DasEseliunddie störrischenChläuse · ten Mantel hob und sich am...

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sonntagszeitung.ch | 2. Dezember 2018 Mensch Diefenbacher 29 Chris Winteler (Text) und Philipp Rohner (Fotos) Karin Diefenbacher hat eine be- achtliche Karriere hingelegt: In neun Jahren brachte sie es vom «Eseli» zur Präsidentin. Und das in einer der letzten Männerdomänen in unserem Land. Sie steht an der Spitze der St. Nikolausgesellschaft Zürich, der grössten Samichlaus- Vereinigung der Schweiz. Ihre Wahl kam einem Erdbeben gleich. Eine fröhliche Stimme bittet he- rein ins Büro. Was für ein Arbeits- platz! Das Licht gedimmt, goldver- zierte Stühle mit rotem Samt be- zogen, eine silberne Schale gefüllt mit Christbaumkugeln und weis- sen Federn. Eine Girlande aus künstlichen Tannenzweigen ver- ziert die Wände. Ein Samichlaus klettert die Ständerlampe hoch, ein anderer Chlaus umarmt die Duft- kerze. Die Chefin von 44 Sami- chläusen und 54 Schmutzli, so scheints, kanns kaum erwarten. Bis zu den Fingernägeln – rot mit goldenen Sternchen – ist sie auf die Festtage eingestimmt. Ka- rin Diefenbacher serviert Guetsli und Kaffee in roten Wichteltassen. Auch die «Bartli-Stube», Treffpunkt von Samichlaus und Schmutzli, hat sie gemütlich geschmückt. Diefen- bacher habe eine Wohlfühlatmos- phäre in die «Chlauszentrale» in den Katakomben des Strassenver- kehrsamtes Zürich gebracht, loben Vereinsmitglieder. Herzenswärme statt Kasernenton Von kuscheligem Beisammensein konnte an der Generalversamm- lung der St. Nikolausgesellschaft im vergangenen Mai keine Rede sein. Oberstes Traktandum war die Wahl des neuen Präsidenten. Die 120 Anwesenden wählten Spreng- kandidatin Karin Diefenbacher, 54. Mit sechs Stimmen Vorsprung auf den Favoriten, einen altgedienten Samichlaus, denWunschkandida- ten des scheidenden langjährigen Präsidenten. Tumultartige Szenen und ge- hässige Reaktionen waren die Fol- ge. Ein Chlaus erhob sich und pol- terte: «Eine Frau kommt nicht in- frage.» Statt zu gratulieren, verkün- dete der Ex-Präsident schliesslich die Namen jener, die unter Diefen- bachers Führung nicht mehr mit- machen wollten. Fast der gesamte Vorstand, vor allem Frauen, trat zurück. Nach wie vor bekomme sie böse Post, sagt die neue Chefin. Auch deshalb möchte sie lieber nicht mehr über den Abend reden. Die nächste «Samichlaus-Post» vermeldete den Umsturz: «Sami- chläuse, Schmutzli und Eseli und die vielen guten Geister im Hin- tergrund ahnen, dass sie in diesem Moment Zeugen eines Ereignisses von historischer Dimension wer- den.» Erstmals in der 70-jährigen Geschichte der St.Nikolausgesell- schaft gibt eine Präsidentin den Ton an. Eine Frau! Die meistgehörte Klage: «Du hast nie unter einer roten oder braunen Kutte gesteckt. Du weisst nicht, wie wir Samichläuse und Schmutzli ticken.» Karin Diefen- bacher jedoch traute sich das Amt zu. Dieses verlange vor allem «Herzenswärme, gesunden Men- schenverstand und Organisations- talent». Ausserdem wisse sie sehr wohl, wie die Mannen tickten. Aus ihrer Zeit als Eseli. Eseli (und nicht Esel!) nennt man die Fahrerinnen, die Chlaus und Schmutzli von Haus zu Haus chauffieren. Sie übernahm das Amt aber auch, weil sie von den jungen Sa- michläusen darum gebeten wur- de. Die neue Generation wünsch- te sich Veränderung, hatte genug von der militärisch-diktatorischen Führung, dem Kasernenton. «So geht man nicht mit Leuten um, die in ihrer Freizeit samichlausen ge- hen», sagt Diefenbacher rückbli- ckend. 100 Leute arbeiten im Hin- tergrund, alle ehrenamtlich, vom Eseli bis zur Präsidentin, die von Beruf die Hauswirtschaft in einem Altersheim leitet. Die Freiwilligen halten die Kostüme in Schuss, oder sie bereiten die Mahlzeiten für die hungrigen Chläuse und Schmutz- li zu. Geselligkeit, gemeinsames Essen in der Bartli-Stube, darauf legt Diefenbacher grossen Wert. Heute, ein halbes Jahr nach der turbulenten GV, sind alle Posten wieder besetzt. Am vergangenen Sonntag wurde die kurze Sami- chlaus-Saison mit dem Umzug durch die Zürcher Bahnhofstrasse eröffnet. Die neue Präsidentin stand abseits und schaute zu: «Ich war so stolz uf mini Manne», sagt sie und wischt sich eine Träne weg. So viele Steine seien ihnen in den Weg gelegt worden, «aber wir ha- ben es geschafft». Sie dürfe sogar auf zwölf neue Schmutzli zählen, sagt sie freudig. Ihre eigenen Erinnerungen an den Schmutzli sind ganz und gar nicht heiter. «Als Kind hatte ich mega Angst.» Im Luzernischen, wo sie aufgewachsen ist, hatte der Sami- chlaus gleich mehrere, bis zu sechs Schmutzli, «wilde Kerle, die uns Kinder jagten, mit der Rute schlu- gen, uns Russ ins Gesicht rieben». Der Polteri von früher hat einiges dazugelernt Auch heute noch sei der Samichlaus eine Respektsperson. Leider wer- de der Chlaus nicht selten als Droh- mittel eingesetzt. Manche Eltern schreiben gar auf den Zettel, dass er die Kleinen mit der Rute ein- schüchtern soll – «böser, böser Bub, böses, böses Meitli!» Aber: «Unse- re Chläuse und Schmutzli schimp- fen nicht, und sie erziehen nicht.» Die Fitze, die hat der Schmutz- li allerdings immer dabei – um sei- ne Schuhe zu putzen, bevor er in die gute Stube tritt. Kein Kind wird mehr in den Sack gesteckt. Im Sack sind all die feinen Sachen. Diefen- bachers Enkel Noel, 7, wird sich über Nüssli, Schöggeli, Mandarinli und Tirggel freuen. Mini-Pic oder Chips, Geld oder grosse Geschen- ke findet sie unangebracht. Trau- rig stimmt Diefenbacher auch, dass der Samichlaus nicht wie früher überall festlich erwartet wird. In manchen Wohnungen müsse er darum bitten, den Fernseher doch kurz auszuschalten. Nach wie vor haben die Klei- nen ein Versli parat, wobei es sich einige einfach machen: «Sami- chlaus, i säg der eis, i weiss e keis.» Der Samichlaus von heute liest den Kindern nicht mehr die Leviten, sondern fragt einfühlsam: «Säg emal, was macht dis Mami alles für dich? Und was machsch du dänn für dis Mami?» Dann kämen die Meitli und Buben ins Grübeln, sagt Diefenbacher. Der Polteri von frü- her hat einiges dazugelernt. Damals als Eseli, so die Chlaus- Chefin, habe sie sich jedoch ab und zu schämen müssen:Wenn sich der Samichlaus eine Zigarette zwischen den Bart schob. Oder als er den ro- ten Mantel hob und sich am Stras- senrand erleichterte. Solches Beneh- men gehe gar nicht, «Samichlaus und Schmutzli sind Vorbilder». Bereits am 1.November, innert drei Tagen, waren alle Samichläuse ausgebucht. Die Mädchen und Bu- ben, die keinen Besuch bekommen, dürfen den Samichlaus gratis anru- fen und mit ihm plaudern, neuer- dings auch per SMS und Whatsapp. Etwas jedoch wird sich nie än- dern: Auch in Diefenbachers Ära werden Samichlaus und Schmutzli männlich bleiben. «Es wird keine Frauen unter den roten und braunen Kutten geben», stellt die Präsidentin klar. Warum nicht? «Weil es die Kin- der merken würden», sagt sie, «weil wir die Kinder nicht enttäuschen dür- fen.» Aber klar, auch ein Mann kön- ne auffliegen. Besonders auf die Schuhe sollte man achten, so ihr Tipp: «Die Schuhe haben schon man- chen Samichlaus verraten.» Das Eseli und die störrischen Chläuse Karin Diefenbacher ist die neue Präsidentin der grössten Schweizer St.Nikolausgesellschaft. Trotz zahlreicher Austritte und böser Briefe hat sie sich gegen die Traditionalisten durchgesetzt Vom «Eseli» zur Präsidentin: Karin Diefenbacher, 54, auf dem Samichlaus-Schlitten in der Chlauszentrale In der Chlauszentrale in den Katakomben des Strassenverkehrsamtes Zürich: Hier lagern die Kostüme, werden die Samichläuse, Schmutzli und Eseli verpflegt und die Chlaussäckli für die Kinder gefasst

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sonntagszeitung.ch | 2. Dezember 2018 Mensch Diefenbacher 29

Chris Winteler (Text)und Philipp Rohner (Fotos)

Karin Diefenbacher hat eine be-achtliche Karriere hingelegt: Inneun Jahren brachte sie es vom«Eseli» zur Präsidentin. Und das ineiner der letzten Männerdomänenin unserem Land. Sie steht an derSpitze der St. NikolausgesellschaftZürich, der grössten Samichlaus-Vereinigung der Schweiz. IhreWahl kam einem Erdbeben gleich.

Eine fröhliche Stimme bittet he-rein ins Büro. Was für ein Arbeits-platz! Das Licht gedimmt, goldver-zierte Stühle mit rotem Samt be-zogen, eine silberne Schale gefülltmit Christbaumkugeln und weis-sen Federn. Eine Girlande auskünstlichen Tannenzweigen ver-ziert die Wände. Ein Samichlausklettert die Ständerlampe hoch, einanderer Chlaus umarmt die Duft-kerze. Die Chefin von 44 Sami-chläusen und 54 Schmutzli, soscheints, kanns kaum erwarten.

Bis zu den Fingernägeln – rotmit goldenen Sternchen – ist sieauf die Festtage eingestimmt. Ka-rin Diefenbacher serviert Guetsliund Kaffee in roten Wichteltassen.Auch die «Bartli-Stube», Treffpunktvon Samichlaus und Schmutzli, hatsie gemütlich geschmückt. Diefen-bacher habe eine Wohlfühlatmos-phäre in die «Chlauszentrale» inden Katakomben des Strassenver-kehrsamtes Zürich gebracht, lobenVereinsmitglieder.

Herzenswärme stattKasernenton

Von kuscheligem Beisammenseinkonnte an der Generalversamm-lung der St.Nikolausgesellschaftim vergangenen Mai keine Redesein. Oberstes Traktandum war dieWahl des neuen Präsidenten. Die120 Anwesenden wählten Spreng-kandidatin Karin Diefenbacher, 54.Mit sechs Stimmen Vorsprung aufden Favoriten, einen altgedientenSamichlaus, den Wunschkandida-ten des scheidenden langjährigenPräsidenten.

Tumultartige Szenen und ge-hässige Reaktionen waren die Fol-ge. Ein Chlaus erhob sich und pol-terte: «Eine Frau kommt nicht in-frage.» Statt zu gratulieren, verkün-dete der Ex-Präsident schliesslichdie Namen jener, die unter Diefen-bachers Führung nicht mehr mit-machen wollten. Fast der gesamteVorstand, vor allem Frauen, tratzurück. Nach wie vor bekomme sieböse Post, sagt die neue Chefin.Auch deshalb möchte sie liebernicht mehr über den Abend reden.

Die nächste «Samichlaus-Post»vermeldete den Umsturz: «Sami-chläuse, Schmutzli und Eseli unddie vielen guten Geister im Hin-tergrund ahnen, dass sie in diesemMoment Zeugen eines Ereignissesvon historischer Dimension wer-den.» Erstmals in der 70-jährigenGeschichte der St.Nikolausgesell-schaft gibt eine Präsidentin denTon an. Eine Frau!

Die meistgehörte Klage: «Duhast nie unter einer roten oderbraunen Kutte gesteckt. Du weisstnicht, wie wir Samichläuse undSchmutzli ticken.» Karin Diefen-bacher jedoch traute sich das Amtzu. Dieses verlange vor allem«Herzenswärme, gesunden Men-schenverstand und Organisations-talent». Ausserdem wisse sie sehrwohl, wie die Mannen tickten. Ausihrer Zeit als Eseli. Eseli (und nichtEsel!) nennt man die Fahrerinnen,die Chlaus und Schmutzli vonHaus zu Haus chauffieren.

Sie übernahm das Amt aberauch, weil sie von den jungen Sa-michläusen darum gebeten wur-de. Die neue Generation wünsch-te sich Veränderung, hatte genugvon der militärisch-diktatorischenFührung, dem Kasernenton. «Sogeht man nicht mit Leuten um, diein ihrer Freizeit samichlausen ge-hen», sagt Diefenbacher rückbli-ckend. 100 Leute arbeiten im Hin-

tergrund, alle ehrenamtlich, vomEseli bis zur Präsidentin, die vonBeruf die Hauswirtschaft in einemAltersheim leitet. Die Freiwilligenhalten die Kostüme in Schuss, odersie bereiten die Mahlzeiten für diehungrigen Chläuse und Schmutz-li zu. Geselligkeit, gemeinsamesEssen in der Bartli-Stube, darauflegt Diefenbacher grossen Wert.

Heute, ein halbes Jahr nach derturbulenten GV, sind alle Postenwieder besetzt. Am vergangenenSonntag wurde die kurze Sami-chlaus-Saison mit dem Umzugdurch die Zürcher Bahnhofstrasseeröffnet. Die neue Präsidentinstand abseits und schaute zu: «Ichwar so stolz uf mini Manne», sagtsie und wischt sich eine Träne weg.So viele Steine seien ihnen in denWeg gelegt worden, «aber wir ha-ben es geschafft».

Sie dürfe sogar auf zwölf neueSchmutzli zählen, sagt sie freudig.Ihre eigenen Erinnerungen an denSchmutzli sind ganz und gar nichtheiter. «Als Kind hatte ich megaAngst.» Im Luzernischen, wo sieaufgewachsen ist, hatte der Sami-chlaus gleich mehrere, bis zu sechsSchmutzli, «wilde Kerle, die unsKinder jagten, mit der Rute schlu-gen, uns Russ ins Gesicht rieben».

Der Polteri von früher hateiniges dazugelernt

Auch heute noch sei der Samichlauseine Respektsperson. Leider wer-de der Chlaus nicht selten als Droh-mittel eingesetzt. Manche Elternschreiben gar auf den Zettel, dasser die Kleinen mit der Rute ein-schüchtern soll – «böser, böser Bub,böses, böses Meitli!» Aber: «Unse-re Chläuse und Schmutzli schimp-fen nicht, und sie erziehen nicht.»

Die Fitze, die hat der Schmutz-li allerdings immer dabei – um sei-ne Schuhe zu putzen, bevor er indie gute Stube tritt. Kein Kind wirdmehr in den Sack gesteckt. Im Sacksind all die feinen Sachen. Diefen-bachers Enkel Noel, 7, wird sichüber Nüssli, Schöggeli, Mandarinliund Tirggel freuen. Mini-Pic oderChips, Geld oder grosse Geschen-ke findet sie unangebracht. Trau-rig stimmt Diefenbacher auch, dassder Samichlaus nicht wie früherüberall festlich erwartet wird. Inmanchen Wohnungen müsse erdarum bitten, den Fernseher dochkurz auszuschalten.

Nach wie vor haben die Klei-nen ein Versli parat, wobei es sicheinige einfach machen: «Sami-chlaus, i säg der eis, i weiss e keis.»Der Samichlaus von heute liest denKindern nicht mehr die Leviten,sondern fragt einfühlsam: «Sägemal, was macht dis Mami alles fürdich? Und was machsch du dännfür dis Mami?» Dann kämen dieMeitli und Buben ins Grübeln, sagtDiefenbacher. Der Polteri von frü-her hat einiges dazugelernt.

Damals als Eseli, so die Chlaus-Chefin, habe sie sich jedoch ab undzu schämen müssen:Wenn sich derSamichlaus eine Zigarette zwischenden Bart schob. Oder als er den ro-ten Mantel hob und sich am Stras-senrand erleichterte. Solches Beneh-men gehe gar nicht, «Samichlausund Schmutzli sind Vorbilder».

Bereits am 1.November, innertdrei Tagen, waren alle Samichläuseausgebucht. Die Mädchen und Bu-ben, die keinen Besuch bekommen,dürfen den Samichlaus gratis anru-fen und mit ihm plaudern, neuer-dings auch per SMS undWhatsapp.

Etwas jedoch wird sich nie än-dern: Auch in Diefenbachers Ärawerden Samichlaus und Schmutzlimännlich bleiben. «Es wird keineFrauenunterdenrotenundbraunenKutten geben»,stelltdiePräsidentinklar.Warum nicht? «Weil es dieKin-der merken würden», sagt sie, «weilwirdieKindernichtenttäuschendür-fen.» Aber klar, auch einMann kön-ne auffliegen. Besonders auf dieSchuhe sollte man achten, so ihrTipp:«DieSchuhehabenschonman-chen Samichlaus verraten.»

Das Eseli und diestörrischenChläuse

Karin Diefenbacher ist die neue Präsidentin dergrössten Schweizer St.Nikolausgesellschaft.

Trotz zahlreicher Austritte und böser Briefe hat sie sichgegen die Traditionalisten durchgesetzt

Vom «Eseli» zur Präsidentin: Karin Diefenbacher, 54, auf dem Samichlaus-Schlitten in der Chlauszentrale

In der Chlauszentrale in den Katakomben des Strassenverkehrsamtes Zürich: Hier lagern die Kostüme,werden die Samichläuse, Schmutzli und Eseli verpflegt und die Chlaussäckli für die Kinder gefasst