Das Wunder von Sinntal

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Wunder Das von Sinntal Der „Dritte Weg“ aus der Insolvenz Eine Dokumentation der IG BCE Bezirk Mittelhessen

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Im März 2009 meldete der Automoblizulieferer Plastal Insolvenz an. Für über 300 Beschäftigte am Standort Sinntal-Sterbfritz begann ein verzweifelter Kampf um ihre Zukunft. Als wenige Monate später vom Insolvenzverwalter die Schließung des Standortes verkündet wurde, schien der Kampf endgültig verloren. Doch die Beschäftigten gaben nicht auf. Gemeinsam mit Betriebsrat, Gewerkschaft und externen Beratern entschieden sie sich für den sogenannten „Dritten Weg“ zwischen Investorensuche und Liquidation. Sie entwickelten ein Konzept für eine eigenständige und unabhängige Weiterführung des Werkes - und warben dafür bei Investoren, Kunden und Landesregierung. Am Ende eines mühsamen, fast ein Jahr dauerenden Prozesses stand "das Wunder von Sinntal". „das Wunder von Sinntal“.

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WunderDas

von Sinntal

Der „Dritte Weg“ aus der Insolvenz

Eine Dokumentation der IG BCE Bezirk Mittelhessen

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IMPRESSUM

Herausgeber: IG BCE Bezirk Mittelhessen

Redaktion: Oliver Eichling, Wolfgang Werner, Jörg Sommer

Text & Realisation: Jörg Sommer, www.stratopol.de

Verantwortlich: Wolfgang WernerBezirksleiterIG BCE Bezirk MittelhessenAm Freiheitsplatz 663450 HanauTelefon: 06181 27077-60Fax: 06181 27077-89www.mittelhessen.igbce.de

© Mai 2010

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3DAS WUNDER VON SINNTAL

Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat den Bezirk Mittelhessen der IG Bergbau, Chemie, Energie im Jahre 2009 kräftig durchgeschüttelt. Be-sonders betroffen waren die Betriebe der Automobilzulieferer. Wenn wir heute auf diese problematische Situation zurückblicken, können wir mit Stolz feststellen, dass die Betriebe in unserem Bezirk insgesamt gut über die Krise hinweg gekommen sind. Kein einziger der von uns betreuten Be-triebe musste schließen. Der befürchtete und teilweise auch konkret ge-plante Personalabbau in größeren Dimensionen hat nicht statt gefunden. Dass dies verhindert werden konnte, hat seine ganz konkreten Ursachen darin, dass Betriebsräte, Vertrauensleute, IG BCE, Arbeitgeberverbände und die Unternehmensführungen gemeinsam zur richtigen Zeit die rich-

tigen Schutzschirme entwickelt und aufgespannt haben. Die Politik hat ihrerseits mit veränderten Regeln zur Kurzarbeit und mit Konjunkturprogram-men ihren Beitrag geleistet. In dieser schwierigen Situation haben sich die flexiblen Tarifverträge der IG BCE und eine über Jahre gelebte Sozialpartner-schaft bestens bewährt.

Die in dieser Broschüre dokumentierte Aus-einandersetzung um den Erhalt des Plastal-Werkes in Sterbfritz ist ein bedeutender Ausschnitt aus die-ser Zeit der Krisenbewältigung. Sterbfritz zeigt, dass es sich lohnt, einer drohenden Insolvenz mutig und mit hohem Engagement, sowie unter Hinzunahme

von externer Beratung, entgegenzuwirken. Die vorliegende Dokumentation belegt, dass auch eine von einem Insolvenzverwalter verkündete Betriebs-stilllegung noch nicht zwangsläufig das Ende des Unternehmens und seiner Arbeitsplätze sein muss. Es lohnt sich, eigene Konzepte zur Weiterführung eines Betriebes zu erarbeiten und durchzusetzen.

Es hat sich gezeigt, dass es richtig war, nicht gleich nach einem Sozial-plan zu greifen, sondern alle Kraft und Mittel einzusetzen, um Arbeitsplätze zu erhalten.

Ich möchte an dieser Stelle allen Kolleginnen und Kollegen sehr herzlich für den hohen Einsatz, den Mut und die Ausdauer danken. Meine besondere Wertschätzung gilt dem Betriebsratsvorsitzenden von Plastal Sterbfritz Kollege Gebhard Weikinger sowie dem Kollegen Rechtsanwalt Jürgen Walter vom Beraterteam der IG BCE. Letzterer hat uns in besonde-rer Weise in allen Phasen der Auseinandersetzung aktiv unterstützt und uns alle immer wieder inspiriert, weiter zu machen. Schließlich hat er für uns manche Tür geöffnet, an deren Griff wir nicht so schnell herangekom-men wären.

Unser Vorgehen bei Plastal Sterbfritz ist beileibe kein allgemein gültiges Rezept - es soll vielmehr Betriebsräte und Gewerkschaftsfunkti-onäre dazu motivieren, in solchen Situationen neue Wege zu gehen und sich dabei auch neuer und moderner Instrumente zu bedienen, sowie auf die politische Kraft der Betroffenen und der Öffentlichkeit zu vertrauen. Das Ergebnis zeigt, dass wir es richtig gemacht haben. Ich weiß, dass der folgende Spruch für manche abgedroschen erscheint, aber hier trifft er in klassischer Weise zu:

„Wer kämpft kann verlieren, wer nicht kämpft hat schon verloren.“

VORWORT

Wolfgang WernerIG BCE Bezirksleiter

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4 DAS WUNDER VON SINNTAL

Plastal in SterbfritzErfolgreich und gefährdet

Das Unternehmen 7PlastalDer Kunststoffkonzern aus Schweden

Das Werk Sterbfritz 8Ein halbes Jahrhundert unter wechselnden Fahnen

Die Plastal-InsolvenzEine zwangsläufige Geschichte?

Weniger Pkws, 10weniger StoßfängerDie Krise der Automobilindustrie ist global

Die Insolvenz in 12DeutschlandKein Geld, keine Ware

THoMaS ScHnEIDER 13„Mir schossen Tränen in die Augen“

BERnD WEgER 13„Auf einmal war alles kaputt“

DR. SIEgFRIED BEck 14Insolvenzverwalter mit Profil

Die erste 15krisenkonferenzRunder Tisch im Landratsamt

Lösung statt LiquidationVon der Frustration zum Protest

Sterbfritz im 16alarmzustandDer Widerstand formiert sich

cMS HaScHE SIEglE 17Die führende Transaktionskanzlei

PRIcEWaTERHoUSEcooPERS 18Die Übernahmeprofis

Vampire im Sinntal? 19Planung auf dem Parkplatz

1.600 MITglIEDER 22Solidarität im Web 2.0

Phoenix & Wallenstein 23Alte Lösungen für neue Probleme?

Die Suche nach dem Dritten WegVon der Reaktion zur Aktion

Soll Sterbfritz sterben? 24Vom Mut der Verzweiflung

DaS PRojEkT „PHoEnIx“ 27Ein Standort wird filetiert

REcHTSExPERTE UnD 28PolITPRoFI

Jürgen Walter im Gespräch

10 16Weniger Pkws, weniger Stoßfänger

Die Krise der Automobilindustrie ist global

Sterbfritz im alarmzustandDer Widerstand formiert sich

Ed C

allo

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5DAS WUNDER VON SINNTAL

Gegen alle WahrscheinlichkeitQualität und Beharrlichkeit

Das Fest der 30SolidaritätBlasmusik und saure Gurken

Die gläubiger- 32versammlungPfiffe, Wut und verschlossene Tore

EIn lESERBRIEF 34„Auf dem Werksgelände weggeschlossen“

Das Revitali- sierungskonzeptMutig, aber machbar

anruf aus der 35StaatskanzleiRingen um ein Konzept

Profis müssen her 36Die Betriebsratsberater

BaRBaRa MaIER 37„Aus Erstarrung wird Starrsinn“

kEMPER & ScHloMSkI 38Die „etwas andere“ Unternehmensberatung

Ran an die Entscheider 39Argumentieren, Überzeugen, Nachfassen

aUF DIE STäRkEn SETzEn 41Das eigenständige Revitalisierungskonzept

Die RettungEin Standort setzt sich durch

Unter einem 42guten Stern? Klartext in Sindelfingen

Unvergessliche 44WeihnachtenDurchbruch am 24. Dezember

zUkUnFT MIT gaRanTIE 45Im neuen Konzern Faurecia

FazitEine Insolvenz kann auch ein Anfang sein

lyDIa EISlER 46„Ich habe immer an eine Zukunft geglaubt“

HERBERT HolgER 46„Das Haus wäre weg gewesen“

ERIka zIEglER 46„Alle zogen mit“

Standort Sterbfritz 47Vom Außenseiter zum Mittelpunkt

WolFgang WERnER & 48olIVER EIcHlIng

„Wunder muss man sich erarbeiten“

AnhangEIn BEWEgTES jaHR 50Kurze Chronologie der Ereignisse

DIE Ig BcE MITTElHESSEn 54Dienstleistung für über 10.000 Mitglieder

45zukunft mit garantie

Im neuen Konzern Faurecia

Sterbfritz im alarmzustandDer Widerstand formiert sich

Faurecia

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6 DAS WUNDER VON SINNTAL

Das Wunder von SinntalDie Wirtschaftskrise schreibt viele Geschichten. Die meisten davon haben keinen glücklichen Ausgang.

Es sind Geschichten vom verzweifelten Ringen um Unternehmen und Arbeits-plätze. Geschichten von Insolvenzen, die ganze Regionen lei-den lassen. Geschichten von Fami-lien, die mit dem Ein-kommen ihren mühsam erarbeiteten kleinen Wohlstand, ihr Haus, ihre Zukunftsperspekti-ve verlieren. Geschichten, die auf den Gängen der Arbeitsagen-turen enden. Geschich-ten, die immer wieder ähnlich mit immer wie-der den gleichen Akteu-ren und ähnlichem Drehbuch erzählt werden könnten.Keine schönen Geschichten. Und doch so wahr.Die Geschichte, von der wir in dieser Dokumentation erzählen, ist ebenfalls eine wahre Geschichte. Sie hat dieselbe Ursache, denselben Auftakt - eine Un-ternehmensinsolvenz. Sie hat dieselben Akteure wie so viele andere Geschich-ten. Nicht ganz.Denn die üblichen Verlierer dieser Ge-schichten haben im vorliegenden Fall

das Drehbuch etwas umgeschrieben.Das war alles andere als einfach. Und es war riskant, denn eine Geschichte wie

die vorliegende ist nicht üblich. Schon gar nicht ihr positives Ende. Und deshalb ist auch unsere Geschichte zunächst eine Geschichte von Frustra-tion und Verzweiflung, Zorn und Selbstaufgabe, Pessimismus und indivi-duellem Leid.Eine Geschichte von all den Dingen, die Arbeit-nehmern und ihren Fa-milien widerfahren, die in Zeiten der Krise schein-

bar überflüssig geworden sind.Doch es ist auch eine Geschichte von Sturheit und Widerstand gegen ein zu-nächst unausweichlich erscheinendes Schicksal, von Kreativität und Beharr-lichkeit, und vor allem: von Solidarität.Und deshalb ist diese Geschichte er-zählenswert. Sie ist kein Patentrezept, sie bean-sprucht keine universelle Gültigkeit, aber sie zeigt: Es gibt Alternativen zum großen Kahlschlag.Die Geschichte von Plastal Sterbfritz ist eine davon.

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7DAS WUNDER VON SINNTAL

Im Rahmen der Globali-sierung und des anhal-tenden Kostendrucks in der Automobilbranche ist auch Plastal über die Jahre hinweg gezwun-gen, durch Zukäufe die

eigenen Marktanteile abzusichern und auszubauen.

So werden Ende 2005 die deutschen Werke der Dynamit Nobel Kunststoff übernommen.

Verkäufer ist die „mg technologies“, die selbst aus der ehemaligen Metall-gesellschaft hervorgegangen ist. Diese wurde nach international aufsehen-erregenden Fehlspekulationen und einer hausgemachten Insolvenz im Jahre 1993 von einem der deutschen „Mustersanierer“ Kajo Neukirchen zerschlagen. Rund 10 Jahre nach dem spektakulären Zusammenbruch gerät

Das Unternehmen Plastal

Der kunststoffkonzern aus Schweden

Seit seiner Gründung im Jahr 1934 beschäftigt sich der schwedische Konzern mit Kunststoffprodukten und

entwickelt sich im Laufe der Jahre zu einem der weltweit bedeutendsten Zulieferer der Automobilindustrie mit

modernen Kunststoffstoßfängern.

PLASTAL IN STERBFRITZ | ERFOLGREICH UND GEFäHRDET

die Metallgesellschaft erneut in Tur-bulenzen.

Der Vorstandsvorsitzende Neukir-chen muss einen gravierenden Stel-lenabbau ankündigen, die mg-Aktie verliert massiv an Wert. Daraufhin verdoppelt der in der Schweiz resi-dierende deutsche Milliardär und fe-derführende Teilhaber Happel seinen Aktienanteil auf 20% und zwingt Neu-kirchen, dem er außerdem Bilanzfäl-schung vorwirft, zum Rücktritt. Der neue Vorstandsvorsitzende Udo Stark bewirkt abermals eine Kurskorrektur – nun konzentriert sich das Unterneh-men auf den Spezialmaschinenbau mit dem Schwerpunkt Prozesstechnik und Komponenten sowie auf den An-lagenbau. Das Chemiegeschäft mit den Teilkonzernen Dynamit Nobel und Solvadis werden für rund zwei Milliar-den Euro verkauft, um damit die hohe Verschuldung drastisch zu reduzieren.

Plastal lässt schließlich die neu er-worbenen deutschen Standorte nicht unter der Marke „Dynamit Nobel“ weiterlaufen, sondern integriert sie in die Plastal Deutschland GmbH, die schließlich Anfang des Jahres 2009 an insgesamt sechs deutschen Stand-orten (Weißenburg/Stammsitz, Pap-penheim, Essen, Sterbfritz, Reinsdorf, Renningen) über 3.000 Mitarbeiter beschäftigt.

Produziert werden in Deutschland fast ausschließlich Stoßfänger und Armaturen für die Daimler AG, BMW, Opel, Volkswagen und andere.

Die Struktur des Weltkonzerns Plastal ist, wie international üblich, vor allem in finanzieller Hinsicht straff organisiert und „steueroptimiert“. So sind die Immobilien, Grundstücke und Betriebsmittel in Sterbfritz nicht im Besitz von Plastal sondern an die Mün-chener Leasing-Gesellschaft Naxis Verwaltungs GmbH übertragen und dann zurückgeleast.

Die schwedische Zentrale hat Zugriff auf alle deutschen Konten.

Die Finanzierung des Konzerns läuft über Banken, vor allem über die Schwedische Handelsbank. In Schwe-den ist SAAB - seit 2000 zu General Motors gehörend - der größte und wichtigste Kunde Plastals.

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8 DAS WUNDER VON SINNTAL

Die Produktion von vulkanisierten Schuhsohlen läuft im anziehenden deutschen Wirtschaftswunder hervor-ragend, so dass schon im Folgejahr ein erster Anbau entsteht, dem schließlich 1970/71 eine weitere große Erweite-rung folgt.

Schon im folgenden Jahr wird Schneider durch die Firma Phoenix übernommen - im selben Jahr wird auch der Ort Sterbfritz gemeinsam mit 11 weiteren Orten Bestandteil der neuen Verbandsgemeinde Sinntal.

Das neue Phoenix-Werk wird mehrmals kräftig erweitert und kon-zentriert sich jetzt auf die Herstellung diverser PU-Kunststoffprodukte wie Kindersitze und Kopfstützen.

Mitte der Neunziger Jahre wird die Palette nach Einweihung einer Lacki-er- und einer Spritzgussanlage um Kunststoff-Außenteile für die Automo-bilindustrie erweitert. Jetzt werden in hohen Stückzahlen hochwertige Stoß-fänger und Spoiler für verschiedene Automobilhersteller gefertigt.

1997 wird das Werk von der Dy-namit Nobel AG übernommen, die selbst seit 1992 zur Metallgesellschaft gehört und sich zunehmend auf die Kunststoffbranche konzentriert. Zwar wird in zusätzliche Fertigungshallen und Anlagen investiert, eine große Fläche von 2,4 Hektar wird für zukünf-tige Erweiterungen hinzugekauft.

Dennoch entwickelt sich ein schlei-chender Investitionsrückstand, nötige Investitionen und Sanierungsmaßnah-men an den Immobilien und Produkti-

Das Werk sterbfritz

Ein halbes jahrhundert unter wechselnden Fahnen1956 baut die Firma IC & A. Schneider ihr erstes Werk

in der rund 2.000 Einwohner zählenden hessischen Gemeinde Sterbfritz.

PLASTAL IN STERBFRITZ | ERFOLGREICH UND GEFäHRDET

onsanlagen werden herausgeschoben.2006 kommt das Werk im Rahmen

der Veräußerung von Dynamit Nobel an die schwedische Plastal-Gruppe, die jedoch mit Investitionen ebenfalls sehr zögerlich ist,

Noch 2008 werden rund 8 Millionen Euro Gewinn er-wirtschaftet - aber nicht reinvestiert sondern vom Mut-terkonzern kom-plett abgezogen.

Trotz der zahlreichen Änderungen in den Besitzverhältnissen bleibt in Sterbfritz so etwas wie eine gemeinsa-me Identifikation in der Belegschaft zu spüren.

Dies liegt auch daran, dass das ver-hältnismäßig kleine Werk in Sinntal der größte Arbeitgeber ist und in vie-len Familien mehrere Generationen im Betrieb tätig sind.

Das Werk wird letztlich auch auf-grund seiner Lage im strukturschwa-

chen Osthessen bei all den Besit-zerwechseln meist als eher kleinere „Zugabe“ gehandelt, die zwar zum Gesamtpaket gehört, doch keinesfalls im Mittelpunkt des Interesses der In-vestoren steht.

Das alles führt zu einer vergleichs-weise geringen Fluktuation in der Be-legschaft und sogar im Management, so dass diese Besitzerwechsel in der Regel relativ spurlos am Standort vor-beigehen. Es führt auch zu einer recht hohen Qualifikation der Mitarbeiter - ein Faktor, der sich im Lauf der kom-menden Ereignisse noch als entschei-dend herausstellen soll.

2009 werden in Sterbfritz fast aus-schließlich Stoßfänger, Schweller und andere Kunststoffteile für die Automo-bilbranche produziert.

Die Autoteile für die Mercedes S-Klasse machen knapp 90 Prozent der Produktion von Plastal in Sterbfritz aus. Weitere Auftraggeber aus der Fahrzeugindustrie sind unter ande-rem Porsche und BMW, die in Sterb-fritz für ihr Premium-Segment produ-zieren lassen - denn:

Die anerkannt hohe Qualität aus Sterb-fritz ist ihr Geld wert.

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9DAS WUNDER VON SINNTAL

Belegschaft

Dunkle Wolken über dem Werk Sterbfritz

Produktion

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10 DAS WUNDER VON SINNTAL

DIE PLASTAL-INSOLVENZ | EINE ZWANGSLäUFIGE GESCHICHTE?

Jetzt greift das System der abhän-gigen Zulieferindustrie, auf die die Automobilhersteller in Krisenzeiten große Teile des Risikos und des Kos-tendrucks abwälzen können.

Auch Plastal Deutschland be-kommt dies zu spüren. Zwar ist das Unternehmen im Markt als Zulieferer von Stoßfängern fest etabliert, doch die Abnahmemengen schrumpfen zum Teil dramatisch.

In Sterbfritz werden überwiegend Teile für die aktuelle S- und E-Klasse der Daimler AG gefertigt. Und auch hier brechen die Produktionsmengen ein.

Eine keineswegs angenehme, aber so ähnlich bei hunderten deutscher Automobilzulieferern im Herbst 2008 entstehende Situation.

In schwierigen Verhandlungen ge-lingt es in Sterbfritz, ein von allen Be-teiligten getragenes Paket zur Stand-ortsicherung zu vereinbaren, das am 1. September 2008 in Kraft tritt.

Die betriebliche Wochenarbeits-zeit wird reduziert, rund 30 Arbeits-plätze werden abgebaut, die betroffe-nen Mitarbeiter über einen Sozialplan abgesichert. Damit glaubt man sich am Standort (mit noch rund 300 Arbeits-

Weniger PkWs, Weniger stossfänger

Die krise der automobilindustrie

ist globalDie Finanz- und dann auch Wirtschaftskrise trifft die

deutsche Automobilindustrie mit voller Wucht. In der zweiten Jahreshälfte 2008 ist die Abwrackprämie

noch nicht am Horizont, die Verkaufszahlen bei Pkws brechen dramatisch ein.

plätzen) so gut als möglich für die kommenden Monate gerüstet.

Ende Dezember 2008 wird die Ab-wrackprämie konkret, eine großzügi-gen Erweiterung der Kurzarbeitsrege-lung trägt ebenfalls dazu bei, dass man auch in Sterbfritz die Hoffnung hat, einigermaßen unbeschadet durch die Krise zu kommen.

Diese Situation zieht sich bis zum März 2009. Nach wie vor wird die Möglichkeit der Kurzarbeit für viele Arbeitsplätze in Sterbfritz genutzt. Die Betroffenen klagen nicht über ihr re-duziertes Einkommen.

Sie sind froh, ihren Arbeitsplatz behalten zu können. Lange darf die-se Phase jedoch nicht dauern, denn schon jetzt bekommt die ein oder an-dere Familie Probleme bei der Zah-lung ihrer Raten für Kredite oder ihre Immobilienfinanzierung.

Eine Entspannung der Lage in der Automobilindustrie ist jedoch nicht in Sicht. Von 160.000 Mitarbeitern der Daimler-Belegschaft befinden sich zeitweise bis zu 68.000 in Kurzarbeit.

Für einen großen Teil der anderen Beschäftigten gilt eine zwangsweise Arbeitszeitverkürzung mit einer Ein-kommenseinbuße von rund 10 Pro-

zent. In Sterbfritz weiß man: Bevor die Absatzzahlen bei der Daimler AG nicht anziehen, wird es auch keine Entspan-nung für die Belegschaft in Sterbfritz geben.

Und dann gibt es da noch ein an-deres Unternehmen, das zwar kein Abnehmer von Sinntaler Produkten ist, dessen Schicksal aber aktuell die Weltpresse beschäftigt - und noch von entscheidender Bedeutung für den Standort sein wird:

GENERAL MOTORS

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11DAS WUNDER VON SINNTAL

Die Krise des Konzerns beginnt in Detroit.

Der schwedische Rüstungskonzern Saab schreibt über viele Jahre eine einzige Erfolgsgeschichte. Das 1937 als Svenska Aeroplan Aktiebolaget (woraus später „Saab“ als Akronym abgeleitet wird) gegründete Unter-nehmen unterhält seit Ende des Zwei-ten Weltkriegs auch eine PKW-Sparte.

Saab Automobile gelten als äu-ßerst zuverlässig, sicher und vor allem im Design als unverwechselbar. 1969 übernimmt SAAB den angeschlagenen LKW-Hersteller Scania und gerät in der Folge selbst ins Trudeln.

Ab 1979 wird die Krise offensicht-lich: Trotz intensiver Bemühungen ge-lingt es nicht, ein erfolgreiches Nach-folgemodell für den legendären Saab 900 zu entwickeln, der - in Deutsch-land als „Studienrats-Schaukel“ belä-chelt - nie nennenswerte Markanteile verbuchen konnte. Es folgen mehrere Kooperationsversuche mit Fiat, Lancia und Ford. Doch ein marktfähiges Mo-dell entsteht nicht.

Schließlich wird ein vermeintlich potenter Investor gefunden: General Motors will nach Europa expandieren und steigt bei Saab ein, übernimmt im Jahr 2000 das Unternehmen schließ-lich zu 100%. Doch die Firmenphilo-sophien sind zu verschieden. Saab hat weder moderne Technik noch Rendite zu bieten. Die Stärke Saabs liegt in der unverwechselbaren Individualität ih-rer Produkte. Genau diese Stärke wird in den Folgejahren im GM-Konzern gründlich glattgeschliffen.

Wirtschaftlich kommt Saab nicht mehr auf die Füße, ab 1989 schreibt das Unternehmen fast jedes Jahr rote Zahlen, kommt es ab 2000 doch zu ge-ringen Gewinnen, werden diese vom

selbst ins Straucheln geratenen Mut-terkonzern in die USA transferiert.

2007 weist das Unternehmen ei-nen operativen Verlust von umge-rechnet 201 Millionen Euro aus. Der mittlerweile schwer angeschlagene GM-Mutterkonzern erklärt Mitte Fe-bruar 2009, er werde die finanzielle Unterstützung für Saab zurückfahren und Saab bis zum 1. Januar 2010 aus dem Konzern herauslösen.

Am 20. Februar 2009 beantragt das Unternehmen Gläubiger-schutz („Företagsrekonstruk-tion“), nach schwedischem Recht eine Vorstufe der Insol-venz, kündigt dabei aber auch die Fortsetzung der Produkti-

on an. Am 25. Februar 2009 muss die Produktion jedoch bereits für einen Tag – aufgrund einer Anordnung des schwedischen Zolls – angehalten wer-den.

Das Unternehmen kann die Zollgebüh-ren für die Materi-allieferungen nicht mehr bezahlen.

Die schwedische Regierung lehnt Staatshilfen mehrmals ab, ohne dass ein neuer Eigentümer gefunden wer-den kann.

Das führt auch zu einem schweren Liquiditätsproblem beim Zulieferer Plastal. Zwar kann der schwedische Mutterkonzern die Umsatzeinbrü-

che zunächst auffangen, doch als klar wird, dass SAAB als Kunde möglicher-weise zu einem Totalausfall wird, be-kommen die Investoren kalte Füße und drohen, die Konten einzufrieren.

Plastal, das hauptsächlich von der Schwedischen Handelsbank abhängig ist, zieht die Notbremse:

Am 5. März 2009 meldet der Kon-zern Insolvenz in Schweden an.

Konzernchef Roar Isaksen sagt, man habe „bis zuletzt alles versucht“, dennoch sei die Zahlungsunfähigkeit nicht zu vermeiden gewesen. Die Pro-duktion soll unter einem Insolvenz-verwalter vorerst weitergeführt wer-den.

Er gehe davon aus, dass „jede rechtlich eigenständige Einheit bei der jeweils zuständigen Gerichtsbar-keit ihres Standorts Insolvenz anmel-den muss“. Auch eine Kapitalzufuhr durch den Haupteigner Nordic Capital Fund V habe wegen der dramatischen Verschlechterung der Lage auf allen Kernmärkten nicht gereicht, um eine Insolvenz zu verhindern.

Am selben Tag stoppt die schwe-dische Konzernmutter alle Lieferun-gen an ihre Tochtergesellschaften und zieht sämtliche liquiden Mittel ab. Das Todesurteil auch für die Deutsche Tochtergesellschaft, bei der über ein Drittel der weltweiten Belegschaft be-schäftigt ist.

Saab 900 Design-Legende aus Schweden

IFC

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12 DAS WUNDER VON SINNTAL

DIE PLASTAL-INSOLVENZ | EINE ZWANGSLäUFIGE GESCHICHTE?

Sie informieren den IG BCE Lan-desleiter Rainer Kumlehn, der eine kurzfristige Folgeinsolvenz der deut-schen Plastal für unvermeidlich hält.

Noch am 5. März kommt es zu ers-ten Kontaktaufnahmen mit der Stand-ortleitung, dem Landkreis und regio-nalen Politikern.

Nur einen Tag später, am Vormittag des 6. März, muss auch die deutsche Niederlassung mit Hauptsitz in Wei-ßenburg Insolvenz beim zuständigen Amtsgericht in Ansbach beantragen, vor allem um weitere Transfers nach Schweden zu vermeiden.

„Wir wollen nicht ins Insolvenzver-fahren in Schweden geraten“

Das sagt Plastal-Geschäftsführer Gerd Hammerschmidt auf Anfrage des Weißenburg Tagblatts. Mit dem Gang zum Insolvenzgericht nach Ansbach soll gewährleistet werden, dass „wir möglichst viel Masse in Deutschland halten“.

Ohne das Insolvenzverfahren in Deutschland könnte ein Insolvenz-

Die insolvenz in DeUtschlanD

kein geld, keine WareDie Insolvenz der schwedischen Konzernmutter bleibt in Deutschland natürlich nicht unbemerkt. Betriebsrat und Belegschaft sind alarmiert, auch Wolfgang Werner

und Oliver Eichling im zuständigen IG BCE Bezirk Mittelhessen ahnen, was auf die Beschäftigen zukommt.

verwalter in Schweden Substanz aus der deutschen Tochter in die Mutter ziehen, um deren Gläubiger bedienen zu können. Denn die deutsche Plastal GmbH steht nach Einschätzung von Insidern besser da als die schwedische Plastal Holding.

Unabhängig davon ist der Gang zum Insolvenzrichter in Ansbach allerdings ohnehin unvermeidlich. Denn die deutsche Plastal ist durch die schwedische Insolvenz schlicht-weg zahlungsunfähig. Beide Firmen hängen an einem gemeinsamen Cash-Pool. Hinter dem englischen Begriff verbirgt sich ein konzerninterner Li-quiditätsausgleich. Vereinfacht gesagt: Die Rechnungen von Plastal in Schwe-den und von Plastal in Deutschland werden vom selben Konto aus bezahlt.

Das Amtsgericht Ansbach bestellt noch am selben Tag den Rechtsanwalt Dr. Siegfried Beck aus Nürnberg zum vorläufigen Insolvenzverwalter.

Als an diesem Freitag die Nachricht von der deutschen Plastal Insolvenz wie ein Lauffeuer durch das Werk in Sterbfritz geht, ist kaum jemand wirk-lich überrascht - aber jeder besorgt. Was wird aus Plastal Deutschland? Die Konzernmutter hat die gesamten Finanzen nach Schweden abgezogen, Lieferungen umgekehrt eingestellt. Muss die Produktion sofort stillgelegt werden? In den Büros, in den Pro-duktionshallen, auf den Gängen, in der Kantine: Überall gibt es dieselben

Diskussionen. Als die Beschäftigten schließlich ins Wochenende gehen, stehen ihnen zwei sorgenvolle Tage bevor - es werden nicht die letzten sein.

Gewerkschaftssekretäre und die Betriebsräte starten jedoch sofort durch. Es gelingt, bereits für den kom-menden Montag ein Arbeitsgespräch mit potentiellen Verbündeten auf die Beine zu stellen.

„Überkapazitäten in Sterbfritz“

Doch zuvor geht die Insolvenzmel-dung durch die Medien. So berichtet das „Weißenburger Tagblatt“, die Ta-geszeitung am Standort der Deutsch-land-Zentrale:

„Insider gehen davon aus, dass sich die deutsche GmbH als der „gesündere Teil von Plastal“ hier leichter tun wird als die schwedische Mutter. Plastal in Schweden hat mit Volvo und Saab zwei Autohersteller als Hauptkunden, die unter der aktuellen Absatzkrise ganz besonders leiden. Klar ist allerdings auch, dass es in der gesamten Kunst-stoffbranche in Deutschland Überka-pazitäten gibt. Experten gehen von 20 bis 30 Prozent aus. Nach Informa-

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13DAS WUNDER VON SINNTAL

Das längste Wochenende des jahresFür die meisten der rund 300 Beschäftigen ist die Nachricht von der Insolvenz ein Schock.

Für unsere Familie hätte die Werksschließung eine finanzielle Katastrophe be-deutet. Wir hätten den Kredit für unser Haus nicht mehr be-dienen können. Bei uns in der Verwandtschaft arbeiten einige bei Plastal. Da hätte es noch mehr erwischt. Das Werk hat unsere Leben über viele Jahre hinweg geprägt. Unvorstellbar, dass das auf einmal alles kaputt sein sollte - bis zum Schluss wurde ja voll gearbeitet, auch

mal am Wochenende, und dann plötzlich hieß es: Insolvenz. Wir haben in Sterb-fritz jahrelang Gewinn gemacht. Doch der wurde zum größten Teil abgezogen. Investiert wur-de bei uns viel zu wenig. Wir ha-ben uns schon Sorgen gemacht, weil es der Automobilbranche schlecht ging. Aber das es dann uns erwischen würde - das hät-te ich nicht geglaubt.

Bernd Weger

Als ich zu Schichtbeginn meine Arbeit aufnehmen wollte, teilte mir die Werksleitung mit: Plastal ist pleite. Mir schossen die Tränen in die Augen - und gleichzeitig rutschte mein Herz in die Hose. Ich war 46, kein anderes Un-ternehmen würde mich mehr einstellen. Als ich meiner Frau von der Insolvenz berichtete, war sie natürlich auch traurig - aber zugleich wütend. Wir wussten beide, dass Sterbfritz ein gesundes Werk war, das jah-relang Gewinn erwirtschaftete

- den hatte man eingesackt und uns wollte man jetzt aufs Abstellgleis schieben. Natürlich habe ich

weiter gearbeitet und mit ge-holfen, die gewohnte Sterbfritz-Qualität aufrecht zu erhalten, aber die folgenden Monate wa-ren hart. Die ständige nervliche Anspannung, die Unklarheit ob und wie es weitergeht. Meine Frau und ich möchten so etwas nicht noch einmal durchma-chen müssen.

Thomas Schneider

„MIR SCHOSSEN TRÄNEN IN DIE AUGEN“

„AUF EINMAL WAR ALLES KAPUTT“

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14 DAS WUNDER VON SINNTAL

tionen unserer Zeitung gilt dies auch für Plastal. Während für die Standorte Weißenburg und Pappenheim vielver-sprechende neue Aufträge an Land ge-zogen werden konnten, die eine Aus-lastung bis 2013 sicherstellen, sieht es in anderen Werken schlechter aus. Der Standort Sterbfritz wird hier in Plas-tal-Kreisen immer wieder genannt.“

Schon am Tag nach der Insolvenz taucht erstmals die Einschätzung auf,

DIE PLASTAL-INSOLVENZ | EINE ZWANGSLäUFIGE GESCHICHTE?

ausgerechnet Sterbfritz sei von allen Plastal Standorten derjenige mit der geringsten Perspektive. Ob dahinter eine Strategie der Deutschland-Ge-schäftsführung steckt, die nach dem Motto „teile und herrsche“ die Beleg-schaft schon spalten will bevor diese sich zu Protesten formiert, kann nie zweifelsfrei geklärt werden. Funktio-niert hat ein solches Vorgehen jedoch schon in vielen vergleichbaren Situati-

onen. Und auch bei Plastal wird dieser Effekt noch zu beobachten sein.

Noch hält sich der Gesamtbetriebs-ratsvorsitzende Wolfgang Wick be-deckt. Er formuliert gegenüber der Presse, er sehe „momentan noch keine Basis für fundierte Aussagen zur Zu-kunft des Unternehmens“ und kündigt an, dass die Arbeitnehmervertretung natürlich „um den Erhalt der Standor-te kämpfen wird“.

Dr. siegfrieD beckInsolvenzverwalter mit Profil

Der 1946 geborene Nürnber-ger Rechtsanwalt Dr. Siegfried Beck ist ein Insolvenzverwal-ter mit einem ausgezeichne-ten Ruf. Der Hauptsitz seiner Kanzlei befindet sich in Nürn-berg. Weitere Büros werden in München, Ansbach, Hof, Re-gensburg und Würzburg unter-halten. Beck war nach seinem Studium bis 1997 Partner einer steuer- und wirtschaftsrechtlich ausgerichteten Kanzlei und baute ab 1998 seine eigene auf Wirtschafts-recht spezialisierte Kanzlei in Nürnberg auf. Dort arbeiten derzeit 21 Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten sowie 11 Diplom-Wirtschafts-juristinnen, die wiederum in der Insolvenzver-waltung und Sanierung ständig mit einem Team von derzeit knapp 30 Betriebswirten und weite-ren Insolvenz-Spezialisten kooperieren. Siegfried Beck selbst betreut seit 20 Jahren fast ausschließ-lich Insolvenzverfahren. Bundesweit bekannt wurde Beck als Insolvenz-verwalter im Fall Grundig, bei dem es ihm gelang, einen großen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten - wofür ihm 2007 das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen wurde. Seit 2003 ist Siegfried Beck Bundesvorsitzender des Verbandes der In-

solvenzverwalter Deutschlands e. V. (VID). Siegfried Beck wird von Mitarbeitern als „ruhig, aber zielorientiert und durch-setzungsfähig“ beschrieben. Dass er als Insolvenzverwalter auch Verantwortung für die Schicksale hunderter Beschäf-tigter und ihrer Familien trägt, ist ihm bewusst, treibt ihn an - aber ändert nichts an seiner Funktionsbeschreibung, die den

Insolvenzverwalter zunächst einmal als Vertreter der Gläubigerinteressen sieht. Gleichzeitig wehrt er sich jedoch gegen die Rolle des „Liquidators“ und ist der Überzeugung „dass in jedem Betrieb und Unternehmen Ressourcen stecken, die auch im Rahmen eines Insolvenzverfahrens mit Hilfe des betriebswirtschaftlichen Instrumentariums erkannt und unter Einsatz der rechtlichen Rah-menbedingungen erhalten werden müssen.“Dass Siegfried Beck in diesem natürlichen Kon-flikt eine ganz eigene Linie gefunden hat, bezeu-gen seine Erfolge bei Grundig, Photo Porst und anderen Insolvenzen sowie die Tatsache, dass trotz seines Engagements für die Erhaltung mög-lichst vieler Arbeitsplätze nie ein Gläubiger be-hauptet hat, er wäre von Beck nicht korrekt be-handelt worden.

Siegfried Beck

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15DAS WUNDER VON SINNTAL

Die erste krisenkonferenz

Runder Tisch im landratsamt

Gleich am folgenden Montag kommt es zum ersten kurzfristigen Treffen im Landratsamt.

Neben Gastgeber und Landrat Erich Pipa (SPD) sind der Landtags-abgeordnete Heinz Lotz (SPD), der erste Kreisbeigeordnete Günter Frenz (CDU) und der Sinntaler Bürgermeis-ter Carsten Ullrich (SPD) anwesend. Eine Vertreterin der Arbeitsagentur stößt hinzu, ebenso Staatssekretär Klaus-Peter Güttler vom hessischen Wirtschaftsministerium. Von Plas-tal sind Betriebsratsvorsitzender Gebhard Weikinger und der Standort-leiter Lutz Sygusch eingeladen, für die IG BCE nimmt Oliver Eichling teil.

Standortleiter Sygusch berichtet, dass er zunächst von einer Fortfüh-rung der Produktion ausgeht, da es für die Daimler AG keine kurzfristigen Alternativen zu den Sinntaler Produk-ten gebe. In vergleichbaren Fällen gibt es Kostenübernahmeerklärungen der Abnehmer, auch für Sterbfritz ist dies kurzfristig zu erwarten.

Da Sinntal als reiner Produktions-standort fungiert, wird vom Einkauf über das Marketing bis hin zu Per-sonal und Finanzen alles in der Wei-ßenburger Zentrale organisiert. In-sofern schätzen die Teilnehmer eine Stand-Alone-Lösung als unrealistisch ein. Vielmehr müsse darauf gesetzt werden, dass der Insolvenzverwalter rasch Investoren für das Gesamtpaket Plastal Deutschland GmbH finde.

Betriebsrat und Standortleiter berichten übereinstimmend, dass es in den letzten Jahren zu wenig Inves-titionen am Standort gegeben habe, Planungen, Ideen und auch neue Pro-duktkonzepte konnten mangels Zu-stimmung der Geschäftsführung bzw.

DIE PLASTAL-INSOLVENZ | EINE ZWANGSLäUFIGE GESCHICHTE?

der Konzernmutter nicht realisiert werden. Insofern ist der Standort als Ganzes durchaus gefährdet.

Viel Handlungsmöglichkeiten wer-den im Moment nicht gesehen, alle Beteiligten sind sich jedoch darüber einig, dass jetzt vor allem ein guter Kontakt zum Insolvenzverwalter und eine rasche Informationskette aufge-baut werden müssen, um die Chancen für den Standort realistisch einschät-zen - und beeinflussen - zu können.

Nach dem Gespräch ziehen Be-triebsräte und IG BCE eine nüchterne Bilanz: Handlungsmöglichkeiten gibt es (noch) wenig.

Wichtig ist jetzt vor allem, die Pro-duktion aufrecht zu erhalten, um die Chancen des Standortes zu wahren. Bis Mitte Juni werden die Einkommen der Beschäftigten durch das Insol-venzgeld des Arbeitsamtes gesichert sein. Wie es danach weitergeht, weiß niemand.

Schlimm ist die Situation auch des-halb, weil ein Großteil der Belegschaft über 45 Jahre alt ist. Die Chancen auf dem Arbeitsmarkt sind für die Betrof-fenen gering, andererseits verfügt die Belegschaft über eine anerkannt hohe Qualifikation.

„Wir wissen ein-fach zu wenig!“

Ob dies ausreicht, um neue Inves-toren zu überzeugen? Man weiß es nicht. Man weiß überhaupt zu wenig. Und da die Belegschaft noch weniger weiß, entwickeln Oliver Eichling und die Betriebsräte ein Flugblatt, mit dem sie die Belegschaft über den Stand der Dinge informieren.

Gebhard Weikinger Erich Pipa Lutz Sygusch

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16 DAS WUNDER VON SINNTAL

sterbfritz im alarmzUstanD

Der Widerstand formiert sich

In den folgenden Tagen gehen zahlreiche Solidaritätserklärungen beim Betriebsrat bzw. der IG BCE ein. Vor allem Betriebsräte anderer Chemie- und Kunststoffunternehmen solidarisieren sich, in einigen

Betrieben werden Unterschriftenlisten aufgelegt.

Auch aus dem Ort kommen Signale der Solidarität. Vereinsvorstände und Gewerbetreibende aus Sinntal fragen an, ob und wie sie helfen können. Das motiviert die Belegschaft - vor allem, weil es sich um spontane Reaktionen und nicht um eine organisierte Soli-daritätskampagne handelt. Im Betrieb schlägt die Stimmung von einer ersten Frustration deshalb bald wieder um: „Wir schaffen das schon. Irgendwie.“ ist die vorherrschende Meinung. Auch wenn sich keiner Illusionen darüber macht, dass es leicht werden würde, so ist doch der kollektive Wille da, Plastal in Sterbfritz zu erhalten.

Ein wenig Hoffnung machen die ersten Äußerungen des Insolvenzver-walters, der am 17. März gegenüber der Presse erklärt, die eigene Insol-venzanmeldung für die Plastal GmbH aus dem fränkischen Weißenburg eröffne die Möglichkeit, einen neuen Eigentümer zu suchen. „Bei der tech-nischen Ausgestaltung gibt es keine Denkverbote.“ Einige Investoren hät-ten bereits Interesse angemeldet.

Knapp eine Woche später trifft sich in Nürnberg am 23. März der „Steu-erkreis Plastal“ zur ersten Sitzung. Ihm gehören neben dem vorläufigen Insolvenzverwalter Vertreter der Ge-schäftsführung, der IG BCE und der betroffenen Betriebsräte an. Ziel des

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Steuerkreises ist eine enge Zusam-menarbeit von Betriebsräten, Gewerk-schaft und Insolvenzverwalter, um eine maximale Anzahl von Standorten und Arbeitsplätze erhalten zu können und einen ggf. nötigen Arbeitsplatzab-bau „sozialverträglich zu gestalten“.

Gemeinsame Vorbe-reitung auf den Insolvenzfahrplan

Das erste Treffen bringt noch keine konkreten Ergebnisse, weil der Insol-venzverwalter sich noch in der Orien-tierungsphase befindet. Er informiert darüber, dass er das global tätige Bera-tungsunternehmen Pricewaterhouse-Coopers (PWC) mit der Ausgestaltung der Investorensuche beauftragt habe. PWC ist als Spezialist für Unterneh-mensbewertungen und -übernahmen global erfolgreich, allerdings nicht gerade als sozial verantwortungsvoll und an Arbeitsplatzsicherungen inte-ressiert bekannt.

Während in den folgenden Wochen PWC an einem Konzept zur Investo-

renfindung arbeitet, bereiten sich die Betriebsräte zunächst auf den klassi-schen „Insolvenzfahrplan“ vor. Am 8. April tagt der Gesamtbetriebsrat in Sterbfritz und spricht über die rechtli-chen Möglichkeiten und Folgen der In-solvenz wie z. B. Interessenausgleich, Sozialplan, Beschäftigungs- und Qua-lifizierungsgesellschaften. Mit Unter-stützung der IG BCE Sekretäre und des vom Gesamtbetriebsrat beauftragen Rechtsanwalt Manske erarbeiten sich die Betriebsräte die nötige Kompe-tenz, um mit dem Insolvenzverwalter in sinnvolle Verhandlungen einsteigen zu können.

Diskutiert wird auch eine Betriebs-vereinbarung zur Flexibilisierung der Arbeitszeit während der Insolvenz-geldphase. Die Betriebsräte prüfen die Möglichkeit, ältere Arbeitnehmer über Altersteilzeit in den Ruhestand über-zuleiten, ohne dass diesen aus der In-solvenz Nachteile entstehen. Die Fülle an Regelungen, Grundlagen, Möglich-keiten und Fallstricken ist enorm. Schließlich geht es um über 3.000 Ein-zelschicksale.

Es dauert Wochen, bis sich die Be-triebsräte genügend Expertenwissen angeeignet haben, um den Profis von Insolvenzverwaltung und Unterneh-mensberatung einigermaßen auf Au-genhöhe begegnen zu können.

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Ende April tagt der Steuerkreis erneut in der Kanzlei des Insolvenz-verwalters. Hier stellen sich die zwi-schenzeitlich zwei Beratungsunter-nehmen vor, die von Dr. Beck mit der Ausgestaltung der Investorensuche beauftragt wurden. Neben PWC arbei-tet die Firma CMS Hasche Sigle an dem Fall.

Den Betriebsräten sitzen Profis gegenüber, die international erfahren und vernetzt sind.

Einerseits trauen die Kollegen den Beratern durchaus zu, neue Investo-ren für Plastal zu finden. Sie sind auch beeindruckt davon, dass der Insol-venzverwalter offensichtlich mit gro-ßem Ernst an die Aufgabe herangeht.

Andererseits stellt sich auch ein Gefühl der Ohnmacht sein - wie sollen einfache Betriebsräte kritisch prüfen, was die Experten planen? Wie Alter-nativen hinterfragen? Wie Kritikpunk-te erkennen und formulieren? Bleibt den Betriebsräten und den Sekretären der IG BCE am Ende nur die Rolle des hoffenden Zuschauers?

PWC und CMS stellen ihr ersten Überlegungen vor - und das ungute Gefühl der Betriebsräte nimmt zu.

Millionendefizit

Vor allem die ungenügende Aus-lastung der Werke wird thematisiert. Sie liege im Durchschnitt bei unter 60 Prozent, was im Klartext heißt: Na-hezu die Hälfte der Belegschaft stehe zur Disposition. Zwar sei Plastal gut im Markt positioniert, die Auftragsla-ge nicht optimal aber stabil, doch die Produktionsstruktur ungenügend.

Die gesamte Produktion fände in Deutschland statt, eine Auslagerung in Niedriglohnländer sei nicht erfolgt, die Kostenstruktur deshalb nicht zu-friedenstellend.

Für 2009 erwarten die Unterneh-mensberater einen Verlust in deutlich zweistelliger Millionenhöhe. Aktuell gäbe es auch kaum Investoren auf der Suche nach Akquisitionen, mit rund 40 Prozent Überkapazitäten sei Plas-tal auch nicht lukrativ.

Plastal sei nur „vermittelbar“, wenn sich die Kostenstruktur deutlich verbessere, d.h. heißt konkret: Perso-nalabbau und Einkommensreduzie-rung. Wann und wie, das müsse noch geplant werden. Eine Alternative dazu gäbe es jedoch nicht.

Dr. Beck legt den ernüchterten Be-triebsräten dann einen ersten Entwurf für einen „Restrukturierungsprozess“ vor, der Plastal für potentielle Inves-toren lukrativer machen soll. Erste Entwürfe für Vereinbarungen zum „Interessenausgleich“ und der „Sozial-

auswahl“ werden vorgelegt. Während der Interessenausgleich regelt, wie viel Personal zu welchem Zeitpunkt abgebaut werden soll, werden in der Vereinbarung zur Sozialauswahl die Kriterien vereinbart, nach denen die konkret Betroffenen ausgewählt wer-den. Derartige Vereinbarungen gehö-ren zu den unangenehmsten Dingen, die einem Betriebsrat widerfahren können - und so fahren die Anwesen-den an diesem 29. April in recht ge-drückter Stimmung zurück zu ihren Standorten.

cms hasche sigleDie führende Transaktionskanzlei

CMS Hasche Sigle ist speziali-siert auf Übernahmen und ver-fügt auch über Erfahrungen aus der Automobilzulieferbranche, die Firma verfügt über eine eindrucksvolle Mandantenliste, zu denen u.a. Bosch, Hella, Sie-mens, Continental und Miche-lin gehören. CMS Hasche Sigle ist erstklas-sig vernetzt, kennt die Auto-mobilbranche und hat schon in mehreren Insolvenzverfahren Restrukturierungen und Bie-terverfahren begleitet. Für Dr. Beck war CMS Hasche Sigle bereits bei der Grundig-Insolvenz aktiv und hat damals den Verkauf der Sparte „Car Media Systems“ an die Delphi Group betreut. Mit über 600 Anwälten und Beratern ist CMS Hasche Sigle laut Finan-cial Times die „führende deut-sche Transaktionskanzlei bei Firmenübernahmen mittlerer Größe“.

CMS Hasche Sigle ist Mitglied von CMS, dem Verbund unab-hängiger europäischer Rechts- und Steuerberatungssozietäten insbesondere für Unterneh-men, Banken und Organisati-onen, die geschäftlich in Euro-pa tätig sind oder es werden möchten. CMS Hasche Sigle mit Haupt-sitz in Frankfurt am Main wur-de 1999 gegründet und umfasst heute neun Sozietäten mit mehr als 2.400 Anwältinnen und Anwälten.

CEO Cornelius Brandi

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PriceWaterhoUsecooPersDie Übernahmeprofis

Das Unternehmen Pricewater-houseCoopers International Limited ist ein Verbund von Prüfungs- und Beratungsgesell-schaften und gehört zu den so genannten „Big Four“ neben KPMG, Ernst & Young und De-loitte Touche Tohmatsu. PWC Deutschland ist als rechtlich unabhängige Gesell-schaft für den deutschen Markt Mitglied im globalen PWC-Ver-bund. PWC International ist ein Verbund der Mitgliedsfir-men, die in den jeweiligen Län-dern autonom geführt werden und rechtlich unabhängig sind. Die in New York ansässige Dachorganisation Pricewater-houseCoopers International Limited übernimmt lediglich koordinierende Aufgaben. In-sofern ist PWC eigentlich eher ein Franchise-Unternehmen bzw. eine globale Marke. Der globale PWC-Verbund hat heute Mitglieds-firmen in 153 Staaten, die weltweit zusammen mehr als 163.000 Mitarbeiter beschäftigen. Price-waterhouseCoopers ist damit das weltweit größ-te Dienstleistungsunternehmen.PWC ist faktisch in allen nur denkbaren Bera-tungsbereichen tätig und durchaus auch Ausein-andersetzungen mit harten Bandagen gewöhnt: Kein Unternehmen ist weltweit an so viel Liqui-dationen und Arbeitsplatzvernichtungen beteiligt wie PWC. In Deutschland erwirtschaften rund 9.000 Mit-arbeiter einen Umsatz von 1,3 Milliarden Euro. PWC ist an 28 Standorten auch regional prä-sent. Über den eigenen Ansatz schreibt PWC Deutschland in einer Imagebroschüre:

„Wer als Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft er-folgreich für seine Mandanten arbeiten will, muss nicht nur etwas von Zahlen verstehen, sondern auch von den jewei-ligen Branchen, ihrem Wett-bewerbsumfeld und ihren nationalen und globalen Rah-menbedingungen. Dazu brau-chen wir Kenntnisse über ver-schiedene Branchen.“ Ihr Aufgabenfeld bei Insolven-zen und Restrukturierungen beschreiben die Berater so:„Im ersten Schritt wird mit Hil-fe der operativen Restrukturie-rung eine effektivere Aufstel-lung der Organisation und die Prozesse untersucht. Ziel ist eine kurz- bis mittelfristig kos-tengünstigere und leistungs-

fähigere Aufstellung der Unternehmung. Die PWC-Experten sind mit den gängigen Aufgaben-stellungen und Herausforderungen von Refinan-zierungen im Restrukturierungsumfeld vertraut. Sie kennen sowohl den zeitlichen Druck, unter dem Refinanzierungskonzepte zu erstellen und umzusetzen sind, als auch deren Komplexität. Sie haben aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung Zu-gang zu Spezialfinanciers und bieten Unterneh-mern vollumfängliche professionelle kaufmänni-sche und juristische Unterstützung.“Dabei verfügt PWC gerade in der Automo-bilbranche über erstklassige Referenzen. Anders als CMS ist PWC auch in ganz großen Übernah-men zu Hause und hat u. a. Verkäufe von VW-, Siemens- und Continental-Sparten betreut. PWC ist der führende Übernahmeberater im Automo-bilsektor.

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PWC Gebäude am Potsdamer Platz in Berlin

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Während diese - weitgehend hin-ter verschlossenen Türen - stattfindet, nimmt der von PWC begleitete „Re-strukturierungsprozess“ konkretere Formen an. Zwar dringt noch nicht viel bis zu den Betriebsräten durch, aber die bereits berechneten „Überka-pazitäten“ lassen ahnen, dass es auch in Sterbfritz einen großen Teil der Be-legschaft treffen wird.

Gerüchte kommen auf. Darunter ein besonders hartnäckiges: Das Werk in Sterbfritz solle komplett geschlos-sen werden, um die anderen Standorte besser auszulasten und sie so attrak-tiver für Investoren zu machen. Der Insolvenzverwalter bestreitet diese Überlegungen, dennoch findet dieser Verdacht den Weg in die Medien. Am 3. Juni berichtet die Fuldaer Zeitung dar-über, druckt jedoch auch das Dementi von Dr. Beck ab.

Parallel gibt es erste konkrete Maßnahmen zur Restrukturierung: In Sinntal werden 36 Mitarbeiter in eine so genannte „Transfergesellschaft“ überführt, in der sie - bei 80% ihres bisherigen Einkommens - sieben bis neun Monate Qualifizierungsmaßnah-men angeboten bekommen. Die Sterb-fritzer Belegschaft wird also um rund 10 Prozent reduziert. Dass dies aber noch nicht alles ist, darüber sind sich die Beschäftigten in Sterbfritz im Kla-ren. Dr. Beck formuliert gegenüber der Fuldaer Zeitung: „Wenn der Standort Sterbfritz nicht so reorganisiert wer-

vamPire im sinntal?

Planung auf dem ParkplatzAm 1. Juni wird das Insolvenzverfahren vom Amtsgericht

Ansbach offiziell eröffnet. Dr. Siegfried Beck, bislang nur vorläufiger Insolvenzverwalter, wird nun auch zum definitiven Insolvenzverwalter bestellt. Damit kann die

Investorensuche offiziell starten.

den kann, dass er nachhaltig schwarze Zahlen schreibt, könnten Investoren ihr Interesse daran verlieren.“

Doch die Belegschaft verharrt nicht in Schockstarre. Betriebsrat, IG BCE und Standortleitung organisieren gemeinsam die Fortführung der Pro-

duktion auf hohem Niveau - die Beleg-schaft zieht mit. Gleichzeitig stellt man sich auch auf Abwehrkämpfe ein.

Denn es naht der Tag, den man einerseits erhofft und andererseits befürchtet: Sollte es einen Investor geben, kann dies die Rettung für den

Rasthof Schlüchtern, 8. Juni

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Standort bedeuten - und gleichzeitig Arbeitslosigkeit für Viele.

Wenn dies geschieht, dann kann eine geschlossene, solidarische Be-legschaft und eine möglichst große Unterstützung in der Region ganz kon-kret helfen, möglichst viele Arbeits-plätze zu retten.

Betriebsrat und IG BCE starten eine Flugblattaktion. Unter dem Titel „Gibt es Vampire im Sinntal?“ werden die Mitarbeiter über die aktuellen Entwicklungen informiert, die Ge-rüchte werden thematisiert und vom Insolvenzverwalter wird ein klares Bekenntnis zum Standort Sterbfritz gefordert. Das Flugblatt verbreitet sich rasch auch in der Gemeinde - und erneut gibt es zahlreiche Solidaritäts-bekundungen.

Für den 9. Juni laden Betriebsrat und IG BCE zu einer öffentlichen Be-triebsversammlung ein, die informie-ren, aber auch mobilisieren soll. Für die Vorbereitung hat Oliver Eichling eine unkonventionelle Idee: Er lädt am Vortag alle interessierten Mitarbeiter ein - auf den LKW-Rasthof Schlüch-tern. Dort sollen gemeinsam Trans-parente für die Betriebsversammlung gemalt werden.

Am Nachmittag des 8. Juni stehen Oliver Eichling, Gebhard Weikinger und die Kollegen des Betriebsrates auf dem Parkplatz des Rasthofes, kritisch beäugt vom Personal der Gaststätte, neben sich einige Bahnen Stoff, Farb-eimer und ein Sortiment Pinsel. Wer-den einige Kollegen kommen? Oder bleibt die Belegschaft passiv? Müssen die Betriebsräte die Transparente selbst malen?

Ein erstes Auto fährt auf den Park-platz, vier Kolleginnen steigen aus, sehen sich um. Weitere Autos kom-men. Man erkennt sich, winkt sich zu. Auto um Auto fährt auf das Gelände. Schließlich sind es über 120 Beschäf-tigte, viele mit Partner und Familie, die sich die viel zu wenigen Pinsel solida-risch teilen, über Slogans und Gestal-tung diskutieren und in nicht einmal zwei Stunden zahlreiche Transparente gestalten.

Für die Kollegen des Betriebsrates ist nach dieser Aktion klar: Die Sterb-fritz-Belegschaft lässt nicht alles mit sich machen.

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Entsprechend kämpferisch ist die Stimmung auf der Betriebsversamm-lung am folgenden Tag. Unter den wachsamen Augen der Medien be-antworten Geschäftsleitung und Ge-werkschaftsvertreter Fragen der Be-legschaft. Es wird der Wille bekundet, einen eigenen Weg aus der Insolvenz zu suchen. Besonders freuen sich die Mitarbeiter über Besuch aus der Regi-on. Der Pfarrer ist anwesend, der ört-liche Kindergarten ebenso wie Vertre-ter des Gewerbevereins.

Die Anwesenden vertrauen darauf, dass ihre Argumente vom Insolvenz-verwalter und dessen Beratungsfir-men gehört werden. Noch glauben sie daran, dass der Standort Sterbfritz im Rahmen einer Plastal-Übernahme durch einen Investor eine Zukunft hat. Dazu trägt auch bei, dass Dr. Beck die Gerüchte um eine Schließung so ener-gisch bestritten hat.

Die pointierten Illustratio-nen dieses und zahlreicher anderer Flugblätter stam-men von IG BCE Sekretär Gunnar Reichwaldt, dessen Talent als Karikaturist ihm eine Menge Überstunden einbringen sollten ...

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1.600 mitglieDerSolidarität im Web 2.0

Ende Juni startet Christina Walther in Abstim-mung mit dem Betriebsrat auf der Internet-Plattform www.wer-kennt-wen.de eine Solidaritätsgruppe für Plastal Sterbfritz - mit durchschlagendem Erfolg. In wenigen Tagen sto-ßen Hunderte von Mitgliedern zur Gruppe, die schließlich über 1.600 Teilnehmer zählt. Doch es bleibt nicht beim schlichten Bekunden von Soli-darität. Die Gruppe wird auch zur Organisation

von konkreten Aktivitäten genutzt. Schon die am 30. Juni stattfindende Betriebsversammlung wird online vorbereitet, Arbeitsaufgaben werden ab-gestimmt, Planungen kommuniziert. In der Folge entwickelt sich die „Protestaktion Plastal“ titu-lierte Gruppe zu einem festen Bestandteil der Solidaritätsbewegung, zu einer Ideenfabrik und einer praktischen Organisationshilfe, getragen di-rekt von der Belegschaft.

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Phoenix & Wallenstein

alte lösungen für neue Probleme?

Ende Juni kommt endlich Bewegung in die Situation. Allerdings nicht die erhoffte.

Die ersten düsteren Anzeichen muss der Betriebsrat registrieren, als bekannt wird, dass es zwei neue Auf-träge der Firma Porsche für Schweller gibt. Dies wäre an sich eine gute Nach-richt, auch für den Standort, denn nur in Sinntal können diese Schweller mit Gewinn produziert werden, weil nur hier Produktionsmittel und ausgebil-detes Personal zur Verfügung stehen.

Dennoch werden die Aufträge nach Reinsdorf und Pappenheim vergeben. In Sterbfritz läuten die Alarmglocken. Insolvenzverwalter Dr. Beck bestätigt zwar, dass er zu Gesprächen bei der Daimler AG in Stuttgart gewesen sei und es in Kürze wichtige Bekanntma-chungen gäbe, doch zu Sterbfritz äu-ßert er sich nur zurückhaltend. In ei-nem Brief an Landrat Pipa schreibt er lediglich, dass die Produktionsanlagen in Sterbfritz mangels früherer Investi-tionen heute teils veraltet seien.

Für den Betriebsrat und die Ge-werkschaft wird klar: Es steht schlecht um den Standort. So wird für den 30. Juni eine Betriebsversammlung ein-berufen, in der die Geschäftsleitung Rede und Antwort stehen soll. Doch die nimmt nicht teil - wegen „äußerst wichtiger Strategiegespräche“. Ent-sprechend sauer reagieren die Be-schäftigten und beschließen einmütig, für ihre Arbeitsplätze auf die Straße zu gehen und den Standort nicht kampf-los aufzugeben.

Sinntals Bürgermeister Carsten Ullrich (SPD) geht hart mit dem In-solvenzverwalter in Gericht: „Wir als politisch Verantwortliche stehen seit Stellung des Insolvenzantrags in enger

Verbindung mit dem Betriebsrat, der Gewerkschaft sowie der Werksleitung. Diese versorgen uns mit den wenigen Informationen, die sie haben. Herr des Verfahrens ... ist aber nun mal der In-solvenzverwalter“, sagt Ullrich gegen-über der Presse. Doch dieser hülle sich in Schweigen, schläfere die Beteiligten „in bester Sandmännchen-Manier“ ein, um ihnen dann irgendwann sein fertiges Ergebnis zu präsentieren.

„Das bringt doch sowieso nix“

Auf der Verhandlungsebene seien durch die Arbeitnehmervertretung seit März „im Rahmen der gegebenen Möglichkeiten gute Ergebnisse“ erzielt worden. Nun sei es aber an der Zeit, den Druck auf den Insolvenzverwalter zu erhöhen: „Wir fordern die von ihm zugesicherten notwendigen und wich-tigen Informationen ein. Wir stehen zu dem Standort Sterbfritz und werden es nicht zulassen, dass die Beschäf-tigten hier dafür bluten müssen, was in wirtschaftlich guten Zeiten an an-derer Stelle verbockt wurde.“ Was in Sterbfritz fehle, seien Aufträge. Auch dies sei eine Kernaufgabe des Insol-venzverwalters. Statt Aufträge mittels „konzerninternem Kannibalismus“ zu verlagern, sei Dr. Beck gefordert, die Weichen für neue Aufträge zu stel-len. Die Beschäftigten machen ihrem

Ärger Luft. Auf www.wer-kennt-wen.de schreibt O. M.: „Ich habe nach dem heutigen Tag das Gefühl, wir arbeiten nur noch für die weiße Weste unserer oberen Herren in den Büros, die ihre Schäfchen schon im Trockenen haben und keinen Ärger mit den Kunden wol-len!“ Seine Kollege T. M. ruft auf: „Wie lange wollen wir nach dieser Lügerei noch warten!!!! Auf nach Nürnberg!!!!“ Andere Kollegen äußern sich ähn-lich: „Es scheint nicht 5 Minuten vor zwölf sondern 5 Sekunden vor zwölf zu sein. Wir haben die letzten Jahre stetig unsere Quoten erfüllt, ja sogar verbessert. Wir haben fünf, sechs ja in Ausnahmefällen sieben Tage in der Woche gearbeitet. Nichts desto trotz stehen wir von den Plastal Werken in Deutschland am Ende der Nahrungs-kette.“ Doch man macht sich auch Mut. Die Kollegin Christina Walther ant-wortet: „Und falls jetzt jemand meint, den Kopf in den Sand stecken zu müs-sen und zu sagen: „Das bringt sowieso nix“, dann ist das eine absolut falsche Reaktion. Wenn jeder so denken wür-de, wäre nie etwas bewegt worden.“

Solidarisch zeigt sich die Standort-leitung unter Lutz Sygusch, die von der Nichtzuweisung der Porscheaufträge ebenfalls überrascht wurde. Sygusch merkt gegenüber der Presse an, dass man in Sterbfritz in der Vergangen-heit sogar Porsche-Aufträge aus den anderen Standorten übernommen habe, weil es dort Probleme gegeben habe. Auch er sieht den Standort nun als hochgefährdet an - bekommt aber selbst keinerlei Informationen über die Planungen.

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DIE SUCHE NACH DEM DRITTEN WEG | VON DER REAKTION ZUR AKTION

soll sterbfritz sterben?

Vom Mut der VerzweiflungAnfang Juli kommt Dr. Beck nach Sterbfritz und

informiert die Belegschaft über den Stand der Insolvenz.

Er geht für den Standort Sterbfritz von einer Überkapazität von 40% aus und erwartet auch in den kom-menden Jahren keine Besserung. Er bewertet die Bemühungen der Beleg-schaft und der IG BCE um eine besse-re Ertragssituation jedoch positiv und hofft, dass bis zum Gebotsschluss am 17. Juli Übernahmeangebote für alle deutschen Standorte eingehen. Dann gebe es auch eine Perspektive für den Standort Sterbfritz. Sollte es allerdings bis dahin keine Interessenten für den Standort geben, sehe er keine Zukunft.

Landrat Pipa, Bürgermeister Ullrich und Oliver Eichling appellieren an den guten Ruf Dr. Becks als Arbeitsplatz-retter im Fall Grundig - was ihm ja immerhin das Bundesverdienstkreuz eingetragen hat. Doch Beck sieht we-nig Möglichkeiten.

Sterbfritz könne nach wie vor sei-ne Löhne und Gehälter nicht selbst er-wirtschaften und in diesem Fall sei das Werk uninteressant für Investoren.

Auf Dr. Becks Auftritt folgen Tage der Nachdenklichkeit, die Hans-Georg Szczepanek, Redakteur der Fuldaer

Zeitung in treffende Wort fasst: „Die Plastal-Mitarbeiter sowie die Sinnta-ler Bevölkerung haben jetzt - endlich - klargemacht, dass sie einem Ausver-kauf und damit dem Niedergang des Standortes Sterbfritz nicht tatenlos zuschauen, sondern dass sie für das Werk kämpfen wollen. Die Kraftquel-le dafür ist natürlich auch der Mut der Verzweiflung, weil das Aus des größten Arbeitgebers der Gemeinde zweifellos unabsehbare soziale und strukturpolitische Folgen nach sich zöge. Doch die Menschen in Sinntal

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DIE SUCHE NACH DEM DRITTEN WEG | VON DER REAKTION ZUR AKTION

spüren, dass sie gemeinsam und im Gleichklang mit Kommunalpolitik und Landesregierung vielleicht doch noch eine kleine Chance haben, dass der hiesige Plastal-Standort nicht zuguns-ten anderer Werke geopfert wird.“

Der Besuch in Sterbfritz und der Empfang der über 500 zornigen Men-schen bleibt nicht ganz ohne Eindruck auf Insolvenzverwalter Dr. Beck: Er lädt am 8. Juli Standortleitung, Be-triebsrat und Gewerkschaft nach Nürnberg ein.

Die drohen glaubhaft mit unbe-fristeten Arbeitskampfmaßnahmen, wenn die für die Porsche-Aufträge benötigten Werkzeuge nicht nur leih-weise an die anderen Standorte ab-gegeben werden – und so keine Vor-entscheidungen getroffen werden, die nachher nicht mehr zurückgenommen werden können.

Dr. Beck deutet erneut an, dass es durchaus dazu kommen könne, dass es nur für die anderen Standort In-vestoren gäbe und so kommt in die-sem Gespräch erstmals ernsthaft die Idee einer Stand-Alone-Lösung auf.

Dr. Beck sagt zu, gemeinsam mit den Betroffenen nach einer Einzellösung für den Standort Sterbfritz zu suchen wenn bei der für den 21. Juli termi-nierten Gläubigerversammlung keine Gesamtlösung gefunden wird.

In der Nachbereitung des Gesprä-ches werden die strategischen Optio-nen intensiv diskutiert und man ent-scheidet sich, mehrgleisig zu fahren: Einerseits soll noch vor der anstehen-den Gläubigerversammlung der öf-fentliche Druck erhöht werden.

„Wir müssen den öffentlichen Druck erhöhen“

Am 18. Juli, nur drei Tage vor der entscheidenden Versammlung, soll ein großes „Fest der Solidarität“ statt-finden. Gleichzeitig soll ab sofort eine

Einzellösung für Sterbfritz gefunden werden.

Dabei sind keine Ideen Tabu. Ob es sich um die eigenständige Suche nach einem Investoren oder eine wie auch immer finanzierte Eigenständigkeit mit völlig neuem Produktportfolio handelt - was denkbar ist, soll auch durchdacht werden.

Doch dabei benötigte man Hilfe: Einerseits will man sich auf die Suche nach einer zuverlässigen Unterneh-mensberatung begeben, die Erfah-rungen in der Sicherung von Arbeits-plätze hat, andererseits braucht man Unterstützung bei der Gewinnung von Verbündeten in Politik und Wirtschaft. In einem Strategiegespräch zwischen IG BCE Landesleiter Rainer Kumlehn und Wolfgang Werner entsteht die Idee, sich einen ungewöhnlichen pro-fessionellen Beistand zu holen:

Der Wiesbadener Rechtsanwalt Jürgen Walter soll gebeten werden, sich helfend einzuschalten. Walter verfügt über umfangreiche Erfahrun-gen und erstklassige Kontakte in Poli-tik und Wirtschaft - und er ist wieder

Klare Botschaft an den Insolvenzverwalter

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als Rechsanwalt tätig, denn er ist erst kürzlich in seinen Beruf zurückgekehrt - nachdem er sein SPD-Landtagsman-dat auf spektakuläre Art niedergelegt hatte, um gegen den Wortbruch der hessischen SPD-Vorsitzenden Andrea Ypsilanti zu protestieren, die sich ent-gegen vorheriger Ankündigung von der LINKEN zur Ministerpräsidentin wählen lassen wollte.

Seitdem ist Walter in der SPD um-stritten - unbestritten sind aber seine Kontakte und Fähigkeiten in Wirt-schaftsfragen.

Wie sich in den kommenden Mo-naten zeigen wird, soll diese Entschei-dung zu einem wesentlichen Erfolgs-faktor werden.

Fit für die Braut-schau: Plastal wird „aufbereitet“

Währenddessen wird von PWC ein „Business-Plan“ formuliert, der als eine Art „Verkaufsprospekt“ das Ange-bot Plastal für Investoren aufbereitet. Enthalten in dem Konzept sind auch zwei Projekte mit den kryptischen Ti-teln „Phoenix“ und „Wallenstein“. Sie beinhalten Umstrukturierungen, Ar-

beitsplatzbau, und vor allem (der Kern von „Phoenix“):

Die Schließung des Werkes Sterb-fritz und die Verlagerung der Produk-tion auf die anderen Standorte. Damit ist genau das zur Arbeitsgrundlage geworden, was kurz zuvor noch ent-schieden dementiert wurde.

In Sterbfritz weiß noch niemand etwas von dieser Entwicklung - wenn-gleich die Signale der letzten Wochen durchaus verstanden wurden.

Der Sinntaler „Planungskreis“ aus Betriebsrat, Gewerkschaft und Stand-ortleitung arbeitet in zahlreichen lan-gen Nachtsitzungen unter Hochdruck an eigenen Ideen - unterstützt von Jür-gen Walter.

DIE SUCHE NACH DEM DRITTEN WEG | VON DER REAKTION ZUR AKTION

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Das Projekt PhoenixEin Standort wird filetiert

Unter dem Arbeitstitel „Projekt Phoenix“ ent-wickelt PricewaterhouseCoopers (PWC) im Auftrag des Insolvenzverwalters Dr. Beck ein Konzept, dessen erklär-tes Ziel es ist, die „At-traktivität für zukünftige Investoren“ zu erhöhen. Dazu sollen Überkapazi-täten abgebaut und die vorhandenen Werke so organisiert werden, dass sie optimal an ihren regi-onalen Kundenkreis an-gepasst werden können.Da insgesamt eine Über-kapazität von rund 40 Prozent ermittelt wird, entscheidet man sich, einen Standort komplett zu schließen und dessen Produktion auf ande-re Standorte zu übertragen. Die Wahl fällt auf Sterbfritz, weil es strategisch ungünstig liegt, eine niedrige Auslastung aufweist und es dort ohnehin einen Investitionsstau gibt.Dass Sterbfritz zuvor über Jahre hinweg solide Gewinne erwirtschaftet hat und auch in Zukunft lebensfähig wäre, spielt in den Überlegungen kei-ne Rolle. Schließlich soll das Gesamtpaket Plastal möglichst attraktiv gemacht werden.Das Projekt „Phoenix“ beinhaltet also im We-sentlichen eine Verlagerung der Produktion von Zulieferteilen für die Kunden Daimler AG und Porsche nach Pappenheim und Reinsdorf. Zwei bereits erteile Neuaufträge für Porsche sollen ebenfalls nicht wie geplant in Sterbfritz, sondern in Reinsdorf und Pappenheim anlaufen. Übrig bliebe lediglich die PU-Fertigung, die zukünftig komplett extern vergeben werden soll. Von Anfang an wird die Verlagerung auch aus technischen Gründen als riskant eingestuft. Ob die nötige Qualität auch nach dem Umzug gesi-

chert werden kann, weiß man nicht - geht aber davon aus, dass diese Hürden überwunden wer-den können. Der Zeitplan ist knapp bemessen,

die ersten Verlage-rungen sollen bereits Ende Juli anlaufen.Die betroffene Be-legschaft in Sterbfritz wird nicht in die Pla-nungen eingebunden, das Projekt „Phoenix“ wird unter gerade-zu konspirativer Ge-heimhaltung voran-getrieben, mit den abnehmenden Auto-mobilherstellern je-

doch bereits Ende Juni abgestimmt. Erst als von dort das O.K. kommt, kann an eine Umsetzung gegangen werden, die noch im Juni zu ersten Ge-sprächen mit den Teilen des Sterbfritz-Manage-ments führt, die an den neuen Standorten einge-setzt werden sollen. Die Sterbfritz-Belegschaft soll größtenteils im Ja-nuar 2010 in die Arbeitslosigkeit entlassen wer-den, bis Herbst 2010 soll eine Rumpfbelegschaft von knapp zwei Dutzend Mitarbeitern den Stand-ort komplett abwickeln.Betriebsrat und Belegschaft in Sterbfritz sind zu-nächst auf Spekulationen und Indizien angewie-sen. Als bekannt wird, dass die beiden erwarte-ten Neuaufträge für Porsche nicht wie geplant in Sterbfritz sondern an anderen Standorten an-laufen sollen, schlagen in Sterbfritz die Alarmglo-cken.Offiziell wird das Projekt am 21. Juli vorgestellt und von der Gläubigerversammlung abgesegnet. Bereits eine Woche später beginnen die schon seit Juni vorbereiteten ersten Umbau- und Verla-gerungsmaßnahmen.

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28 DAS WUNDER VON SINNTAL

anWalt UnD PolitProfiJürgen Walter im Gespräch

Wie und wann haben Sie von der Insolvenz erfahren?Das war im Juli 2009. Der Bezirksleiter der IG BCE in Mittelhessen, Wolfgang Werner, hat mich an einem Samstag Nachmittag angerufen und mir von der drohenden Schließung des Sterbfritzer Plastal Werks berichtet. Er hat mich gefragt, ob ich den Kolleginnen und Kollegen helfen könne.

Wie war Ihre erste Reaktion?Aus meiner Zeit im Hessischen Landtag kenne ich den östli-chen Main Kinzig Kreis sehr gut. Die Schließung des Werks wäre nicht nur für die betroffe-nen Kolleginnen und Kollegen und ihre Familien katastro-phal, sondern für die gesamte strukturschwache Region im so genannten „Bergwinkel“. Ich habe deshalb noch am Wochenende mit den politisch Verantwortlichen der Region und den zuständigen IG BCE Funktionären telefoniert, um mir ein Bild über die Lage der insolventen Plas-tal Gruppe zu machen und bin dann Anfang der darauf folgenden Woche erstmals nach Sterbfritz gefahren.

Was hätte es für Sie ganz persönlich be-deutet, wenn der Standort geschlossen worden wäre?Nun, bei Plastal habe ich mit dem Betriebsrats-vorsitzenden und den weiteren Mitgliedern des Betriebsrats so intensiv und vertrauensvoll zu-sammengearbeitet, dass dies mit einem „nor-malen“ Anwaltsmandat nicht vergleichbar ist. Mit dem Vorsitzenden des Betriebsrats habe ich oft noch spät am Abend oder auch sonntags zu-sammengesessen oder telefoniert. Während der Hochs und Tiefs im Insolvenzverfahren hat sich dabei ein freundschaftliches Verhältnis entwi-

ckelt. Die Schließung des Werks wäre für mich eine unheimliche Enttäuschung gewesen.

ab welchem Moment haben Sie daran ge-glaubt, dass es eine realistische zukunfts-perspektive für den Standort geben könn-te?Ursächlich für die Insolvenz waren meines Erach-tens zum einen Versäumnisse des Eigentümers, eines schwedischen Finanzinvestors, und zum

anderen die Auswirkungen der Finanzkrise auf den automoti-ven Sektor in Deutschland. Das Werk in Sterbfritz ist mit sei-ner hochqualifizierten Beleg-schaft absolut konkurrenzfähig. Deshalb war ich von Anfang an davon überzeugt, dass die Ret-tung des Werks gelingen kann.

Wie war die zusammenarbeit mit Beleg-schaft und gewerkschaft?Die Zusammenarbeit mit der Belegschaft und den verantwortlichen Sekretären der IG BCE im Bezirk Mittelhessen war wirklich hervorragend. Auch die Bundes- und Landesebene der IG BCE hat sich für den Erhalt der Arbeitsplätze stark gemacht. Ich bin sicher, dass Plastal ohne die IG BCE untergegangen wäre. Die Belegschaft hat während der gesamten Krise exzellente Produk-te hergestellt, und dass obwohl sie allen Grund gehabt hätte, frustriert zu sein. Andernfalls wä-ren die Kunden aus der Automobilindustrie si-cher abgesprungen. Dann wäre die Schließung des Werks nicht mehr zu verhindern gewesen.

Wie war die zusammenarbeit mit dem In-solvenzverwalter?Zum Glück hatte das Insolvenzgericht mit Rechts-anwalt Dr. Beck einen erfahrenen Insolvenzver-walter bestimmt, der sich auch seiner sozialen

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29DAS WUNDER VON SINNTAL

Verantwortung bewusst ist. Kollege Dr. Beck hat uns bei allen Anstrengungen unterstützt, eine Zukunftsperspektive für Sterbfritz zu finden. Im Insolvenzverfahren ist der Insolvenzverwalter die maßgebliche Person. Er tritt quasi an die Stelle des insolventen Arbeitgebers. Betriebsräte soll-ten deshalb schon bei den ersten Anzeichen für eine Insolvenz bei der Gewerkschaft oder einem Berater Erkundigungen darüber einholen, mit welchen Insolvenzverwaltern die Arbeitnehmer in der jeweiligen Branche bereits gute Erfahrun-gen gemacht haben. Diese können dann dem In-solvenzgericht vorgeschlagen werden.

Wer oder was hat Ihrer Meinung nach am meisten zur Rettung des Standortes bei-getragen?Dieser Erfolg hat viele Mütter und Väter. Die Belegschaft hat über viele Monate für den Er-halt ihrer Arbeitsplätze gekämpft und gearbei-

tet. Der Betriebsrat und sein Vorsitzender ha-ben unterstützt von dem IG BCE Sekretär und der Gewerkschaft ein hoch professionelles Co-Management aufgebaut. Und auch die öffentliche Hand in Person des Sterbfritzer Bürgermeisters, des Landrats und des Hessischen Wirtschaftsmi-nisters haben großen Anteil an der Rettung des Standorts.

Hätte der Standort als eigenständiges Un-ternehmen eine Perspektive gehabt?Es war allen Beteiligten klar, dass ein Produkti-onsstandort, der wie Sterbfritz nicht über eine eigene Forschungs- und Entwicklungsabteilung verfügt, mittelfristig auf einen Investor angewie-sen war. Mit dem Stand-Alone Konzept sollte zum einen Zeit für die Suche nach einem geeigne-ten Investor gewonnen werden und zum anderen der Nachweis erbracht werden, dass Sterbfritz ein wettbewerbsfähiger Standort ist. Dies ist uns gelungen. Am Ende wollten mehrere Investoren Sterbfritz übernehmen. Und jetzt mal so ganz un-ter uns: Der Betriebsratsvorsitzende hat höchst persönlich - und ausgesprochen diskret – mit Top Repräsentanten aus der Automobilindustrie und anderen potentiellen Investoren verhandelt und für Sterbfritz geworben. Ihn dabei zu beraten und zu begleiten hat mir große Freude gemacht. Auch wenn das ungewöhnlich sein mag: Ich rate Betriebsräten immer zu einer aktiven Rolle im In-vestorenprozess.

Wie beurteilen Sie die zukunftsaussichten des Standortes?Das Werk ist ordentlich ausgelastet und es werden sogar neue Arbeitsplätze geschaffen. Die Kunden sind mit der Qualität der Produkte zufrieden und der neue Eigentümer will in den Standort investieren. Hinzu kommt, dass die Sterbfritzer Bevölkerung und die politisch Ver-antwortlichen in der Gemeinde und im Landkreis ausgesprochen industriefreundlich sind – dies ist heute in Deutschland leider eine Seltenheit. Deshalb bin ich zuversichtlich für den Standort Sterbfritz.

kontakt: [email protected]

Jürgen Walter mit den Betriebsräten Barbara Maier und Gebhard Weikinger bei Daimler in Sindelfingen

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GEGEN ALLE WAHRSCHEINLICHKEIT | QUALITäT UND BEHARRLICHKEIT

Das fest Der soliDarität

Blasmusik und saure gurken

Mitte Juli wendet sich der IG BCE Landesbezirksleiter Rainer Kumlehn

an seine Kollegen im IG BCE Hauptvorstand und regt an, über die

IG METALL den Kontakt zur Daimler AG zu suchen.

Jürgen Walters Einschätzung, dass in Sindelfingen letztlich über das Schicksal von Sterbfritz entschie-den würde, wird sich später als hun-dertprozentig zutreffend erweisen. Michael Vassiliadis bittet den IG Me-tall-Vorsitzenden Berthold Huber im Namen der IG BCE um Unterstützung bei Daimler.

Am 17. Juli endet die Frist für po-tentielle Investoren. Dr. Beck gibt be-kannt, dass es mehrere Interessenten gäbe, nennt aber weder Namen noch Angebotsdetails.

Es sickert jedoch durch, dass sich unter anderem Faurecia, Magna und Delphi unter den Bietern befinden. Ob darunter auch Interessenten für den Standort Sterbfritz sind, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Noch am selben Tag schreibt der Betriebsratsvorsitzende Gebhard Wei-kinger mit Hilfe von Jürgen Walter an Daimler Benz und bittet um eine Zusa-ge, dass keine Aufträge aus dem Werk Sterbfritz abgezogen werden um die Attraktivität des Standortes für poten-tielle Interessenten zu erhöhen.

Zunächst erfolgt keine Reaktion. Daimler setzt zu diesem Zeitpunkt auf die Lösung „Phoenix“, wie sich wenige Tage später zeigen wird.

Am 18. Juli erlebt der Kampf um die Arbeitsplätze bei Sterbfritz einen vorläufigen Höhepunkt: In Sterbfritz findet ein von der IG BCE veranstalte-tes Solidaritätsfest statt, an dem sich der ganze Ort aktivbeteiligt. Die Be-legschaft erfährt vielfältige Solidarität und der Betriebsrat legt öffentlich dar, dass Plastal Sterbfritz ein wirtschaft-lich gesundes Unternehmen ist, das langfristig schwarze Zahlen schreiben kann und unverschuldet in den Insol-venzstrudel geriet. Ihre Solidarität be-kunden an diesem Tag u. a. das IG BCE Hauptvorstandsmitglied Egbert Bier-mann, Landrat Erich Pipa, Betriebs-räte von Goodyear, Veritas, Teclac, VAC, Tabbert und der Firma Sell in Herborn, ebenso aber auch zahlreiche lokale Gewerbetreibende und Vereine. Vorstandsmitglieder des Gewerbever-eins Sinntal beweisen Galgenhumor und verteilen symbolisch „Saure Gur-ken“. Die Presse berichtet umfangreich und unter der Belegschaft wächst die Hoffnung, dass die sichtbare Solidari-tät auch eine Wirkung auf die Gläubi-ger hat, die sich am 21. Juli in Weißen-burg treffen wollen.

Betriebsrat und IG BCE bleiben nicht untätig. Sie bereiten für den 21. Juli eine überraschende Aktion vor ...

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GEGEN ALLE WAHRSCHEINLICHKEIT | QUALITäT UND BEHARRLICHKEIT

Die gläUbigerversammlUng

Pfiffe, Wut und verschlossene Tore

Am 21. Juli lädt Insolvenzverwalter Beck zur entscheidenden Gläubigerversammlung nach

Weißenburg in die Plastal Hauptverwaltung. Dort will er den Gläubigern den aktuellen Stand der Investorensuche vorstellen und es sollen erste Entscheidungen über die

Zukunft Plastals getroffen werden.

Doch als Insolvenzverwalter und Gläubiger vorfahren, staunen sie nicht schlecht. An diesem Tag findet in Wei-ßenburg noch eine weitere Versamm-lung statt: Die Belegschaft ist nahezu geschlossen aus Sterbfritz angereist und führt vor Ort unter freiem Him-meln eine „mobile Betriebsversamm-lung“ durch. Mit Transparenten und Pfeifen begrüßen sie die Gläubiger und appellieren an die Entscheider, nicht nur Verantwortung für die Fi-nanzen, sondern auch für die Men-schen zu zeigen.

Die Mitarbeiter legen direkt vor der Hauptverwaltung 306 Holzkreuze nieder - ein Kreuz für jeden gefährde-ten Arbeitsplatz. Gebhard Weikinger fordert unter dem Beifall der Anwe-senden: „Wir wollen endlich Klarheit, wie es am Standort weitergeht. Damit wir an der Zukunft des Standortes weiterarbeiten können.“

Oliver Eichling verlangt konkret eine Zusage zum Erhalt des Standor-tes Sterbfritz. „Sollte es eine Einzel-lösung geben, erwarten wir von der Geschäftsleitung, dass sie Verantwor-

tung für die Mitarbeiter übernimmt - besonders vor dem Hintergrund der jahrelangen guten Ergebnisse am Standort Sterbfritz.“

Aus den Fenstern der Hauptver-waltung schlägt den Sinntalern Skep-sis, aber auch viel Sympathie entgegen. Die Belegschaft der Hauptverwaltung schaut zu. Mehr bleibt ihr auch nicht übrig, denn das Weißenburger Ma-nagement hat sämtliche Türen und To-ren des Werkes verschlossen und die Belegschaft quasi eingesperrt. Mögli-cherweise hat die Aktion der Sinnta-

Die Sterbfritzer zeigen Entschlossenheit Ein Kreuz für jeden Arbeitsplatz

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GEGEN ALLE WAHRSCHEINLICHKEIT | QUALITäT UND BEHARRLICHKEIT

ler Wirkung auf den ein oder anderen Gläubigervertreter, mit Sicherheit er-leichtert sie dem Insolvenzverwalter eine vorläufige Lösung mit geradezu salomonischem Charakter. Zwar er-klärt Insolvenzverwalter Beck, dass der Standort Sterbfritz „technisch in der Automobilindustrie nicht mehr konkurrenzfähig“ sei. Er rückt im Ein-vernehmen mit den Gläubigern jedoch von einer sofortigen Stilllegung ab und kündigt die Schließung zum Jahresen-de an, falls sich bis dahin kein Investor für die Fabrik findet. Daimler Benz er-klärt, die Produktion bis dahin weiter finanziell absichern zu wollen, aller-dings nur, wenn das Projekt Phoenix wie geplant umgesetzt wird.

Letztlich ist diese Entscheidung also nicht wirklich eine Perspektive.

Sie verlängert lediglich die Gnaden-frist und dokumentiert gleichzeitig: Auf externe Hilfe braucht Sterbfritz nicht zu hoffen. Wenn es eine Lösung geben soll, dann muss sie in Sterbfritz gefunden und errungen werden.

Darüber ist Landrat Erich Pipa so erbost, dass er die Gläubigerversamm-lung unter Protest verlässt und sich draußen der demonstrierenden Beleg-schaft anschließt. Er erklärt unter dem Beifall seiner Zuhörer: „Das Ungeheu-erliche ist, dass in Sterbfritz über Jah-re Gewinne eingefahren worden sind, während andere Plastal-Werke rote Zahlen geschrieben haben. Es kann nicht sein, dass jetzt für Sterbfritz we-der eine konkrete Idee noch ein Kon-zept da ist und die Verantwortung auf die Mitarbeiter abgeschoben wird.“

Am nächsten Tag wird dem Ge-samtbetriebsrat das „Projekt Phönix“ erstmals offiziell präsentiert. Dabei wird offensichtlich, dass Sterbfritz in den Planungen keine Rolle mehr spielt. Für Betriebsratschef Weikinger ist spätestens an diesem Mittwoch im Juli klar: „Wenn wir Sterbfritz retten wollen, müssen wir selbst zu Sanie-rungsspezialisten werden.“

In den Medien geht allerdings niemand mehr davon aus, dass der Standort Sterbfritz eine Chance hat. Auf www.wer-kennt-wen.de häufen sich die frustrierten Kommentare, für die Wortkombination „Sterbfritz“ und „Schließung“ gibt es bei Google über 8.000 Treffer. Die Uhr tickt. Es sind noch 161 Tage bis in Sterbfritz das Licht endgültig ausgeht.

BM Carsten Müller spricht zu den MitarbeiternWarten auf die Ergebnisse der Gläubigerversammlung

Gebhard Weikinger fordert Klarheit Die Weißenburger Belegschaft ist zum Zuschauen verurteilt

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GEGEN ALLE WAHRSCHEINLICHKEIT | QUALITäT UND BEHARRLICHKEIT

Ein leserbriefDen folgenden Leserbrief schreibt ein Sterbfritzer Kollege unter dem Eindruck der Aktionen und der nachfolgenden Berichterstattung an das Weißenburger Tagblatt.

Wie unterschiedlich die regionalen Medien die ak-tuelle Lage der Plastal GmbH darstellen, kann man ganz deutlich an den Beiträgen im Weißenburger Tagblatt erkennen.

Während sich Belegschaft, Angehörige, regionale Gewerbetreibende und auch die Bevölkerung im Sinntal sorgen um ihre Zukunft machen, wird die angekündigte Sterbfritzer Werksschließung in Wei-ßenburg scheinbar als Befreiungsschlag angesehen und entsprechend befürwortet.

Das Aussagen getroffen werden wie... „in der Not ist man sich selbst der Nächste“... ist ja aus Sicht der Beschäftigten noch nachvollziehbar, dass aber im Gegenzug seitens der Medien noch Witze über die Betroffenen 306 Mitarbeiter aus Sterbfritz ge-macht werden, (Zitat:... „für den «Bastelladen», wie das Werk... scherzhaft auch genannt wird“...) ist schlichtweg eine Sauerei!

Wo ist die Berichterstattung dazu, dass die Wei-ßenburger Kollegen am Dienstag auf dem Werks-gelände weggeschlossen wurden um ja keinen Kontakt zu den „aufsässigen“ Sterbfritzern auf-bauen zu können, oder dass sich die Plastal-Füh-rungsmannschaft feige und verantwortungslos im Bürogebäude verkrochen und keine Stellung zur Situation bezogen hat?

Wir alle konnten in den vergangenen Wochen und Monaten ja deutlich mitverfolgen, dass durch die Geschäftsführung und Insolvenzverwaltung das Werk Sterbfritz mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zielstrebig an den Abgrund gerückt wurde.

Aussagen wie: „nicht rentabel“ / „verlustbringend“ / „nicht konkurrenzfähig“ / „technisch veraltet“ / „zur Schließung vorgesehen“ das sind nur einige der Schlagworte, mit denen das Werk (oder wie

Insolvenzverwalter Beck sich ausdrückte „die Braut“) geschmückt wurde, um potentielle Inves-toren zu finden. Ein hoffnungsloses Unterfangen...

Es gab seitens der Plastal-Führung und Dr. Beck zu keiner Zeit auch nur ansatzweise Bemühungen, den Standort Sterbfritz am Leben zu erhalten!

Vielmehr werden fehlende Restrukturierungskon-zepte und die massiven Managementfehler der letzten Jahre dadurch ausgeglichen, dass Sterbfritz geopfert und die dort vorhandenen Aufträge unter den verbleibenden Standorten aufgeteilt werden.

Dabei spielt es scheinbar auch keine Rolle ob an ei-nem Standort, wie im Fall Sterbfritz, bis heute Ge-winne erwirtschaftet werden, oder ob an anderen Standorten das Geld seit Jahren in erheblichem Maße vernichtet wird.

Im Sinne der Mitarbeiter an den verbleibenden Standorte bleibt zu hoffen, dass sich die potentiel-len Investoren ein eigenes Bild über die tatsächli-che Situation innerhalb der Plastal verschaffen und die heutige Führungsmannschaft schnellstmöglich dahin verbannt wird, wo sie keine weiteren Schä-den mehr anrichten kann ...

Auch wenn wir Sterbfritzer nur noch minimale Chancen für den Erhalt unseres Standortes sehen, wir werden weiterhin unserer Verpflichtung nach-kommen den Kunden termingerecht zu beliefern und die Bänder am Laufen zu halten.

Vielleicht hat insbesondere Mercedes noch einen Funken Anstand und unterstützt uns im Kampf ge-gen die Arbeitslosigkeit dadurch, dass wir unsere bestehenden Aufträge in Ruhe abarbeiten und nach neuen Beschäftigungsfeldern suchen können.

Eine Grundvoraussetzung dafür ist geschaffen – wir sind nicht mehr Plastal!!!

„AUF DEM WERKSGELÄNDE WEGGESCHLOSSEN“

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35DAS WUNDER VON SINNTAL

DAS REVITALISIERUNGSKONZEPT | MUTIG, ABER MACHBAR

anrUf aUs Der staatskanzlei

Ringen um ein konzeptLandrat Pipa startet am nächsten Tag einen neuen

Versuch, seine politischen Kontakte einzusetzen. Nach mehreren mündlichen Anfragen wendet er sich erneut

– diesmal schriftlich - an Ministerpräsident Roland Koch und bittet noch einmal eindringlich um Mithilfe bei der

Rettung des Standortes.

Koch hatte sich bis dahin nicht zu dem Thema geäußert und auch auf keine Kontaktanfragen reagiert. Pipa weist in seinem Schreiben an den Mi-nisterpräsidenten auf die guten Kon-takte Kochs zum Investor Magna hin und bittet dort um Fürsprache.

Einige Tage vergehen ohne Reakti-on. Dann erhält der Landrat einen An-ruf aus der Hessischen Staatskanzlei. Er berichtet darüber noch am selben Tag persönlich in der immer aktiver werdenden Community auf www.wer-kennt-wen.de:

„Die Hessische Landesregierung unterstützt dieses Konzept“

„Ich habe heute mit einem Be-auftragten von Herrn Ministerpräsi-dent Roland Koch aus der Hessischen Staatskanzlei gesprochen.

Mir wurde die Zusage erteilt, dass sich der Hessische Ministerpräsident persönlich mit dem Vorstand von Daimler in Verbindung setzt und auch Kontakt zum Bundesvorsitzenden der

Gewerkschaft aufnehmen wird. Bei diesem Gespräch habe ich auch noch-mals für eine Stand-Alone-Lösung geworben und über den Investor be-richtet, der dann ernsthaft am Kauf interessiert ist, wenn der Daimler-Auftrag bis 2012 in Sinntal verbleibt.

Die Hessische Landesregierung unterstützt dieses Konzept und wird auch ggf. mit Landesbürgschaften ein-springen.“

Die Staatskanzlei fragt kurze Zeit später auch bei Oliver Eichling von der IG BCE nach, was Sterbfritz als Stand-ort auszeichne.

Der beginnt am Telefon spontan aufzuzählen:

1. Flexibel2. Beherrscht die Prozesse3. Liefert Qualität4. Hält sich an Verträge5. Hat keine „alten“ Maschinen6. Ist konkurrenzfähig7. Hat Ideen8. Hat eine motivierte Belegschaft

Eichlings Gesprächspartner unter-bricht ihn. Offensichtlich sei er sehr von den Sterbfritzer Kollegen über-zeugt. Ob sich der Standort in Wies-baden vorstellen und seine Vorschläge für die Weiterführung präsentieren könne? Keine Frage für den Gewerk-schaftssekretär: Eine solche Chance muss man ergreifen.

Die hessische Staatskanzlei in Wiesbaden

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36 DAS WUNDER VON SINNTAL

DAS REVITALISIERUNGSKONZEPT | MUTIG, ABER MACHBAR

Profis müssen her

Die BetriebsratsberaterIn den folgenden Tagen und Wochen nimmt das Stand-Alone-Konzept in zahlreichen, langen, oft bis tief in die

Nacht andauernden Sitzungen Formen an. In Sterbfritz beteiligen sich leitende Angestellte aus der Geschäftsführung und dem Controlling an den

Diskussionen.

Gemeinsam wird entschieden, eine eigene externe Unternehmensbera-tung einzuschalten, die ihre profes-sionelle Beratungskompetenz allein einsetzt, um die Arbeitsplätze am Standort Sterbfritz zu erhalten.

Die Wahl fällt auf die Dresdner Fir-ma Kemper & Schlomski.

Außerdem werden zunächst in der Vergangenheit abgelehnte Anfra-gen für kleinere Produktionen erneut geprüft. Was damals der Plastal-Ge-schäftsführung zu klein und uninteres-sant erschien, könnte heute vielleicht zur Sicherung des Standortes beitra-gen. In der Tat gelingt es, einige der ehemalige Interessenten für Sterbfritz zu gewinnen.

Schließlich wächst unter den Be-teiligten die Überzeugung:

Sollte es gelingen, das bisherige Geschäft in Sterbfritz zu halten und in einem realistischen Umfang Neuauf-träge aus der Automobilindustrie zu bekommen, fehlt nicht viel, um wirt-schaftlich arbeiten zu können. Viel-versprechende Produktideen für die Solarbranche und im Bereich Medizin-technik liegen vor.

Am 30. Juli kommt endlich eine schriftliche Antwort von der Daim-ler AG aus Sindelfingen. Die Daimler-Manager Werner Genth und Andreas Lux sichern zu, dass die Daimler AG Maßnahmen mitträgt, die geeignet sind, Plastal als Zulieferer zu erhal-

ten - geben jedoch ausdrücklich keine Standort-Garantie ab. Sie bestätigen, dass der Standort zur Disposition steht und verweisen auf die Entschei-dungshoheit des Insolvenzverwalters. Im Klartext heißt das: Daimler mischt sich nicht ein, solange eine zuverläs-sige Belieferung durch Plastal - gleich von welchem Standort aus - gewahrt bleibt.

Diese nicht besonders ermutigen-de Nachricht hält das Projektteam je-doch nicht von seinen Mühen ab - im Gegenteil:

Allen Beteiligten wird immer klarer, dass Sterbfritz sich nur selbst helfen kann.

Rund zwei Wochen später, es ist Mitte August, steht das vorläufige Konzept, das ein eigenständiges Über-leben des Standortes zumindest denk-bar erscheinen lässt und damit den so genannten „Dritten Weg“ zwischen Li-quidation und Verkauf beschreitet.

Die Zeit drängt, deshalb geht der Betriebsrat am 19. August erneut auf Daimler Benz zu und bietet Gespräche über die Verlängerung der Produkti-onsaufträge bis 2012 an. Er legt ein Argumentationspapier bezüglich der Vorteile einer Verlängerung für Plastal und Daimler Benz vor.

Diesmal gibt es eine rasche Reak-tion des Unternehmens, das Interesse signalisiert und für November ein Ge-spräch anbietet.

Auch wenn dieser Termin nur we-nigen Wochen vor dem geplanten Aus des Standortes liegt - es ist ein letzter Hoffnungsschimmer.

Vorletzter Hoffnungsschimmer ist das Gespräch im hessischen Wirt-schaftsministerium, das am 22. August stattfinden soll.

Genau einen Tag vorher ist das vom Betriebsrat, IG BCE, Jürgen Walter und der Unternehmensberatung Kem-per & Schlomski erarbeitete Konzept „Zukunftsperspektive Plastal – Revi-talisierung aus der Insolvenz“ fertig formuliert - trotz großer Widerstän-de. Besonders problematisch ist die mangelnde Unterstützung durch PWC, deren Vertreter sich weigern, wichtige Unterlagen rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

Am Morgen des 22. Augusts fährt eine kleine Sterbfritzer Delegation nach Wiesbaden - genau 130 Tage vor dem geplanten Aus.

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37DAS WUNDER VON SINNTAL

charakterköpfeÜber vier Monate nach der Insolvenz liegen die Nerven in Sinntal blank. Doch dann besinnt man sich auf die Sterbfritzer Tugenden.

Anfang August 2009. Die Erstarrung ist der Starr-sinn gewichen. Alle sagten: „Das kann’s doch nicht gewesen sein.“ Als dann unsere Führungs-ebene diverse Vorschläge zum Weiterleben machte, haben wir alle gesagt: „Mit uns könnt ihr rechnen. Wir kämpfen bis zum letzten Tag.“ Zermürbend war die Zwick-mühle, in der wir steckten. Was wäre, wenn wir unseren Kunden Daimler nicht mehr beliefern würden? Schadet uns das noch mehr? Wie stolz waren wir doch immer gewesen, für so einen Konzern Zulieferer zu sein. Wir machten

weiter. Doch das muss man sich mal überlegen: Einerseits war klar, dass das Werk geschlossen

werden soll - und trotzdem machten wir Überstunden, um unsere Kunden nicht zu enttäu-schen. Idiotisch, aber so sind die Sterb-fritzer halt. Als vor einigen Jahren die Montagehalle abge-brannt ist, wurden kurzerhand die Artikel im Hof montiert, um lieferfähig zu bleiben. Das ist es was die Belegschaft in Sterbfritz auszeichnet: selbst in der größten Krise eine zuver-

lässige und solidarische Einheit zu sein.Barbara Maier

„AUS ERSTARRUNG WIRD STARRSINN“

Eine von unzähligen Beratungsrunden in Sterbfritz

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38 DAS WUNDER VON SINNTAL

kemPer & schlomski Die „etwas andere“ Unternehmensberatung

DAS REVITALISIERUNGSKONZEPT | MUTIG, ABER MACHBAR

Die Dresdner Beratungsfirma Kemper & Schlom-ski ist eine Unternehmensberatung der anderen Art. Kemper & Schlomski kommt in der Regel auf Initiative des Betriebsrates ins Unternehmen. In dessen Auftrag entwickelt Kemper & Schlomski zumeist alternative Ansätze zu vor-handenen, oftmals defensiven Konzepten zur Kostensenkung und zum Personalabbau der Unternehmensleitung. Die Be-triebsräte stehen dabei in ih-rem Unternehmen oft vor fol-gender Herausforderung: Der Umsatz ist eingebrochen, also müssen die Kosten im gleichen Verhältnis gesenkt werden. Kostensenkung fokussiert in der Regel auf Personalabbau. Dazu Gesellschafter Thomas Schlomski:„Generell gilt: Umsatz – Kos-ten = Ertrag. Ausgehend von den vorhandenen Kernkompetenzen fragen wir uns immer, was ist mit den vorhandenen Kern-kompetenzen in vorhandenen oder neuen Märk-ten alternativ möglich. Eigentlich einfach, aber erstaunlicher Weise in vielen Restrukturierungskonzepten nicht be-trachtet. Nicht immer lässt sich damit ein Per-sonalabbau vermeiden; aber es wird über die aktuelle Herausforderung hinaus die Basis für eine nachhaltige Konsolidierung und damit für eine nachhaltige Zukunft gelegt. Doch die beste “Alternative” nützt nichts, wenn der Arbeitgeber diese im Handstreich vom Tisch fegt. Kemper & Schlomski sagt man nach, den erfor-derlichen Spagat über die Betriebsratsinteressen hin zur Überzeugung der Unternehmensseite zu beherrschen. Betriebsräte kommunizieren auf

Augenhöhe mit der Unternehmensleitung und gehen aus der Projektarbeit nachhaltig gestärkt hervor.“Den Auftrag für das Revitalisierungskonzept des

Standortes Sterbfritz erhielt Kemper & Schlomski vom In-solvenzverwalter Dr. Beck, auf Initiative von Betriebsrat und IG BCE. Thomas Schlomski schildert, wie seine Firma zu Plastal kam:„Angesprochen wurden wir vom IG BCE Sekretär Oliver Eichling. Zunächst waren wir jedoch skeptisch, ob sich ein Insolvenzverwalter auf eine „solche Sache“ (Unterstützung des Betriebsrates durch eine Unternehmensberatung in der Insolvenz) einlässt. Doch Herr Eichling, Rechtsanwalt Walter und der Betriebsrat erreich-ten das Ungewöhnliche. Ge-

nerell verfolgt Kemper & Schlomski den Ansatz „Geld kommt nicht vom Gesellschafter oder der Personalabteilung, sondern von zufriedenen Kunden“. Demzufolge sahen wir eine realisti-sche Zukunftsperspektive für den Standort, als wir die ersten Kundenreaktionen hautnah mit-bekommen haben. Diese waren von Sterbfritz überzeugt! Wichtig für die Zukunftsperspektive war die Geschlossenheit des Standortes. In der größten existenziellen Krise hat sich am Stand-ort ein Team gebildet, welches das „Unterneh-mervakuum“ ausgefüllt und sich aktiv um eine Fortführung bemüht hat. Kemper & Schlomski hat dieses Team aktiv motiviert und zusammen mit der IGBCE, Rechtsanwalt Walter sowie den Betriebsräten begleitet.“

kontakt: [email protected]

Thomas Schlomski, Gesellschafter

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39DAS WUNDER VON SINNTAL

DAS REVITALISIERUNGSKONZEPT | MUTIG, ABER MACHBAR

ran an Die entscheiDer

argumentieren, Überzeugen, nachfassen

Am 22. September präsentieren Jürgen Walter und die Betriebsräte im hessischen Wirtschaftsministerium das gemeinsam mit Kemper & Schlomski erarbeitete

„Revitalisierungskonzept“.

Wesentliches Element des Kon-zeptes ist die Entwicklung von Kunststofflösungen für verschiedene Branchen und damit langfristig eine Verringerung der Kundenabhängig-keit. Ziel der Präsentation ist eine Bürgschaft des Landes Hessen, die auch in Aussicht gestellt wird. Sie soll 80% der benötigten Mittel absichern, die Absicherung der Restsumme muss durch die Banken erfolgen.

Unter dem Strich ist dies ein erster Teilerfolg. Im Wirtschaftsministeri-um schließt man eine Stand-Alone-Lösung nicht grundsätzlich aus. Das Projektteam weiß aber auch, dass es noch wichtige Hürden nehmen muss: Wenn die Banken sich nicht an einer Finanzierung beteiligen und wenn vor allem die Daimler AG keine Aufträge mehr an Sterbfritz vergibt, hilft auch keine Landesbürgschaft.

Die Belegschaft wird in einer Be-triebsversammlung über die Entwick-lungen informiert, auch Jürgen Walter und Unternehmensberater Thomas Schlomski nehmen teil.

Schlomski berichtet von dem „Va-kuum“, dass Sterbfritz zu verschlin-gen droht: Investoren „lassen sich Zeit und nicht die Pistole auf die Brust setzen“ – doch genau diese Zeit fehlt dem Werk. Obwohl das Plastal-Werk vermutlich zum 31. Dezember 2009 schließen muss, sieht der Berater gute Erfolgschancen für eine „Nachlösung“ im vorhandenen Produktspektrum

sowie in anderen Gebieten. Schlomski appelliert an die zahlreich in der Kan-tine versammelten Mitarbeiter, bei der Stange zu bleiben und auf den Stand-ort zu vertrauen.

Wie es 2010 weitergehen könnte, skizziert der stellvertretende Werks-leiter Dirk Wypchol. Trotz „substan-ziellem Umsatzabzug“ könnte die Umsatzstruktur in der Polyurethan-Fertigung (PU) so aussehen, dass 36 Prozent auf Daimler, 28 Prozent auf Opel, je 14 Prozent auf BMW und

Audi/VW und acht Prozent auf Her-steller anderer Produkte entfallen könnten.

Susann Friedrich, Leiterin Indus-trial Engineering, und Instandhal-tungsleiter Matthias Vogt erläutern hierzu den Stand der Kundengesprä-che. Zu einem Geschäft könnte die Um-schäumung großer Solarmodule wer-den. Hier steht ein Angebot für 40.000 Stück mit einem Volumen von jährlich 2,6 Millionen Euro zur Diskussion.

Gespräche gibt es auch mit dem

Moderne Solarpanele werden zunehmend mit Kunststoff umschäumt

Futu

reat

las

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40 DAS WUNDER VON SINNTAL

neuen Eigentümer von Knaus-Tabbert für die Fertigung von PU-Teilen in Ca-ravans. Auch hier ist ein Angebot ab-gegeben worden. In der kommenden Woche findet ein Werksbesuch von Vertretern der Fuldaer Firma Edag statt. Erstmals hat das Werk auch eine Anfrage von Ford für 8.000 PU-Schweller bekommen.

Perspektiven sind also da. Doch we-der von den Banken, noch von Daimler kommen die erhofften positive Signa-le. Nachfragen beim Insolvenzverwal-ter bringen keine neuen Nachrichten. Offensichtlich ist kein Investor wirk-lich an Sterbfritz interessiert.

Dennoch plant das Projektteam weiter: Im Januar 2010 will man die „Sinntaler Kunststoff GmbH“ gründen. Das Gründungskapital soll aus den ein-gesparten Schließungskosten (ca. 20 Mio. EUR) bestehen. Dafür verzichten die Mitarbeiter auf jegliche Ansprü-che aus einem Sozialplan. Ein Teil des Management ist bereit, die Geschäfts-führung des neuen Unternehmens zu übernehmen und sich auch persönlich mit Einlagen zu beteiligen. Letztlich würde dieses Konzept kein klassi-sches management-buy-out, sondern ein employees-buy-out werden - wo-bei die Beschäftigten einen gehörigen Teil ihrer Zukunftssicherung investie-ren müssten. Die Bereitschaft dazu ist vorhanden.

In zahlreichen, langen Sitzungen nimmt das Konzept immer konkre-tere Formen an. Dass gleichzeitig die Belegschaft nach wie vor konsequent hochwertige Produkte herstellt, bleibt auch dem Insolvenzverwalter nicht verborgen, der die Bemühungen um

den Dritten Weg mit Interesse verfolgt.Mit noch größerem Interesse ver-

folgen die Sterbfritzer die Entwick-lungen in den anderen Standorten. Alle Anzeichen deuten darauf hin, dass es bei der Umsetzung des Projek-tes Phoenix Schwierigkeiten mit der Produktqualität gibt. Möglicherweise könnte dies den anerkannt hochklas-sigen Standort Sterbfritz wieder ins Geschäft bringen.

„Kein Interesse an Sterbfritz“

Als am 16. November in der Süd-deutschen Zeitung ein langer Bericht erscheint, ist zunächst nicht klar, in-wieweit dieser aus Spekulationen be-steht. Die Süddeutsche schreibt:

„Der französische Autozuliefe-rer Faurecia steht offenbar kurz vor einem Kauf des insolventen bayeri-schen Kunststoffteileherstellers Plas-tal. Nach Informationen aus mit dem Vorgang befassten Kreisen haben sich Verantwortliche des weltweit achtgrößten Autozulieferers und der Plastal- Insolvenzverwalter Siegfried Beck bei einem Treffen am Sonntag in Nürnberg auf Eckpunkte des Geschäfts verständigt. Es seien nur noch wenige Fragen zu klären, hieß es. Dies könne bereits in den kommenden Tagen ge-schehen. Faurecia will angeblich fünf der sechs deutschen Plastal-Standorte übernehmen.“

Welches der „uninteressante“ Standort ist, wird in dem Beitrag auch benannt:

„Durch die Insolvenz konnte die deutsche Tochterfirma von den Schweden abgekoppelt werden. Zu ihr gehören neben dem Stammsitz in Wei-ßenburg auch Werke im benachbar-ten Pappenheim sowie in Essen, Büd-denstedt (Niedersachsen), Renningen bei Stuttgart und im hessischen Sterb-fritz. An Letzterem hat Faurecia dem Vernehmen nach kein Interesse.“

Weiter schreibt die Süddeutsche: „Womöglich würden im Zuge einer Übernahme durch Faurecia weite-re Arbeitsplätze wegfallen, aber ein größerer Kahlschlag stünde nicht an, heißt es jetzt. Aus Branchenkreisen verlautete, dass vor allem die großen deutschen Automobilhersteller auf ei-nen zügigen Verkauf von Plastal drän-gen. Denn dieser würde dem Zuliefe-rer langfristige Stabilität sichern.“

Jürgen Walter liest diesen Artikel sehr genau. Aus seiner Zeit als akti-ver Politiker weiß er solche Beiträge präzise und kühl zu analysieren. Auch dieser Artikel belegt seine These, das letztlich weder in Nürnberg noch in Weißenburg oder Wiesbaden über das Schicksal von Sterbfritz entschieden wird - sondern in Sindelfingen. Plastal ist abhängig von der Automobilindus-trie und für Sterbfritz heißt das: Wenn die Daimler AG die Stange hält, gibt es eine Perspektive, drängen die Schwa-ben aber weiter auf die Umsetzung des Projekts „Phoenix“, dann wird es - egal ob mit Faurecia, Delphi oder Mag-na als Investor - keine Zukunft für den Sinntaler Standort geben.

Im Projektteam ist man sich schließlich einig: Es hat keinen Zweck darauf zu warten, dass irgendein In-vestor auftaucht und die von Faurecia verschmähten Reste einsammelt.

Die Belegschaft muss selbst mitmi-schen im großen strategischen Spiel und darf PWC und dem Insolvenzver-walter das Feld nicht allein überlassen. Ziel muss sein, Sterbfritz für Daimler attraktiv zu machen - attraktiver als Phoenix.

Als Jürgen Walter zum Telefon greift, um die entscheidenden Anru-fe zu tätigen sind es noch 44 Tage bis zum drohenden K.O.

Bestandteil des Revitalisierungskonzeptes ist eine realistische Umsatzplanung

DAS REVITALISIERUNGSKONZEPT | MUTIG, ABER MACHBAR

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41DAS WUNDER VON SINNTAL

aUf Die stärken setzenDas eigenständige Revitalisierungskonzept

Das so genannte „Revitalisierungskonzept“ des Sterbfritzer Projektteams ist ein Gemeinschafts-produkt von Führungskräften, Betriebsräten, IG BCE und der Unternehmensberatung Kemper & Schlomski.Das Konzept beruht vor allem auf der anerkannt große Erfahrung des Werkes als einer der we-nigen Produktionsstätten für Polyurethan (PU) in Europa. Es belegt anhand konkreter betriebs-wirtschaftlicher Kennziffern, dass die derzeit vorhandenen Aufträge eine mittelfristige Grund-auslastung des Werkes sicherstellen - allerdings nicht ausreichen, um kostendeckend arbeiten zu können. Deshalb sollen die vorhandene Produk-tionstechnologie und Erfahrung genutzt werden, um weitere Anwendungsfelder zu erschließen - die möglichst außerhalb des Automobil-Zuliefer-erbereichs gesucht werden, um die bestehende Abhängigkeit von wenigen großen Abnehmern mittelfristig zu reduzieren und das Werk so kri-senfester zu machen.Für die Umsetzung des Konzeptes soll eine Ge-sellschaft aus Mitteln der Insolvenzmasse gegrün-det werden. Diese Gesellschaft soll die Zeit bis zur Findung externer Gesellschafter überbrü-cken. Die Belegschaft soll auf zukünftig ca. 190 Mit-arbeiter zurückgefahren werden, um so eine schlanke und flexible Struktur zu erhalten, die vor allem auch profitable Kleinserienfertigung erlaubt. Wesentliches Element des Konzeptes ist die Übertragung der hohen Qualität und Fer-tigungsstandards, wie sie bei Produkten für die Automobilindustrie beherrscht werden, auf Pro-dukte anderer Branchen (z. B. Solarindustrie, Medizintechnik). Hier hat das Werk Sterbfritz Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Produ-zenten. Beabsichtigt ist ein bewusster Aufbau als kompetenter Lieferant von Kunststofflösungen für unterschiedliche Branchen und damit Verrin-

gerung der Kundenabhängigkeit durch mehrere „Standbeine“.Das Projektteam hat systematisch geprüft, wel-che in der Vergangenheit von Plastal bereits we-gen zu geringer Umsatzerwartungen abgelehnten Anfragen unter solchen Bedingungen doch noch profitabel realisiert werden könnten - und be-rechnet, dass es durchaus attraktive Aufträge au-ßerhalb des Automobil-Zuliefererbereichs geben könnte. Beispielsweise befindet man sich bereits ein Endverhandlungen für einen verhältnismäßig großen und langfristigen Auftrag zur PU-Um-schäumung von Solarmodulen - einer echten Zu-kunftsbranche.Die vorläufige Geschäftsführung der GmbH wür-den drei bewährte Führungskräfte aus Sterbfritz übernehmen: Der bisherige stellvertretender Werkleiter Dirk Wypchol, Susann Friedrich (Lei-terin Industrial Engineering) und der Leiter der Instandhaltung und Arbeitssicherheit Matthias Vogt - so wäre auch personell die wichtige Kon-tinuität gewährleistet.Benötigt werden für die Stand-Alone-Lösung Ge-samtinvestitionen von rund 5,5 Millionen Euro. Das maximal benötigte Darlehen zur Zwischen-finanzierung liegt bei 3 Millionen Euro, die zu ei-nem großen Teil durch eine Bürgschaft des Lan-des Hessen abgesichert werden sollen.Funktionieren kann das Konzept aber nur, wenn die aktuellen Aufträge (Vor allem Daimler AG, aber auch BMW und Opel) sowie die dazu be-nötigten Produktionsanlagen in Sterbfritz ver-bleiben und nicht - wie im Rahmen des Projektes „Phoenix“ geplant - in die anderen Plastal-Werke verlegt werden. Auch das bereits in Sterbfritz projektierte Neugeschäft für 2010 (Porsche und Daimler) muss tatsächlich in Sterbfritz aufgenom-men werden können.Das heißt konkret: Wird „Phoenix“ realisiert, gibt es keine Perspektive für das Sinntaler Werk.

DAS REVITALISIERUNGSKONZEPT | MUTIG, ABER MACHBAR

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Unter einem gUten stern?

klartext in SindelfingenDer 27. November ist ein Freitag - einer von nur

fünf Freitagen, die der Sterbfritzer Belegschaft noch verbleiben, wenn es nicht zum „Wunder von Sinntal“

kommt, wie es die Lokalzeitung Wochen zuvor beschreibt - ohne selbst daran zu glauben.

Diesen 27. November verbrin-gen die Betriebsräte im tiefen Süden Deutschlands. Gemeinsam mit Jürgen Walter und Vertretern der Geschäfts-führung haben sie einen Termin bei der Daimler AG in Sindelfingen. Dort haben sich die Verkäufe der S-Klasse offensichtlich gut entwickelt, der Be-darf an Plastal-Produkten ist nicht nur stabil, sondern potentiell ausbaubar.

Doch davon hat der Standort Sterb-fritz nichts, wenn Faurecia wie geplant nur die anderen Standorte übernimmt. Gebhard Weikinger, Barbara Maier und die anderen Betriebsräte haben deshalb ein mulmiges Gefühl, als sie in Sindelfingen ankommen.

Etwas merkwürdig erscheint ih-nen zunächst auch die Tatsache, dass das Daimler-Management erst ein-mal nur mit Jürgen Walter und den Betriebsräten sprechen möchte. Die Geschäftsführung wird gebeten, drau-ßen zu warten. Im Gespräch loben die Daimler-Manager zunächst die

langjährige erstklassige Qualität der Sterbfritzer Produkte, die den Daimler Premium-Produkten wären, sie beto-nen die große Erfahrung und Qualifi-kation der Belegschaft. Alles nur eine Einleitung, die die bittere Pille Stand-ortschließung versüßen soll? Weikin-ger wird hellhörig, als die Manager da-von berichten, wie problematisch sich die Produktion an den anderen Stand-orten darstellt. Er sieht Jürgen Walter an. Der lächelt.

„Schließlich platzt die Bombe“

Daimler ist nicht mehr überzeugt davon, dass sich das zunächst favori-sierte Projekt Phoenix wirklich umset-zen lässt. Man fürchtet, die Zuverläs-

sigkeit von Belieferung und Produkten könne auf der Strecke bleiben. Ein Ri-siko, dass man nicht eingehen möchte. Man habe also entschieden, nun doch den Erhalt des Standortes zu unter-stützen, indem man die Produktion dort erhalten und weiter ausbauen wolle - und wenn es eine Stand-Alone-Lösung für Sterbfritz gäbe, wolle man sich gerne aktiv daran beteiligen, in-dem man langfristige Zusagen mache.

Lange bevor die Betriebsräte wie-der zu Hause sind, hat sich die Ent-wicklung in Sinntal herumgesprochen. Noch aus Sindelfingen haben Weikin-ger und seine Kollegen die Mitstrei-ter in der Heimat informiert. Jürgen Walters Plan scheint tatsächlich auf-zugehen. Mit der Unterstützung des größten Kunden im Rücken müssten sich jetzt auch Insolvenzverwalter und Banken überzeugen lassen.

Barbara Maier vom Betriebsrat beschreibt ihre Eindrücke nach dem Gespräch so: „Als wir da raus sind

Produktionsstandort der S-KlasseDaimler AG in SindelfingenDaimler AG (2)

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DIE RETTUNG | EIN STANDORT SETZT SICH DURCH

habe ich mich gefühlt, als würde eine Zentnerlast von uns genommen. Es war offensichtlich, dass die Daimler AG zu 100% hinter uns steht. In die-sem Moment war mir klar: Wir hatten eine große Hürde genommen und die anderen würden wir auch noch schaf-fen.“

Doch die Uhr tickt zunächst wei-ter. Am nächsten Morgen schreibt die Fuldaer Zeitung: „Insolvenzverwalter Dr. Siegfried Beck bewertete die Ent-wicklung auf Anfrage als „ein wich-tiges Signal“ für den Standort Sterb-fritz, allerdings gebe es noch keinerlei Ergebnisse aus den Gesprächen mit möglichen Investoren oder Käufern des Unternehmens oder des Einzelbe-triebs in Sinntal. „Da stehen uns noch schwierige Verhandlungen bevor“, warnte Beck vor übertriebener Eu-phorie.“

Gerade einmal vier Wochen blei-ben bis zum Weihnachtsfest - wird es ein fröhliches Weihnachten für die Beschäftigten und ihre Familien? Oder

gehen wenige Tage später in Sterbfritz endgültig die Lichter aus? Noch ist nichts entschieden.

Faurecia wehrt sich.

Die Hoffnung bekommt schon we-nige Tage später wieder einen Dämp-fer: Faurecia - designierter neue Be-sitzer von Plastal - besteht darauf, nur die fünf anderen Standorte zu über-nehmen und das Projekt Phoenix um-zusetzen. Der Insolvenzverwalter ist in der Zwickmühle. Er bewundert das Engagement der Sinntaler und würde gerne alle Standorte retten, am liebs-ten in einem Verbund. Doch soll er da-durch den gesamten Deal mit Faurecia auf Spiel setzen?

In Sterbfritz steht man nach wie vor zu der Stand-Alone-Lösung und traut sich zu, diese mit Daimler im

Rücken auch umzusetzen - doch wenn das Projekt Phoenix durchgezogen wird, fehlen in Sterbfritz die Produk-tionsanlagen.

Am 12. Dezember verkündet Fau-recia offiziell: Man habe Interesse an Plastal - aber nur ohne Sterbfritz. Zwei Wochen vor Weihnachten sieht es so aus, als ob alle Bemühungen dicht vor dem Ziel doch noch scheitern. Noch einmal bemühen sich Jürgen Walter, Gebhard Weikinger und Oliver Eich-ling darum, ihre eigenen Kontakte zu aktivieren. Auch die Standortleitung wird in Weißenburg vorstellig. Das Projektteam bearbeitet den Insolvenz-verwalter, bittet ihn, hart zu bleiben und Plastal nur als Gesamtpaket zu veräußern.

In den letzten Tagen vor Weihnach-ten halten sich die Familien der Sterb-fritzer mit ihren Weihnachtseinkäufen zurück. Dieses Jahr wird es nur kleine Geschenke geben. Niemand weiß, ob nicht schon im nächsten Monat der Gang zur Arbeitsagentur ansteht.

Faurecia-Chef Yann Delabrière will auf Sterbfritz verzichtenFaurecia / Luc Pérénom

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44 DAS WUNDER VON SINNTAL

Unvergessliche Weihnachten

Durchbruch am 24. Dezember

Manch ein Mitarbeiter erledigt gerade seine letzten kleinen Einkäufe, andere schmücken den

Weihnachtsbaum - als die Telefonkette aktiviert wird.

Die meisten Beschäftigten erfahren es am frühen Nachmittag, für alle ist es die schönste Bescherung, die sie sich in diesem Jahr vorstellen können:

Das Management von Faurecia wartet tatsächlich bis zum 24. Dezem-ber, um endlich doch zu verkünden: Faurecia ist bereit, Plastal zu überneh-men - komplett, mit allen Standorten.

DIE RETTUNG | EIN STANDORT SETZT SICH DURCH

Das Projekt Phoenix ist Makulatur. Sterbfritz wird zum Faurecia-Standort und zukünftig die Daimler S-Klasse beliefern. Weitere Aufträge sind in Aussicht.

Die Sterbfritzer Belegschaft wird komplett übernommen. Die Sensation ist perfekt: Das Wunder von Sinntal ist Wirklichkeit geworden.

Es sind wohl an die tausend Fami-lienmitglieder, die in und um Sinntal an diesem Tag einen Heiligabend er-leben, den sie vermutlich ihr ganzes Leben nicht vergessen werden. All die gekauften und liebevoll eingepackten Geschenke sind plötzlich unbedeu-tend geworden - unter manch einem Weihnachtsbaum bleiben sie bis in

Ein neues Logo am Werkseingang

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45DAS WUNDER VON SINNTAL

DIE RETTUNG | EIN STANDORT SETZT SICH DURCH

den späten Abend unbeachtet liegen, denn die Familien haben nur ein ein-ziges Thema:

Die Chance auf eine Zukunft, die man sich in den langen Monaten voller Höhen und Tiefen, Ärger, Zorn, Frus-tration und immer noch ein bisschen Hoffnung letztlich hart erarbeitet hat.

Und während die Sterbfritzer Fa-milien feiern, die Kollegen der IG BCE an diesem Abend mit einem ver-schmitzten Grinsen bei ihren eigenen Familien sitzen, öffnet bei sich zu Hau-se im südhessischen Gernsheim ein Rechtsanwalt und ehemaliger Berufs-politiker eine ganz besondere Flasche Rotwein, die er schon lange für einen außergewöhnlichen Moment im Keller liegen hat.

Ein bekannter deutscher Kanzler sagte einmal: „Es gibt zwei Arten von Politik: Politik für die Medien und Po-litik für die Menschen.“

Jürgen Walter hat seine ganz eige-nen Erfahrungen mit den Medien ge-macht - sein Meisterstück hat er aber in der Politik abgeliefert, die wirklich zählt: Die für die Menschen.

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Faurecia gilt als Automobilzulieferer mit hohen Qualitätsstandards

zUkUnft mit garantieIm neuen Konzern Faurecia

Letztlich gestaltet sich der Übergang in den Faurecia-Kon-zern sogar noch positiver als erwartet: Obgleich Sterbfritz zunächst die ungeliebte Drein-gabe ist, kann Insolvenzver-walter Beck in den endgültigen Verkaufsverhandlungen fest-schreiben, dass kein einziger der verbliebenen 283 Stamm-arbeitsplätze wegfällt - für alle Beschäftigten gibt es eine min-destens zweijährige Arbeits-platzgarantie. Ende März 2010 stimmt die EU-Kartellbehörde dem Ver-kauf zu, der damit zum 31. März

2010 endgültig rechtswirksam wird. Heute ist Sterbfritz eine prosperierende Niederlassung im Faurecia-Konzern und ein Standort mit Zukunft. Die Be-schäftigten hoffen, dass Faure-cia auch klüger als Plastal in den Standort investiert und man so für die Zukunft gut gerüstet ist.Der aus den Ereignissen der vergangenen 12 Monate ge-stärkt hervorgegangene Be-triebsrat wird in dieser Hin-sicht sehr genau aufpassen - und kann sich dabei der Un-terstützung durch die IG BCE sicher sein.

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46 DAS WUNDER VON SINNTAL

FAZIT | EINE INSOLVENZ KANN AUCH EIN ANFANG SEIN

FAZIT | EINE INSOLVENZ KANN AUCH EIN ANFANG SEIN

FAZIT | EINE INSOLVENZ KANN AUCH EIN ANFANG SEIN

An eine Zukunftsperspektive für das Werk habe ich eigentlich immer geglaubt. Ich hatte ja gesehen, dass wir immer gut zu tun hatten und die Kunden haben ja auch immer gesagt, dass wir erstklassige Arbeit ma-chen. Deshalb habe ich mich auch nicht um einen anderen Job bemüht. Wozu auch? Mit 58 hätte mich keiner mehr genommen. Wenn der Betriebsrat nicht so um unser Werk gekämpft hätte, dann hätte das für mich wohl auch Ende des Arbeitslebens bedeutet.

Lydia Eisler

Als mein Meister zu mir kam und mir von der Insolvenz berichtete, dachte ich: „Scheiße. Was jetzt?“ Auch meine Familie hatte die totale Panik. Mir war klar, dass ich bei einer Standort-Schließung mit einer langen Arbeitslosigkeit zu rechnen hätte. Unser Haus? Die Raten hät-ten wir nicht mehr zahlen können, das Haus wäre weg gewesen. Ohne das Werk Sterbfritz hätte es für viele Familien ähnlich mies ausgesehen, wie für uns. Betriebsrat und Gewerkschaft haben eine Menge Leute gerettet, das kann man gar nicht hoch genug bewerten!

Herbert Holger

Ich glaube, das Werk ist letztlich vor allem gerettet worden, weil Be-triebsrat, Gewerkschaft und die Standortleitung vom ersten Moment an zusammengearbeitet haben. Deshalb habe ich eigentlich auch immer daran geglaubt, dass das Werk erhalten werden kann. Im Projektteam saßen ja alle zusammen, oft mehrmals in der Woche. Da hat auch jeder von der Geschäftsführung mitgezogen, einige waren ja sogar bereit, bei einer eigenständigen Fortführung als Geschäftsführer weiter zu arbei-ten. Das ist doch Vertrauen in die Belegschaft!

Erika Ziegler

„ICH HABE IMMER AN EINE ZUKUNFT GEGLAUBT“

„DAS HAUS WÄRE WEG GEWESEN“

„ALLE ZOGEN MIT“

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47DAS WUNDER VON SINNTAL

stanDort sterbfritz

Vom außenseiter zum Mittelpunkt

Auch wenn die Presse das „Wunder von Sinntal“ ausgerufen hat - am Ende war der Erfolg kein Wunder sondern das Ergebnis beharrlicher und qualifizierter

Arbeit vieler Beteiligter.

In der Tat sah es lange nicht so aus, als ob es eine Überlebenschance für den Standort gäbe. Zu rasch hatten sich Gläubiger und Insolvenzverwal-ter darauf eingeschossen, Sterbfritz zugunsten der anderen Standorte zu opfern.

Da eine Weiterführung insolven-ter Firmen fast immer mit tiefen Ein-schnitten einhergeht, wäre letztlich auch eine solche Lösung wohl noch als Erfolg wahrgenommen worden. Und so ist es den Betriebsräten und Beleg-schaften der anderen Standorte nicht zu verdenken, dass sie sich nicht von Anfang an auf eine Alles-oder-nichts-Strategie eingelassen haben.

Geglaubt haben an Sterbfritz lan-ge Zeit nur die Sterbfritzer - und die Kollegen des IG BCE Bezirks. Dass der Standort schließlich vom Außenseiter um Mittelpunkt des Insolvenzverfah-rens wurde, ist allein der Sturheit und dem Engagement der Betroffenen zu verdanken, der Solidarität in der Re-gion und der Unterstützung durch die Gewerkschaft. Die Entscheidung, sich mit Jürgen Walter einen politisch er-fahrenen Berater ins Boot zu holen, hat ihr Übriges dazu beigetragen.

Das allein wäre bereits eine erzäh-lenswerte Geschichte. Vermittelt sie doch eine wichtige Botschaft: Solida-rität, Beharrlichkeit und der Glaube an die eigene Kraft sind es, die Beleg-schaften gerade in Krisenzeiten stark genug machen, um nicht unterzuge-hen.

FAZIT | EINE INSOLVENZ KANN AUCH EIN ANFANG SEIN

Als der große deutsche Dichter Bertolt Brecht, wie von Wolfgang Wer-ner eingangs zitiert, formulierte: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren.“, kannte er das „Wunder von Sinntal“ noch nicht. Doch auch er kannte wirtschaftliche und politische Krisenzeiten - und lern-te die Solidarität schätzen.

Der „Dritte Weg“

Doch Solidarität ist nicht alles. Es gibt mehr als genug Beispiele gerade aus jüngster Zeit, die belegen, dass auch solidarische, geschlossen han-delnde Belegschaften unter die Räder der Globalisierung geraten können. Egal ob Investoren und Arbeitsplätze ins Ausland entschwinden, Überkapa-zitäten für Marktbereinigung sorgen oder schieres Missmanagement vor-liegt - manchmal ist das Unternehmen so gründlich abgewirtschaftet, dass nichts mehr zu tun bleibt, als einen Sozialplan zu verhandeln.

Doch zwischen Liquidation und In-vestorensuche auf Teufel komm raus gibt es oft genug noch einen dritten Weg - und genau das ist die Botschaft des „Wunders von Sinntal“. IG BCE Lan-desleiter Rainer Kumlehn formuliert es in einer Beratung so: „Es muss nicht

immer beim verzweifelten Hoffen auf einen neuen Eigentümer bleiben. Be-legschaften und ihre Betriebsräte kön-nen selbst agieren, können vom Spiel-ball zum Handelnden werden.“

Letztlich hat genau das den Stand-ort Sterbfritz gerettet: Die Frechheit der Betroffenen, die sich weigerten ihr vermeintlich unausweichliches Schicksal zu akzeptieren sondern be-reit waren, selbst unternehmerisches Handeln an den Tag zu legen.

Protestaktionen können Entschlos-senheit demonstrieren und die Medi-en wachrütteln. Sie können kurzfristig auch die Gläubiger beeindrucken, aber „erstreiken“ kann man sich seinen Ar-beitsplatz in einer Insolvenz nicht.

Die Sterbfritz-Belegschaft war erfolgreich, weil sie bei all ihren Pro-testaktionen gleichzeitig dafür gesorgt hat, dass die Produktion in der ge-wohnt hohen Qualität weiterlief. Und weil sie zugleich glaubhaft vermitteln konnte: Die Produktion kann auch weiterlaufen, wenn es keinen neuen Großinvestor gibt. Die Belegschaft war bereit, den „Dritten Weg“ in aller Kon-sequenz zu gehen.

Das ist das Geheimnis des „Wun-ders von Sinntal“ - und deshalb war es kein Wunder sondern die letztlich lo-gische Konsequenz einer konsequent handelnden und von ihrer Gewerk-schaft konsequent unterstützten Be-legschaft, die zeigt:

Eine Insolvenz kann auch ein neu-er Anfang sein.

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„Wunder muss man sich erarbeiten“

Wolfgang Werner ist Bezirks-leiter der IG BCE Mittelhessen, Oliver Eichling der für Plastal Sterbfritz zuständige Gewerk-schaftssekretär. Die beiden ha-ben seit März 2009 mit dem Be-triebsrat alle Höhen und Tiefen der Plastal-Insolvenz durchge-standen - nach dem erfolgrei-chen Abschluss ihrer Bemühun-gen ist es Zeit für einen Blick zurück.

Wie viele Stunden habt ihr in den letzten Monaten in und für Sterbfritz gearbei-tet? gab es schlaflose näch-te?Wolfgang: Die Stunden haben wir nicht gezählt, sicher war es Oliver, der als Betriebsbetreuer in man-cher Woche fast vollständig mit Plastal beschäftigt war. Ich für mei-nen Teil kann nur sagen: Man hat im Laufe der Jahre schon viel erlebt

und manche Kämpfe durchgestan-den, aber Plastal ging schon an die Substanz. Zu wissen, in Sterbfritz gibt es an die 1.000 Menschen, die sich verzweifelt an den letzten Strohhalm klammern, das macht schon betroffen.oliver: Es gab vor allen Dingen vie-le kurze Nächte. Gerade die Arbeit mit dem Projektteam in Sterbfritz war sehr spannend, aber natürlich auch sehr anstrengend. Immerhin haben wir gemeinsam dort einen Job gemacht, für den wir alle nicht ausgebildet sind. Was Dutzende hochbezahlten Manager und Unter-nehmensberater nicht hinbekom-men haben - ein funktionierendes Wirtschaftskonzept für den Stand-ort - das mussten wir miteinander selbst erarbeiten.

Woran lag es letztlich, dass ihr Erfolg hattet?Wolfgang: Da gibt es mehrere Fakto-ren. Der Insolvenzverwalter hat uns danach versichert, er und auch die

Gläubiger seien sehr beeindruckt davon gewesen, wie diszipliniert die Belegschaft in allen Phasen der Insolvenz die Produktion aufrecht erhalten hätte. Sicher haben auch unsere Aktionen wie das Solidari-tätsfest und die mobile Betriebsver-sammlung in Weißenburg Eindruck hinterlassen.oliver: Und das Engagement zum Beispiel über die Plattform www.wer-kennt-wen.de sollten wir nicht unterschätzen. Weit über 1.500 Menschen haben sich da gegensei-tig Mut zugesprochen, Ideen ent-wickelt und Solidarität organisiert. Vorher war das Internet für mich letztlich doch eher ein unverbindli-cher Raum, bei Plastal habe ich zum ersten Mal gemerkt, wie wichtig dieses Medium auch ganz konkret für Gewerkschaftsarbeit sein kann. Ich glaube, wir nutzen das noch viel zu wenig.Wolfgang: Wir haben im Plastal-Konflikt in der Tat viel gelernt. Vor allem ist es uns als Gewerkschaft

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gelungen, aus der passiven Rolle herauszukommen und die Entwick-lung aktiv zu gestalten - was bei In-solvenzen doch sehr ungewöhnlich ist.

normalerweise beschränken sich Betriebsräte und ge-werkschaften darauf, einen möglichst lukrativen Sozial-plan auszuhandeln?oliver: Das ist ja auch die Rolle, die von uns erwartet wird. Viele Insol-venzverwalter haben ihren klas-sischen Leitfaden, den sie stur ab-arbeiten. Da werden zunächst die Forderungen der Gläubiger addiert, dann das Betriebsvermögen ermit-teln und schließlich möglichst hart mit der betroffenen Belegschaft ver-handelt. Die Rechnung ist einfach: Betriebsvermögen minus Sozial-planaufwendungen = Ausschüttung an die Gläubiger. Zuvor wird noch das eigene Honorar abgezogen und dann können die Bücher geschlos-sen werden. Dass da Menschen auf der Strecke bleiben, taucht in dieser Rechnung nicht auf.

Was würdet ihr kollegen empfehlen, die mit einer Insolvenz konfrontiert wer-den?Wolfgang: Sich zunächst einmal nicht auf diese klassische Vertei-lungsrechnung einlassen, die Oliver geschildert hat. Kein Unternehmen, das in die Insolvenz geht, hat über Nacht die komplette Betriebsgrund-lage verloren. Nach wie vor gibt es Produktionsanlagen, Produkte und Kunden. Nur darf man sich nicht da-rauf verlassen, dass der Insolvenz-verwalter die beste Lösung für die Beschäftigten findet. Das ist auch gar nicht seine Aufgabe - er hat die Interessen der Gläubiger zu wahren. Und das bedeutet allzu oft, dass er versucht, das Maximum an Kapital aus dem Unternehmen herauszuho-len. Der Plastal-Insolvenzverwalter Dr. Beck hat da im Rahmen seiner Möglichkeiten schon viel für uns ge-

tan, indem er den Betrieb bis Ende des Jahres aufrechterhalten hat und uns so die Chance gab, einen eige-nen Weg zu finden - selbstverständ-lich ist das aber nicht.

Der „Dritte Weg“ ist also die richtige antwort?oliver: Meist wird er gar nicht in Erwägung gezogen. Gerade, wenn es sich um Einzelstandorte in einem größeren Verbund handelt, kann eine Stand-Alone-Lösung durchaus funktionieren. Oft sind die Stand-orte allein lebensfähig, wenn sie flexibel werden und sich auch um Aufträge bemühen können, die eine Konzernmutter schlicht mangels Masse ablehnen würde.

gibt es da so was wie einen „leitfaden“, der Betriebsrä-ten und gewerkschaften im Ernstfall empfohlen werden kann?oliver: Im Grunde gibt es drei Din-ge, die alle in gleicher Intensität be-rücksichtigt werden sollten: Erstens sollte man die Produktion so schnell und so qualifiziert wie möglich fort-führen. Nur, wenn das Unternehmen weiter arbeitet, bleiben Zukunfts-perspektiven überhaupt denkbar. Ist das Licht erst einmal aus, gibt es nur wenig Hoffnung, noch einmal in die Gänge zu kommen. Zweitens ist es wichtig, Geschlossenheit zu de-monstrieren und Solidarität zu or-ganisieren. Insolvenzverwalter und Gläubiger müssen merken - über den Kopf dieser Belegschaft können sie nicht so einfach entscheiden. Da sind kein Lämmer, die sich willen-los zur Schlachtbank führen lassen. Wenn es drauf ankommt, hat man es mit Löwen zu tun.

Und drittens? oliver: Das ist der „Dritte Weg“, also die eigenständige Entwicklung ei-nes Zukunftskonzeptes. Wir haben es in Sterbfritz „Revitalisierungs-konzept“ genannt, doch der Name ist unwichtig. Es zählt allein, dass

man ein eigenständiges, wirtschaft-lich sauberes Konzept braucht, das eine Fortführung des Unterneh-mens mit dem Erhalt möglichst vieler Arbeitsplätze ermöglicht. Da muss man sich externen Sach-verstand holen - es gibt Unterneh-mensberater, die auch Erfahrungen im Erhalt von Firmen nachweisen können - und nicht nur in der Liqui-dation.

Welche Rolle spielen Bera-ter wie jürgen Walter?Wolfgang: Die Entscheidung, Jürgen Walter einzuschalten war sicher ein entscheidender Erfolgsfaktor. Jürgen Walter weiß, wie man stra-tegisch denkt und taktisch klug kommuniziert, er weiß, wie Mana-ger und Ministeriale ticken, welche Argumente ihr Gehör finden, wie man sie überzeugt. Gerade wenn man es mit wenigen aber wichtigen Partnern zu tun hat ist es wichtig, sich hochprofessionell zu verhalten. Mit seiner Hilfe ist uns das gelun-gen und wir konnten alle Entschei-der davon überzeugen, dass unser „Dritter Weg“ kein Hirngespinst sondern ein wohldurchdachte Opti-on war. Wir hätten das Konzept er-folgreich umsetzen können, davon sind wir überzeugt.

Und davon konnten Ihr auch den Insolvenzverwalter überzeugen?Wolfgang: Ihn und die Gläubiger, ebenso wie die Banken und letztlich auch Faurecia.oliver: Ohne dieses Revitalisie-rungskonzept hätte Faurecia das Projekt Phoenix durchgezogen und Sterbfritz wäre liquidiert worden. Am Ende war das „Wunder von Sinntal“ das Produkt eigener, harter Arbeit der Betroffenen - und viel-leicht auch eine Motivation für an-dere betroffene Belegschaften.Wolfgang: Das würde uns freuen, dann hätte sich der Kampf doppelt gelohnt.

FAZIT | EINE INSOLVENZ KANN AUCH EIN ANFANG SEIN

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50 DAS WUNDER VON SINNTAL

ein beWegtes jahrKurze Chronologie der Ereignisse

01.09.08Die Automobilbranche steckt in einer schweren Krise, die in voller Härte auch auf die Zulieferer durchschlägt. Die Firma Plastal Deutschland, die früher als Dynamit Nobel Kunststoff (DNK) fir-mierte, bleibt davon nicht verschont, obgleich sie im Markt als Zulieferer von Stoßfängern fest etabliert ist. Auch auf den Standort Sterbfritz wächst der Druck. In schwierigen Verhandlun-gen gelingt es, ein von allen Beteiligten getrage-nes Paket zur Standortsicherung zu vereinbaren, das am 1. September 2008 in Kraft tritt. Die betriebliche Wochenarbeitszeit wird reduziert, rund 30 Arbeitsplätze werden abgebaut, die be-troffenen Mitarbeiter über einen Sozialplan ab-gesichert. Damit glaubt man sich am Standort in Sinntak (mit noch rund 300 Arbeitsplätzen) so gut als möglich für die kommenden Monate gerüstet.

01.03.09Mit dem bewährten Mittel der Kurzarbeit sollen die Folgen der Krise in der Automobilbranche abgefedert werden, da der Standort im Prinzip gesund ist.

05.03.09Das Unheil kommt über Schweden: Die schwe-dische Konzernmutter Plastal meldet Insolvenz in ihrem Heimatland an. Grund ist das Aus, das General Motors für sein Tochterunternehmen Saab verkündet hat und das einen Einbruch von rund 40% der Umsätze bedeutet. Am selben Tag stoppt die schwedische Konzernmutter alle Lieferungen an ihre Tochtergesellschaften und zieht alle liquiden Mittel ab.

06.03.09Aufgrund der Insolvenz des Mutterkonzerns in Schweden bricht auch die Liquidität der deut-schen Tochter zusammen – Plastal muss eben-falls Insolvenz anmelden. Die rund 3.000 Mit-arbeiter in Deutschland sind geschockt. Als vorläufiger Insolvenzverwalter wird der Nürn-berger Rechtsanwalt Dr. Siegfried Beck bestellt, der bereits zahlreiche große Insolvenzen wie z.B. Grundig abgewickelt hat.

09.03.09Es kommt zu einem ersten Treffen von Betriebs-rat, Standortgeschäftsführung, IG BCE und Po-litikern, in dem die Möglichkeiten zur Rettung des Standortes Sterbfritz besprochen werden. Der Landrat sagt zu, sich beim vorläufigen In-solvenzverwalter für den Erhalt des Standortes einzusetzen.

23.03.09In Nürnberg trifft sich der „Steuerkreis Plas-tal“ zur ersten Sitzung. Ihm gehören neben dem vorläufigen Insolvenzverwalter Vertreter der Deutschland-Geschäftsführung, der IG BCE und der betroffenen Betriebsräte aus allen Standor-ten an. Ziel des Steuerkreises ist eine enge Zu-sammenarbeit von Betriebsräten, Gewerkschaft und Insolvenzverwalter, um eine maximale An-zahl von Standorten und Arbeitsplätze erhalten zu können.

08.04.09Der Gesamtbetriebsrat tagt in Sterbfritz und spricht über die rechtlichen Möglichkeiten und Folgen der Insolvenz wie z.B. Interessensaus-gleich, Sozialplan, Beschäftigungs- und Qualifi-zierungsgesellschaften.

ANHANG | KURZE CHRONOLOGIE DER EREIGNISSE

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51DAS WUNDER VON SINNTAL

29.04.09In Nürnberg tagt der „Steuerkreis Plastal“ ge-meinsam mit dem Insolvenzverwalter Dr. Beck. Dieser legt einen ersten Entwurf für einen „Restrukturierungsprozess“ vor, der Plastal für potentielle Investoren lukrativer machen soll. Außerdem informieren die vom Insolvenzver-walter beauftragten Unternehmensberatungen CMS Hasche Sigle und PWC (Pricewaterhouse-Coopers) über den geplanten Verkaufsprozess.

01.06.09Offizielle Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch Beschluss den zuständigen Amtsgerichtes. Dr. Beck wird zum Insolvenzverwalter bestellt.

08.06.09Vorbereitung der Betriebsversammlung am 09.06.2009 auf dem LKW Rasthof Schlüchtern. Die IG BCE lädt ein und über 120 Menschen kommen, um gemeinsam Transparente zu ma-len.

09.06.09In einer öffentlichen Betriebsversammlung beantworten Geschäftsleitung und Gewerk-schaftsvertreter Fragen der Belegschaft, es wird der Wille bekundet, einen eigenen Weg aus der Insolvenz zu suchen. Vertreter des loka-len Lebens (z.B. Pfarrer, Kindergarten und Ge-werbeverein) sind ebenfalls anwesend, um ihre Solidarität zu bekunden. Anschließend wird im Gesamtbetriebsrat über das Restrukturierungs-konzept gesprochen. Der Insolvenzverwalter reagiert positiv auf die Bemühungen zum Erhalt des Standortes als eigenständiges Unterneh-men.

28.06.09Im Rahmen der Internet-Community „Wer-kennt-wen“ entsteht eine aktive Solidaritäts-gruppe mit in wenigen Wochen über 1.600 Mitgliedern, die eine wichtige Rolle bei den wei-teren Aktivitäten spielt.

30.06.09Auf einer Betriebsversammlung soll die Ge-schäftsleitung Rede und Antwort stehen. Doch die nimmt nicht teil - wegen „äußerst wichtiger Strategiegespräche“. Entsprechend sauer re-agiert die Belegschaft. Sie beschließt einmütig, für ihre Arbeitsplätze auf die Straße zu gehen und den Standort nicht kampflos aufzugeben.

08.07.09Im Rahmen eines Gespräches mit dem Betriebs-rat, der IG BCE und der Standortbetriebslei-tung informiert der Insolvenzverwalter Siegfried Beck über den Stand der Insolvenz. Er geht für den Standort Sterbfritz von einer Überkapazität von 40% aus und erwartet auch in den kommen-den Jahren keine Besserung. Er bewertet die Bemühungen der Belegschaft und der IG BCE um eine bessere Ertragssituation jedoch posi-tiv und hofft, dass bis zum Gebotsschluss am 17. Juli 2009 Übernahmeangebote für alle deut-schen Standort eingehen. Die IG BCE appelliert an den guten Ruf Becks als Arbeitsplatzretter, was ihm in einem älteren Insolvenzfall das Bun-desverdienstkreuz eingetragen hat: Der „Dritte Weg“ zwischen Liquidation und Veräußerung muss möglich sein.

09.07.09Den Kollegen in Sterbfritz wird klar, dass ih-nen ein eisiger Wind entgegen bläst. Sie drohen glaubhaft mit unbefristeten Arbeitskampfmaß-nahmen wenn die Werkzeuge nicht nur leihwei-se an die anderen Standorte abgegeben werden – und so keine Vorentscheidungen getroffen werden, die nachher nicht mehr zurückgenom-men werden können. Erstmals kommt unter den Beteiligten die Idee einer Stand-Alone-Lö-sung auf, die in den folgenden Wochen vor allem durch die Sekretäre der IG BCE intensiv geprüft wird. Der RA Jürgen Walter wird aufgrund sei-ner exzellenten Wirtschaftskontakte als Bera-ter hinzugezogen.

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15.07.09In einem internen Business-Plan der Plastal Ge-schäftsführung werden die geplanten Restruktu-rierungsmaßnahmen zusammengefasst, die das Unternehmen für Investoren attraktiv machen sollen. Enthalten ist darin auch das „Projekt Phoenix“, dass eine Schließung des Werkes in Sterbfritz vorsieht.

17.07.09Bis zum Stichtag melden sich mehrere Interes-senten für Plastal. Zwar werden deren Angebo-te zunächst nicht veröffentlicht, aber es sickert durch, dass unter anderem Faurecia, Magna und Delphi unter den Bietern sind. Ob darunter auch Interessenten für den Standort Sterbfritz sind, weiß man zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

17.07.09Der Betriebsratsvorsitzende Gebhard Wei-kinger schreibt mit Hilfe von Jürgen Walter an Daimler Benz und bittet um eine Zusage, dass keine Aufträge aus dem Werk Sterbfritz ab-gezogen werden. Ziel ist, die Attraktivität des Standortes für potentielle Interessenten zu er-höhen. Diese Bemühungen führen letztlich zu einem entscheidenden Gespräch am 27.11.09.

18.07.09In Sterbfritz findet ein von der IG BCE veran-staltetes Solidaritätsfest statt, an dem sich der ganze Ort aktiv beteiligt. Die Belegschaft erfährt vielfältige Solidarität und der Betriebsrat legt öffentlich dar, dass Plastal Sterbfritz ein wirt-schaftlich gesundes Unternehmen ist, das lang-fristig schwarze Zahlen schreiben kann und un-verschuldet in den Insolvenzstrudel geriet. Ihre Solidarität bekunden an diesem Tag u.a. das IG BCE Hauptvorstandsmitglied Egbert Biermann, Landrat Erich Pipa, Betriebsräte von Goodyear, Veritas, Teclac, VAC, Tabbert, und der Firma Sell in Herborn, ebenso aber auch zahlreiche lo-kale Gewerbetreibende und Vereine.

21.07.09Die Gläubigerversammlung am Sitz der Plas-tal-Hauptverwaltung in Weißenburg wird von massiven Protesten der Sterbfritz-Belegschaft begleitet, die mit Bussen angereist ist und eine „Mobile Betriebsversammlung“ abhält. Die Pro-teste bleiben nicht ohne Eindruck: Zwar erklärt Insolvenzverwalter Beck, dass der Standort Sterbfritz „technisch in der Automobilindustrie nicht mehr konkurrenzfähig“ sei. Er rückt jedoch von einer sofortigen Stilllegung ab und kündigt die Schließung zum Jahresende an, falls sich bis dahin kein Investor für die Fabrik findet. Die Daimler AG macht eine Zusage zur Vorfinanzie-rung der Produktion jedoch von der Umsetzung des Projekts Phoenix abhängig. Es gibt also eine Gnadenfrist, aber nur geringe Chancen.

22.07.09Das „Projekt Phönix“ wird nun auch offiziell dem Gesamtbetriebsrat in seinem gesamten Umfang präsentiert. Es wird offensichtlich, dass nur noch wenig Hoffnung für Sterbfritz besteht.

23.07.09Landrat Erich Pipa wendet sich nach mehreren mündlichen Anfragen erneut – diesmal schrift-lich - an Ministerpräsident Roland Koch und bit-tet noch einmal eindringlich um Mithilfe bei der Rettung des Standortes. Ergebnis ist schließlich ein ein Gesprächstermin im September. Das Stand-Alone-Konzept nimmt in zahlreichen, lan-gen, oft bis tief in die Nacht andauernden Sitzun-gen Formen an. In Sterbfritz beteiligen sich auch viele leitende Angestellte aus der Geschäftsfüh-rung und dem Controlling an den Planungen. Alle in den Vergangenheit abgelehnte Anfragen für kleinere Produktionen werden erneut ge-prüft und dabei neue Auftraggeber für Sterbfritz gewonnen. Vielversprechende Produktideen für die Solarbranche und im Bereich Medizintechnik werden entwickelt.

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19.08.09Der Betriebsrat geht erneut auf die Daimler AG zu und bietet Gespräche über die Verlängerung der Produktionsaufträge bis 2012 an. Er legt ein Argumentationspapier mit den Vorteilen einer Verlängerung für Plastal und Daimler vor. Dies führt zu einer Reaktion des Unternehmens, das Interesse signalisiert. Daraus wird Wochen spä-ter der entscheidenden Impuls für die Rettung entstehen.

21.09.09Die vom Betriebsrat, IG BCE, Jürgen Walter und der Unternehmensberatung Kemper & Schlom-ski erarbeitete Konzeption „Zukunftsperspek-tive Plastal – Revitalisierung aus der Insolvenz“ wird trotz großen Zeitdrucks rechtzeitig fertig gestellt.

22.09.09Das Revitalisierungskonzept wird im Wirt-schaftsministerium präsentiert. Wesentliches Element ist die Entwicklung von Kunststofflö-sungen für verschiedene Branchen und damit langfristig eine Verringerung der Kundenabhän-gigkeit. Ziel der Präsentation ist eine Bürgschaft des Landes Hessen, die auch in Aussicht gestellt wird. Sie soll 80% der benötigten Mittel absi-chern, die Absicherung der Restsumme muss durch die Banken erfolgen. In der Folge kommt diese Lösung jedoch nicht richtig in Fahrt, weil alle Beteiligten auf die Initiative der jeweils an-deren warten – während die Verkaufsbemühun-gen durch den Insolvenzverwalter fortgerührt werden und die Gnadenfrist für Sterbfritz abzu-laufen droht. Das Projektteam plant in den fol-genden Wochen die konkrete Umsetzung des Revitalisierungskonzeptes. Im Januar 2010 soll eine GmbH gegründet werden. Das Gründungs-kapital soll aus den eingesparten Schließungs-kosten (ca. 20 Mio. EUR) bestehen. Mitglieder des jetzigen Managements wollen sich als Inves-toren und Geschäftsführer beteiligen.

17.11.09Laut Medienberichten will der französische Konzern Faurecia (60.000 Beschäftigte, zwölf Milliarden Euro Jahresumsatz), der zu mehr als zwei Dritteln dem Automobilkonzern PSA Peu-geot Citroën gehört, fünf der sechs deutschen Plastal-Standorte (alle außer Sterbfritz) über-nehmen.

27.11.09Der Betriebsrat wird in Sindelfingen von den Verantwortlichen der Daimler AG zu einem entscheidenden Gespräch empfangen – wäh-rend die Unternehmensvertreter im Vorraum warten, redet man Klartext: Daimler Benz hat große Sorge, dass das zunächst favorisierte Pro-jekt Phoenix nicht funktioniert. Qualität und Engagement der Sterbfritz-Belegschaft ist bei-spiellos, deshalb habe man sich entschieden, nun doch den Erhalt des Standortes zu unterstüt-zen, indem man die Produktion dort erhalten und weiter ausbauen wolle. Damit ist der Erhalt des Standortes schlagartig Bestandteil des Ver-kaufspakets geworden, über das der Insolvenz-verwalter mit den Interessenten verhandelt.

12.12.09Faurecia wehrt sich jedoch gegen diese Bedin-gung und will Plastal nur ohne Sterbfritz über-nehmen und weiter auf Phoenix setzen.

24.12.09Faurecia erklärt am Weihnachtstag, auch den Standort Sterbfritz mit übernehmen zu wollen – genau eine Woche vor der drohenden Betriebs-schließung. Somit kann das Werk weitergeführt werden.

31.03.10Die endgültige Integration in den Konzern Fau-recia erfolgt. Alle noch vorhandenen Arbeits-plätze werden für die kommenden zwei Jahre garantiert.

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Die ig bce mittelhessenDienstleistung für über 10.000 Mitglieder

Kein Arbeitsplatz ist hundertprozen-tig sicher, kein Unternehmen gegen Turbulenzen immun. Eigentümer wechseln, ganze Bereiche werden umstrukturiert. Bestand hat nur der Wandel. Diese Entwicklung ist keine Folge der weltweiten Krise. Aber sie wird dadurch beschleunigt.Die IG BCE ist eine Gewerkschaft, deren Stärke schon immer die Nähe zu den Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben war. Die aktive Arbeit unserer Betriebsräte und Vertrauensleute ist das Ge-

rüst einer erfolgreichen Gewerk-schaftsarbeit. Die Dienstleistung am Mitglied steht im Mittelpunkt. Vier Gewerkschaftssekretäre und vier Mitarbeiterinnen betreuen von zwei Standorten (Hanau und Gießen) aus insgesamt über 10.000 Mitglieder in in unterschiedlichen Branchen der Region (Chemie, Pharmazie, Papier, Kunststoffe u.a.).Dabei orientiert sich die praktische

Arbeit am Leitbild der IG BCE, das wir hier in Auszügen dokumentieren.

ANHANG | DIE IG BCE MITTELHESSEN

sind Interessenvertreter unserer Mitglieder und gesellschaft-liche Reformkraft, die Solidarität und soziale Gerechtigkeit als ihre Leitwerte und als Voraussetzung für die Freiheit des ein-zelnen betrachtet.stehen für die Koalitionsfreiheit, für Chancengleichheit und Gleichberechtigung, für die Verbesserung der Lebens- und Ar-beitsbedingungen und für die Zukunftsperspektiven der Men-schen im geeinten Deutschland ein.wollen Arbeitsplätze sichern und schaffen und dazu das ak-tive Zusammenwirken von Politik und Wirtschaft fördern und durch unsere betriebliche und tarifliche Arbeit flankieren.sehen im Sozialstaat ein grundlegendes Element unsere Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung und wollen an der Zu-kunftsfähigkeit und notwendigen Modernisierung mitwirken.bekennen uns zur sozialen Marktwirtschaft und wollen die-ses Wirtschaftssystem im Sinne unserer sozialen, ökonomi-schen und ökologischen Ziele mitgestalten und zu einem Mo-dell auch für Europa entwickeln.wollen den Industriestandort Deutschland mit seinen ho-hen wirtschaftlichen, technologischen und sozialen Standards durch eine aktive Wirtschafts-, Finanz-, Struktur-, Industrie- und Energiepolitik mitgestalten und im globalen Wettbewerb positionieren.wollen unsere Industriegesellschaft auf dem Weg zu einer nachhaltig zukunftsverträglichen Entwicklung bringen, in der soziale, ökonomische und ökologische Werte gleichberechtigt nebeneinander gefördert werden.wollen die Verbindlichkeit und Wirksamkeit des Flächentarif-vertrages mit flexiblen und differenzierten Regelungen erhal-

ten und unsere tarifliche Gestaltungsfähigkeit auch in einem gemeinsamen Europa entwickeln.wollen die Mitbestimmung in den Unternehmen ausbauen und durch Qualifizierung sowie beteiligungsorientierte Ar-beitsformen den Anforderungen anpassen, die sich aus den geänderten Bedürfnissen der Arbeitnehmerschaft und der Globalisierung der Wirtschaft ergeben.wollen die Modernisierung der Gewerkschaften zur Stärkung ihrer politischen Handlungsfähigkeit, ihrer Akzeptanz und At-traktivität unter anderem durch eine grundlegende Reform des DGB und der Mitgliedsgewerkschaften erreichen.wollen eine lernende, offene und beteiligungsorientierte Or-ganisation sein, die die Vielfalt ihrer Mitglieder und Funktions-träger aufgreift und aktiv in den Diskussionsprozeß mit den Beschäftigten, den Sozialpartnern, der Politik und den gesell-schaftlichen Gruppen geht.wollen durch Mitgliederstärke handlungsfähig und politisch einflußreich bleiben und werden dazu die Anstrengungen zum Ausbau und zur Betreuung unserer Mitgliederbasis im Betrieb und vor Ort verstärken.wollen unsere gewerkschaftliche Arbeit in den Gremien und vor Ort unter Einbeziehung der spezifischen Interessen der unterschiedlichen Zielgruppen, zu Ideen- und Gestaltungsfo-ren für politisch, kulturell und sozial aktive Menschen machen.wollen als politische Organisation unsere Mitglieder durch kompetente Information und Beratung, durch Rechtsschutz und mit Serviceleistungen am Arbeitsplatz und im Lebensum-feld unterstützen.

www.mittelhessen.igbce.de

Wir, die IG BCE,

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Das Wunder von SinntalIm März 2009 meldet der Automoblizulieferer Plastal Insolvenz an. Für über 300 Beschäftigte am Standort Sinntal-Sterbfritz beginnt ein verzweifelter Kampf um ihre Zukunft. Als wenige Monate später vom Insolvenz-verwalter die Schließung des Standortes verkündet wird, scheint der Kampf endgültig verloren.

Doch die Beschäftigten geben nicht auf. Gemeinsam mit Betriebsrat, Gewerkschaft und externen Beratern entscheiden sie sich für den sogenannten „Dritten Weg“ zwischen Investorensuche und Liquidation.

Sie entwickeln ein Konzept für eine eigenständige und unabhängige Weiterführung des Werkes - und sie werben dafür bei Investoren, Kunden und Landesre-gierung. Am Ende eines mühsamen, fast ein Jahr daue-renden Prozesses steht „das Wunder von Sinntal“. Wie dieses Wunder entstand, davon berichtet diese Doku-mentation.