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69 Das Zweimassenschwungrad Dr.-Ing. Wolfgang Reik Dipl.-Ing. Roland Seebacher Dr.-Ing. Ad Kooy Einleitung Um 1985 gingen zum erstenmal in der Automobilgeschichte Zweimassen- schwungräder (ZMS) in Serie. Ein kurzer geschichtlicher Rückblick (Bild 1) zeigt die Entwicklung des ZMS. Zu Beginn handelte es sich um nicht- geschmierte Dämpfer, deren schwere und weit außenliegende Federn einige Verschleißprobleme aufwiesen. Um 1987 kamen die ersten fett- geschmierten ZMS zum Einsatz, bei denen die Lebensdauer kein Thema mehr ist. Den Durchbruch schaffte das ZMS um 1989 mit der Einführung des Bogenfederdämpfers, der mit einem Schlag fast alle ZMS-Resonanz- probleme löste [1 – 4]. Zudem konnten die Kosten kontinuierlich gesenkt werden. Zunächst bestand die primäre Schwungmasse noch aus Guß oder Schmiedestahl. Später gelang es den Umformspezialisten der LuK, alle Teile bis auf die Sekundärschwungmasse aus Blechumformteilen zu gestalten. Für die Erhöhung des primären Massenträgheitsmoments wurden aus Blech gefaltete Massen, sogenannte Faltmassen, entwickelt (1995). Somit war die Basis geschaffen für einen breiten Einsatz des ZMS. Der Lohn für diese intensive Detailarbeit war ein starker Anstieg der ZMS- Produktion (Bild 2). Bei einem geschätzten Produktionsvolumen von ca. 2 Millionen ZMS für 1998 wird in Europa bereits bei jedem fünften Auto mit Handschaltgetriebe das Geräusch- und Komfortverhalten mit einem ZMS verbessert. Bild 3 zeigt die Aufteilung nach Hubraum und Otto/Diesel-Motorisierung. Auffallend ist, daß Motorisierungen über 2,0 Liter Hubraum und hier insbesondere Ottomotoren weitgehend mit ZMS ausgerüstet sind. Bei mittlerer Motorisierung hat der ZMS-Einsatz erst vor wenigen Jahren begonnen. Unter 1,6 Liter Hubraum gibt es zur Zeit erst einige Projekte.

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Page 1: Das Zweimassenschwungrad - schaeffler.com · 69 Das Zweimassenschwungrad Dr.-Ing. Wolfgang Reik Dipl.-Ing. Roland Seebacher Dr.-Ing. Ad Kooy Einleitung Um 1985 gingen zum erstenmal

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Das Zweimassenschwungrad Dr.-Ing. Wolfgang Reik

Dipl.-Ing. Roland Seebacher

Dr.-Ing. Ad Kooy

Einleitung Um 1985 gingen zum erstenmal in der Automobilgeschichte Zweimassen-schwungräder (ZMS) in Serie. Ein kurzer geschichtlicher Rückblick (Bild 1) zeigt die Entwicklung des ZMS. Zu Beginn handelte es sich um nicht-geschmierte Dämpfer, deren schwere und weit außenliegende Federn einige Verschleißprobleme aufwiesen. Um 1987 kamen die ersten fett-geschmierten ZMS zum Einsatz, bei denen die Lebensdauer kein Thema mehr ist.

Den Durchbruch schaffte das ZMS um 1989 mit der Einführung des Bogenfederdämpfers, der mit einem Schlag fast alle ZMS-Resonanz-probleme löste [1 – 4]. Zudem konnten die Kosten kontinuierlich gesenkt werden. Zunächst bestand die primäre Schwungmasse noch aus Guß oder Schmiedestahl. Später gelang es den Umformspezialisten der LuK, alle Teile bis auf die Sekundärschwungmasse aus Blechumformteilen zu gestalten. Für die Erhöhung des primären Massenträgheitsmoments wurden aus Blech gefaltete Massen, sogenannte Faltmassen, entwickelt (1995). Somit war die Basis geschaffen für einen breiten Einsatz des ZMS. Der Lohn für diese intensive Detailarbeit war ein starker Anstieg der ZMS-Produktion (Bild 2).

Bei einem geschätzten Produktionsvolumen von ca. 2 Millionen ZMS für 1998 wird in Europa bereits bei jedem fünften Auto mit Handschaltgetriebe das Geräusch- und Komfortverhalten mit einem ZMS verbessert. Bild 3 zeigt die Aufteilung nach Hubraum und Otto/Diesel-Motorisierung. Auffallend ist, daß Motorisierungen über 2,0 Liter Hubraum und hier insbesondere Ottomotoren weitgehend mit ZMS ausgerüstet sind. Bei mittlerer Motorisierung hat der ZMS-Einsatz erst vor wenigen Jahren begonnen. Unter 1,6 Liter Hubraum gibt es zur Zeit erst einige Projekte.

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1985 1987

1989 1995

voraussichtlich 2000

Bild 1: Entwicklungsgeschichte des ZMS

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1985 1990 1995 Jahr

Bild 2: Entwicklung der ZMS-Produktion

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unter 1,6 l von 1,6 - 2,0 l über 2,0 l

Hubraum

Stüc

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Mill

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Benzin

Diesel

Benzin

Benzin

Diesel

Diesel

ZMS-Anteil17 % 21 % 75 % 67 %

Bild 3: Anteil der Fahrzeuge mit ZMS für verschiedene Motorisierungen PKW und NFZ für die deutsche Automobilindustrie (1997)

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LuK erwartet, daß in einigen Jahren die Durchdringung zumindest bei mittlerer Motorisierung ähnlich hoch sein wird wie heute bei den starken Motoren, denn ein ZMS zeigt seine Vorteile in allen Fahrzeugen. Wegen der in der Vergangenheit noch zu hohen Kosten wurde es jedoch bis jetzt bei den kleineren Fahrzeugen nicht eingesetzt.

Deshalb liegt ein Schwergewicht der ZMS-Entwicklung auf der Kosten-reduzierung. Darüber wird später berichtet.

Vorteile des ZMS Obwohl das ZMS wegen der damit verbundenen Kosten noch nicht von allen gewünscht wird, sind die erzielbaren Verbesserungen so deutlich, daß es sich bei großen Fahrzeugen weitgehend durchgesetzt hat. Nachfolgend sollen die wichtigsten Vorteile noch einmal dargestellt werden.

Isolation von Torsionsschwingungen Die herausragende Eigenschaft des ZMS ist die fast vollständige Isolation von Torsionsschwingungen. Dies ist in früheren Beiträgen ausführlich diskutiert worden und soll hier nur noch einmal zusammenfassend wiederholt werden.

Bild 4 zeigt die Winkelbeschleunigungen am Getriebeeingang für ein konventionelles System mit Torsionsdämpfer in der Kupplungsscheibe (links) im Vergleich zu einem ZMS (rechts). Mit dem Torsionsdämpfer in der Kupplungsscheibe läßt sich bei niedrigen Drehzahlen keine nennenswerte Schwingungsisolation erreichen. Man ist schon zufrieden, wenn durch geeignete Wahl der Dämpfung die Resonanz vermieden wird.

Das ZMS dagegen filtert die Ungleichförmigkeit des Motors fast vollständig heraus. Resonanzen treten im Fahrbereich normalerweise nicht mehr auf. Der fast gleichförmige Lauf der sekundären Schwungradseite und damit auch der Getriebeeingangswelle läßt Getrieberasseln erst gar nicht mehr entstehen. Auch lästiges Brummen kann damit weitgehend beseitigt werden.

Die Ungleichförmigkeit des Motors selbst wird mit ZMS größer, weil die primäre Schwungmasse kleiner ist als die des konventionellen Schwungrads mit Kupplung. Deshalb müssen Riementriebe gelegentlich neu abgestimmt werden. Die kleinere primäre Schwungmasse zeigt aber auch Vorteile, wie später ausgeführt wird.

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Die gute Schwingungsisolation gerade beim niedertourigen Fahren führt in vielen Fällen zu einer verbrauchsgünstigen Fahrweise, bei der durch die vorwiegend genutzten niedrigen Drehzahlen Kraftstoff eingespart wird.

Viele moderne Motoren mit einem relativ flachen Drehmomentenverlauf begünstigen diese verbrauchsmindernde Fahrweise.

1000 2000 3000 0

10000

20000

1000 2000 3000

Win

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Drehzahl [U/min] Drehzahl [U/min]

konventionelles System ZMS

Motor

Getriebe

Motor

Getriebe

Bild 4: Vergleich der Schwingungsisolation eines konventionellen Systems mit einem System mit Zweimassenschwungrad

Getriebeentlastung Ein weiterer positiver Effekt ergibt sich durch die Getriebeentlastung. Der Antriebsstrang und damit auch das Getriebe werden durch die wegfallende Ungleichförmigkeit des Motors deutlich entlastet.

Bild 5 zeigt die Vollastkennlinie eines typischen Dieselmotors. Für einen konventionellen Antriebsstrang sind die dynamischen Zusatzmomente infolge der Ungleichförmigkeit überlagert. Sie können je nach Drehzahl mehr als 10 % Zusatzbeanspruchung ergeben.

Das ZMS beseitigt die hochfrequenten Zusatzmomente fast völlig. Da das Getriebe somit entlastet wird, kann insbesondere bei Dieselmotoren mit ZMS bei unverändertem Getriebe ein höheres statisches Moment über-tragen werden (Bild 6).

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1000 2000 3000

Drehzahl [U/min]

400

200

0

VollastkennlinieMom

ent [

Nm

]

Bild 5: Erhöhung des tatsächlich wirksamen Moments im Getriebe durch die Motorungleichförmigkeit

konventionell 100 % 100 %

ZMS 105 % 110 %

Benzin Diesel

Bild 6: Erhöhung der zulässigen Getriebebelastung bei Einsatz eines ZMS. Die Belastungsfähigkeit für den konventionellen Antriebs-strang ist für Benzin- und Dieselfahrzeuge jeweils als 100 % angenommen.

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Kurbelwellenentlastung Das ZMS verändert das Schwingungssystem der Kurbelwelle nachhaltig. Beim konventionellen System ist das schwere Schwungrad einschließlich Kupplung starr mit der Kurbelwelle verbunden. Die große Masse des Schwungrads erzeugt hohe Reaktionskräfte auf die Kurbelwelle.

Das ZMS-System verhält sich günstiger, weil für Biegebeanspruchung die sekundäre Schwungmasse vernachlässigt werden kann, da sie sowohl über den Torsionsdämpfer als auch über das Wälzlager nur sehr weich an die primäre Schwungmasse angekoppelt ist und deshalb praktisch keine Rückwirkungen ergibt.

Die primäre Schwungmasse ist sehr viel leichter als ein konventionelles Schwungrad und darüber hinaus auch - wie eine Flexplate beim Wandler - biegeelastisch.

Biege- und Torsionseigenform verändern sich mit dem ZMS gegenüber einem herkömmlichen System. Die Kurbelwelle wird zumeist entlastet.

Bild 7 zeigt ein gemessenes Beispiel. Sowohl Torsions- als auch Biegeschwingungen sind mit ZMS geringer. Im Einzelfall ist zu entscheiden, ob der Kurbelwellentilger weggelassen oder ein einfacherer Werkstoff für die Kurbelwelle benutzt werden kann, zum Beispiel Guß.

LuK empfiehlt, diese Optimierungschancen bei der Fahrzeug-weiterentwicklung zu nutzen. Es können dadurch erhebliche Kosten eingespart werden. LuK ist überzeugt, daß heute schon durch das ZMS Einsparungen möglich sind, wenn man die Sekundäreffekte mitberücksichtigt.

Gewährleistung Einer dieser Sekundäreffekte ist die Gewährleistung. Das ZMS wurde von Beginn an auf volle Motorlebensdauer ausgelegt. Tatsächlich sind die Ersatzteillieferungen für das ZMS verschwindend gering. Das ZMS ist also eine ausgereifte Komponente für den Antriebsstrang von Kraftfahrzeugen.

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Meßstelle

0

200

600

1000

1400

2000 4000Drehzahl [U/min]

Tors

ions

- bzw

. Bie

ge-

mom

ent [

Nm

]

Torsion

Biegung

mit ZMS

konventionellesSystem

Bild 7: Reduzierung der Torsions- und Biegeschwingungen in der Kurbelwelle durch ZMS

Bild 8a zeigt die Feldbeanstandungen für ein Fahrzeug mit konventionellem Antriebsstrang. Auffallend ist der unverhältnismäßig hohe Anteil an Beanstandungen im Kupplungsbereich, für die die eigentliche Kupplung nicht Ursache ist. Dies ist darauf zurückzuführen, daß häufig Torsionsdämpfer in Kupplungsscheiben mitsamt der ganzen Kupplung gewechselt werden, weil sich der Kunde über Getrieberasseln beschwert und die Werkstatt, die keine Lösung hat, zur Beschwichtigung des Kunden das ganze System austauscht. Im allgemeinen bleibt durch den Austausch der Erfolg aus. Teilweise werden Kupplungsscheiben deshalb sogar mehrfach gewechselt. Da nicht nur die Kosten für die ausgetauschten Teile, sondern - häufig aus Kulanz - auch noch die viel größeren Umbau-kosten getragen werden, kommen auf die Gewährleistung horrende Kosten zu, die umgerechnet auf die Gesamtproduktion teilweise an die Kosten für das Kupplungsneuteil heranreichen.

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Umfeld (Kupplung n.i.O.) zum Beispiel:Mißbrauch

Kein Fehler feststellbar (Kupplung i.O.)zum Beispiel:Getrieberasseln, Karosseriedröhnen

gesamte Feldbean-standungen

15000 PPM

davonLuK-Anteil 90 PPM

Bild 8a: Feldbeanstandungen an einem Fahrzeug mit konventionellem Antriebsstrang

Mit dieser Unsitte macht das ZMS gründlich Schluß (Bild 8b). Die Bean-standungen dieser Art sind so stark gesunken, daß man sich endlich um die tatsächlichen Schadensfälle kümmern und gegebenenfalls auch vor Ort Untersuchungen anstellen kann.

gesamteFeldbean-standungen

davonLuK-Anteil

1. Modelljahr 2. Modelljahr 3. Modelljahr

ZMS und Umfeldoptimierungkonven-tionellesSystem

2000 PPM

80 PPM

1000 PPM

70 PPM

500 PPM

60 PPM

15000 PPM

90 PPM

Bild 8b: Verbesserung der Feldbeanstandungen nach Einsatz eines ZMS

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Einige Hersteller berücksichtigen diesen Kosteneffekt bereits bei der Wirtschaftlichkeitsberechnung, wenn es darum geht, ob ein ZMS eingesetzt werden soll oder nicht.

Das ZMS ist also ein ausgereiftes Produkt, trotzdem gibt es auch hier Weiterentwicklungen.

Über zwei Aspekte soll im folgenden berichtet werden.

Motorstart Bereits in den allerersten Anfängen der ZMS-Entwicklung stand die Problematik des Resonanzdurchgangs beim Starten des Motors im Vordergrund. Die gute Schwingungsisolation des ZMS im Fahrbetrieb wird dadurch erreicht, daß die Resonanzfrequenz durch die große sekundäre Schwungmasse in den Bereich unterhalb der Leerlaufdrehzahl verschoben wird.

Bei jedem Start des Motors aber muß die Resonanzfrequenz durchlaufen werden. Das kann wegen der großen Massen zu hohen Momenten führen. Die ZMS-Entwicklung war deshalb durch einen steten Kampf gegen die Resonanzamplituden gekennzeichnet.

Es ist bekannt, daß die Resonanzamplituden umso größer sind, je höher die Anregung durch den Motor ist. Dieselmotoren mit nur vier oder gar drei Zylindern stellen deshalb die höchsten Anforderungen an ein ZMS. Günstig wirkt jede Art von Dämpfung wie Grundreibung, gesteuerte Zusatzreibung, Bogenfederreibung. Da diese Dämpfungen aber auch die Isolation mehr oder weniger stark verschlechtern, sind natürlich Grenzen gesetzt.

Wir erhalten jetzt jedoch eine entscheidende Hilfe, da viele neuere, elektronisch geregelte Motoren ein verbessertes Startverhalten aufweisen. Als wesentlicher, für die Ausbildung der Resonanz bestimmender Faktor hat sich inzwischen das Startmoment des Motors herausgestellt. Das ist das Moment, mit dem der Motor aus der Anlasserdrehzahl heraus beschleunigt. Je schneller die Resonanzdrehzahl durchlaufen wird, desto weniger können sich die Massen aufschwingen.

Bild 9 zeigt Simulationen eines schlechten Startverhaltens als Drehzahl über der Zeit.

Kritisch sind all die Fälle (wie in Bild 9), bei denen der Motor längere Zeit in der Resonanz verharrt oder überhaupt nicht aus eigener Kraft hochdreht. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Leistung des Motors bei Start-drehzahl so gering ist, daß die ganze Energie durch das stark schwingende System geschluckt wird und zum Hochbeschleunigen nichts mehr übrig-bleibt.

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Dieser Zustand wird auch als Starthänger bezeichnet und muß beim ZMS unbedingt vermieden werden, da die lang anhaltenden, hohen Amplituden zu mechanischen Schäden an den Bauteilen führen.

Zeit [s]

Mot

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hl [U

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]

1500

1000

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00 0.5 1

Bild 9: Schlechtes Startverhalten (Starthänger)

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Bild 10a: Einfluß von Drehmomentamplitude (Ungleichförmigkeit) und Startmoment auf das Startverhalten

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In Bild 10a sind mehrere Startsimulationsrechnungen in einer Matrix zusammengestellt. Nach oben wächst das Startmoment, nach rechts die Drehmomentamplitude.

Die Matrix zeigt deutlich, wie der Motor bei höheren Startmomenten gut startet und selbst stark ungleichförmige Motoren noch beherrscht werden.

Zwischen diesem guten und einem nicht akzeptablem Startverhalten läßt sich eine diagonale Trennlinie ziehen, die in Bild 10b noch einmal wieder-holt wird. Der für das Starten sichere Bereich liegt oberhalb der Trennlinie.

Bleibt der Starter bis über die Resonanzdrehzahl eingespurt, wird also verhindert, daß der Starter bei kurzem Antippen des Zündschlüssels sofort wieder ausspurt, ergeben sich noch günstigere Verhältnisse. Die Grenze zwischen gutem und schlechtem Startverhalten verschiebt sich nach unten zu kleineren Startmomenten. Das große (auf die Kurbelwelle reduzierte) Massenträgheitsmoment des Starters reduziert die Ungleichförmigkeit des Motors.

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Bild 10b: Grenzlinien für ein gutes (links oben) und schlechtes (rechts unten) Startverhalten

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Moderne Motoren zeigen häufig ein Startmoment um 70 - 80 Nm, während früher nur ca. 40 Nm üblich waren. Daher arbeiten heutige ZMS-Konzepte auch bei vielen Dreizylindermotoren ohne Schwierigkeiten, obgleich diese von der Ungleichförmigkeit her gesehen kritisch erscheinen.

Das Startverhalten kann durch die in Bild 11 genannten Maßnahmen ver-bessert werden.

• Hohes Startmoment des Motors

• Starter bis über Resonanzdrehzahl eingespurt

• Hohe Starterdrehzahl

• Dämpfung (Reibungshysterese im ZMS)

• Große Primärschwungmasse

• Kleine Sekundärschwungmasse

• Flache Federrate der Verdrehkennlinie

Bild 11: Maßnahmen zur Verbesserung des Startverhaltens

In den ersten Jahren der ZMS-Entwicklung stand die hohe Belastung der Bauteile durch den Resonanzdurchgang im Vordergrund. Da die Kompo-nenten im Vergleich zu einer konventionellen Kupplungsscheibe stark überdimensioniert wurden, man denke zum Beispiel an die Flansche, erkannte man eine andere Ursache für Übermomente relativ spät. Erst als die Resonanzerscheinungen nach und nach immer besser in den Griff zu bekommen waren und man daran ging, die Bauteile aus Kostengründen etwas weniger massiv auszuführen, entdeckte man, daß eine schlagartige Beanspruchung ähnlich hohe Spitzenmomente erzeugt wie o.g. Resonanz-erscheinungen.

Beim sehr schnellen Schließen der Kupplung entstehen Stöße, die Impacts, wenn Motor und Getriebewelle große Drehzahlunterschiede auf-weisen. Solche schnellen Schließvorgänge treten beim sehr sportlichen, schnellen Schalten, aber auch bei Fehlbedienungen, zum Beispiel Abrutschen vom Kupplungspedal, auf.

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Was dabei geschieht, ist in Bild 12 in mehreren Phasen gezeigt. Der besseren Übersicht wegen wird die Rotationsbewegung des Antriebs-strangs als lineares Modell dargestellt.

Angenommen, die beiden Schwungmassen des ZMS, die über den ZMS-Torsionsdämpfer miteinander gekoppelt sind, bewegen sich mit einer großen Geschwindigkeit nach rechts. Der restliche Antriebsstrang steht still. Schlagartig wird die Kupplung geschlossen. Die sekundäre Schwung-masse wird dadurch schnell abgebremst, während die primäre Schwung-masse wegen des sehr weichen Torsionsdämpfers erst verspätet verzögert wird. Zwischen den beiden Schwungmassen tritt deshalb eine Relativ-bewegung auf, die so groß werden kann, daß die Massen mit großer Geschwindigkeit aufeinanderstoßen. Dabei können dann sehr hohe Spitzenmomente auftreten.

primäre Masse sekundäre Masse Fahrzeug

v

Bild 12: Impactbeanspruchung nach schnellem Einkuppeln

Bild 13 zeigt die unmittelbar nach dem Schließen der Kupplung zwischen den Schwungmassen auftretenden Momente, wie sie sich für einen idealen Torsionsdämpfer mit sehr langer Kennlinie ohne Anschlag ergeben würden. Diese können je nach Massenaufteilung mehr als das doppelte des Motormoments betragen.

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Typischerweise endet die Kennlinie eines ZMS-Torsionsdämpfers bei etwa dem 1,3fachen Motormoment. Dann geht der Dämpfer auf Block, und es tritt ein Schlag auf, der das 20fache Motormoment erreichen kann.

0,00 0,04 0,08Zeit [s]

Mom

ent /

max

. Mot

orm

omen

t

0

2

1

maximales Moment ~ 20 x max. Motormoment

Kennlinien-anschlag

reale Kennlinie

ideale Kennlinie

Bild 13: Momentenverlauf zwischen primärer und sekundärer Schwung-masse nach schnellem Einkuppeln; für ideale, unendlich lange Torsionskennlinie sowie für reale Torsionskennlinie mit einem Anschlagmoment von ca. 1,3fachem Motormoment

Bild 14 zeigt den Einfluß der Einkuppelzeit und des Anschlagmoments auf die Spitzenmomente. Als Parameter wurde die Einkuppelzeit variiert. Das Bild zeigt, daß die Spitzenmomente sehr stark von diesen Parametern ab-hängen. Bei langsamem Einkuppeln und/oder hohen Anschlagmomenten lassen sich Impact-Stöße praktisch vermeiden. Man wird deshalb bestrebt sein, die Einkuppelzeit zu verlängern, zum Beispiel durch Einbau einer Drossel im hydraulischen Ausrücksystem.

Dazu eignen sich sogenannte Peak Torque Limiter, die als einseitig wirkende Drossel die Impactmomente stark abbauen.

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0

2000

4000

6000

1 1,5 2

Spitz

enm

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te [N

m]

0 ms

200 ms

100 ms

50 ms

Anschlagmoment / Motormoment

Einkuppelzeiten

Bild 14: Einfluß von Anschlagmoment und Einkuppelzeit auf die Spitzenmomente

Zeit [ms]

• Mechanisches Ausrücksystem mit Stahlpedal 15 - 20

• Mechanisches Ausrücksystem mit Kunststoffpedal 3 - 7

• Hydraulisches Ausrücksystem betriebswarm 30 - 70

• Hydraulisches Ausrücksystem kalt 400 - 1000

• Hydraulisches Ausrücksystem betriebswarm, mit Dämpfung 100 - 250

Bild 15: Typische Einkuppelzeiten für mechanische und hydraulische Ausrücksysteme

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Bild 15 zeigt typische Einkuppelzeiten beim schnellen Einkuppeln. Völlig ungebremst können mechanische Ausrücksysteme einkuppeln, insbeson-dere wenn sie ein leichtes Kunststoffpedal besitzen. Schon ein schwereres Stahlpedal reduziert die Spitzenmomente nennenswert. Die günstigsten minimalen, d.h. langen Einkuppelzeiten zeigen hydraulische Ausrück-systeme.

Falls die Spitzenmomente nicht über die Einkuppelzeit begrenzt werden können, müssen andere Maßnahmen ergriffen werden. In Bild 16 sind die bekannten Maßnahmen zusammengefaßt. Als äußerst wirkungsvoll hat sich zum Beispiel eine Drehmomentbegrenzung erwiesen, die zum ZMS-Dämpfer in Reihe geschaltet ist.

• Anschlagmoment hoch

• Peak Torque Limiter im Ausrücksystem

• Federsteigung hoch (Winkel verkürzt)

• Drehmomentbegrenzung

• Kupplungsmoment reduziert

• Automatisierte Kupplung anstelle konventioneller Kupplung

Bild 16: Maßnahmen zur Verringerung von Spitzenmomenten bei schnellem Einkuppeln

Neue Generationen Zu Beginn wurde darauf hingewiesen, daß bei allen Fahrzeugen ein ZMS eine deutliche Geräusch- und Komfortverbesserung bringen würde. Die scheinbaren Mehrkosten verhinderten bisher aber besonders bei kleineren Fahrzeugen noch einen breiten Einsatz von ZMS, weil die vielfältigen Sekundärvorteile nicht berücksichtigt wurden.

Deshalb standen Kostenreduzierungen im Mittelpunkt der Entwicklungen der letzten Jahre. Über die wichtigsten soll hier berichtet werden.

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Allgemeine Kostenreduzierungen Neben Verbesserung der Umformverfahren bei den Blechumformteilen, die dazu führten, daß bei neueren Konstruktionen kaum mehr mechanische Nachbearbeitung notwendig ist, wurden auch durch FEM-Berechnung und optimale Werkstoffauswahl weitere Kostenreduzierungen erzielt.

Schwierig war die Einführung des kleinen Kugellagers, das sich im Serien-einsatz inzwischen bewährt hat (Bild 17). Wegen der Kurbelwellen-verschraubung (entweder innerhalb oder außerhalb des Lagers) gibt es zwischen dem großen und dem kleinen Lager keine Zwischengröße. Man mußte deshalb einen großen Schritt tun, was vielen Kunden schwerfiel.

Serien-ZMS kostenreduziertes ZMS

Bild 17: Kostenreduziertes ZMS mit kleinem Lager

Darüber hinaus wurden für verschiedene Kunden Baukastensysteme entwickelt, bei denen für die einzelnen Motorisierungen lediglich kleine Modifikationen einzelner ZMS-Bauteile, wie zum Beispiel Bogenfedern oder Reibeinrichtungen, vorgenommen werden müssen. Die werkzeugintensiven Blechteile bleiben größtenteils unbeeinflußt.

Solche Baukastenlösungen erfordern aber auch die Mithilfe der Fahrzeug-hersteller, die ebenfalls einige Standardisierungen vornehmen müssen, zum Beispiel bezüglich der Zahnkranzlage.

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Gleitlager Eine weitere Reduzierung der Kosten werden Gleitlager bringen (Bild 18). Dabei erscheint es uns unabdingbar zu sein, dieses Gleitlager innerhalb der Kurbelwellenverschraubung anzuordnen. Beim Ausrücken der Kupplung muß die gesamte Ausrückkraft über das Gleitlager aufgefangen werden. In Verbindung mit einem großen Reibradius entstünde ein zu hohes Reibmoment, das die Isolation verschlechtert. Deshalb empfiehlt LuK nachdrücklich, das Gleitlager auf kleinstem Durchmesser anzuordnen.

Kugellager Gleitlager

Bild 18: ZMS mit Gleitlager

Bisher durchgeführte Versuche mit verschiedenen Gleitlagerausführungen sind vielversprechend und lassen befriedigende Lebensdauer bei ausreichender Zentriergenauigkeit erwarten.

ZMS mit trockenem Dämpfer Zu Beginn der ZMS-Entwicklung wurde versucht, den Torsionsdämpfer ähnlich wie bei Kupplungsscheiben auszuführen. Da der ZMS-Torsions-dämpfer eine wesentlich bessere Schwingungsisolation aufweist als ein Torsionsdämpfer der Kupplungsscheibe, müssen die Federn im ZMS größere Relativschwingwinkel ausführen.

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Der damit verbundene höhere Verschleiß an den Federführungen zwang, auf fettgeschmierte Dämpfer überzugehen.

Wegen der mit der Schmierung verbundenen Kosten für Fett, Abdichtung usw. unternimmt LuK einen erneuten Versuch, für ZMS einen trocken-laufenden Dämpfer zu entwickeln.

Noch können wir nicht mit letzter Sicherheit sagen, daß die Lebensdauer erreicht wird. Aber es gibt Gründe, warum unsere Chancen heute höher einzuschätzen sind als 1985: LuK verfügt heute über bessere theoretische und versuchstechnische Hilfsmittel, eine nichtgeschmierte Federführung zu analysieren und Maßnahmen gegen Verschleiß einzuführen.

Durch optimale Gestaltung der Federführung, also von Fenstern und Federendwindungen, kann zum Beispiel, wie in Bild 19 gezeigt, die Reibarbeit und damit der Verschleiß beträchtlich reduziert werden.

Mom

ent [

Nm

]

Winkel [°]

Reale Feder-/Fenstergeometrie Ideale Feder-/Fenstergeometrie

40

-40

20-20

40

-40

20-20

Mom

ent [

Nm

]

Winkel [°]

Bild 19: Hystereseschleifen durch Reibung der Druckfedern beim Momentenwechsel

Eine weitere Verbesserung wird erzielt, wenn die Federn auf möglichst kleinem Durchmesser angeordnet werden, um die Fliehkraft geringzu-halten. Damit wird auch unter Berücksichtigung der Erfahrungen aus der Anfangszeit der ZMS-Entwicklung eine ausreichende Lebensdauer des trockenen Torsionsdämpfers im ZMS erwartet. Der ZMS-Aufbau wird sich durch den Wegfall der Fettschmierung deutlich vereinfachen.

Faßt man alle Einsparpotentiale zusammen, so ergibt sich ein ZMS, wie es in Bild 20 gezeigt ist. Die innenliegenden Druckfedern lassen zwar nicht mehr die gewohnt flachen Kennlinien zu, aber Überprüfungen in einigen Fahrzeugen haben ergeben, daß diese ZMS-Variante für Vier- und Sechszylinder-Benzinmotoren gute Schwingungsisolation zeigt.

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Für Vierzylinder-Dieselmotoren scheint die realisierbare Federrate nicht auszureichen. Für solche Motorisierungen erscheint das Trocken-ZMS in dieser Form zur Zeit noch nicht möglich.

Gleitlager

nichtgeschmierter "trockener"Torsionsdämpfer

Bild 20: ZMS mit nichtgeschmiertem Torsionsdämpfer

Alternative Möglichkeiten zur Beseitigung von Torsionsschwingungen im Antriebsstrang Selbstverständlich wird – auch bei LuK – immer wieder nach Alternativen zum ZMS gesucht.

Zum Beispiel können über eine schlupfende Kupplung die Torsions-schwingungen herausgefiltert werden. Damit wird aber, wie Bild 21 zeigt, nicht die Schwingungsisolation des ZMS erreicht. In dem Vortrag über Automatisierung von Kupplungen wird darüber berichtet [6].

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Auf eine weitere, theoretisch sehr interessante Möglichkeit, die in letzter Zeit in der populärwissenschaftlichen Presse auf große Resonanz gestoßen ist, soll noch eingegangen werden [7, 8].

1000 2000 3000

0

10000

20000

Drehzahl [U/min]

Win

kelb

esch

leun

igun

gsam

plitu

de [1

/s²]

Schlupf

ZMS

Motor

Bild 21: Vergleich der Schwingungsisolation eines Zweimassenschwung-rads mit einer schlupfgeregelten Kupplung

Es handelt sich dabei um die Möglichkeit, durch gezieltes Erzeugen von Gegenmomenten mit einer elektrischen Maschine die Momenten-schwankungen abzubauen. Dies erscheint zunächst einmal naheliegend, wenn – aus ganz anderen Gründen – ein sogenannter Kurbelwellen-startergenerator eingesetzt werden soll. Diese Kurbelwellenstarter-generatoren, die von verschiedenen Firmen entwickelt werden, vereinen Starter und Lichtmaschine in einer elektrischen Maschine, die anstelle des Schwungrads zwischen Motor und Getriebe angebracht wird (Bild 22). Solch eine elektrische Maschine könnte immer dann, wenn der Verbrennungsmotor nach der Zündung ein Überschußmoment liefert, als Lichtmaschine arbeiten und ein entsprechendes Moment von der Kurbelwelle abziehen, um es dann während der Kompressionsphase als Elektromotor wieder zurückzuliefern. Theoretisch könnte eine vollkommene Glättung des Momentenverlaufs erreicht werden.

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MotorelektrischeMaschine

Kupplung

Getriebe

Rotor + Schwungrad

Bild 22: Schematische Darstellung des Kurbelwellenstartergenerators

In Bild 23 ist für einen Vierzylinder-Dieselmotor der Momentenverlauf über dem Kurbelwellenwinkel dargestellt. Basierend auf einer Drehzahl von 1.500 U/min ist ein Kurbelwellenwinkel für eine halbe Umdrehung zugrundegelegt.

Anhand der Flächen ober- und unterhalb der mittleren Momentenlinie ist ersichtlich, welche Energien erfaßt werden müssen.

-500

0

500

1000

1500

90° 180°

Kurbelwellenwinkel

Mom

ent [

Nm

]

mittleres Moment

Bild 23: Momentenverlauf über Kurbelwellenwinkel

Die beim Überschußmoment durch die Stromerzeugung abzuführende Energie ist durch die rote Fläche dargestellt. Diese muß kurzzeitig, zum Beispiel in einem Kondensator, zwischengespeichert werden.

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Während der Kompressionsphase wird diese Energie über den Elektro-motor wieder zurückgeliefert (grüne Fläche).

Um abzuschätzen, welche Energiebeträge dabei im Spiel sind, wurde auch die dem mittleren Moment entsprechende Fläche, die der Arbeit des Verbrennungsmotors entspricht, schraffiert.

Ein einfacher Größenvergleich zeigt:

Die elektrischen Leistungen, die hin- und hertransportiert werden müssen, erreichen die gleiche Größenordnung wie die mittlere Leistung des Verbrennungsmotors. Mit anderen Worten: einige 10 KW werden permanent in der Elektromaschine erzeugt, gleichgerichtet, in einen Kondensator geladen, wieder entladen, durch einen Wechselrichter geschickt, um dann den Elektromotor anzutreiben. Selbst wenn man für jeden dieser einzelnen Schritte phantastisch gute Wirkungsgrade von 98 % annimmt, wäre der Gesamtwirkungsgrad nur etwa 88 %. Das heißt, 12 % der hin- und herzutransportierenden elektrischen Leistung, die ja in der Größenordnung der Verbrennungsmotorenleistung ist, also einige KW, würden sinnlos verheizt.

Selbst wenn man annimmt, daß eine vollständige Kompensation der Momente nicht notwendig ist, weil auch das ZMS die Schwingungen nicht vollständig beseitigen kann, würde die Energiebilanz einer entsprechenden elektrischen Maschine bei einem Dieselmotor noch extrem ungünstig aus-fallen.

Benzinmotoren liegen hier zwar günstiger (Bild 24), trotzdem ändert das nichts an der Tatsache, daß beim aktiven Dämpfen der Torsionsanregung durch eine elektrische Maschine enorm hohe elektrische Verluste entstehen.

Fahrzeug

Leerlauf Zug bei 1500 U/min

Vierzylinder Diesel 300 700

Sechszylinder Diesel 280 700

Vierzylinder Benziner 35 290

Sechszylinder Benziner 35 300

Amplitude der Drehmomentschwankungen (Nm)

Bild 24: Typische Momentenamplituden an der Kurbelwelle

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Dagegen erreicht das ZMS in dieser Hinsicht traumhafte Werte. Durch die Schwingwinkel innerhalb des ZMS wird wegen der parallel geschalteten Reibung zwar auch etwas Energie vernichtet. Für den ungünstigsten Fall eines Vierzylinder-Dieselmotors bei 1.500 U/min ergibt sich die Verlust-leistung aus der Hystereseschleife für den entsprechenden Schwingwinkel. Näherungsweise sind das 50 Watt, also etwa um einen Faktor 100 geringere Verluste als mit der oben beschriebenen aktiven Dämpfung.

LuK geht deshalb davon aus, daß bei Kurbelwellenstartergeneratoren ein mechanisches Dämpfungssystem ähnlich dem ZMS zum Einsatz kommt.

Zusammenfassung Das ZMS hat sich in Europa in der PKW-Oberklasse weitgehend durch-gesetzt und ist gerade dabei, die mittlere Klasse zu durchdringen. Entwicklungen bei kleineren Motoren unter 1,6 Liter Hubraum lassen erwarten, daß in einigen Jahren auch hierfür viele ZMS zum Einsatz kommen.

Das ZMS liefert die beste Schwingungsisolation, wie sie heute von keinem anderen System geboten werden kann. Neben den bekannten Vorteilen wie Beseitigung von Getriebegeräuschen und Brummen sind auch weitere Vorteile vorhanden, die teilweise in der Vergangenheit weniger beachtet wurden.

Das Herausfiltern der wechselnden Drehmomentanteile läßt insbesondere bei Dieselmotoren eine geringere Getriebebelastung erwarten. Kurbel-wellenschwingungen (Torsion und Biegung) werden verringert. Dies ermöglicht eine neue Auslegung der Kurbelwelle. Allerdings muß darauf hingewiesen werden, daß die Ungleichförmigkeit des Motors wegen der geringen Schwungmasse des ZMS eher zunimmt.

Die Beseitigung des Getrieberasselns verhindert viele Reklamationen von Kunden, die sonst befürchten, ihr Getriebe könnte beschädigt sein, und deshalb während der Garantiezeit einen teuren Umbau fordern.

Kraftstoffverbrauch und Emissionen werden durch Fahren im niedrigeren Drehzahlbereich reduziert.

Die Systemkosten eines optimierten ZMS liegen heute noch höher als bei einer konventionellen Lösung. Mit den Sekundärvorteilen sind heute schon viele ZMS kostenneutral.

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Trotzdem unternimmt LuK große Anstrengungen, um das ZMS weiter zu verbilligen. Dadurch sollen neue Anwendungsfelder erschlossen werden. Neben den üblichen Rationalisierungsmaßnahmen und Entfeinerungen wird in den nächsten Jahren ein Übergang vom Wälzlager auf ein Gleit-lager erwartet. Außerdem wird an trockenen ZMS-Dämpfern gearbeitet, die zwar nicht für kritische Motorisierungen gedacht sind, für einen Großteil der Fahrzeuge aber noch ein kostengünstiges ZMS-Konzept erwarten lassen.

Literatur [1] Reik, W.; Albers A.; Schnurr M. u.a.:

Torsionsschwingungen im Antriebsstrang, LuK-Kolloquium 1990

[2] Albers, A.: Das Zweimassenschwungrad der dritten Generation – Optimierung der Komforteigenschaften von PKW-Antriebssträngen, Antriebstechnisches Kolloquium 1991, Verlag TÜV-Rheinland, 1991

[3] Reik, W.: Schwingungsverhalten eines PKW-Antriebsstrangs mit Zweimassenschwungrad, VDI-Bericht 697, S. 173 – 194

[4] Albers, A.: Fortschritte beim ZMS – Geräuschkomfort für moderne Fahrzeuge, LuK-Kolloquium 1994

[5] Albers, A.: Selbsteinstellende Kupplung und Zweimassenschwungrad zur Verbesserung des Antriebsstrangkomforts, VDI-Bericht 1175 von 1995, Seite 153

[6] Fischer, R.: Automatisierung von Schaltgetrieben, LuK-Kolloquium 1998

[7] Bartsch, C.: Von separaten Aggregaten zum Schwungradgenerator, Antriebstechnik 37 (1998) Nr. 1, Seite 48

[8] Kuhn, L.: Auf der Überholspur, Wirtschaftswoche Nr. 4, 15.01.1998