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 148; Erbguth, DVBl. 1999, S. 590; Wirths,

Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 192; Cosack, UPR 2002, S. 253 f.; Gellermann, NuR 1996, S. 554.

518 Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 360; Schink, UPR 1999, S.425. 519 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 148; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 228;

Ramsauer, in: Erbguth, S. 127. 520 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 142; Jarass, NuR 2007, S. 378; Günes/Fisahn,

EurUP 2007, S. 228; Kremer, ZUR 2007, S. 304; Wrase, NuR 2004, S. 357; Wolf, ZUR 2005, S. 454; Hösch, NuR 2004, S. 215; Spannowsky, UPR 2005, S. 405; Gellermann, Natura 2000, S. 89; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 142 f.; Marzik/Wilrich, BNatSchG § 34, Rn. 16; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 110; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 78 f.; Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, A1, § 34, Rn. 15; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 80; a.A. Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 46, die ausführt, dass auch die „Nulloption“ in Erwägung gezogen werden sollte; zustimmend, Weihrich, DVBl. 1999, S. 1702, der ausführt, dass unter bestimmten Umstän-den auch die „Null-Lösung“ zu prüfen ist.

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b) Zumutbarkeit der Alternative

Auch wenn der Begriff „zumutbar“ im Text der FFH-Richtlinie nicht explizit vorkommt,

geht die in der Literatur überwiegend vertretene Ansicht davon aus, dass es sich bei der

Alternative im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL um eine zumutbare handelt.521 In

diesem Zusammenhang muss zunächst berücksichtigt werden, dass das Zumutbarkeitskrite-

rium als Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes angesehen werden muss.522 Zwar

ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in der FFH-Richtlinie selbst nicht enthalten, es ist

jedoch in Art. 5 Abs. 3 EGV verankert und wird auch vom Europäischen Gerichtshof als

Bestandteil des Gemeinschaftsrechts anerkannt.523 Damit ist eine Maßnahme mit dem Ver-

hältnismäßigkeitsgrundsatz nicht zu vereinbaren, wenn sie etwas verlangt, was zur Erfül-

lung der mit der gemeinschaftlichen Regelung verfolgten Ziele weder geeignet, noch erfor-

derlich, noch angemessen ist.524

In diesem Kontext muss zunächst die in Aussicht genommene Alternative geeignet sein.

Das Gebot der Geeignetheit verlangt generell den Einsatz solcher Mittel, mit deren Hilfe

der angestrebte Erfolg gefördert werden kann.525 Die jeweilige Maßnahme soll somit ge-

eignet sein, den verfolgten Zweck zu erreichen. Das ist bei der Alternativenprüfung der

Fall, wenn sie den Erhaltungszielen des jeweiligen Schutzgebietes besser gerecht wird als

das zum Antrag gestellte Vorhaben und zudem dessen Zweck in vergleichbarer Weise ver-

521 Jarass, NuR 2007, S. 378; Cosack, UPR 2002, S. 253; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-

ordnung, S. 148; Hösch, NuR 2004, S. 216; Spannowsky, UPR 2005, S. 405; Schrödter, NuR 2001, S. 14;

Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Fisahn, ZUR 2000, S. 337 f.; Franke, LKV 1999, S. 440; Köp-pel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 343.

522 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 142; BVerwG, DVBl. 2002, S. 1491; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Michler, VBlBW 2004, S. 90; Fisahn, ZUR 2003, S. 27; Friedrichsen, Umweltbe-lastende Vorhaben, S. 201; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 80 f.; Köck, ZUR 2005, S. 468; Schubert, Harmonisierung, S. 208; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1703; Berg, Euro-päisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 148 f.; Cosack, UPR 2002, S. 253; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79.

523 Jarass, NuR 2007, S. 378; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Michler, VBlBW 2004, S. 90; Hala-ma, NVwZ 2001, S. 511; Fisahn, ZUR 2003, S. S.27; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumord-nung, S. 149; Cosack, UPR 2002, S. 253; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 78; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 170; vgl. EuG-HE, 1992, S. 218.

524 EuGHE, 1990, S. 2656; EuGHE, 1992, S. 218; Hösch, NuR 2004, S. 216; Wrase, NuR 2004, S. 357; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 79; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1703; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 144 ff. Die Merkmale des euro-parechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes stimmen inhaltlich im Wesentlichen mit denjenigen über-ein, die aus der deutschen Rechtsordnung bekannt sind, vgl. Poche, NVwZ 1999, S. 1036.

525 In diesem Sinne BVerfGE, 96, S. 30; Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20, Rn. 84.

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wirklicht.526 Hierbei ist allein der mit dem Vorhaben angestrebte öffentliche Zweck beacht-

lich, da nur dieser eine Ausnahme vom Verträglichkeitsgrundsatz rechtfertigen kann.527

Ferner ist zu beachten, dass die in Betracht zu ziehenden Alternativlösungen einer ver-

gleichbaren Zweckverwirklichung dienen müssen.

Ist die Geeignetheit der Alternative zu bejahen, muss sie weiter erforderlich sein. Danach

darf keine der von einem Mitgliedstaat ergriffenen Maßnahmen über das zur Verfolgung

ihres Zweckes notwendige Maß hinausgehen.528 Dieses Gebot ist verletzt, wenn das Ziel

der Maßnahme auch durch andere, gleich wirksame Mittel erreicht werden kann, welches

dem Vorhabenträger milder erscheint. Daraus ist zu schließen, dass bei der Festlegung der

zu prüfenden Alternativen beim Vorliegen mehrerer aus naturschutzfachlicher Sicht

gleichwertiger Vorhabenvarianten, diejenige gewählt werden muss, die für den Vorha-

benträger weniger belastend ist.529

Des Weiteren muss die Alternative angemessen sein. Dieses Kriterium gebietet, dass die

von einem Mitgliedstaat ergriffene Maßnahme in einem angemessenen Verhältnis zu dem

verfolgten Ziel stehen muss.530 Es bedarf mithin der Untersuchung, inwieweit der mit ihr

gewünschte Erfolg, die Integrität des jeweiligen Schutzgebietes vollständig oder zumindest

teilweise zu wahren, in einem angemessenen Verhältnis zu den mit ihrer Verwirklichung

verbundenen Nachteilen für den Vorhabenträger steht.531 Wann eine Alternative angemes-

sen beziehungsweise unangemessen ist, lässt sich indessen nicht allgemein festlegen, son-

dern erfordert eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.532 Dabei richtet sich

die Frage, ob eine alternative zumutbar ist, nach den Möglichkeiten, die dem Vorhabenträ-

ger zur Verfügung stehen.533

Obwohl die Kommission534 bei der Suche nach einer Alternativlösung allein auf den Erhal-

tungsaspekt und auf die Wahrung der Integrität des Schutzgebietes abstellt und keine wirt-

schaftlichen Aspekte berücksichtigen will, wird im Schrifttum überwiegend zutreffend die

526 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 144. 527 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 144; Erbguth, DVBl. 1999, S. 592; Gellermann, NuR 1996, S.

554. 528 Vgl. Jarass/Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Art. 20, Rn. 85. 529 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 75; Wrase, NuR 2004, S. 357; Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 143 f.; Jarass, ZUR 2000, S. 187; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79. 530 Vgl. BVerfGE, 30, S. 316. 531 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 145; vgl. BVerwG, NuR 2000, S. 450 f.; OVG Lüneburg, NuR

1999, S. 524. 532 OVG Lüneburg, NuR 1999, S. 524; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 145; Wickel/Bieback,

BayVBl. 2004, S. 361; Fisahn, ZUR 2000, S. 337; Gellermann, Natura 2000, S. 91. 533 Halama, NVwZ 2001, S. 511; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 149. 534 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 46.

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Ansicht vertreten, dass die Alternative auch wirtschaftlich zumutbar sein muss.535 Dies

folgt bereits aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Ziel der FFH-Richtlinie,

auch wirtschaftliche Belange zu berücksichtigen.536 Der Vorhabenträger kann demnach als

widerstreitende öffentliche Belange insbesondere mit der Realisierung der Alternative ein-

hergehende Mehrkosten ins Feld führen. Dies hat zur Folge, dass Alternativen, die sich nur

mit einem unverhältnismäßigen Kostenaufwand verwirklichen lassen, außer Betracht blei-

ben müssen.537 Indes führt allein ein erhöhter Kostenaufwand der Vorhabenvariante keines-

falls automatisch zur Unzumutbarkeit einer Alternativlösung. Aus dem Verhältnismäßig-

keitsgrundsatz folgt vielmehr, dass die zumutbaren Kosten mit der ökologischen Wertigkeit

der Lebensräume und Arten, die bei der Realisierung des Vorhabens beeinträchtigt werden

können, steigen.538 Mit der Schwere des Eingriffs in das jeweilig betroffene FFH-Gebiet

erhöht sich folglich die Zumutbarkeitsgrenze der aufzuwendenden Mehrkosten proportio-

nal.539 Erst wenn der mit der Alternative verbundene Mehraufwand zu den mit der FFH-

Richtlinie bezweckten naturschutzfachlichen Belangen, nämlich dem Schutz des FFH-

Schutzgebietes, außer Verhältnis stehen, ist die Grenze des Zumutbaren überschritten.540

Eine Vorhabenvariante dürfte in diesem Sinne jedenfalls dann unzumutbar sein, wenn sie

wirtschaftlich unrentabel und damit für den Vorhabenträger unvertretbar ist. Wann eine

wirtschaftliche Unzumutbarkeit anzunehmen ist, ist regelmäßig im Einzelfall zu entschei-

den.

535 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 149; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 228;

Füßer, ZUR 2005, 464; Stüer, DVBl. 2007, S. 419; Kremer, ZUR 2007, S. 304; Hösch, NuR 2004, S. 216; Schrödter, NuR 2001, S. 14; Wrase, NuR 2004, S. 357; Spannowsky, UPR 2005, S. 405; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 110; Möstl, DVBl 2002, S. 733; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 145 f.; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79 f.; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 95; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1703; Kador, FFH-Richtlinie, S. 50; Schink, UPR 1999, S. 425. Dieser Sichtweise hat sich mitt-lerweile auch das Bundesverwaltungsgericht angeschlossen, vgl. BVerwG, NuR 2000, S. 451.

536 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 149; vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 145; Kador, FFH-Richtlinie, S. 50.

537 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 142; BVerwG, NuR 2000, S. 450 f.; Halama, NVwZ 2001, S. 511; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 150; Lorenz, Harmoni-sierung des Verfahrens S. 95; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 228; Stüer, DVBl. 2007, S. 418; Schink, DÖV 2002, S. 55; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 70; Ramsauer, in: Erb-guth, S. 125.

538 Schrödter, NuR 2001, S. 14; Jarass, NuR 2007, S. 378; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 150; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 231.

539 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 231; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 150; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Maaß, ZUR 1999, S. 164; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 56; in diesem Sinne auch BVerwG, NuR 2000, S. 451.

540 Halama, NVwZ 2001, S. 511; Jarass, NuR 2007, S. 378; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 150; Stüer, DVBl. 2007, S. 418; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Schink, DÖV 2002, S. 55; Maaß, ZUR 1999, S. 164; Kador, FFH-Richtlinie, S. 50.

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Neben der Kostenfrage muss in der Abwägung stets eine umfassende Berücksichtigung

aller betroffenen Belange, die im Zusammenhang mit der Auswahl der Vorhabenvariante

stehen, stattfinden. Es muss somit eine Auseinandersetzung mit allen entscheidungserheb-

lichen Kriterien erfolgen, durch welche die Unterschiede zu den in Frage kommenden Al-

ternativen deutlich werden.541 Die Bestimmung der Zumutbarkeit von Alternativlösungen

hängt dabei maßgeblich von den charakteristischen Eigenschaften des Vorhabens ab. Al-

lerdings kommt es für eine zumutbare Alternativlösung nicht darauf an, dass der Vorha-

benträger die Alternative tatsächlich akzeptiert und bereit ist, sie umzusetzen. Solange eine

zumutbare Alternative besteht, ist die zuständige Behörde an diese Alternative gebunden

und darf das Vorhaben nur dort zulassen.542

Eine Alternative ist im Übrigen nur dann zumutbar, wenn sie zum Zeitpunkt der Prüfung

des beantragten Vorhabens öffentlich-rechtlich und zivilrechtlich realisiert werden kann.543

Aus öffentlicher Sicht ist relevant, ob die Alternativlösung ebenfalls in die gegebenen pla-

nungsrechtlichen Vorgaben, wie etwa dem Gebietsentwicklungsplan, einzupassen ist. Im

zivilrechtlichen Bereich wird sich regelmäßig die Frage stellen, ob ein Alternativstandort

bereits deshalb ausscheidet, weil sich die benötigten Flächen nicht im Eigentum des

Vorhabenträgers befinden. Grundsätzlich soll hierbei die Nutzung zu vertretbaren wirt-

schaftlichen Bedingungen möglich sein.544 Problematisch wird der Fall aber dann, wenn

der derzeitige Eigentümer sein für die Realisierung des Vorhabens benötigtes Grundstück

nicht oder nur zu überhöhten Preisen verkaufen will. Nur im Einzelfall wird bei der Reali-

sierung eines privaten Vorhabens dann eine Enteignung in Betracht kommen, soweit die

allgemeinen Voraussetzungen für eine Enteignung vorliegen.545 Es wird aber für diesen

Fall die Ansicht vertreten, dass der Vorhabenträger sich nicht auf die entgegenstehenden

Eigentumsverhältnisse berufen dürfe und daher auch diese Alternativen in die Betrachtung

einzubeziehen seien. Der Schutz der FFH-Schutzgebiete sei andernfalls von den Zufällig-

keiten der Eigentumsverhältnisse und der Eigentumsordnung in dem jeweiligen Mitglied-

staat abhängig, wobei die bestehende Eigentumsordnung Vorrang vor dem Schutz von Ge-

541 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 80; vgl. auch Sobotta, ZUR 2006, S. 359. 542 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 80; Stüer, DVBl. 2007, S. 418; vgl. auch BVerwG, NuR 2000, S. 450. 543 Schrödter, NuR 2001, S. 14; Fisahn, ZUR 2003, S. S.27; Cosack, UPR 2002, S. 253; Berg, Europäisches

Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 150; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 112; vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 145; Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, A1, § 34, Rn. 15; Kador, FFH-Richtlinie, S. 50.

544 Cosack, UPR 2002, S. 253; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 150; Schrödter, NuR 2001, S. 14; Wolf, ZUR 2005, S. 454.

545 Cosack, UPR 2002, S. 253; vgl. auch Wolf, ZUR 2005, S. 454.

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bieten mit gemeinschaftlicher Bedeutung genießen würde.546 Diese Auffassung will somit

der FFH-Richtlinie eine enteignende Wirkung unterstellen, was rechtlich kaum haltbar sein

dürfte und über das Ziel der Richtlinie hinausschießt.547 Sofern der Eigentümer der Flä-

chen, die für die Alternativlösung benötigt werden, generell nicht zum Verkauf bereit ist

und auch keine Enteignungsmöglichkeit besteht, kann die Realisierung der Alternative im

Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL nicht als zumutbar angesehen werden.548

c) Territoriale Reichweite der Alternativenprüfung

Bei der Untersuchung einer zumutbaren Alternative stellt sich weiterhin die Frage, ob der

Suche nach einem alternativen Standort auch räumliche Grenzen gesetzt sind. Die FFH-

Richtlinie enthält allerdings keine Hinweise auf Auslegung des Begriffes der Alternative

hinsichtlich des räumlichen Bereichs. Zu untersuchen ist daher, ob die Alternativenprüfung

europaweit, bundesweit oder im vorhabenbetroffenen Bundesland durchzuführen ist.

Bei der Diskussion der territorialen Grenzen der Alternativenprüfung kann zunächst von

der Zielrichtung der FFH-Richtlinie ausgegangen werden. Das kohärente Schutzgebietssys-

tem Natura 2000 steht in dieser Hinsicht im Mittelpunkt der Überlegungen. Bei jeder ein-

zelnen Entscheidung, bei jeder Abwägung und damit auch bei der Festlegung von Alterna-

tivlösungen muss der Schutz des gemeinschaftlichen Naturerbes der Europäischen Union

berücksichtigt werden.549 Eine Prüfung sämtlicher Standortalternativen im Gesamtgebiet

der Europäischen Union wird in diesem Sinne die naturschutzfreundlichste Auslegungsva-

riante sein, denn je größer die für die Alternativenprüfung zur Verfügung stehende Fläche

ist, desto höher ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass einer der zu untersuchenden Standorte

eine zumutbare Alternativlösung darstellt, die entweder weniger oder keine Beeinträchti-

gung eines FFH-Schutzgebietes zeitigt.550

Fraglich ist aber, ob allein die Tatsache, dass die europaweite Alternativensuche, die öko-

logisch wertvollste Variante ist, den Anforderungen der FFH-Richtlinie genügt. Es wird

hierbei darauf hingewiesen, dass eine solche einseitige Betrachtung allein unter dem

546 So wohl Ramsauer, in: Erbguth, S. 125 f.; ähnlich Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 222. 547 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 151, Fn. 239; Cosack, UPR 2002, S. 253. 548 Cosack, UPR 2002, S. 253; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 112; Berg, Europäisches Natur-

schutzrecht und Raumordnung, S. 150; Schrödter, NuR 2001, S. 14. 549 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 80; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 227 f. 550 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 80; vgl. Erbguth, DVBl. 1999, S. 593; Friedrichsen, Umweltbelastende

Vorhaben, S. 227 f.

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Blickwinkel des optimalen Naturschutzes die weiteren Erhaltungsziele der FFH-Richtlinie

missachtet. Bereits in Art. 174 Abs. 3 EGV ist geregelt, dass die Gemeinschaft „bei Erar-

beitung ihrer Umweltpolitik… die wirtschaftliche und soziale Entwicklung der Gemein-

schaft insgesamt sowie die ausgewogene Entwicklung ihrer Regionen“ berücksichtigt. Die

zitierte Passage findet ihren Ausdruck im 1. Erwägungsgrund und in Art. 2 Abs. 3 der

FFH-Richtlinie, indem sie festlegt, dass den Anforderungen von Wirtschaft, Gesellschaft

und Kultur sowie den regionalen und örtlichen Besonderheiten Rechnung getragen werden

muss.551 Sinn und Zweck der Richtlinie ist mithin nicht eine absolute Durchsetzung des

Naturschutzes, denn sonst könnte von einer Berücksichtigung wirtschaftlicher und regiona-

ler Belange keine Rede sein.552 Auch die Pflicht zur Suche nach Alternativen darf daher

nicht ausschließlich aus der Perspektive des optimalen Naturschutzes gesehen werden.553

Über dies hinaus wird die Realisierung eines Vorhabens in einem anderen Mitgliedstaat der

Europäischen Union, mit anderen gesetzlichen Regelungen, nur in seltenen Ausnahmefäl-

len wirklich mit dem ursprünglichen Vorhaben vergleichbar sein. Dies wird ganz überwie-

gend die Grenze zur Unzumutbarkeit überschreiten, denn eine vergleichbare Verwirkli-

chung des Vorhabens wird aus wirtschaftlichen, infrastrukturellen oder politischen Grün-

den nicht mehr möglich sein. So ist höchstwahrscheinlich, dass durch eine europaweite

Alternativensuche alle Beteiligten finanziell und personell überfordern, wobei auch der

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz leer laufen wird.554 Ferner ist zu beachten, dass eine euro-

paweite Alternativensuche besondere Zuständigkeitsprobleme aufwirft. Grundsätzlich

kommt den Mitgliedstaaten die ausschließliche Planungszuständigkeit auf ihrem Hoheits-

gebiet zu und es ist deshalb Sache der jeweilig zuständigen einzelstattlichen Behörde, die

Standortuntersuchungen vorzunehmen. Könnte die Behörde diese Untersuchungen nicht

auf dem Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten durchführen, so wäre bei der Auswahl ge-

eigneter Alternativlösungen auf die Zusammenarbeit mit den Behörden der betroffenen

Mitgliedstaaten angewiesen. Es ist aber davon auszugehen, dass die einzelnen Mitglied-

staaten in erster Linie daran interessiert sind, in ihr eigenes Land zu investieren und auch

dort Arbeitsplätze zu schaffen oder bereits vorhandene zu sichern. Eine europaweite Alter-

nativenprüfung wäre angesichts des innereuropäischen Wettbewerbs nicht realisierbar.555

551 Erbguth, DVBl. 1999, S. 593. 552 Erbguth, DVBl. 1999, S. 593; vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 4. 553 Erbguth, DVBl. 1999, S. 593. 554 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 81; vgl. Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 223. 555 So Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 82; vgl. dazu Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-

recht, S. 194.

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Eine Alternativenprüfung auf dem Gebiet der Europäischen Union ist somit weder mit den

Zielsetzungen der FFH-Richtlinie noch mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und noch

mit dem europäischen Wettbewerb vereinbar und scheidet daher als vertretbare Möglich-

keit aus.556

Zu beachten ist dabei, dass die obigen Ausführungen, die gegen eine europaweite Alterna-

tivensuche sprechen, nur für nichtinternationale bzw. nichteuropäische Projekte gelten. Bei

einem internationalen oder europäischen Projekt wie etwa einem Airbuswerk wäre es un-

sinnig, internationale bzw. europäische Alternativen nicht in Betracht zu ziehen. So soll im

genannten Beispiel auch ein Alternativstandort in Frankreich berücksichtigt werden. Bei

kleineren Projekten wie etwa Windanlagen würde eine europaweite Alternative hingegen

aus den oben dargestellten Gründen wenig Sinn machen. Maßgebend sein soll hierbei mit-

hin die Größe des Projekts.

Während die europäische Projekte eine europaweite Alternativensuche erfordern, bleibt es

aber weiterhin fraglich, ob bei kleineren Projekten eine Alternativenprüfung im gesamten

Bundesgebiet oder allein im betroffenen Bundesland durchgeführt werden soll. Für eine

bundesweite Standortsuche kann bereits das Argument sprechen, dass eine derartige Alter-

nativensuche naturschutzfachlich die verträglichste Variante ist; da die Möglichkeit, im

gesamten Bundesgebiet eine Alternativlösung zu finden, die keine oder zumindest eine

geringere Beeinträchtigung eines FFH-Gebietes mit sich bringt, noch wahrscheinlicher ist,

als wenn die Suche allein auf das jeweilige Bundesland begrenzt wäre. Dies gilt zumal,

wenn es sich um einen Stadtstaat handelt.557 Für eine solche Auslegung spricht auch der

Ansatz der FFH-Richtlinie. Die FFH-Richtlinie wurde als verbindlicher Regelungskomplex

der Europäischen Union für alle Mitgliedstaaten ungeachtet ihrer verfassungsrechtlichen

Strukturen verabschiedet. Eine Bund-/Länderproblematik bezüglich der Grenzen der Alter-

nativensuche wurde daher nicht in die Überlegungen miteinbezogen. In dieser Hinsicht

wäre sinnvoll, von der vermittelnden Ansicht einer mitgliedstaatlichen Alternativenprüfung

auszugehen. Zudem sind die Schutzziele der FFH-Richtlinie zwar im europäischen Rah-

men zu verwirklichen, die Durchführung obliegt aber den einzelnen Mitgliedstaaten. Da

die einzelnen Mitgliedstaaten im Ergebnis auch die Verantwortung für die Realisierung des

556 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 82; vgl. Erbguth, DVBl. 1999, S. 593 ff. 557 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 82; vgl. Weihrich, DVBl. 1999, S. 1703.

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Schutzgebietsnetzes Natura 2000 tragen, erscheint es sinnvoll, auch die Suche nach Alter-

nativstandorten dem jeweiligen Mitgliedstaat zu überlassen.558

Dabei kann auch einiges für eine bundeslandbezogene Alternativenprüfung sprechen. Prin-

zipiell ist die Durchführung der gemeinschaftlichen Vorgaben allein national zu regeln.

Nach der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung der Bundesrepublik sind gemein-

schaftsrechtliche Richtlinien im Bereich des Naturschutzes durch die Länder zu vollziehen.

Wenn die Länder die naturschutzrechtlichen Vorgaben eigenständig vollziehen müssen, so

spricht dies für eine Alternativenprüfung - als eine dieser Vorgaben - innerhalb der Gren-

zen des betroffenen Bundeslandes.559 Dass die Ausweisung von Schutzgebieten durch die

Länder vorgenommen wird, kann auch für eine bundeslandbezogene Alternativenprüfung

ein Indiz sein, da daraus folgt, dass die Länder - nicht aber der Bund - die Adressaten der

sich aus der FFH-Richtlinie ergebenden Schutzpflichten sind. Da jedes Bundesland seine

eigenen FFH-Gebiete ausweist, und diese verwaltet, spricht auch dies unter dem Aspekt der

Praktikabilität eher für eine Alternativensuche innerhalb der Grenzen des Bundeslandes.560

Aus den dargestellten Überlegungen folgt damit, dass einerseits eine strikte Festlegung

einer Pflicht zur bundesweiten Alternativenprüfung nicht vertretbar und andererseits aber

auch eine bundesweite Alternativensuche pauschal abzulehnen, wenig sinnvoll ist. Daher

erscheint es angebracht, die suche nach Alternativlösungen an den Zielvorgaben des jewei-

ligen Vorhabens festzumachen.561 Bei der Bewertung der Alternativlösungen dürfte wie-

derum der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entscheidend sein. Die zuständige Behörde soll

in diesem Sinne untersuchen, ob es im Einzelfall dem Vorhabensträger zumutbar ist, sein

Vorhaben auch in einem anderen Bundesland zu realisieren, oder ob es sich dann nicht

mehr um eine vergleichbare Verwirklichung handelt. Sofern der Zweck des Vorhabens nur

in dem vorhabenbetroffenen Bundesland zu verwirklichen ist, wäre jeder andere Standort

in einem anderen Bundesland ungeeignet und würde sodann an dem Zumutbarkeitsgebot

scheitern.562 Wenn hingegen die Zielsetzung des Vorhabens nicht zwingend an ein be-

stimmtes Bundesland gebunden ist, so sollte länderübergreifende Zusammenarbeit bezüg- 558 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 82 f.; vgl. dazu Weihrich, DVBl. 1999, S. 1703; Wirths, Naturschutz durch

europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 193 f. 559 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 83; vgl. auch Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 75. 560 So Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 83. 561 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 83; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 151; Koch,

Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 167; vgl. auch Jarass, in: FS Brohm, S. 145; Geller-mann, NuR 1996, S. 554.

562 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 83; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 151; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 167; vgl. dazu Friedrichsen, Umweltbelastende Vor-haben, S. 242.

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lich Standorte des jeweiligen Vorhabens, hinsichtlich einer besseren Verträglichkeit mit

den Erhaltungszielen, erwartet werden dürfen. Es bedarf somit einer Abgrenzung, welche

Gründe eine bundeslandspezifische Prüfung erlauben und welche nicht.563

2. Zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses

Auch wenn festgestellt wird, dass für ein Vorhaben zumutbare Alternativen nicht vorhan-

den sind, steht die Zulässigkeit des Vorhabens noch nicht fest. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1

FFHRL verlangt weiter, dass das Vorhaben aus zwingenden Gründen des überwiegenden

öffentlichen Interesses notwendig ist, wobei soziale und wirtschaftliche Interessen aus-

drücklich mit einbezogen werden. Die nach dieser Vorschrift ein unverträgliches Vorhaben

ausnahmsweise rechtfertigenden zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Inte-

resses, einschließlich solcher sozialer und wirtschaftlicher Art sind jedoch in der FFH-

Richtlinie nicht näher definiert. Zur näheren Erläuterung dieses Terminus sind drei Aspekte

relevant: Es muss ein öffentliches Interesse an dem Vorhaben bestehen, die Gründe, die für

das Vorhaben sprechen müssen zwingend sein und das öffentliche Interesse an dem Vorha-

ben muss überwiegen.564 Dabei ist zu beachten, dass diese Elemente als Ausnahmetatbe-

stände restriktiv auszulegen sind.565

a) Das öffentliche Interesse

Nach dem klaren Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL können nur öffentliche Inte-

ressen den Erlass eines ein Schutzgebiet beeinträchtigenden Vorhabens rechtfertigen.566

Das öffentliche Interesse ist hierbei als Gegensatz zu ausschließlich privaten Interessen zu

verstehen. Daraus folgt, dass Pläne und Projekte, die ausschließlich den Interessen privater

Unternehmen oder den Interessen von Einzelpersonen dienen, nicht als öffentliches Inte-

resse zu betrachten sind und damit nicht in der Lage sind, eine Ausnahmezulassung zu

563 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 83; vgl. dazu Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S.

167. 564 Vgl. Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 347 f.; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 97. 565 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 97; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 114; Freytag/Iven, NuR

1995, S. 113. 566 Vgl. Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 47 f.; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361;

Gellermann, Natura 2000, S. 91 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 160 f.; Wrase, NuR 2004, S. 356 f.; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 216; Schink, GewArch 1998, S. 50; Halama, NVwZ 2001, S. 512; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 138; Kador, FFH-Richtlinie, S. 54.

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rechtfertigen.567 Allerdings kann die Abgrenzung zwischen öffentlichen und privaten Inte-

ressen im Einzelfall schwierig sein, da die Realisierung privater Interessen häufig zugleich

auch dem Gemeinwohl dient.568 Der Kreis der öffentlichen Interessen wird daher im Rah-

men der FFH-Richtlinie weit gezogen. So kommt es nicht darauf an, dass das jeweilige

Vorhaben selbst unmittelbar aus Gründen des öffentlichen Interesses durchgeführt werden

soll, sondern lediglich darauf, ob es für die Zulassung und Verwirklichung, Gründe des

öffentlichen Interesses gibt.569 Nicht entscheidend ist mithin, ob der Träger des Vorhabens

öffentlich-rechtlich organisiert ist. Private Vorhaben können auch im öffentlichen Interesse

liegen und sind somit nicht von vornherein vom Ausnahmeverfahren ausgeschlossen. Er-

forderlich ist dabei, dass die Durchführung eines unmittelbar privatnutzigen Vorhabens

zumindest auch mittelbar öffentlichen Interessen dient.570 Dies ist etwa der Fall, wenn es

um die Ansiedlung privater Produktionsbetriebe geht, an deren Zulassung ein öffentliches

Interesse zur Verbesserung der Infrastruktur einer schwachen Region (Schaffung von Ar-

beitsplätzen usw.) besteht.571 Im Übrigen lässt sich aus dem juristischen Erst-Recht-

Schluss572 des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL ableiten, dass die dort ausdrücklich benann-

ten Aspekte des Schutzes der Gesundheit, der Umwelt und der öffentlichen Sicherheit je-

denfalls zu öffentlichen Interessen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL zu zurech-

nen sind. Denn wenn die dort aufgeführten Gründe eine Beeinträchtigung eines Schutzge-

bietes mit prioritären Bestandteilen rechtfertigen können, muss dies erst in Gebieten ohne

prioritäre Bestandteile möglich sein.573

567 Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 233; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 348;

Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 160 f.; Hösch, NuR 2004, S. 216; Steffen, Ha-bitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 79; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Thyssen, DVBl. 1998, S. 882.

568 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 138; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 361; Jarass, ZUR 2000, S. 187; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 114; Johlen, WiVerw 2000, S. 48.

569 Ramsauer, in: Erbguth, S. 118; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 98; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 4. 570 Hösch, NuR 2004, S. 216; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 79;

Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 207; Ramsauer, in: Erbguth, S. 118. 571 Vgl. Ramsauer, in: Erbguth, S. 118; Jarass, NuR 2007, S. 376; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelun-

gen, S. 348; Jarass, ZUR 2000, S. 187. 572 Zum Erst-Recht-Schluss vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S. 389 f. 573 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 161; Wrase, NuR 2004, S. 357; Gellermann,

Natura 2000, S. 92 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 139; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 4.

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b) Zwingende Gründe

aa) Allgemeines

Für eine ausnahmsweise Genehmigung ausreichend sind nicht alle öffentlichen Gründe,

sondern ausschließlich solche, die zwingend sind. Wann dies der Fall ist, wird aber in der

FFH-Richtlinie nicht näher bestimmt. Auch in der Literatur wurde zu diesem Begriff keine

einheitliche Definition ausgearbeitet, so wird etwa von einem deutlichen Übergewicht ge-

sprochen,574 auf gewichtige, plausible und nicht-spekulative Gründe575 bzw. Gründe mit

erheblichem Gewicht576 abgestellt, ein Vorhaben von weit reichender, übergeordneter Be-

deutung oder eine hohe Wahrscheinlichkeit der Erfüllung des öffentlichen Interesses gefor-

dert.577 So wird dem Merkmal „zwingend“ häufig keine eigenständige oder eine nur unspe-

zifische Bedeutung zugemessen. Dann wäre seine ausdrückliche Erwähnung aber überflüs-

sig. Da sich jedoch dieses Merkmal auf die Gründe für das öffentliche Interesse und nicht

auf das Vorhaben bezieht, kann es nicht einfach als Ausdruck des Grundsatzes der Erfor-

derlichkeit angesehen werden. Ob die als zwingend eingestuften Gründe des öffentlichen

Interesses die Durchführung eines bestimmten Vorhabens erfordert, ist vielmehr eine Fra-

ge, die bei der Forderung der Alternativlosigkeit berücksichtigt wird.578 Auch dürfte eine

Auslegung, wonach Gründe dann zwingend sind, wenn das durch sie begründete öffentli-

che Interesse ein höheres Gewicht hat als das Interesse an der Erhaltung des Schutzgebie-

tes, nicht unproblematisch sein. Denn Gewicht und Bedeutung der Gründe finden im

Merkmal des Überwiegens, also in der Abwägung, Berücksichtigung; sie können somit

nicht zugleich den zwingenden Charakter begründen.579

Noch nicht geklärt ist aber mit diesen Überlegungen die Frage, wann die Gründe des öf-

fentlichen Interesses zwingend sind. Die Kommission bezieht sich zur Auslegung des

Merkmals „zwingend“ insoweit auf die Rechtsprechung des EuGH bezüglich der Ausarbei-

tung der „zwingenden Erfordernisse“ als Ausnahme vom Grundsatz des freien Warenver- 574 Bugiel, NordÖR 1998, S. 422; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 140; Gellermann, Natura 2000,

S. 93; Jessel, UPR 2004, S. 412. 575 Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 70; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 348. 576 Niederstadt, NuR 1998, S. 524. 577 Louis, DÖV 1999, S. 380. 578 Ramsauer, in: Erbguth, S. 118; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S.

80; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 206; Cosack, UPR 2002, S. 254; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 362.

579 Ramsauer, in: Erbguth, S. 118 f.; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 80; vgl. Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 207; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 362.

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kehrs.580 Als Bereiche, die zu diesen zwingenden Erfordernissen gehörten und damit die

einzelstaatliche Maßnahmen zur Beschränkung des freien Warenverkehrs rechtfertigen

können, habe der EuGH etwa die öffentliche Gesundheitsvorsorge, den Umweltschutz so-

wie die Verfolgung legitimer Ziele der Wirtschafts- und Sozialpolitik anerkannt. Die

Gleichsetzung von zwingenden Gründen und legitimen Zielen vermag dabei nicht zu be-

friedigen, denn die Verfolgung legitimer Ziele erscheint zwar notwendig, aber nicht hinrei-

chend, um Ausnahmegründe als zwingend erscheinen zu lassen.581 Andererseits wird auch

eine normative Fixierung der zwingenden Gründe im Recht der einzelnen Mitgliedstaaten

vom Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL nicht verlangt. Der Wortlaut deutet vielmehr auf eine

rein materielle Definition des zwingenden Grundes hin. Aus den Ausführungen der Kom-

mission ergibt sich damit keine eindeutige Abgrenzung des Begriffs.582

Es wird dabei zutreffend darauf hingewiesen, dass der Begriff der zwingenden Gründe wie

die englische Fassung „imperative reasons“, mit „verpflichtende Gründe“, zu übersetzen

ist.583 Demnach sollen Gründe vorliegen, die ein Gebot zur Durchsetzung des öffentlichen

Interesses begründen. Auszuschließen sind in diesem Sinne solche Gründe, die einen

dispositiven, beliebigen Charakter haben.584 Das mitgliedstaatliche Ermessen ist durch eine

solche Qualifizierung des öffentlichen Interesses dahingehend eingeschränkt, als nicht alle

öffentliche Interessen ohne weiteres geeignet sind, Eingriffe in Schutzgebiete zu rechtferti-

gen.585 Zwar ist es Sache der Mitgliedstaaten den Begriff des öffentlichen Interesses zu

konkretisieren; zulässig sind aber nur solche Interessen, deren Gewichtigkeit europaweit

und aus der Sicht der FFH-Richtlinie anzuerkennen sind und deren Verfolgung dringend

notwendig erscheint. Nicht in Betracht kommen dabei regelmäßig Gründe, die willkürli-

cher Natur sind, wie etwa von der Weltanschauung oder Ideologie eines Mitgliedstaates

geprägte Gründe.586 So ist das öffentliche Interesse dann als zwingend zu qualifizieren,

wenn ihre Verfolgung nach gemeinsamen Wertanschauungen in den Mitgliedstaaten ver-

nünftig erscheint.587 Interessen, die nicht europaweit zumindest ein gewisses Maß an Wich-

580 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 47. 581 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 186; Ramsauer, in: Erbguth, S. 119. 582 Ramsauer, in: Erbguth, S. 119; vgl. Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 98. 583 Ramsauer, in: Erbguth, S. 119; Schubert, Harmonisierung, S. 206; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 99, Fn.

660. 584 Ramsauer, in: Erbguth, S. 119; Schubert, Harmonisierung, S. 206; vgl. Kador, FFH-Richtlinie, S. 55 f.;

Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 186, Fn. 518. 585 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 99; Ramsauer, in: Erbguth, S. 119. 586 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 98 f.; Ramsauer, in: Erbguth, S. 119 f. 587 Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 204; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 99; Köck, ZUR 2005,

S. 468; Schubert, Harmonisierung, S. 206; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S.

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tigkeit erkennen lassen, sind nicht in der Lage, den erforderlichen verpflichtenden Charak-

ter zu begründen und sind damit im Rahmen der Ausnahmezulassung nicht akzeptabel.588

Gleichzeitig ist aber auch ein gewisser Ortsbezug der Gründe des öffentlichen Interesses

erforderlich. D.h. zwingend sind die angeführten Gründe nur dann, wenn sie sich auf einen

Standort oder eine bestimmte Region in spezifischer Weise beziehen. Gründe, deren Reali-

sierung bzw. Befriedigung praktisch überall möglich wäre, wie etwa die allgemeine Ver-

besserung der wirtschaftlichen Situation eines Mitgliedstaates, reichen daher nicht aus.589

Standortgebundene Gründe können sich hingegen aus der besonderen Strukturschwäche

einer Region (etwa bei der Gewinnung von Bodenschätzen) oder auch geographischen Ge-

gebenheiten (etwa der Lage eines Deichsperrwerks) ergeben.590

bb) Gründe wirtschaftlicher und sozialer Art

Durch Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL werden Gründe wirtschaftlicher und sozialer Art als

Rechtfertigungsgründe ausdrücklich eingeschlossen. Damit wollte sich der Richtlinienge-

ber deutlich von der von dem EuGH zur Vogelschutzrichtlinie ausgearbeiteten Rechtspre-

chung distanzieren. Während der EuGH wirtschaftlichen Interessen grundsätzlich die Eig-

nung absprach, Beeinträchtigungen von Schutzgebieten zu rechtfertigen,591 wollte der

Richtliniengeber dem ersichtlich nicht folgen und nahm eine Berücksichtigungsfähigkeit

von Gründen wirtschaftlicher und sozialer Art im Rahmen der Ausnahmezulassung an.592

Zur Verhinderung eines ausufernden Naturschutzes zu Lasten aller anderen öffentlichen

Interessen ist diese Erweiterung des Kreises der zulässigen Rechtfertigungsgründe, ein

wichtiges Anliegen der FFH-Richtlinie.

Dabei erscheint der Begriff „Gründe wirtschaftlicher und sozialer Art„ nicht eindeutig, da

es sich zugleich um Gründe des öffentlichen Interesses, die einen zwingenden Charakter

haben, handeln muss. Einerseits kann es sich bei den in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL genannten

wirtschaftlichen Gründen wegen ihres notwendigerweise öffentlichen Charakters nicht um

195; Ramsauer, in: Erbguth, S. 119; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 187; Co-sack, UPR 2002, S. 254; in dieser Richtung auch BVerwG, DVBl. 2000, S. 818.

588 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 99; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 362. 589 Köck, ZUR 2005, S. 468; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 362; Cosack, UPR 2002, S. 254; Hösch,

NuR 2004, S. 217; Ramsauer, in: Erbguth, S. 120. 590 Cosack, UPR 2002, S. 254; Köck, ZUR 2005, S. 468; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 362. 591 Vgl. EuGHE, 1991, I- S. 931 (Leybucht-Urteil); EuGH, ZUR 1994, S. 305 ff (Santoña-Urteil). 592 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 99; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 234; Ramsauer, in: Erb-

guth, S. 120; Hösch, NuR 2004, S. 217; Gellermann, NuR 1996, S. 555; Kador, FFH-Richtlinie, S. 54 f.

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privatwirtschaftliche Gründe handeln. Unter wirtschaftlichen Gründen des öffentlichen

Interesses können mithin nur solche verstanden werden, die sich auf die Allgemeinheit be-

ziehen. Daher ist hier der Wirtschaftsbegriff volkswirtschaftlich zu verstehen, also im Hin-

blick auf die Kosten und Nutzen eines Vorhabens für Staat und Gesellschaft.593 Zu derarti-

gen Gründen zählen die Stärkung der Wirtschaftskraft einer Region, eines konkreten Wirt-

schaftsstandortes oder der wirtschaftlichen Infrastruktur allgemein.594 Andererseits ist bei

den Gründen wirtschaftlicher und sozialer Art auch der Ortsbezug zur Begründung ihres

zwingenden Charakters erforderlich. Von einem verpflichtenden Charakter kann diesbe-

züglich nur dann gesprochen werden, wenn sich das Interesse auf eine bestimmte Region

bzw. einen bestimmten Standort in spezifischer Weise bezieht. Wirtschaftliche Gründe

müssen demnach aus den besonderen örtlichen Gegebenheiten folgen.595

c) Das Überwiegen der Gründe

Drittens muss das öffentliche Interesse überwiegen. Das öffentliche Interesse muss also

stärker bzw. gewichtiger sein als das in der Richtlinie zum Ausdruck gebrachte öffentliche

Interesse an der Integrität der Schutzgebiete und der Kohärenz des Netzes Natura 2000, um

eine Ausnahme rechtfertigen zu können.596 Hier muss also eine Abwägung stattfinden, die

zwischen den zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses einerseits

und dem Schutz des FFH-Schutzgebietes andererseits zu erfolgen hat.597 Eine solche Ab-

wägung ist nur einzelfallbezogen möglich, nachdem sämtliche relevanten Faktoren zuvor

ermittelt und gewichtet werden.598 Das öffentliche Interesse, das zur Rechtfertigung einer

Ausnahme verwendet wird, muss umso bedeutender sein, je schwerer die Beeinträchtigung

593 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 189; vgl. Niederstadt, NuR 1998, S. 525; Un-

nerstall, NuR 2003, S. 675. 594 Ramsauer, in: Erbguth, S. 120 f.; Köck, ZUR 2005, S. 468; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben,

S. 235 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 55. 595 Ramsauer, in: Erbguth, S. 121; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 99. 596 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 187; Ramsauer, in: Erbguth, S. 121; Berner,

Der Habitatschutz, S. 122; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 362; Hösch, NuR 2004, S. 216; Schlade-bach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 229.

597 Jarass, NuR 2007, S. 376; Kador, FFH-Richtlinie, S. 56; Ramsauer, in: Erbguth, S. 121; Berg, Europäi-sches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 162; Köck, ZUR 2005, S. 468; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 140; die europäische Abwägung ist dabei eigenständig und daher nicht mit der Abwägung der naturschutzrechtlichen Eingriffsklausel des § 19 Abs. 3 BNatSchG zu verwechseln, vgl. Kador, FFH-Richtlinie, S. 56; Ramsauer, in: Erbguth, S. 121.

598 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 187; Gellermann, Natura 2000, S. 92; Kador, FFH-Richtlinie, S. 57; Cosack, UPR 2002, S. 254.

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des betroffenen Naturschutzinteresses ist.599 Es muss sich zudem stets um ein langfristiges

Interesse handeln, kurzfristige Interessen können in keinem Fall schwerer wiegen als ein

langfristiges Interesse an der Erhaltung des Schutzgebietes.600 Im Gegensatz zur Bewertung

der Erheblichkeit der Beeinträchtigungen ist die Reichweite der Ausgleichfähigkeit bei

dieser Abwägung zu berücksichtigen.601 Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass die

Ausgleichfähigkeit nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL als eigenständige tatbestandliche Voraus-

setzung für eine Zulassung von Vorhaben der Abwägung vorgelagert ist. Sie muss erfüllt

sein, damit es überhaupt zu einer Abwägung kommt.602 Soweit notwendige Ausgleichmaß-

nahmen nicht getroffen werden können, Nachteile also nicht ausgleichfähig sind, fließen

diese Überlegungen in die Abwägung ein. Je schwächer die Ausgleichmaßnahmen sind und

je stärker somit die Belastung des FFH-Schutzgebietes ist, desto eher wird sich das Natur-

schutzinteresse durchsetzen.603 Zu berücksichtigen ist in der Abwägung weiterhin die

Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung. Soweit Zweifel an der Verträglichkeit bestehen,

muss im Interesse des Naturschutzes dennoch die Ausnahmezulassung geprüft werden.

Dann allerdings ist die Wahrscheinlichkeit der Beeinträchtigung zugunsten des Vorhabens-

trägers in der Abwägung zu berücksichtigen.604 Ebenso bedeutend erscheint beim Abwä-

gungsprozess die Unterscheidung zwischen mittelbarem und unmittelbarem öffentlichem

Interesse.605

Im Übrigen ist die Entscheidung der zuständigen Behörde, dass die öffentlichen Interessen

an der Durchführung des Vorhabens, das Interesse an der uneingeschränkten Erhaltung der

Integrität des Schutzgebietes überwiegen, vollen Umfangs gerichtlich überprüfbar. Die

FFH-Richtlinie räumt hier weder ein behördliches Ermessen noch einen planerischen Ges-

taltungsspielraum ein.606

599 Cosack, UPR 2002, S. 255; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; Köppel/Peters/Wende, Ein-

griffsregelungen, S. 348; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 187; Gellermann, Na-tura 2000, S. 92; Schink, ZfBR 2000, S. 163.

600 Cosack, UPR 2002, S. 255; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 48; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 163; Kador, FFH-Richtlinie, S. 57.

601 Ramsauer, in: Erbguth, S. 121; Kador, FFH-Richtlinie, S. 57; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 348; a.A. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 138.

602 Ramsauer, in: Erbguth, S. 121; vgl. Hoppe, UPR 1999, S. 429; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 113. 603 Kador, FFH-Richtlinie, S. 57. 604 Kador, FFH-Richtlinie, S. 57; Ramsauer, in: Erbguth, S. 121 f. 605 Vgl. Ramsauer, in: Erbguth, S. 118; Kador, FFH-Richtlinie, S. 57. 606 Jarass, NuR 2007, S. 376; Cosack, UPR 2002, S. 255; Ramsauer, in: Erbguth, S. 123; Koch, Die Verträg-

lichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 187 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 56; Friedrichsen, Umweltbelas-tende Vorhaben, S. 199.

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3. Ausgleichsmaßnahmen

a) Inhalt und Reichweite der Ausgleichsmaßnahmen

Soll einem Plan oder Projekt trotz erheblicher Beeinträchtigungen aus zwingenden Grün-

den des überwiegenden öffentlichen Interesses im Ausnahmeverfahren zugestimmt werden,

so trifft den Mitgliedstaat nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL die Verpflichtung, alle not-

wendigen Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass die globale Kohä-

renz des ökologischen Netzes Natura 2000 geschützt ist. Diese Verpflichtung der Mitglied-

staaten bezieht sich sowohl auf die Fälle des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1, als auch auf die des

Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL. Aus der Formulierung der Vorschrift ergibt sich, dass die

Verpflichtung zur Durchführung der Ausgleichsmaßnahmen zwingend ist. Da der Schutz

der europäischen Gebietsnetzes Natura 2000 sowie der Schutz der Artenvielfalt Hauptan-

liegen der FFH-Richtlinie ist, ist die Sicherung der Artenvielfalt als notwendiges Kriterium

jeder Handlungsmaxime anzusehen. Hiermit wäre es nicht vereinbar, die Ausgleichmaß-

nahmen in die Disposition der Mitgliedstaaten zu stellen.607 Die Vornahme notwendiger

Ausgleichsmaßnahmen erweist sich mithin als eine weitere zwingende Voraussetzung für

die Ausnahmezulassung.608

Unter Ausgleichsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL sind diejenigen

Maßnahmen zu verstehen, durch die die verloren gegangene Funktionen des Gebietes für

das europäische Netz Natura 2000 wiederhergestellt werden.609 Sinn und Zweck der Aus-

gleichsmaßnahmen ist es, die negativen Auswirkungen eines Vorhabens aufzuwiegen und

einen Ausgleich zu schaffen, der genau den negativen Auswirkungen auf den betroffenen

Lebensraum und die betroffenen Arten entspricht.610 Demgemäß müssen die Ausgleichs-

maßnahmen die globale Kohärenz des Gebietsnetzes Natura 2000 gewährleisten und sie

müssen für einen Ersatz sorgen, der die Rolle des beeinträchtigten Schutzgebietes für das

607 Kador, FFH-Richtlinie, S. 51; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 201; Geller-

mann, Natura 2000, S. 94; Berner, Der Habitatschutz, S. 197. 608 So auch BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 148; Jarass, NuR 2007, S. 376; Stüer, NVwZ

2007, S. 1148; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 85; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 228; Koch, Die Verträg-lichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 201; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 49.

609 BVerwG, DVBl. 2000, S. 820; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 166; Köp-pel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 352; Durner, NuR 2001, S. 606; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 85; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 147.

610 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 176; Europäische Kommission, Gebietsma-nagement, S. 49; Köck, ZUR 2005, S. 468; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1703; Köppel/Peters/Wende, Ein-griffsregelungen, S. 352; vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 203.

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Biotopverbundnetz übernimmt.611 Die Kohärenz des Netzes Natura 2000 ist damit der zent-

rale Maßstab für die Bemessung der Ausgleichsmaßnahmen. Die zu ergreifenden Maß-

nahmen sind daher funktional am ökologischen Vernetzungsbedarf auszurichten.612 Ent-

scheidende Kriterien sind hierbei der Zusammenhang, in dem das betroffene Gebiet mit

anderen Gebieten steht, und der allgemeine Beitrag des Gebietes zur globalen Kohärenz

des Netzes, was wiederum von der Größe, Funktion und geographischen Lage des beein-

trächtigenden Schutzgebietes abhängig ist.613 Zu beachten ist dabei, dass die zur Sicherung

der globalen Kohärenz von Natura 2000 vorgesehenen Ausgleichsmaßnahmen die beein-

trächtigten Lebensräume in vergleichbarer Dimensionen erfassen müssen und Funktionen

vorsehen müssen, die mit den Funktionen, aufgrund deren die Auswahl des ursprünglichen

Gebietes begründet war, vergleichbar sind.614

Als Ausgleichsmaßnahmen kommen dabei sowohl Maßnahmen zur Schadensbegrenzung

in Betracht, die die auf eine Minimierung oder sogar vollständige Beseitigung der negati-

ven Auswirkungen abzielen, als auch Maßnahmen, die plan- oder projektunabhängig nega-

tive Auswirkungen eines Vorhabens ausgleichen.615 Sie können sowohl innerhalb als auch

außerhalb des Schutzgebietes getroffen werden.616 Nach der Lage des Einzelfalls kommen

insbesondere die biologische Verbesserung eines Lebensraums, die Neuanlage eines ver-

gleichbaren Lebensraums im betreffenden Gebiet und sogar die Neuausweisung eines Ge-

bietes in Betracht.617 Bei der konkreten Ausgestaltung der Ausgleichsmaßnahmen steht den

Mitgliedstaaten ein Beurteilungsspielraum zu.618

Bei den Ausgleichsmaßnahmen gemäß Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL handelt es sich um

eigenständige Maßnahmen, die nicht mit den ohnehin schon nach der FFH-Richtlinie vor-

geschriebenen Maßnahmen, wie etwa mit den Erhaltungsmaßnahmen und dem Verschlech- 611 Kador, FFH-Richtlinie, S. 52; Jarass, NuR 2007, S. 379; Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 177;

Köck, ZUR 2005, S. 469. 612 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 147; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 229; Jarass, NuR 2007, S.

379; Polenz-v.Hahn, VBlBW 1998, S. 212; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 92. 613 Kador, FFH-Richtlinie, S. 52; Jarass, NuR 2007, S. 379. 614 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 51; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S.

352; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 93. 615 Kador, FFH-Richtlinie, S. 52; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 49 f. 616 Kador, FFH-Richtlinie, S. 52; Hönig, NuR 2007, S. 251; Ramsauer, in: Erbguth, S. 127; Köck, ZUR

2005, S. 469; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 167 f. 617 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 49 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 53; Köck, ZUR 2005,

S. 469; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 352 f.; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 174; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 201; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 92.

618 Jarass, ZUR 2000, S. 188; Kador, FFH-Richtlinie, S. 53; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 149; Epiney, UPR 1997, S. 309; Schink, GewArch 1998, S. 52; Müller-Terpitz, NVwZ 1999, S. 29; Wirths, Na-turschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 200.

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terungs- und Störungsverbot, erfüllt sein können. So soll in jedem Fall beachtet werden,

dass Ausgleichsmaßnahmen zusätzlich zur eigentlichen Richtlinienumsetzung zu ergreifen

sind. Grundsätzlich kann daher der Ausgleich nicht in einem bereits bestehenden Natura

2000-Gebiet stattfinden.619 Bei der Suche nach geeigneten Flächen ist dabei grundsätzlich

erforderlich, dass die Ausgleichsmaßnahmen in der räumlichen Nähe der beeinträchtigten

Fläche durchgeführt werden. So soll ein räumlicher Zusammenhang zwischen dem ur-

sprünglichen Gebiet und dem Standort der Ausgleichsmaßnahmen vorliegen.620 Andern-

falls dürfte der Ausgleichsgedanke nicht ausreichend beachtet werden, da regelmäßig die

Funktion eines Gebietes für das Gebietsnetz auch gerade wegen seiner geographischen La-

ge beeinflusst wird. Sofern dies allerdings gewährleistet ist, sind für die Ausgleichsmaß-

nahmen Flächen auch grenzüberschreitend auf dem Gebiet eines anderen Mitgliedstaates in

Betracht zu ziehen.621

Diese Ausgleichmaßnahmen dürfen zudem nicht mit den Ausgleichsmaßnahmen des deut-

schen Naturschutzrechts im Sinne von § 19 BNatSchG verwechselt werden. Im Gegensatz

zur Ausgleichspflicht nach § 19 BNatSchG geht es bei den Ausgleichsmaßnahmen des Art.

6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL nicht um einen Ausgleich für die Beeinträchtigung des fragli-

chen Schutzgebietes, sondern um einen Ausgleich für den nicht möglichen Beitrag des

Schutzgebietes zur Kohärenz des Netzes Natura 2000.622

b) Nichtvornahme von Ausgleichsmaßnahmen wegen Unmöglichkeit

Zu erörtern bleibt weiterhin die Frage, welche Rechtsfolgen eintreten, wenn ein Mitglied-

staat die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen nicht vornehmen kann. Diese Konstellation

hat nicht lediglich theoretische Bedeutung, sondern es sind in der Praxis Einzellfälle denk-

bar, in denen ein alternativloses Vorhaben zwar durch zwingende Gründe gerechtfertigt ist,

619 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 206; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und

Raumordnung, S. 168; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 49; Gellermann, Natura 2000, S. 98 f.; Köck, ZUR 2005, S. 469.

620 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 168; Kador, FFH-Richtlinie, S. 53; Düppen-becker/Greiving, UPR 1999, S. 178; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 131; a.A. Durner, NuR 2001, S. 609; Schrödter, NuR 2001, S. 17, die einen räumlichen Bezug für nicht notwendig halten.

621 Kador, FFH-Richtlinie, S. 53; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 207. 622 Jarass, ZUR 2000, S. 187 f.; Schrödter, NdsVBl. 1999, S. 201 f.; Hösch, NuR 2004, S. 217; Weihrich,

DVBl. 1999, S. 1703 f.; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 105; Berg, Europäisches Naturschutz-recht und Raumordnung, S. 175 f.

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der notwendige Ausgleich aber nicht erbracht werden kann.623 Die Ursachen hierfür sind

vielfältig. So ist denkbar, dass in dem zur Wiederherstellung der Netzfunktionen maßgebli-

chen Raum keine Ausgleichsflächen verfügbar sind oder ein Ausgleich aus Gründen der

Einzigartigkeit des betroffenen Gebietes undenkbar ist.624

Während das Schrifttum ganz überwiegend von der Unabdingbarkeit der Ausgleichsver-

pflichtung ausgeht,625 werden vereinzelt Versuche unternommen, diese Unabdingbarkeit

aufzuweichen, indem die Höhe des Beitrags, den ein Schutzgebiet zur globalen Kohärenz

des Netzes Natura 2000 zu leisten fähig ist, als Kriterium zur Abstufung des jeweils er-

forderlichen Maßes der Ausgleichsmaßnahmen herangezogen wird. So wird die Auffas-

sung vertreten, es könne auf Ausgleichsmaßnahmen eher verzichtet werden, wenn der be-

sagte Beitrag eher gering sei, insbesondere dann, wenn sie aus Sachgründen nicht möglich

seien.626

Diese Ansicht ist zunächst deshalb abzulehnen, weil völlig unklar bleibt, wie denn der Bei-

trag eines Gebietes für das Netz Natura 2000 bemessen werden kann. Denn in das Netz

Natura 2000 finden ohnehin nur solche Gebiete Eingang, die über einen besonderen ökolo-

gischen Wert verfügen und daher einen gewichtigen Beitrag zu globalen Kohärenz des Ge-

bietsverbundes erbringen. So soll jeder Versuch, innerhalb des Kreises der Natura 2000-

Gebiete nach mehr oder weniger bedeutenden Gebieten zu differenzieren, in die Irre füh-

ren.627 Aber selbst wenn eine solche Differenzierung gelänge, kann dies angesichts der ein-

deutigen Regelung des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL kein Grund sein, um einen Aus-

gleich für verzichtbar zu erachten. Denn der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL

lässt keine Relativierung der Ausgleichspflicht zu, indem er vorschreibt, dass in Fällen der

ausnahmsweise zulässigen Inanspruchnahme eines Natura 2000-Gebietes alle notwendigen

Ausgleichsmaßnahmen zu ergreifen sind.628 Verzichte man auf eine Ausgleichsmaßnahme,

623 Gellermann, Natura 2000, S. 99; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 150; Kador, FFH-Richtlinie, S.

52; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 102. 624 Gellermann, Natura 2000, S. 99; vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 172;

Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 102. 625 Schubert, Harmonisierung, S. 212 f.; Sobotta, ZUR 2006, S. 359; Gellermann, Natura 2000, S. 99 f.;

Köck, ZUR 2005, S. 469; Schrödter, NuR 2001, S. 17; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 363; Michler, VBlBW 2004, S. 92; Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 178; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 173; Schink, DÖV 2002, S. 53; Ramsauer, in: Erbguth, S. 127 f.; Spannowsky/Krämer, UPR 1998, S. 46; Jessel, UPR 2004, S. 412; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 77; Leist, Lebensraumschutz, S. 142; unentschlossen hingegen Niederstadt, NuR 1998, S. 524; Kador, FFH-Richtlinie, S. 52.

626 Jarass, ZUR 2000, S. 188; vgl. auch Schütz, UPR 2005, S. 139. 627 Gellermann, Natura 2000, S. 99 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 172; vgl.

Schubert, Harmonisierung, S. 213. 628 Gellermann, Natura 2000, S. 100; Schubert, Harmonisierung, S. 213; Cosack, UPR 2002, S. 257.

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weil das durch einen vorhabenbedingten Eingriff erheblich beeinträchtigte Gebiet einen

eher geringen Beitrag zur Kohärenz des Netzes Natura 2000 leiste, so würde die durch die

Realisierung des Vorhabens und den nicht erfolgten Ausgleich, der Wert des Gebietes für

die Kohärenz des Gebietesverbundes weiter sinken bzw. verloren gehen, so dass infolge-

dessen der Zusammenhang des gesamten Netzes einer allmählichen Erosion unterfiele.

Eine solche Situation wäre die Bestreben des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL, durch die

Ausgleichspflicht einem solchen Zerfall von Natura 2000 vorzubeugen, ad absurdum ge-

führt.629

Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die mangelnde Erfüllbarkeit des Aus-

gleichsgebots die Unzulässigkeit eines Vorhabens zur Folge hat, auch wenn letzteres aus

zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses geboten ist und eine Al-

ternativelösung nicht in Betracht kommt.630 Auch dann, wenn die gebotenen Ausgleichs-

maßnahmen mit sehr hohen Kosten verbunden sind, kann nicht auf sie verzichtet wer-

den.631 In anbetracht dessen ist es angebracht, die behördliche Zustimmung zu einem Vor-

haben erst zu erteilen, wenn feststeht, dass der Eingriff ausgeglichen werden kann.632 Zu

beachten ist zudem, dass Prognoseungewissheiten, die bei der Wiederherstellung eines

ökologischen Zusammenhangs auftreten können, zu Lasten des Vorhabensträgers gehen

müssen.

c) Zeitliche Dimensionen

Eng verknüpft mit der Verpflichtung zur Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen ist der

Zeitpunkt ihrer Vornahme. Fraglich ist insoweit, zu welchem Zeitpunkt die notwendigen

Ausgleichsmaßnahmen getroffen werden und bis wann sie wirksam sein müssen. Die Be-

629 Schubert, Harmonisierung, S. 213; vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 172;

Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 150 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 100; Köck, ZUR 2005, S. 469.

630 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 151; Schubert, Harmonisierung, S. 213; Gellermann, Natura 2000, S. 100; Köck, ZUR 2005, S. 469; Möstl, DVBl 2002, S. 734; Cosack, UPR 2002, S. 257; Polenz-v.Hahn, VBlBW 1998, S. 212; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 363; Michler, VBlBW 2004, S. 92; Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 178; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 105 f.; Schliepkor-te, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 173; Schink, GewArch 1998, S. 52; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 91.

631 Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 124; ders., NuR 2001, S. 18; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 229; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 86; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 151, Fn. 486.

632 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 151; vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 100; Span-nowsky/Krämer, UPR 1998, S. 46.

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antwortung dieser Frage ist von großer Relevanz, denn wenn ein in zeitlicher Hinsicht lü-

ckenloser Schutz notwendig sein sollte, wird dies die Verwirklichung eines Vorhabens in

den meisten Fällen verzögern oder verhindern.633 Denn ein ökologisch identischer oder

vergleichbarer Zustand kann durch Ausgleichsmaßnahmen aus naturwissenschaftlicher

Sicht mittelfristig nicht erreicht werden. So könnte etwa die Neuschaffung von Biotopen

und Habitaten teilweise Jahrhunderte benötigen.634

Diesbezüglich wird in der Literatur teilweise die Ansicht vertreten, dass die FFH-Richtlinie

das Konzept der Nachhaltigkeit verfolge und es dementsprechend nicht darauf ankomme,

das gemeinsame Naturerbe dauerhaft zu schützen. Im Vordergrund stünde mithin nicht die

Lückenlosigkeit in zeitlicher Hinsicht, sondern die langfristige Schutzperspektive. Es sei

daher gerechtfertigt, vorübergehende Defizite der Kohärenz des ökologischen Systems in

Kauf zu nehmen, wenn zu erwarten sei, dass der gebotene Ausgleich und damit die Wie-

derherstellung der Kohärenz aufgrund der ergriffenen Maßnahmen eintreten werde.635

Diese Auffassung übersieht jedoch, dass die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes Natura

2000 nicht dispositiv ist.636 Die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes, seine ökologische

Wirksamkeit und seine Funktionalität im Hinblick auf die Erhaltung der Lebensraumtypen

und Arten, sind durch die Ausgleichsmaßnahmen zu schützen und eben dies gebietet es,

zeitliche Lücken zu verhindern. Denn solche Lücken können sich nachteilig auf den Erhal-

tungszustand einzelner Arten auswirken und im Extremfall, etwa bei einer Betroffenheit

des letzten Rückzugsgebietes einer Tier- oder Pflanzenart, sogar zum unwiederbringlichen

Verlust dieser Arten führen.637 Gerade dies widerspricht in fundamentaler Weise den Zwe-

cken und Zielen der FFH-Richtlinie, die in der Bewahrung, Sicherung und Wiederherstel-

lung des europäischen Naturerbes liegen. Die Ausgleichmaßnahmen müssen daher grund-

sätzlich schon zum Zeitpunkt der Bewilligung der Ausnahme verfügbar und ökologisch

wirksam sein.638 Demnach darf grundsätzlich mit der Ausführung des geplanten Vorhabens

633 Vgl. etwa Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 208; Hösch, NuR 2004, S. 217;

Ramsauer, in: Erbguth, S. 128; Cosack, UPR 2002, S. 257; Köck, ZUR 2005, S. 469; Kirchhof, Die Imp-lementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 101.

634 Vgl. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 101; Hösch, NuR 2004, S. 217; Ramsauer, in: Erbguth, S. 128; Köck, ZUR 2005, S. 469; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 209; Michler, VBlBW 2004, S. 92.

635 Ramsauer, in: Erbguth, S. 128; Hösch, NuR 2004, S. 218; Cosack, UPR 2002, S. 257; in dieser Richtung auch OVG Lüneburg, NuR 2002, S. 372.

636 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 208; vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 96. 637 Gellermann, Natura 2000, S. 96; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 208; vgl.

Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 210. 638 VG Oldenburg, NdsVBl 2000, S. 39, 43 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S.

169; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 229; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 209;

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erst dann begonnen werden, wenn die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen erbracht sind,

weil nur dann die Kohärenz des Schutzgebietsnetzes Natura 2000 effektiv gewahrt wird.639

Von einem derartigen Erfordernis der Gleichzeitigkeit von Ausnahmebewilligung und Aus-

gleichsmaßnahmen kann indes nur dann abgewichen werden, wenn nachgewiesen werden

kann, dass diese Gleichzeitigkeit nicht unbedingt erforderlich ist, um den Beitrag des Ge-

bietes zum Netz Natura 2000 zu sichern.640 Dies kann etwa der Fall sein, wenn beeinträch-

tigte Gebietsfunktionen übergangsweise von anderen Gebieten des Netzes mitübernommen

werden können.641 Dies dürfte aber in der Praxis auf wenige Ausnahmefälle begrenzt sein.

Zudem dürfte der Nachweis, dass eine Gleichzeitigkeit nicht unbedingt erforderlich ist,

erhebliche Mühen bereiten.642

d) Unterrichtung der Kommission

Weiterhin verlangt Art. 6 Abs. 4 UAbs.1 FFH-RL, dass der Mitgliedstaat die Europäische

Kommission über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen unterrichtet. Dabei wer-

den in der FFH-Richtlinie weder die Form noch der Zweck dieser Unterrichtung näher er-

läutert. Der klare Wortlaut der Norm macht jedoch deutlich, dass es sich hierbei lediglich

um eine „Unterrichtung“, also eine Informationsübermittlung handelt643 und nicht etwa um

eine Genehmigungs- oder Zustimmungserfordernis.644 Anders als der Wortlaut vermuten

lässt, erstreckt sich aber diese Pflicht auf alle Ausgleichmaßnahmen, unabhängig davon, ob

sie von staatlicher oder privater Seite vorgenommen werden.645 Dabei ist es weder die Auf-

Gellermann, Natura 2000, S. 96; Kremer, ZUR 2007, S. 303; Louis, ZUR 2002, S. 42; ders., NuR 2002, S. 337; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 50; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 129; Durner, NuR 2001, S. 609; Schrödter, NuR 2001, S. 17; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 93.

639 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 169 f.; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 229; Sobotta, ZUR 2006, S. 359; Kador, FFH-Richtlinie, S. 50; Gellermann, Natura 2000, S. 96 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 148; Schrödter, NdsVBl. 1999, S. 201; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 102; vgl. auch die Stellungnahme der Europäischen Kommission vom 18.12.1995 zur Peenquerung, ABl EG 1996 Nr. L 6 S. 17, wobei die Kommission ausführt, dass die Aus-gleichsmaßnahmen gleichzeitig mit den beeinträchtigten Bauarbeiten erfolgen müssen.

640 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 50; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 170; Michler, VBlBW 2004, S. 92, Fn. 83; Gellermann, Natura 2000, S. 96 f.; Koch, Die Ver-träglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 209; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 148 f.

641 Gellermann, Natura 2000, S. 97; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 170; Weih-rich, DVBl. 1999, S. 1704; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 129.

642 So Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 170. 643 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 134; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 149. 644 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 178 f.; Schink, GewArch 1998, S. 52 f.; vgl.

Leist, Lebensraumschutz, S. 143 f. 645 M.w.N. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 210.

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gabe der Kommission, Ausgleichsmaßnahmen vorzuschlagen, noch diese wissenschaftlich

zu prüfen. Die Unterrichtung soll vielmehr die Kommission in die Lage versetzen, die Art

und Weise zu beurteilen, in der Erhaltungsziele für das betreffende Gebiet im Einzelfall

verfolgt werden.646 Zu einer ordnungsgemäßen Erfüllung dieser Aufgabe dürfte der Mit-

gliedstaat zudem verpflichtet sein, die Kommission auch über die Beeinträchtigung des

Schutzgebietes und das Ausmaß der Beeinträchtigung zu informieren.647 Denn nur durch

die Übermittlung aller relevanten Informationen kann die Kommission beurteilen, ob die

durchgeführten Ausgleichsmaßnahmen den Anforderungen der FFH-Richtlinie entspre-

chen.648 Außerdem erscheint es im Interesse eines effektiven Schutzes der Kohärenz des

Biotopverbundsystems angebracht zu sein, dass der Mitgliedstaat der Kommission die

Nichtvornahme von Ausgleichsmaßnahmen ebenfalls mitteilt.649

Von besonderer Bedeutung ist ferner die Beantwortung der Frage, ob diese Unterrichtung

vor der Erteilung einer Ausnahme vorzunehmen ist oder ob auch eine nachträgliche Unter-

richtung ausreicht. Der Wortlaut der Vorschrift legt Letzteres nahe, indem er von „ergriffe-

nen Maßnahmen“ spricht. Dadurch wird ersichtlich, dass der Richtliniengeber davon aus-

geht, dass die Unterrichtung erst erfolgt, wenn die notwendigen Ausgleichmaßnahmen vor-

genommen worden sind.650 Aufgrund der sich aus Art. 10 Abs. 1 EGV i.V.m Art. 249 Abs.

3 EGV ergebenden Verpflichtung, alle Maßnahmen zur Erfüllung der sich aus dem Vertrag

ergebenden Pflichten zu treffen und den Organen die Erfüllung ihrer Aufgaben zu erleich-

tern,651 sollten die Mitgliedstaaten dieser Informationspflicht jedoch frühzeitig nachkom-

men.652 Im Hinblick darauf, dass die Kommission die Aufgabe hat, die ordnungsgemäße

Durchführung der Richtlinie zu unterstützen,653 erscheint es sogar sinnvoll, die Unterrich-

tung der Kommission vor der Durchführung von Ausgleichsmaßnahmen und damit grund-

sätzlich auch vor dem Zeitpunkt einer Zulassungsentscheidung vorzunehmen.654 Eine echte

646 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 52; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S.

354; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 178. 647 Jarass, ZUR 2000, S. 188; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 149; Berg, Europäisches Natur-

schutzrecht und Raumordnung, S. 179. 648 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 180; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

149. 649 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 149. 650 Jarass, ZUR 2000, S. 188; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 150; Berg, Europäisches Natur-

schutzrecht und Raumordnung, S. 179; Kador, FFH-Richtlinie, S. 54; Leist, Lebensraumschutz, S. 144, Fn. 354.

651 Vgl. Kahl, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 10, Rn. 19 ff. 652 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 179 653 Vgl. Art 211, 1. Spiegelstrich EGV und 18. Begründungserwägung zur FFH-RL. 654 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 179; Leist, Lebensraumschutz, S. 144.

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Rechtspflicht zu einer derart frühzeitigen Unterrichtung kann jedoch aufgrund des eindeu-

tigen Wortlautes der Vorschrift nicht abgeleitet werden.655

II. Spezielle Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

1. Allgemeines

Soweit die Verwirklichung eines Vorhabens ein Gebiet mit prioritären Bestandteilen beein-

trächtigen kann, stellt Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL besondere Anforderungen an die aus-

nahmsweise Zulässigkeit solcher Vorhaben. Nach dieser Vorschrift können, wenn das be-

troffene Gebiet ein Gebiet ist, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder

eine prioritäre Art einschließt, nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des

Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen güns-

tigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere

zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.

Diese Vorschrift beinhaltet somit eine Sonderregel für prioritäre FFH-Gebiete. Dabei

bringt sie, wie das Erfordernis einer Stellungnahme der Europäischen Kommission zeigt,

zumindest in formeller Hinsicht eine Verschärfung gegenüber der Grundregel des Art. 6

Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL. Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass prioritäre natürliche

Lebensraumtypen und Arten im Sinne von Art. 1 lit. d), h) FFH-RL in ihrer Existenz stark

bedroht sind und der Europäischen Kommission eine besondere Verantwortung für ihre

Erhaltung zukommt.656 Aus der Schutzverschärfung zugunsten prioritärer FFH-Gebiete

sowie aus dem Verhältnis von Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 und Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

als lex generalis und lex specialis folgt außerdem, dass auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL Alternativen zu prüfen und gegebenenfalls Ausgleichsmaßnahmen zu

ergreifen sind, über welche die Europäische Kommission unterrichtet werden muss.657 Die-

se Vorschrift modifiziert damit die Grundregel des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL, lässt

aber die Notwendigkeit einer Alternativenprüfung und das Erfordernis ausgleichender

Maßnahmen unberührt.

655 Leist, Lebensraumschutz, S. 144 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 179. 656 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 152; Ramsauer, in: Erbguth, S. 129; Freiburg, Die Erhaltung

der biologischen Vielfalt, S. 131. 657 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 152; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S.

180; Ramsauer, in: Erbguth, S. 129; Niederstadt, NuR 1998, S. 525; Gellermann, Natura 2000, S. 100; Louis, DÖV 1999, S. 380; Kador, FFH-Richtlinie, S. 58.

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2. Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

Klärungsbedürftig ist zunächst, in welchem Umfang und auf welche Art und Weise die

prioritären Bestandteile eines FFH-Schutzgebietes von dem Vorhaben betroffen sein müs-

sen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL schon zur

Geltung kommt, wenn sich irgendwo in dem betroffenen Gebiet prioritäre Bestandteile

befinden oder ob die Anwendbarkeit dieser Vorschrift voraussetzt, dass die prioritäre Be-

standteile selbst unmittelbar betroffen sind.

In diesem Zusammenhang liefert der Wortlaut des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL einen

ersten Anhaltspunkt zur Lösung dieser Problematik, nach dem das betreffende Gebiet als

solches sein muss, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine prioritä-

re Art einschließt. Demnach scheint eine direkte Beeinträchtigung der prioritären Gebiets-

bestandteile nicht unbedingt erforderlich zu sein.658 Dabei wird in diese Richtung auch an-

geführt, dass eine weite Auslegung auch deshalb erforderlich sei, weil prioritäre Gebiete in

den meisten Fällen bereits dann gefährdet seien, wenn die sie umgebenden nicht prioritären

Gebiete durch Pläne und Projekte beeinträchtigt würden.659

Dieser Sichtweise ist unter systematischen Gesichtspunkten mit dem Argument entgegen-

zuhalten, dass im Rahmen des Schutzregimes der FFH-Richtlinie die konkret zu erhalten-

den natürlichen Lebensraumtypen und Arten die Schutzobjekte verkörpern. Denn die

Schutznormen der FFH-Richtlinie entfalten nur dann ihre Rechtswirkungen, wenn die Le-

bensraumtypen und Arten gefährdet sind, um derentwillen das Gebiet unter Schutz gestellt

wurde. Dies gilt nicht nur für das Verschlechterungs- und Störungsverbot, sondern auch für

Art. 6 Abs. 3 und Art. 6 Abs. 4 FFH-RL. Das heißt es kommt auch bei der Abwägung gem.

Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL auf die Betroffenheit der zu schützenden Gebietsbestandtei-

le an. In Anbetracht dessen erscheint es nur konsequent, die Verwirklichung dieses Erfor-

dernisses als Bedingung für die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL festzu-

setzen.660

658 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 117; Kremer, ZUR 2007, S. 301; Niederstadt, NuR

1998, S. 524; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 89 f.; Stollmann, NuL 1999, S. 476.

659 Niederstadt, NuR 1998, S. 524; vgl. Stollmann, NuL 1999, S. 476. 660 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 153; a.A. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-

Verträglichkeitsprüfung, S. 90, der ein einengendes Verständnis des Art. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 für nicht gerecht hält.

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Für eine derart enge Auslegung spricht auch der Sinn und Zweck der Vorschrift, die priori-

tären natürlichen Lebensraumtypen und Arten stärker zu schützen als die nichtprioritären

Lebensraumtypen und Arten. Nur wenn die prioritären Lebensraumtypen oder Arten beein-

trächtigt werden können, bedürfen diese Gebietsbestandteile eines erhöhten Schutzes.661

Besteht demgegenüber nach dem Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung nicht einmal die

Möglichkeit einer Beeinträchtigung der prioritären Gebietsbestandteile, würde eine den-

noch erfolgende Anwendung des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL faktisch ins Leere laufen,

da konkret nichts vorhanden ist, was eines erhöhten Schutzes bedarf. Der Normzweck wird

in diesen Fällen mangels Gefährdungssituationen mithin nicht erreicht.662 Folglich ist da-

von auszugehen, dass für die Anwendung des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL zumindest

die Möglichkeit einer direkten Beeinträchtigung der zu schützenden prioritären Lebens-

raumtypen oder Arten durch ein Vorhaben bestehen muss, wobei bereits die Betroffenheit

eines prioritären Gebietsbestandteils ausreicht, um ihre Anwendbarkeit zu bejahen. Eine

irgendwo im Schutzgebiet zu erwartende Beeinträchtigung, die keine Auswirkungen auf

die prioritären Bestandteile haben kann, genügt hingegen nicht.663

3. Benannte Rechtfertigungsgründe

Ist der Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL eröffnet, können nur ganz

bestimmte öffentliche Belange die Zulassung eines unverträglichen Vorhabens rechtferti-

gen. Dabei ist zwischen den in der Vorschrift exemplarisch benannten und den sonstigen

unbenannten zwingenden öffentlichen Interessen zu differenzieren. Zu den benannten

Gründen zählen Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen und

der öffentlichen Sicherheit sowie Erwägungen im Zusammenhang mit maßgeblichen güns-

tigen Auswirkungen auf die Umwelt.

Die Normierung dieser Rechtfertigungsgründe lässt dabei erkennen, dass sich der Gemein-

schaftsgesetzgeber eng an die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs im „Leybucht 661 Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 98; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung,

S. 181 f.; vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 153 f. 662 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 153 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung,

S. 182; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 77; Iven, UPR 1998, S. 365; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 98.

663 OVG Münster, NWVBl. 2000, S. 56; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 98; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 154; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 182; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 171; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; a.A. offenbar Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 91; Stollmann, in: Erbguth, S. 87.

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Urteil“664 angelehnt hat, wonach Ausnahmen von dem an sich strikten Schutzregime der

Vogelschutzrichtlinie nur dann gemacht werden dürfen, wenn Gründe des Gemeinwohls,

die Vorrang vor den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben, dies erfor-

dern.665 Zu bedenken ist ferner, dass Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL wegen der besonderen

Schutzbedürftigkeit der prioritären natürlichen Lebensraumtypen und Arten im Vergleich

zu Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL gesteigerte Rechtfertigungsvoraussetzungen statuiert.666

Daher sind die in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL exemplarisch aufgeführten zwingenden

Gründe des überwiegenden Interesses restriktiv zu interpretieren.667

Als Rechtfertigungsgrund erkennt der Gemeinschaftsgesetzgeber zunächst Erwägungen im

Zusammenhang mit der menschlichen Gesundheit an. Gesundheit des Menschen bedeutet

in diesem Zusammenhang der Schutz der körperlichen und physischen Unversehrtheit so-

wie der Schutz des Menschen vor Lebensgefahren.668 Um eine Ausnahme zu rechtfertigen,

genügt es allerdings nicht, wenn ein Vorhaben lediglich gesundheitsförderlich ist.669 Würde

man einen derartigen gesundheitlichen Allgemeinwohlbelang als ausreichend ansehen, so

wäre der durch Art. 6 FFH-RL vermittelte Schutz der globalen Kohärenz von Natura 2000

erheblich geschwächt.670 Stattdessen muss es sich hierbei um zwingende Gründe des öf-

fentlichen Interesses handeln, was eine wertende Einzelfallbetrachtung erfordert.671 Bei

dieser Einzellfallprüfung soll der Erhaltung des betroffenen FFH-Gebietes wegen der be-

sonderen Schutzbedürftigkeit des prioritären Lebensraumtypen und Arten ein höheres Ge-

wicht zukommen als bei der gem. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL vorzunehmenden Interes-

senbewertung.672 Verallgemeinernd kann man indes sagen, dass das Tatbestandsmerkmal

664 EuGHE, 1991, I- S. 931 f. 665 Gellermann, Natura 2000, S. 103; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183; Kues,

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 155; Erbguth, NuR 2000, S. 135. 666 BVerwG, NuR 2000, S. 451; ebenso Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 155; J. Schumacher/A.

Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 66. 667 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 155; vgl. dazu BVerwG, NuR 2000, S. 451; Berg, Europäisches

Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Gellermann, Natura 2000, S. 103; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 171.

668 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 191. 669 BVerwG, NuR 2000, S. 451; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 191; Kues, Flora-

Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 155; Gellermann, Natura 2000, S. 103; Stollmann, GewArch 2001, S. 325; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Halama, NVwZ 2001, S. 512.

670 BVerwG, NuR 2000, S. 451; vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Gel-lermann, Natura 2000, S. 103.

671 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 121; dazu auch BVerwG, NuR 2000, S. 451; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 191; Gellermann, Natura 2000, S. 103; Kador, FFH-Richtlinie, S. 63; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 155; Halama, NVwZ 2001, S. 512; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schuma-cher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 66; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 101.

672 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 155 f.

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des Gesundheitsschutzes ein mit dem Vorhaben verfolgter wesentlicher Zweck sein muss

und nicht nur ein begleitender Nebenzweck, um ein unverträgliches Vorhaben zu rechtfer-

tigen.673 Erforderlich ist zudem, dass der Rechtfertigungsgrund nachgewiesen werden

kann;674 pauschale Hinweise genügen nicht.675

Unter den Gesundheitsschutz fallen in diesem Kontext zum einen Pläne und Projekte, die

der Abwehr von Gemeingefahren zu dienen bestimmt sind, also von Gefahren für Leib und

Leben einer Vielzahl von Menschen,676 wie beispielsweise Maßnahmen des Katastrophen-

schutzes,677 des Hochwasserschutzes,678 des Küstenschutzes,679 sowie des Rettungsdiens-

tes,680 zur Abwehr von Lawinengefahren,681 zur Abfall- und Abwasserbeseitigung vor al-

lem im Hinblick auf Seuchengefahren und Epidemienbekämpfung,682 zur Sicherung der

Trinkwasserversorgung683 oder zum Schutz der Bevölkerung vor radioaktiver Strahlung.684

Zum anderen kann auch die Beseitigung von Unfallschwerpunkten durch straßenrechtliche

Maßnahmen der Gesundheit des Menschen dienen. Das Bundesverwaltungsgericht hat da-

bei mit seinen Ausführungen „Zur Abwehr von Gesundheitsgefahren i.S. des Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL ist ein Straßenbauvorhaben nur dann erforderlich, wenn es…dazu be-

stimmt und auch geeignet ist, die Verkehrsteilnehmer gezielt vor solchen Risiken zu bewah- 673 BVerwG, NuR 2000, S. 452; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Köck,

ZUR 2005, S. 468; Cosack, UPR 2002, S. 255; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 156; Schink, DÖV 2002, S. 55; Ernstberger, NuR 2001, S. 82.

674 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Europäische Kommission, Gebietsma-nagement, S. 54.

675 BVerwG, NuR 2000, S. 452; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184; Apfelba-cher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 101.

676 Vgl. BVerwG, NuR 2000, S. 451; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 191 f.; Fü-ßer, ZUR 2005, 465; Halama, NVwZ 2001, S. 512.

677 BVerwG, NuR 2000, S. 451; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192; Halama, NVwZ 2001, S. 512; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183.

678 BVerwG, NuR 2000, S. 451; Halama, NVwZ 2001, S. 512; Gellermann, Natura 2000, S. 102; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schuma-cher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; vgl. Ramsauer, in: Erbguth, S. 129, der diesen Fall unter den Aspekt der öffentlichen Sicherheit subsumiert; und Cosack, UPR 2002, S. 255, der beide Ausnahmetatbe-stände betroffen sieht.

679 J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; Koch, Die Ver-träglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192; Gellermann, Natura 2000, S. 102; anders Ramsauer, in: Erbguth, S. 130, der diesen Fall unter den Aspekt der öffentlichen Sicherheit subsumiert.

680 BVerwG, NuR 2000, S. 451; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192; Halama, NVwZ 2001, S. 512; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183.

681 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schu-macher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; Gellermann, Natura 2000, S. 102.

682 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183; Halama, NVwZ 2001, S. 512; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schuma-cher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; Gellermann, Natura 2000, S. 102; Stollmann, GewArch 2001, S. 324.

683 VG Gera, LKV 2002, S. 243; Stollmann, GewArch 2001, S. 325; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192.

684 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192.

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132

ren, welche über das allgemein übliche mit dem Straßenverkehr ohnehin verbundene Maß

der Gefährdung hinausgehen“685 besonders deutlich auf die durch den Ausnahmecharakter

bedingten hohen Anforderungen hingewiesen.686 Vorhaben wie der Bau von Krankenhäu-

sern, Pflegeheimen oder ähnlichen Einrichtungen sind hingegen weniger geeignet, eine

Ausnahme zu rechtfertigen, da sie zwar der menschlichen Gesundheit einer Mehrzahl von

Menschen dienen, aber in der Regel nicht zwingend ortsgebunden sind und folglich hin-

sichtlich des Prüfpunktes „Nichtvorhandensein der Alternativlösungen“ ausscheiden.687

Auch Maßnahmen zur Abwehr individueller Gesundheitsfragen im Zusammenhang mit der

Verfolgung anderer Ziele können es rechtfertigen, ein Vorhaben zuzulassen, das ein beson-

deres Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen kann.688 Da das Interesse an der Ausnahme

jedoch zwingend und überwiegend sein muss, werden solche Fälle jedoch kaum zur An-

wendung kommen.689

Gemäß Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL können ebenso Gründe der öffentlichen Sicherheit

eine Ausnahme rechtfertigen. Nach der auf Art. 30 EGV beruhenden Rechtsprechung des

EuGH betreffen Ausnahmen aufgrund von Erfordernissen der öffentlichen Sicherheit nur

ganz bestimmte, außergewöhnliche Fälle.690 Auf europäischer Ebene wird der Begriff der

öffentlichen Sicherheit daher anders als die generalklauselartige Verwendung des deut-

schen Polizei- und Ordnungsrechts691 sehr restriktiv ausgelegt.692 Unter den Begriff der

öffentlichen Sicherheit fallen solche Maßnahmen, die der Existenzsicherung eines Mit-

gliedstaates dienen,693 die zur Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit (wie z.B.

Maßnahmen der Landesverteidigung und zum Schutz der Zivilbevölkerung) zwingend

685 BVerwG, NuR 2000, S. 452. 686 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 192. 687 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193; Ramsauer, in: Erbguth, S. 131; Cosack,

UPR 2002, S. 255. 688 BVerwG, NuR 2000, S. 451; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183; Koch, Die

Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193. 689 So Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193. 690 Vgl. etwa EuGHE, 1984, S. 2751 f.; EuGHE, 1999, I, S. 606; EuGHE, 2000, I, S. 103 f. 691 Siehe dazu Pieroth/Schlink/Kniesel, Polizei- und Ordnungsrecht, § 8, Rn. 3 ff. 692 EuGHE, 1984, S. 2748 f.; EuGHE, 1991, I, S. 606; ebenso BVerwG, NuR 2000, S. 452; Koch, Die Ver-

träglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193; Ramsauer, in: Erbguth, S. 130 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 63; Cosack, UPR 2002, S. 255; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 185; Epi-ney, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 30, Rn. 33; Jestaedt/Hohenstatt, EuZW 1992, 2. 44 ff.

693 EuGHE, 1984, S. 2751 f.; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193; Erbguth, NuR 2000, S. 134; Epiney, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 30, Rn. 33; Gellermann, Natura 2000, S. 103; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 26; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 156.

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notwendig sind.694 Die Errichtung von erforderlichen Anlagen kann daher beispielsweise

als Rechtfertigungsgrund greifen, sofern dafür kein alternativer Standort zur Verfügung

steht.695 Ferner ist zu beachten, dass dabei Überschneidungen mit dem Aspekt der Gesund-

heit des Menschen, insbesondere bei gesundheitlichen Gemeingefahren möglich sind. Die-

se Überschneidungen stören aber wegen der kumulativen Aufzählung in Art. 6 Abs. 4 U-

Abs. 2 FFH-RL nicht.696

Schließlich sind unverträgliche Vorhaben auch zuzulassen, wenn sie maßgebliche günstige

Auswirkungen auf die Umwelt haben. In diesem Fall streiten nicht vorrangige Gemein-

wohlgründe für die Realisierung des gebietsbeeinträchtigenden Vorhabens, sondern dessen

positive ökologische Auswirkungen.697 Hierbei handelt es sich also um Maßnahmen mit

einer Doppelwirkung, welche zwar einerseits zu Beeinträchtigengen der notwendigen Ge-

bietsbestandteile führen, aber andererseits auch eine positive Auswirkung auf die Umwelt

entfalten. Dabei können die bisherigen Ausführungen zur engen Auslegung, zum Erforder-

nis der wertenden Einzellfallbetrachtung und zur Beweislast im Wesentlichen auch auf die-

ses Tatbestandsmerkmal übertragen werden. Es genügen daher nicht irgendwelche positi-

ven Auswirkungen des Vorhabens auf die Umwelt.698 Stattdessen ist es in Übereinstim-

mung mit den Ausführungen des EuGH zum „Leybucht Urteil“699 und in Abgrenzung zur

ohnehin bestehenden Ausgleichspflicht erforderlich, dass die Verwirklichung des Vorha-

bens selbst unmittelbar positive Auswirkungen auf die zu schützenden prioritären natürli-

chen Lebensraumtypen und Arten hat.700 Ausgeschlossen sind in diesem Sinne Vorhaben,

deren positive Umweltauswirkungen nur vermutet oder erhofft werden, lediglich mittelba-

rer Natur sind oder sich in einigen positiven Effekten erschöpfen.701 Die ökologisch günsti-

gen Folgen des Vorhabens auf die Umwelt müssen außerdem maßgeblich sein. Das heißt 694 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193; Epiney, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 30,

Rn. 33; J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; Geller-mann, Natura 2000, S. 103; Erbguth, NuR 2000, S. 134; Wagner/Mitschang, DVBl 1997, S. 1144; Co-sack, UPR 2002, S. 255.

695 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 184 f.; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 26; Leist, Lebensraumschutz, S. 118 f.

696 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 193 f.; Cosack, UPR 2002, S. 255. 697 Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 226; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 156.. 698 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 156 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 103; Kador, FFH-

Richtlinie, S. 64; Schrödter, NdsVBl. 1999, S. 181. 699 Vgl. EuGHE, 1991, I, S. 932. 700 Vgl. BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 124; dazu auch Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 156 f.; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 226; Kremer, ZUR 2007, S. 303; Gellermann, Natura 2000, S. 103; Füßer, ZUR 2005, 465; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 171; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 185.

701 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 195; vgl. dazu Ramsauer, in: Erbguth, S. 131; Cosack, UPR 2002, S. 255.

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die naturschutzfachlichen Vorzüge des Vorhabens müssen die mit seiner Realisierung ver-

bundenen Nachteile überwiegen.702 Hier ist mithin eine Überkompensation gefordert.703

Daher genügen solche Vorhaben den Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

nicht, deren günstigen Umweltauswirkungen lediglich ihre Nachteile kompensieren704 oder

die allein ökologisch sinnvoll sind.705

In diesem Zusammenhang kann beispielsweise die Errichtung von Windkraftanlagen als

Rechtfertigungsgrund nicht in Betracht kommen. Denn auch wenn dadurch langfristig

günstige Auswirkungen auf die ökologische Gesamtsituation zu erwarten sind, wirken sich

solche Anlagen jedoch nicht unmittelbar positiv auf die in den Gebieten geschützten Le-

bensraumtypen und Arten aus.706 Anders wäre dies allerdings bei der Errichtung einer

Kläranlage zu beurteilen, deren Bau sich zwar negativ auf die Realisierung der Schutzziele

auswirken, deren Betrieb aber bisherige stoffliche Belastungen eines Gebietes auf dem

Wasserpfad mindert.707

4. Andere Ausnahmegründe im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

Neben den exemplarisch aufgeführten Rechtfertigungsgründen können nach Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL auch „andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Inte-

resses“ nach der Stellungnahme der Kommission zur Rechtfertigung eines unverträglichen

Vorhabens geltend gemacht werden. Zu klären ist hierbei, welcher Bedeutungsgehalt den

in dieser Vorschrift genannten anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentli-

chen Interesses zukommt. Konkret geht es dabei um eine der umstrittensten Frage des

Schutzregimes der Richtlinie, nämlich ob die anderen zwingenden Gründe des überwie- 702 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 157; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn.

124; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 195; Gellermann, Natura 2000, S. 104; auch die englische Fassung („…beneficial consequences of primary importance for the environment…“) deutet insoweit dies an.

703 Gellermann, Natura 2000, S. 104; Kremer, ZUR 2007, S. 303; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 157; Schink, GewArch 1998, S. 51; Winter, NuR 1992, S. 22.

704 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 195 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 104; Erb-guth, NuR 2000, S. 134.

705 J. Schumacher/A. Schumacher, in: Schumacher/Fischer-Hüftle, BNatSchG § 34, Rn. 65; Ramsauer, in: Erbguth, S. 131; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 195; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 364; Cosack, UPR 2002, S. 255.

706 Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 171; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 185; Gassner, in: Gassner, BNatSchG, § 34, Rn. 37; Gellermann, Natura 2000, S. 103 f.; Cosack, UPR 2002, S. 255; Louis, DÖV 1999, S. 380.

707 Gellermann, Natura 2000, S. 104; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 186; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 115; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 91; vgl. auch Cosack, UPR 2002, S. 255.

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genden öffentlichen Interesses auch solche sozialer und wirtschaftlicher Art wie in Art. 6

Abs. 4 UAbs. 1 Satz 1 FFH-RL umfassen oder nicht.708 Auslöser dieses Streits ist die

Mehrdeutigkeit der Norm: Während Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 Satz 1 FFH-RL ausdrücklich

regelt, dass die zwingenden Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses auch solche

sozialer und wirtschaftlicher Art einschließen, fehlt bei Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL die-

ser Zusatz.

Die Kommission hat sich schon in ihren Stellungnahmen zur Querung des gemeinsamen

Tales von Trebel und Recknitz durch die sog. Ostseeautobahn A 20709 und zur Querung des

Peenetals durch die A 20710 mit Nachdruck zu der Auffassung bekannt, dass die Besonder-

heit des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL allein in dem Erfordernis der Kommissionsbeteili-

gung besteht, während in materieller Hinsicht all jene Gründe, die eine Ausnahme im An-

wendungsbereich des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL zu legitimieren vermögen, auch sol-

che Pläne und Projekte rechtfertigen können, die den Erhaltungszielen prioritärer Gebiete

zuwiderlaufen.711 Die Kommission hat in diesem Zusammenhang die hohe Arbeitslosigkeit

sowie in Abhängigkeit davon das relativ niedrige Bruttosozialprodukt in Mecklenburg-

Vorpommern als “zwingenden Gründ des überwiegenden öffentlichen Interesses“ ange-

führt. Diese Autobahn sei zudem ein Teil des transeuropäischen Straßennetzes, welches

speziell als Förderung durch die Strukturfonds ermöglicht wurde. Ziel sei es, den Binnen-

markt zu vollenden und den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt in der Gemein-

schaft zu stärken und damit auch Mecklenburg-Vorpommern an die Zentralen Regionen

der Gemeinschaft anzubinden.712 Die Kommission geht somit offensichtlich davon aus,

708 Befürwortende z.B. Europäische Kommission, ABl. EG 1995, Nr. C 178 S. 5; dies., ABl. EG 1996, Nr. L

6 S. 17; dies., Gebietsmanagement, S. 54; BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 129; Berg, Eu-ropäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 186 ff.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 95; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 100 f.; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 101 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 195; Köck, ZUR 2005, S. 468; Schütz, UPR 2005, S. 139; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 364; Thyssen, DVBl. 1998, S. 883; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 114; Cosack, UPR 2002, S. 255 f.; Epiney, UPR 1997, S. 309; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; Stollmann, in: Erbguth, S. 87 f.; Jarass, ZUR 2000, S. 188; Otto/Krakies, NJ 1998, S. 82; Schink, Ge-wArch 1998, S. 52. Gegen eine solche Anerkennung beispielsweise Gellermann, Natura 2000, S. 104 ff.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 64 ff.; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 211 ff.; Schubert, Harmo-nisierung, S. 211 f.; Ramsauer, in: Erbguth, S. 131 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 160 ff.; Leist, Lebensraumschutz, S. 119 ff.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 131 ff.; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 217; Frenz, Europäisches Umweltrecht, Rn. 393; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 272; Winter, ZUR 1994, S. 309; Wirths, ZUR 2000, S. 193; Erbguth, NuR 2000, S. 130 ff.; Hop-pe/Deutsch, HdEUDUR, § 88, Rn. 53.

709 Europäische Kommission, ABl. EG 1995, Nr. C 178 S. 3 ff. 710 Europäische Kommission, ABl. EG 1996, Nr. L 6 S. 14 ff. 711 Vgl. Europäische Kommission, ABl. EG 1995, Nr. C 178 S. 5; dies., ABl. EG 1996, Nr. L 6 S. 17; dies.,

Gebietsmanagement, S. 54; kritisch dazu Kador, FFH-Richtlinie, S. 67. 712 Europäische Kommission, ABl. EG 1996, Nr. L 6 S. 17.

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dass wirtschaftliche und soziale Gründe auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-

RL Berücksichtigung finden können.

Dieser Auffassung der Kommission wird von beachtlichen Teilen des Schrifttums und

dem Bundesverwaltungsgericht gefolgt. Dabei wird darauf verwiesen, dass wirtschaftliche

und soziale Gründe bereits in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 Satz 1 FFH-RL ausdrücklich als Un-

terfall des überwiegenden öffentlichen Interesses ausdrücklich eingestuft würden. Da aber

schwerlich angenommen werden könne, dass der identische Begriff der zwingenden Grün-

de des überwiegenden öffentlichen Interesses in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL und damit

im folgenden Unterabsatz anders zu verstehen sei, müssten auch wirtschaftliche und soziale

Gründe im Falle der Betroffenheit prioritärer Gebietsbestandteile ebenfalls als Unterfall

angesehen werden und eine Abweichung vom Verträglichkeitsgrundsatz rechtfertigen kön-

nen.713

Für die Anerkennung von wirtschaftlichen und sozialen Gründen im Rahmen des Art. 6

Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL wird teilweise auch auf den dritten Erwägungsgrund der FFH-

Richtlinie hingewiesen. Ergänzend wird Art. 2 Abs. 3 FFH-RL herangezogen. In den bei-

den Texten wird gefordert, dass die aufgrund dieser Richtlinie getroffenen Maßnahmen den

Anforderungen aus Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur sowie den regionalen und örtlichen

Besonderheiten Rechnung tragen sollen. Diese mehrfache Erwähnung von sozialen und

wirtschaftlichen Belangen in dem grundlegenden „allgemeinen Teil“ der Richtlinie, sei ein

Indiz dafür, dass diese Gründe auch bei der Beeinträchtigung von prioritären Gebietsbe-

standteilen zum Tragen kommen könnten.714

Das Bundesverwaltungsgericht hat im Urteil zur Westumfahrung Halle715 dabei auf den

Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hingewiesen. Das Gericht vertritt die Auffassung, dass Art.

6 Abs. 4 FFH-RL eine Ausprägung des gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Verhält-

nismäßigkeit sei. Ein überwindbares Zulassungshindernis sei mit dem Verhältnismäßig-

keitsprinzip unvereinbar. Auf der anderen Seite führte es aber aus, dass dem Schutz der

prioritären Lebensraumtypen und Arten ein besonderer Stellenwert zuzumessen sei.

Im Gegensatz zur Kommission hat sich der EuGH zu dieser Problematik bislang nicht ge-

äußert. Insbesondere seine Ausführungen im „Lappel Bank Urteil“ können nicht im Sinne

713 Jarass, ZUR 2000, S. 188; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 190; Stollmann,

in: Erbguth, S. 88; Thyssen, DVBl. 1998, S. 883; Niederstadt, NuR 1998, S. 525; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 114; Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 177, Fn. 45.

714 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 190 f.; Schrödter, NuR 2001, S. 16; ders., in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 117; a.A. Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 103.

715 BVerwG, Urteil vom 17.1.2007 – 9A 20.05, Rn. 129.

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einer Stellungnahme der von der Kommission vertretenen Auffassung gedeutet werden, in

dem es um die Frage ging, ob ein Mitgliedstaat bei der Auswahl von besonderen Vogel-

schutzgebieten wirtschaftliche Gründe berücksichtigen darf.716 Dort hat der Gerichtshof

ausgeführt, dass wirtschaftliche Erwägungen in der Phase der Gebietsauswahl keine Be-

rücksichtigung finden können, „was jedoch, wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat,

nicht ausschließt, dass sie anschließend im Rahmen des Verfahrens nach Art. 6 Abs. 3 und

4 der Habitatrichtlinie berücksichtigt werden können.“717 Zwar hat der Gerichtshof klarge-

stellt, dass wirtschaftliche Gründe im Verfahren des Art. 6 Abs. 4 der FFH-Richtlinie be-

rücksichtigt werden können, doch spricht er nur pauschal von Absatz 4, ohne zwischen

seinen Unterabsätzen zu differenzieren. Zudem war die Frage, ob wirtschaftliche und so-

ziale Erwägungen im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL zu berücksichtigen sind,

in diesem Urteil weder entscheidungserheblich noch Gegenstand des Verfahrens, so dass

die zitierte Urteilspassage nicht als Argument bei der Klärung der Frage nach den Rechtfer-

tigungsgründen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL herangezogen werden kann.718

Obwohl der EuGH die Frage nach der Einbeziehung wirtschaftlicher und sozialer Erwä-

gungen als Rechtfertigungsgründe bei prioritären Schutzgebieten ungeklärt gelassen hat, ist

die weite und den Naturschutz erheblich einschränkende Ansicht der Kommission und des

ihr folgenden Schrifttums zu Recht nicht ohne Widerspruch geblieben. Gegen diese An-

sicht werden zunächst systematische Aspekte angeführt. Schon der Zusammenhang zwi-

schen beiden Unterabsätzen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL verdeutlicht den Willen des Ge-

meinschaftsgesetzgebers, den prioritären Gebieten einen strengeren Schutz zukommen las-

sen zu wollen, als er zugunsten der sonstigen nichtprioritären Gebiete in Art. 6 Abs. 4

UAbs. 1 FFH-RL begründet wurde.719 Dies erklärt sich zwanglos aus dem unterschiedli-

chen Maß der Gefährdung, denen beide Gebietskategorien unterliegen. Der Gemein-

schaftsgesetzgeber hat diesbezüglich eine besondere Verantwortung der Gemeinschaft für

die prioritären natürlichen Lebensraumtypen und Arten erkannt, wobei er in Art. 1 lit. d)

716 EuGHE, 1996, I, S. 3844 ff. 717 EuGHE, 1996, I, S. 3855 f. 718 Leist, Lebensraumschutz, S. 126; Gellermann, Natura 2000, S. 105; Berg, Europäisches Naturschutzrecht

und Raumordnung, S. 188 f.; Thyssen, DVBl. 1998, S. 877; Winter, ZUR 1996, S. 255; a.A. Jarass, ZUR 2000, S. 188; Müller-Terpitz, NVwZ 1999, S. 29, Fn. 39; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 273; Schrödter, NuR 2001, S. 16; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 102, die dieses Urteil dahingehend interpretieren, dass der EuGH dadurch, dass er nur pauschal auf Art. 6 Abs. 4 FFH-RL verweist, wirtschaftliche und soziale Inte-ressen als zwingende Gründe des Überwiegenden Interesses im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL betrachtet sehen will.

719 Gellermann, Natura 2000, S. 105; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227; Kador, FFH-Richtlinie, S. 66; Leist, Lebensraumschutz, S. 119 f.

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und h) FFH-RL zum Ausdruck gebracht hat, dass diese Lebensraumtypen und Arten in

ihrem Bestand nicht nur gefährdet, sondern sogar vom Verschwinden bedroht sind.720 Die-

se Gebiete nehmen somit im europäischen Habitatsnetz eine überragende Stellung ein und

in ihnen spiegelt sich die Notwendigkeit europäischen Artenschutzes und Gewährleistung

der biologischen Artenvielfalt wie bei keiner anderen Gebietskategorie wider.721 Vor die-

sem Hintergrund wäre eine lediglich formelle Einschränkung der Ausnahmeregelungen in

Gestalt der Kommissionsbeteiligung nicht geeignet, dem gesteigerten Schutzbedürfnis der

prioritären Lebensraumtypen und Arten ausreichend Rechnung zu tragen, zumal die Mit-

gliedstaaten selbst an eine ablehnende Stellungnahme der Kommission nicht gebunden

sind.722 Angesichts dieses geringen Maßes an Effektivität kann schwerlich angenommen

werden, dass allein in dem Verfahrensinstrument der Kommissionsbeteiligung die besonde-

re Verantwortung der Gemeinschaft für die Erhaltung prioritärer Lebensraumtypen und

Arten zum Ausdruck kommen soll. Vielmehr ist anzunehmen, dass der Sonderstellung die-

ser Lebensraumtypen und Arten nur durch ein gesteigertes Schutzregime auch in materiell-

rechtlicher Hinsicht entsprochen werden kann. Dies wäre aber nicht zu gewährleisten,

wenn man wirtschaftliche und soziale Erwägungen auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 U-

Abs. 2 FFH-RL berücksichtigen würde.723

Dieser Befund wird auch durch einen Blick auf andere zu Ausnahmen ermächtigende Be-

stimmungen der FFH-Richtlinie bestätigt. So wurde im Schrifttum darauf verwiesen,724

dass Art. 16 Abs. 1 FFH-RL als ein wichtiger Hinweis für die Auslegung des Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL herangezogen werden kann. Art. 16 Abs. 1 lit. c) FFH-RL ist die Paral-

lelnorm zu Art. 6 Abs. 4 FFH-RL im Bereich des direkten Artenschutzes. Diese Vorschrift

sieht in ihrem Abs. 1 lit. c) die Möglichkeit vor, „im Interesse der Volksgesundheit und der

öffentlichen Sicherheit oder aus anderen zwingenden Gründen des überwiegenden öffentli-

720 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 105; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227; Friedrichsen, Umweltbelas-

tende Vorhaben, S. 212; Schubert, Harmonisierung, S. 212. 721 Vgl. Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227; Kador, FFH-Richtlinie, S. 66; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S.

272; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 164. 722 Gellermann, Natura 2000, S. 105; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227; Schubert, Harmonisierung, S. 212;

Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 200; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 216 f.; Hoppe/Deutsch, HdEUDUR, § 88, Rn. 53.

723 Im Ergebnis ebenso Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227; Kador, FFH-Richtlinie, S. 66; Schubert, Harmo-nisierung, S. 212; Gellermann, Natura 2000, S. 105 f.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 133; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 216 f.; Leist, Lebensraumschutz, S. 122; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 211 f.; Hoppe/Deutsch, HdEUDUR, § 88, Rn. 53; Erbguth, NuR 2000, S. 134; Ramsauer, in: Erbguth, S. 132; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 272.

724 Leist, Lebensraumschutz, S. 122 f.; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 66; Schubert, Harmonisierung, S. 211; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 272; Gellermann, Natura 2000, S. 106; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 132; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 162 f.

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chen Interesses, einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art oder positiven

Folgen für die Umwelt“ von Regelungen des Artenschutzes abzuweichen. Folglich sind in

dieser Bestimmung die gleichen Ausnahmegründe wie in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

aufgeführt, allerdings mit dem Unterschied, dass soziale und wirtschaftliche Gesichtspunk-

te ausdrücklich als berücksichtigungsfähige öffentliche Belange genannt werden. Letzteres

gilt auch für Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 Satz 1 FFH-RL, der ebenfalls ausdrücklich zum Aus-

druck bringt, dass soziale und wirtschaftliche Erwägungen geeignet sind, die Verwirkli-

chung eines Vorhabens zu legitimieren, das nichtprioritäre Lebensraumtypen und Arten

negativ beeinflusst.725 Das deutet darauf hin, dass wirtschaftliche und soziale Aspekte für

die Begründung der Zulassung eines Vorhabens nur dann herangezogen werden können,

wenn sie in der einschlägigen Richtlinienvorschrift ausdrücklich vorgesehen sind. Dies ist

bei Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL nicht der Fall, was dafür spricht, dass wirtschaftliche

und soziale Erwägungen hier nicht geltend gemacht werden können.726

Gestützt wird diese These auch durch die Entstehungsgeschichte des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2

FFH-RL. Wie bereits erwähnt, hat sich der Gemeinschaftsgesetzgeber bei Erlass dieser

Vorschrift erkennbar an den Ausführungen des EuGH im „Leybucht Urteil“ orientiert.727

Dort hatte der Gerichtshof unmissverständlich klargestellt, dass nur solche Belange die

Beeinträchtigung eines Vogelschutzgebietes rechtfertigen können, die generell Vorrang vor

den mit der Richtlinie verfolgten Umweltbelangen haben, wobei er wirtschaftlichen und

sozialen Gründen ein solchen Vorrang absprach.728 Während der Gemeinschaftsgesetzge-

ber diese Rechtsprechung durch Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 Satz 1 FFH-RL für den Fall der Be-

einträchtigung nichtprioritärer Lebensraumtypen und Arten ausdrücklich ablehnt, fehlt ein

entsprechender Hinweis in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL. Auch dies kann dafür als An-

haltspunkt gewertet werden, dass hier das vom Gerichtshof entwickelte strenge Schutzre-

725 Vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 162; Kador, FFH-Richtlinie, S. 65 f.; Leist, Lebensraum-

schutz, S. 122. 726 So Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 132; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 227 f.;

Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 163; Gellermann, Natura 2000, S. 106; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 272; Schubert, Harmonisierung, S. 211; Leist, Lebensraumschutz, S. 123.

727 Leist, Lebensraumschutz, S. 123; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 133; Gellermann, Natura 2000, S. 106; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 212; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 164.

728 EuGHE, 1991, I- S. 931.

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gime weiterhin zum Tragen kommen soll, so dass wirtschaftliche und soziale Belange kei-

ne Ausnahmegründe darstellen.729

Über diese Argumente hinaus weist die in der Vorschrift enthaltene exemplarische Aufzäh-

lung der öffentlichen Interessen, die im Falle der Beeinträchtigung prioritärer Gebietsbe-

standteile eine Abweichung vom Verträglichkeitsgrundsatz rechtfertigen können, darauf

hin, dass die nicht näher konkretisierten „anderen zwingenden Gründe“ von ihrer Wertig-

keit her mit diesen vergleichbar sein müssen. D.h. für eine ausreichende Rechtfertigung

müssen unbenannte Gründe in qualitativer Hinsicht eine ähnliche Bedeutung haben wie die

öffentliche Sicherheit und die Gesundheit des Menschen. Diese Vergleichbarkeit ist bei

wirtschaftlichen und sozialen Gründen jedoch nicht gegeben, so dass sie vor diesem Hin-

tergrund nicht von Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL erfasst werden.730

Ferner ist in diesem Kontext die im Normtext enthaltene Einschränkung „nur“ zu beachten,

die sich, wie insbesondere die englische Fassung des Richtlinientextes zeigt,731 sowohl auf

die benannten als auch auf die unbenannten Ausnahmegründe bezieht.732 Eine derartige

Einschränkung spricht somit ebenfalls für ein restriktives Verständnis der „anderen“ Recht-

fertigungsgründe im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL. Dies kann insoweit als ein

weiterer Hinweis dafür gewertet werden, dass wirtschaftliche und soziale Erwägungen

nicht als Ausnahmen herangezogen werden dürfen und der Ausnahmekatalog des Art. 6

Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL abschließend ist.733

Aus den genannten Gründen ist daher die Ansicht der Kommission und des ihr folgenden

Schrifttums zum Begriff „andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Inte-

resses“ in Bezug auf die Tolerierung wirtschaftlicher und sozialer Rechtfertigungsgründe

als nicht überzeugend abzulehnen.

5. Stellungnahme der Kommission

Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL fordert, dass eine Ausnahme, die sich nicht auf die benann-

ten Rechtfertigungsgründe stützt, nur nach Stellungnahme der Kommission in Anspruch

729 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 164; Günes/Fisahn, EurUP 2007, S. 228; Freiburg, Die Erhal-

tung der biologischen Vielfalt, S. 133; Leist, Lebensraumschutz, S. 124; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 212; Gellermann, NuR 1996, S. 554 f.; ähnlich Ramsauer, in: Erbguth, S. 132.

730 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 163; ähnlich Kador, FFH-Richtlinie, S. 68. 731 „…the only considerations which may be raised are those relating…to other imperative reasons of over-

riding public interest." 732 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 163; Leist, Lebensraumschutz, S. 122. 733 Leist, Lebensraumschutz, S. 122; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 163.

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genommen werden kann. Der Klare Wortlaut der Vorschrift macht damit deutlich, dass

eine Stellungnahme der Europäischen Kommission nur dann erforderlich ist, wenn sonstige

unbenannte Gründe als Rechtfertigung für die Zulassung eines Vorhabens geltend gemacht

werden, so dass diese Vorgabe auf die ausdrücklichen Rechtfertigungsgründe dieser Vor-

schrift keine Anwendung findet.734

Der Sinn und Zweck der Stellungnahme der Kommission kann primär darin gesehen wer-

den, dass eine verfahrensrechtliche Hürde zur Erhöhung der Richtigkeitsgewähr geschaffen

wird, die den Schutz der prioritären Gebietsbestandteile intensiviert.735 So erhält die Kom-

mission in diesem Verfahren die Möglichkeit, mit ihrer Argumentation auf die mitglied-

staatlichen Entscheidungsprozesse frühzeitig und vor Beeinträchtigung eines Schutzgebie-

tes Einfluss zu nehmen, anstatt wie bei einer bloßen Unterrichtung vor vollendeten Tatsa-

chen gestellt zu werden.736 Außerdem soll durch die Einholung der Stellungnahme gewähr-

leistet werden, dass in allen Mitgliedstaaten bei der Heranziehung der sonstigen Gründe

des überwiegenden öffentlichen Interesses annähernd gleiche Maßstäbe angelegt werden.

Dadurch wird zugleich der Entstehung der Wettbewerbsverzerrungen entgegenwirkt und

der Rechtseinheit Vorschub geleistet.737 Die Beschränkung der Schutzstärkung auf die Gel-

tendmachung anderer zwingender Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses findet

ihre Rechtfertigung im Übrigen in dem Umstand, dass letztere im Gegensatz zu den exem-

plarisch aufgeführten besonderen Ausnahmegründen noch keine Ausformung durch die

Rechtsprechung des EuGH erfahren haben und ihre Legitimationswirkung im konkreten

Einzelfall daher einer besonderen gemeinschaftlichen Kontrolle bedarf.738 Die Einbezie-

hung der Europäischen Kommission in das Zulassungsverfahren fördert überdies die

Transparenz der behördlichen Entscheidungsfindung, weil ihre Stellungnahme und somit

alle abwägungserheblichen Belange veröffentlicht werden.739

Aus dem Wortlaut der Vorschrift ergibt sich weiterhin, dass die Stellungnahme bevor eine

Entscheidung über die Zulassung des unverträglichen Vorhabens getroffen wird, vorliegen

muss. Dies erklärt sich mit dem Umstand, dass die Stellungnahme nur dann ihre Aufgabe,

zusätzlich eine Schutzverstärkung für die betroffenen Schutzgebiete zu bewirken und damit

734 Kador, FFH-Richtlinie, S. 62; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 199. 735 Berg, NuR 2003, S. 199. 736Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 197; ähnlich Ramsauer, in: Erbguth, S. 133. 737 Ramsauer, in: Erbguth, S. 133; Berg, NuR 2003, S. 199; vgl. auch Kador, FFH-Richtlinie, S. 62. 738 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 159. 739 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 159; vgl. auch Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 133.

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auf das nationale Genehmigungsverfahren Einfluss zu nehmen, erfüllt, wenn sie im Zeit-

punkt der Entscheidung vorliegt und damit als relevanter Belang eingestellt werden konn-

te.740 Um sich sachgerecht zum Vorliegen eines zwingenden Grundes des überwiegenden

öffentlichen Interesses zu äußern, muss die Kommission dementsprechend über die ent-

sprechenden Informationen verfügen. Die Kommmission muss in diesem Sinne Kenntnis

von der Verträglichkeitsprüfung, der Qualität des betroffenen FFH-Gebietes, dem Ausmaß

der Schutzgebietsbeeinträchtigung sowie den mit dem Vorhaben verfolgten öffentlichen

Interessen haben, bevor sie ihre Stellungnahme abgibt.741 Folglich soll die Stellungnahme

so frühzeitig eingeholt werden, dass vor Erlass der Zulassungsentscheidung ausreichend

Zeit für die Auswertung der Stellungnahme bleibt. In Anbetracht dessen erscheint es kon-

sequent, dass die Stellungnahme in zeitlicher Hinsicht erst gegen Ende in das mitgliedstaat-

liche Zulassungsverfahren einzubeziehen ist.742

Klärungsbedürftig ist überdies hinaus, welche Rechtsfolgen sich aus einer ordnungsgemäß

eingeholten Stellungnahme für die zuständige Behörde ergeben. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2

FFH-RL enthält hierzu keine eindeutige Regelung. Die zentrale Frage ist dabei, ob die zur

Entscheidung berufene Behörde an die Stellungnahme der Kommission gebunden ist oder

ob sie sich ohne Rechtsverstoß über eine von der Kommission formulierte Auffassung

hinwegsetzen kann. Der Wortlaut der Vorschrift spricht in diesem Kontext gegen eine Bin-

dungswirkung der Stellungnahme.743 In Übereinstimmung damit vertritt auch die ganz ü-

berwiegende Auffassung im Schrifttum744 sowie die Europäische Kommission745 den

Standpunkt, dass die Stellungnahme der Kommission keinen rechtlich bindenden Charakter

hat. Dies entspricht im Übrigen auch der allgemein gültigen Regelung des Art. 249 Abs. 5

740 Leist, Lebensraumschutz, S. 131; Schrödter, NuR 2001, S. 16. 741 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 157 f. 742 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 158; vgl. Cosack, UPR 2002, S. 256; Schrödter, NuR 2001, S.

16. 743 So auch Berg, NuR 2003, S. 198; Jarass, ZUR 2000, S. 188. 744 Berg, NuR 2003, S. 199; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 195; Wolf, ZUR

2005, S. 454; Gellermann, Natura 2000, S. 107; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 196; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 210; Thyssen, DVBl. 1998, S. 883; Cosack, UPR 2002, S. 256; Schubert, Harmonisierung, S. 211; Jarass, DÖV 1999, S. 667; Ramsauer, in: Erbguth, S. 134; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; Kadelbach, Der Einfluss des Europarechts auf das deutsche Planungsrecht, S. 906; Halama, NVwZ 2001, S. 512; Stollmann, in: Erbguth, S. 88; Schink, UPR 1998, S. 426; Kador, FFH-Richtlinie, S. 64 ff.; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 211 ff.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 158; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 172; Leist, Lebensraumschutz, S. 128 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 132; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 199; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 364; a.A. wohl nur Zeichner, NVwZ 1999, S. 34, der davon ausgeht, dass in der Regel nur dann ein Pro-jekt genehmigt werden dürfe, wenn eine positive Stellungnahme der Kommission vorliege.

745 Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 54.

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EGV, der bestimmt, dass Stellungnahmen nicht verbindlich sind.746 Ferner wäre eine strikte

Bindung an die Stellungnahme der Kommission als Eingriff in die originären Kompetenzen

der Mitgliedstaaten auch kaum hinnehmbar.747 Dabei folgt aus diesen Überlegungen nicht,

dass die Stellungnahme der Kommission im Rahmen der mitgliedstaatlichen Zulassungs-

entscheidung schlicht zur Kenntnis genommen oder sogar ignoriert werden kann. Vielmehr

ist davon auszugehen, dass die mitgliedstaatliche Behörde die Argumente der Kommission

ernsthaft zur Kenntnis nehmen, sie in die Entscheidung als relevanten Belang einfließen

und sich mit ihnen inhaltlich intensiv auseinandersetzen muss.748 Der Kommission kommt

hierbei mithin ein Mitspracherecht zu.749 Aber auch wenn die mitgliedstaatliche Behörde

nicht an die Stellungnahme der Kommission gebunden ist, muss sie ihre Abweichung sub-

stantiiert begründen, wenn ihre Entscheidung von der Stellungnahme der Kommission ab-

weicht.750 Dies ergibt sich vor allem daraus, dass die Kommission gemäß Art. 226 EGV die

Möglichkeit hat, ein Vertragsverletzungsverfahren herbeizuführen, falls eine Vorhabensge-

nehmigung ihrer Meinung nach gegen Gemeinschaftsrecht verstößt.751 Insofern dürfte es

der mitgliedstaatlichen Behörde bei einer negativen Stellungnahme der Kommission

schwer fallen, das Vorhaben trotzdem zuzulassen.752 So wird im Schrifttum zu Recht dar-

auf hingewiesen, dass das verfahrensrechtliche Erfordernis der Einholung einer rechtlich

unverbindlichen Stellungnahme der Europäischen Kommission von seiner Wirkung her in

die Nähe einer Genehmigung des unverträglichen Vorhabens durch Brüssel führt.753

Neben der oben erörterten Situation, dass die Stellungnahme der Kommission nach der

Anfrage der mitgliedstaatlichen Behörde erteilt wurde, sind auch Konstellationen denkbar,

746 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 196; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EGV, Art.

249, Rn. 119; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 93 f. 747 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 196; Ramsauer, in: Erbguth, S. 134. 748 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 158; Füßer, ZUR 2005, 464; Berg, Europäisches Naturschutz-

recht und Raumordnung, S. 196; Leist, Lebensraumschutz, S. 131; Kador, FFH-Richtlinie, S. 62; Geller-mann, Natura 2000, S. 107; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 132 f.; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 210; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 196 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 199 f.; Wickel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 364; Thyssen, DVBl. 1998, S. 883; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 70; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 114.

749 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 158; Freytag/Iven, NuR 1995, S. 114; Apfelba-cher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; Leist, Lebensraumschutz, S. 128; Füßer, ZUR 2005, 464; Berg, Eu-ropäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 196.

750 Berg, NuR 2003, S. 198; Gellermann, Natura 2000, S. 107. 751 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 197; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der

FFH-Richtlinie, S. 197; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 158; Cosack, UPR 2002, S. 256; Leist, Lebensraumschutz, S. 129 f.; Jarass, ZUR 2000, S. 188; Gellermann, Natura 2000, S. 107; Wi-ckel/Bieback, BayVBl. 2004, S. 364.

752 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 158 f.; Berg, NuR 2003, S. 198 f.; Friedrichsen, Umweltbelas-tende Vorhaben, S. 210; Jarass, DÖV 1999, S. 667.

753 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 159; Jarass, ZUR 2000, S. 188.

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in denen dieser Verfahrensschritt nicht unproblematisch verläuft. Zum einen ist vorstellbar,

dass die Stellungnahme durch die Kommission verweigert wird. So hat es beispielsweise in

Nordrhein-Westfalen einen Fall gegeben, in dem die nationale Behörde die Stellungnahme

der Kommission einholen wollte, Letztere sich jedoch geweigert hat, eine Stellungnahme

abzugeben. Die Kommission hat seine Verweigerung damit begründet, dass das Land

Nordrhein-Westfalen weder die FFH-Gebiete insgesamt noch das betroffene Gebiet selbst

gemeldet habe und sie so die Frage der globalen Kohärenz von Natura 2000-Gebieten nicht

ordnungsgemäß prüfen könne.754 Hierzu wird in der Literatur zutreffend die Auffassung

vertreten, dass in derartigen Fällen eine solche Verweigerung der Kommission zur Abgabe

der Stellungnahme als negative Stellungnahme zu werten ist, da der betroffene Mitglied-

staat die Unmöglichkeit der Stellungnahme durch die verspäteten und unzureichenden Ge-

bietsmeldungen selbst verursacht und verschuldet hat.755

Neben dieser Konstellation ist weiterhin denkbar, dass es deshalb nicht zu einer Stellung-

nahme durch die Kommission kommt, weil die mitgliedstaatliche Behörde diese schlicht

nicht einholt. So kann beispielsweise die mitgliedstaatliche Behörde der Meinung sein,

dass das betroffene Gebiet keine prioritären Bestandteile enthalte oder dass diese prioritä-

ren Bestandteile durch das geplante Vorhaben nicht beeinträchtigt werden könnten, obwohl

dies tatsächlich der Fall ist.756 Die Missachtung der Pflicht, die Stellungnahme der Kom-

mission einzuholen, bleibt dabei nicht folgenlos.757 Die Nichteinholung einer erforderlichen

Stellungnahme führt in diesem Zusammenhang zur Unzulässigkeit des jeweiligen Vorha-

bens, die allerdings dadurch geheilt werden kann, dass die Stellungnahme der Europäi-

schen Kommission nachträglich eingeholt wird.758 Bis die Stellungnahme erteilt und ord-

nungsgemäß in die Entscheidung einbezogen wird, entfaltet die Zulassungsentscheidung

keine Bindungswirkungen. Liegen die Anforderungen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

nicht vor oder kann die Stellungnahme im Einzelfall nicht nachgeholt werden, ist die Ent-

scheidung der mitgliedstaatlichen Behörde nichtig.759

Über diese Konstellationen hinaus ist auch denkbar, dass das Fehlen der Stellungnahme der

Sphäre der Kommission zuzuordnen ist. So kann es einen Fall geben, in dem die mitglied-

754 Vgl. Berg, NuR 2003, S. 199; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 199 f.; Cosack,

UPR 2002, S. 256. 755 Berg, NuR 2003, S. 199; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 200; a.A. Cosack,

UPR 2002, S. 256. 756 Berg, NuR 2003, S. 199. 757 So aber Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 119; Thyssen, DVBl. 1998, S. 883. 758 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 159; Berg, NuR 2003, S. 199 ff. 759 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 210.

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staatliche Behörde die Kommission um die Erteilung ihrer Stellungnahme gebeten und ihr

die erforderlichen Informationen bereitgestellt hat, die Kommission jedoch mit der Über-

mittlung der Stellungnahme auf sich warten lässt.760 Da die mitgliedstaatliche Behörde ihre

Zustimmung zu einem Vorhaben erst nach der Abgabe der Stellungnahme der Kommission

erteilen darf, ist die Beantwortung der Frage von besonderer Relevanz, ob sich die Kom-

mission bei der Erarbeitung ihrer Stellungnahme an bestimmte zeitliche Vorgaben halten

muss oder ob sie sich dazu beliebig lange Zeit lassen kann. Damit korrespondiert die Frage,

ob die mitgliedstaatliche Behörde die Kommission in irgendeiner Weise unter Druck setzen

kann, ihre Stellungnahme zügig oder sogar bis zu einem bestimmten Zeitpunkt abzugeben.

Die Bestimmungen der FFH-Richtlinie beinhalten indes Antworten auf diese Fragen nicht.

Daher ist zu untersuchen, ob die primärrechtlichen Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts

zur Beantwortung dieser Fragen herangezogen werden können.761

In diesem Zusammenhang besteht für die Mitgliedstaaten zunächst die Möglichkeit, sich

gegen eine zeitliche Verzögerung der Stellungnahme durch Erhebung einer Untätigkeits-

klage im Sinne des Art. 232 Abs. 1 EGV vor dem Europäischen Gerichtshof zu wehren.762

In dieser Vorschrift ist geregelt, dass die Mitgliedstaaten und die anderen Organe der Ge-

meinschaft unter anderem gegen die Kommission klagen können, wenn diese es unter Ver-

letzung des EG-Vertrages unterlässt, einen Beschluss zu fassen. Erklärt der Gerichtshof die

Untätigkeit des beklagten Organs für Vertragswidrig, so hat es gemäß Art. 233 Abs. 1 EGV

die sich aus dem Urteil ergebenden Maßnahmen zu ergreifen.763

Ferner wird auch darauf hingewiesen, dass eine analoge Anwendung primärrechtlicher

Fristen- und Fiktionsregelungen des Art. 95 Abs. 6 EGV hierbei in Betracht gezogen wer-

den kann.764 Nach dieser Bestimmung soll die Kommission binnen sechs Monaten darüber

entscheiden, ob sie Vorschriften, die ein Mitgliedstaat trotz einer Harmonisierungsmaß-

nahme des Rates beibehalten oder erlassen will, billigt oder ablehnt. Im zweiten Unterab-

satz dieser Vorschrift heißt es weiter, dass die einzelstaatlichen Bestimmungen als gebilligt

gelten, wenn die Kommission innerhalb dieses Zeitraumes keine Entscheidung trifft.

Schließlich eröffnet Art. 95 Abs. 6 UAbs. 3 EGV die Möglichkeit, den ihr zur Verfügung

stehenden Zeitraum um bis zu sechs Monaten zu verlängern, wenn dies aufgrund des

760 Vgl. Berg, NuR 2003, S. 201. 761 Vgl. Berg, NuR 2003, S. 201 f.; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 210 ff. 762 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 213; Leist, Lebensraumschutz, S. 131. 763 Eingehend zur Zulässigkeit und Begründetheit dieser Klage siehe Berg, NuR 2003, S. 202; Cremer, in:

Callies/Ruffert, EGV, Art. 232, Rn. 1 ff. 764 Berg, NuR 2003, S. 204 f.; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 222 ff.

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schwierigen Sachverhalts gerechtfertigt ist und keine Gefahr für die menschliche Gesund-

heit besteht.765 An dieser Regelung und der Stellungnahme nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2

FFH-RL ist gemeinsam, dass es sich bei beiden Maßnahmen um eine von der Kommission

zu treffende Entscheidung handelt, in der die Kommission mitgliedstaatliche Rechtssetzung

bzw. Rechtsanwendung auf ihre Europarechtskonformität hin bewerten muss. Sowohl im

Rahmen des Art. 95 Abs. 6 EGV als auch im Rahmen des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

muss die Kommission beurteilen, ob ein Mitgliedstaat besondere Gründe vorweisen kann,

die eine Ausnahme von anderen, grundsätzlich europaweit geltenden Maßstäben rechtferti-

gen. Eine weitre Gemeinsamkeit zwischen der Entscheidung der Kommission nach Art. 95

Abs. 6 EGV und der Stellungnahme des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL besteht darin, dass

beide Entscheidungen der Kommission Voraussetzung dafür sind, dass nationale Maßnah-

men gemeinschaftsrechtlich zulässig sind.766 Durch eine analoge Anwendung der Fristen-

und Fiktionsregelung des Art. 95 Abs. 6 EGV auf die Stellungnahme des Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL wird auch der Rechtseinheit Vorschub geleistet.767 Vor diesem Hinter-

grund kann festgehalten werden, dass überzeugende Gründe für eine analoge Anwendung

des Art. 95 Abs. 6 EGV auf die Stellungnahme des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL spre-

chen. Die Kommission muss also ihre Stellungnahme binnen sechs Monaten nach der ent-

sprechenden Anfrage und der Bereitstellung der erforderlichen Informationen durch den

Mitgliedstaat abgeben, wobei diese Frist in Ausnahmefällen bis zu weiteren sechs Monaten

verlängert werden kann, wenn eine derartige Fristverlängerung im Sinne des Art. 95 Abs. 6

UAbs. 3 EGV gerechtfertigt ist. Gibt die Kommission im Rahmen dieser Fristen keine Stel-

lungnahme ab, gilt die Entscheidung der mitgliedstaatlichen Behörde als von der Kommis-

sion gebilligt.768

765 Ausführlich dazu Berg, NuR 2003, S. 204 f.; vgl. auch Kahl, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 95, Rn. 36 ff. 766 Vgl. insgesamt Berg, NuR 2003, S. 204; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 223. 767 Berg, NuR 2003, S. 205; dies., Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 225. 768 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 225 f.

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III. Regelung des Art. 7 FFH-RL

1. Sachlicher Anwendungsbereich

Wie bereits erwähnt, besteht zwischen der FFH-Richtlinie und der Vogelschutzrichtlinie

ein enger sachlicher Regelungszusammenhang. Der siebte Erwägungsgrund und Art. 3

Abs. 1 UAbs. 2 der FFH-Richtlinie bestimmen in diesem Zusammenhang, dass das europä-

ische ökologische Netz Natura 2000 auch die von den Mitgliedstaaten aufgrund der Vogel-

schutzrichtlinie ausgewiesenen und noch auszuweisenden besonderen Schutzgebiete um-

fasst. Die fünfzehnte Begründungserwägung der FFH-Richtlinie verdeutlicht weiterhin,

dass der sachliche Regelungsbereich der FFH-Richtlinie über den der Vogelschutzrichtlinie

hinausgeht und somit als Ergänzung der älteren Richtlinie anzusehen ist.769 Über diese Be-

stimmungen hinaus bildet Art. 7 FFH-RL den eigentlichen Schnittpunkt von Vogelschutz-

und FFH-Richtlinie, indem er die besonderen Vogelschutzgebiete zum Teil dem Schutzre-

gime der FFH-Richtlinie unterstellt.770 Nach dieser Vorschrift treten, was die nach Art. 4

Abs. 1 VRL zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Art. 4 Abs. 2 VRL als sol-

che anerkannten Gebiete anbelangt, die Verpflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL

ab dem Datum für die Anwendung der FFH-Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem

das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der Vogelschutzrichtlinie

zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wird, an die Stelle der

Pflichten, die sich aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 VRL ergeben.

Die hiermit zum Ausdruck kommende Ersetzung des in Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL veran-

kerten Schutzregimes der Vogelschutzrichtlinie durch das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2

bis 4 FFH-RL zeigt, dass Art. 7 FFH-RL lediglich eine Veränderung in Bezug auf den

Schutz der besonderen Vogelschutzgebiete vorsieht. Unberührt bleiben folglich die die

Ausweisung derartiger Gebiete betreffenden Bestimmungen der Vogelschutzrichtlinie. Die

Klassifizierung von Arealen als besondere Vogelschutzgebiete erfolgt somit weiterhin aus-

schließlich nach Maßgabe der in der Vogelschutzrichtlinie enthaltenen naturschutzfachli-

chen Kriterien.771 Der Umstand, dass die FFH-Richtlinie in ihren Anhängen weder Vogel-

769 Vgl. Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 18; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der

FFH-Richtlinie, S. 80; Jarass, NUR 1999, S. 481 f. 770 Vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 166; Berner, Der Habitatschutz, S. 63. 771 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 166.

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schutzgebiete noch Vogelarten aufweist und dementsprechend auch keine Aussagen zur

Auswahl von besonderen Vogelschutzgebieten trifft, bestätigt insoweit diesen Befund.772

Inhaltlich erstreckt sich die Modifizierung des Art. 7 FFH-RL dabei nur auf die nach Art. 4

Abs. 1 VRL zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Art. 4 Abs. 2 VRL als sol-

che anerkannten Gebiete.773 Die in Erfüllung der Pflicht aus Art. 3 VRL eingerichteten

Schutzgebiete unterliegen mithin weiterhin dem für sie geltenden Schutz der Vogelschutz-

richtlinie.774 Zu beachten ist ferner, dass der Anwendungsbefehl des Art. 7 FFH-RL nur

Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL, nicht aber Art. 6 Abs. 1 FFH-RL erfasst. Diese Einschränkung

ist deswegen konsequent, da die Vogelschutzrichtlinie mit Art. 4 Abs. 1 UAbs. 1 VRL eine

Parallelvorschrift zu Art. 6 Abs. 1 FFH-RL aufweist und es insoweit keiner Modifizierung

ihres Schutzregimes bedarf.775 Nach alledem besteht der Sinn und Zweck des Art. 7 FFH-

RL darin, vor dem Hintergrund der Errichtung des europäischen ökologischen Netzes Na-

tura 2000 ein einheitliches Schutzregime für die Flächen zu konstituieren, die Bestandteil

dieses Biotopsverbundsystems sind.776

2. Inkrafttreten des Schutzregimes der FFH-Richtlinie in zeitlicher Hinsicht

Klärungsbedürftig ist weiterhin die Frage, ab welchem Zeitpunkt Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-

RL auf die nach Art. 4 Abs.1, 2 VRL ausgewiesenen Vogelschutzgebiete anzuwenden ist.

Nach dem Wortlaut des Art. 7 FFH-RL soll dies ab dem Datum für die Anwendung der

FFH-Richtlinie bzw. danach ab dem Datum, zu dem ein Gebiet als besonderes Schutzge-

biet im Sinne des Art. 4 Abs. 1, 2 VRL ausgewiesen wird, erfolgen.

Daraus lässt sich zum einen der Schluss ziehen, dass das Schutzregime der FFH-Richtlinie

das Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie frühestens ab dem Datum für die Anwendung

der FFH-Richtlinie ersetzt.777 Welcher Zeitpunkt damit gemeint ist, bleibt aber ungeklärt.

In diesem Zusammenhang könnte zunächst das Inkrafttreten der FFH-Richtlinie gem. Art.

772 Vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 166 f.; Ssymank, NuL 1994, S. 400. 773 Berner, Der Habitatschutz, S. 63; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 83; Kues,

Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 167; Jarass, ZUR 2000, S. 184; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 19.

774 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 167. 775 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 167; vgl. auch oben 2. Teil, B, I. 776 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 167; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 187;

Louis, UPR 1997, S. 302; Gellermann, NuR 1996, S. 549; Wirths, Naturschutz durch europäisches Ge-meinschaftsrecht, S. 202.

777 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 168; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 92; Jarass, ZUR 2000, S. 184.

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254 Abs. 2 Satz EGV am 20. Tag nach der Veröffentlichung in Betracht kommen. Des

Weiteren wäre der Ablauf der Umsetzungsfrist gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 2 FFH-RL denk-

bar. Schließlich könnte der Tag der Umsetzung der Richtlinie durch den jeweiligen Mit-

gliedstaat entscheidend sein.778 Der Wortlaut der deutschen Fassung und noch mehr der

englischen Fassung779 sprechen eher gegen ein Abstellen auf das Inkrafttreten im Sinne des

Art. 254 Abs. 2 Satz 2 EGV.780 In der Sache spricht gegen ein Abstellen auf das Inkrafttre-

ten, dass eine Richtlinie die Verpflichtung der Mitgliedstaaten bis zum Ablauf der Umset-

zungsfrist hinausschiebt und damit ihre Anwendung erst zu diesem Zeitpunkt notwendig

wird.781 Auch wird in neueren Richtlinien unter der Überschrift „Beginn der Anwendung“

der Ablauf der Umsetzungsfrist geregelt und wird damit zwischen Umsetzung und Anwen-

dung der gemeinschaftsrechtlichen Richtlinien unterschieden.782 Aus diesen Überlegungen

folgt, dass unter „Datum für Anwendung „ im Sinne des Art. 7 FFH-RL das Datum seiner

Umsetzung in das nationale Recht zu verstehen ist.783 Dabei stellt sich aber die Frage, ob

hierbei auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Umsetzung der Norm oder ob auf denjenigen

des Ablaufs der gem. Art. 23 Abs. 1 Satz 1 FFH-RL zweijährigen Umsetzungsfrist abzu-

stellen ist. Ausschlaggebend kann in diesem Zusammenhang der Zweck des Art. 7 FFH-RL

sein. Da Art. 7 FFH-RL die gemeinschaftsweite Angleichung des Schutzregimes der be-

sonderen Vogelschutzgebiete an das der FFH-Richtlinie bezweckt, würde es diesem Ziel

widersprechen, für die Anwendung der Vorschrift ihre zeitlich mitunter extrem voneinan-

der abweichende tatsächliche Umsetzung in die Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten als

maßgeblich zu erachten.784 Daher ist davon auszugehen, dass Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL

auf die gem. Art. 4 Abs. 1, 2 VRL ausgewiesenen Vogelschutzgebiete seit dem Zeitpunkt,

in dem die Umsetzungsfrist der FFH-Richtlinie abgelaufen ist, also seit Juni 1994 anzu-

wenden ist.785

778 Vgl. Jarass, ZUR 2000, S. 184. 779 “…from the date of implementation of this directive…”. 780 Jarass, ZUR 2000, S. 184; vgl. auch Berner, Der Habitatschutz, S. 63 ff.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 169; für die in diese Richtung tendierende französische und spanische Textfassung der Richtlinie siehe auch Berner, Der Habitatschutz, S. 64, Fn. 267 f.

781 Jarass, ZUR 2000, S. 184. 782 Vgl. etwa Art. 21 der Richtlinie 96/61/EG des Rates vom 24. September 1996 über die integrierte Ver-

meidung und Verminderung der Umweltverschmutzung. 783 Vgl. Jarass, ZUR 2000, S. 184; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 168 f. 784 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 169. 785 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 169; im Ergebnis ebenso Berner, Der Habitatschutz, S. 66, Fn.

280; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 101; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 64; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 185; Europäische Kommission, Ge-bietsmanagement, S. 12; a.A. Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 20 f.; Louis, DÖV 1999, S. 379, die von dem Zeitpunkt der tatsächlichen Umsetzung der Norm ausgehen.

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Diese Ausführungen gelten jedoch nur für solche besonderen Vogelschutzgebiete, die zu

dieser Zeit bereits ausgewiesen waren oder die bis zu diesem Zeitpunkt hätten ausgewiesen

werden können. Bei Gebieten, die erst nach dem Ablauf der Umsetzungsfrist als Schutzge-

biete im Sinne des Art. 4 Abs. 1, 2 VRL eingerichtet wurden, kommt Art. 6 Abs. 2 bis 4

FFH-RL demgegenüber nach dem eindeutigen Wortlaut des Art. 7 FFH-RL ab dem Datum

ihrer Ausweisung zur Geltung.786

3. Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL auf besondere Vogelschutzge-

biete

Fraglich ist zudem, ob Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL auch für Vogelschutzgebiete An-

wendung finden kann. Das hängt davon ab, ob es Vogelarten und demzufolge auch Vogel-

schutzgebiete gibt, die als prioritär einzustufen sind. Diese Frage ist allerdings nur dann

von Bedeutung, wenn sich in dem betroffenen Vogelschutzgebiet nicht zugleich prioritäre

Arten und Lebensraumtypen nach der FFH-Richtlinie befinden, da in letzterem Fall Art. 6

Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL unzweifelhaft zur Anwendung kommt.787

Ein Blick auf die Anhänge sowohl der FFH-Richtlinie als auch der Vogelschutzrichtlinie

führt dazu, dass es nach diesen beiden Richtlinien keine prioritären Vogelarten gibt. Das

würde bedeuten, dass Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL hierbei nicht zur Anwendung kom-

men könnte, was wiederum die Konsequenz hätte, dass Pläne und Projekte die ein besonde-

res Vogelschutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten, nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-

RL auch aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen zugelassen werden könnten. Diese

Auffassung wird von der Kommission,788 von Teilen der Rechtsprechung789 und der Litera-

tur790 geteilt.

786 Vgl. Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 169; Jarass, ZUR 2000, S. 184; Freiburg, Die Erhaltung

der biologischen Vielfalt, S. 185. 787 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 227; Jarass, ZUR 2000, S. 188; Lorenz,

Harmonisierung des Verfahrens S. 103; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 170 f.; Thyssen, DVBl. 1998, S. 884; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 23; Berner, Der Habitatschutz, S. 193.

788 Vgl. etwa Antwort der Kommission auf die schriftliche Anfrage P-0755/96, ABl. EG 1996, Nr. C 280, S. 74.

789 OVG Münster, NUR 2000, S. 171; der EuGH hat sich aber bislang zu dieser Thematik nicht geäußert. 790 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 228 ff.; Wrase, NuR 2004, S. 359; Epiney,

UPR 1997, S. 307; Jarass, ZUR 2000, S. 189; Stüer, DVBl. 2002, S. 646; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 164; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 124 f.; Schrödter, NuR 2001, S. 17; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 35 ff.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 22 f.; Schink, GewArch 1998, S. 52; Ber-ner, Der Habitatschutz, S. 126.

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Diese, den Vogel- und Naturschutz erheblich abwertende Ansicht ist zu Recht im Schrift-

tum auf breiten Widerspruch gestoßen. Dabei wird zunächst auf den Wortlaut des Art. 7

FFH-RL verwiesen, der die Ersetzung des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 VRL durch Art. 6 Abs. 2 bis

4 FFH-RL für die gem. Art. 4 Abs. 1, 2 VRL ausgewiesenen Vogelschutzgebiete anordnet

und somit auch Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL in Bezug nimmt. Art. 7 FFH-RL überträgt

nämlich das gesamte Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL auf Vogelschutzgebiete

und differenziert nicht zwischen den einzelnen Unterabsätzen des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL.

Daraus folgt, dass auch im Hinblick auf Vogelschutzgebiete die Anwendung des Art. 6

Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL beabsichtigt ist, was folglich bedeutet, dass es prioritäre Vogel-

schutzgebiete geben muss. Denn ohne die Anerkennung prioritärer Vogelarten würde die

Verweisung des Art. 7 FFH-RL leer laufen.791

Die fehlende Benennung bestimmter Vogelarten als prioritär in den Anhängen I und II der

FFH-Richtlinie lässt sich dabei nämlich mit dem Umstand erklären, dass diese Anhänge

ihren eigentlichen Anwendungsbereich im Rahmen der Auswahl der FFH-Gebiete haben.

Die besonderen Vogelschutzgebiete werden demgegenüber gem. Art. 7 FFH-RL weiterhin

anhand der in der Vogelschutzrichtlinie enthaltenen naturschutzfachlichen Kriterien aus-

gewählt. Daher ist eine Auflistung von Vogelarten im Anhang der FFH-Richtlinie, zumal

als prioritäre Arten, entbehrlich.792 Zudem kann die nicht vorhandene Kennzeichnung prio-

ritärer Vogelarten in der Vogelschutzrichtlinie darauf beruhen, dass diese Richtlinie bedeu-

tend älter ist als die FFH-Richtlinie und der Richtliniengeber die Harmonisierung dieser

Rechtsakte im Hinblick auf die Ausweisung von Schutzgebieten schlicht versäumt hat.793

Für eine solche Sichtweise spricht weiterhin der Sinn und Zweck des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2

FFH-RL, existenziell bedrohte Arten besonders zu schützen. Dabei ist darauf hinzuweisen,

dass sich die Vogelarten im Sinne des Art. 4 Abs. 1, 2 VRL in einer derartigen Gefähr-

dungssituation befinden. Bei diesen Arten ist nicht nur gemäß 2. Begründungserwägung

der Vogelschutzrichtlinie ein Rückgang festzustellen, sondern sie sind ausweislich der 9.

Begründungserwägung der Vogelschutzrichtlinie in Fortbestand und Fortpflanzung gefähr-

791 Vgl. VG Oldenburg, ZUR 1999, S. 170; ebenso Leist, Lebensraumschutz, S. 132 f.; Kues, Flora-Fauna-

Habitat-Richtlinie, S. 172; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 204; Schubert, Harmonisierung, S. 209; Winter, ZUR 1996, S. 255; Gellermann, Natura 2000, S. 101; Kador, FFH-Richtlinie, S. 60; Erbguth, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 69 f.; Draber, Rechtsfragen des europäi-schen Habitatschutzes, S. 124.

792 So Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 173; vgl. auch Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 21.

793 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 173; vgl. dazu Gellermann, Natura 2000, S. 101; a.A. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 125 f.

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det.794 Sie sind also von ihrer Schützwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit her mit den im

Anhang II der FFH-Richtlinie mit einem Sternchen (*) gekennzeichneten prioritären Arten

vergleichbar, so dass sie in materieller Hinsicht des besonderen Schutzes des Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL bedürfen.795 Eine Ungleichbehandlung der Arten, die eines besonderen

Schutzes bedürfen, würde insoweit dem Ansatz des Art. 7 FFH-RL widersprechen, der ei-

nen einheitlichen Mindestschutz für alle Gebiete gewährleisten will, die Bestandteil des

Netzes Natura 2000 sind. Auch hinsichtlich der in der Gemeinschaft dem Vogelschutz zu-

kommenden Bedeutung wäre ein im Vergleich zu originären FFH-Gebieten geminderter

Schutz der Vogelschutzgebiete schwer verständlich, denn der Vogelschutz war eines der

ersten Betätigungsfelder der Gemeinschaft auf dem Gebiet des Naturschutzrechts, wie der

Erlass der Vogelschutzrichtlinie im Jahr 1979 zeigt.796 Es ist daher anzunehmen, dass sich

die Verweisungsvorschrift des Art. 7 FFH-RL auch auf Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

erstreckt und diese Vorschrift somit ihre Rechtswirkungen in Bezug auf die besonderen

Vogelschutzgebiete entfalten kann.

Fraglich ist allerdings noch, ob alle Vogelarten nach Art. 4 Abs. 1, 2 VRL unter das

Schutzregime des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL fallen oder ob insoweit eine Differenzie-

rung vorzunehmen ist. Hierzu wird überwiegend vertreten, dass alle in Anhang I der Vo-

gelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten als prioritär anzusehen seien, da die Schutz-

würdigkeit der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie abschließend aufgeführten Vogelar-

ten mit derjenigen hinsichtlich der besonders gekennzeichneten prioritären Tiere und

Pflanzen im Anhang II der FFH-Richtlinie vergleichbar sei.797 Teilweise wird sogar eine

noch weitergehende Einschränkung des Anwendungsbereiches des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2

FFH-RL vorgeschlagen.798 Danach sollen die Kriterien des Art. 1 lit. h) FFH-RL für das

Vorliegen prioritärer Arten analog auf die Einordnung der Vogelarten des Anhangs I der

Vogelschutzrichtlinie angewandt werden, um die dort aufgelisteten Arten als prioritär qua-

lifizieren zu können. Für eine solche differenzierte Lösung spreche einerseits der Umstand,

794 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 174; Schubert, Harmonisierung, S. 209; Mecklenburg, Flora-

Fauna-Habitate, S. 38; Leist, Lebensraumschutz, S. 133; in diese Richtung auch EuGHE 1996, I- S. 3852. 795 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 174; ebenso Louis, DÖV 1999, S. 378; Wirths, Naturschutz

durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 205; Winter, ZUR 1996, S. 255; a.A. Berg, Europäisches Na-turschutzrecht und Raumordnung, S. 229 f.

796 Vgl. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 187; Schubert, Harmonisierung, S. 210; Epi-ney, UPR 1997, S. 307.

797 Schubert, Harmonisierung, S. 210; Gellermann, Natura 2000, S. 102; Winter, ZUR 1996, S. 255; ders., ZUR 1994, S. 308; Kador, FFH-Richtlinie, S. 61 f.; Fisahn, ZUR 1996, S. 7 f.; Louis, DÖV 1999, S. 378; Leist, Lebensraumschutz, S. 135.

798 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 114.

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dass Anhang I der Vogelschutzrichtlinie quantitativ ein vielfaches der in Anhang II der

FFH-Richtlinie aufgeführten Arten enthalte. Andererseits würde auf diese Weise auch si-

chergestellt, dass für alle Arten unabhängig der jeweiligen Richtlinie ein einheitlicher Maß-

stab gelte, anhand dessen ihr prioritärer Charakter beurteilt werden könne.799

Zu bedenken ist jedoch, dass die Definition des Art. 1 lit. h) FFH-RL unbestimmte Rechts-

begriffe enthält, so dass eine einheitliche Beurteilung der Vogelarten des Anhangs I der

Vogelschutzrichtlinie durch die Mitgliedstaaten nicht ohne weiteres möglich ist. Eine ana-

loge Anwendung des Art. 1 lit. h) FFH-RL würde somit nicht zur Rechtssicherheit beitra-

gen, die, wie die besondere Kennzeichnung der prioritären Arten im Anhang II der FFH-

Richtlinie durch ein Sternchen zeigt, aber gerade gewahrt werden soll.800 Abgesehen von

diesen Bedenken ignoriert eine solche Differenzierung auch den eindeutigen Wortlaut des

Art. 7 FFH-RL. Da diese Vorschrift ausdrücklich alle durch Art. 4 Abs. 1, 2 VRL geschütz-

ten Vogelarten erfasst, ist eine Beschränkung auf die Arten des Anhangs I der Vogelschutz-

richtlinie oder auf einen Teil von diesen ihr nicht zu entnehmen.801 Diese Auslegungsvari-

ante wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH unterstützt, der die Arten des Anhangs

I der Vogelschutzrichtlinie und die regelmäßig auftretende Zugvogelarten des Art. 4 Abs. 2

VRL sowohl hinsichtlich der Schutzgebietsausweisung als auch bezüglich des Schutzre-

gimes stets gleich behandelt hat.802 Weiterhin ist zu beachten, dass eine Differenzierung

zwischen den in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgeführten Vogelarten und den re-

gelmäßig auftretenden Zugvogelarten im Sinne des Art. 4 Abs. 2 VRL dem einheitlichen

Schutzregime der Vogelschutzrichtlinie widersprechen würde, da beide Kategorien nach

der 9. Begründungserwägung der Vogelschutzrichtlinie gleich zu behandeln sind.803

Überzeugender erscheint es deshalb, Art. 7 FFH-RL so zu interpretieren, dass alle gemäß

Art. 4 Abs. 1, 2 VRL ausgewiesenen Vogelschutzgebiete dem strikten Schutz des Art. 6

Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL unterfallen. Somit ist davon auszugehen, dass sich die Zulässig-

799 Freytag/Iven, NuR 1995, S. 114 f. 800 Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 23; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S.

175; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 207. 801 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 175 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-

recht, S. 206. 802 Vgl. etwa EuGHE, 1996, I- S. 3853; EuGHE, 1999, I- S. 8557 ff.; in dieser Hinsicht auch Kues, Flora-

Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 176. 803 Vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 206; Kues, Flora-Fauna-Habitat-

Richtlinie, S. 176.

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keit von Plänen und Projekten, die ein besonderes Vogelschutzgebiet erheblich beeinträch-

tigen können, allein nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL richtet.804

804 Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 176; Gellermann, NuR 1996, S. 555; Bundesamt für Natur-

schutz, Natura 2000, S. 40; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 206.

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Dritter Teil: Die Umsetzung der Schutzbestimmungen der FFH-Richtlinie in das

deutsche Naturschutzrecht

A. Das System der Richtlinien der EG und ihre Wirkungsweise

I. Allgemeines

Die Richtlinie ist in Art. 249 Abs. 3 EGV geregelt. Danach ist sie für jeden Mitgliedstaat,

an den sie gerichtet ist, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch

den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel zur Erreichung dieses Ziels.

Damit unterscheidet sie sich von der Verordnung nach Art. 249 Abs. 2 EGV, die in allen

ihren Teilen verbindlich ist und unmittelbar in jedem Mitgliedstaat gilt. So treten Richtli-

nien, anders als Verordnungen, nicht an die Stelle der nationalen Rechtsvorschriften, son-

dern verpflichten die Mitgliedstaaten, ihr Recht an das der Gemeinschaft anzupassen. Das

Ziel der Richtlinie ist also die Rechtsangleichung in den Mitgliedstaaten, nicht wie bei der

Verordnung die Schaffung vom Einheitsrecht. Das Gemeinschaftsrecht sieht daher ein

zweistufiges Rechtsetzungsverfahren vor: In einem ersten Schritt wird das Regelungspro-

gramm mit Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten erlassen (Richtlinie). Auf der nächsten

Stufe setzen die Mitgliedstaaten die Richtlinien in nationales Recht um (nationale Durch-

führungsbestimmung).805

II. Umsetzungsfrist und Vorwirkung der Richtlinien

Für die Erfüllung der Umsetzungspflicht legen die Richtlinien jeweils eine bestimmte Frist

fest. Die Mitgliedstaaten sind als Ausführungsorgan dieses gemeinschaftlichen Rechtsaktes

verpflichtet, innerhalb dieser Frist die Vorgaben der Richtlinien in nationales Recht umzu-

setzen. Solange diese Umsetzung nicht erfolgt ist, entfaltet die Richtlinie im nationalen

Recht grundsätzlich keine Rechtswirkungen. Dabei ist allgemein anerkannt, dass Richtli-

nien schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist eine gewisse Vorwirkung entfalten.806 Wie der

EuGH entschieden hat, müssen die Mitgliedstaaten während der laufenden Umsetzungsfrist 805 Vgl. Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S.

58 f.; Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 35; Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 222; Gellermann, Natura 2000, S. 137; Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 279.

806 Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 225; Weiß, DVBl. 1998, 568 ff.; Ehricke, ZIP 2001, 1311 ff.; Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 37; Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 460; Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 283.

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im Sinne eines Frustrationsverbotes alle erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um die Ziel-

erreichung der Richtlinie sicherzustellen und sich aller Maßnahmen enthalten, die geeignet

sind, die Erreichung des in der Richtlinie vorgeschriebenen Ziels ernstlich in Frage zu stel-

len.807 Der EuGH leitet diese Pflicht aus Art. 10 Abs. 2 i.V.m. Art. 249 Abs. 3 EGV ab.

III. Gebot effektiver Umsetzung

Richtlinien verpflichten die Mitgliedstaaten zu einer effektiven Umsetzung. Der EuGH hat

diesbezüglich gefordert, dass die Mitgliedstaaten bei der Wahl der Form und der Mittel

diejenigen zu ergreifen haben, die für die Gewährleistung der praktischen Wirksamkeit der

Richtlinien am besten geeignet sind.808 Die Umsetzung von Richtlinien muss vor allem den

Erfordernissen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit genügen. Richtlinien müssen daher

durch verbindliche innerstaatliche Vorschriften umgesetzt werden, die hinreichend klar und

bestimmt sind und es den Betroffenen ermöglichen, von ihren Rechten und Pflichten

Kenntnis zu nehmen, um sie vor den Gerichten geltend machen zu können.809 Eine schlich-

te innerstaatliche Verwaltungspraktik oder eine Umsetzung durch Verwaltungsvorschriften

ohne Außenwirkung genügen nicht. Erforderlich ist in jedem Fall eine unzweifelhaft ver-

bindliche Umsetzung.810 Daher sind Richtlinien grundsätzlich in der Form von Außen-

rechtssätzen (Gesetzen, Rechtsverordnungen u.a.) umzusetzen.811 Eine Richtlinie bedarf

nur dann keines Umsetzungsaktes, wenn das in der Richtlinie vorgegebene Ziel innerstaat-

lich bereits durch entsprechende Rechtsvorschriften verwirklicht ist oder das vorhandene

mitgliedstaatliche Recht bereits mit den einschlägigen Vorgaben des Gemeinschaftsrechts

in Übereinstimmung steht.812

807 Grundlegend EuGHE, 1997, I- S. 7411. 808 EuGHE, 1976, S. 497. 809 EuGHE, 1987, S. 3483. 810Vgl. Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 282; Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 452; Bleckmann, Europarecht,

Rn. 442 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 53 ff.; Wirths, Natur-schutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 232; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Ver-einigten Königreich, S. 31.

811 Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 38; Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 282; Bleckmann, Europarecht, Rn. 442 ff.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 232 f.

812 Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 282; Gellermann, Natura 2000, S. 137.

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157

IV. Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung

In seiner ständigen Rechtsprechung betont der EuGH, dass Bestimmungen des nationalen

Rechts soweit als möglich am Wortlaut und am Zweck der Richtlinie auszulegen sind, um

das mit der Richtlinie verfolgte Ziel zu erreichen.813 Damit ist die Pflicht zur sog. richtli-

nienkonformen Auslegung ausgesprochen. Demnach hat die zur Rechtsanwendung berufe-

ne Stelle unter mehreren denkbaren Auslegungsmöglichkeiten diejenige zu wählen und zur

ihrer Entscheidung zugrundezulegen, die mit dem von der Richtlinie verfolgten Sinn und

Zweck des Gemeinschaftsrechts am besten im Einklang steht.814 Grundlage für eine richtli-

nienkonforme Auslegung ist Art. 10 EGV und die daraus resultierende Verpflichtung zur

wirkungsvollen Umsetzung des Gemeinschaftsrechts, wonach die Mitgliedstaaten alle ge-

eigneten Maßnahmen allgemeiner und besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen

treffen müssen, die sich aus Handlungen der Organe der Gemeinschaft ergeben.815 Diese

Pflicht trifft alle Träger der hoheitlichen Gewalt im Rahmen des ihnen nach nationalem

Recht zugewiesenen Kompetenzbereichs.816

Eine richtlinienkonforme Auslegung kommt dabei nur dann zum Einsatz, soweit die auf

einen bestimmten Lebenssachverhalt anzuwendende nationale Rechtsvorschrift Ausle-

gungsspielräume enthält, die im Sinne der Richtlinienvorgaben ausgefüllt werden kön-

nen.817 Eine richtlinienkonforme Auslegung findet dort ihre absolute Grenze, wo das natio-

nale Recht im gravierenden Widerspruch zu den Regelungszielen der Richtlinie steht und

auch keine Auslegungsspielräume für eine richtlinienkonforme Auslegung enthält.818 Das

ist insbesondere der Fall, sofern der Wortlaut der nationalen Norm derart eindeutig ist, dass

die Vorschrift einer Auslegung, ohne sie zu verändern, nicht mehr zugänglich ist.819

813 Vgl. etwa EuGHE, 1984, S. 1909; EuGHE, 1984, S. 1942; EuGHE, 1990, I- S. 4159. 814 Vgl. Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 453; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts

auf die kommunale Bauleitplanung, S. 59; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vo-gelschutzgebieten, S. 45.

815 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 198; vgl. Schladebach, Der Einfluss des europäi-schen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 60; Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 40.

816 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 197; Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 455. 817 Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 223; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 453; Wrase, Rechtsschutz gegen

die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 45; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Viel-falt, S. 199; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 32 f.

818 Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 223; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 95; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 33; Freiburg, Die Erhal-tung der biologischen Vielfalt, S. 199.

819 Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 453.

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Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung beginnt grundsätzlich mit dem Ablauf der

vom Gemeinschaftsrecht jeweils vorgegebenen Umsetzungsfrist und gilt dann noch, wenn

die Richtlinie bereits ordnungsgemäß in nationales Recht umgesetzt worden ist.820 Eine

Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung seitens der nationalen Verwaltung vor Ablauf

der Umsetzungsfrist ist hingegen bedenklich, weil damit der Entscheidung des nationalen

Gesetzgebers über Formen und Mittel der Umsetzung vorgegriffen wird.821 Die nationalen

Gerichte sind jedoch freilich nicht daran gehindert, schon vor Ablauf der Umsetzungsfrist

ihre Rechtsprechung vor Ablauf der Umsetzungsfrist Richtlinienvorgaben zu ändern, so-

fern sich die Richtlinienkonformität mittels einfacher Auslegung im nationalen Recht her-

stellen lässt.822

V. Unmittelbare Wirkung von Richtlinien

Im Gegensatz zu den Verordnungen besitzen die Richtlinien keine unmittelbare Geltung im

innerstaatlichen Recht. Wie bereits erwähnt, entstehen die Rechtsfolgen von Richtlinien in

der innerstaatlichen Rechtsordnung erst nach der pflichtgemäßen Umsetzung durch die

Mitgliedstaaten. Die unterschiedliche Ausgestaltung von Verordnung und Richtlinie zwingt

aber nicht dazu, den Richtlinien jegliche unmittelbare Wirkung abzusprechen. Mittlerweile

wird in der Literatur,823 der ständigen Rechtsprechung des EuGH824 und des BVerwG825

ganz überwiegend angenommen, dass Richtlinien unter bestimmten Voraussetzungen eine

unmittelbare Wirkung entfalten können. Sie bedürfen zu ihrer Wirksamkeit dann keines

mitgliedstaatlichen Umsetzungsaktes mehr. Die unmittelbare Anwendbarkeit von Richtli-

nienbestimmungen wird damit begründet, dass die Mitgliedstaaten aus ihrem Fehlverhalten

- dem Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht – keine Vorteile erlangen soll.826 Der EuGH

knüpft an eine unmittelbare Geltung der Richtlinie folgende Voraussetzungen:

820 Vgl. EuGHE, 1994, I- S. 1657; Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 457. 821 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 199; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 249, Rn.

110; Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 458; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 92; Herdegen, Europarecht, § 9, Rn. 43.

822 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 199, Fn. 12;vgl. dazu BGH, NJW 1998, S. 2210. 823 Vgl. etwa Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 443 ff.; Bleckmann, Europarecht, Rn. 431 ff.; Herdegen, Europa-

recht, § 9, Rn. 44 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 71 ff.; Ka-delbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 71 ff.; Jarass/Beljin, JZ 2003, S. 768 ff.

824 Vgl. etwa EuGHE, 1979, S. 837 ff.; EuGHE, 1974, S. 1347. 825 BVerwGE, 75, S. 235 ff.; BVerwGE, 70, S. 49 f. 826 Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 222; Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 286.

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1. Unbedingtheit und Bestimmtheit

Für de unmittelbare Geltung einer Richtlinie ist zunächst erforderlich, dass die Richtlinie

bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist nicht oder nicht hinreichend umgesetzt worden ist. Die

Gründe für diesen Mangel sind unerheblich.827

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist für eine unmittelbare Geltung von Richtlinienbe-

stimmungen weiterhin erforderlich, dass die Richtlinienvorschrift unbedingt und hinrei-

chend bestimmt ist. Ersteres ist der Fall, wenn die Anwendbarkeit derjenigen Norm, der die

unmittelbare Wirkung zukommen soll, nicht von weiteren Handlungen oder Bedingungen

seitens eines Gemeinschaftsorgans oder der Mitgliedstaaten abhängt.828

Ferner hat die Richtlinienvorschrift hinreichend bestimmt zu sein. Sie muss also einen ge-

nügend klaren und präzisen Rechtssatz aufstellen, der die Tatbestandsvoraussetzungen und

die Rechtssatzfolgen deutlich macht. Eine solche hinreichende Bestimmtheit liegt vor,

wenn die Richtlinienvorschrift unzweideutig eine Verpflichtung für einen Personenkreis

und einen sachlichen Regelungszustand begründet.829 Dabei ist zu beachten, dass die Ver-

wendung unbestimmter Rechtsbegriffe der hinreichenden Bestimmtheit einer Richtlinien-

vorschrift nicht entgegensteht, denn der betreffende Begriff kann grundsätzlich von Gerich-

ten ausgelegt werden. Solange der Begriff somit noch auslegungsfähig ist, fehlt es nicht an

der hinreichenden Bestimmtheit.830

2. Erfordernis der begünstigenden Wirkung

Einer der umstrittensten Punkte im Zusammenhang mit der unmittelbaren Wirkung von

Richtlinien war in der Vergangenheit die Frage, ob Richtlinienbestimmungen nur dann

unmittelbar angewendet, werden können, wenn sie zugunsten desjenigen, der sich auf die

827 Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 223; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454; Schmitz, ZUR 1996, S. 13. 828 EuGHE, 1968, S. 230; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S.

47; Kadelbach, Allgemeines Verwaltungsrecht unter europäischem Einfluss, S. 77; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 74; Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 223; Jarass/Beljin, JZ 2003, S. 770; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454.

829 EuGHE, 1982, S. 71; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 47; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 76; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454.

830 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 48; Jarass/Beljin, JZ 2003, S. 770; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 76.

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Richtlinienvorschrift beruft, begünstigende und individualschützende Rechte begründen.831

Der EuGH hat zunächst im seinem „Becker Urteil“832 entschieden, dass eine Richtlinien-

vorschrift unmittelbar wirke, wenn sie inhaltlich unbedingt sowie hinreichend genau sei.

Im Anschluss führte er aber aus, dass sich Einzelne auf die Richtlinienbestimmungen „auch

berufen (können), soweit diese Rechte festlegen, die dem Staat gegenüber geltend gemacht

werden können“.833 Aus der zitierten Urteilspassage hat ein Teil der Literatur den Schluss

gezogen, dass eine unmittelbare Wirkung von Richtlinien nur dann in Betracht gezogen

werden könne, wenn die Richtlinienvorschrift subjektive Rechte zugunsten der Bürger be-

gründet.834 Gegen diese Ansicht wurde aber auch die Auffassung vertreten, dass unmittel-

bare Wirkung und Einklagbarkeit von Richtlinienbestimmungen zwei voneinander zu tren-

nende Rechtswirkungen sei, so dass es für die unmittelbare Wirkung von Richtlinien keine

Rolle spielt, ob diese Vorschriften individualschützenden Charakter aufweisen.835

Dieser Meinungsstreit ist jedoch durch die „Großkrotzenburg-Entscheidung“836 des EuGH

überholt. Dort hat sich die Bundesrepublik Deutschland als Beklagte gegen die unmittelba-

re Anwendung verschiedener Bestimmungen der UVP-Richtlinie mit dem Argument ein-

gewendet, dass diese Bestimmungen keine individuelle Rechte einzelner Marktbürger be-

gründeten. Dennoch hat der Gerichtshof festgestellt, dass die fraglichen Vorschriften den

zuständigen Behörden unmissverständlich die Pflicht auferlegen, bestimmte Projekte einer

Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen.837 Der EuGH bejaht damit generell eine

unmittelbare Anwendung von Richtlinienbestimmungen, falls diese unmissverständige

Verpflichtungen für die zuständigen Behörden begründen. Das Erfordernis der Gewährung

von Rechten an einzelne durch die betreffenden Regelungen wird damit aufgegeben. Ob

Richtlinienbestimmungen gegenüber Einzelnen eine begünstigende Wirkung haben, ist also

keine Voraussetzung für die unmittelbare Anwendung von Richtlinienbestimmungen.838

831 Vgl. dazu Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 246 ff.; Wrase, Rechtsschutz gegen

die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 48 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Be-deutung des EG-Rechts, S. 83 ff.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 203 ff.; Fis-ahn/Mushoff, EuR 2005, S. 224 f.; Leist, Lebensraumschutz, S. 227.

832 EuGHE, 1982, S. 53 ff. 833 EuGHE, 1982, S. 71. 834 Vgl. nur Schmitz, ZUR 1996, S. 14; Winter, DVBl. 1991, S. 659. 835 Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 82. 836 EuGHE, 1995, I- S. 2211 ff. 837 EuGHE, 1995, I- S. 2224. 838 Vgl. Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 455 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung,

S. 247; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 98; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 50; Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 224; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 71; Freiburg, Die Er-haltung der biologischen Vielfalt, S. 204.

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161

3. Belastungsverbot

Um unmittelbar wirken zu können, müssen den Richtlinienbestimmungen nach der Recht-

sprechung des EuGH schließlich nicht das sog. Belastungsverbot entgegenstehen.839 Das

Belastungsverbot besagt, dass sich aus einer nicht umgesetzten Richtlinie keine Verpflich-

tungen zu Lasten des Bürgers ergeben müssen. Sinn und Zweck dieses Verbot ist es,

rechtsmissbräuchliches Verhalten der Mitgliedstaaten zu verhindern. Ein Mitliedstaat als

Adressat der Umsetzungspflicht soll keinen Nutzen aus seiner Säumigkeit ziehen, solange

er die notwendigen rechtlichen Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Umsetzung der

Richtlinienbestimmungen nicht geschaffen hat.840

Das Belastungsverbot gilt allerdings nur, soweit es um unmittelbar durch eine Richtlinien-

vorschrift begründete Verpflichtungen von Privatpersonen geht. Anders zu behandeln sind

hingegen Fallgestaltungen, die zu einer mittelbaren Belastung von Gemeinschaftsbürgern

führen.841 Mittelbare Belastungen sind nämlich solche, die sich nicht aus der Richtlinie

selbst, sondern erst durch die behördliche Anwendung einer Richtlinienbestimmung erge-

ben. In seiner „Großkrotzenburg-Entscheidung“ hat auch der EuGH die Notwendigkeit zur

Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bejaht, obwohl dies zu unmittelbaren

Belastungen des privaten Vorhabensträgers führte.842 Für die Annahme einer unmittelbaren

Geltung einer Richtlinienbestimmung trotz einer möglichen mittelbaren Belastung von Pri-

vatpersonen spricht ferner, dass die unmittelbare Wirkung von Richtlinien dazu dient, ge-

meinschaftsrechtswidriges Verhalten abzuwehren, welches durch eine verspätete oder feh-

lerhafte Richtlinienumsetzung ausgelöst werden kann. Stehen sich jedoch die Rechtsmä-

ßigkeit des Verwaltungsverhaltens und eine mögliche mittelbare Belastung von Privatper-

sonen gegenüber, die nicht über das hinausgeht, was bei ordnungsgemäßer Richtlinienum-

setzung ohnehin gegolten hätte, ist dem Grundsatz der Rechtsmäßigkeit des Verwaltungs-

839 EuGHE, 1986, S. 749; EuGHE, 1987, S. 2141; siehe dazu auch Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung

von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 50 ff.; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 83 ff.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 248 ff.; Epiney, DVBl. 1996, S. 412 f.; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 206 ff.

840 Vgl. Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 51; Epiney, DVBl. 1996, S. 413; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 207 f.; Schmidt-Preuß, NVwZ 2001, S. 253; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 315; Streinz, Europarecht, § 5, Rn. 446.

841 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 314 f.; Berg, Europäisches Naturschutz-recht und Raumordnung, S. 249; Koenig/Haratsch, Europarecht, Rn. 286; Albin, NuR 1997, S. 30 f.; Frei-burg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 207 f.; Kirchhof, NuR 2001, S. 668; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 51 f.

842 EuGHE, 1995, I- S. 2224.

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verhandelns Vorrang einzuräumen.843 Zudem erscheint es ebenfalls rechtsmissbräuchlich,

wenn Einzelnen ein Vorteil aus dem gemeinschaftsrechtswidrigen Verhalten eines Mit-

gliedstaates erwachsen.844 Folglich greift das Belastungsverbot nicht bei mittelbaren Belas-

tungen ein.

Über diese Ausführungen hinaus ist zu beachten, dass die Richtlinie die genannten Voraus-

setzungen nicht insgesamt erfüllen muss. Es kommt auch eine nur teilweise unmittelbare

Anwendung des Gemeinschaftsrechts für den Fall in Betracht, dass einzelne Vorschriften

und Regelungsteilgehalte einer unmittelbaren Anwendbarkeit jener Art zugänglich sind.845

843 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 249 f.; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaf-

fung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 51 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschafts-recht, S. 315; Berner, Der Habitatschutz, S. 147.

844 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 52; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 315; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 250; Epiney, DVBl. 1996, S. 413.

845 Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454; Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 223; vgl. dazu BVerwG, ZUR 1996, S. 256.

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B. Umsetzungsprozess des nationalen Rechts

I. Allgemeines

Nach Art. 249 Abs. 3 i.V.m Art. 10 EGV sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, gemein-

schaftliche Richtlinien in nationales Recht umzusetzen. Konkretisiert wird dieser Umset-

zungsbefehl im Hinblick auf die normativen Vorgaben der FFH-Richtlinie durch Art. 23

Abs. 1 FFH-RL. Die Mitgliedstaaten trifft damit die Verpflichtung, das Ziel, also den von

der FFH-Richtlinie geforderten Rechtszustand durch Übertragung des Richtlinienpro-

gramms in das innerstaatliche Recht zu verwirklichen.846

Nach Art. 23 Abs. 1 FFH-RL hätten die Mitgliedstaaten die FFH-Richtlinie binnen zwei

Jahren nach der Bekanntgabe der Richtlinie, also bis zum 05.06.1994 in nationales Recht

umsetzen müssen. Vor allem aber die Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern

über die Gesetzgebungskompetenzen und Finanzierungsprobleme führten zu langen Ver-

zögerungen und endeten darin, dass die Länder mit ihrer eigenen Umsetzung sowie mit der

für Art. 4 Abs. 1 FFH-RL notwendigen Gebietsbenennung die Umsetzung der FFH-

Richtlinie durch die naturschutzrechtliche Rahmengesetzgebung des Bundes abwarteten.847

Erst fast vier Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist und nachdem die Bundesrepublik

Deutschland anlässlich einer Klage der Kommission durch den EuGH848 wegen nicht

rechtzeitiger Umsetzung der FFH-Richtlinie verurteilt wurde, haben sich Bund und Länder

durch die Einfügung der §§ 19 a-f im Rahmen der Änderung des Bundesnaturschutzgeset-

zes zur Umsetzung der FFH-Richtlinie auf das zweite Gesetz zur Änderung des Bundesna-

turschutzgesetzes849 geeinigt, das am 09.05.1998 in Kraft trat. Dieses Gesetzwerk, das

zugleich Änderungen des WHG und des PflanzenschutzG mit sich brachte, sollte der Erfül-

lung des durch die FFH-Richtlinie begründeten Umsetzungsbedarfes durch überwiegend

rahmenrechtliche Vorschriften auf Bundesebene dienen. Dabei hat das zweite BNatSchG-

Änderungsgesetz auch die Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie zum Gegenstand. Ferner

erfolgte auch eine Teilumsetzung der FFH-Richtlinie durch das Bau- und Raumordnungs-

846 Vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 225 f.; Gellermann, Natura 2000, S.

137 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 153 f. 847 Eingehend zu diesem Gesetzgebungsverfahren vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-

Richtlinie, S. 225 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 226 ff.; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 17 ff.; Berner, Der Habitatschutz, S. 161 ff.; Gellermann, Natura 2000, S. 137 f.; Stef-fen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 54 ff.

848 EuGH, NuR 1998, S. 194. 849 BGBl. I 1998, S. 823.

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gesetz,850 das am 01.01.1998 in Kraft trat und zu Änderungen des Baugesetzbuches und

Raumordnungsrechts führte. So wurden in Erfüllung gemeinschaftlicher Verpflichtungen

die Bestimmungen der §§ 1 a Abs. 2 NR. 4, 29 Abs. 3 BauGB und § 7 Abs. 7 ROG ge-

schaffen.

Nach einigen zwischenzeitlichen Änderungen des BNatSchG 1998, die Regelungen der §§

19 a-f BNatSchG nicht betrafen,851 kam es im Jahr 2002 durch das Gesetz zur Neurege-

lung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege und zur Anpassung anderer

Rechtsvorschriften (BNatSchGNeuregG),852 das mit seine Inkrafttreten am 04.04.2002

durch seinen Art. 5 das BNatSchG 1998 außer Kraft gesetzt hat, zu leichten Veränderungen

in der FFH-Richtlinie auf bundesdeutscher Ebene. Durch diese Novellierung des Bundes-

naturschutzgesetzes sind die Vorschriften der §§ 19 a-f BNatSchG in die §§ 32-37

BNatSchG umbenannt worden; inhaltlich wurden sie jedoch nicht verändert.

Die Umsetzung des BNatSchG und der FFH-Richtlinie durch die Bundesländer begann

schließlich erst nach Erlass des BNatSchG 1998. Bislang sind alle Bundesländer ihre

Pflicht zum Erlass landesrechtlicher Gesetze zur Umsetzung der bundesrechtlichen Vorga-

ben des §§ 32 – 37 BNatSchG nachgekommen.853

II. Gesetzgebungskompetenzen und unmittelbar geltende Regelungen

Die vom nationalen Gesetzgeber gemäß Art. 249 Abs. 3 EGV umzusetzenden Vorschriften

der FFH-Richtlinie berühren nach der grundgesetzlichen Kompetenzverteilung zwischen 850 BGBl. I 1997, S. 2081. 851 Zu diesen Änderungen vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 226, Fn. 676; Stef-

fen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 55. 852 BGBl. I 2002, S. 1193. 853 Baden-Württemberg, §§ 36-40 des Gesetzes zum Schutz der Natur, zur Pflege der Landschaft und über

die Erholungsvorsorge in der freien Landschaft (NatSchG); Bayern, Art. 13b, c, 49a des Gesetzes über den Schutz der Natur, die Pflege der Landschaft und die Erholung in der freien Natur (BayNatSchG); Berlin, §§ 16, 17, 22b des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege von Berlin (NatSchgBln); Branden-burg, §§ 26a-g des Gesetzes über den Naturschutz und die Landschaftspflege im Land Brandenburg (BbgNatSchG); Bremen, §§ 26a-d des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (BremNatSchG); Hamburg, §§ 14a, 21a des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (HmbNatSchG); Hessen, §§ 20a-d des Hessischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (HENatG); Mecklenburg- Vor-pommern, §§ 18, 28 des Gesetzes zum Schutz der Natur und der Landschaft im Lande Mecklenburg-Vorpommern (LNatG M-V);Niedersachsen, §§ 34a-c des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes (NNatG); Nordrhein-Westfalen, §§ 48a-e des Gesetzes zur Sicherung des Naturhaushalts und zur Entwick-lung der Landschaft (LG); Rheinland-Pfalz, §§ 25-27 des Landesnaturschutzgesetzes (LNatSchG); Saar-land, §§ 24-26 des Gesetzes zum Schutz der Natur und Heimat im Saarland (SNG); Sachsen, §§ 22a-c des Sächsischen Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (SächsNatSchG); Sachsen-Anhalt, §§ 44-46 des Naturschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (NatSchG LSA); Schleswig-Holstein, §§ 20a-f des Gesetzes zum Schutz der Natur (LNatSchG); Thüringen, §§ 26 a-c des Thüringer Gesetzes über Natur-schutz und Landschaftspflege (ThürNatG).

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Bund und Ländern in Deutschland unterschiedliche Teilgebiete. Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1

Nr. 3 und 4 GG a.F. fallen Naturschutz und Landschaftspflege in den Bereich der Rahmen-

gesetzgebung des Bundes. Hierbei kommt dem Bund nur das Recht zu, Rahmenvorschrif-

ten zu erlassen, während grundsätzlich die Länder für die Ausfüllung des Rahmens die Ge-

setzgebungskompetenz besitzen.854 Im Bereich der Rahmengesetzgebung ist nach Art. 72

Abs. 2 GG a.F. dem Bund der Erlass der in Einzelheiten gehenden oder unmittelbar gelten-

den Regelungen nur in Ausnahmefällen erlaubt. Ein solcher Ausnahmefall liegt etwa vor,

wenn ein besonders gewichtiges Interesse an bundesweit einheitlich geltenden Regelungen

besteht.855

Aufgrund der bundesrechtlichen Kompetenzaufteilung für Naturschutz und Landschafts-

pflege sind die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes grundsätzlich als Rahmenrecht

konzipiert, welches erst durch den Erlass von entsprechenden Landesgesetzen unmittelbare

Geltung erlangt. Abweichend davon sind in § 11 Satz 1 BNatSchG Vorschriften aufgeführt,

die keine Rahmenvorschrift darstellen und somit auch ohne landesrechtliche Umsetzung

unmittelbar gelten.856 Zunächst schreibt § 11 Satz 1 BNatSchG vor, dass u.a. §§ 33 Abs. 1

Satz 2 und 3, § 35 Satz 1 Nr. 1 sowie die §§ 3 und 37 Abs. 1 keine Rahmenvorschrift sind.

Ferner bestimmt § 11 Satz 2 BNatSchG, dass auch § 34 unmittelbar gilt, soweit Behörden

des Bundes Entscheidungen über Projekte im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG tref-

fen oder solche Projekte durchführen. Ohne diese unmittelbar geltende Regelung würde

854 Zu beachten ist aber hierbei, dass im Zuge der am 01.09.2006 in Kraft getretenen Föderalismusreform die

Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen im Bereich des Naturschutzes und der Landschaftspflege eine grundlegende Neuordnung erfahren hat. Nachdem durch diese Reform die Rahmengesetzgebungskompe-tenz abgeschafft wurde, unterfällt das Recht des Naturschutzes und der Landschaftspflege nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 29 GG zukünftig der konkurrierenden Gesetzgebung des Bundes. Nach Art. 72 Abs. 1 GG ha-ben die Länder im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch das Gesetz Gebrauch macht. Aus Art. 72 Abs. 2 GG ergibt sich zugleich, dass der Bund von dieser Kompetenz Gebrauch machen kann, oh-ne den Restriktionen der Erforderlichkeitsklausel zu unterliegen. Der mit der Kompetenzerweiterung des Bundes verbundene Kompetenzverlust der Länder erfährt aber eine Kompensation, als ihnen ein in seiner Reichweite beschränktes Abweichungsrecht eingeräumt wird. Nach Art. 72 Abs. 3 Nr. 2 GG ist es den Ländern gestattet, von dem (künftigen) Bundesnaturschutz abweichende Regelungen zu treffen, soweit es sich dabei nicht um allgemeine Grundsätze des Naturschutzes, das Recht des Artenschutzes oder des Mee-resnaturschutzes handelt. Zu erwähnen sind schließlich, dass die auf der Grundlage des Art. 75 GG a.F. er-lassenen naturschutzrechtlichen Rahmenregelungen des Bundes nach Art. 125b Abs. 1 Satz 1,2 GG fort-gelten und die sich hieraus ergebenden Befugnisse and Pflichten der Länder bestehen bleiben. Nach Art. 125b Abs. 1 Satz 3 GG können die Länder von den das Naturschutzrecht betreffenden Abweichungsbe-fugnissen erst ab dem Jahre 2010 Gebrauch machen und dies auch nur wenn und soweit der Bund seine neuen Zuständigkeiten im Bereich des Naturschutzes genutzt hat. Eingehend hiezu Fischer-Hüfte, NuR 2007, S. 78 ff.; Ipsen, NJW 2006, S. 2801 ff.; Frenz, NVwZ 2006, S. 742 ff.; Rengeling, DVBl. 2006, S. 1537 ff.; dazu auch Maurer, Staatsrecht I, § 10, Rn. 79ff.

855 Vgl. v.Münch/Kunig, GG, Art, 75, Rn. 42; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 241 ff.; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 19 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 158 ff.

856 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 15.

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beispielsweise eine Pflicht zur Durchführung einer FFH-Verträglichkeitsprüfung für Pläne

und Projekte, die nicht von einer Bundesbehörde bewilligt werden müssen, erst mit dem

Erlass der entsprechenden Landesgesetze entstehen, was den ohnehin verspäteten Umset-

zungsprozess jedoch weiter verzögern würde.857 Um einer solchen Verzögerung entgegen-

zuwirken, ordnet § 69 Abs. 1 BNatSchG an, dass abweichend von § 11 bis zur 08.05.2003

auch §§ 33 Abs. 5, § 34 und § 35 Satz 1 Nr. 2 unmittelbar gelten, soweit die Länder vor

Ablauf dieses Termins entsprechende Regelungen nicht erlassen. Diese Konzeption eines

übergangsweise unmittelbar geltenden rahmenrechtlichen Regelwerks versteht sich als

Ausdruck des gesetzgeberischen Bemühens, einerseits den verfassungsrechtlichen Kompe-

tenzrahmen nicht zu überdehnen, andererseits über der drängenden Forderung nach einer

Umsetzung des europäischen Rechts zu entsprechen.858 Diese unmittelbar geltenden Rege-

lungen des BNatSchG sind aber nach Art. 75 Abs. 2 GG a.F. zulässig und stehen damit

dem eigentlichen Charakter der Rahmengesetzgebung grundsätzlich nicht entgegen, da

sichergestellt werden soll, dass die FFH-Richtlinie im gesamten Bundesgebiet im wesentli-

chen einheitlich umgesetzt werden soll.859

III. Stand der Gebietsmeldungen, Beginn der Schutzverpflichtungen und Umgang mit

potenziellen und faktischen Schutzgebieten

1. Stand des Meldeverfahrens und die sich daraus ergebende Probleme

Der Stand der Gebietsmeldungen differiert europaweit sehr stark. Bedingt durch die verzö-

gerte rechtliche Umsetzung der FFH-Richtlinie und die häufig mit der Auswahl und Mel-

dung der Gebiete verbundenen Interessenkonflikte innerhalb der Mitgliedstaaten ist der in

der FFH-Richtlinie festgelegte Zeitplan der Gebietsmeldungen weit überschritten.860

857 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 15; Gellermann, Natura 2000, S. 140; Ber-

ner, Der Habitatschutz, S. 158 ff.; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 231. 858 Gellermann, Natura 2000, S. 140; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 16; Koch,

Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 231. 859 Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 153;

Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 19 f.; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 64; eingehend zur Einhal-tung des Gesetzgebungskompetenz des Bundes vgl. Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemein-schaftsrecht, S. 238 ff; Berner, Der Habitatschutz, S. 155 ff.

860 Die Bundesrepublik Deutschland wurde bereits im Jahre 2001 durch den EuGH aufgrund der verzögerten Gebietsmeldungen gemäß Art. 226 EGV verurteilt, EuGH, NuR 2002, S. 151; vgl. dazu Köp-pel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 304; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 17 ff.

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Auch in Deutschland ist die Umsetzung der Vorgaben der FFH-Richtlinie mit erheblichen

Verzögerungen erfolgt und wurde von zahlreichen Schwierigkeiten begleitet. Bereits am

05.09.1995 lief die Frist für die Gebietsbenennung ohne Aktivitäten des Bundesgesetzge-

bers oder der zuständigen Verwaltungsstellen ab. Obwohl das Erstellen einer Liste der

FFH-Gebieten dem Zuständigkeitsbereich der Bundesländer unterfällt, haben die Bundes-

länder dies mit der Begründung abgelehnt, dass es im Rahmen der Gebietsauswahl ohne

vorheriges Tätigwerden des Bundes hinsichtlich der Eingliederung aller wesentlichen FFH-

Vorschriften in das nationale Rechtsgefüge nicht möglich sei.861 Sie befürchteten, die fi-

nanziellen Folgen der Gebietsmeldung, die aufgrund des später erlassenen Gesetzes für sie

entstehen würde, nicht abschätzen zu können. Die Nichtumsetzung der FFH-Richtlinie bil-

dete somit unter anderem die Grundlage für die nur schleppende Auswahl und Meldung

von Gebieten.862 Erst im Laufe des Jahres 2001 ist dem Ministerium für Umwelt, Natur-

schutz und Reaktorsicherheit (BMU) gelungen, eine aus deutscher Sicht vollständige Ge-

bietsliste zu übermitteln.863 Sowohl vom Bundesamt für Naturschutz als auch von den Ex-

pertentreffen zur Bewertung der Gebietsmeldungen wurde jedoch oft Nachmeldebedarf

geäußert.864

Da viele Mitgliedstaaten mit der Umsetzung der Vorgaben der FFH-Richtlinie in Verzug

gerieten, ist der Zeitplan der FFH-Richtlinie hinsichtlich der Erstellung der Gebiete von

gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission auch überschritten. Obwohl im Juni

1998 die Kommissionsliste nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 FFH-RL bereits fertig sein sollen

hätte, existiert tatsächlich erst seit Ende 2001 eine auf die biogeographische Region Maka-

ronesien beschränkte Kommissionsliste.865 Die Kommission hat hingegen erste Listen der

Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung für die atlantische und kontinentale biogeogra-

phische Region866 im Dezember 2004867 und die Liste der alpinen Region im Dezember

861 Berner, Der Habitatschutz, S. 161; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 18 f. 862 Vgl. Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 18 f.; Niederstadt, NuR 1998, S. 517; Köppel/Peters/Wende, Eingriffs-

regelungen, S. 304 ff. 863 Eine Übersicht des aktuellen Meldestandes der FFH-Gebiete in Deutschland vom 03.05.2006 ist abrufbar

unter: http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/natura2000/meldestand_ffh.pdf 864 Vgl. Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 304; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und

Raumordnung, S. 38; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 17 f. 865 Entscheidung der Kommission vom 28. Dezember 2001 zur Verabschiedung der Liste der Gebiete von

gemeinschaftlicher Bedeutung in der biogeografischen Region Makaronesien gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates, ABl. 2002 L 5, S. 16 ff.

866 Deutschland gehört dabei überwiegend zu der atlantischen und kontinentalen Region. 867 Entscheidung der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtlinie des Rates zur Verabschie-

dung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der kontinentalen biogeografischen Re-gion, ABl. 2004 L 382, S. 1 ff.; Entscheidung der Kommission vom 7. Dezember 2004 gemäß der Richtli-

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2003 veröffentlicht.868 Die Liste für die boreale biographische Region wurde schließlich im

Januar 2005 veröffentlicht.869 Dabei ist aber zu beachten, dass diese zwischenzeitlich im

Amtsblatt der Europäischen Kommission veröffentlichten Listen noch keine abschließende

Aufzählung der in das Netz Natura 2000 integrierten Gebiete enthalten.870 Diese Listen der

Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung werden aufgrund der von den einzelnen Mit-

gliedstaaten noch zu erbringenden weiteren Gebietsvorschläge noch ergänzt werden.871

Die Ausweisung von Vogelschutzgebieten ist vom Verfahren der Meldung von FFH-

Gebieten unabhängig. Aber auch mit der Umsetzung der Vogelschutzrichtlinie geriet die

Bundesrepublik Deutschland in starkem Verzug, obwohl die Vogelschutzrichtlinie bereits

im Jahr 1979 erlassen wurde. So sind die Meldung und die Unterschutzstellung der ornitho-

logisch bedeutsamen Gebiete im Sinne des Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL ebenfalls noch nicht

abgeschlossen.872

Dass der Prozess der Gebietsmeldungen und der Ausweisung sich erheblich in die Länge

zieht birgt die Gefahr, dass die Schutzpflichten der Richtlinien unterlaufen werden. Denn

Art. 4 Abs. 5 FFH-RL schreibt vor, dass ein Gebiet, sobald es in die Gemeinschaftsliste

aufgenommen ist, den besonderen Schutzbestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL

unterliegt. Damit wird hinsichtlich der Schutzpflichten an die Aufnahme des Gebietes in

die Gemeinschaftsliste angeknüpft. Des Weiteren bestimmen Art. 4 Abs. 1 und 4 VRL,

dass sich die sich aus Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL ergebenden Schutzpflichten der Vogel-

schutzrichtlinie allein auf bereits als besonderes Vogelschutzgebiet ausgewiesene Schutz-

gebiete beziehen.873 Jedoch wird der Anwendungsbereich des Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL

auch durch die Regelung des Art. 7 FFH-RL verdrängt. Danach gilt in den nach Art. 6 Abs.

2 bis 4 FFH-RL ab dem Datum der Anwendung der FFH-Richtlinie beziehungsweise ab

nie des Rates zur Verabschiedung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der atlanti-schen biogeografischen Region, ABl. 2004 L 387, S. 1 ff.

868 Entscheidung der Kommission vom 22. Dezember 2003 zur Verabschiedung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung für die alpine biogeografische Region gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates, ABl. 2004 L 14, S. 21 ff.

869 Entscheidung der Kommission vom 13. Januar 2005 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates zur Verabschiedung der Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung in der borealen biogeografischen Region, ABl. 2005 L 40, S. 1.

870 Eine aktuelle Übersicht über die Natura 2000-Meldungen der EU-Mitgliedstaaten vom Dezember 2006 ist im Natura 2000-Barometer der Europäischen Kommission abrufbar unter: http://ec.europa.eu/environment/nature/nature_conservation/useful_info/barometer/barometer.htm

871 Vgl. Gellermann, NuR 2005, S. 433 f.; Klooth/Louis, NuR 2005, S. 439. 872 Eine Übersicht des aktuellen Meldestandes der Vogelschutzgebiete in Deutschland vom 06.06.2006 ist

abrufbar unter: http://www.bfn.de/fileadmin/MDB/documents/themen/natura2000/meldestand_spa.pdf 873 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 61 f.; Gellermann,

Natura 2000, S. 123; a.A. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 183.

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dem Datum der Ausweisung eines Vogelschutzgebietes. Diese Regelung knüpft ebenfalls

hinsichtlich des Beginns der Schutzpflichten allein bereits ab ausgewiesene Schutzgebiete

an, so dass, zumindest nach den Vorgaben der Richtlinie, der Beginn der Schutzpflichten

von der förmlichen Schutzgebietsausweisung abhängig ist.874

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob eine Möglichkeit besteht, bereits vor der

förmlichen Schutzgebietsausweisung von Vogelschutzgebieten und vor der Aufnahme ei-

nes nach der FFH-Richtlinie geeigneten Gebietes in die Gemeinschaftsliste Schutzver-

pflichtungen zu begründen. So wurden von der Rechtsprechung die Begriffe der faktischen

Vogelschutzgebiete und potenziellen FFH-Gebiete entwickelt, um so eine Möglichkeit zu

schaffen.

2. Faktische Vogelschutzgebiete

a) Allgemeines

Der Europäische Gerichtshof hat bereits im Jahr 1993 in seinem grundlegenden „Santoña

Urteil“ die Existenz und den Schutz sogenannter faktischer Vogelschutzgebiete aner-

kannt.875 Dort hat der Gerichtshof ausdrücklich festgestellt, dass die sich aus Art. 4 Abs. 4

VRL ergebenden Schutz- und Erhaltungspflichten zugunsten der Lebensräume im Sinne

des Art. 4 Abs. 1 UAbs. 4 VRL auch dann zu erfüllen seien, wenn ein Mitgliedstaat es

pflichtwidrig unterlassen habe, das entsprechende Gebiet mit dem gemeinschaftsrechtlich

gebotenen Schutzstatus zu versehen.876 Auf den insoweit entgegensprechenden Wortlaut

des Art. 4 Abs. 4 VRL, dass Erhaltungspflichten erst mit dem Akt der förmlichen Unter-

schutzstellung entstünden, sei dagegen nicht abzustellen, da die Erreichung des Schutzziels

der Richtlinie nicht möglich sei, wenn die Mitgliedstaaten die Verpflichtungen aus Art. 4

Abs. 4 VRL nur zu erfüllen hätten, wenn vorher ein Schutzgebiet ausgewiesen worden wä-

re.877 Von diesen Überlegungen betroffen sind dabei nicht sämtliche ornithologisch bedeut-

same Areale, sondern nur jene Gebiete, die wegen einer Reduzierung des mitgliedstaatli-

874 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 62; vgl. dazu Freiburg,

Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 215; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 83 f.

875 EuGHE, 1993, I- S. 4277, Rn. 22; bestätigt auch durch EuGHE, 1999, I- S. 1743, Rn. 38; EuGHE, 1999, I- S. 8563 f., Rn. 42 ff.

876 EuGHE, 1993, I- S. 4277, Rn. 22. 877 EuGHE, 1993, I- S. 4277, Rn. 22; dazu auch Gellermann, Natura 2000, S. 111.

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chen Auswahlspielraums auf null ohnehin unter Schutz gestellt werden müssen.878 Der

EuGH ist mithin der Auffassung, dass es dem „Effet utile“ zuwiderlaufe, wenn Erhaltungs-

pflichten zugunsten jener Gebiete, deren Schutzerklärung zwingend wäre, von dem Akt der

Unterschutzstellung abhängig gemacht werde.

Faktische Vogelschutzgebiete sind folglich solche Gebiete, die wegen ihrer Bedeutung für

die Erhaltung der europäischen Vogelarten als Europäische Vogelschutzgebiete vom Mit-

gliedstaat hätten ausgewiesen werden müssen, von ihm aber nicht als besonderes Schutz-

gebiet ausgewiesen wurden. Daher soll in diesen Gebieten die förmliche Unterschutzstel-

lung durch den Mitgliedstaat lediglich eine deklaratorische Funktion haben.879 Die Recht-

sprechung des EuGH zu faktischen Vogelschutzgebieten hat inzwischen sowohl bei den

deutschen Gerichten880 als auch im Schrifttum881 breite Zustimmung gefunden.

b) Rechtslage nach Inkrafttreten der FFH-Richtlinie

Im Hinblick auf das Santoña Urteil ist zu beachten, dass es aus der Zeit vor dem Inkrafttre-

ten der FFH-Richtlinie stammt, und deshalb noch nicht auf die Regelung des Art. 7 FFH-

RL Bezug nehmen konnte, vermöge derer besondere Vogelschutzgebiete seit dem für die

Anwendung der FFH-Richtlinie bestimmten Datum bzw. danach ab dem Datum ihrer Er-

klärung zum besonderen Schutzgebiet wie FFH-Gebiete nach näherer Maßgabe des Art. 6

Abs. 2 bis 4 FFH-RL zu behandeln sind. Insofern stellt sich die Frage, ob die vom EuGH

im Santoña Urteil entwickelten Grundsätze auch nach dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie

noch Geltung beanspruchen können.

Hierzu hat der VGH München die Auffassung vertreten, dass Santoña Urteil lediglich die

Rechtslage vor dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie betreffe.882 Er führte in seiner Ent-

scheidung aus, dass die Vorschriften der Vogelschutzrichtlinie durch Art. 7 FFH-RL dahin

modifiziert würde, dass die Verpflichtungen nach Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL durch die Ver- 878 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 63; Schubert, Harmoni-

sierung, S. 189; Rengeling, UPR 1999, S. 282; Gellermann, Natura 2000, S. 111; Jarass, ZUR 2000, S. 190; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 53; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 160.

879 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 53; Gellermann, Natura 2000, S. 111. 880 BVerwGE, 107, S. 18 ff.; OVG Lüneburg, NuR 2001, S. 335; OVG Münster, NWVBl 2000, S. 52 f.;

OVG Hannover, ZfBR 2001, S. 209. 881 Gellermann, Natura 2000, S. 111; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 277 f.;

Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 62 f.; Jarass, ZUR 2000, S. 189; Klooth/Louis, NuR 2005, S. 440; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 65; Schuma-cher, EurUP 2005, 260; Louis, BNatSchG, § 19, Rn. 29; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 85; Rengeling, UPR 1999, S. 282; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 127.

882 VGH München, NuR 1997, S. 47 f.

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pflichtungen nach Art. 6 Abs. 2 bis 4 ersetzt würden.883 Er gelangte in seiner durch das

BVerwG aufgehobenen Entscheidung demnach zu dem Schluss, dass besondere Schutz-

pflichten nach Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL i.V.m. Art. 7 FFH-RL nicht bestünden, wenn die

zuständige Behörde das jeweilige Gebiet nicht als besonderes Vogelschutzgebiet ausgewie-

sen habe.884 Der VGH München ist damit der Meinung, dass faktische Vogelschutzgebiete

nach Inkrafttreten der FFH-Richtlinie nicht mehr existieren könnten.

Die Entscheidung des VGH München ist dabei auf breite Kritik gestoßen. Hierzu wird ü-

berwiegend angenommen, dass die grundsätzliche Erhaltungspflicht auch nach dem In-

krafttreten der FFH-Richtlinie und der in deren Art. 7 geregelten Übertragung des Schutz-

regimes auf Europäische Vogelschutzgebiete fortbesteht.885 Es wird zu Recht darauf hin-

gewiesen, dass der VGH München in diesem Urteil verkennt, dass es sich bei der Frage

nach der Auswahl und Ausweisung der Schutzgebiete einerseits und die Frage des maßgeb-

lichen Schutzregimes andererseits, um zwei unterschiedliche, streng zu trennende Prob-

lemkreise handelt.886 Zu beachten ist, dass Art. 7 FFH-RL ausschließlich das anzuwenden-

de Schutzregime anordnet, während die Ausweisung von Vogelschutzgebieten sich davon

unberührt weiterhin nach Art. 4 Abs. 1 VRL richtet. Stellt sich die Frage, welche Schutz-

pflichten für Vogelschutzgebiete gelten sollen, die entgegen der Verpflichtung nach Art. 4

Abs. 1 VRL nicht als besondere Schutzgebiete ausgewiesen wurden, kann normativer An-

knüpfungspunkt dafür nur Art. 4 Abs. 1 VRL nicht aber Art. 7 FFH-RL sein. Die Regelung

des Art. 7 FFH-RL kann daher entgegen der Ansicht des VGH München nicht als ein Ar-

gument dafür gewertet werden, dass es nach Inkrafttreten der FFH-Richtlinie keine Vogel-

schutzgebiete mehr geben könne.887 Diese Sichtweise hat sich auch das Bundesverwal-

tungsgericht zu Eigen gemacht, der das Urteil des VGH München aufgehoben hat.888

Auch der EuGH hat in seinem „Basis Corbières Urteil“889 entschieden, dass der notwen-

dige Schutz faktischer Vogelschutzgebiete auch nach dem Inkrafttreten der FFH-Richtlinie

nicht durch Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL sondern weiterhin durch Art. 4 Abs. 4 VRL zu ge-

883 VGH München, NuR 1997, S. 48. 884 VGH München, NuR 1997, S. 48. 885 Louis, UPR 1997, S. 301 ff.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 280 f.; Schu-

bert, Harmonisierung, S. 190 ff.; Gellermann, Natura 2000, S. 112 f.; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 63 f.; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 86 ff.

886 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 281; Louis, UPR 1997, S. 301; vgl. dazu Gellermann, Natura 2000, S. 112 f.

887 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 281. 888 BVerwG, Urteil vom 19.05.1998 – 4A 9/97, BVerwGE, 107, S. 99. 889 EuGH, NuR 2001, S. 210 ff.; siehe dazu Anmerkung Maaß, ZUR 2001, S. 80 ff.

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währleisten sei. Zur Begründung führte er aus, dass Art. 7 FFH-RL die Anwendung des

Art. 2 bis 4 FFH-RL ausdrücklich nur für die ausgewiesenen Schutzgebiete anordne. Die

Gebiete, die nicht zu besonderen Schutzgebieten erklärt wurden, obwohl dies erforderlich

gewesen wäre, unterlägen damit offenkundig weiterhin der Regelung des Art. 4 Abs. 4

VRL.890

Gegen dieses Wortlautargument des EuGH wird allerdings von einigen Autoren im Schrift-

tum argumentiert, dass Art. 7 FFH-RL einen parallelen Schutzstatus der FFH- und Vogel-

schutzrichtlinie bezwecke und es daher geboten sein solle, auch faktische Vogelschutzge-

biete unter das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL fallen zu lassen.891 Zudem sei

es widersprüchlich und mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht zu vereinbaren, ausge-

wiesene Vogelschutzgebiete unter das wegen der Ausnahmebestimmungen weniger strenge

FFH-Schutzregime fallen zu lassen, während noch nicht ausgewiesene faktische Vogel-

schutzgebiete durch Art. 4 Abs. 4 Satz 1 VRL strenger geschützt würden.892

Der EuGH hält dieser Argumentation entgegen, dass ein Mitgliedstaat aus der Missachtung

seiner gemeinschaftsrechtlichen Pflichten keinen Vorteil ziehen solle. Ein solcher Vorteil

entstünde vor allem, wenn sich ein Mitgliedstaat, der unter Verstoß gegen die Vogelschutz-

richtlinie ein Gebiet nicht zum besonderen Schutzgebiet erklärt habe, auf Art. 6 Abs. 3 und

4 FFH-RL berufen könnte.893 Des Weiteren schaffe die Dualität der Regelungen für ausge-

wiesene und faktische Vogelschutzgebiete einen Anreiz für die Mitgliedstaaten, besondere

Schutzgebiete auszuweisen, wenn sie sich dadurch die Möglichkeit eröffne, sich eines Ver-

fahrens zu bedienen, das es ihnen erlaubte, aus zwingenden Gründen des überwiegenden

öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art unter be-

stimmten Voraussetzungen einen Plan oder Projekt zu beschließen, der oder das ein beson-

deres Schutzgebiet beeinträchtige.894

Nach alledem erscheint die Gegenansicht nicht überzeugend. Denn ihre Argumentation

vermag eine Überwindung des insoweit eindeutigen Wortlauts des Art. 7 FFH-RL nicht zu

890 EuGH, NuR 2001, S. 212; dazu auch Kautz, NVwZ 2007, S. 667; Schubert, Harmonisierung, S. 190;

Gellermann, NuR 1996, S. 549; Epiney, UPR 1997, S. 307. 891 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 71; Iven, NuR 1996, S. 380. 892 Iven, NuR 1996, S. 380; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 71 f.; Koch, Europäisches Habitat-

schutzrecht, S. 67, Fn. 183; Jarass, ZUR 2000, S. 190; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1697; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 7.

893 EuGH, NuR 2001, S. 212. 894 EuGH, NuR 2001, S. 213; Schubert, Harmonisierung, S. 191; Kautz, NVwZ 2007, S. 667; Stüer, DVBl.

2007, S. 418; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 92.

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rechtfertigen.895 Zudem verkennt die Gegenansicht mit seinem Hinweis auf den strengeren

Schutz faktischer Vogelschutzgebiete gegenüber ausgewiesenen besonderen Vogelschutz-

gebieten und mit seinem Argument der Unverhältnismäßigkeit, dass es im Anwendungsbe-

reich der FFH-Richtlinie eine vergleichbare Situation bei den sog. Konzertierungsgebieten

gibt.896 Gebiete, um derentwillen ein Konzertierungsverfahren nach Art. 5 Abs. 1 FFH-RL

eingeleitet wurde, unterliegen ausweislich des Art. 5 Abs. 4 FFH-RL während der Konzer-

tierungsphase einem Verschlechterungsverbot, welches eine Inanspruchnahme des in Art. 6

Abs. 4 FFH-RL genannten Ausnahmegründe verhindert. Dies soll verhindern, dass bis zur

abschließenden Entscheidung über die Aufnahme in das Gebietsnetz Natura 2000 Fakten

geschaffen und der ökologische Wert solcher Gebiete gemindert wird. Der absolute Schutz,

den der EuGH faktischen Vogelschutzgebieten zuspricht, entspricht dem normativen Inhalt

des Art. 5 Abs. 4 FFH-RL.897 Wenn bereits die FFH-Richtlinie eine derartige Dualität des

Schutzregimes vorsieht, soll kein Anlass bestehen, eine vergleichbare Dualität bei Vogel-

schutzgebieten als Argument gegen die Anwendung des strengeren Schutzregimes nach

Art. 4 Abs. 4 VRL anzuführen.898 Denn hierbei handelt es sich nicht um eine Sanktionie-

rung des pflichtwidrig handelnden Mitgliedstaates, sondern nur um einen effektiven Ge-

bietschutz.899 Auch der BVerwG hat inzwischen der Auffassung des EuGH angeschlos-

sen.900

Folglich unterfallen sämtliche faktische Vogelschutzgebiete nicht dem Schutz des Art. 6

Abs. 2 bis 4 FFH-RL, sondern unterliegen sie weiterhin dem Schutzregime des Art. 4 Abs.

4 VRL.901 Für derartige Gebiete gelten damit nicht Verschlechterungs- und Störungsverbot

des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und besondere Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL

für gebietsbeeinträchtigende Pläne und Projekte. Stattdessen gilt für sie ein Schutzstatus

mit einem umfassenden Beeinträchtigungs- und Störungsverbot sowie Belästigungsverbot

895 Schubert, Harmonisierung, S. 191; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 89 f.; Wra-

se, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 64; Gellermann, Natura 2000, S. 114.

896 Schubert, Harmonisierung, S. 191; Gellermann, Natura 2000, S. 115. 897 Schubert, Harmonisierung, S. 191. 898 Schubert, Harmonisierung, S. 192; Kautz, NVwZ 2007, S. 667; Gellermann, Natura 2000, S. 115. 899 Schubert, Harmonisierung, S. 192; Gellermann, Natura 2000, S. 115; Kirchhof, Die Implementierung der

FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 127 f. 900 BVerwG, NuR 2002, S. 154; BVerwG, DVBl. 2002, S. 990 ff.; BVerwG, BauR 2003, S. 851. 901 Im Ergebnis ebenso Kautz, NVwZ 2007, S. 667; Schubert, Harmonisierung, S. 193; Koch, Die Verträg-

lichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 92; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vo-gelschutzgebieten, S. 64; Gellermann, Natura 2000, S. 116; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 281; Klooth/Louis, NuR 2005, S. 441; Thyssen, DVBl. 1998, S. 885; Freiburg, Die Er-haltung der biologischen Vielfalt, S. 215.

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hinsichtlich erheblicher Beeinträchtigungen, der Ausnahmen nur in einem eng begrenzten

Maß zulässt.

3. Potenzielle FFH-Gebiete

a) Allgemeines

Wie bereits erwähnt wurde, erfahren Gebiete, in denen Lebensraumtypen und Habitate der

von der FFH-Richtlinie erfassten Art vorkommen, ausweislich der eindeutigen Anordnung

des Art. 4 Abs. 5 FFH-RL den Schutz des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL, sobald sie in die

Gemeinschaftsliste aufgenommen sind. Da aber den Mitgliedstaaten noch immer nicht ge-

lungen ist, eine abschließende Gemeinschaftsliste zu erstellen, ist die Beantwortung der

Frage von erheblicher praktischer Bedeutung, ob derartigen Gebieten bereits zu einem frü-

heren Zeitpunkt der Schutzstatus des Art. Abs. 2 bis 4 FFH-RL zuteil werden kann.

Vor diesem Hintergrund soll die Frage nach der Existenz von sog. potenziellen FFH-

Gebieten erörtert werden. Dieser vor allem durch die Rechtsprechungen des Bundesverwal-

tungsgerichtes902 geprägte Begriff bezeichnet Gebiete, die so behandelt werden, als seien

sie schon in die Kommissionsliste aufgenommen, obwohl diese Liste aufgrund der verspä-

teten Gebietsmeldungen durch die Mitgliedstaaten noch nicht erstellt werden konnte.903 Die

Bezeichnung „potenziell“ ist dabei darauf zurückzuführen, dass FFH-Gebiete - im Gegen-

satz zu Vogelschutzgebieten, die auf einer entsprechenden Erklärung des Mitgliedstaates

gegenüber der Kommission beruhen (deshalb wohl „faktisch“) - neben dem Tätigwerden

des Mitgliedstaates auch ein gemeinschaftsrechtliches Verfahren zu durchlaufen haben und

eines Eintrags in die Gemeinschaftsliste bedürfen.904

902 Vgl. etwa BVerwGE, 107, S. 18 ff.; BVerwGE, 110, S. 308 ff.; BVerwG, NVwZ 2001, S. 679 f.;

BVerwG, DVBl. 2002, S. 1486 ff.; BVerwG, NVwZ, 2004, S. 861ff.; BVerwG, Urteil vom 7.9.2005 – 4 B 49/05.

903 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 251 ff.; vgl. dazu Gellermann, Natura 2000, S. 121 ff.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 110 ff.; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 181 ff.; Rengeling, UPR 1999, S. 282 ff.; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 85 ff.

904 Rengeling, UPR 1999, S. 283; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 71; Berg, Europäisches Natur-schutzrecht und Raumordnung, S. 252; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 52.

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Ob und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Rechtsfolgen die Existenz derar-

tiger Gebiete anzuerkennen ist, wurde im Schrifttum und in der deutschen Rechtsprechung

bis die sog. „Dragaggi Entscheidung“905 des EuGH im Jahr 2005 uneinheitlich beurteilt.

b) Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts

Erstmals ging das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung zur Autobahn A 20

(Ostseeautobahn)906 von der rechtlichen Möglichkeit eines potenziellen FFH-Gebietes aus.

Da die Nichtanwendung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL die Zielsetzung der Richtlinie ge-

fährde, lege die Rechtsprechung des EuGH zu faktischen Vogelschutzgebieten die Annah-

me durchaus nahe, dass auch für Schutzgebiete nach der FFH-Richtlinie die Möglichkeit

eines materiellen Schutzstatus anzunehmen sei.907 Dafür solle für ein Gebiet die sachlichen

Kriterien nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL erfüllt sein, die Aufnahme in ein kohärentes ökologi-

sches Netz im Zusammenhang mit anderen, bereits unter förmlichen Schutz gestellten Ge-

bieten nahe liegen oder sich geradezu aufdrängen und der Mitgliedstaat dürfe die Richtlinie

weder umgesetzt noch eine Liste nach Art. 4 Abs. 1 UAbs. 2 FFH-RL der Kommission

zugeleitet haben.908 Als Begründung verwies das Bundesverwaltungsgericht auf das ge-

meinschaftsrechtliche Gebot der Vertragstreu, das besagt, dass ein Mitgliedstaat auch

schon vor Ablauf einer Umsetzungsfrist verpflichtet sei, die Ziele einer Richtlinie nicht zu

unterlaufen und keine vollendete Tatsachen zu schaffen, die eine Erfüllung der aus der

Richtlinie erwachsenden Pflichten unmöglich machen. Es gäbe daher eine Art „vorgezoge-

ner Verhaltens- oder Stillhaltungspflicht“, Widersprüche mit Zielsetzungen der Richtlinie

zu vermeiden.909 Diese Vorwirkung sei darauf gerichtet, dass schutzwürdige Gebiete weder

zerstört noch anderweitig beeinträchtigt werden dürften, bevor sie unter Schutz gestellt

werden. Eine Veränderungssperre bestehe dagegen nicht, denn ein Mitgliedstaat dürfe trotz

vertragswidrigen Verhalten nicht mit Folgen belastet werden, die über jene Einschränkun-

gen hinausgehen, welche die Richtlinie im Falle ordnungsgemäßer Umsetzung selbst vor-

sehe.910

905 EuGH, Urteil vom 13.01.2005, NuR 2005, S. 242 f. 906 BVerwG, Urteil vom 19.05.1998, BVerwGE, 107, S. 1 ff., ausgehend zu diesem Urteil siehe Zeichner,

NVwZ 1999, S. 32 ff. 907 BVerwGE, 107, S. 21. 908 BVerwGE, 107, S. 21 f. 909 BVerwGE, 107, S. 22. 910 BVerwGE, 107, S. 22.

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In seinem Urteil zur B 1 (Ortsumgehung Hildesheim)911 hat das Bundesverwaltungsgericht

dagegen Voraussetzungen für ein potenzielles FFH-Gebiet enger formuliert, wo es darauf

hingewiesen hat, dass ein Gebiet, der die sachlichen Kriterien des Art. 4 Abs. 1 FFH-RL

erfülle und sich dessen Meldung für die Aufnahme in ein kohärentes Netz aufdränge, sei

als potenzielles FFH-Gebiet einzustufen, so dass in diesem Gebiet ein Infrastrukturprojekt

nur unter den in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH.RL bezeichneten Voraussetzungen zu zulassen

sei.912

Auch in einem späteren Urteil zum Naturschutzgebiet Monbijou913 hat das Gericht die Kri-

terien eng gesehen. Dort hat es ausgeführt, dass den Mitgliedstaaten auch bei Vorhanden-

sein prioritärer Lebensraumtypen und Arten ein Beurteilungsspielraum zukomme, so dass

es eine Einzelfallentscheidung sei, ob sich eine Meldung aufdränge oder zwingend sei.914

Das Bundesverwaltungsgericht hat auch im Urteil zur Autobahn A 71 (Pfersdorf-

Münnerstadt)915 ein potenzielles Schutzgebiet ebenfalls nur dann angenommen, wenn sich

die Meldung des Gebietes nach den fachlichen Kriterien des Anhangs III Phase 1 der FFH-

Richtlinie aufdränge.916 In einer Kehrtwendung zur früheren Rechtsprechung führte das

Gericht jedoch aus, dass das Schutzregime eines potenziellen FFH-Gebietes noch nicht

dem des Art. 6 FFH-RL entspreche.917 Die gemeinschaftsrechtliche Vorwirkung verhindere

lediglich, dass Gebiete, deren Schutzwürdigkeit nach der FFH-Richtlinie auf der Hand lie-

ge, zerstört oder anderweitig so nachhaltig beeinträchtigt werden, dass sie für eine Meldung

nicht mehr in Betracht kommen.918

Von besonderer Bedeutung ist zudem die Entscheidung zur A 44 (Hessisch Lichtenau),919

wo das Gericht von einer differenzierten Betrachtung ausging. Dränge es nach der Ge-

bietsmeldung auf, dass ein potenzielles Schutzgebiet in die Gemeinschaftsliste aufgenom-

men würde, seien Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL anwendbar. Könne dagegen die Aufnahme

in die Gemeinschaftsliste nicht hinreichend prognostiziert werden, habe es mit dem Verbot

sein Bewenden, das Gebiet so nachhaltig zu beeinträchtigen, dass es für eine Meldung und

911 BVerwG, Urteil vom 27.01.2000, BVerwGE, 110, S. 302 ff. 912 BVerwGE, 110, S. 308 f. 913 BVerwG, Urteil vom 24.8.2000, DVBl. 2001, S. 375 ff. 914 BVerwG, DVBl. 2001, S. 376 f. 915 BVerwG, Urteil vom 27.10. 2000, BVerwGE, 112, S. 140 ff. 916 BVerwGE, 112, S. 156. 917 BVerwGE, 112, S. 156. 918 BVerwGE, 112, S. 156 f. 919 BVerwG, Urteil vom 17.5.2002, DVBl. 2002, S. 1486 ff.

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Aufnahme in die Gemeinschaftsliste nicht mehr in Betracht komme.920 Vor der Gebiets-

meldung sei Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL dabei dann anwendbar, wenn das Gebiet prioritä-

re Bestendteile beinhalte und nach den im Anhang III Phase 1 der FFH-Richtlinie genann-

ten Kriterien gemeldet hätte werden müssen. Daneben müssten die Kriterien des Art. 4

Abs. 1 FFH-RL erfüllt sein und sich die Aufnahme des Gebietes in das Netz Natura 2000

aufdrängen. Ansonsten gelte nur das Beeinträchtigungsverbot, dessen Wirkungen das Ge-

richt im Urteil zur Autobahn A 71 näher beschrieben habe.921

c) Meinungsstand in der Literatur

Auch in der Literatur wird die Frage nach der Existenz von potenziellen FFH-Gebieten seit

dem Bestehen der Verzögerungen bei der Umsetzung der FFH-Richtlinie viel diskutiert.

Die Meinungen gehen dabei auseinander und reichen von der Akzeptanz von derartigen

Gebieten bis zu deren Ablehnung.

(1) Im Schrifttum wird überwiegend davon ausgegangen, dass es keine potenziellen FFH-

Gebiete geben könne. Hingewiesen wird insbesondere darauf, dass kein Gebiet gegen den

Willen eines Mitgliedstaates Teil des Netzes Natura 2000 werden könne.922 Selbst wenn im

Streitfall ein Konzertierungsgebiet nach Art. 5 FFH-RL eingeleitet werde, könne der be-

troffene Mitgliedstaat die endgültige Aufnahme eines Gebietes in das Netz Natura 2000

verhindern, denn in Art. 5 Abs. 3 FFH-RL ist ein Einstimmigkeitsprinzip vorgesehen.923

Die Anerkennung eines potenziellen FFH-Gebietes führe zu einem Widerspruch, denn

wenn ein mögliches FFH-Gebiet nicht gegen den Willen des Mitgliedstaates in die Ge-

meinschaftsliste aufgenommen werden könne, dann könne es auch nicht angehen, dass ein

solches Gebiet bereits vor der Erstellung der Gemeinschaftsliste dem Schutz der FFH-

Richtlinie unterliegen solle.924 Dies werde auch durch das Subsidiaritätsprinzip des Art. 4

920 BVerwG, DVBl. 2002, S. 1487; ebenso BVerwG, Urteil vom 22.1.2004, NVwZ, 2004, S. 864. 921 BVerwG, DVBl. 2002, S. 1488. 922 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 54 f.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S.

110 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 151; Stüber, NuR 1998, S. 534; Koch, NuR 2000, S. 377; Thyssen, DVBl. 1998, S. 886; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454; Iven, NuR 1996, S. 380; Schink, UPR 1999, S. 422; Durner, NuR 2001, S. 608.

923 Rengeling, UPR 1999, S. 283; Schink, UPR 1999, S. 422; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 111; Gellermann, Natura 2000, S. 123.

924 Biester, Der Rechtsschutz des Einzelnen bei der Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 46; Berner, Der Habitatschutz, S. 150; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 115; Stüber, NuR 1998, S. 533.

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Abs. 5 EGV bestätigt, nach dem die Letztentscheidungskompetenz über die Aufnahme ei-

nes Gebietes in das Netz Natura 2000 den Mitgliedstaaten zukommen solle.925

Gegen die Annahme von potenziellen FFH-Gebieten wird auch ausgeführt, dass die Vor-

aussetzungen für eine unmittelbare Richtlinienanwendung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL

vor der Aufnahme eines Gebietes in die Gemeinschaftsliste nicht vorlägen.926 Problema-

tisch sei insbesondere das Erfordernis der Unbedingtheit. Die Anwendbarkeit des Art. 6

Abs. 2 bis 4 FFH-RL unterliege nach Art. 4 Abs. 5 FFH-RL der Bedingung, dass das be-

troffene Gebiet durch die Kommission in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Be-

deutung aufgenommen worden sei.927 Da es vor der Aufnahme eines Gebietes in die Ge-

meinschaftsliste an dem Erfordernis der Unbedingtheit fehle, müsse eine unmittelbare Wir-

kung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL nicht in Betracht kommen und damit die Möglichkeit

eines potenziellen FFH-Gebietes ausscheiden. Auch das vom Bundesverwaltungsgericht

herangezogene Gebot der Vertragstreu sei in diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen,

denn die eindeutige Anordnung des Art. 4 Abs. 5 FFH-RL könne nicht einfach mit der An-

nahme einer Vorwirkung der Richtlinie oder einer Stillhaltepflicht der Mitgliedstaaten un-

terlaufen werden.928

Ferner bleibe es fraglich, wie eine Verträglichkeitsprüfung bei einem potenziellen FFH-

Gebiet zu erfolgen sei. Da die Erhaltungsziele eines Schutzgebietes erst mit dessen Unter-

schutzstellung mittels einer Satzung oder einer Verordnung festgelegt würden, seien bei

potenziellen FFH-Gebieten diese noch gar nicht festgelegt. Somit verfehle der Bezugs-

punkt der Verträglichkeitsprüfung.929

(2) Von anderen Teilen des Schrifttums wird angenommen, dass die Existenz potenzieller

FFH-Gebiete grundsätzlich anzuerkennen sei.930 Dies sei erforderlich, um zu gewährleis-

925 Rengeling, UPR 1999, S. 283; Stüber, NuR 1998, S. 533; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 55; Friedrichsen,

Umweltbelastende Vorhaben, S. 184 f.; Schink, UPR 1999, S. 422. 926 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 66; Biester, Der

Rechtsschutz des Einzelnen bei der Umsetzung der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 46 ff. 927 Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 77; Epiney, UPR 1997, S. 307; Wrase, Rechtsschutz gegen die

Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 66. 928 Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 77 f.; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und

Vogelschutzgebieten, S. 66. 929 Zeichner, NVwZ 1999, S. 34; Biester, Der Rechtsschutz des Einzelnen bei der Umsetzung der Flora-

Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 52; Rengeling, UPR 1999, S. 283; Schink, UPR 1999, S. 422; Koch, NuR 2000, S. 377.

930 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 211; Wirths, Naturschutz durch europäisches Ge-meinschaftsrecht, S. 135; Niederstadt, NuR 1998, S. 521; Schrödter, NuR 2001, S. 19; Louis, BNatSchG, § 19b, Rn. 30 f.; Polenz-v.Hahn, VBlBW 1998, S. 212; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1698; Kadelbach, Der Einfluss des Europarechts auf das deutsche Planungsrecht, S. 908; Fisahn/Cremer, NuR 1997, S. 269; Friedrichsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 195.

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ten, dass das Ziel der Richtlinie nicht durch die Mitgliedstaaten, die die verfahrensrechtli-

chen Anforderungen nicht erfüllen, untergraben werde. Die Anerkennung von potenziellen

FFH-Gebieten liefe auch nicht der Regelung des Art. 5 FFH-RL zuwider, denn das Konzer-

tierungsverfahren sei nicht für den Fall vorgesehen, dass sich ein Mitgliedstaat komplett

weigere, eine nationale Vorschlagsliste zu übermitteln.931

Auch die Frage, welche konkrete Voraussetzungen ein Gebiet erfüllen muss, um als poten-

zielles FFH-Gebiet eingestuft werden, wird unterschiedlich beantwortet. So wird von eini-

gen Autoren die Ansicht vertreten, dass solche gemeldeten Gebiete als potenzielle FFH-

Gebiete anzuerkennen und dem Schutzstatus des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL zu unterstel-

len seien, die bereits in eine nationale Vorschlagsliste angenommen und nach Brüssel ge-

meldet worden seien.932 Andere stellen maßgeblich auf die Schutzwürdigkeit des betroffe-

nen Gebietes. So wird in diese Richtung angenommen, dass ein potenzielles FFH-Gebiet

dann anzunehmen sei, wenn eine Abwägung im Einzelfall unter besonderer Berücksichti-

gung der Bedeutung des betroffenen Gebietes für das europäische Netz Natura 2000 dies

nahe lege. Dies sei insbesondere der Fall, wenn sich im Hinblick ein bestimmtes Gebiet der

Beurteilungsspielraum des Mitgliedstaates und der Kommission bei der Erstellung der Lis-

ten auf Null reduziere.933 Strengere Anforderungen stellen dabei diejenigen, die ein Gebiet

nur dann als potenzielles FFH-Gebiet qualifizieren, wenn es prioritäre Gebietsbestendteile

enthält. Demnach stehe bei der Auswahl und Meldung von Gebieten, die prioritäre Be-

standteile enthielten, den Mitgliedstaaten keinen Beurteilungsspielraum zu und würden

diese Gebiete somit automatisch als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung betrachtet,

so dass diese Gebiete in der Regel nicht potenzielle FFH-Gebiete aufzufassen seien.934

Eine Ausnahme werde nur dann zu machen sein, wenn sich im Einzelfall eine Reduzierung

des Beurteilungsspielraums auf null ergebe, das Gebiet also so hochwertig sei, dass seine

Aufnahme in die Gemeinschaftsliste anhand der Kriterien des Anhangs III Phase 12 Nr. 2

der FFH-Richtlinie zwingend erforderlich sei.935 Des Weiteren wird vertreten, dass poten-

zielle FFH-Gebiete nur bezüglich solcher Gebiete anzuerkennen seien, die prioritäre Be-

931 Louis, BNatSchG, § 19b, Rn. 30; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 261; Fried-

richsen, Umweltbelastende Vorhaben, S. 190; Kirchhof, NuR 2001, S. 667. 932 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 72 f.; Iven, UPR 1998, S. 363; Niederstadt, NuR 1998, S. 522;

Schink, GewArch 1998, S. 48. 933 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 211; Wirths, Naturschutz durch europäisches Ge-

meinschaftsrecht, S. 136 f.; Schliepkorte, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 1a, Rn. 162. 934 Rengeling, UPR 1999, S. 285; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 174;

Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 109. 935 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 109; ähnlich Gellermann, Natura 2000, S. 124.

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standteile, die zwingend in die Gemeinschaftsliste aufgenommen werden müssten, enthiel-

ten und von den Mitgliedstaaten nach Brüssel gemeldet worden seien. Denn es erscheine in

diesen Fällen als reiner Formalismus, die regelmäßig zwingend zu erfolgende Aufnahme in

die Gemeinschaftsliste abzuwarten.936

d) Das Dragaggi Urteil des EuGH

Der EuGH hat erstmals in seinem „Dragaggi Urteil“937 die Möglichkeit eines potenziellen

FFH-Gebietes anerkannt. Dabei ging es um ein von Italien an die Kommission gemeldetes

aber noch keine Aufnahme in die Gemeinschaftsliste gefundenes Gebiet, welches prioritäre

Bestandteile beherbergt.

Der Gerichtshof stellt in diesem Urteil zunächst fest, dass die Regelung des Art. 6 Abs. 2

bis 4 FFH-RL nur auf Gebiete angewendet werden könne, die die Kommission in die Liste

der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aufgenommen habe. Dies setze eine Veröf-

fentlichung der Liste voraus, die zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt

noch nicht erfolgt sei.938 Anschließend widmet sich der EuGH der Frage, ob für Gebiete

mit prioritären Arten oder Lebensraumtypen die Regelung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL

anzuwenden ist. Der Gerichtshof führt hierbei aus, dass Art. 4 Abs. 5 FFH-RL die Anwen-

dung der Bestimmungen über den Schutz der FFH-Gebiete nach Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-

RL ausdrücklich von der Aufnahme in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Be-

deutung abhängig mache. Diese verbiete eine frühere Anwendung der Regelung. Dieses

Argument erscheine hinreichend, um das Schutzregime des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL für

solche Gebiete auszuschließen. Der EuGH lehnt damit insbesondere unter Hinweis auf den

eindeutigen Wortlaut des Art. 4 Abs. 5 FFH-RL eine unmittelbare Anwendung des Art. 6

Abs. 2 bis 4 FFH-RL für die zwar gemeldeten aber noch nicht in die Kommissionsliste

aufgenommenen Gebiete ab. Er argumentiert aber weiter, dass sich aus Anhang III Phase 2

Nr. 1 FFH-RL keine Verpflichtung der Kommission ergebe, vorgeschlagene Gebiete mit

prioritären Elementen in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung zu über-

936 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 67; Berg, Europäisches

Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 262 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 124; Erbguth, NuR 2000, S. 136.

937 EuGH, Urteil vom 13.01.2005 – Rs. C-117/03, ZUR 2005, S. 194 ff., NuR 242 f.; zu diesem Urteil vgl. auch Schütz, UPR 2005, S. 139 ff.; Füßer, ZUR, 2005, S. 464 f.; ders., NVwZ 2005, S. 629 ff.; Kerkmann, EurUP 2005, S. 279 ff.; Gellermann, NuR 2005, S. 434 ff.; Klooth/Louis, NuR 2005, S. 194 ff.; Sobotta, ZUR 2006, S. 355 f.

938 EuGH, NuR 2005, S. 242.

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nehmen. Er begründet dies mit der Überlegung, dass die Kommission nicht gezwungen

sein könne, Gebiete aufzunehmen, in denen in Wirklichkeit keine prioritären Lebensraum-

typen und Arten vorhanden seien.939 Damit hat der EuGH der These eine deutliche Absage

erteilt, die davon ausgeht, dass Gebiete mit prioritären Bestandteilen den Schutzstatus des

Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL automatisch, d.h. ohne eine Aufnahme in die Kommissionsliste

genössen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH sind aber Gebiete, die als FFH-Gebiete in Betracht

kommen, aber noch nicht in die Gemeinschaftsliste aufgenommen sind, nicht schutzlos.

Vielmehr muss der Mitgliedstaat diesen Gebieten, von dem Moment an, in dem er sie nach

Art. 4 Abs. 1 FFH-RL meldet, einen angemessenen Schutz zuteil werden zu lassen. Ohne

einen angemessenen Schutz ab diesem Zeitpunkt könne die Verwirklichung der in der 6.

Begründungserwägung und in Art. 3 Abs. 1 FFH-RL genannte Ziele gefährdet sein. Dies

gelte insbesondere, wenn prioritäre Lebensraumtypen und Arten betroffen wären, die we-

gen der Bedrohungen, denen sie ausgesetzt seien, von einer zügigen Durchführung von

Maßnahmen zu ihrer Erhaltung profitieren sollten, wie es in der 5. Begründungserwägung

der FFH-Richtlinie empfohlen werde.940

Aus diesen Überlegungen des EuGH geht daher hervor, dass die Mitgliedstaaten verpflich-

tet sind, in Bezug auf Gebiete, die sie der Kommission gemeldet haben, insbesondere auf

Gebiete, die prioritäre Bestandteile beherbergen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen, die im

Hinblick auf das mit der FFH-Richtlinie verfolgte Erhaltungsziel geeignet sind, die erhebli-

che ökologische Bedeutung, die diesen Gebieten auf nationaler Ebene zukommt, zu wah-

ren.941 Offensichtlich ist dabei, dass die innere Nähe dieser Verpflichtung mit der vom

Bundesverwaltungsgericht postulierten Stillhalteverpflichtung942 vergleichbar ist, die unter-

sagt, dass diese Gebiete derart nachhältig beeinträchtigt werden, dass sie für eine Meldung

und Aufnahme in die Kommissionsliste nicht mehr in Betracht kommen.943 Die Rechtspre-

chung des Bundesverwaltungsgerichts wird dagegen jedenfalls insofern die Grundlage ent-

zogen, als für eine differenzierte Betrachtung von Gebieten mit oder ohne prioritären Arten

und Lebensraumtypen kein Raum ist.944 Das vom EuGH für potenzielle FFH-Gebiete vor-

939 EuGH, NuR 2005, S. 243; vgl. dazu EuGH, EuZW 2007, S. 62, Rn. 36 f. 940 EuGH, NuR 2005, S. 243. 941 Schütz, UPR 2005, S. 140. 942 BVerwG, UPR 1998, S. 384; BVerwG, UPR 2001, S. 144. 943 Schütz, UPR 2005, S. 140; vgl. dazu Füßer, ZUR, 2005, S. 464; Jarass, NuR 2007, S. 372; Erb-

guth/Schubert, NuR 2006, S. 594; Kerkmann, EurUP 2005, S. 280 f. 944 Füßer, NVwZ 2005, S. 630; Schütz, UPR 2005, S. 140.

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gesehenes Schutzregime bleibt insoweit hinter den Schlussanträgen von Generalanwältin

Kokott zurück, die den Schutzstatus des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL vorwirkend angewen-

det wissen wollte.945 Durch dieses Urteil steht aber jedenfalls fest, dass die Mitgliedstaaten

verpflichtet sind, diesen Gebieten einen angemessenen Schutz zu gewähren.946 Was als

angemessener Schutz anzusehen ist, kann nur im Konkreten Einzelfall anhand der Wertig-

keit der betroffenen Schutzgüter und der Intensität des Eingriffs bestimmt werden. Dabei

müssen die Anforderungen an einem angemessenen Schutz im Falle von Gebieten mit prio-

ritären Elementen regelmäßig höher liegen, als dies bei Gebieten ohne prioritäre Bestand-

teile der Fall ist. So hat der EuGH zur Konkretisierung eines angemessenen Schutzes zu

Recht darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten keine Eingriffe zulassen dürfen, die die

ökologischen Merkmale eines gemeldeten Gebietes ernsthaft beeinträchtigen könnten. Dies

gelte insbesondere dann, wenn ein Eingriff die Fläche des Gebietes wesentlich verringern

oder zum Verschwinden von in dem Gebiet vorkommenden prioritären Arten führen oder

die Zerstörung des Gebietes oder seiner repräsentativen Merkmale zur Folge haben könn-

te.947 Aus den Ausführungen des EuGH ergibt sich dabei weder eine Veränderungssperre

noch ein derart weitreichendes Verschlechterungsverbot, wie es bei faktischen Vogel-

schutzgebieten gilt.948

Zwar hat der EuGH in diesem Urteil eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zu einem an-

gemessenen Schutz nur für Gebiete postuliert, die die Mitgliedstaaten der Kommission ge-

mäß Art. 4 Abs. 1 FFH-RL gemeldet haben. Man wird aber freilich annehmen dürfen, dass

eine entsprechende Verpflichtung auch für Gebiete gilt, die von den Mitgliedstaaten zwar

nicht gemeldet wurden, deren Meldung sich aber im Sinne der Rechtsprechung des Bun-

desverwaltungsgerichts aufdrängt. Denn die Mitgliedstaaten hätten sonst in der Hand,

durch schlichte Nichtmeldung eines Gebietes die Verwirklichung des Schutzzweckes der

FFH-Richtlinie zu vereiteln.949

945 Vgl. Schlussanträge von Generalanwältin Kokott, Rs. C-117/03, vom 8.7.2004, NuR 2004, S. 587; dazu

auch Wagner/Emmer, NVwZ 2006, S. 424; Kautz, NVwZ 2007, S. 668. 946 EuGH, NuR 2005, S. 243; dazu auch EuGH, EuZW 2007, S. 62, Rn. 36. 947 EuGH, EuZW 2007, S. 62, Rn. 46; Schütz, UPR 2005, S. 140 f.; Kautz, NVwZ 2007, S. 667; Wag-

ner/Emmer, NVwZ 2006, S. 424; dazu auch Jarass, NuR 2007, S. 372. 948 Füßer, ZUR, 2005, S. 464 f.; Jarass, NuR 2007, S. 372; Kautz, NVwZ 2007, S. 669; Wagner/Emmer,

NVwZ 2006, S. 424; Schäfer, EuZW 2007, S. 64; Hönig, NuR 2007, S. 251; Kerkmann, EurUP 2005, S. 280 f.; a. A. Gellermann, ZUR 2005, S. 584 f., der aus den Ausführungen des EuGH im Dragaggi-Urteil ein Verschlechterungsverbot dahingehend ableitet, dass bis zur Entscheidung der Kommission über die die Aufnahme des Gebietes in die Gemeinschaftsliste jedwede Verschlechterungen der natürlichen Lebens-räume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für welche die Gebiete ausgewiesen worden seien, ohne die Möglichkeit einer Ausnahmeentscheidung nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zu vermieden seien.

949 Schütz, UPR 2005, S. 141; vgl. dazu Gellermann, NuR 2005, S. 436.

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Zusammenfassend ist festzustellen, dass nach dem Dragaggi Urteil des EuGH die von den

Mitgliedstaaten gemeldete aber noch nicht in die Gemeinschaftsliste aufgenommene Ge-

biete erst nach ihrer Aufnahme in die Gemeinschaftsliste den Schutz des Art. 6 Abs. 2 bis 4

FFH-RL erfahren, auch wenn sie über prioritäre Bestandteile verfügen. Für lediglich ge-

meldete Gebiete hat der EuGH stattdessen nur eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten an-

genommen, „angemessene Maßnahmen“ sowie „geeignete Schutzmaßnahmen“ zur Wah-

rung ihrer ökologischen Bedeutung zu ergreifen.950 Auf der Grundlage der gemeinschafts-

rechtlichen Vorwirkung von Richtlinien nach den Vorgaben des Art. 10 EGV soll es damit

geboten sein, dass die Errichtung des kohärenten Netzwerkes Natura 2000 nicht dadurch

unterlaufen werden darf, dass die betroffenen Flächen in ihrer naturschutzfachlichen Be-

deutung im Vorfeld massiv verschlechtert werden.951 Die Anwendung eines strikten Ver-

schlechterungsverbots soll hingegen ausscheiden. Dieser Schutzstatus soll dabei aufgrund

der Schutzzwecke der Richtlinie auch für Gebiete gelten, die noch nicht gemeldet wurden,

aber nach Art. 4 UAbs. 1 FFH-RL gemeldet werden müssen hätten.

Auch das Bundesverwaltungsgericht hat sich mittlerweile in seiner aktuellen Entschei-

dung952 der Auffassung des EuGH angeschlossen, in welcher es um den gemeinschafts-

rechtlich gebotenen Schutz für ein gemeldetes, aber noch nicht in die Gemeinschaftsliste

aufgenommenes FFH-Gebiet ging. Im Rahmen der Entscheidungsgründe legt sich, ähnlich

wie der EuGH, auch das Bundesverwaltungsgericht nicht fest, welche Anforderungen an

einem angemessenen Schutz im Einzelnen zu stellen sind. Vielmehr weist er darauf hin,

dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung des Ge-

bietes zu wahren. Das Gericht lehnt zudem ausdrücklich eine Anwendung eines derart

weitreichenden Verschlechterungsverbots ab, dass bis zur Entscheidung der Kommission

über die Aufnahme des Gebietes in die Gemeinschaftsliste jedwede Verschlechterungen

und Störungen, ohne die Möglichkeit einer Ausnahmeentscheidung zu vermeiden.953 Das

Gericht sieht damit keinen Grund, ein gemeldetes FFH-Gebiet stärker vor, als nach der

Aufnahme in die Kommissionsliste zu schützen.954

950 Kerkmann, EurUP 2005, S. 279. 951 Kerkmann, EurUP 2005, S. 281; Schäfer, EuZW 2007, S. 64; Wagner/Emmer, NVwZ 2006, S. 424; vgl.

Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 594 f.; Schütz, UPR 2005, S. 140 f. 952 BVerwG, Beschluss vom 07.09.2005 – 4 B 49 05. 953 A.a. Gellermann, NuR 2005, S. 436; Nebelsieck, NordÖR 2005, S. 237, die für solche Gebiete einen

derartigen strengen Schutzstatus fordern. 954 Vgl. Kerkmann, EurUP 2005, S. 281; Kautz, NVwZ 2007, S. 668 f.

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e) Zwischenergebnis: Schutzverpflichtungen bei potenziellen FFH-Gebieten

Bei der Beantwortung der Frage, welche Schutzverpflichtungen bei tatsächlichen und po-

tenziellen FFH-Gebieten gelten, sind verschiedene Konstellationen in Betracht zu ziehen.

Denkbar ist zunächst der Regelfall, dass die Gebietsmeldungen und die Erstellung der

Kommissionsliste innerhalb der von der FFH-Richtlinie vorgesehenen Fristen rechtzeitig

erfolgt sind. Gemäß Art. 4 Abs. 5 FHH-RL unterliegt ein Gebiet den besonderen Schutzbe-

stimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL, sobald es in die Gemeinschaftsliste aufge-

nommen ist. Aufgrund des klaren Wortlauts der Vorschrift scheidet eine Anwendung des

Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL im Zeitraum vor Erstellung der Kommissionsliste des Art. 4

Abs. 2 UAbs. 3 FFH-RL aus. Hier kann nur aus dem Vertragstreuargument des Art. 10

EGV ein gewisser vorwirkender Schutz für die künftigen Schutzgebiete gefolgert werden,

wie etwa, dass die Mitgliedstaaten nicht widersprüchlicher Weise einerseits ein Gebiet auf

nationale Vorschlagsliste setzen, dann aber eine Gebietsverschlechterung zulassen, die das

Gebiet für die Aufnahme in die Kommissionsliste völlig untauglich werden lässt.955

Zudem kommt der Verspätungsfall in Betracht, in welchem die rechtliche Beurteilung der

Situation sich ändert. Bereits wurde erläutert, dass es den Mitgliedstaaten nicht gelingen

konnte, alle notwendigen Gebiete bis zum Juni 1998 an die Kommission zu melden. Durch

dieses zögerliche Meldeverfahren ist der Zeitplan der FFH-Richtlinie längst überschritten.

Obwohl bereits im Juni 1998 die Kommissionsliste erstellt sein und damit europaweit die

Regelung des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL Anwendung finden sollen hätte, existieren bisher

nur einige sich auf bestimmte Regionen beschränkte Listen, die aus gemeinschaftlicher

Sicht nicht als vollständig anzusehen sind. Bei der Beantwortung der Frage nach dem

Schutzstatus schutzwürdiger Gebiete nach dem Juni 1998 sind dabei mehrere Verspätungs-

szenarien zu unterscheiden.

Zum einen der Fall, dass Gebiete gemeldet wurden und bereits in der Kommissionsliste

aufgeführt werden, es allerdings an einer rechtzeitigen und richtigen bzw. vollständigen

Umsetzung von Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL in nationales Recht fehlt.956 Da hier die Vor-

aussetzungen für eine unmittelbare Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL gege-

ben sind, ist von einer unmittelbaren Anwendung auszugehen. Erste Voraussetzung für

eine unmittelbare Anwendung einer Richtlinienbestimmung ist, dass die Umsetzungsfrist 955 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 102; Berner, Der Habitatschutz, S. 84; Hala-

ma, NVwZ 2001, S. 508. 956 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 103.

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abgelaufen ist957, ohne dass die Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt wurde. Die unmittel-

bare Anwendung einer Richtlinienbestimmung erfordert weiterhin, dass die Bestimmung

hinreichend bestimmt und inhaltlich unbedingt ist. Insbesondere ist eine inhaltliche Unbe-

dingtheit der Regelung hier der Fall, denn durch die Festlegung der Gebiete in der Kom-

missionsliste sind notwendigen Handlungspflichten von Kommission und Mitgliedstaaten

abgeschlossen und erfüllt.

Zum anderen ist der Fall denkbar, dass schutzwürdige Gebiete von dem betroffenen Mit-

gliedstaat nach Brüssel gemeldet worden sind, aber noch keine Aufnahme in die Liste der

Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung gefunden haben. Zu beachten ist, dass hierbei

die Voraussetzungen für eine unmittelbare Anwendung der Schutzbestimmungen des Art. 6

Abs. 2 bis 4 FFH-RL nicht vorliegen. Insbesondere bereitet das Erfordernis der Unbedingt-

heit Probleme. Unbedingt ist eine Richtlinienbestimmung nämlich nur, soweit keine weite-

ren konstitutiven Handlungen oder Vollzugsakte eines Gemeinschaftsorgans oder Mitglied-

staates erforderlich sind.958 Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL unterliegt

nach Art. 4 Abs. 5 FFH-RL jedoch der Bedingung, dass das betroffene Gebiet durch die

Europäische Kommission in die Liste von Gebieten gemeinschaftlicher Bedeutung aufge-

nommen wurde. Ist demnach eine weitere Maßnahme eines europäischen Organs erforder-

lich, so erfüllt Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL nicht die Voraussetzung, die für eine unmittelba-

re Anwendung vorliegen müssen.959 Statt einer unmittelbaren Anwendung des Schutzre-

gimes des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL genießen diese Gebiete den im Dragaggi Urteil vor-

gesehenen Schutzstatus. Demnach sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, von dem Moment

an, in dem das Gebiet von ihnen nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL gemeldet wurde, dem Gebiet

einen angemessenen Schutz zuteil werden zu lassen. Sie müssen diesbezüglich alle

Schutzmaßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf das mit der FFH-Richtlinie verfolgte Er-

haltungsziel geeignet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung, die auf diesen Gebieten

auf nationaler Ebene zukommt, zu wahren.960 Erfasst sind von dieser Verpflichtung dem-

entsprechend die vollständige oder teilweise Zerstörung der im Gebiet vorkommenden Le- 957 Die den Mitgliedstaaten nach Art 23 Abs. 1 FFH-RL gesetzte Zweijahresfrist zur Umsetzung der FFH-

Richtlinie ist bereits am 05.06.1994 abgelaufen. 958 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 66; Jarass, Grundfra-

gen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 74 ff.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 75 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 307 f.

959 Vgl. VGH Kassel, NVwZ 2006, S. 230; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 76; Wagner/Emmer, NVwZ 2006, S. 422; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogel-schutzgebieten, S. 66; Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 595; Schumacher, EurUP 2005, 264; Erb-guth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 454; Schmitz, ZUR 1996, S. 14.

960 Schütz, UPR 2005, S. 140; Erbguth/Schubert, NuR 2006, S. 594 f.; Kerkmann, EurUP 2005, S. 281.

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bensraumtypen und Habitate sowie die flächenmäßige Verkleinerung des Gebietes. Die

Anwendung eines strikten Verschlechterungsverbots, wie es bei faktischen Vogelschutzge-

bieten der Fall ist, scheidet hingegen aus. Zu beachten ist dabei, dass dieser Schutzstatus

für alle gemeldete aber noch nicht in die Kommissionsliste aufgenommenen Gebieten gilt,

unabhängig davon, ob sie über prioritäre Bestandteile verfügen oder nicht.

Schließlich bleibt noch die Frage zu beantworten, wie mit sonstigen schützwürdigen Gebie-

ten, die ab dem Juni 1998 pflichtwidrig nicht gemeldet sind, umzugehen ist. Diese sind

nämlich jene Gebiete, die nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL hätten gemeldet werden müssen,

aber nicht gemeldet wurden. Der im Dragaggi Urteil vom EuGH postulierte Schutzstatus

dürfte aufgrund der Richtlinienzielrichtung auch für solche Gebiete anwendbar sein, denn

die Mitgliedstaaten hätten sonst in der Hand, durch schlichte Nichtmeldung eines Gebietes

die Realisierung des Schutzzweckes der Richtlinie zu vereiteln.961

C. Die Umsetzung des Verschlechterungs- und Störungsverbots

I. Allgemeines

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bestimmt, dass die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen fest-

legen, um in den besonderen Schutzgebieten die Verschlechterung der natürlichen Lebens-

räume und der Habitate der Arten sowie Störungen von Arten, für die die Gebiete ausge-

wiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich auf die Ziele der Richtli-

nie erheblich auswirken können. Das sich aus dieser Richtlinienvorschrift ergebende

Verschlechterungs- und Störungsverbot ist durch § 33 Abs. 5 BNatSchG in nationales

Recht umgesetzt worden. Diese Vorschrift, die gemäß § 69 Abs. 1 BNatSchG bis zum Er-

lass entsprechender landesrechtlicher Regelungen unmittelbar gilt,962 ordnet an, dass in

einem nach § 10 Abs. 6 Nr. 1 BNatSchG bekannt gemachten Gebiet alle Vorhaben, Maß-

nahmen, Veränderungen oder Störungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebie-

tes in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen können, unzulässig

sind. Nach § 33 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG gilt dies für FFH-Gebiete bis zur Unterschutzstel-

lung der Gebiete und für Vogelschutzgebiete vorbehaltlich besonderer Schutzvorschriften

im Sinne des § 22 Abs. 2 BNatSchG. § 33 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG bezieht sich hingegen

961 Schütz, UPR 2005, S. 141. 962 Gemäß § 71 BNatSchG lief diese Frist bis zum 08.05.2003.

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auf Konzertierungsgebiete gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG und erklärt die in Satz 1

erläuterten Handlungen für unzulässig, sofern sie zu erheblichen Beeinträchtigungen der im

Konzertierungsgebiet vorkommenden prioritären Biotope und Arten führen können. Trotz

der scheinbar detailgenauen Fassung der Vorschrift bleibt es aber fraglich, ob durch § 33

Abs. 5 BNatSchG die Vorgaben der Art. 6 Abs. 2, Art. 4 Abs. 5, Art. 5 Abs. 4 und Art. 7

FFH-RL in deutsches Recht korrekt umgesetzt wurden.

II. Bekanntmachung im Bundesanzeiger als Anwendungsvoraussetzung

Vor allem bestehen Bedenken an der richtlinienkonformen Umsetzung der Richtlinienvor-

gaben deshalb, weil das bundesrechtliche Verschlechterungs- und Störungsverbot ausweis-

lich des § 33 Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 BNatSchG erst dann zur Anwendung kommt, wenn ein

Gebiet nach § 10 Abs. 6 BNatSchG im Bundesanzeiger bekannt gemacht ist.963 Der

Schutzstatus des § 33 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG kann somit nur im Falle der Bekanntma-

chung eintreten; vorher sind die betroffenen Regionen nicht gegen bloße Verschlechterun-

gen oder Störungen geschützt.964 § 33 Abs. 5 BNatSchG knüpft auf diese Weise die Gel-

tung des Verschlechterungs- und Störungsverbotes an das Handeln des Ministeriums für

Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.965 Demgegenüber sieht Art. 4 Abs. 5 FFH-RL

vor, dass FFH-Gebiete mit ihrer Aufnahme in die Gemeinschaftsliste den Schutz des

Verschlechterungs- und Störungsverbotes erfahren. Für Vogelschutzgebiete gilt dies nach

Art. 7 FFH-RL, sobald ihnen ein Schutzstatus zuerkannt wird. Schließlich sieht Art. 5 Abs.

4 FFH-RL zur Aktivierung des Verschlechterungs- und Störungsverbotes für Konzertie-

rungsgebiete lediglich die Einleitung der Konzertierungsphase vor. Insoweit ist ersichtlich,

dass § 33 Abs. 5 BNatSchG mit dem Erfordernis der Bekanntgabe im Bundesanzeiger eine

Vorbedingung einführt, die gemeinschaftsrechtlich nicht vorgesehen ist.966

963 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 239; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 62;

Berner, Der Habitatschutz, S. 178; Gellermann, Natura 2000, S. 148; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 68; Leist, Lebensraumschutz, S. 213 f.; Ewer, NuR 2000, S. 363; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 38; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Um-weltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 174; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Ver-einigten Königreich, S. 64.

964 Berner, Der Habitatschutz, S. 178; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 62; Gellermann, Natura 2000, S. 148; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 68; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 239 f.

965 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 62; Gellermann, Natura 2000, S. 148. 966 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 148; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 62.

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Nun ist zu überprüfen, ob ein solches Bekanntgabeerfordernis mit den Vorgaben der Richt-

linie vereinbar ist. Die Verknüpfung der Geltung des Verschlechterungs- und Störungsver-

botes mit der Bekanntgabe im Bundesanzeiger wird im Schrifttum teilweise mit dem Ar-

gument der Rechtssicherheit gerechtfertigt.967 Diese werde durch die Bekanntgabe gewahrt,

da durch die Bekanntmachung eine endgültige räumliche Schutzgebietsabgrenzung erfolge,

in welchem das Verschlechterungs- und Störungsverbot Geltung haben werde.968 Diese

rechtsverbindliche Gebietsabgrenzung ist zwar von großer Bedeutung für betroffene

Grundstückseigentümer oder Pächter, da diese hierdurch Gelegenheit erhalten, sich auf

eventuelle Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten, die durch das Verschlech-

terungs- und Störungsverbot auf sie zukommen können, vorzubereiten.969 Der Aspekt der

Rechtssicherheit spricht daher unzweifelhaft für das Bekanntgabeerfordernis.970 Dennoch

unterfällt diese Bedingung gemeinschaftlichen bedenken, denn § 10 Abs. 6 Nr. 1

BNatSchG stellt keine Anforderungen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung.

Da eine „unverzügliche“ Bekanntmachung nicht gefordert ist, eröffnet diese Norm Spiel-

raum für eine zeitliche Verzögerung der Anwendbarkeit des Verschlechterungs- und Stö-

rungsverbotes.971 Obwohl das Gesetz bereits am 08.05.1998 in Kraft trat, ist es dem Minis-

terium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit erst am 11.06.2003 gelungen, erste

Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Bundesanzeiger zu veröffentlichen. Vor

diesem Hintergrund ist das Gegenargument, es handele sich lediglich um eine unwesentli-

che Verzögerung, die noch als richtlinienkonform hinzusehen sei, nicht überzeugend.972

Denn es besteht für diese Gebiete die Gefahr, dass sie während eines solchen langen Zeit-

raumes ohne einen Schutzstatus so beeinträchtigt werden, dass sie ihre Bedeutung für das

Netzwerk Natura 2000 verlieren können. Folglich ist das Bekanntgabeerfordernis im Bun-

desanzeiger nicht als richtlinienkonform anzusehen, da es Missbrauchmöglichkeiten eröff-

net, die aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht schwerlich als akzeptabel anzusehen sind.

Fraglich ist aber, ob § 33 Abs. 5 BNatSchG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt

werden kann, dass auch schon die in die Kommissionsliste aufgenommenen Gebiete sowie 967 Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 101; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 68;

Berner, Der Habitatschutz, S. 178. 968 Vgl. Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 101; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999,

S. 68. 969 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 62. 970 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 62; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 240 f.;

Gellermann, Natura 2000, S. 148; Berner, Der Habitatschutz, S. 178. 971 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 241; Gellermann, Natura 2000, S. 148; Koch,

Die FFH-Richtlinie, S. 63. 972 Dies behaupten Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 68.

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solche, die bezüglich derer ein Konzertierungsverfahren eingeleitet ist, von dieser Rege-

lung erfasst werden.973 Bedenklich an diesem Ansatz ist jedoch, dass die Möglichkeit zu

einer richtlinienkonformen Auslegung gesperrt ist, wenn hierdurch einer nach Wortlaut und

Zweck eindeutigen Norm ein entgegensetzter Sinn verliehen wird oder ihr normativer Ge-

halt neu bestimmt wird.974 Eine richtlinienkonforme Auslegung dahingehend, dass es für

die Anwendbarkeit des § 33 Abs. 5 BNatSchG gerade nicht auf die Bekanntmachung im

Bundesanzeiger ankommt, erscheint deshalb schwer vertretbar. Denn sowohl der Wortlaut

als auch der Sinn und Zweck des § 33 Abs. 5 Satz 1 Hs. 1 BNatSchG i.V.m. § 10 Abs. 6

Nr. 1 BNatSchG lassen eindeutig erkennen, dass die Bekanntgabe im Bundesanzeiger An-

wendungsvoraussetzung sein soll und dass damit der Rechtssicherheit Vorschub geleistet

werden soll.975

Da § 33 Abs. 5 BNatSchG mit seinem klaren Wortlaut von den Anforderungen des Ge-

meinschaftsrechts abweicht und eine richtlinienkonforme Auslegung nicht erlaubt, kann es

nicht mehr als richtlinienkonform angesehen werden, so dass § 33 Abs. 5 BNatSchG nur

für solche FFH-Gebiete, Vogelschutzgebiete und Konzertierungsgebiete zur Anwendung

kommen soll, die im Bundesanzeiger bekannt gemacht werden.976

III. Inhaltliche Reichweite

1. Erheblichkeitserfordernis

Auch hinsichtlich der inhaltlichen Reichweite bestehen Bedenken an der Richtlinienkon-

formität des § 33 Abs. 5 BNatSchG. Fraglich ist zunächst, ob die Differenzierung des

Richtliniengebers im Hinblick auf Verschlechterungen oder Störungen für die bedrohten

Lebensräume und Arten im Rahmen der Umsetzung in nationales Recht ausreichend be-

achtet wurde. Die europäische Rahmenvorschrift Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verbietet jegliche

973 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 241; Louis, BNatSchG, § 19b, Rn. 28; Ewer,

NuR 2000, S. 363. 974 Gellermann, Natura 2000, S. 149, Fn. 48; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S.

242; Erbguth/Stollmann, DVBl. 1997, S. 453 f.; Fisahn/Mushoff, EuR 2005, S. 223; Jarass, Grundfragen der innerstaatlichen Bedeutung des EG-Rechts, S. 95.

975 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 242; vgl. auch Gellermann, Natura 2000, S. 149; ders., NVwZ 2001, S. 505; Ewer, NuR 2000, S. 363.

976 Im Ergebnis ebenso Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 243; Gellermann, Natura 2000, S. 149; der., HdEUDUR, § 78, Rn. 55; Leist, Lebensraumschutz, S. 214; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 264; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Kö-nigreich, S. 64.

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Verschlechterung für die dort aufgeführten Schutzgüter, legt indes gleichzeitig eine Ein-

schränkung beim Vorliegen von Störungen dahingehend fest, dass diese nur dann zwingend

zu vermeiden sind, wenn sie sich im Hinblick auf die Ziele der Richtlinie erheblich auswir-

ken könnten. Dementsprechend erfasst das Störungsverbot lediglich diejenigen störenden

Einflüsse, die eine gewisse Erheblichkeitsschwelle überschreiten, während nach dem Ver-

schlechterungsverbot jede Beeinträchtigung der Lebensraumtypen zu verhindern ist.977

Die Schutzmodalitäten des § 35 Abs. 5 BNatSchG greifen demgegenüber generell nur bei

„erheblichen Beeinträchtigungen des Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele maßgebli-

chen Bestandteilen“ ein. Der Bundesgesetzgeber hat mithin die in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL

enthaltene Differenzierung hinsichtlich der Verschlechterungen und Störungen nicht über-

nommen.978 Die Erweiterung des Erheblichkeitserfordernisses auf Verschlechterungen wird

dabei im Schrifttum teilweise damit verteidigt, dass ein Mitgliedstaat aufgrund des in Art. 5

Abs. 3 EGV festgelegten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes unerhebliche Verschlechterun-

gen nicht untersagen müsse.979 Dies ist abzulehnen, denn einerseits kommt es nach dem

eindeutigen Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bei Verschlechterungen nicht auf deren

Erheblichkeit an und andererseits würde bei einer Erweiterung des Erheblichkeitserforder-

nisses auf Verschlechterungen die gemeinschaftsrechtliche Differenzierung zwischen Ver-

schlechterungen und Störungen leer laufen.980 Daher bleibt § 33 Abs. 5 BNatSchG im Hin-

blick auf das Verschlechterungsverbot hinter den Vorgaben der FFH-Richtlinie zurück.

Auch die Gemeinschaftsrechtskonformität von § 33 Abs. 5 BNatSchG kann nicht aus einer

richtlinienkonformen Auslegung gefolgert werden. Denn eine richtlinienkonforme Ausle-

gung des § 33 Abs. 5 BNatSchG dahingehend, dass alle Verschlechterungen zu untersagen

sind, kann aufgrund des eindeutigen Wortlautes des § 33 Abs. 5 BNatSchG nicht in Be-

tracht kommen.981 Folglich ist § 33 Abs. 5 BNatSchG auch unter diesem Gesichtspunkt als

gemeinschaftswidrig anzusehen.982

977 Vgl. oben 2. Teil, C. II. 2. 978 Berner, Der Habitatschutz, S. 174; Gellermann, Natura 2000, S. 150; der., HdEUDUR, § 78, Rn. 55;

Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 244; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaf-fung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 38; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 64.

979 Vgl. Louis, BNatSchG, § 19b, Rn. 35; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 63 f.; Niederstadt, NuR 1998, S. 519. 980 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 244; Gellermann., NuR 1996, S. 551;

Epiney, UPR 1997, S. 308; Gatawis, Grundfragen eines europäischen Raumordnungsrechts, S. 132. 981 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 244; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaf-

fung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 39; Berner, Der Habitatschutz, S. 174 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 150 f.

982 In diesem Sinne auch Gellermann, Natura 2000, S. 150 f.; ders., NVwZ 2001, S. 505; Berner, Der Habi-tatschutz, S. 174 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 244; Wrase, Rechtsschutz

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2. Die untersagten Aktivitäten

§ 33 Abs. 5 BNatSchG verbietet in den Nr. 1, 2 aufgeführten Gebieten „alle Vorhaben,

Maßnahmen, Veränderungen oder Störungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des

Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen“. Auf den

ersten Blick handelt es sich bei § 33 Abs. 5 BNatSchG um ein generelles Beeinträchti-

gungsverbot, da im Gesetzestext Vorhaben, Maßnahmen, Veränderungen und Störungen,

somit jede denkbare Verhaltensweise, dass sich als Eingriff darstellen könnte, erfasst wer-

den.983 Aus der Formulierung des § 33 Abs. 5 BNatSchG wird aber ersichtlich, dass die

Umsetzungsnorm andere Begrifflichkeiten verwendet als die FFH-Richtlinie. Während

dem Begriff „Störungen“ in beiden Rechtsakten identische Bedeutung zukommt, ist von

„Verschlechterungen“ in § 33 Abs. 5 BNatSchG keine Rede. Vielmehr werden dort die

Begriffe „Vorhaben, Maßnahmen und Veränderungen“ verwendet. Da aber der Bedeu-

tungsgehalt der Begriffe „Vorhaben, Maßnahmen und Veränderungen“ in § 33 Abs. 5

BNatSchG weitreichender und umfassender als der des Begriffes „Verschlechterungen“ in

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist, kann hier nicht von einer ordnungswidrigen Umsetzung gespro-

chen werden.984 Eine deutliche Einschränkung erfährt die Regelung des § 33 Abs. 5

BNatSchG jedoch aus dem systematischen Zusammenhang zwischen seiner Verbotsbe-

stimmung und den nachfolgenden §§ 34 ff. BNatSchG, die sich über den Umgang mit Plä-

nen und Projekten verhalten. Sobald Vorhaben, Maßnahmen oder Veränderungen als Pro-

jekte zu qualifizieren sind oder auf einem Plan beruhen, haben §§ 34 f. BNatSchG als Spe-

zialnormen Anwendungsvorrang vor § 33 Abs. 5 BNatSchG. Plan- oder projektbedingte

Einwirkungen auf ein Schutzgebiet werden demgemäß von § 33 Abs. 5 BNatSchG nicht

erfasst, und zwar selbst dann nicht, wenn sie erhebliche Beeinträchtigungen maßgeblicher

Bestandteile nach sich ziehen.985 Der Bundesgesetzgeber folgt damit der Regelungssyste-

matik des Art. 6 FFH-RL, der in Abs. 2 allgemein zu verhindernde Beeinträchtigung an-

spricht, in Art. 6 Abs. 3, 4 FFH-RL dann aber plan- bzw. projektbedingte Einwirkungen

auf ein Schutzgebiet einer spezielleren Regelung zuführt.986

gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 39; Niederstadt, NuR 1998, S. 519; Leist, Le-bensraumschutz, S. 214; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 64.

983 Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 63; Gellermann, Natura 2000, S. 149. 984 Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 38; Berner, Der Habi-

tatschutz, S. 175. 985 Gellermann, Natura 2000, S. 149; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 63; Berner, Der Habitatschutz, S. 175. 986 Gellermann, Natura 2000, S. 149; Berner, Der Habitatschutz, S. 175; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 63.

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3. Schutzwirkungen in Konzertierungsgebieten

Ferner ist an der für Konzertierungsgebiete relevanten Vorschrift des § 33 Abs. 5 Satz 2

BNatSchG bedenklich, dass dort nur auf prioritäre Bestandteile abgestellt wird. Zwar kann

nach Art. 5 Abs. 1 FFH-RL ein Konzertierungsverfahren nur dann eingeleitet werden,

wenn das betroffene Gebiet prioritäre Bestandteile enthält. Damit ist aber noch nicht ausge-

schlossen, dass sich in diesem Gebiet auch andere, nach den Anhängen der FFH-Richtlinie

schützenswerte Arten befinden können. Aus den Vorgaben der Art. 5 Abs. 4 und Art. 6

Abs. 2 FFH-RL lässt sich indes nicht entnehmen, dass in Konzertierungsgebieten die Ver-

schlechterungen und Störungen von schützenswerten, nichtprioritären Bestandteilen hinzu-

nehmen sind und der gemeinschaftsrechtliche Schutz nur für prioritäre Bestandteile gilt.

Folglich ist § 33 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG insoweit fehlerhaft umgesetzt.987

4. Räumlicher Bezug

Schließlich ist hinsichtlich des räumlichen Bezuges des Verschlechterungs- und Störungs-

verbotes fraglich, ob es noch als gemeinschaftsrechtskonform angesehen werden kann, dass

§ 33 Abs. 5 Nr. 1, 2 BNatSchG die in § 33 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG genannten Handlungen

nur dann untersagt, wenn sie „in einem Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung“ oder „in

einem Europäischen Vogelschutzgebiet“ vorgenommen werden. Dasselbe gilt für Konzer-

tierungsgebiete gemäß § 33 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG. Ein Umgebungsschutz ist danach

nicht vorgesehen. Da jedoch auch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL eine ähnliche Formulierung ent-

hält, muss dies nicht unbedingt als eine Verfehlung der Richtlinienvorgaben begriffen wer-

den.988 Vielmehr dürfte es hier möglich und erforderlich sein, § 33 Abs. 5 BNatSchG richt-

linienkonform dahingehend auszulegen, dass auch solche Beeinträchtigungen erfasst sind,

die ihre Ursache außerhalb der in Nr. 1, 2 aufgeführten Gebiete haben, sich aber trotzdem

auf die schützenswerten Bestandteile in dem Gebiet auswirken können.989

987 So Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 243. 988 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 243; Berner, Der Habitatschutz, S. 176; Gel-

lermann, Natura 2000, S. 149. 989 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 243; vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 149 f.

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D. Die Umsetzung von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL

Hinsichtlich der Vorgaben des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL über das Gebietmanagement be-

stimmt § 33 Abs. 3 Satz 3 BNatSchG, dass durch die in der Schutzstellung des jeweiligen

Gebietes geregelten Ge- und Verbote sowie die Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen si-

cherzustellen ist, dass den Anforderungen des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL entsprochen wird.

Pflege- und Entwicklungsmaßnahmen gehören zu den Erhaltungsmaßnahmen im Sinne des

Art. 6 Abs. 1 FFH-RL. Das Ziel der Erhaltungsmaßnahmen ist demnach der Erhalt und die

Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes. Dies kann in Form von Bewirt-

schaftungsplänen oder Maßnahmen rechtlicher, administrativer oder vertraglicher Art ge-

schehen. Durch die Aufstellung von Bewirtschaftungsplänen kann insbesondere die zu-

künftige Nutzung der Flächen geregelt werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit, die zu-

künftige Nutzung der von der Schutzgebietsausweisung betroffenen Flächen mit den sie

nutzenden Privatpersonen vertraglich zu regeln. Durch die besondere Vereinbarungen mit

den betroffenen Nutzern der Flächen kann auf die lebensraum- oder artspezifischen Anfor-

derungen, die sich aus einer einzelnen Fläche ergeben, besser reagiert werden und durch

das Gewähren finanzieller Ausgleichsleistungen die Akzeptanz für die Schutzgebietsaus-

weisung erhöht werden.990 § 8 BNatSchG ordnet dabei an, dass es regelmäßig geprüft wer-

den soll, ob der Zweck auch durch vertragliche Vereinbarungen erreicht werden kann.

Aufgrund des Charakters des BNatSchG als Rahmengesetz steht es den Ländern insoweit

frei, einen obligatorischen oder nur fakultativen Vorrang vertraglicher Vereinbarungen

vorzusehen.991 Insgesamt ist aber zu beachten, dass die von den Ländern getroffenen Maß-

nahmen geeignet sein müssen, den günstigen Erhaltungszustand gemäß Art. 1 lit. a) FFH-

RL zu gewährleisten.992

990 Wrase , Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 35; Leist, Lebens-

raumschutz, S. 147; Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bau-leitplanung, S. 171.

991 Schladebach, Der Einfluss des europäischen Umweltrechts auf die kommunale Bauleitplanung, S. 172; Wrase , Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 35.

992 Wrase , Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 35.

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E. Besondere Anforderungen an Pläne und Projekte

Als Kernstück des Schutzregimes der FFH-Richtlinie stellt Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL

besondere Zulassungsanforderungen für Pläne und Projekte auf. Die Schlüsselstellung

nimmt dabei die Verträglichkeitsprüfung nach Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ein. Hiernach

erfordern Pläne und Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Schutzgebietes

in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch ein-

zeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen

könnten, eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhal-

tungszielen. Diese Verpflichtung hat der Bundesgesetzgeber in den §§ 34, 35, 36 Satz 2

und 37 BNatSchG umgesetzt. Im Vordergrund steht zunächst § 34 Abs. 1 Satz 1

BNatSchG, der für Projekte das Erfordernis der Verträglichkeitsprüfung anordnet. Diese

Grundnorm findet entsprechende Anwendung auf immissionsschutzrechtliche Anlagen

gemäß § 36 Satz 2 und Gewässerbenutzungen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 WHG, für die aber

jeweils ein besonderer Verträglichkeitsgrundsatz aufgestellt wurde, sowie auf Pläne gemäß

§ 35 Satz 1 BNatSchG. Gemäß § 69 Abs. 1 BNatSchG beansprucht § 34 Abs. 1 BNatSchG

bis zum Erlass landesrechtlicher Vorschriften unmittelbare Geltung.993

I. Projektbezogene Verträglichkeitsprüfung

1. Die Grundregel der §§ 34 Abs. 1, 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG

Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre

Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung

oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes zu überprüfen. Diese Regelung begründet

damit die Pflicht der Prüfung und benennt den relevanten Prüfungsmaßstab, enthält sich

jedoch jeder Aussage, unter welchen Bedingungen ein entsprechendes Prüfverfahren

durchzuführen ist.994 Die insoweit relevanten Aspekte enthält die Legaldefinition des Pro-

jektbegriffes in § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG.

993 Gemäß § 71 BNatSchG lief diese Frist bis zum 08.05.2003. 994 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 155.

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a) Der Projektbegriff

In § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG findet sich die Legaldefinition des Projektbegriffes, den

§§ 34- 37 BNatSchG zugrunde liegt. Diese Definition besteht aus zwei Elementen. § 10

Abs. 1 Nr. 11 lit. a-c BNatSchG umschreibt zunächst diejenigen Vorhaben, die als Projekte

in Betracht kommen. Um im Einzelfall als Projekt qualifiziert zu werden, müssen diese

Vorhaben zudem einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen

geeignet sein, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogel-

schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen. Erst die Erfüllung beider Elemente qualifiziert

ein Konkretes Vorhaben zum Projekt, das nach § 34 Abs. 1 BNatSchG einer Verträglich-

keitsprüfung zu unterziehen ist.995 Nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG sind Projekte ausge-

nommen, die unmittelbar der Verwaltung der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung

oder der Europäischen Vogelschutzgebiete dienen.996

Auffällig ist dabei, dass der Bundesgesetzgeber mit dieser allgemeinen Definition von der

Systematik des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL abweicht. Denn in Art. 6 Abs. 3 FFH-RL werden die

Einigung zur erheblichen Gebietsbeeinträchtigungen sowie die nicht gebietsverwaltende

Eigenschaft eines Projektes als eigene Tatbestandsmerkmale formuliert, hier werden sie

indes zur Definition des Projektbegriffes verwendet. Diese Abänderung bietet jedoch kei-

nen Grund zur Beanstandung, solange gewährleistet ist, dass sämtliche Vorhaben die ge-

meinschaftsrechtlich eine Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, auch nach dem

BNatSchG einem solchen Prüfverfahren unterstellt werden.997

aa) Die erfassten Vorhaben

(1) Einer Verträglichkeitsprüfung unterworfen sind zunächst gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit.

a BNatSchG Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines Schutzgebietes, sofern sie einer

behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige bedürfen oder von einer Behörde durchge-

führt werden. Mit den Begriffen der „Vorhaben und Maßnahmen“ spricht diese Norm ei-

nen weiten Kreis von Aktivitäten an. Obwohl hier anders als in § 33 Abs. 5 BNatSchG von

995 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 155; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 69; Koch, Die Verträg-

lichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 244 f. 996 Im BNatSchG 1998 fehlte jedoch diese Einschränkung. Die Definition des § 19a Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG

a.F. ging über den Projektbegriff der FFH-Richtlinie hinaus, als dass auch solche Projekte erfasst waren, die unmittelbar der Verwaltung der Gebiete dienten.

997 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 245; Gellermann, Natura 2000, S. 155.

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„Veränderungen“ keine Rede ist, ergeben sich hieraus kaum sachliche Unterschiede. Ge-

bietsverändernde Handlungen können mithin regelmäßig zugleich als Maßnahmen begrif-

fen werden.998 Aus der Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG ergeben sich Ein-

schränkungen dabei unter zwei Aspekten: Um als Projekt in Betracht kommen zu können,

muss das Vorhaben oder die Maßnahme „innerhalb“ des Gebietes vorgenommen werden.

Des Weiteren hängt die Projektqualität davon ab, ob die geplanten Aktivitäten einer be-

hördlichen Entscheidung bedürfen, anzeigepflichtig sind oder von einer Behörde durchge-

führt werden.999

Aus der Formulierung der Vorschrift wird dabei ersichtlich, dass die Beschränkung auf

Vorhaben und Maßnahmen innerhalb eines Gebietes entgegen der FFH-Richtlinie auf den

Standort des Prüfungsobjekts abstellt, statt dessen Auswirkungen innerhalb eines Schutz-

gebietes als maßgebend zu betrachten.1000 Auch an der Bestimmung, nur solche Vorhaben

und Maßnahmen seien erfasst, die auch einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzei-

ge an eine Behörde bedürften oder von einer Behörde durchgeführt würden, besteht beden-

ken. Denn aus den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ergibt sich, dass alle Vorha-

ben, die Schutzgebiete erheblich beeinträchtigen könnten, einer Verträglichkeitsprüfung zu

unterziehen sind. Durch diese Einschränkung werden jedoch entgegen der Intention der

FFH-Richtlinie potentiell beeinträchtigende Vorhaben, wie etwa ordnungsgemäße land-,

forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung oder reine Unterhaltungsmaßnahmen an

Wegen und Gewässern,1001 nicht als Projekte anerkannt, weil sie nach deutschem Recht

weder genehmigungs- noch anzeigebedürftig sind.1002 Folglich bleibt festzuhalten, dass der

Projektbegriff des § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG gegenüber dem des Art. 6 Abs. 3

Satz 1 FFH-RL zu eng geraten ist und deshalb als defizitär anzusehen ist.1003

998 Gellermann, Natura 2000, S. 156; vgl. Berner, Der Habitatschutz, S. 176. 999 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 156. 1000 EuGH, ZUR 2006, S. 134, Rn. 32; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 245; Gass-

ner, NuR 1999, S. 82. 1001 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 156; Fisahn, ZUR 2006, S. 137; Schink, UPR 1999, S. 420; Berg,

Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 23. 1002 Jarass, NuR 2007, S. 372; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 246; Wirths, Natur-

schutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 270; Gellermann, Natura 2000, S. 156; Berg, Europäi-sches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 23; Niederstadt, NuR 1998, S. 523; Rengeling, UPR 1999, S. 287; Stüer, DVBl. 2002, S. 648; Fisahn, ZUR 2001, S. 253; in diesem Sinne auch Europäische Kom-mission, NuR 2000, S. 626.

1003 Im Ergebnis ebenso EuGH, Urteil vom 10.01.2006, Rs. C-98/03, Rn. 41; Europäische Kommission, NuR 2000, S. 626; Baum, NuR 2006, S. 149; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 270; Niederstadt, NuR 1998, S. 523; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 43; Rengeling, UPR 1999, S. 287; Stüer, DVBl. 2002, S. 648; Gassner, NuR 1999, S. 82.

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(2) Gemäß § 10 Abs. 1 Br. 11 lit. b BNatSchG sollen Projekte auch Eingriffe in Natur und

Landschaft im Sinne des § 18 BNatSchG sein, sofern sie einer behördlichen Entscheidung

oder einer Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt werden.

Nach der Legaldefinition in § 18 Abs. 1 BNatSchG ist unter einem „Eingriff“ in Natur und

Landschaft eine Veränderung oder Nutzung von Grundflächen zu verstehen, welche die

Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes oder das Landschaftsbild erheblich beeinträchtigen

könnte.1004 Die Eingriffsdefinition stellt dabei nicht auf den räumlichen Bezug zu einem

geschützten Gebiet ab. § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b BNatSchG erfasst deshalb einen weiten

Kreis von Handlungen unabhängig vom Herkunftsort der beeinträchtigenden Einwirkun-

gen. Erfasst sind dementsprechend etwa die Errichtung baulicher Anlagen, der Bau und

Ausbau von Straßen, die Errichtung von Abfalldeponien, die Umwandlung von Wäldern,

aber auch die Beseitigung prägender Landschaftsbestendteile und die Umwandlung von

Brachflächen in Ackerland.1005 Da aber nur solchen Eingriffen Projektqualität beigemessen

wird, die einer behördlichen Entscheidung oder einer Anzeige bedürfen oder von einer Be-

hörde durchgeführt werden, ergeben sich hierbei dieselben Probleme wie auch bei § 10

Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG.1006 Ferner erscheint bei § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b BNatSchG

problematisch, dass die Eingriffsregelung eine andere Zielrichtung hat als die FFH-

Richtlinie.1007 Wie die Kommission zutreffend bemängelt, bleiben alle weiteren nicht auf

die Grundfläche gerichteten Handlungen ausweislich der Definition des § 18 Abs. 1

BNatSchG unberücksichtigt, obwohl auch diese nach den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 Satz

1 FFH-RL ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten.1008 Über dies hinaus soll

nach § 18 Abs. 2 BNatSchG die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung

nicht als Eingriff angesehen werden, soweit dabei die Ziele und Grundsätze des Natur-

schutzes und der Landschaftspflege berücksichtigt werden. Für diese Tätigkeiten wird so-

mit keine Verträglichkeitsprüfung erforderlich. Zu beachten ist dabei, dass für solche

1004 Vgl. Kolodziejcok, in: Kolodziejcok/Recken/Apfelbacher/Iven/Bendomir-Kahlo, Naturschutz, § 18, Rn.

2 ff.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 271; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 36; Gellermann, Natura 2000, S. 156; Berner, Der Habitatschutz, S. 183.

1005 Beispiele nach Gellermann, Natura 2000, S. 156 f. 1006 Vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 134 f., Rn. 41 f.; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S.

246; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 271; Gellermann, Natura 2000, S. 157; Gassner, NuR 1999, S. 82.

1007 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 246; Fisahn, ZUR 2006, S. 138; ders., ZUR 2001, S. 254.

1008 Vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 134, Rn. 32; Palme, NuR 2007, S. 244; Fisahn, ZUR 2006, S. 138; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 246.

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Handlungen, die im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ein Schutzgebiet erheblich beein-

trächtigen könnten, sieht die FFH-Richtlinie keine Privilegierung vor.1009

(3) Schließlich erweitert § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. c BNatSchG den Projektbegriff des Bun-

desnaturschutzgesetzes um Anlagen, die nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz geneh-

migungsbedürftig sind und um Gewässerbenutzungen, die nach dem Wasserhaushaltgesetz

einer Erlaubnis oder Bewilligung bedürfen.

Gemäß § 2 Abs. 1 WHG bedürfen Gewässerbenutzungen im Sinne des § 3 WHG stets ei-

ner behördlichen Erlaubnis (§ 7 WHG) oder Bewilligung (§ 8 WHG), soweit sich nicht aus

den Bestimmungen des Wasserhaushaltgesetzes oder landesrechtlichen Bestimmungen et-

was anderes ergibt. Erlaubnis- und Bewilligungsfrei sind gemäß § 3 Abs. 3 WHG dabei

zunächst der Ausbau (§ 31 WHG) und die Unterhaltung (§ 28 WHG) eines oberirdischen

Gewässers, soweit hierbei nicht chemische Mittel verwendet werden. Ferner sieht § 17a

WHG eine erlaubnisfreie Benutzung bei Übungen und Erprobungen für Zwecke der Ver-

teidigung einschließlich des Zivilschutzes oder der Abwehr von Gefahren für die öffentli-

che Sicherheit vor. Weiter wird in § 1 Abs. 2 WHG den Landesgesetzgebern die Möglich-

keit eingeräumt, kleine Gewässer von wasserwirtschaftlich untergeordneter Bedeutung von

Bestimmungen des Wasserhaushaltgesetzes auszunehmen. Damit kann beispielsweise die

Benutzung eines aufgrund landesgesetzlicher Regelung vom Anwendungsbereich des

WHG ausgenommenen Teiches, nicht der Verträglichkeitsprüfung nach § 34 BNatSchG

unterworfen werden. Diese Regelung erscheint jedoch nicht unproblematisch, denn auch

wenn es sich um die Nutzung geringer Wassermengen handelt, ist es nicht auszuschließen,

dass solche Nutzungen keinesfalls das Schutzgebiet beeinträchtigen.1010

§ 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. c BNatSchG erfasst zudem genehmigungsbedürftige Anlagen nach

dem Bundesimmissionsschutzgesetz. Welche Anlagen im Sinne des Bundesimmissions-

schutzgesetzes genehmigungsbedürftig sind, zählt die 4. BImSchV i.V.m § 4 Abs. 1 Satz 3

BImSchG abschließend auf. Als Projekt kommt damit jedenfalls die Errichtung und der

Betrieb einer der im Anhang der 4. BImSchV aufgeführten Anlagen in betracht. Zu beach-

ten ist jedoch, dass Einwirkungen die ein Schutzgebiet im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL

erheblich beeinträchtigen könnten, auch von nicht genehmigungsbedürftigen Anlagen aus-

1009 Vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 134, Rn. 33; Palme, NuR 2007, S. 244; Fisahn, in: Erbguth, S. 84; Koch, Die

Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 246 f.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 36 f.; Rödiger-Vorwerk, Die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 179.

1010 Vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 135, Rn. 44; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 273; Fisahn, ZUR 2006, S. 138; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 250.

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gehen können.1011 Als Beispiel zu nennen sind in diesem Zusammenhang Stallungen zur

Massentierhaltung unterhalb der Schwelle der Nr. 7.1 des Anhanges der 4. BImSchV bzw.

mit anderen als den dort genannten Tieren (z.B. Kälber, Schaffe, Ziegen).1012 Die Umset-

zung bleibt insoweit hinter den Vorgaben der FFH-Richtlinie zurück.1013 Ebenso zu klären

ist die Frage, ob auch Anlagenänderungen vom § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. c. BNatSchG erfasst

sind, denn der Wortlaut des Vorschrift ist nicht ganz eindeutig. Das Bundesimmissions-

schutzgesetz selbst regelt dabei in seinem 2. Teil, 1. Abschnitt mit § 16 Abs. 1 Satz 1 die

Genehmigungspflichtigkeit der wesentlichen Änderungen genehmigungsbedürftiger Anla-

gen. Hiernach sind zumindest wesentliche Änderungen als Projekte im Sinne des § 10 Abs.

1 Nr. 11 lit. c BNatSchG einzustufen.1014 Dass hingegen geringfügigere Änderungen nach §

16 Abs. 1 Satz 2 BImSchG genehmigungsfrei und damit nicht unter den Projektbegriff des

Bundesnaturschurzgesetzes subsumierbar sind, bringt bei richtlinienkonformer Auslegung

der Norm nicht weiter. Denn als wesentlich und damit unter § 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG

fallend sind bereits alle Anlagenänderungen genehmigungsbedürftiger Anlagen anzusehen,

die ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten.1015

(4) Zur Beantwortung der Frage, wie lückenhaft die einzelnen Begriffserklärungen in § 10

Abs. 1 Nr. 11 lit. a bis c BNatSchG tatsächlich sind, ist neben den Inhalten der einzelnen

Ziffern auch ihr Verhältnis zueinander Klärungsbedürftig. Festzustellen ist dabei zunächst,

dass nur in § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG ausdrücklich auf Vorhaben und Maßnahmen

innerhalb des Schutzgebietes abgestellt wird, während in § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b und c

BNatSchG keinerlei räumliche Begrenzung vorgenommen werden. Die letzteren beziehen

sich daher dem Wortlaut nach sowohl auf Aktivitäten innerhalb als auch außerhalb des

1011 Vgl. EuGH, ZUR 2006, S. 134, Rn. 34 ff.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-

Verträglichkeitsprüfung, S. 44; Gellermann, Natura 2000, S. 159; ders., NVwZ 2001, S. 505; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 250.

1012 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 250, Fn. 745; Gellermann, Natura 2000, S. 159; ders., NVwZ 2001, S. 505; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 44.

1013 Im Ergebnis ebenso EuGH, ZUR 2006, S. 135, Rn. 45; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 250; Gellermann, NVwZ 2001, S. 505; Niederstadt, NuR 1998, S. 523; Kirchhof, Die Imp-lementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 44.

1014 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 250; Gellermann, Natura 2000, S. 157; Kirch-hof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 44; a.A. Wirths, ZUR 2000, S. 194, der in-soweit von einem Umsetzungsdefizit ausgeht.

1015 So Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 250 f.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 44.

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200

Schutzgebietes.1016 Erkennbar ist zudem, dass die Formulierung des § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit.

a BNatSchG die ausdrücklich in § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b und c BNatSchG aufgeführten

Eingriffe in Natur und Landschaft, die Errichtung bestimmter Anlagen oder Gewässerbe-

nutzungen umfasst.1017 § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b und c BNatSchG stellen folglich keine Er-

weiterung gegenüber § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG hinsichtlich der Einwirkungen

innerhalb des Schutzgebietes dar. Ob also ein Vorhaben oder eine Maßnahme innerhalb

eines Schutzgebietes ein Projekt im Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes ist, hängt letzt-

lich von § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG ab. § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b und c BNatSchG

kommt diesbezüglich nur bei Aktivitäten außerhalb des Schutzgebietes gegenüber § 10

Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG eine eigenständige Bedeutung zu. Für Tätigkeiten außerhalb

des Schutzgebietes genügt es folglich, wenn § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. b oder c BNatSchG ein-

schlägig ist.1018

bb) Gebietsrelevanz der Vorhaben

Fällt ein Vorhaben unter § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a bis c BNatSchG, ist in einem zweiten Prü-

fungsschritt zu klären, ob es einzeln oder im zusammenwirken mit anderen Projekten oder

Plänen geeignet ist, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches

Vogelschutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen; denn nur, soweit dies der Fall ist, und das

Vorhaben nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebietes dient, liegt nach § 10 Abs. 1 Nr.

11 Hs. 2 und 3 BNatSchG ein Projekt vor, der gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG einer

Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist.1019 Der deutsche Gesetzgeber hat sich dabei eng

am Wortlaut des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL orientiert und die Aussagen dieser Rege-

lungsvorgabe weitgehend korrekt in das bundesdeutsche Recht umgesetzt.

Die Auslegung der FFH-Richtlinie hat bereits ergeben, dass die Prüfungspflicht nach Art. 6

Abs. 3 Satz 1 FFH-RL durch eine vorläufige fachliche Prognose ausgelöst wird, aufgrund

derer die Möglichkeit einer erheblichen Gebietsbeeinträchtigung durch das Projekt nicht

1016 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 251; Gellermann, Natura 2000, S. 157;

Louis, DÖV 1999, S. 377; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 269; Berner, Der Habitatschutz, S. 183.

1017 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 157; Louis, DÖV 1999, S. 377; Berner, Der Habitatschutz, S. 183. 1018 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 252; Gellermann, Natura 2000, S. 157 f.;

Berner, Der Habitatschutz, S. 183. 1019 Vgl. dazu Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 252; Gellermann, Natura 2000, S.

160.

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201

auszuschließen ist (Vorprüfung).1020 Es muss also bereits die nicht ausschließbare Mög-

lichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung genügen, um die Projektqualität eines Vorha-

bens zu begründen. Diesen Anknüpfungspunkt der Verträglichkeitsprüfung hat der deut-

sche Bundesgesetzgeber bereits in die Projektdefinition übernommen. Denn der Projekt-

begriff nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG ist nur dann erfüllt, wenn die dort genannten

Projekte einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet

sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzge-

biet erheblich zu beeinträchtigen.1021

Auch der Hinweis erscheint zutreffend, dass es für die Projektqualität und hiermit einher-

gehend für die Prüfungspflicht nicht auf eine vorherige Bekanntmachung des betroffenen

Gebietes im Bundesanzeiger ankommt. Ausweislich des insoweit eindeutigen Wortlautes

der §§ 10 Abs. 1 Nr. 11, 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG wird die Prüfungspflicht - unabhängig

vom Erfordernis der Bekanntmachung nach § 10 Abs. 6 Nr. 1 BNatSchG – bereits dann

aktiviert, wenn eines der dort aufgeführten Vorhaben ein in die Gemeinschaftsliste aufge-

nommenes FFH-Gebiet (§ 10 Abs. 1 Nr. 5 BNatSchG) oder ein Europäisches Vogelschutz-

gebiet (§ 10 Abs. 1 Nr. 6 BNatSchG) betrifft.1022

Anders als das Verschlechterungsverbot des § 33 Abs. 5 BNatSchG, das erhebliche Beein-

trächtigungen maßgeblicher Bestandteile des Gebietes erfordert, bezieht sich § 10 Abs. 1

Nr. 11 BNatSchG mit der Formulierung „…ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung

oder ein Europäisches Vogelschutzgebiet…“ auf den jeweils unter Schutz gestellten Le-

bensraum in seiner Gesamtheit.1023 In jedem Einzelfall gilt daher die Frage zu klären, ob

die vorhabenbedingten Auswirkungen einen negativen Einfluss auf den unter Schutz ge-

stellten Lebensraum oder auf seine einzelnen Bestandteile haben können.1024 Es sollen da-

mit bei Umgebungsvorhaben zumindest Anhaltspunkte für eine relevante Gebietsbeein-

trächtigung bestehen, während die innerhalb der Gebietskulisse ausgeführten Vorhaben

regelmäßig als möglicherweise gebietsbeeinträchtigend anzusehen sein werden.1025

1020 Vgl. oben 2. Teil, D. V. 1; auch Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 275;

Kador, FFH-Richtlinie, S. 34 ff.; Köppel/Peters/Wende, Eingriffsregelungen, S. 313 ff.; Burmeister, NuR 2004, S. 297 ff.

1021 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 275; Burmeister, NuR 2004, S. 298; vgl. auch Kador, FFH-Richtlinie, S. 74 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 160; Koch, Die Verträglichkeitsprü-fung der FFH-Richtlinie, S. 253; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 114.

1022 Gellermann, Natura 2000, S. 160; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 254. 1023 Vgl. oben 2. Teil, D. V. 1. a); auch Gellermann, Natura 2000, S. 160. 1024 Gellermann, Natura 2000, S. 160 f.; vgl. dazu Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung,

S. 118. 1025 Gellermann, Natura 2000, S. 160 f.; vgl. dazu oben 2. Teil, D. V. 1. a).

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Überdies ist nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG einem Vorhaben Projektqualität nur dann

beizumessen, wenn seine Realisierung „erhebliche“ Beeinträchtigungen nach sich zieht.

Nähere Angaben zum genauen Bedeutungsinhalt des Erheblichkeitsbegriffs liefert der

Normtext jedoch nicht. Zu berücksichtigen ist dabei, dass das Merkmal der Erheblichkeit in

diesem Kontext dem Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL entnommen ist und dementsprechend im

Lichte der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zu interpretieren ist.1026 Wie die Auslegung

der FFH-Richtlinie ergeben hat, erscheint hierbei eine Differenzierung zwischen Einwir-

kungen erforderlich, die sich auf notwendige Gebietsbestandteile beziehen und solche, die

lediglich die Gebietskulisse beanspruchen oder außerhalb der Grenzen des Gebietes vorlie-

gen.1027 Als erheblich einzustufen sind zunächst sämtliche möglich erscheinenden Einwir-

kungen auf die notwendigen Bestandteile des Schutzgebietes, und zwar unabhängig von

ihrer Schwere und ihrem Gewicht. Bei Vorhaben, die sich nur in den Rand- oder Pufferzo-

nen auswirken oder außerhalb des Schutzgebietes durchgeführt werden, kommt es hinge-

gen darauf an, ob ihr negativer Einfluss von einigem Gewicht oder einiger Schwere ist. Sie

müssen also nach Art, Umfang und Schwere relevant sein. 1028

Als defizitär anzusehen ist lediglich die Umsetzung im Bereich der von der Verträglich-

keitsprüfung von vornherein ausgenommenen Vorhaben. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL

stellt Vorhaben von der Prüfungspflicht frei, die unmittelbar mit der Verwaltung des Ge-

bietes stehen oder „hierfür notwendig sind“. § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG übernimmt hin-

gegen das Notwendigkeitskriterium nicht und erweitert dadurch den Kreis der Vorhaben,

die keiner Verträglichkeitsprüfung unterliegen. Denn im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 11

BNatSchG gelten sämtliche in § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a bis c BNatSchG aufgeführten Hand-

lungen nicht als Projekt, sofern sie unmittelbar der Schutzgebietsverwaltung dienen, ohne

Blick darauf, ob diese Verwaltungsmaßnahmen auch notwendig sind oder nicht.1029

b) Prüfungsmaßstab

Für die vorbezeichneten Projekte bestimmt § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG, dass sie vor ihrer

Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den für ein europäisches

Schutzgebiet festgelegten Erhaltungszielen zu überprüfen sind. Diese Norm konstruiert in 1026 Gellermann, Natura 2000, S. 161. 1027 Vgl. oben 2. Teil, D. V. 1. a). 1028 Vgl. oben 2. Teil, D. V. 1. a); ferner Gellermann, Natura 2000, S. 161 f.; ders., NuR 1996, S. 551; Ka-

dor, FFH-Richtlinie, S. 39 . 1029 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 253.

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Übereinstimmung mit den europarechtlichen Vorgaben eine unbedingte Pflicht zur Durch-

führung des Prüfverfahrens. Maßstab dieser Prüfung sind demnach die Erhaltungsziele des

Gebietes. Definiert ist der Begriff der Erhaltungsziele in § 10 Abs. 1 Nr. 9 BNatSchG als

die Erhaltung und Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes der in Anhängen

I und II der FFH-Richtlinie aufgeführten Lebensraumtypen und Arten sowie der in Anhang

I und Art. 4 Abs. 2 Vogelschutzrichtlinie benannten Vogelarten und ihrer Lebensräume, die

in einem solchen Gebiet vorkommen. Die nationale Definition stimmt mit den Vorgaben,

die die FFH-Richtlinie insbesondere in Art. 1 lit. a, e und i macht, überein.1030 Aus dem

Umstand, dass auch die Wiederherstellung ein Erhaltungsziel sein kann, ist zu folgern, dass

in der Verträglichkeitsprüfung nicht nur Beeinträchtigungen zu untersuchen sind, die ein

Projekt auf den derzeitigen Gebietszustand haben kann, sondern auch solche Einflüsse zu

berücksichtigen sind, die das Erreichen des in den Erhaltungszielen angestrebten Wieder-

herstellungszustandes erschweren können.1031

Für die konkrete Ermittlung des Prüfungsmaßstabs ist danach zu differenzieren, ob es sich

um ein Schutzgebiet im Sinne des § 22 Abs. 1 BNatSchG handelt oder nicht. Liegt ein

Schutzgebiet im Sinne des § 22 Abs. 1 BNatSchG - also ein von den Ländern bereits als

geschützter Teil von Natur und Landschaft zu einer der in dieser Vorschrift genannten Ka-

tegorien erklärte Gebiet – vor, ergeben sich die Maßstäbe für Verträglichkeit gemäß § 34

Abs. 1 Satz 2 BNatSchG aus dem Schutzzweck und den dazu erlassenen Vorschriften. § 34

Abs. 1 Satz 2 FFH-RL stellt damit fest, dass sich die Maßstäbe für die Verträglichkeitsprü-

fungen bei Schutzgebieten aus den Schutzgebietsverordnungen ergeben, die den Schutz-

zweck des Gebietes bestimmen und konkretisieren. Zweck dieser Regelung ist es, durch

abstrakt-generelle Vorgaben aufwändige Prüfungen in einer unübersehbaren Vielzahl kon-

kret-individueller Verwaltungsverfahren entbehrlich zu machen und zugleich Transparenz

und Rechtssicherheit zu schaffen, so dass jeder beim Blick in die jeweilige Schutzgebiets-

verordnung die Gemeinschaftsrechtsrelevanz und die sich daraus ergebenden Konsequen-

zen feststellen kann.1032 Insoweit bestehen keine Bedenken, sofern die Schutzgebietsver-

ordnungen in Bezug auf den Schutzzweck und die dazu erlassenen Regelungen den Anfor-

derungen der FFH-Richtlinie entsprechen. Als problematisch erweist sich in diesem Zu-

1030 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 130; Wirths, Naturschutz durch europäisches

Gemeinschaftsrecht, S. 275; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 59 f. 1031 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 130 f.; vgl. Gassner, in: Gassner,

BNatSchG, § 34, Rn. 20; Schink, GewArch 1998, S. 49; Gellermann, Natura 2000, S. 163. 1032 Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 73; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung,

S. 131.

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sammenhang jedoch die Tatsache, dass zahlreiche Gebiete als FFH-Gebiete gemeldet wur-

den, die schon vor der Meldung national durch eine der in § 22 Abs. 1 BNatSchG genann-

ten Kategorien unter Schutz gestellt waren.1033 Soweit die zum Schutz dieser Gebiete erlas-

senen Vorschriften aber noch nicht entsprechend geändert wurden, definieren sie jedoch

keine Erhaltungsziele im Sinne der FFH- und Vogelschutzrichtlinie. Auf die Regelung des

§ 34 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG kann daher nur dann zurückgegriffen werden, wenn entspre-

chende Schutzgebietsverordnungen vorliegen und diese den Anforderungen der Richtlinien

angepasst wurden.1034

Soweit § 34 Abs. 1 Satz 2 BNatSchG keine Anwendung findet, kann für die konkrete Er-

mittlung der Erhaltungsziele primär auf die von der Kommission entwickelten und bei der

Gebietsmeldung von den Mitgliedstaaten ausgefüllten Standart-Bögen zurückgegriffen

werden.1035 Dabei können auch Rechtsvorschriften und verträgliche Vereinbarungen, die

zur Unterschutzstellung des Gebietes herangezogen wurden, sowie Landschaftspläne und

Sachinformationen durch die Naturschutzbehörde wertvolle Hinweise liefern.1036 Befinden

sich nach der im Standard-Bogen vorzunehmenden Bewertung die für die Auswahl eines

Gebietes relevanten Lebensraumtypen oder Arten in einem guten oder hervorragenden Er-

haltungszustand, ist die Erhaltung im vorhandenen Umfang als Ziel für diese Lebensraum-

typen oder Arten zu formulieren. Befinden sich die Arten oder Lebensraumtypen in einem

als durchschnittlich oder beschränkt bewerteten Zustand, ist die Wiederherstellung eines

günstigen Erhaltungszustandes als Erhaltungsziel festzulegen.1037 In die Erhaltungsziele

sind nur solche Lebensraumtypen und Arten einzubeziehen, deren Vorkommen signifikant

sind. Nicht signifikante Vorkommen, also solche, die für die Aufnahme des Gebietes in das

Netzwerk Natura 2000 keine Bedeutung haben, sind bei der Bestimmung der Erhaltungs-

1033 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 131; Schrödter, in: Schrödter, BauGB,

§ 1a, Rn. 105; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 12; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 60.

1034 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 131; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 73; Niederstadt, NuR 1998, S. 522; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten König-reich, S. 67; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1700; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 105; Schubert, Harmonisierung, S. 203; Wirths, NuR 2003, S. 153; a.A. Europäische Kommission, NuR 2000, S. 626; die diese Regelung für gemeinschaftsrechtswidrig hält.

1035 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 132; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 12; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 74; Europäische Kommission, Gebietsmanagement, S. 42; Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, A1, § 34, Rn. 7.

1036 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 132; Schink, Eildienst Landkreistag NRW, 2001, S. 348.

1037 Louis, BNatSchG, § 19a, Rn. 26; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 132.

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ziele nicht zu berücksichtigen.1038 Ob solche nicht signifikante Bestandteile eines Gebietes

durch das Projekt beeinträchtigt werden können, ist demnach auch nicht Gegenstand der

Verträglichkeitsprüfung und kann somit für die Entscheidung über die Zulässigkeit des

Projekts im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung nicht von Bedeutung sein.1039

c) Verträglichkeitsprüfung bei speziellen Anlagen

aa) Anlagen nach dem BImSchG: die Regelung des § 36 BNatSchG

Für genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem BImSchG sieht § 36 BNatSchG Sonderre-

gelungen vor. Gemäß § 36 Satz 2 BNatSchG gilt § 34 Abs. 1 und 5 BNatSchG dabei ent-

sprechend. Dies verwundert, denn die in § 36 Satz 1 BNatSchG angesprochenen Anlagen

können bereits aus Gründen des § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. c BNatSchG im Einzelfall als Pro-

jekt begriffen werden und sie unterliegen daher an sich ohnehin einer Verträglichkeitsprü-

fung nach § 34 Abs. 1 BNatSchG. Die Verweisung in § 36 Satz 2 BNatSchG kann also nur

bedeuten, dass § 36 BNatSchG als lex specialis die §§ 34 i.V.m § 10 Abs. 1 Nr. 11

BNatSchG verdrängt, soweit es um emittierende Anlagen geht; andernfalls wäre § 36 Satz

2 BNatSchG unsinnig.1040 Bestätigt wird dieses Ergebnis auch durch die Gesetzgebungsma-

terialien, denn § 36 BNatSchG entspricht der Bestimmung des § 21 des Entwurfs der Bun-

desregierung zur Novelle des BNatSchG1041, die als Spezialvorschrift zur Umsetzung des

Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL gedacht war.1042

Obwohl durch den in § 36 Satz 2 BNatSchG enthaltenen Rückverweis die Durchführung

einer Verträglichkeitsprüfung sichergestellt wird, weicht § 36 BNatSchG in seiner Formu-

lierung von der des § 34 BNatSchG ab. Gemäß § 36 Satz 1 steht es nämlich der Genehmi-

gung einer Anlage entgegen, wenn zu erwarten ist, dass von dieser Anlagen, auch unter

Berücksichtigung von Summationseffekten, Emissionen ausgehen, die im Einwirkungsbe- 1038 Louis, BNatSchG, § 19a, Rn. 26; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 132; Weih-

rich, DVBl. 1999, S. 1700. 1039 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 132; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999,

S. 74. 1040 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 254 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 164; vgl.

dazu Jarass, NuR 2007, S. 371; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 77; Berner, Der Habitatschutz, S. 204; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 266.

1041 Der Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts des Naturschutzes und der Landschaftspflege, zur Umsetzung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften und zur Anpassung anderer Rechtsvorschriften der Bundesregierung, BR.- Drs. 636/96 vom 06.09.1996, S. 15 ff.

1042 So auch Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 255; Gellermann, Natura 2000, S. 164.

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reich der Anlage ein Gebiet gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogel-

schutzgebiet in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Be-

standteilen erheblich beeinträchtigen können und die Beeinträchtigungen nicht entspre-

chend § 19 Abs. 2 BNatSchG ausgeglichen werden können. Bedenken an einer gemein-

schaftsrechtskonformen Umsetzung bestehen vor allem, da diese Norm auf Emissionen im

Einwirkungsbereich der Anlage abstellt und die Unverträglichkeit von einer Nichtaus-

gleichbarkeit der Beeinträchtigungen abhängig macht.

Nach § 36 BNatSchG steht die zu erwartende Beeinträchtigung eines FFH- oder Vogel-

schutzgebietes nur dann der Genehmigung entgegen, wenn von dieser Anlage beeinträchti-

gende Emissionen ausgehen und das betroffene Gebiet sich im Einwirkungsbereich dieser

Anlage befindet. Fraglich ist in diesem Kontext, ob die Verwendung des Begriffs Emissio-

nen und die Begrenzung der Prüfpflicht auf den Einwirkungsbereich der Anlage mit den

Vorgaben der FFH-Richtlinie zu vereinbaren sind.

Problematisch könnte zunächst sein, dass § 36 BNatSchG generell auf Emissionen abstellt.

Emissionen sind in § 36 BNatSchG nicht definiert, so dass auf die Definition in § 3 Abs. 3

BImSchG abzustellen ist.1043 Danach sind Emissionen die von einer Anlage ausgehenden

Luftverunreinigungen, Geräusche, Erschütterungen, Licht, Wärme Strahlen und ähnliche

Erscheinungen.1044 Wenn aber nach § 36 BNatSchG allein auf den Charakter der Emission

als an der Quelle zu messende Umweltauswirkung abzustellen wäre, würde es dem Ansatz

des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL widersprechen, da es nach dessen Verständnis auf die im FFH-

Gebiet feststellbaren Einwirkungen ankommt.1045 Da jedoch § 36 BNatSchG ausdrücklich

bestimmt, dass es für die Beurteilung der Verträglichkeit entscheidend auf die Beeinträch-

tigung eines Gebietes ankommt, werden zum Maßstab der Verträglichkeitsprüfung nicht

die von der Anlage ausgehenden Emissionen, sondern die im Gebiet ankommenden Immis-

sionen.1046 Der Gebrauch der Emission führt insoweit zu keinem Widerspruch zu Art. 6

Abs. 3 FFH-RL.

Des Weiteren erscheint es bedenklich, dass § 36 BNatSchG für die Relevanz von Emissio-

nen für die Verträglichkeitsprüfung auf den Einwirkungsbereich der Anlage abstellt. Die

1043 Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 268; Louis, BNatSchG, § 19e, Rn.

4. 1044 Vgl. Jarass, BImSchG, § 3, Rn. 11 f.; Kotulla, in: Kotulla, BImSchG, § 3, Rn. 57 ff.; Koch, in:

Koch/Scheuing/Pache, GK-BImSchG, § 3, Rn. 287 ff.; Gassner, NuR 1999, S. 82. 1045 Vgl. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 268; Louis, BNatSchG, § 19e,

Rn. 4. 1046 Louis, BNatSchG, § 19e, Rn. 4; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S.

268.

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Kommission vertritt hier den Standpunkt, dass es trotz der Handhabung der deutschen Pra-

xis nicht ausgeschlossen ist, dass der Einwirkungsbereich mit der tatsächlichen Reichweite

einer schädlichen Beeinträchtigung nicht übereinstimmt und folglich Anlagen genehmigt

werden könnten, die nach Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL grundsätzlich unzulässig wären.1047

Der Einwirkungsbereich einer Anlage wird im deutschen Immissionsschutzrecht als Um-

gebung einer Quelle, in der der von der Quelle ausgehende Immissionsbeitrag bei Normal-

betrieb oder bei Störfällen noch nachweisbar ist, definiert.1048 Diese Allgemeine Definition,

die einen kausalen und damit auch einen belegbaren Zusammenhang zwischen dem Vorha-

ben und seiner erheblich beeinträchtigenden Wirkung auf das Schutzgebiet voraussetzt,

stimmt mit den Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL überein.1049 Auch bei der

von der Kommission1050 erwähnten Bestimmung in 4.6.2.5 der TA-Luft1051, nach der die

Berechnung eines sog. „Beurteilungsgebietes“ in erster Linie anhand der Schornsteinhöhe

einer Anlage erfolgt, ist eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung möglich.1052 Denn

das Beurteilungsgebiet ist mit dem Einwirkungsbereich nicht identisch, sondern liefert nur

einen Anhaltspunkt für die Bestimmung des Einwirkungsbereichs, der im Einzelfall Ab-

weichungen zulässt.1053 Anders als die TA-Luft wird in 2.2 der TA-Lärm1054 der Einwir-

kungsbereich definiert. Hiernach wird der Einwirkungsbereich von den Flächen gebildet, in

denen die von einer Anlage ausgehenden Geräusche einen Beurteilungspegel verursachen,

der weniger als 10 dB(A) unter dem für diese Flächen maßgebenden Immissionsrichtwert

liegt oder bestimmte Geräuschspitzenursachen, die den für die Beurteilung maßgebenden

Immissionsrichtwert erreichen. Jedoch ist durchaus denkbar, dass es bei lärmempfindlichen

Arten, für die ein Schutzgebiet ausgewiesen wurde, bereits bei geringerer Lärmbelastung

1047 Europäische Kommission, NuR 2000, S. 626; vgl. dazu EuGH, ZUR 2006, S. 135, Rn. 43; Palme, NuR

2007, S. 244. 1048 Vgl. Kotulla, in: Kotulla, BImSchG, § 3, Rn. 34; Jarass, BImSchG, § 3, Rn. 33; Fisahn, ZUR 2001, S.

255; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 256; Lechelt, in: Koch/Scheuing/Pache, GK-BImSchG, § 26, Rn. 16; OVG Lüneburg, GewArch, 1980, S. 206.

1049 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 256; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 70.

1050 Europäische Kommission, NuR 2000, S. 626. 1051 Erste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes–Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung

zur Reinhaltung der Luft – TA Luft) vom 24. Juli 2002, GMBl. 2002, S. 511. 1052 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 256; Fisahn, ZUR 2001, S. 255. 1053 Fisahn, ZUR 2001, S. 255; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 256 f.; Lechelt, in:

Koch/Scheuing/Pache, GK-BImSchG, § 26, Rn. 14 f. 1054 Sechste Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundes-Immissionsschutzgesetz (Technische Anleitung

zum Schutz gegen Lärm – TA-Lärm) vom 26.08.1998, GMBl. 1998, S. 503.

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zu erheblichen Beeinträchtigungen kommen kann.1055 Durch die Bezugnahme auf feste

Grenzwerte ist die TA-Lärm dabei auch nicht im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL

auslegbar.1056 Folglich ist festzustellen, dass die TA-Lärm im Gegensatz zur TA-Luft als

Maßstab für eine emissionsbezogene Verträglichkeitsprüfung ungeeignet ist.1057 Die Um-

setzung des § 36 BNatSchG bleibt insoweit hinter den Vorgaben des Gemeinschaftsrechts

zurück.

Problematisch erscheint schließlich die Bestimmung des § 36 BNatSchG, dass Beeinträch-

tigungen durch Emissionen dann nicht der Genehmigung einer Anlage entstehen, wenn die

Beeinträchtigungen entsprechend § 19 Abs. 2 BNatSchG ausgeglichen werden können. So

wird die Genehmigungsversagung einer emittierenden zusätzlich von der Ausgleichbarkeit

der Beeinträchtigung abhängig gemacht. Die Bezugnahme auf § 19 Abs. 2 BNatSchG stellt

dabei einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht dar, denn die Systematik des Art. 6

Abs. 3 und 4 FFH-RL sieht Ausgleichsmaßnahmen erst vor, wenn keine Alternativlösung

vorliegt und ein zwingender Ausnahmegrund im Sinne des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL vorhan-

den ist.1058 Das heißt, erst wenn sich auf der Ebene der Prüfung der Beeinträchtigung die

Zulassungsfähigkeit erweist, kommt dem Aspekt des Ausgleichs Bedeutung zu.1059 § 36

BNatSchG kommt hingegen zu dem Ergebnis, dass auch Anlagen, die ein Gebiet erheblich

beeinträchtigen könnten, ohne Vorliegen eines der eng gefassten Ausnahmetatbestände

zugelassen werden können, wenn nur ein Ausgleich nach § 19 Abs. 2 BNatSchG möglich

ist.1060 Die Regelung des § 36 BNatSchG ist insoweit als defizitär anzusehen und das hier-

1055 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 257; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-

Verträglichkeitsprüfung, S. 275; Louis, BNatSchG, § 19e, Rn. 7; Wirths, ZUR 2000, S. 196. 1056 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 257. 1057 Vgl. dazu Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 275; Louis, BNatSchG, §

19e, Rn. 7; a.A. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 257. 1058 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 258; Jarass, NuR 2007, S. 375; Fisahn,

ZUR 2001, S. 255; Gellermann, Natura 2000, S. 174 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 205 f.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 276; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 43; Europäische Kommission, NuR 2000, S. 625; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 149; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 75; Cosack, UPR 2002, S. 257; Niederstadt, NuR 1998, S. 525; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 69; a.A. Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 77.

1059 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 174; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 276.

1060 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 258; Gellermann, Natura 2000, S. 174; Kirch-hof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 276; Koch, Europäisches Habitatschutz-recht, S. 43 f.

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durch begründete Defizit kann wegen des eindeutigen Wortlauts der Norm durch eine richt-

linienkonforme Auslegung nicht korrigiert werden.1061

bb) Erlaubnis- oder bewilligungspflichtige Gewässerbenutzungen: die Regelung des §

6 Abs. 2 WHG

Eine dem § 36 BNatSchG durchaus vergleichbare Sonderregelung findet sich in § 6 Abs. 2

WHG. Danach sind Erlaubnis oder Bewilligung für Wasserbenutzungen zu versagen, wenn

von der beabsichtigten Benutzung eine erhebliche Beeinträchtigung eines Gebietes von

gemeinschaftlicher Bedeutung, eines Europäischen Vogelschutzgebietes oder eines Kon-

zertierungsgebietes im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG in seinen für die Erhaltungs-

ziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen zu erwarten ist und die Beein-

trächtigung nicht entsprechend § 19 Abs. 2 Satz 2 Satz 1 bis 3 BNatSchG ausgeglichen

werden kann. § 6 Abs. 2 WHG soll gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 WHG keine Anwendung fin-

den, wenn die Voraussetzungen des § 34 Abs. 3 i.V.m Abs. 4 BNatSchG vorliegen.

Schließlich erklärt § 6 Abs. 2 Satz 3 WHG die Regelungen der §§ 34 Abs. 1, 5 und 37 Abs.

2 BNatSchG für entsprechend anwendbar.

Wie aus der Verweisung in § 36 Abs. 2 BNatSchG folgt auch aus der Bezugnahme des § 6

Abs. 2 Satz 3 WHG auf §§ 34 Abs. 1, 5 und 37 Abs. 2 BNatSchG, dass § 6 Abs. 2 WHG

als lex specialis gegenüber den naturschutzrechtlichen Regelungen der Verträglichkeitsprü-

fung konstruiert wurde.1062 Mit der Verweisung auf § 34 Abs. 1 BNatSchG schließt § 6

Abs. 2 WHG dabei an die Projektdefinition des § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG an, stellt

aber abweichend von § 10 Abs. 1 Nr. 11 und § 36 BNatSchG nicht darauf ab, ob die erheb-

lichen Beeinträchtigungen auch im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen

eintreten können. Da dieses Merkmal Teil der Projektdefinition nach § 10 Abs. 1 Nr. 11

BNatSchG ist, gilt die Regelung auch im Rahmen des § 6 Abs. 2 WHG; ansonsten wäre die

Vorschrift nicht richtlinienkonform.1063

§ 6 Abs. 2 Satz 1 WHG gilt ebenso wie § 36 Satz 1 BNatSchG als defizitär, als darin vor-

gesehen wird, dass die Erlaubnis oder Bewilligung einer erheblich beeinträchtigenden Ge-

1061 Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 276; Leist, Lebensraumschutz, S.

216; a.A. Niederstadt, NuR 1998, S. 525; Louis, BNatSchG, § 19e, Rn. 9. 1062 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 259; Jarass, NuR 2007, S. 372; Kirch-

hof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 266. 1063 Louis, BNatSchG, § 19e, Rn. 13; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S.

278 f.; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 259.

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wässerbenutzung erteilt werden darf, wenn die Beeinträchtigung entsprechend § 19 Abs. 2

Satz 1 bis 3 BNatSchG ausgeglichen werden kann.1064 Fraglich ist jedoch, ob der dadurch

abgeschwächte Gebietschutz gegenüber den Vorgaben der FFH-Richtlinie unter Heranzie-

hung von § 6 Abs. 1 WHG zu beheben ist. Nach dieser Regelung ist eine beantragte Ge-

wässerbenutzung zu versagen, „soweit von der beabsichtigten Benutzung eine Beeinträch-

tigung des Wohls der Allgemeinheit, insbesondere eine Gefährdung der öffentlichen Was-

serversorgung zu erwarten ist, die nicht durch Auflagen oder durch Maßnahmen einer Kör-

perschaft des öffentlichen Rechts (§ 4 Abs. 2 Nr. 3) verhütet oder ausgeglichen wird“. Da-

bei erscheint es äußerst bedenklich, ob § 6 Art. 1 WHG neben der spezielleren Vorschrift

des § 6 Abs. 2 WHG überhaupt zur Anwendung kommen kann.1065 Und selbst wenn dies

der Fall wäre, würde auch § 6 Abs. 1 WHG zu einem weniger strengeren Gebietschutz füh-

ren als die FFH-Richtlinie vorsieht. Denn trotz der Ausgestaltung der Norm als repressives

Befreiungsverbot und dem darin eingeräumten Bewirtschaftungsermessen1066 eröffnet § 6

Abs. 1 WHG nach seinem klaren Wortlaut die Möglichkeit, dass eine Erlaubnis oder Be-

willigung trotz einer beeinträchtigenden Wirkung erteilt werden darf, wenn ein Ausgleich

stattfindet. Gerade dies wollen Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL aber verhindern.1067

Gemeinschaftswidrig ist § 6 Abs. 2 Satz 1 und 3 WHG auch insofern, als darin vorgesehen

wird, dass eine Verträglichkeitsprüfung für Vorhaben in Konzertierungsgebieten im Sinne

des § 10 Abs. 1 Nr. 7 BNatSchG durchzuführen ist.1068 Denn der Schutzstatus der Konzer-

tierungsgebiete wird nicht in Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL, sondern in Art. 5 Abs. 4 FFH-

RL geregelt, wonach auf diese Gebiete ausschließlich das Verschlechterungs- und Stö-

rungsgebot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Anwendung finden soll. Das Spezialitätsverhältnis

von Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL gegenüber dem Verschlechterungsverbot wird damit für

Konzertierungsgebiete ausdrücklich aufgehoben.1069 In Konzertierungsgebieten findet da-

1064 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 258; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und

Raumordnung, S. 27; Jarass, NuR 2007, S. 375; Leist, Lebensraumschutz, S. 216; Gellermann, Natura 2000, S. 174 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 215 f.; Koch, Europäisches Habitatschutzrecht, S. 43 f.; Stef-fen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 75; Cosack, UPR 2002, S. 257; Fi-scher-Hüftle, ZUR 1999, S. 69; a.A. Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 77.

1065 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 260; Berner, Der Habitatschutz, S. 216; Cosack, UPR 2002, S. 257.

1066 Vgl. hierzu Czychowski/Reinhardt, WHG, § 6, Rn. 28 ff.; Pape, in: Lohmann/Rohmer, Umweltrecht III, WHG, § 6, Rn. 2.

1067 So Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 260. 1068 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 260 f.; Kirchhof, Die Implementierung

der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 279; Louis, BNatSchG, § 19e, Rn. 14. 1069 Vgl. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 279; Gellermann, Natura

2000, S. 154.

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her grundsätzlich keine Verträglichkeitsprüfung statt. Art. 5 Abs. 4 FFH-RL sieht somit

einen strengeren Gebietsschutz als die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 und 3 WHG vor,

denn untersagt sind nach Art. 5 Abs. 4 FFH-RL alle Verschlechterungen im Sinne von Art.

6 Abs. 2 FFH-RL ungeachtet ihrer Erheblichkeit und ohne ein Ausnahmezulassungsverfah-

ren zuzulassen. Die Regelung des § 6 Abs. 2 Satz 1 und 3 WHG ist folglich defizitär, da sie

zu einer erheblichen Abschwächung des von der Richtlinie vorgesehenen Schutzregimes

für Konzertierungsgebiete führt.1070

2. Die Regelung des § 34a BNatSchG

Durch das Gentechnikneuordnungsgesetz (GenTG) vom 21.12.20041071 wurde die Rege-

lung des § 34a BNatSchG mit der Überschrift „Gentechnisch veränderte Organismen“ in

das Bundesnaturschutzgesetz eingefügt. Diese Regelung erstreckt im Wesentlichen die

FFH-Verträglichkeitsprüfung auf die Freisetzung von genetisch veränderten Organismen

und auf die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung von Produkten, die solche

Organismen enthalten. Die Vorschrift wurde in die Vorschriften zum Aufbau des Netzes

Natura 2000 (§§ 32 ff. BNatSchG) eingefügt und gilt daher nur für europäische Schutzge-

biete. Der Sache nach stellt sie klar, dass der Einsatz von gentechnisch veränderten Orga-

nismen im Sinne des § 3 Nr. 3 GenTG in Natura 2000-Gebieten eine Maßnahme im Sinne

des § 34 Abs. 1 BNatSchG darstellt und damit einer Verträglichkeitsprüfung unterliegt.1072

Es handelt sich damit also um eine spezielle Norm zur Definition eines Projekts im Sinne

des § 10 Ab. 1 Nr. 11 BNatSchG1073 mit folgendem Wortlaut:

Auf

1. Freisetzungen gentechnisch veränderter Organismen und

2. die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Nutzung von rechtmäßig in Verkehr ge-

brachten Produkten, die gentechnisch veränderte Organismen enthalten oder aus solchen

bestehen, sowie den sonstigen, insbesondere auch nicht erwerbswirtschaftlichen, Umgang

mit solchen Produkten, der in seinen Auswirkungen den vorgenannten Handlungen ver-

1070 Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 279; Koch, Die Verträglichkeits-

prüfung der FFH-Richtlinie, S. 260 f.; Louis, BNatSchG, § 19e, Rn. 14. 1071 BGBl. I 2005, S. 186. 1072 Palme/Schumacher, NuR 2007, S. 17; Palme, ZUR 2005, S. 124; Meßerschmidt/Schumacher,

BNatSchG, § 34a, Rn. 3; ausführlich dazu Winter, NuR 2007, S. 571ff. 1073 Palme/Schumacher, NuR 2007, S. 17; Palme, ZUR 2005, S. 124; Meßerschmidt/Schumacher,

BNatSchG, § 34a, Rn. 5; Palme/Schumacher, Kurzgutachten, S. 4.

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gleichbar ist, innerhalb eines Gebiets von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Euro-

päischen Vogelschutzgebiets,

soweit sie, einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen, geeignet

sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzge-

biet erheblich zu beeinträchtigen, ist § 34 Abs. 1 und 2 entsprechend anzuwenden.

Die Vorschrift folgt dabei der Systematik des deutschen Gentechnikrechts und unterschei-

det in seinen Nr. 1 und 2 zwischen Freisetzungen nach §§ 3 Nr. 5, 14 Abs. 1 Nr. 1, 16 Abs.

1 GenTG und für die Vermarktung zugelassenen Produkten nach §§ 3 Nr. 6, 14 Abs. 1 Nr.

2-4, 16 Abs. 2 GenTG. Während es bei der experimentellen Freisetzung (Nr.1) darum geht,

wissenschaftliche Erkenntnisse über Funktion, Erfolg oder auch Risiken des Konstrukts zu

erlangen, geht es beim Anbau zugelassener genetisch veränderten Organismen (Nr. 2) um

die kommerzielle Nutzung der Organismen.1074 Die Unterscheidung zwischen Nr. 1 und Nr.

2 in § 34a BNatSchG ist von praktischer Relevanz, da nämlich bei Freisetzungen auch au-

ßerhalb von Schutzgebieten eine Verträglichkeitsprüfung in Betracht kommen kann, wäh-

rend beim Einsatz bereits zugelassener Produkte nach Nr. 2 eine solche Prüfung nur für

innerhalb eines Gebietes vorschreibt.1075

Liegt ein Fall des § 34a Nr. 1 oder Nr. 2 BNatSchG vor, soll aber nicht zwingend eine Ver-

träglichkeitsprüfung durchgeführt werden. Die Pflicht zur Durchführung einer Verträglich-

keitsprüfung besteht erst dann, wenn der Einsatz von genetisch veränderten Organismen

dazu geeignet ist, einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen ein

Schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen. Mit dieser Formulierung handhabt der Gesetz-

geber das Kriterium der erheblichen Beeinträchtigung anders als bei den übrigen Vorschrif-

ten zur Verträglichkeitsprüfung. Während es in §§ 34 Abs. 2 und 36 Satz1 BNatSchG re-

gelmäßig auf das Schutzgebiet „in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck

maßgeblichen Bestanteilen“ bezogen und damit eingeschränkt wird, ist nach dem Wortlaut

von § 34a BNatSchG Gegenstand der Beeinträchtigung das Gebiet in seiner Gesamtheit.

Dies kann eigentlich dafür ein Indiz sein, dass der Gesetzgeber wegen des Gefahrenpoten-

zials der Gentechnik auf die gewohnten Differenzierungen und Einschränkungen verzich-

ten will.1076

1074 Palme/Schumacher, NuR 2007, S. 17; vgl. dazu ausführlich Meßerschmidt/Schumacher, BNatSchG, §

34a, Rn. 8 ff. 1075 Palme/Schumacher, NuR 2007, S. 18; Meßerschmidt/Schumacher, BNatSchG, § 34a, Rn. 10. 1076 Vgl. Meßerschmidt/Schumacher, BNatSchG, § 34a, Rn. 18; kritisch dazu Möller/Raschke/Fisahn, Eu-

rUP 2006, S. 209 f.

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Auffällig ist zudem, dass §34a BNatSchG nicht auf den gesamten § 34 BNatSchG, sondern

nur auf dessen Absätze 1 und 2 verweist. Damit bringt der Gesetzgeber deutlich zum Aus-

druck, dass bei Gebietsbeeinträchtigungen in Natura 2000-Gebieten durch genetisch verän-

derten Organismen eine Abweichungsverfahren nach § 34 Abs. 3-5 BNatSchG, welches

trotz der Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung aus überwiegenden Interessen des

Allgemeinwohls im Einzelfall doch noch zu einer Verwirklichung des Projekts führen

kann, nicht anwendbar ist. Zur Begründung verweist er schlicht auf das Risiko und die ho-

he Gefährdung der Natura 2000-Gebiete.1077

II. Planbezogene Verträglichkeitsprüfung

1. Die Grundregeln der §§ 35, 10 Abs. 1 Nr. 12 i.V.m. 34 Abs. 1 BNatSchG

In Umsetzung des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ordnet das Bundesnaturschutzgesetz nicht

nur für Projekte, sondern auch für Pläne die Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung

an. Der gemeinschaftsrechtlich vorgegebenen Verpflichtung, schutzgebietsrelevante Pläne

einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen, soll durch die Regelungen der §§ 35, 10 Abs.

1 Nr. 12 BNatSchG und die ergänzend hinzutretenden Vorschriften der §§ 1a Abs. 2 Nr. 4

BauGB, 7 Abs. 7 ROG nachgekommen werden. Entscheidende Bedeutung kommt indes §

35 BNatSchG zu, der die Bestimmung des § 34 BNatSchG für Pläne, die in § 10 Abs. 1 Nr.

12 BNatSchG legaldefiniert sind, für entsprechend anwendbar erklärt. Durch den Verweis

des § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG wird sichergestellt, dass sich gebietsrelevante planeri-

sche Akte einer Verträglichkeitsprüfung stellen müssen.1078

a) Der Planbegriff

Der Bundesgesetzgeber hat in § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG eine Legaldefinition für den

Planbegriff aufgenommen. Danach sind Pläne solche Entscheidungen in vorgelagerten be-

hördlichen Verfahren, die bei der Entscheidung zu beachten oder zu berücksichtigen sind,

soweit sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten geeignet

sind, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogelschutzge-

1077 Vgl. Palme/Schumacher, NuR 2007, S. 19; Meßerschmidt/Schumacher, BNatSchG, § 34a, Rn. 21. 1078 Gellermann, Natura 2000, S. 165.

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biet erheblich zu beeinträchtigen. Der Planbegriff des § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG setzt

sich somit - wie der Projektbegriff des § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG - aus zwei Elementen

zusammen. Das erste Definitionselement grenzt den Kreis relevanter Akte ein; das zweite

Element, das auf Gebietsrelevanz abstellt, entscheidet darüber, ob ein planerischer Akt als

Plan zu begreifen ist und dementsprechend nach § 35 BNatSchG einer Verträglichkeitsprü-

fung zu unterziehen ist.1079

aa) Relevante planerische Akte

Im Gegensatz zu der projektbezogenen Bestimmung des § 34 BNatSchG Abs. 1 BNatSchG

spricht § 35 BNatSchG nicht einfach nur von Plänen, sondern führt einzelne planerische

Akte ausdrücklich auf. Konkret genant sind hierbei: Linienbestimmungen nach § 16 des

Bundesfernstraßengesetzes (FStrG), § 13 des Bundeswasserstraßengesetzes (WaStrG) oder

§ 2 Abs. 1 des Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetzes (VerkPBG) sowie Raum-

ordnungspläne im Sinne des § 3 Abs. 7 des Raumordnungsgesetzes (ROG), Bauleitpläne

und schließlich Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 des Baugesetzbuches (BauGB).

Diese Aufzählung ist dabei nicht abschließend, denn § 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG spricht

ausdrücklich auch „ sonstige Pläne“ an, für deren Vorliegen die Legaldefinition des § 10

Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG maßgeblich ist.1080

Fraglich ist im Zusammenhang mit der Plandefinition des § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG

jedoch, ob sie sich nur auf den Planbegriff der „sonstigen Pläne“ in § 35 Satz 1 Nr. 2

BNatSchG oder auf alle in § 35 BNatSchG genannten Vorhaben beziehen soll. Zunächst

könnte der Wortlaut der Vorschrift für ersteres sprechen. Denn er ordnet scheinbar die ent-

sprechende Anwendung des § 35 BNatSchG ausnahmslos für alle konkret benannten Vor-

haben an und ohne dass, es auf die Prüfung des § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG ankommt, ob

das Vorhaben einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Plänen und Projekten geeig-

net ist, ein Schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen.1081 Eine gemeinschaftsrechtliche

Auslegung führt auch zum selben Ergebnis, da es dem Bundesgesetzgeber bei der Umset-

1079 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 166. 1080 Gellermann, Natura 2000, S. 166; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 266; Louis,

BNatSchG, § 19d, Rn. 5. 1081 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 268; Berner, Der Habitatschutz, S. 198;

Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 186; Louis, BNatSchG, § 19d, Rn. 1.

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zung der Richtlinie unbenommen ist, verstärkte Schutzmaßnahmen zu ergreifen.1082 Denn

die FFH-Richtlinie basiert auf den Umweltschutzvorschriften des EGV, und gemäß Art.

176 EGV ist eine Verschärfung möglich, sofern sie mit dem EGV vereinbar ist. Wäre die

Plandefinition des § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG auf die konkret benannten Vorhaben nicht

anwendbar, dann müsste ohne Vorprüfung stets eine Verträglichkeitsprüfung durchzufüh-

ren sein, was dem Gebietschutz sogar noch zuträglich sein würde. Das Fehlen der in Art.

176 Satz 2 EGV vorgesehenen Notifizierung der Kommission würde dabei nicht zu einer

Gemeinschaftswidrigkeit führen, da hierbei keine Bestätigung durch die Kommission er-

forderlich ist und es sich daher insoweit lediglich um eine Anzeigepflicht der jeweils zu-

ständigen rechtsetzenden Organe handelt.1083 Jedoch sprechen die besseren Gründe für eine

Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG auf alle in § 35 BNatSchG genannten Vor-

haben. Denn erstens betitelt die amtliche Überschrift des § 35 BNatSchG alle dort genann-

ten Vorhaben als „Pläne“ und macht den Weg für eine Anwendung des § 10 Abs. Nr. 12

BNatSchG frei.1084 Zweitens lässt die Formulierung „sonstige Pläne“ in § 35 BNatSchG

den Gegenschluss zu, dass auch die in Nr. 1 der Norm genannten Vorhaben als Pläne ein-

zustufen sind.1085 Außerdem erscheint es aus verwaltungsökonomischen Gründen wenig

sinnvoll, pauschal bei allen Vorhaben des § 35 BNatSchG eine Verträglichkeitsprüfung

durchzuführen, ohne Blick auf ihre grundsätzliche Eignung zur erheblichen Beeinträchti-

gung eines Schutzgebietes.1086 Schließlich deuten auch die fehlende Notifizierung der

Kommission und die bei der bundesdeutschen Umsetzung der Richtlinie bestehende Ten-

denz zur Aufweichung des vorgesehenen Schutzregimes der FFH-Richtlinie auf diese Aus-

legung hin.1087

Um überhaupt als Plan im Sinne des § 35 BNatSchG in Betracht kommen zu können, müs-

sen planerische Akte nach § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG zudem bei behördlichen Ent-

scheidungen zu beachten oder zu berücksichtigen sein. Demnach muss es sich um Akte

handeln, die zwar isoliert betrachtet noch keine negativen Wirkungen entfalten können,

aber für nachfolgende Entscheidungen etwa im Zusammenhang mit der Zulassung von Pro-

1082 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 268; Berner, Der Habitatschutz, S. 199;

dazu auch Callies, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 176, Rn. 1 ff. 1083 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 268 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 199; vgl.

dazu auch Callies, in: Callies/Ruffert, EGV, Art. 176, Rn. 14. 1084 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 269. 1085 Berner, Der Habitatschutz, S. 200, Fn. 942; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S.

269. 1086 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 269; Berner, Der Habitatschutz, S. 200. 1087 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 269; Berner, Der Habitatschutz, S. 199 f.

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jekten bedeutsam sind.1088 Diese Entscheidungsrelevanz ist dort gegeben, wo Folgeent-

scheidungen durch den jeweiligen Akt vollständig oder teilweise determiniert werden.1089

Ausreichend ist aber bereits, wenn seine Inhalte im Rahmen nachfolgender Entscheidungs-

verfahren zwar nicht zwingend zu beachten, zumindest aber zu berücksichtigen sind.1090

Folglich bestehen in diesem Aspekt keine Bedenken hinsichtlich der Gemeinschaftskon-

formität der Norm.

bb) Gebietsrelevanz

Um als Plan im Sinne des § 35 BNatSchG eingestuft werden zu können, müssen die vor-

beizeichneten Akte nach § 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG geeignet sein, einzeln oder im Zu-

sammenwirken mit anderen Plänen oder Projekten ein Schutzgebiet erheblich zu beein-

trächtigen. Diese Formulierung entspricht weitgehend der des § 10 Abs. 1 Nr. 11

BNatSchG. Aufgrund dieser Übereinstimmung kann auf die Erläuterungen zur projektbe-

zogenen Verträglichkeitsprüfung1091 verwiesen werden.

Pläne, die der unmittelbaren Verwaltung eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung

oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes dienen, sind keine Pläne nach § 10 Abs. 1

Nr. 12, 2. Halbsatz BNatSchG und sind damit von der Verträglichkeitsprüfung ausgenom-

men. Diese Regelung stimmt insoweit mit Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL überein. Folglich

müssen Planungen zur ökologischen Optimierung der Gebiete und die im Zusammenhang

des Gebietsmanagements gegebenenfalls notwendig werdenden Pflege- und Entwicklungs-

konzepte keiner Verträglichkeitsprüfung unterzogen werden.1092

b) Verweis auf § 34 Abs. 1 BNatSchG

Durch den Verweis des § 35 BNatSchG auf § 34 Abs. 1 BNatSchG wird sichergestellt,

dass sämtliche Pläne vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit

den Erhaltungszielen eines FFH-Schutzgebietes oder eines besonderen Vogelschutzgebie-

1088 Gellermann, Natura 2000, S. 166; Berner, Der Habitatschutz, S. 201. 1089 Gellermann, Natura 2000, S. 166; Kador, FFH-Richtlinie, S. 73. 1090 Gellermann, Natura 2000, S. 166; Berner, Der Habitatschutz, S. 201. 1091 Vgl. dazu oben 3. Teil, F. I. 1092 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 167; Louis, BNatSchG, § 19a, Rn. 34; Berner, Der Habitatschutz, S.

200; Kador, FFH-Richtlinie, S. 73 f.

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217

tes zu überprüfen sind. Sie unterliegen damit jenen Anforderungen, die auch für Projekte

gelten. Insoweit kann auf die Ausführungen der projektbezogenen Verträglichkeitsprüfung

verwiesen werden.

2. Raumordnungspläne

Eine Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung für gebietsrelevante Raum-

ordnungspläne lässt sich - im Gegensatz zu sonstigen Plänen - aus § 35 BNatSchG nicht

herleiten. Für Raumordnungspläne im Sinne des § 3 Nr. 7 ROG erklärt § 35 Satz 1 Nr. 2

BNatSchG die Bestimmung des § 34 BNatSchG „mit Ausnahme des § 34 Abs. 1 Satz 1„

für anwendbar. Durch die Nichtverweisung auf § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG wird für

Raumordnungspläne dabei nicht explizit die Pflicht zur Vornahme einer Verträglichkeits-

prüfung gefordert, da sie Voraussetzung für eine sinnvolle Anwendung der übrigen Vor-

schriften des § 34 BNatSchG ist.1093 Diese Besonderheit erklärt sich mit dem Umstand,

dass der Bundesgesetzgeber davon ausging, dass mit dem Erlass des § 7 Abs. 7 Satz 3 und

4 ROG1094 die Vorgaben der FFH-Richtlinie hinsichtlich der Verträglichkeitsprüfungs-

pflicht für Raumordnungspläne ausreichend umgesetzt worden sei und deswegen eine dop-

pelte Anordnung der Verträglichkeitsprüfungspflichtigkeit zu vermeiden sei.1095

Die Regelung des § 7 Abs. 7 Satz 3 und 4 ROG beinhaltet jedoch nicht eindeutig eine Ver-

pflichtung zur Vornahme einer Verträglichkeitsprüfung im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1

FFH-RL.1096 Denn § 7 Abs. 7 Satz 3 ROG bestimmt, dass sonstige öffentliche Belange in

der raumordnerischen Abwägung zu berücksichtigen sind, soweit sie auf der jeweiligen

Planungsebene erkennbar und von Bedeutung sind. Des Weiteren sind nach Satz 4 Halb-

satz 1 dieser Norm in der Abwägung auch die Erhaltungsziele oder der Schutzzweck der

1093 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 282 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht

und Raumordnung, S. 111; Metz, BauR 1999, S. 851. 1094 Vor der Änderung durch Art. 2 Nr. 5 c des Gesetzes zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-

Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) vom 24.06.2004, BGBl. 2004, S. 1380 han-delte es sich um Sätze 2 und 3. Diese Regelung zählt dabei zu den gemäß § 69 Abs. 1 BNatSchG nur ü-bergangsweise unmittelbar geltenden Vorschriften.

1095 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/6392 vom 04.12.1996, S. 42 f.; dazu auch Gellermann, Natura 2000, S. 167; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 283; Louis, BNatSchG, § 19d, Rn. 6; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 78; Berg, Europäisches Naturschutz-recht und Raumordnung, S. 112; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 197; Schink, GewArch 1998, S. 42; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 146; Weihrich, DVBl. 1999, S. 1698; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 293 f.; Erbguth, NuR 2000, S. 131 f.

1096 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 283; Erbguth, NuR 2000, S. 132; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 108.

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Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung und der Europäischen Vogelschutzgebiete im

Sinne des Bundesnaturschutzgesetzes zu berücksichtigen. Diese Vorschrift, die bloß eine

Berücksichtigung anordnet, kann nicht als Anordnung einer Verträglichkeitsprüfung ver-

standen werden. Denn eine bloße Berücksichtigung von Belangen in der planerischen Ab-

wägung ist nicht identisch mit der Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung, welche ein

grundsätzlich abwägungsresistentes Ergebnis nach sich zieht.1097 Berücksichtigungsrege-

lungen stellen grundsätzlich nur abwägungsüberwindbare Belange dar.1098

Es bleibt daher zu untersuchen, ob die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprü-

fung aus der Regelung des § 7 Abs. 7 Satz 4 Halbsatz 2 ROG abzuleiten ist. Für den Fall

möglicher erheblicher Beeinträchtigungen ordnet diese Norm – so wörtlich – die Anwen-

dung „der Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes über die Zulässigkeit oder Durch-

führung von derartigen Eingriffen sowie die Einholung der Stellungnahme der Kommission

(Prüfung nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie)“ an. Die Formulierung der Vorschrift

erscheint dabei mehrdeutig. Die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchtigung ist sowohl

(als Ergebnis der Vorprüfung) Voraussetzung für die Notwendigkeit einer Verträglich-

keitsprüfung als auch bei Vorliegen einer hohen Eintrittswahrscheinlichkeit (als Ergebnis

der Verträglichkeitsprüfung) Voraussetzung für eine Prüfung, ob eine ausnahmsweise Zu-

lässigkeit eines beeinträchtigten Planes entsprechend § 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG in Be-

tracht kommt.1099 In diesem Kontext spricht der in den Gesetzestext aufgenommene Klam-

merzusatz jedoch eher für eine Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung im

Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL. Denn der pauschale Verweis auf eine „Prüfung

nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie“ kann als Hinweis auf eine komplett durchzufüh-

rende Verträglichkeitsprüfung verstanden werden.1100 Da aber bei potentieller Eignung zur

1097 Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 198; Koch, Die Verträglichkeits-

prüfung der FFH-Richtlinie, S. 283; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 108; a.A. Gellermann, Natura 2000, S. 169; Erbguth, NuR 2000, S. 132, die die Pflicht zur Durchführung einer Ver-träglichkeitsprüfung für Raumordnungspläne aus § 7 Abs. 7 Halbsatz 1 ROG ableiten. Zu beachten ist da-bei, dass potentielle Beeinträchtigungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle allenfalls als abwägungsre-levante Belange bewertet werden können. Ebenso Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 198 f.; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 287, Fn. 891; Louis/Wolf, NuR 2002, S. 456.

1098 Vgl. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 198; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, Rn. 709; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 113.

1099 Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 198; Koch, Die Verträglichkeits-prüfung der FFH-Richtlinie, S. 283 f.; Gellermann, Natura 2000, S. 168; Berg, Europäisches Naturschutz-recht und Raumordnung, S. 110.

1100 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 284; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 199; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 112.

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erheblichen Beeinträchtigung die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes über die

Zulassung oder Durchführung von derartigen Eingriffen sowie Vorschriften über die Ein-

holung der Stellungnahme der Kommission anzuwenden sind, könnte auch einiges gegen

die erstgenannten Auslegungsmöglichkeit sprechen. Denn eine Entscheidung über die Zu-

lässigkeit bzw. Durchführung eines Plans kann erst nach durchgeführter Verträglichkeits-

prüfung getroffen werden, und auch die Stellungnahme der Kommission spielt erst in die-

sem Verfahrensabschnitt eine Rolle.1101

Berücksichtigt man jedoch die Regelungssystematik des § 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG, so

wird erkennbar, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung dieser Norm davon ausgegan-

gen ist, dass sich die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung für Raumord-

nungspläne aus einer Norm außerhalb des Bundesnaturschutzgesetzes ergibt.1102 Auch § 35

Satz 1 Nr. 2 BNatSchG verweist auf § 34 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2-5 BNatSchG, dessen An-

wendungsbereich voraussetzt, dass eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden

ist.1103 Zudem bringen auch die Materialien zum Gesetzgebungsverfahren zum Bau- und

Raumordnungsgesetz 1998 in historischer Hinsicht deutlich zum Ausdruck, dass der Ge-

setzgeber mit dem Erlass des § 7 Abs. 7 Satz 4 ROG die Anforderungen der FFH- und Vo-

gelschutzrichtlinie in nationales Recht umsetzen wollte.1104 Trotz der unglücklichen Formu-

lierung der Vorschrift kann mit dem Verweis in § 7 Abs. 7 Satz 4 Halbsatz 2 ROG, dass

„die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes über die Zulässigkeit oder Durchführung

von derartigen Eingriffen sowie die Einholung der Stellungnahme der Kommission anzu-

wenden sind (Prüfung nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie)“, daher nur gemeint sein,

dass auch bei Raumordnungsplänen eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen ist.1105

Diesbezüglich gehen einige Stimmen im Schrifttum zu Recht davon aus, dass die Formu-

lierung des § 7 Abs. 7 Sat 4 Halbsatz 2 ROG missverständlich ist.1106 Danach wäre es kon-

1101 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 284; Gellermann, Natura 2000, S. 168;

Erbguth, NuR 2000, S. 131 f.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 199. 1102 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 111; Gellermann, Natura 2000, S. 167;

Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 283. 1103 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 111; Wirths, Naturschutz durch europä-

isches Gemeinschaftsrecht, S. 293; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 282 f. 1104 Vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 13/6392 vom 04.12.1996, S. 42 f., die Begrün-

dung des Gesetzgebers bezieht sich zwar auf die Regelung des § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB, da diese Rege-lung jedoch insoweit mit § 7 Abs. 7 Satz 4 ROG übereinstimmt, können diese Ausführungen auch auf § 7 Abs. 7 Satz 4 ROG übertragen werden; so auch Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 112, Fn. 40; Berner, Der Habitatschutz, S. 228; Gellermann, Natura 2000, S. 167.

1105 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 112; Gatawis, Grundfragen eines europäi-schen Raumordnungsrechts, S. 158 f.

1106 So Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 111; vgl. dazu Koch, Die Verträglich-keitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 284 f.

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sequenter gewesen, diese Norm so zu formulieren, dass die Vorschriften des Bundesnatur-

schutzgesetzes dann zur Anwendung kommen, wenn ein Plan einzeln oder im Zusammen-

wirken mit anderen Plänen oder Projekten geeignet ist, ein Schutzgebiet erheblich zu be-

einträchtigen. Damit wäre auch eine Übereinstimmung mit der Regelung des § 10 Abs. 1

Nr. 12 BNatSchG geschaffen worden.

Eine europarechtskonforme Auslegung des § 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG i.V.m § 7 Abs. 7

Satz 4 Halbsatz 2 ROG soll folglich zu dem Ergebnis führen, dass § 7 Abs. 7 Satz 4 Halb-

satz 2 ROG in Verbindung mit den §§ 35 Satz 1 Nr. 2, 34 BNatSchG die Pflicht normiert,

bei Raumordnungsplänen eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, soweit sie geeignet

sind, die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck eines Schutzgebietes erheblich zu beein-

trächtigen.1107

3. Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 BauGB

Für Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs.4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ordnet § 35 Satz 2

BNatSchG die entsprechende Anwendung von § 34 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 bis 5 BNatSchG

an. Da hierbei der Begriff der Bauleitpläne als ein einheitlicher Oberbegriff verwendet

wird, gilt die Regelung grundsätzlich auch für Flächennutzungspläne, Bebauungspläne,

Vorhaben- und Erschließungspläne; erfasst sind zudem Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1

Nr. 3 BauGB (Ergänzungssatzungen).1108 Diese Vorschrift findet dagegen auf Satzungen

nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und 2 BauGB und § 35 Abs. 6 BauGB keine Anwendung.1109

§ 35 Satz 2 BNatSchG ähnelt dabei der Regelung des § 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG. So wird

ebenfalls in § 35 Satz 2 BNatSchG auf § 34 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich nicht verweisen.

Auch § 1a Abs. 4 BauGB, der die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie in das deut-

sche Bauplanungsrecht umsetzen soll, ordnet die Durchführung der Verträglichkeitsprü-

fung nicht ausdrücklich an, so dass sich für Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs. 4

Satz 1 Nr. 3 BauGB dieselbe Problematik wie bei den Raumordnungsplänen aus §§ 35 Satz

1107 In diesem Sinne auch Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 113 f.; Koch, Die

Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 285; Berner, Der Habitatschutz, S. 202; Koch, Europäi-sches Habitatschutzrecht, S. 26 ff.; Lüers, DVBl. 1998, S. 438.

1108 Vgl. Schink, UPR 1999, S. 419; Berner, Der Habitatschutz, S. 203; Louis, BNatSchG, § 19d, Rn. 7. Aus-führlich zur Definition dieser Begrifflichkeiten siehe dazu Hoppe/Bönker/Grotefels, Öffentliches Baurecht, § 3, Rn, 26 ff., § 3, Rn. 33 ff. und § 7, Rn. 112 ff.; § 12, Rn. 162 ff.

1109 Für Satzungen nach § 34 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 und § 35 Bas. 6 BauGB wird die Verträglichkeitsprüfungs-pflicht aus der Regelung des § 35 Abs. 6 Satz 4 Nr. 3 BauGB abgeleitet.

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1 Nr. 2, 7 Abs. 7 ROG ergibt.1110 Daher kann im Wesentlichen auf die obigen Erläuterun-

gen zu den Raumordnungsplänen verwiesen werden. Zu beachten ist dabei, dass in der

neuen Fassung des § 1a Abs. 4 BauGB1111 der Klammerzusatz „(Prüfung nach der Fauna-

Flora-Habitat-Richtlinie)“ fehlt, der noch in der alten Fassung des § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB

enthalten war, und folglich nicht mehr als Indiz für eine Pflicht zur Durchführung einer

Verträglichkeitsprüfung gewertet werden kann, wie dies bei Raumordnungsplänen der Fall

ist. Dennoch ist auch aus der neuen Fassung des § 1a Abs. 4 BauGB eine indirekte Anord-

nung zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung abzuleiten.1112 Denn erstens macht

die durch § 1a Abs. 4 BauGB angeordnete Anwendung der Vorschriften des Naturschutz-

gesetzes über die Zulässigkeit oder Durchführung solcher Eingriffe nur Sinn, wenn vorab

eine Verträglichkeitsprüfung durchgeführt worden ist.1113 Zweitens waren den Materialen

des Gesetzgebungsverfahrens zufolge mit der neuen Fassung des § 1a Abs. 4 BauGB keine

materiellen Änderungen gegenüber der alten Fassung des § 1a Abs. 2 Nr. 4 BauGB beab-

sichtigt.1114 Die Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung für Bauleitpläne

und Satzungen folgt folglich aus § 35 Satz 2 BNatSchG i.V.m § 1a Abs. 4 BauGB.1115

Die Formulierung der alten Fassung des § 1a Abs. 2 BauGB war zudem insoweit proble-

matisch, als sie bestimmte, dass das Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung „in der Abwä-

gung nach § 1 Abs. 6 …auch zu berücksichtigen“ ist. Dies ist sowohl in der Praxis1116 als

auch im Schrifttum1117 auf breite Kritik gestoßen, weil die Ergebnisse einer Verträglich-

keitsprüfung grundsätzlich abwägungsfest sind und nicht durch die planerische Abwägung

im Sinne des § 1 Abs. 6 BauGB a.F. überwunden werden können. Die neue Fassung des §

1a BauGB hat diesen irrtümlichen Eindruck im Wesentlichen korrigiert. Denn § 1a Abs. 1

1110 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 285 f.; Kirchhof, Die Implementierung

der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 201 f. 1111 § 1a BauGB wurde durch Art. 1 Nr. 3 des am 20 Juli in Kraft getretenen Gesetzes zur Anpassung des

Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechtsanpassungsgesetz Bau – EAG Bau) vom 24.06.2004, BGBl. 2004 I, S. 1364 f. geändert.

1112 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 286; vgl. dazu Gellermann, Natura 2000, S. 169 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 203 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 76.

1113 Kador, FFH-Richtlinie, S. 76; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 286. 1114 Vgl. den „Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Baugesetzbuchs an EU-Richtlinien (Europarechts-

anpassungsgesetz Bau – EAG Bau)“ der Bundesregierung vom 17.12.2003, BT-Drs. 15/2250, S. 41; dazu auch Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 286; Schrödter, in: Schrödter, BauGB, § 1a, Rn. 2.

1115 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 286; Schubert, Harmonisierung, S. 203; Ka-dor, FFH-Richtlinie, S. 75 f.

1116 Vgl. etwa VG Stade, NuR 1999, S. 413 f. 1117 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 286 f.; Kirchhof, Die Implementierung

der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 198 f.; Louis/Wolf, NuR 2002, S. 456 f.; Berg, Europäisches Natur-schutzrecht und Raumordnung, S. 111; Möstl, DVBl 2002, S. 731; Schink, GewArch 1998, S. 49.

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BauGB ordnet nunmehr an, dass bei der Aufstellung der Bauleitpläne die nachfolgenden

Vorschriften – mithin auch Abs. 4 – „anzuwenden“ sind. § 1a Abs. 4 BauGB normiert da-

mit keine Berücksichtigungspflicht bei der Abwägung mehr, sondern begründet ein strikt

geltendes Recht.1118

Die neue Fassung des § 1a Abs. 4 BauGB hat dabei die Formulierung des alten § 1a Abs. 2

Nr. 4 BauGB, nach der „die Vorschriften des Bundesnaturschutzgesetzes über die Zuläs-

sigkeit und Durchführung von derartigen Eingriffen“ anzuwenden sind, behalten. Diese

Abweichung vom Beeinträchtigungsbegriff des Bundesnaturschutzgesetzes kann jedoch

nicht als Hinweis auf die Eingriffsregelung des § 18 Abs. 1 BNatSchG angesehen werden,

denn die Regelung des § 18 Abs. 1 BNatSchG würde aufgrund seiner unterschiedlichen

Zielrichtung den Prüfungsumfang der Verträglichkeitsprüfung im Bauplanungsrecht unzu-

lässig einschränken.1119

III. Der Verträglichkeitsgrundsatz

Die den Verträglichkeitsgrundsatz konstituierende Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 Satz 2

FFH-RL wurde im Wesentlichen durch § 34 Abs. 2 BNatSchG in bundesdeutsches Recht

umgesetzt. Diese Projektbezogene Regelung findet kraft der Anordnung des § 35

BNatSchG auf Pläne entsprechende Anwendung.

Gemäß § 34 Abs. 2 BNatSchG ist ein Plan oder Projekt unzulässig, wenn die Verträglich-

keitsprüfung ergibt, dass das Vorhaben zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Gebietes

von gemeinschaftlicher Bedeutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes in seinen

für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann.

Die Vorschrift begründet im Interesse des Gebietsschutzes ein prinzipiell strikt beachtli-

ches Zulassungshindernis, welches nur unter den in § 34 Abs. 3, 4 BNatSchG bezeichneten

Voraussetzungen überwunden werden kann.1120 Projekte oder Pläne, die derartige Beein-

trächtigungen auslösen können, dürfen daher grundsätzlich weder genehmigt noch zugelas-

sen werden. Der Wortlaut des § 34 Abs. 2 BNatSchG stellt insoweit klar, dass zur Aktivie-

1118 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 287; Krautzberger, in: Bat-

tis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1a, Rn. 34; Erbguth/Wagner, Grundzüge des öffentlichen Baurechts, § 3, Rn. 83.

1119 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 287; Schrödter, NuR 2001, S. 13; Schink, UPR 1999, S. 424; a.A. Düppenbecker/Greiving, UPR 1999, S. 176.

1120 Gellermann, Natura 2000, S. 170; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogel-schutzgebieten, S. 54 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 279.

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rung dieses Zulassungshindernisses nicht erforderlich ist, dass feststeht, dass die in Frage

stehenden Pläne oder Projekte im Fall ihrer Verwirklichung relevante Beeinträchtigungen

auslösen. § 34 Abs. 2 BNatSchG steht der Zulassung bereits dann entgegen, wenn das Vor-

haben zu negativen Auswirkungen führen kann. Die Norm lässt damit in Übereinstimmung

mit Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL bereits die Möglichkeit einer entsprechend gewichtigen

Einwirkung genügen.1121

Dabei unterscheidet sich die Regelung des § 34 Abs. 2 BNatSchG auffallend von der For-

mulierung des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, als sie anders als Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL

nicht von einer Beeinträchtigung des Gebietes als solchem, sondern von Beeinträchtigung

eines Gebietes „in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Be-

standteilen“ spricht. Der strenge Schutz der Verträglichkeitsprüfung erfasst nach § 34 Abs.

2 BNatSchG mithin nicht das gesamte Gebiet, sondern lediglich die Bestandteile, die für

die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblich sind. Daraus folgt, dass negative

Auswirkungen, die sich auf die Rand- oder Pufferzonen beschränken, der Zulässigkeit des

Vorhabens nicht entgegenstehen.1122

Berücksichtigt man jedoch den Aussagegehalt des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, bestehen

erhebliche Bedenken an der Europarechtskonformität des § 34 Abs. 2 BNatSchG. Die Aus-

führungen zu den europäischen Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL hat bereits ge-

zeigt, dass es sich bei der Gebietsbeeinträchtigung als solcher nicht um eine andere Um-

schreibung für die mangelnde Erhaltungszielkonformität, sondern um ein eigenständiges

Tatbestandsmerkmal handelt.1123 Zur Begründung kann erstens auf den Wortlaut des Art. 6

Abs. 3 Satz 2 FFH-RL verwiesen werden, der zwischen dem Ergebnis der Verträglich-

keitsprüfung und Beeinträchtigung des Gebietes als solches differenziert.1124 Dafür spricht

ferner die Differenzierung des Gemeinschaftsgesetzgebers in den einzelnen Absätzen des

Art. 6 FFH-RL zwischen dem jeweiligen Gebiet und seinen maßgeblichen Teilen. Denn

während das Verschlechterungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL nur für die in einem Ge-

biet vorkommenden schutzwürdigen Lebensraumtypen bzw. Habitaten Geltung entfaltet,

nimmt Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL ausdrücklich das Gebiet, und nicht bloß seine maßgeb-

1121 Gellermann, Natura 2000, S. 170; Kador, FFH-Richtlinie, S. 86; Kirchhof, Die Implementierung der

FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 68; Wrase, Rechtsschutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogel-schutzgebieten, S. 55.

1122 Schubert, Harmonisierung, S. 204; Cosack, UPR 2002, S. 251; Gellermann, Natura 2000, S. 171. 1123 Vgl. 2. Teil, E. II. 1124 Epiney, UPR 1997, S. 308; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 127.

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lichen Bestandteile, in Bezug.1125 Wenn Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL auf das Schutzgebiet

als Ganzes Bezug nimmt, so soll auch die mögliche Beeinträchtigung der Rand- oder Puf-

ferzonen, und nicht erst der maßgeblichen Gebietsbestandteile die Versagung der Zulässig-

keit eines Vorhabens nach sich ziehen. § 34 Abs. 2 BNatSchG bleibt folglich hinter den

Vorgaben der FFH-Richtlinie zurück, weil er die Versagung eines Plans oder Projekts nur

im Falle der Beeinträchtigung maßgeblicher Bestandteile eines Schutzgebietes nach sich

zieht.1126

Als problematisch erweist sich bei der Regelung des § 34 Abs. 2 BNatSchG zudem die

Qualität der Beeinträchtigungen. Die Vorschrift bestimmt, dass einem Vorhaben die Zulas-

sung grundsätzlich nur dann versagt werden darf, wenn die Beeinträchtigungen erheblich

sind. Zwar erscheint eine derartige Einschränkung zunächst angebracht, da das Gemein-

schaftsrecht mit Blick auf das Gesamtgebiet nicht jede noch so geringfügige Beeinträchti-

gung verhindern will. Zumal zwingt nicht jede möglicherweise eintretende Beeinträchti-

gung der Rand- oder Pufferzonen zur Versagung des Vorhabens.1127 Etwas anderes soll

jedoch nach der hier vertretenen Auffassung im Falle der Betroffenheit maßgeblicher Ge-

bietsbestandteile gelten.1128 Denn für eine negative Zulassungsentscheidung reicht grund-

sätzlich jede Beeinträchtigung der maßgeblichen Gebietsbestandteile aus, es sei denn, zu-

gunsten des Vorhabens würde eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL streiten.1129 § 34

Abs. 2 BNatSchG ist daher auch insoweit als defizitär anzusehen, als er die Unzulässigkeit

eines Vorhabens von der Erheblichkeit der Beeinträchtigung der maßgeblichen Gebietsbe-

standteile abhängig macht.1130

1125 Gellermann, Natura 2000, S. 173; Schubert, Harmonisierung, S. 204; Gellermann/Schreiber, NuR 2003,

S. 209; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2. 1126 Im Ergebnis ebenso Gellermann, Natura 2000, S. 173; Schubert, Harmonisierung, S. 204; Cosack, UPR

2002, S. 251; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 69; Beck-mann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 1 f.; Erbguth, in: Jarass, EG-Naturschutzrecht, S. 66; a.A. Wrase, Rechts-schutz gegen die Schaffung von FFH- und Vogelschutzgebieten, S. 56; Wirths, Naturschutz durch europäi-sches Gemeinschaftsrecht, S. 279; Kador, FFH-Richtlinie, S. 87; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 145; Berner, Der Habitatschutz, S. 188; Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 74; Steffen, Habi-tatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 74.

1127 Gellermann, Natura 2000, S. 173; Kador, FFH-Richtlinie, S. 87. 1128 Vgl. 2. Teil, D. V. 1. a). 1129 Gellermann, Natura 2000, S. 173; Schubert, Harmonisierung, S. 204; Kador, FFH-Richtlinie, S. 87;

Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 2. 1130 Gellermann, Natura 2000, S. 173 f.; Schubert, Harmonisierung, S. 204; Kador, FFH-Richtlinie, S. 87;

Berner, Der Habitatschutz, S. 190; Leist, Lebensraumschutz, S. 218; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 74 f.

Page 237: Das Schutzregime der FFH-Richtlinie und seine Umsetzung in nationales Recht Dr. Ahmet M. Güneş, LL.M. (Münster)

225

IV. Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz

Die gemeinschaftsrechtlich in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL eingeräumte Möglichkeit, Ausnahmen

vom Verträglichkeitsgrundsatz zuzulassen, hat ihre Umsetzung in § 34 Abs. 3-5 BNatSchG

gefunden. Diese Bestimmungen finden kraft der Anordnung des § 35 BNatSchG auf Pläne

entsprechende Anwendung und gelten nach Maßgabe der §§ 36 Satz 1 BNatSchG, 6 Abs. 6

Satz 2 WHG entsprechend für genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundesimmis-

sionsschutzgesetz und für Gewässerbenutzungen nach dem Wasserhaushaltsgesetz. Nach §

34 Abs. 3 BNatSchG kann ein Vorhaben in Abweichung zu § 34 Abs. 2 BNatSchG durch-

geführt werden, soweit dies aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Inte-

resses notwendig ist und zumutbare Alternative nicht existieren. § 34 Abs. 3 BNatSchG gilt

für nichtprioritäre Arten und Lebensräume, während § 34 Abs. 4 BNatSchG verschärfte

Anforderungen für den Fall des Betroffenseins von prioritären Biotopen und Arten trifft.

Aus § 34 Abs. 5 BNatSchG sind schließlich Verpflichtungen zur Sicherung des kohärenten

Schutzgebietsnetzes Natura 2000 durch entsprechende Maßnahmen sowie zur Unterrich-

tung der Kommission zu entnehmen.

1. Erfordernis einer Sonderprüfung

Nach § 34 Abs. 3 BNatSchG darf „abweichend von Abs. 2“ ein Vorhaben nur unter den

dort aufgeführten Voraussetzungen zugelassen werden. Durch die Verweisung auf Absatz

2 knüpft § 34 Abs. 3 BNatSchG das Erfordernis einer Sonderprüfung an die zuvor gemäß

Abs. 2 festgestellte Unzulässigkeit im Falle möglicher erheblicher Beeinträchtigungen

maßgeblicher Bestandteile eines Schutzgebietes an.1131 § 34 Abs. 3 BNatSchG eröffnet

somit die Möglichkeit, schutzgebietsrelevante Vorhaben ungeachtet ihrer mangelnden Er-

haltungszielkonformität ohne weiteres zuzulassen, solange sie den Erhaltungszustand maß-

geblicher Gebietsbestandteile in nicht mehr als unerheblicher Weise beeinträchtigen.1132

Die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL stellt hingegen

auf das negative Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung ab und wählt damit einen anderen

Anknüpfungspunkt.1133 Dabei spielt es keine Rolle, ob das negative Prüfungsergebnis auf

eine zu erwartende Minderung der Qualität des aktuellen Gebietszustandes oder schlicht 1131 Schubert, Harmonisierung, S. 205; Gellermann, Natura 2000, S. 175 f. 1132 Gellermann, Natura 2000, S. 176; Schubert, Harmonisierung, S. 205; a.A. Halama, NVwZ 2001, S. 510. 1133 Epiney, UPR 1997, S. 308; Schubert, Harmonisierung, S. 205; Gellermann, Natura 2000, S. 176.

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226

darauf zurückzuführen ist, dass den notwendigen Erhaltungs- oder Optimierungsmaßnah-

men Hindernisse bereitet werden. Sobald einem Vorhaben keine Erhaltungszielkonformität

attestiert werden kann, darf es nur aus den in Art. 6 Abs. 4 FFH-RL aufgeführten Gründen

zugelassen werden.1134 Die bundesdeutsche Umsetzung ist folglich in dieser Hinsicht defi-

zitär.1135

2. Voraussetzungen der Zulassungsfähigkeit

Die Zulassungsfähigkeit eines mit dem Verträglichkeitsgrundsatz unvereinbaren Vorha-

bens hängt zunächst nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG davon ab, dass seine Realisierung

aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher

sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist. Der Bundesgesetzgeber stellt damit in

Übereinstimmung mit den europäischen Vorgaben klar, dass zur Begründung einer Aus-

nahmezulassung rein private Interessen nicht ausreichen. Das Interesse muss sodann zwin-

gend und gegenüber den Naturschutzbelangen vorrangig sein. Da der Bundesgesetzgeber

bei der Formulierung des § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG die Begriffe des Art. 6 Abs. 4 U-

Abs. 1 FFH-RL beinahe wortgleich übernommen hat, kann insoweit auf die Ausführungen

bei den europäischen Vorgaben verwiesen werden.

Ist die Voraussetzung des § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG erfüllt, bedarf es nach Nr. 2 zusätz-

lich der Feststellung, dass zumutbare Alternativen, den mit dem Vorhaben verfolgten

Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringeren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht

gegeben sind. Betrachtet man die Regelung des § 34 Abs. 3 BNatSchG, so fällt auf, dass

die Prüfungsreihenfolge gegenüber der FFH-Richtlinie abgeändert wird. Art. 6 Abs. 4 U-

Abs. 1 FFH-RL erfordert konsequenterweise zunächst die Klärung, ob eine zumutbare Al-

ternative gegeben ist. Erst wenn dies zu vernein ist, sind die überwiegenden öffentlichen

Interessen des Vorhabens zu prüfen. Denn wenn eine Alternativlösung existiert, kommt

auch eine ausnahmsweise Zulässigkeit des Vorhabens aufgrund von zwingenden Gründen

des überwiegenden öffentlichen Interessen nicht mehr in Betracht, da jede gefundene Al-

ternative die Zulassung der entsprechenden Ausnahme verhindert. § 34 Abs. 3 Nr. 2

BNatSchG sieht die Alternativenprüfung hingegen als negative Tatbestandsvoraussetzung

für die Möglichkeit zur Ausnahmezulassung vor und stellt diese Tatbestandvoraussetzung 1134 Gellermann, Natura 2000, S. 176. 1135 Schubert, Harmonisierung, S. 206; Gellermann, Natura 2000, S. 176; a.A. Berner, Der Habitatschutz, S.

191.

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227

damit auf eine Ebene mit den Voraussetzungen aus § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG. Es wider-

spricht in diesem Zusammenhang der Systematik des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL, im

Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 BNatSchG die Erwägung zwingender öffentlicher

Interessen vorzuziehen.1136

Eine weitere Unterscheidung im Anwendungsbereich des § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG zum

europäischen Vorbild ist, dass der Bundesgesetzgeber hier ausdrücklich die Einschränkung

auf „zumutbare“ Alternativen vorgenommen hat. Obwohl dieser Begriff in Art. 6 Abs. 4

FFH-RL keine Verwendung findet, bietet allein dies keinen Anlass, um § 34 Abs. 3 Nr. 2

BNatSchG als richtlinienwidrig zu werten. Denn auch im Anwendungsbereich des Art. 6

Abs. 4 FFH-RL beschränkt sich die Suche nach Alternativen nur auf solche, die zumutbar

sind.1137 Dies ergibt sich daraus, dass der in Art. 5 Abs. 3 EGV verankerte und vom Euro-

päischen Gerichtshof als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts anerkannte Grundsatz der

Verhältnismäßigkeit die Auslegung des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL dazu zwingt, dass die gebo-

tenen Vermeidungsaktivitäten nicht außerhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu dem

damit erzielbaren Gewinn für Natur und Umwelt stehen dürfen.1138

Schließlich beleibt es fraglich, ob in § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG die Suche nach Alterna-

tiven unzulässig beschränkt wird, da dort von zumutbaren Alternativen „an anderer Stelle“

die Rede ist. Die Ausführungen zu den europäischen Vorgaben haben bereits gezeigt, dass

der Alternativenbegriff der FFH-Richtlinie rein funktional ist. Die gemeinschaftsrechtliche

Forderung nach Alternativlösungen bezieht sich daher nicht nur auf Standortalternativen,

sondern erfasst auch Ausführungsalternativen.1139 Mit der Formulierung „an anderer Stelle“

erfordert § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG indes lediglich eine Suche nach Standortalternativen

1136 Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 17; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 147; Ka-

dor, FFH-Richtlinie, S. 89; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 94; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 78; a.A. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 307; Ramsauer, in: Erbguth, S. 117.

1137 Kador, FFH-Richtlinie, S. 89; Gellermann, Natura 2000, S. 177; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 309; Schubert, Harmonisierung, S. 209 f.; Berner, Der Habitatschutz, S. 191; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 84; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 149; Köck, ZUR 2005, S. 467; Cosack, UPR 2002, S. 253; Michler, VBlBW 2004, S. 89; Halama, NVwZ 2001, S. 511; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 78 f.; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 7; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 75.

1138 BVerwGE 110, S. 310; vgl. dazu Schubert, Harmonisierung, S. 208; Gellermann, Natura 2000, S. 177; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 149 f.; Halama, NVwZ 2001, S. 511; Koch, Die FFH-Richtlinie, S. 79; Beckmann/Lambrecht, ZUR 2000, S. 7; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 79; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 75.

1139 Vgl. 2. Teil, F. I. 1; dazu auch Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 83; Schubert, Harmonisierung, S. 207; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 84; Hösch, NuR 2004, S. 215; Cosack, UPR 2002, S. 254; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 309 f.

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und schließt damit Ausführungsalternativen aus, die am selben Ort errichtet werden könn-

ten und mit denen aufgrund einer anderen Ausführung des Vorhabens geringere Beein-

trächtigungen einhergingen.1140 Eine derartige Beschränkung ist den europäischen Vorga-

ben des Art. 6 Abs. 4 FFH-RL keinesfalls zu entnehmen. Da auch der insoweit eindeutige

Wortlaut des § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG keinen Raum für eine gemeinschaftsrechtliche

Auslegung lässt, ist die Vorschrift als gemeinschaftswidrig anzusehen.1141

3. Besonderheiten bei prioritären Lebensraumtypen und Arten

§ 34 Abs. 3 und 4 BNatSchG folgen in ihrer Grundkonzeption den Vorgaben des Art. 6

Abs. 4 FFH-RL, indem in § 34 Abs. 4 BNatSchG die Möglichkeit ausnahmsweiser Zuläs-

sigkeit von unverträglichen Vorhaben in Gebieten mit prioritären Lebensraumtypen und

Arten vorgesehen wird, während § 34 Abs. 3 BNatSchG nur auf Gebiete ohne prioritäre

Bestandteile Anwendung findet. Im Einzelnen weicht die Umsetzung jedoch in mehrerer

Hinsicht von den Vorgaben der Richtlinie ab und erweist sich daher als problematisch.

a) Betroffenheit der prioritären Bestandteile

Zu klären ist zunächst, ob § 34 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG mit dem von Art. 6 Abs. 4 UAbs.

2 FFH-RL vorgegebenen Anwendungsbereich übereinstimmt. Nach dem Wortlaut des § 34

Abs. 4 Satz 1 BNatSchG, wonach sich in dem vom Projekt betroffenen Gebiet prioritäre

Arten und Lebensraumtypen „befinden“ müssen, scheint eine direkte Betroffenheit der pri-

oritären Bestandteile nicht unbedingt erforderlich zu sein.1142 Unbedeutend ist nach dieser

Formulierung, ob das Gebiet gerade wegen der prioritären Bestendteile ausgewiesen wur-

de. Ebenso unbedeutend ist es, ob diese prioritären Gebietsbestandteile überhaupt beein-

trächtigt sind.1143 Die Auslegung des Wortlauts des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL, nach

dem das betreffende Gebiet ein solches sein muss, das prioritäre Bestandteile „einschließt“, 1140 Schubert, Harmonisierung, S. 207; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 21; Kirchhof, Die Implementierung der

FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 83 f.; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten König-reich, S. 84; a.A. Fischer-Hüftle, ZUR 1999, S. 70; Wrase, NuR 2004, S. 357.

1141 Schubert, Harmonisierung, S. 207; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 83 f.; a.A. Jarass, NuR 2007, S. 378; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 310, die hierbei eine gemeinschaftsrechtliche Auslegung für möglich halten.

1142 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183; Kador, FFH-Richtlinie, S. 91 f.; Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 24; Apfelbacher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 90; Berner, Der Habitatschutz, S. 194.

1143 Kador, FFH-Richtlinie, S. 91 f.; vgl. auch Berner, Der Habitatschutz, S. 194.

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229

hat jedoch bereits gezeigt, dass für seine Anwendung zumindest die Möglichkeit einer un-

mittelbaren Beeinträchtigung der zu schützenden prioritären Lebensraumtypen oder Arten

durch ein Vorhaben bestehen muss.1144 Für diese Sichtweise spricht vor allem der Ansatz

der FFH-Richtlinie. Denn im Rahmen des Schutzregimes der FFH-Richtlinie verkörpern

die konkret zu erhaltenden natürlichen Lebensraumtypen und Arten die Schutzobjekte. Die

Schutznormen der FFH-Richtlinie entfalten somit nur dann ihre Rechtswirkungen, wenn

die Lebensraumtypen und Arten gefährdet sind, um derentwillen das Gebiet unter Schutz

gestellt wurde. Zutreffender erscheint es daher das Schutzregime der Ausnahmezulassung

erst dann anzuwenden, wenn die prioritären Bestandteile tatsächlich gefährdet sind. Danach

reicht das Vorkommen einer prioritären Art oder eines prioritären Lebensraums im Betref-

fenden Schutzgebiet nicht aus, ohne dass es auf die konkrete Gefährdung der prioritären

Bestandteile ankommt.1145 Die Umsetzungsvorschrift des § 34 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG

bleibt folglich in dieser Hinsicht hinter den gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben zurück.1146

b) Kreis der Erfassten Gebiete

Fraglich ist weiterhin, ob der Kreis der nach § 34 Abs. 4 BNatSchG erfassten Gebiete mit

den Vorgaben der FFH-Richtlinie im Einklang steht. In § 34 Abs. 4 BNatSchG ist von ei-

nem Vorhaben betroffenen Gebiet die Rede, in dem sich „prioritäre Biotope oder prioritäre

Arten“ befinden. Was unter prioritären Biotopen bzw. Arten zu verstehen ist, beurteilt sich

anhand der Legaldefinition des § 10 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG. Als prioritär

gelten demnach diejenigen Biotope und Arten, die in Anhang I und II der FFH-Richtlinie

mit einem Sternchen (*) gekennzeichnet sind. Hierdurch wird klargestellt, dass § 34 Abs. 4

BNatSchG auf sämtliche Gebiete Anwendung findet, in denen Biotope und Arten vor-

kommen, die nach der FFH-Richtlinie zu den prioritären zu zählen sind. Schutzwürdige

Vogelarten werden hingegen weder in § 34 Abs. 4 BNatSchG, noch in § 10 Abs. 1 Nr. 4

1144 Vgl. 2. Teil, F. II. 2; in diesem Sinne auch OVG Münster, ZUR 2000, S. 161; Kues, Flora-Fauna-

Habitat-Richtlinie, S. 153 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 181 f.; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 98; Kador, FFH-Richtlinie, S. 92 f.; a.A. Kirchhof, Die Implementie-rung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 90; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 198.

1145 Kador, FFH-Richtlinie, S. 92 f.; Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 154; Berg, Europäisches Na-turschutzrecht und Raumordnung, S. 182; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 98; Apfelba-cher/Adenauer/Iven, NuR 1999, S. 76.

1146 Im Ergebnis ebenso Kador, FFH-Richtlinie, S. 92 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raum-ordnung, S. 182; a.A. Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 91; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 311.

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und Abs. 2 Nr. 8 BNatSchG genannt. Der Bundesgesetzgeber hat sich damit in dem Streit

um die Frage, ob auch „reine Vogelschutzgebiete“ als prioritär anzusehen sind, der Auffas-

sung der Kommission, es gebe keine prioritären Vogelarten, angeschlossen. Für diese Ge-

biete kommt eine Anwendung des § 34 Abs. 4 BNatSchG folglich nicht in Betracht.1147

Dies ist jedoch im Hinblick auf die durch die Auslegung der FFH- und der Vogelschutz-

richtlinie gewonnenen Erkenntnisse1148 als gemeinschaftsrechtswidrig zu bewerten.1149

Denn nach der hier vertretenen Ansicht sind alle gemäß Art. 4 Abs. 1, 2 VRL ausgewiese-

nen besonderen Vogelschutzgebiete auch dann als prioritär anzusehen und entsprechend zu

behandeln, wenn sie keine prioritären Lebensraumtypen und Arten der FFH-Richtlinie be-

herbergen.1150

c) Rechtfertigungsgründe

Als besondere Rechtfertigungsgründe für eine Beeinträchtigung von prioritären Gebietsbe-

standteilen nennt § 34 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG solche, die im Zusammenhang mit der Ge-

sundheit des Menschen, der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Landesverteidigung

und des Schutzes der Zivilbevölkerung, oder mit den maßgeblichen Auswirkungen des

Vorhabens auf die Umwelt stehen. Der Bundesgesetzgeber hat damit den ersten Halbsatz

des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL fast wortgleich übernommen. Die Übernahme dieser

Begrifflichkeiten hat zur Konsequenz, dass ihnen im Wege der Interpretation kein Inhalt

beigemessen werden darf, der über den Gehalt der gemeinschaftlichen Termini hinaus-

reicht.1151 Die Einzige Abweichung gegenüber der FFH-Richtlinie besteht darin, dass § 34

Abs. 4 Satz 1 BNatSchG ausdrücklich die Landesverteidigung und den Schutz der Zivilbe-

völkerung als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit nennt. Diese Klarstellung bietet jedoch

1147 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 177 f.; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S.

227 f. 1148 Siehe oben 2. Teil, F. III. 3. 1149 Vgl. etwa Gellermann, Natura 2000, S. 179; Schubert, Harmonisierung, S. 210; Koch, Die Verträglich-

keitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 311; Epiney, UPR 1997, S. 307; a.A. Berner, Der Habitatschutz, S. 192 f.; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 130.

1150 So auch Kues, Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, S. 176; Gellermann, NuR 1996, S. 555; Bundesamt für Naturschutz, Natura 2000, S. 40; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 206.

1151 So Gellermann, Natura 2000, S. 178. Insofern kann auf die Ausführungen zum 2. Teil, F, II, 3 verwiesen werden.

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keinen Anlass zur Beanstandung, da die in § 34 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG zusätzlich ge-

nannten Schutzgüter unstrittig zu denen der öffentlichen Sicherheit gehören.1152

Nach § 34 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG können neben den benannten Gründe auch „sonstige

Gründe im Sinne des Absatzes 3 Nr. 1“ nur berücksichtigt werden, wenn die zuständige

Behörde über das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit eine

Stellungnahme der Kommission eingeholt hat. Durch diesen direkten Verweis auf § 34

Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG wird klargestellt, dass sämtliche dort benannten Gründe plan- oder

projektbedingte Beeinträchtigungen in Gebieten mit prioritären Bestandteilen rechtfertigen

können. Dies gilt gerade auch für Belange sozialer und wirtschaftlicher Art, soweit diese

sich im Einzelfall sowohl als zwingend als auch als überwiegend erweisen.1153 Die Berück-

sichtigungsfähigkeit dieser Aspekte hängt zudem von der vorherigen Einholung der Stel-

lungnahme der Kommission ab. Folglich hat sich der Bundesgesetzgeber hierbei die Auf-

fassung der Kommission zu Eigen gemacht, dass der den prioritären Gebieten zukommen-

de besondere Schutz allein in dem verfahrensrechtlichen Erfordernis der Beteiligung der

Kommission bestehe.1154

Ob der von § 34 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG vorgesehene Schutz für prioritäre Gebiete den

gemeinschaftlichen Vorgaben des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL gerecht wird, ist aller-

dings äußerst zweifelhaft. Denn bereits der Zusammenhang zwischen beiden Absätzen des

Art. 6 Abs. 4 FFH-RL verdeutlicht den Willen des Gemeinschaftsgesetzgebers, den priori-

tären Gebieten einen strengeren Schutz zukommen wollen zu lassen, als er zugunsten der

sonstigen nichtprioritären Gebiete in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL begründet wurde.1155

Neben diesem systematischen Argument sprechen auch teleologische Erwägungen gegen

eine Berücksichtigungsfähigkeit sozialer und wirtschaftlicher Aspekte. Der Gemein-

schaftsgesetzgeber hat die besondere Verantwortung der Gemeinschaft für prioritäre Le-

bensraumtypen und Arten erkannt und in Art. 1 lit. d) und h) FFH-RL zum Ausdruck ge-

bracht. Aufgrund der akuten Gefährdungslage sieht die FFH-Richtlinie deshalb strengere

Schutzmaßstäbe vor als zugunsten der nichtprioritären Lebensraumtypen und Arten. Vor 1152 Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 183, Fn. 403; Gellermann, Natura 2000, S.

178; Schubert, Harmonisierung, S. 210; Berner, Der Habitatschutz, S. 194; Steffen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 81; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemein-schaftsrecht, S. 282; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 313; Kirchhof, Die Imple-mentierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 91 f.; Niederstadt, NuR 1998, S. 525.

1153 Vgl. Gellermann, Natura 2000, S. 178; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 186 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 93 f.

1154 Siehe oben 2. Teil, F. II. 4. 1155 Vgl. 2. Teil, F. II. 4; dazu auch Gellermann, Natura 2000, S. 179; Kador, FFH-Richtlinie, S. 66; Leist,

Lebensraumschutz, S. 119 f.

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diesem Hintergrund wäre eine lediglich formelle Einschränkung der Ausnahmeregelungen

in Gestallt der Kommissionsbeteiligung nicht geeignet, dem gesteigerten Schutzbedürfnis

der prioritären Lebensraumtypen und Arten ausreichend Rechnung zu tragen, zumal die

Mitgliedstaaten selbst an eine ablehnende Stellungnahme der Kommission nicht gebunden

sind.1156 Die Regelung des § 34 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG ist insoweit nicht richtlinienkon-

form, als sie hinsichtlich der sonstigen Ausnahmegründe auf § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG

verweist und damit die dort genannten sozialen und wirtschaftlichen Gründe für anwendbar

erklärt.1157

4. Sicherungsmaßnahmen

Besteht für ein Vorhaben, das ein FFH-Gebiet beeinträchtigen kann, keine zumutbare Al-

ternative und erfordern zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses die

Realisierung dieses Vorhabens, so sind gemäß § 34 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG die zur Siche-

rung des Zusammenhangs des europäischen ökologischen Netzes Natura 2000 notwendi-

gen Maßnahmen vorzusehen. Die Ausgleichverpflichtung des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-

RL findet damit ihren Niederschlag in § 34 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG.

Auffällig ist an der Formulierung der Regelung des § 34 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG zunächst,

dass hierbei im Gegensatz zur FFH-Richtlinie nicht von Ausgleichsmaßnahmen die Rede

ist, sondern lediglich vom weniger aussagekräftigen Terminus der notwendigen Maßnah-

men zur Sicherung des Zusammenhangs Netzes Natura 2000. Anscheinend sollte damit

eine Verwechselung mit den in § 19 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG legal definierten Aus-

gleichsmaßnahmen vermieden werden.1158 Eine solche Unterscheidung erscheint aus natio-

naler Sicht grundsätzlich sinnvoll, denn bei den Sicherungsmaßnahmen nach § 34 Abs. 5

Satz 1 BNatSchG geht es um ein spezifisches Instrument, welches grundsätzlich der Wie-

derherstellung der Funktionsfähigkeit des Habitatsnetzes dient, während der Ausgleich 1156 Vgl. ausführlich 2. Teil, F. II. 4 und 5; dazu auch Schubert, Harmonisierung, S. 212; Gellermann, Natura

2000, S. 105; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 314; Carlsen, Die Umsetzung der FFH-RL, S. 216 f.

1157 Im Ergebnis Ebenso Schubert, Harmonisierung, S. 212; Gellermann, NVwZ 2001, S. 506; ders., Natura 2000, S. 179; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 314; Freiburg, Die Erhaltung der biologischen Vielfalt, S. 151; Leist, Lebensraumschutz, S. 220 f.; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 283; Kador, FFH-Richtlinie, S. 93 f.; a.A. Berner, Der Habitatschutz, S. 195; Kirchhof, Die Implementierung der FFH-Verträglichkeitsprüfung, S. 95 f.; Schütz, UPR 2005, S. 139; Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 192.

1158 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 315; vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 175 f.; Kador, FFH-Richtlinie, S. 95; Lorenz, Harmonisierung des Verfahrens S. 105.

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nach der Eingriffsklausel gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 BNatSchG eine andere Zielsetzung als

der auf der FFH-Richtlinie beruhende Ausgleich des § 34 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG ver-

folgt.1159

Des Weiteren war nach § 19c Abs. 5 Satz 1 BNatSchG a.F. unklar, ob die Sicherungsmaß-

nahmen auch in Gebieten ohne prioritären Bestandteilen vorgenommen werden müssen.

Denn die Formulierung des § 19c Abs. 5 Satz 1 BNatSchG a.F., dass die Maßnahmen er-

forderlich sind, wenn Vorhaben „nach Abs. 3 in Verbindung mit Absatz 4 zugelassen“

wird, deutete darauf hin, dass es sich um Beeinträchtigungen von Gebieten mit prioritären

Bestandteilen handeln muss, um die Rechtsfolge auszulösen.1160 Da Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1

FFH-RL jedoch unmissverständlich klarstellt, dass Ausgleichsmaßnahmen auch in Gebie-

ten ohne prioritären Bestandteilen durchgeführt werden müssen,1161 wurde überwiegend

eine richtlinienkonforme Auslegung des § 19c Abs. 5 Satz 1 BNatSchG a.F. gefordert.1162

Diese Problematik wurde bei der Neufassung des Bundesnaturschutzgesetzes durch die

Einfügung des Wortes „auch“ beseitigt. Damit wird deutlich, dass Sicherungsmaßnahmen

nicht nur bei Beeinträchtigungen von Gebieten mit prioritären Bestandteilen, sondern auch

in allen Schutzgebieten erforderlich sind, worauf der Gesetzgeber in der Begründungser-

wägung zu § 34 Abs. 5 BNatSchG zudem ausdrücklich hinweist.1163

Schließlich sei darauf hinzuweisen, dass die Spezialregelung für Gewässerbenutzung in § 6

Abs. 2 Satz 1 WHG und jene für stoffliche Belastungen in § 36 Satz 1 BNatSchG im Wi-

derspruch zu den europäischen Vorgaben stehen. Nach beiden Regelungen sind Aus-

gleichs- und Kompensationsmaßnahmen entsprechend § 19 Abs. 2 BNatSchG bereits zu

berücksichtigen, wenn über die Unzulässigkeit eines Vorhabens wegen Unverträglichkeit

entschieden wird. Eine derartige Umkehrung der in der FFH-Richtlinie vorgesehenen Prü-

fungsabfolge kann jedoch dazu führen, dass unverträgliche, aber ausgleichbare Vorhaben

1159 Vgl. Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 315; Kador, FFH-Richtlinie, S. 95; Berg,

Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 175 ff. 1160 Vgl. Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 164; Berner, Der Habitatschutz, S.

196; Fisahn, ZUR 2001, S. 256; Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 316; Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 283; Kador, FFH-Richtlinie, S. 94; Gellermann, NVwZ 2001, S. 506; ders., Natura 2000, S. 179.

1161 Siehe oben 2. Teil, F. I. 2. d). 1162 Wirths, Naturschutz durch europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 283; Gellermann, Natura 2000, S. 179 f.;

Louis, BNatSchG, § 19c, Rn. 30; Schrödter, NuR 2001, S. 17; Berner, Der Habitatschutz, S. 197. 1163 BR-Drs. 411/01 S. 99; vgl. dazu Berg, Europäisches Naturschutzrecht und Raumordnung, S. 165; Stef-

fen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 86; Koch, Die Verträglichkeitsprü-fung der FFH-Richtlinie, S. 316.

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realisiert werden, ohne dass die engen Ausnahmetatbestände des § 34 Abs. 3 und 4

BNatSchG einschlägig sein müssen.1164

5. Unterrichtung der Kommission

§ 34 Abs. 5 Satz 2 BNatSchG erfordert, dass die zuständige Behörde die Kommission über

das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit hinsichtlich der

getroffenen Maßnahmen unterrichtet. Die sich aus Art. 6 Abs. 4 UAbs.1 Satz 2 der FFH-

Richtlinie ergebende Pflicht der Mitgliedstaaten ist damit ordnungsgemäß im Bundesnatur-

schutzgesetz umgesetzt worden. Zu beachten ist dabei, dass die Mitteilungspflicht bei allen

getroffenen Maßnahmen gilt, unabhängig davon, wer die Sicherungsmaßnahmen durchge-

führt hat.1165

1164 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 316 f.; Gellermann, NVwZ 2001, S. 506; Stef-

fen, Habitatschutz in Deutschland und im Vereinigten Königreich, S. 87; Wirths, NuR 2003, S. 153. 1165 Koch, Die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie, S. 317; vgl. dazu 2. Teil, F. I. 2. d), dd).

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Viertel Teil: Zusammenfassung

(1) Ziele und Mittel der FFH-Richtlinie

Hauptziel der FFH-Richtlinie ist die Sicherung der Artenvielfalt. Um dieses Ziel zu ver-

wirklichen, sieht sie die Errichtung eines kohärenten europäischen ökologischen Netzes

besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung „Natura 2000“ vor. Bestandteile dieses

ökologischen Netzes sind die aufgrund der FFH-Richtlinie eingerichteten Schutzgebiete

und die nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen besonderen Vogelschutzgebiete.

Zur Errichtung des europäischen Netzes Natura 2000 sieht die FFH-Richtlinie insgesamt

ein dreistufiges Verfahren vor. In der ersten Phase obliegt es den Mitgliedstaaten nach Art.

4 Abs. 1 FFH-RL und anhand der in Anhang III, Phase 1 zur FFH-Richtlinie aufgeführten

Kriterien eine nationale Gebietsliste zu erstellen und diese dann an die Kommission zu ü-

bermitteln. Obwohl bei der Auswahl der in nationale Meldeliste aufzunehmenden Gebiete

dem Mitgliedstaat ein Beurteilungsspielraum zukommt, dürfen bei der Erstellung der nati-

onalen Meldeliste ökologieexterne Belange keine Rolle spielen. Die sich anschließende

zweite Phase dient der Erstellung des Entwurfs einer Liste der Gebiete von gemeinschaftli-

cher Bedeutung, der nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 1 FFH-RL von der Kommission im Einver-

nehmen mit dem jeweiligen Mitgliedstaat auf der Grundlage der in Anhang III, Phase 2 zur

FFH-Richtlinie aufgeführten Kriterien zu erarbeiten ist. Die endgültige Liste wird dann von

der Kommission festgelegt und den Mitgliedstaaten als Entscheidung mitgeteilt. Schließ-

lich müssen in der dritten Phase des Verfahrens die in der endgültigen Gemeinschaftsliste

aufgeführten Gebiete von den Mitgliedstaaten ausgewiesen werden.

(2) Schutzregime der FFH-Richtlinie

Systematik

Das Schutzregime der FFH-Richtlinie ist in Art. 6 FFH-RL geregelt. Diese Vorschrift sieht

drei, jeweils eigenständige Schutzinstrumente vor. Sie fordert einerseits die Festlegung von

Erhaltungsmaßnahmen für die besonderen Schutzgebiete (Art. 6 Abs. 1 FFH-RL). Ande-

rerseits statuiert sie das allgemeine Verschlechterungs- und Störungsverbot (Art. 6 Abs. 2

FFH-RL). Sie schreibt weiterhin unter bestimmten Voraussetzungen die Durchführung der

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Verträglichkeitsprüfung für Pläne und Projekte gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL, sowie

den in Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL normierte Verträglichkeitsgrundsatz vor, von dem nur

in besonderen Ausnahmefällen abgewichen werden kann.

Der Sinn und Zweck des Art. 6 FFH-RL ist es, einen möglichst effektiven Biotopschutz zu

gewährleisten. Um dieses Ziel zu verwirklichen weist diese Vorschrift einen präventiven

bzw. antizipatorischen Charakter auf.

Erhaltungsmaßnahmen

Der Begriff der Erhaltungsmaßnahmen im Sinne des Art. 6 Abs. 1 FFH-RL enthält sowohl

konservierende als auch regenerierende Aspekte. Art. 6 Abs.1 FFH-RL ist eine Norm mit

einem individuellen Charakter und wird im Hinblick auf den Erlass von Schutzmaßnahmen

nicht durch Art. 6 Abs. 2 FFH-RL verdrängt. Art. 6 Abs. 2 FFH-RL gewährleistet einen

gewissen Mindestschutz für alle FFH-Gebiete, während Art. 6 Abs. 1 FFH-RL unter voller

Berücksichtigung dieses Schutzstandards konkrete Regelungen für Ausgestaltung des je-

weiligen FFH-Gebietes trifft.

Art. 6 Abs. 1 FFH-RL verfolgt einerseits einen ergebnisorientierten Ansatz und statuiert

andererseits einen Umgebungsschutz im weitesten Sinne. Es kommt daher nicht darauf an,

ob die Störungsquelle außerhalb oder innerhalb der Schutzgebietsgrenzen zu finden ist oder

ob es sich um menschliche oder natürliche Einwirkungen handelt.

Die zu ergreifenden Erhaltungsmaßnahmen hängen inhaltlich von den spezifischen Gege-

benheiten des jeweiligen Schutzgebietes ab. Es ist daher nicht möglich, eine konkrete Fest-

legung zu treffen, welche Schutzmaßnahmen für welche Schutzgebiete im Einzelnen zu

ergreifen sind. Sie können je nach geschütztem Lebensraumtypen bzw. zu erhaltender Art

und mit Blick auf den jeweiligen Zustand des einzelnen Gebietes stark variieren.

Verschlechterungs- und Störungsverbot

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL begründet zwei voneinander zu unterscheidende Pflichten. Zum ei-

nen verpflichtet das Verschlechterungsverbot die Mitgliedstaaten dazu, geeignete Maß-

nahmen zu ergreifen, um eine Verschlechterung der in den besonderen Schutzgebieten vor-

kommenden natürlichen Lebensräume und Habitate der Arten zu vermeiden. Zum anderen

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237

gebietet das Störungsverbot, dass Störungen von Arten, deretwegen die Gebiete ausgewie-

sen sind, ebenfalls zu vermeiden sind.

Art. 6 Abs. 2 FFH-RL bezweckt allein die Sicherung des Status quo des jeweiligen FFH-

Gebietes. Im Gegensatz zu Art. 6 Abs. 1 FFH-RL legitimiert Art. 6 Abs. 2 FFH-RL Wie-

derherstellungsmaßnahmen nicht. Dabei erfasst Art. 6 Abs. 2 FFH-RL alle Gebietsbeein-

trächtigungen, die nicht durch Pläne oder Projekte im Sinne des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL her-

vorgerufen werden.

Das Verschlechterungs- und Störungsverbot kommen nur denjenigen natürlichen Lebens-

räumen und Arten zugute, für die das Schutzgebiet ausgewiesen wurde. Von dem

Verschlechterungs- und Störungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL erfasst sind sowohl

menschliche als auch natürliche Beeinträchtigungen der Schutzgebiete.

Die in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL normierte Schutzbestimmung zur Vermeidung von Ver-

schlechterungen und Störungen beansprucht für die FFH-Gebiete Geltung ebenso wie Art.

6 Abs. 3 und 4 FFH-RL, sobald sie in die endgültige Gemeinschaftsliste aufgenommen

sind.

Während das Störungsverbot erst greift, wenn die Gefahr besteht, dass es zu einer wesent-

lichen Verschlimmerung der Lebensverhältnisse der Arten kommt, verlangt das Ver-

schlechterungsverbot, jede Beeinträchtigung der zu schützenden natürlichen Lebensräume

und Habitate der Arten zu verhindern.

Die Regelung des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL sieht ebenfalls wie Art. 6 Abs. 1 FFH-RL einen

Umgebungsschutz im weitesten Sinne vor. Es kommt daher nicht auf den Standort der Be-

einträchtigungsquelle an. Außerdem können die zu ergreifenden Maßnahmen gegebenen-

falls auch außerhalb des Schutzgebietes durchgeführt werden.

Ausnahmen vom Verschlechterungs- und Störungsverbot sind zum Schutze der vom Ge-

meinschaftsrecht vorgesehenen höherrangiger Rechtsgüter unter strenger Wahrung der

Verhältnismäßigkeit zulässig.

Verträglichkeitsprüfung

Gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL sind Pläne und Projekte, die erheblich beeinträchti-

gende Auswirkungen auf ein besonderes Schutzgebiet haben können, vor ihrer Verwirkli-

chung einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen. Der sachliche Anwendungsbereich

dieser Norm beschränkt sich mithin auf Pläne und Projekte. Pläne sind die alle vorbereiten-

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238

den Akte, die räumliche Entwicklung eines Schutzgebietes beeinflussen, indem ihre Fest-

setzungen für nachfolgende Zulassungsverfahren zu beachten oder zumindest abwägungs-

relevant sind. Projekte sind die in den Anhängen zu Art. 4 UVP-RL aufgeführten Anlagen

und Maßnahmen sowie die Errichtung baulicher oder sonstiger Anlagen sowie Eingriffe in

Natur und Landschaft einschließlich derjenigen zum Abbau von Bodenschätzen. Vom Pro-

jektbegriff des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL erfasst sind zudem sämtliche Projekte, die sich

auf den Erhaltungszustand eines Schutzgebietes negativ auswirken können. Vom Anwen-

dungsbereich des Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL ausgenommen sind jedoch Pläne und Pro-

jekte, die unmittelbar mit der Verwaltung eines Schutzgebietes in Verbindung stehen oder

hierfür notwendig sind. Gemeint sind damit die sog. Managementpläne für Schutzgebiete

im Sinne von Art. 6 Abs. 1 FFH-RL.

Für die Begründung der Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung spielt es

keine Rolle, ob die zu prüfenden Pläne oder Projekte innerhalb oder außerhalb des Schutz-

gebietes realisiert werden sollen. Von der Verträglichkeitsprüfung zu berücksichtigen sind

zudem bestehende Vorbelastungen und zukünftige, bereits hinreichend konkretisierte pla-

nungs- oder projektbedingte Einflüsse.

Aus den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 ergibt sich ein dreistufiger Aufbau der Verträglich-

keitsprüfung. Art. 6 Abs. 3 Satz 1 FFH-RL sieht zunächst eine allgemeine Vorprüfung vor,

in der geprüft werden soll, ob überhaupt die Möglichkeit einer erheblichen Beeinträchti-

gung besteht (Vorprüfung bzw. FFH-Screening). Erst bei Bejahung der in der Vorprüfung

gestellten Frage wird in einem Zweiten Schritt die Pflicht zur Durchführung einer Verträg-

lichkeitsprüfung ausgelöst, in welchem es um die Prüfung der Verträglichkeit des Vorha-

bens mit den Erhaltungszielen geht (Verträglichkeitsprüfung bzw. Verträglichkeitsprüfung

im eigentlichen Sinne). Abschließend wird in einem dritten Schritt nach Art. 6 Abs. 3 Satz

2 FFH-RL auf Grundlage der Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung über die Zulassung

des Planes oder Projektes entschieden. Hierbei soll die Frage beantwortet werden, ob eine

Beeinträchtigung des Gebietes als solches vorliegt (Verträglichkeitsgrundsatz bzw. Zulas-

sungsentscheidung).

Verträglichkeitsgrundsatz

Gemäß Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL dürfen die zuständigen Behörden einem Plan oder

Projekt unter Berücksichtigung des Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung nur dann zu-

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239

stimmen, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet als solches nicht beeinträchtigt wird.

Eine Gebietsbeeinträchtigung als solche im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL ist im-

mer dann zu bejahen, wenn durch den Plan oder das Projekt hervorgerufenen Beeinträchti-

gungen so gravierend sind, dass dadurch der Charakter des Schutzgebietes grundlegend

verändert wird.

Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL bestimmt weiterhin, dass bei der Durchführung der Verträg-

lichkeitsprüfung gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört wird. Die Behörde kann von

einer Öffentlichkeitsbeteiligung absehen, wenn von ihr keine neuen Erkenntnisse zu erwar-

ten sind oder wenn der Allgemeinheit bereits aufgrund einer anderen Bestimmung Gehör

zu verschaffen ist.

Bei der Verwertung des Ergebnisses der Verträglichkeitsprüfung kommt der zuständigen

Behörde kein Entscheidungsspielraum zu. Ein negatives Ergebnis der Verträglichkeitsprü-

fung zieht vorbehaltlich eines Ausnahmebestandes nach Art. 6 Abs. 4 FFH-RL zwingend

die Versagung der Zulassung des Vorhabens nach sich.

Generelle Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL

Als für alle FFH-Schutzgebiete geltende Grundregel bestimmt Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-

RL, dass trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung ein Plan oder Projekt

durchzuführen ist, wenn für dessen Realisierung zwingende Gründe des überwiegenden

öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art sprechen

und eine Alternativlösung nicht vorhanden ist.

Entsprechend der Systematik der Vorschrift und zur Vermeidung unnötiger Doppelprüfun-

gen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen ist zunächst zu prüfen, ob eine Alternativlö-

sung für einen Plan oder ein Projekt besteht. Im Rahmen der Alternativenprüfung ist

grundsätzlich zu prüfen, ob eine Vorhabensvariante besteht, die unter Wahrung des Vorha-

bensziels mit keinen oder geringeren Beeinträchtigungen für das Schutzgebiet vorhanden

ist. Die Forderung nach Alternativenlösungen bezieht sich lediglich auf Standort- und Aus-

führungsalternativen. Die sog. Systemalternativen sind dabei nicht zu berücksichtigen.

Auch die sog. Nullvariante stellt keine Alternative im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1

FFH-RL dar. Die Alternativlösung muss zudem dem Vorhabensträger zumutbar sein. Die

in Aussicht genommene Alternative soll in diesem Zusammenhang geeignet, erforderlich

und angemessen sein. Die Alternative soll auch wirtschaftlich zumutbar sein. Eine Alterna-

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240

tive ist ferner nur dann zumutbar, wenn sie öffentlich-rechtlich und zivilrechtlich realisiert

werden kann. Bei der territorialen Reichweite der Alternativenprüfung kommt es auf die

Größe des Projekts an. Bei europäischen Projekten ist die Alternativenprüfung grundsätz-

lich europaweit durchzuführen. Bei kleineren Projekten ist die Alternativenprüfung hinge-

gen grundsätzlich bundesweit durchzuführen. Wenn aber der Zweck des Vorhabens nur in

dem betroffenen Bundesland zu realisieren ist, soll die Suche nach einem alternativen

Standort auf die Landesebene beschränkt werden.

Sollte ihrerseits keine zumutbaren Alternativlösungen vorhanden sein, sind die Ausnahme-

tatbestände des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL zu untersuchen. Danach muss zunächst ein

öffentliches Interesse an dem Vorhaben bestehen. Die Gründe, die für das Vorhaben spre-

chen, müssen zudem zwingend sein und das öffentliche Interesse an dem Vorhaben soll

schließlich überwiegen. Das öffentliche Interesse ist dabei zumindest dann zwingend und

überwiegend, wenn eine der in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL exemplarisch aufgeführten

Fallgruppen einschlägig ist. Ansonsten hat eine Abwägung zwischen den für das Vorhaben

streitenden öffentlichen Interessen und den mit dem betroffenen Schutzgebiet verfolgten

Naturschutzbelangen zu erfolgen.

Sollten diese Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen, fordert Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-

RL weiterhin, dass der jeweilige Mitgliedstaat alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen zur

Wahrung der globalen Kohärenz des Netzes Natura 2000 vorsieht und die Kommission

über die von ihm ergriffenen Ausgleichsmaßnahmen unterrichtet. Die Ausgleichsmaßnah-

men im Sinne des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL dienen dazu, die durch die Gebietsbeein-

trächtigung verlorengegangene Funktion des betroffenen Schutzgebietes für die Kohärenz

des Netzes Natura 2000 wiederherzustellen. Die Vornahme der Ausgleichsmaßnahmen ist

erforderlich, wenn das Schutzgebiet für die Kohärenz des Netzes Natura 2000 so wichtig

ist, dass die Funktionsfähigkeit und der Zusammenhalt des Netzes bei einem nicht kom-

pensierten Eingriff in dieses Gebiet gefährdet wird. Können die notwendigen Ausgleich-

maßnahmen nicht getroffen werden, scheidet die Genehmigung des unverträglichen Vor-

habens aus.

Spezielle Ausnahmevorschrift des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL

Soweit die Verwirklichung eines Vorhabens ein Gebiet mit prioritären Bestandteilen beein-

trächtigen kann, stellt Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL besondere Anforderungen an die aus-

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241

nahmsweise Zulässigkeit solcher Vorhaben. Hier können nur Erwägungen im Zusammen-

hang mit der Gesundheit des Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusam-

menhang mit maßgeblichen günstigen Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellung-

nahme der Kommission, andere zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Inte-

resses geltend gemacht werden.

Die Anwendung dieser Vorschrift setzt zunächst die Möglichkeit einer direkten Beeinträch-

tigung der prioritären Gebietsbestanteile voraus. Die in der Norm exemplarisch benannten

öffentlichen Belange und die widerstreitenden naturschutzfachlichen Interessen sind da-

nach gegeneinander abzuwägen. Gesundheit des Menschen bedeutet dabei Schutz der kör-

perlichen und psychischen Unversehrtheit und Schutz des Menschen vor Lebensgefahren.

Um eine Abweichung vom Schutzregime der FFH-Richtlinie zu rechtfertigen, soll ihr

Schutz der Hauptzweck des Vorhabens sein. Öffentliche Sicherheit ist hingegen enger als

im deutschen Recht auszulegen und umfasst nur Aspekte der Existenzsicherung eines Mit-

gliedstaates und der Gewährleistung der inneren und äußeren Sicherheit, für die das Vor-

haben notwendig sein muss. Auf maßgebliche günstige Umweltauswirkungen kann sich

dabei der Vorhabensträger berufen, dessen Plan oder Projekt selbst unmittelbar positive

Auswirkungen auf die zu schützenden prioritären Gebietsbestandteile hat.

Neben den exemplarisch aufgeführten Rechtfertigungsgründen können nach Art. 6 Abs. 4

UAbs. 2 FFH-RL auch andere zwingende Gründe des öffentlichen Interesses nach der Stel-

lungnahme der Kommmission geltend gemacht werden. Die Stellungnahme ist vor Ge-

nehmigung des Vorhabens von der Kommission einzuholen. Diese Stellungnahme hat

grundsätzlich keinen bindenden Charakter. Die mitgliedstaatliche Behörde soll aber die

Argumente der Kommission ernsthaft zur Kenntnis nehmen, sie in die Entscheidung ein-

stellen und sich mit ihnen inhaltlich auseinandersetzen. Die in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-

RL genannten wirtschaftlichen und sozialen Interessen können dabei im Rahmen der Zu-

lassung von Plänen und Projekten in prioritären Gebieten keine Berücksichtigung finden.

Sie gehören also nicht zu den in Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL genannten zwingenden

Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses.

Regelung des Art. 7 FFH-RL

Art. 7 FFH-RL unterstellt die nach der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen besonderen

Vogelschutzgebiete den Schutzbestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL. Art. 6 Abs.

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2 bis 4 FFH-RL ist auf diese Gebiete seit dem Zeitpunkt, in dem die Umsetzungsfrist der

FFH-Richtlinie abgelaufen ist, anzuwenden. Nur bei den Gebieten, die erst nach diesem

Zeitpunkt als besondere Vogelschutzgebiete ausgewiesen wurden, kommt Art. 6 Abs. 2 bis

4 FFH-RL ab dem Datum ihrer Ausweisung zur Geltung. Die Ausweisung der besonderen

Vogelschutzgebiete erfolgt dabei weiterhin nach Maßgabe der in der Vogelschutzrichtlinie

enthaltenen naturschutzfachlichen Kriterien.

Der Anwendungsbefehl des Art. 7 FFH-RL erstreckt auch auf Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-

RL. Alle gemäß Art. 4 Abs. 1 und 2 VRL ausgewiesenen Vogelschutzgebiete unterfallen

dem strikten Schutz des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL. Die Zulässigkeit von Plänen und

Projekten, die ein besonderes Vogelschutzgebiet erheblich beeinträchtigen können, richtet

sich damit allein nach Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL.

(3) Die Umsetzung der europäischen Vorgaben

Umsetzungsprozess des nationalen Rechts

Nach Art. 23 Abs. 1 FFH-RL hätten die Mitgliedstaaten die FFH-Richtlinie binnen zwei

Jahren nach der Bekanntgabe der Richtlinie, also bis zum 05.06.1994 in nationales Recht

umsetzen müssen. Deutschland hat die FFH-Richtlinie erst im Jahre 1998 durch den Erlass

der §§ 19 a-f BNatSchG a.F. (entspricht §§ 32-37 BNatSchG) und durch das Bau- und

Raumordnungsgesetz 1998 sowie durch die Änderungen des WHG und des Pflanzen-

schutzG in nationales Recht umgesetzt. Die §§ 32-37 BNatSchG stellen Rahmenrecht dar,

welches grundsätzlich erst durch die Verabschiedung von entsprechenden Landesgesetzen

unmittelbare Geltung erlangt. § 11 BNatSchG führt jedoch einzelne Vorschriften der §§

32-37 BNatSchG auf, die unmittelbar gelten. Ferner ordnet § 69 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG

an, dass die §§ 33 Abs. 5, 34, und 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG bis zum 08.05.2003 unmittel-

bar gelten, soweit die Länder vor diesem Datum entsprechende Umsetzungsnormen nicht

erlassen. Zu beachten ist dabei, dass bislang alle Bundesländer ihre Pflicht zum Erlass ent-

sprechender landesrechtlicher Gesetze nachgekommen sind.

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243

Umgang mit potenziellen bzw. faktischen Schutzgebieten

Aufgrund der zögerlichen Umsetzung der Vorgaben der FFH-Richtlinie durch die Mit-

gliedstaaten ist der Zeitplan der FFH-Richtlinie hinsichtlich der Erstellung der Liste der

Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung durch die Kommission auch überschritten. Ob-

wohl im Juni 1998 die Kommissionsliste nach Art. 4 Abs. 2 UAbs. 3 FFH-RL bereits fertig

sein sollen hätte, existieren bislang nur Listen, die noch keine abschließende Aufzählung

der in das Netz Natura 2000 integrierten Gebiete enthalten. Die Unterschutzstellung der

besonderen Vogelschutzgebiete ist ebenfalls noch nicht abgeschlossen. Diese Situation

birgt die Gefahr, dass die Schutzpflichten der Richtlinien unterlaufen werden. Denn Art. 4

Abs. 5 FFH-RL schreibt vor, dass ein Gebiet, sobald es in die Gemeinschaftsliste aufge-

nommen ist, den besonderen Schutzbestimmungen des Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFH-RL unter-

liegt. Über dies hinaus bestimmen Art. 4 Abs. 1 und 4 VRL, dass sich die sich aus Art. 4

Abs. 4 Satz 1 VRL ergebenden Schutzpflichten der Vogelschutzrichtlinie allein auf bereits

als besonderes Vogelschutzgebiet ausgewiesene Schutzgebiete beziehen. Um eine Mög-

lichkeit zu schaffen, bereits vor der förmlichen Schutzgebetsausweisung von Vogelschutz-

gebieten und vor der Aufnahme eines nach der FFH-Richtlinie geeigneten Gebietes in die

Gemeinschaftsliste Schutzverpflichtungen zu begründen, wurden daher von der Rechtspre-

chung die Begriffe der faktischen Vogelschutzgebiete und potenziellen FFH-Gebiete ent-

wickelt.

Faktische Vogelschutzgebiete sind solche Gebiete, die wegen ihrer Bedeutung für die Er-

haltung der europäischen Vogelarten als Europäische Vogelschutzgebiete vom Mitglied-

staat hätten ausgewiesen werden müssen, von ihm aber nicht als besonderes Schutzgebiet

ausgewiesen wurden. Diese Gebiete unterliegen ausschließlich dem in Art. 4 Abs. 4 VRL

geregelten Schutz der Vogelschutzrichtlinie und nicht dem Schutz des Art. 6 Abs. 2 bis 4

FFH-RL. Für derartige Gebiete gelten damit nicht Verschlechterungs- und Störungsverbot

des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL und besondere Anforderungen des Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL

für gebietsbeeinträchtigende Pläne und Projekte. Stattdessen gilt für sie ein Schutzstatus

mit einem umfassenden Beeinträchtigungs- und Störungsverbot sowie Belästigungsverbot

hinsichtlich erheblicher Beeinträchtigungen, der Ausnahmen nur in einem eng begrenzten

Maß zulässt.

Potenzielle FFH-Gebiete sind hingegen solche Gebiete, die zwar noch nicht auf der Ge-

meinschaftsliste gemäß Art. 4 Abs. 2 FFH-RL zu finden sind, deren Aufnahme auf die Lis-

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te aber zu erwarten ist. Diesen Gebieten muss der Mitgliedstaat, von dem Moment an, in

dem er sie nach Art. 4 Abs. 1 FFH-RL meldet, einen angemessenen Schutz zuteil werden

zu lassen. Die Mitgliedstaaten sind in Bezug auf diese Gebiete diesbezüglich Schutzmaß-

nahmen zu ergreifen, die im Hinblick auf das mit der FFH-Richtlinie verfolgte Erhaltungs-

ziel geeignet sind, die erhebliche ökologische Bedeutung, die diesen Gebieten auf nationa-

ler Ebene zukommt, zu wahren. Eine entsprechende Verpflichtung gilt dabei auch für Ge-

biete, die von den Mitgliedstaaten zwar nicht gemeldet wurden, deren Meldung sich aber

aufdrängt.

Verschlechterungs- und Störungsverbot

Das Verschlechterungs- und Störungsverbot des Art. 6 Abs. 2 FFH-RL ist durch § 33 Abs.

5 BNatSchG in nationales Recht umgesetzt worden. Diese Vorschrift bestimmt, dass in

einem nach § 10 Abs. 6 Nr. 1 BNatSchG bekannt gemachten Gebiet alle Vorhaben, Maß-

nahmen, Veränderungen oder Störungen, die zu erheblichen Beeinträchtigungen des Gebie-

tes in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen führen können, unzulässig

sind. Nach § 33 Abs. 5 Satz 1 BNatSchG gilt dies für FFH-Gebiete bis zur Unterschutzstel-

lung der Gebiete und für Vogelschutzgebiete vorbehaltlich besonderer Schutzvorschriften

im Sinne des § 22 Abs. 2 BNatSchG. Satz 2 dieser Vorschrift bezieht sich hingegen auf

Konzertierungsgebiete und erklärt die in Satz 1 erläuterten Handlungen für unzulässig, so-

fern sie zu erheblichen Beeinträchtigungen der im Konzertierungsgebiet vorkommenden

prioritären Biotope und Arten führen können. Zu beachten ist hierbei zunächst, dass mit

dem Erfordernis der Bekanntgabe im Bundesanzeiger das bundesrechtliche Verschlechte-

rungs- und Störungsverbot eine Vorbedingung einführt, die mit den Vorgaben der Richtli-

nie nicht vereinbar ist. Ferner hat der Bundesgesetzgeber mit der Erweiterung des Erheb-

lichkeitserfordernisses auf Verschlechterungen die in Art. 6 Abs. 2 FFH-RL enthaltene Dif-

ferenzierung hinsichtlich der Verschlechterungen und Störungen nicht übernommen.

Schließlich ist an der für Konzertierungsgebiete relevanten Vorschrift des § 33 Abs. 5 Satz

2 BNatSchG bedenklich, dass dort nur auf prioritäre Bestandteile abgestellt wird.

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Projektbezogene Verträglichkeitsprüfung

Nach § 34 Abs. 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre

Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Gebietes von gemeinschaftlicher Bedeutung

oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes zu überprüfen. Diese Grundnorm findet ent-

sprechende Anwendung auf immissionsschutzrechtliche Anlagen gemäß § 36 Satz 2 und

Gewässerbenutzungen gemäß § 6 Abs. 2 Satz 3 WHG, für die aber jeweils besonderer Ver-

träglichkeitsgrundsatz aufgestellt wurde, sowie auf Pläne gemäß § 35 Satz 1 BNatSchG.

In § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG findet sich dabei die Legaldefinition des Projektbegriffes,

der § 34-37 BNatSchG zugrunde liegt. Diese Definition besteht aus zwei Elementen. § 10

Abs. 1 Nr. 11 lit. a-c BNatSchG umschreibt zunächst diejenigen Vorhaben, die als Projekte

in Betracht kommen. Um im Einzelfall als Projekt qualifiziert zu werden, müssen diese

Vorhaben zudem einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen

geeignet sein, ein Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung oder ein Europäisches Vogel-

schutzgebiet erheblich zu beeinträchtigen. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG sind dabei

Projekte ausgenommen, die unmittelbar der Verwaltung der Gebiete von gemeinschaftli-

cher Bedeutung oder der Europäischen Vogelschutzgebiete dienen.

Der Projektbegriff des § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG ist zunächst deswegen als defizi-

tär anzusehen, weil die Regelung des § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a BNatSchG nur solche Aktivi-

täten als Projekt einstuft, die innerhalb des Gebietes vorgenommen werden. Die Beschrän-

kung auf Projekte in § 10 Abs. 1 Nr. 11 lit. a und b BNatSchG, die eine behördliche Ent-

scheidung, eine Anzeige an eine Behörde bedürfen oder von einer Behörde durchgeführt

werden, entspricht ebenso den Vorgaben der FFH-Richtlinie nicht. Die Regelung des § 10

Abs. 1 Br. 11 lit. b BNatSchG begegnet zudem auch Bedenken, da sie Privilegierungen für

die land-, forst- und fischereiwirtschaftliche Bodennutzung vorsieht, die aber im Sinne des

Art. 6 Abs. 3 FFH-RL ein Schutzgebiet erheblich beeinträchtigen könnten. § 10 Abs. 1 Nr.

11 lit. c BNatSchG ist in seiner Verweisung auf § 17 a WHG weiterhin defizitär, denn auf-

grund der anderen Zweck- und Zielsetzung des WHG könnte ein Vorhaben richtlinienwid-

rig nicht als Projekt eingestuft werden. Problematisch ist ebenso die Verweisung des § 10

Abs. 1 Nr. 11 lit. c BNatSchG auf das BImSchG, da die anzuwendende Aufzählung der

erfassten Projekte in der 4. BImSchV abschließend und daher zu eng gefasst ist.

§ 36 BNatSchG ist gegenüber §§ 34 i.V.m § 10 Abs. 1 Nr. 11 BNatSchG lex specialis, so-

weit es um emittierende, nach dem BImSchG genehmigungsbedürftige Anlagen geht. Die

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Umsetzung des § 36 BNatSchG bleibt jedoch zunächst deshalb hinter den Vorgaben des

Gemeinschaftsrechts zurück, da sie für die Relevanz von Emissionen für die Verträglich-

keitsprüfung auf den Einwirkungsbereich der Anlage abstellt. Dies bereitet insbesondere

Probleme im Anwendungsbereich der TA-Lärm. § 36 BNatSchG verstößt zudem in seiner

Bezugnahme auf einen Ausgleich entsprechend der Wertung des § 19 Abs. 2 BNatSchG

gegen die Systematik der FFH-Richtlinie.

Eine dem § 36 BNatSchG durchaus vergleichbare Sonderregelung findet sich in § 6 Abs. 2

WHG. Ebenso wie die Regelung des § 36 BNatSchG wurde § 6 Abs. 2 WHG als lex speci-

alis gegenüber den naturschutzrechtlichen Regelungen der Verträglichkeitsprüfung kon-

struiert. § 6 Abs. 2 Satz 1 WHG gilt ebenso wie § 36 Satz 1 BNatSchG als defizitär, als

darin vorgesehen wird, dass die Erlaubnis oder Bewilligung einer erheblich beeinträchti-

genden Gewässerbenutzung erteilt werden darf, wenn die Beeinträchtigung entsprechend §

19 Abs. 2 Satz 1 bis 3 BNatSchG ausgeglichen werden kann. Gemeinschaftswidrig ist § 6

Abs. 2 Satz 1 und 3 WHG auch deswegen, weil sie bestimmt, dass eine Verträglichkeits-

prüfung für Vorhaben in Konzertierungsgebieten im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 7

BNatSchG durchzuführen ist.

Planbezogene Verträglichkeitsprüfung

Welche Pläne einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind, ist über die Verweisungs-

norm des § 35 BNatSchG zu ermitteln. Der Bundesgesetzgeber hat dazu in § 10 Abs. 1 Nr.

12 BNatSchG eine Legaldefinition für den Planbegriff aufgenommen. Der Planbegriff des

§ 10 Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG setzt sich - wie der Projektbegriff des § 10 Abs. 1 Nr. 11

BNatSchG - aus zwei Elementen zusammen. Das erste Definitionselement grenzt den Kreis

relevanter Akte ein; das zweite Element, das auf Gebietsrelevanz abstellt, entscheidet dar-

über, ob ein planerischer Akt als Plan zu begreifen und dementsprechend nach § 35

BNatSchG einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen ist. Die Plandefinition in § 10

Abs. 1 Nr. 12 BNatSchG bezieht sich dabei auf alle in § 35 BNatSchG genannten Vorha-

ben.

Eine Pflicht zur Durchführung einer Verträglichkeitsprüfung für gebietsrelevante Raum-

ordnungspläne lässt sich - im Gegensatz zu sonstigen Plänen - aus § 35 BNatSchG nicht

herleiten. Eine europarechtskonforme Auslegung des § 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG i.V.m §

7 Abs. 7 Satz 4 Halbsatz 2 ROG führt aber zu dem Ergebnis, dass § 7 Abs. 7 Satz 4 Halb-

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satz 2 ROG in Verbindung mit den §§ 35 Satz 1 Nr. 2, 34 BNatSchG die Pflicht normiert,

bei Raumordnungsplänen eine Verträglichkeitsprüfung durchzuführen, soweit sie geeignet

sind, die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck eines Schutzgebietes erheblich zu beein-

trächtigen

Für Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs.4 Satz 1 Nr. 3 BauGB ordnet § 35 Satz 2

BNatSchG die entsprechende Anwendung von § 34 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 bis 5 BNatSchG

an. § 35 Satz 2 BNatSchG ähnelt dabei der Regelung des § 35 Satz 1 Nr. 2 BNatSchG. So

wird ebenfalls in § 35 Satz 2 BNatSchG auf § 34 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich nicht verwie-

sen. Auch § 1a Abs. 4 BauGB, der die Verträglichkeitsprüfung der FFH-Richtlinie in das

deutsche Bauplanungsrecht umsetzen soll, ordnet die Durchführung der Verträglichkeits-

prüfung nicht ausdrücklich an, so dass sich für Bauleitpläne und Satzungen nach § 34 Abs.

4 Satz 1 Nr. 3 BauGB dieselbe Problematik wie bei den Raumordnungsplänen aus §§ 35

Satz 1 Nr. 2, 7 Abs. 7 ROG ergibt. Daher kann im Wesentlichen auf die obigen Erläuterun-

gen zu den Raumordnungsplänen verwiesen werden.

Der Verträglichkeitsgrundsatz

Die den Verträglichkeitsgrundsatz konstituierende Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 Satz 2

FFH-RL wurde durch § 34 Abs. 2 BNatSchG in bundesdeutsches Recht umgesetzt. Danach

ist ein Plan oder Projekt unzulässig, wenn die Verträglichkeitsprüfung ergibt, dass das

Vorhaben zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Gebietes von gemeinschaftlicher Be-

deutung oder eines Europäischen Vogelschutzgebietes in seinen für die Erhaltungsziele

oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann. Diese Vorschrift begrün-

det ein strikt beachtliches Zulassungshindernis, welches nur unter den in § 34 Abs. 3, 4

BNatSchG bezeichneten Voraussetzungen überwunden werden kann.

Die Regelung des § 34 Abs. 2 BNatSchG unterscheidet sich dabei von der Formulierung

des Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL, als sie anders als Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL nicht von

einer Beeinträchtigung des Gebietes als solchem, sondern von Beeinträchtigung eines Ge-

bietes „in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandtei-

len“ spricht. Daraus ergibt sich ein Umsetzungsdefizit, denn der Schutz der Verträglich-

keitsprüfung erfasst nach § 34 Abs. 2 BNatSchG anders als die Regelung des Art. 6 Abs. 3

Satz 2 FFH-RL, die auf das Schutzgebiet als Ganzes Bezug nimmt, nicht das gesamte Ge-

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biet, sondern lediglich die Bestandteile, die für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck

maßgeblich sind.

Die Regelung des § 34 Abs. 2 BNatSchG erweist sich weiterhin als problematisch, als sie

die Unzulässigkeit eines Vorhabens von der Erheblichkeit der Beeinträchtigung der maß-

geblichen Gebietsbestandteile abhängig macht. Denn die europarechtliche Vorgabe des

Art. 6 Abs. 3 Satz 2 FFH-RL bestimmt, dass für eine negative Zulassungsentscheidung

grundsätzlich jede Beeinträchtigung der maßgeblichen Gebietsbestandteile ausreicht.

Ausnahmen vom Verträglichkeitsgrundsatz

Art. 6 Abs. 4 FFH-RL findet ihre Umsetzung in § 34 Abs. 3-5 BNatSchG. Die Bestimmun-

gen des § 34 Abs. 3-5 BNatSchG finden kraft der Anordnung des § 35 BNatSchG auf Plä-

ne entsprechende Anwendung und gelten nach Maßgabe der §§ 36 Satz 1 BNatSchG, 6

Abs. 6 Satz 2 WHG entsprechend für genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem

BImSchG und Gewässerbenutzungen nach dem WHG. Nach § 34 Abs. 3 BNatSchG kann

ein Vorhaben in Abweichung zu § 34 Abs. 2 BNatSchG durchgeführt werden, soweit dies

aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses notwendig ist und

zumutbare Alternative nicht existieren. § 34 Abs. 3 BNatSchG gilt für nichtprioritäre Arten

und Lebensräume, während § 34 Abs. 4 BNatSchG verschärfte Anforderungen für den Fall

des Betroffenseins von prioritären Biotopen und Arten trifft. Aus § 34 Abs. 5 BNatSchG

sind schließlich Verpflichtungen zur Sicherung des kohärenten Schutzgebietsnetzes Natura

2000 durch entsprechende Maßnahmen sowie zur Unterrichtung der Kommission zu ent-

nehmen.

Durch die Verweisung auf Absatz 2 knüpft § 34 Abs. 3 BNatSchG das Erfordernis einer

Sonderprüfung an die zuvor gemäß Abs. 2 festgestellte Unzulässigkeit im Falle möglicher

erheblicher Beeinträchtigungen maßgeblicher Bestandteile eines Schutzgebietes und eröff-

net somit die Möglichkeit, schutzgebietsrelevante Vorhaben ungeachtet ihrer mangelnden

Erhaltungszielkonformität ohne weiteres zuzulassen, solange sie den Erhaltungszustand

maßgeblicher Gebietsbestandteile in nicht mehr als unerheblicher Weise beeinträchtigen.

Die gemeinschaftsrechtliche Vorgabe des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL stellt hingegen

auf das negative Ergebnis der Verträglichkeitsprüfung und wählt damit einen anderen An-

knüpfungspunkt. Die bundesdeutsche Umsetzung ist folglich in dieser Hinsicht defizitär.

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249

Die Zulassungsfähigkeit eines mit dem Verträglichkeitsgrundsatz unvereinbaren Vorha-

bens hängt nach § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG zunächst davon ab, dass seine Realisierung

aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses, einschließlich solcher

sozialer oder wirtschaftlicher Art, notwendig ist. Ist die Voraussetzung des § 34 Abs. 3 Nr.

1 BNatSchG erfüllt, bedarf es nach Nr. 2 zusätzlich der Feststellung, dass zumutbare Alter-

nativen, den mit dem Vorhaben verfolgten Zweck an anderer Stelle ohne oder mit geringe-

ren Beeinträchtigungen zu erreichen, nicht gegeben sind. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL

erfordert jedoch zunächst die Klärung, ob eine zumutbare Alternative gegeben ist und erst

wenn dies zu verneinen ist, sind die überwiegenden öffentlichen Interessen des Vorhabens

zu prüfen. Die Umsetzungsvorschrift zieht in seinem Anwendungsbereich dagegen die Er-

wägung zwingender öffentlicher Interessen vor und widerspricht folglich der Systematik

des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 1 FFH-RL. Ferner wird in § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG die Suche

nach Alternativen unzulässig beschränkt, denn mit der Formulierung „an anderer Stelle“

erfordert § 34 Abs. 3 Nr. 2 BNatSchG lediglich eine Suche nach Standortalternativen und

schließt damit Ausführungsalternativen aus, die am selben Ort errichtet werden könnten

und mit denen aufgrund einer anderen Ausführung des Vorhabens geringere Beeinträchti-

gungen einhergingen.

Die Regelung des § 34 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG, die die gemeinschaftsrechtliche Vorgaben

des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL umsetzen sollte, bleibt auch hinter den gemeinschafts-

rechtlichen Vorgaben zurück. Denn nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 4 Satz 1 BNatSchG,

der bestimmt, dass sich in dem vom Projekt betroffenen Gebiet prioritäre Arten und Le-

bensraumtypen „befinden“ müssen, scheint eine direkte Betroffenheit der prioritären Be-

standteile nicht unbedingt erforderlich zu sein. Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL setzt für

seine Anwendung dagegen zumindest die Möglichkeit einer unmittelbaren Beeinträchti-

gung der zu schützenden prioritären Lebensraumtypen oder Arten durch ein Vorhaben.

Der Kreis der nach § 34 Abs. 4 BNatSchG erfassten Gebiete steht auch nicht mit den Vor-

gaben der FFH-Richtlinie im Einklang. Denn nach der Formulierung des § 34 Abs. 4

BNatSchG kommt für reine Vogelschutzgebiete eine Anwendung des § 34 Abs. 4

BNatSchG nicht in Betracht. Der Bundesgesetzgeber hat sich damit der gemeinschaftswid-

rigen Auffassung, es gebe keine prioritären Vogelarten, angeschlossen.

Die Umsetzung des Art. 6 Abs. 4 UAbs. 2 FFH-RL durch § 34 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG ist

auch nicht richtlinienkonform, als § 34 Abs. 4 Satz 2 BNatSchG hinsichtlich der sonstigen

Ausnahmegründe auf § 34 Abs. 3 Nr. 1 BNatSchG verweist und damit die dort genannten

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sozialen und wirtschaftlichen Gründe in Gebieten mit prioritären Bestandteilen für an-

wendbar erklärt.

Die Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Ausgleichverpflichtung stößt zudem gegen

die europäischen Vorgaben, weil nach § 36 Satz 1 BNatSchG und § 6 Abs. 2 Satz 1 WHG

Ausgleichs- und Kompensationsmaßnahmen entsprechend § 19 Abs. 2 BNatSchG bereits

zu berücksichtigen sind, wenn über die Unzulässigkeit eines Vorhabens wegen Unverträg-

lichkeit entschieden wird. Eine derartige Umkehrung der in der FFH-Richtlinie vorgesehe-

nen Prüfungsabfolge kann dazu führen, dass unverträgliche, aber ausgleichbare Vorhaben

realisiert werden, ohne dass die engen Ausnahmetatbestände des § 34 Abs. 3 und 4

BNatSchG einschlägig sein müssen.

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Lebenslauf Persönliche Angaben: Name: Ahmet Mithat Günes Geburtdatum: 30.01.1979 Geburtsort: Batman, Türkei Email: [email protected] Schulbildung: 09/1985 – 06/1990: Grundschule in Batman 09/1990 – 01/1997: Gymnasium in Batman Studium: 09/1997 – 09/2001: Rechtswissenschaften an der juristischen Fakultät der

Universität Ankara Berufsausbildung: 10/2001 – 11/2002: Rechtsreferendar bei der Anwaltskammer Batman Berufserfahrung: 01/2003 – 04/2003: Rechtsanwaltstätigkeit in Batman Weiterbildung: 06/2003 – 03/2004: Besuch eines deutschen Kurses in Berlin 04/2004 – 06/2005: LL.M. Studium an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der

Universität Münster 07/2005 – 11/2007 Promotion an der Fakultät für Rechtswissenschaft der

Universität Bielefeld