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Datenschutz in der Jugendhilfe Prof. em. Peter-Christian Kunkel (Stand: 01.01.2016)

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Datenschutz in der Jugendhilfe

Prof. em. Peter-Christian Kunkel

(Stand: 01.01.2016)

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Inhalt

Chronologie 2

Schweigepflicht nach § 203 StGB 4

Rechtsquellen 8

Sonderregelung für Amtsvormundschaft 10

Nomenklatur und Normenklaviatur 11

Sozialgeheimnis 12

Datensicherung 13

Datenklassen 15

Normadressaten 16

Normwirkung/Zeugnisverweigerungsrecht 19

Datenerhebung 20

Datenspeicherung 23

Prüfschema (grob) 24

Gesetzliche Übermittlungsbefugnisse 25

Übermittlung an Ausländerbehörde 27

Übermittlung an Gericht 29

Prüfschema (fein) 30

Prüfschema bei Kindeswohlgefährdung 37

Prüfschema bei Hilfeplanung 38

Rechte des Betroffenen 39

Akteneinsichtsrecht 41

Auskunftsrecht 42

Berichtigung, Löschung, Sperrung/Aktenaufbewahrung 43

Sanktionen 45

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Chronologie des Datenschutzes

07.10.1970: Erstes Datenschutzgesetz der Welt in Hessen (GVBl. I S. 625)

11.12.1975: Das Sozialgeheimnis wird normiert (§ 35 SGB I) (BGBl. I S. 3015).

27.01.1977: Gesetz zum Schutz vor Missbrauch personenbezogener Daten bei der Datenverarbeitung

(Bundesdatenschutzgesetz-BDSG) (BGBl. I S. 201). Es folgen

Landesdatenschutzgesetze (LDSG) in den einzelnen Bundesländern.

18.08.1980: Das Sozialgesetzbuch – Verwaltungsverfahren - (SGB X) (BGBl. I S. 1469) regelt in

seinem Zweiten Kapitel den „Schutz der Sozialdaten“ mit zwei Abschnitten:

„Geheimhaltung“ (§§ 67-78) und „Schutz der Sozialdaten bei der Datenverarbeitung“

(§§ 79-85).

15.12.1983: Urteil des Bundesverfassungsgerichts (E 65, 1) zum Volkszählungsgesetz. Das

Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1

Abs. 1 GG abgeleitet; das Grundrecht umfasst Erhebung, Speicherung, Verwendung

und Weitergabe personenbezogener Daten; Einschränkungen dieses Rechts bedürfen

einer gesetzlichen Grundlage, die dem Gebot der Normenklarheit entsprechen muss; die

Erhebung von Daten setzt voraus, dass der Gesetzgeber den Verwendungszweck

bereichsspezifisch und präzise bestimmt und dass die Angaben für diesen Zweck

geeignet und erforderlich sind; die Verwendung der Daten ist auf den gesetzlich

bestimmten Zweck begrenzt, ein Schutz gegen Zweckentfremdung durch Weitergabe-

und Verwertungsverbote ist erforderlich; weitere verfahrensrechtliche

Schutzvorkehrungen sind Aufklärungs-, Auskunfts- und Löschungspflichten sowie die

Beteiligung eines Datenschutzbeauftragten; die Daten dürfen grundsätzlich nur zu dem

Zweck verwendet werden, zu dem sie erhoben worden sind (Zweckbindungsgrundsatz).

18.12.1989: Änderung des § 35 SGB I (BGBl. I S. 2261)

26.06.1990: Das „Gesetz zur Neuordnung des Kinder- und Jugendhilferechts (Kinder- und

Jugendhilfegesetz - KJHG)“ (BGBl. I S. 1163) regelt in seinem Art. 1 die Kinder- und

Jugendhilfe als Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII). Das Vierte Kapitel enthält

Regelungen zum „Schutz personenbezogener Daten“ (§§ 61-68 SGB VIII): Erhebung,

Verarbeitung und Verwendung personenbezogener Daten werden geregelt; Ein-

schränkungen der allgemeinen gesetzlichen Offenbarungstatbestände werden eingeführt

(§ 64 Abs. 2, § 65); der Datenschutz im Vormundschaftswesen erhält eine

Sonderregelung (§ 68).

09.07.1990: Das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts (BGBl. I S. 1354) ändert § 71 Abs. 2

SGB X. Danach ist eine Übermittlung personenbezogener Daten eines Ausländers an

die Ausländerbehörde zulässig, soweit sie erforderlich ist für die Erfüllung der in § 76

AuslG bezeichneten Mitteilungspflichten.

20.12.1990: Das „Gesetz zur Fortentwicklung der Datenverarbeitung und des Datenschutzes“ (BGBl. I

S. 2954) regelt in seinem Art. 1 das Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) neu: Auch die

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Datenerhebung wird geregelt; der Datenschutz erstreckt sich auch auf die Daten in Akten. Die -

vorrangig geltenden - Landesdatenschutzgesetze werden (wurden) entsprechend novelliert.

27.05.1992: Als erstes Bundesland verankert Sachsen ein Grundrecht auf Datenschutz in seiner

Verfassung (Art. 33).

16.02.1993: Erstes Gesetz zur Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VIII) (BGBl. I

S. 39): § 1 Abs. lagert den Datenschutz in der Jugendgerichtshilfe aus dem SGB III aus

und verweist ihn in das Jugendgerichtsgesetz.

13.06.1994: Das „Zweite(s) Gesetz zur Änderung des Sozialgesetzbuches - 2. SGBÄndG“ regelt den

Schutz der Sozialdaten neu (BGBl. S. 229).

24.10.1995: EU-Richtlinie zum Datenschutz (ABl. Nr. L 281/31 vom 23.11.1995)

07.08.1996: Änderung des § 71 SGB X (BGBl. I S. 1254)

1996/97: Novellierungen von § 71 SGB X (BGBl. 1997 I S. 1132), § 77 SGB X (BGBl. 1997 I

S. 970), § 78 SGB 10 (BGBl. 1997 I S. 1441).

02.10.1997 Recht auf Datenschutz in Art. 286 des Vertrages zur Gründung der Europäischen

Gemeinschaft (EGV)

06.08.1998: Ergänzung des § 68 SGB X (BGBl. I S. 2005)

12.10.2000: Änderung des § 68 SGB VIII (BGBl. I S. 1426)

07.12.2000: Grundrecht auf Datenschutz in Art. 8 der EU-Charta

16.05.2001: Umsetzung der EU-Richtlinie zum Datenschutz (BGBl. I S. 904)

05.11.2001: § 35 SGB I und §§ 67-85a SGB X werden durch das Gesetz zur Weiterentwicklung des

Adoptionsvermittlungsrechts geändert (BGBl. I S. 2950)

09.01.2002: Das Gesetz zur Bekämpfung des Terrorismus ergänzt § 68 SGB X (BGBl. I S. 361)

14.01.2003: Neufassung des Bundesdatenschutzgesetzes (BGBl. I S. 66)

23.12.2003 Das Gesetz zur Förderung der Steuerehrlichkeit (BGBl. I S. 2928) ergänzt § 93 AO mit

Wirkung zum 01.04.2005; nach § 93 Abs. 8 AO soll die Finanzbehörde auf Ersuchen

von Sozial- oder Jugendamt Daten bei Kreditinstituten abrufen und mitteilen.

16.12.2004: EU-Verfassung (in Kraft seit 1. Dezember 2009) garantiert Schutz personenbezogener

Daten in Art. I-51 und Art. II-68.

26.01.2005: Das Internationale Familienrechtsverfahrensgesetz (BGBl. I S. 162) erweitert § 68

SGB X.

05.09.2005: Das Informationsfreiheitsgesetz – IFG erweitert das Akteneinsichtsrecht (bei

Bundesbehörden).

08.09.2005:

22.12.2011:

Das Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK (BGBl. I S. 2729)

erweitert Datenerhebung und –übermittlung zum Kinderschutz. Für die

Jugendgerichtshilfe gilt der allgemeine Sozialdatenschutz.

Das Bundeskinderschutzgesetz erweitert die Datenübermittlung zum Kinderschutz.

© Kunkel 2016

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„Verklammerung“ von Schweigepflicht und Datenschutz

Schweigepflicht

(§ 203 StGB)

Sozialdatenschutz

(SGB I u. X i.V.m. VIII)

Abs. 1

(Berufsgruppen)

Abs. 2

(Amtsträger)

Satz 2 HS. 2

§ 65 SGB VIII

§ 76 SGB X

Kunkel © 2016

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§ 203 StGB

ein G e h e i m n i s *

wird jemand a n v e r t r a u t (gerade) als

Abs. 1: Angehörigem einer Berufsgruppe: Abs. 2: öffentlichem Funktionsträger:

Nr. 1: Arzt usw.

Nr. 2: Berufspsychologe

Nr. 4: Berater in öff. anerk. Beratungsstelle

Nr. 4a: Berater in Beratungsstelle nach §§ 3 u.

8 SchwkonfliktG

Nr. 5: Staatl. anerk. SA/SP

oder deren Gehilfen/Auszubildenden (Abs. 3)

Nr. 1: Amtsträger (§ 11 Abs. 1 Nr. 2 StGB)

Nr. 2: Für den öffentl. Dienst besonders

Verpflichteter (§ 11 Abs. 1 Nr. 4

StGB i.V.m. Verpflichtungsgesetz)

O f f e n b a r u n g s b e f u g n i s bei

Abs. 1

Abs. 2

(1) Einwilligung

- ausdrückliche

- stillschweigende (konkludente)

- mutmaßliche (nur, wenn ausdrückliche

oder stillschweigende nicht möglich)

(2) Bundesgesetzliche (höherrangige)

Mitteilungspflicht (z.B. § 138 StGB) oder

- befugnis (§ 4 KKG);

(3) Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB)

- gegenwärtige Gefahr für ein Rechtsgut

- nicht anders abwendbar**

- Abwägung der Güter

- Rechtsgut muss wesentlich höher-

wertig sein gg.über Berufsgeheimnis

(4) Elternrecht (Art.6 Abs.2 S.1 GG)

(5) Recht auf Kenntnis d.Abstammung(Art.1)

- wie bei Absatz 1

- zusätzlich: bei Aufgabenerfüllung

der öffentlichen Verwaltung

+

datenschutzrechtlicher Zulässigkeit

(hier: nach §§ 68-75 SGB X

i.V.m. §§ 64, 65 SGB VIII)

* (1) Tatsache, die sich auf (2) bestimmte Person bezieht und (3) nur Einzelnen oder

beschränktem Personenkreis bekannt ist und (4) an deren Geheimhaltung der Betroffene

ein schutzwürdiges Interesse hat auch (5) über den Tod hinaus.

** Vgl. hierzu § 12 LKindSchuG RP und § 1 Abs. 5 KiSchutzG BW sowie § 4 KKG.

© Kunkel 2016

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Schweigepflichtentbindung

Ich/Wir versichere(n) hiermit, dass ich/wir derzeit für das Kind /den/die Jugendliche(n)

--------------------------------------------------------------

in vollem Umfang sorgeberechtigt bin/sind. Ich/wir ermächtige(n) die Mitarbeiter der

Institution/Einrichtung ……………………………………………. Auskünfte zum Zwecke

von …………………………………… bei den/der folgenden Institution(en)/Person(en)

einzuholen.

Nicht Zutreffendes bitte deutlich streichen!

Kindergarten:

Schule:

Hausarzt:

Kinderarzt:

Erziehung- und Familienberatungsstelle:

Jugendamt:

Bank:

Sonstige:

___________________________________________________________________________

Gleichermaßen entbinde(n) ich/wir den ……………………………………………………..

von seiner Schweigepflicht gegenüber den o.g. Instituten bzw. Personen.

Diese Schweigepflichtentbindung kann jederzeit in einzelnen Bereichen oder insgesamt

widerrufen werden.

___________________________________________________________________________

______________________ _____________________ ____________________

Ort, Datum Unterschrift Unterschrift

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§ 4 KKG: Offenbarungsbefugnis von Geheimnisträgern

in 3-stufigem Verfahren

( Abs. 3)

(Abs.2)

(Abs.1)

*Anspruch auf Fachberatung durch i.e.F. (auch

beim ASD, aber pseudonymisiert)

© Kunkel 2016

Erörterung m. Kind

u. PSB/ Hinwirk.Hilfe

A.aufHHH

-

Gefährdungseinschätzung mit

Einholen von Fachberatung*

-Hinweis auf Einschalten des JA

- Offenbaren

3

(Abs.3))

(Abs.3

) 2

(Abs.2)

1

(Abs.1)

(Abs.1)(

Abs.1)

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Rangordnung der Datenschutznormen

Verfassung: Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung

(Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG)

EU-Recht: EU-RL (95/46)

EU-Verfassung (Art. I-51, II-68)

Einfach gesetzliche Regelung: Bundesdatenschutzgesetz

Landesdatenschutzgesetz

Bereichsspezifische Regelung: Sozialgesetzbuch I und X

SGB II SGB VIII SGB IX SGB XII

Jugendhilfe Amtsbeistand-

allgemein schaft/

-pflegschaft/

-vormundschaft © Kunkel 2016

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Rechtsquellen des Sozialdatenschutzes in der Jugendhilfe*

I. Es gelten für alle personenbezogenen Daten im Sozialleistungsbereich:

(1) Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG (Grundrecht auf informationelle

Selbstbestimmung)

(2) § 35 SGB I

(3) §§ 67-85a SGB X (ohne die Anlage zu § 78a, §§ 79, 81 Abs. 2 S. 1 u. Abs. 4

S. 1-2 SGB X**, 82 S. 2, 84a Abs. 2)

(4) Landesdatenschutzgesetz (Kontrolle durch den Landesdatenschutzbeauftrag-

ten; Verzeichnis der Datenverarbeitungsanlagen; evtl. behördliche Daten-

schutzbeauftragte (z.B. § 11 LDSG Rheinland-Pfalz und § 25 LDSG Bayern:

ja; § 10 LDSG Baden-Württemberg: freigestellt).

(5) Bundesdatenschutzgesetz: § 7 BDSG (i.V.m. § 82 SGB X); §15 Abs. 2 S. 2 u.

3 BDSG (i.V.m. §68 Abs. 3 S.2 SGB X); §20 Abs. 5 BDSG (i.V.m. § 84

Abs. 1a SGBX) jeweils entsprechend und § 38 BDSG (i.V.m. § 75 Abs. 4

SGB X) direkt

Nur für Daten in Dateien (§ 67 Abs. 3 SGB X) gelten:

(1) § 84a Abs. 2 SGB X.

(2) Nur für automatisierte (§ 67 Abs. 3 S. 1 SGB X) Dateien: Anlage zu § 78a SGB X, §§ 78b***,

79 SGB X; § 8 BDSG entsprechend.

II. Hinzutreten in der Jugendhilfe:

§§ 61- 68 SGB VIII.

Ausnahmen:

(1) Für Beistandschaft/Amtsvormundschaft/Amtspflegschaft gilt nur § 68

SGB VIII.

(2) Im Adoptionswesen gilt für die Tätigkeit nach dem AdVermiG § 9d

AdVermiG i.V.m. SGB I u. X, für die Tätigkeit nach dem SGB VIII (§§ 50,

51, 36) das SGB VIII.

(3) Für die Eingliederungshilfe gilt außerdem das SGB IX (§§ 10 Abs. 4,

21 Abs. 1, 23 Abs. 4).

III. Als strafrechtliche Sanktionsnormen gelten außerdem:

(1) für alle Beschäftigten im Sozial- oder Jugendamt: § 203 Abs. 2 StGB.

(2) für Sozialarbeiter/Sozialpädagogen, Psychologen und Berater in bestimmten

Beratungsstellen: § 203 Abs. 1 StGB.

IV. Für das Adoptionsgeheimnis gilt außerdem § 1758 BGB.

* Die Sozialdatenschutzbestimmungen des SGB gelten nur für die in § 35 SGB I genannten öffentlichen

Stellen, also nicht für die freien Träger der Jugend- und Sozialhilfe. Für diese gelten die Sozialdatenschutz-

regelungen aber dann, wenn sie vom öffentlichen Träger Sozialdaten übermittelt bekommen haben (§ 78

SGB X); in der Jugendhilfe darüber hinaus, wenn der Träger der öffentlichen Jugendhilfe sich des Trägers

der freien Jugendhilfe als Erfüllungsgehilfe bedient (§ 61 Abs. 3 SGB VIII). **

§ 81 Abs. 4 S. 1-2 ist für die Jugend- und Sozialhilfe ohne Bedeutung, da keine Geltung für Länder-

behörden (§ 81 Abs. 4 S.3). *** § 78c gilt nicht für Länderbehörden (§ 78c S. 3).

© Kunkel 2016

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Datenschutzregelungen für die Tätigkeit als AB/AP/AV

SGB I SGB X SGB VIII BDSG LDSG StGB Für:

1) Datengeheimnis,

Geheimhal-

tungspflicht

§ 35 -- -- gilt nicht

wg. § 1

Abs. 4

BDSG

i.V.m. § 61

Abs. 2

SGB VIII

§ 203

Abs. 2

2) Eingriff durch

a) Erhebung

--

--

§ 68 Abs. 1

S. 1

--

--

--

b) Verarbeitung

aa) Speiche-

rung

-- -- § 68 Abs. 1

S. 1

-- -- --

bb) Über-

mittlung

-- -- § 68 Abs. 1

S. 1 u. 2

-- -- Offenba-

rungsbefug-

nis bei

Übermitt-

lungsbefug-

nis nach

§ 68 Abs. 1

SGB VIII

c) Nutzung -- -- § 68 Abs. 1

S. 1 und 2

-- -- --

3) Datenempfänger -- -- § 68 Abs. 4 -- -- --

4) Kontrolle durch

den Landes-

datenschutz-

beauftragten und

kommunalen

Datenschutz-

beauftragten

-- -- -- -- § 81 SGB X --

5) Löschung/Sper-

rung

-- § 84 Abs. 2,

3 und 6

§68 Abs. 2 -- -- --

6) Auskunft -- § 83 § 68 Abs. 3 -- -- --

7) Schadensersatz -- § 82 -- -- -- --

8) Strafbarkeit/

Ordnungswid-

rigkeit

-- §§ 85, 85a -- -- -- § 203

Abs. 2

Aus: Kunkel, Jugendhilferecht, 8. Aufl. 2015

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Schaubild: Nomenklatur und Normenklaviatur des Sozialdatenschutzes in der Jugendhilfe

Sozial-

geheimnis

Erheben von

Daten

Verwenden von Daten Sichern von

Daten Verarbeiten

Nutzen Speichern Verändern Übermitteln Sperren Löschen

§ 35 SGB I

i.V.m.

§ 67 SGB X

§ 67 Abs. 5

i.V.m. § 67a

SGB X

§ 67 Abs. 6

Nr. 1 i.V.m.

§ 67b und c

SGB X

§ 67 Abs. 6

Nr. 2 i.V.m.

§ 67b und c

i.V.m. § 84

Abs. 1 (Berich-

tigung), § 67

Abs. 8 (Ano-

nymisieren) und

Abs. 8a SGB X

(Pseudonymi-

sieren)

§ 67 Abs. 6

Nr. 3 i.V.m.

§ 67b und d

i.V.m.

§§ 68-78 SGB X

§ 67 Abs. 6

Nr. 4 i.V.m.

§ 67b Abs. 1

i.V.m. § 84

Abs. 3-6

SGB X

§ 67 Abs. 6

Nr. 5 i.V.m.

§ 67b Abs. 1

i.V.m. § 84

Abs. 2, 5, 6

SGB X

§ 67 Abs. 7

i.V.m. § 67b

und c SGB X

§ 35 Abs. 1

S. 2 SGB I

§§ 78a (mit

Anlage), b und

c SGB X

Für die J u g e n d h i l f e gelten zusätzlich bzw. abweichend (§ 37 S. 2 SGB I):

§ 61

SGB VIII

§ 62 SGB VIII §§ 63, 64 Abs. 3

SGB VIII

§ 64 Abs. 3

SGB VIII

(Anonymisieren)

§§ 64 Abs. 2 und

2a, 65 SGB VIII

--- --- §§ 64 Abs. 3,

65 SGB VIII

---

Ausnahmen: 1. Für die Tätigkeit als Beistand/Amtspfleger/Amtsvormund gilt nur § 68 SGB VIII (§ 61 Abs. 2 SGB VIII).

2. Für die Adoptionsvermittlung und –begleitung nach dem AdVermiG gilt § 9d AdVermiG i.V.m. SGB I und X für die Hilfe nach

§ 51 SGB VIII gilt das SGB VIII.

3. Für die Unterhaltsvorschusskasse gelten SGB I, SGB X und § 6 UVG.

4. Für den gesetzlichen Jugendschutz gilt das LDSG.

5. Für die Eingliederungshilfe nach § 35a SGB VIII gelten zusätzlich §§ 10, 13, 21, 23 SGB IX.

Aus: Kunkel, Jugendhilferecht, 8. Aufl. 2015

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Begriff des Sozialgeheimnisses nach § 35 SGB I

i.V.m. § 61 SGB VIII

Wahren des Sozialgeheimnisses

Schutz vor Eingriffen Sichern

in Daten durch von Daten

Erheben Verwenden

beim Be- bei Verarbeiten Nutzen

troffenen Dritten

Spei- Verän- Über- Sperren* Löschen*

chern dern mitteln

Weiter- Kenntnis-

gabe an gabe (durch

Dritte Bereithalten)

Berich- Anony-

tigen* misieren*

Pseudony-

misieren*

* Zwar Verarbeitungsvorgänge, aber keine Eingriffe, sondern Schutzinstrumente

© Kunkel 2016

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Übersicht über die Datensicherungsmaßnahmen nach § 35 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 78a SGB X:

Datensicherungsmaßnahmen

Zugangskontrolle

(= kein unbefugter

Zugang zu Daten)

Datenträgerkontrolle

(= kein unbefugtes

Lesen der Daten)

Speicherkontrolle

(= kein unbefugtes

Eingeben und Ändern

von Daten)

Benutzerkontrolle

(= keine unbefugte

Nutzung von Daten)

Zugriffskontrolle

(= keine Nutzung von

Daten außerhalb der

Nutzungszuständigkeit)

Übermittlungskontrolle

(= keine unbefugte

Weitergabe von Daten)

Eingabekontrolle

(= Kontrolle der

Aufnahme von Daten)

Auftragskontrolle

(= keine Verarbeitung

von Daten entgegen

Weisungen)

Transportkontrolle

(= keine unbefugte

Kenntnisnahme von

Daten beim Transport)

Organisationskontrolle

(= Behördenorgani-

sation muss

datenschutzgerecht

sein)

Grenze: Verhältnismäßigkeit (§ 78a S. 2 SGB X)

©Kunkel 2016

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Textvorschlag zur Sicherung des Sozialgeheimnisses bei Fax und E-Mail

„Die Information in dieser E-Mail/diesem Fax ist vertraulich und unterliegt dem

Sozialdatenschutz nach § 35 SGB I. Sie ist ausschließlich für den Adressaten

bestimmt.

Jeglicher Zugriff auf diese E-Mail/dieses Fax durch andere Personen als den

Adressaten ist untersagt. Sollten Sie nicht der für diese E-Mail/dieses Fax bestimmte

Adressat sein, ist Ihnen jede Verwendung der Information untersagt.“

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Die verschiedenen Datenklassen

Daten-

klassen

1. 2. 3. 4. 5.

Standard-

daten

erweiterte

Standarddaten Regeldaten

spezifische

Daten

sensitive

Daten

- Vor- und

Familienname

- Geburtsdatum

- Geburtsort

- derzeitige

Anschrift

- derzeitiger

Aufenthalts-

ort

- Name und

Anschrift des

derzeitigen

Arbeitgebers

- wie 1., zusätz-

lich:

- frühere Namen,

- frühere An-

schriften,

- Namen und An-

schriften frühe-

rer Arbeitgeber

- Geldleistungen

- Staats- und

Religions-

angehörigkeit

alle

Angaben

Angaben über

die rassische

und ethnische

Herkunft, po-

litische Mei-

nungen, reli-

giöse oder

philosophi-

sche Überzeu-

gungen, Ge-

werkschafts-

zugehörigkeit,

Gesundheit

od. Sexual-

leben

anvertraute

Daten (im

Hinblick auf

Berufszugehö-

rigkeit nach

§ 203 Abs. 1

StGB oder im

Rahmen von

persönlicher

oder erzieheri-

scher Hilfe

nach § 65

SGB VIII)

Übermitt-

lungs-/Ein-

griffsbefug-

nis nach

§ 68 SGB X §§ 68 Abs. 3,

72 Abs. 1 S. 2

und § 73 Abs. 2

SGB X

§§ 69,70,

71, 73

Abs. 1, 74,

75 SGB X

§ 67a Abs. 1

S. 2-4 u. § 67b

Abs. 1 S. 2

SGB X

§ 76 SGB X

und § 65

SGB VIII

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Schaubild: Normadressaten des § 35 SGB I

Sozialgeheimnis

öffentlicher Träger

Gewährleistungsakt Datenempfang

(§ 61 Abs. 3 SGB VIII) (§ 78 Abs. 1 S.2 SGB X)

freier Träger

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Prüfschema für den (gesetzlichen) Datenschutz bei Trägern

der freien Jugendhilfe

1. Ist der freie Träger abgeleiteter Normadressat des § 35 SGB I?

Nur dann, wenn er

a) Daten vom öffentlichen Träger erhalten hat (§ 78 Abs. 1 S. 2 SGB X) oder

b) für den öffentlichen Träger JH-Aufgaben erfüllt und der Datenschutz durch

einen Rechtsakt (VA oder Vertrag) sichergestellt ist (§ 61 Abs. 3 SGB VIII).

Wenn ja, gilt für seine Übermittlungen:

bei nach § 78 SGB X erhaltenen Daten: weitere Übermittlung ist nur gem.

§ 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X möglich;

bei Aufgabenerfüllung nach § 61 Abs. 3 SGB VIII: weitere Übermittlungen

sind gem. §§ 69, 71 Abs. 1 Nr. 1, 73, 74, 75 SGB X möglich.

In beiden Fällen gilt:

Bei Übermittlungen nach § 69 SGB X ist zusätzlich § 64 Abs. 2, 2a SGB VIII

zu beachten.

Bei anvertrauten Daten sind § 76 SGB X und § 65 SGB VIII zu beachten.

In jedem Fall gilt für den Umfang des Datenschutzes § 35 Abs. 3 SGB I, für die

Datensicherung § 35 Abs. 1 SGB I, für die Rechte des Betroffenen auf Auskunft,

Löschung, Sperrung und Schadenersatz §§ 81-84a SGB X, für Sanktionen gelten

§§ 85, 85a SGB X.

2. Falls Datenschutz nicht abgeleitet, gilt er aufgrund vertraglicher Nebenpflichten

(§§ 241 Abs. 2, 242 BGB i.V.m. Dienst- oder Werkvertrag oder – bei kirchlichen

Trägern – aufgrund kirchlichen Datenschutzes).

3. Gehört ein Mitarbeiter einer der in § 203 Abs. 1 und Abs. 3 StGB genannten Be-

rufsgruppen an, gilt zusätzlich die strafrechtliche Schweigepflicht.

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Normadressaten von Datenschutzvorschriften in der Jugendhilfe

Normen

Adressaten

§ 35 SGB I i.V.m.

§§ 67-85a SGB X

§ 203 StGB

BDSG LDSG (z.B. Baden-

Württemberg) Abs. 1 u. 3 Abs. 2

Öffentliche Träger

und Gemeinden

mit JH-Aufgaben

ja ja, auch wenn

Angehöriger der

Berufsgruppe bei

öffentlichem

Träger beschäftigt

ist

ja, für alle Beschäf-

tigten

nein (§ 1 Abs. 2 Nr. 2

BDSG).

Aber Verweisungen im

SGB X (§§ 82, 84

Abs. 1a) auf §§ 7, 8, 20

Abs.5 entsprechend

nein (§ 2 Abs. 5 LDSG).

Nur über die Verweisung

in § 81 Abs. 2 S. 2

SGB X gelten §§ 26-32

LDSG, über § 81 Abs. 4

S. 4 SGB X gilt § 10

LDSG

Freie Träger

(außer Kirchen)

nein; nur „abgeleitete“

Normadressaten, wenn

sie Daten vom öffentli-

chen Träger empfangen

haben (§ 78 SGB X)

oder der öffentliche Trä-

ger sich ihrer als Er-

füllungsgehilfe bedient

(§ 61 Abs. 3 SGB VIII).

ja nein nur eingeschränkt, so-

weit sie Daten in oder

aus Dateien verarbeiten

oder nutzen (§ 1 Abs. 2

Nr. 3 i.V.m. § 27

BDSG) und soweit sie

nicht abgeleiteter

Normadressat des § 35

SGB I sind

nein (§ 2 Abs. 1 LDSG)

Kirchen nein (wie freie Träger) ja nein wie freie Träger, da sie

als nicht-öffentliche

Stellen gelten (arg. § 15

Abs. 4)

wie freie Träger, da sie

nicht als öffentliche

Stellen gelten (arg. § 17)

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Schaubild: Normwirkung des § 35 SGB I

§ 35 Abs. 2 SGB I: „Keine Übermittlung ohne Gesetz“ (SGB X i.V.m. SGB VIII)

§ 35 Abs. 3 SGB I: Ohne Übermittlungsbefugnis keine

Aussage

Aktenvorlage

Zeugnis vor Gericht

Beschlagnahme

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Schaubild: Datenerhebung nach § 62 SGB VIII

Betroffenenerhebung

beim Betroffenen selbst mit seiner Einwilligung bei Dritten

wenn:

Daten erforderlich sind für die Erfüllung einer

konkreten Aufgabe (z.B. § ...) nach dem SGB VIII

Dritterhebung (ohne Einwilligung)

gesetzlich vorge-

schrieben oder zuge-

lassen

Betroffenenerhebung

unmöglich oder

Dritterhebung

aufgabenspezifisch

+

erforderlich für

Betroffenenerhebung

zu aufwändig

+

keine

Beeinträchtigung

seiner

schutzwürdigen

Interessen

Betroffenenerhebung

würde Zugang zu

Hilfe gefährden

Leistungs-

gewährung

Leistungs-

erstattung

Schutzauftrag nach

§ 8a SGB VIII

oder für familienge-

richtliche Entschei-

dung nach § 1666

BGB als „Türöffner“

zu Leistungsgewäh-

rung

Aufgabe nach §§ 42

bis 48a, 52

SGB VIII

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Prüfschema zur Datenerhebung im Jugendamt nach § 62 SGB VIII

In jedem Fall vorweg zu prüfen:

(1) Ist § 62 anwendbar? (nicht für Tätigkeit als AB/AP/AV, Adoptionsvermittlung)

(2) Dient die Datenerhebung der Erfüllung einer Aufgabe nach dem SGB VIII im

konkreten Falle?

(3) Ist das Jugendamt für die Erfüllung dieser Aufgabe sachlich und örtlich zuständig?

(4) Ist das Jugendamt zur rechtmäßigen Erfüllung dieser Aufgabe auf das zu erhebende

Datum angewiesen?

Falls ja, sind Regelfall und Ausnahmefälle zu unterscheiden.

Regelfall (Betroffenenerhebung):

(1) Die Erhebung des Datums muss beim Betroffenen erfolgen, also

- durch Befragung seiner selbst

- durch Befragung Dritter mit seiner Einwilligung.

(2) Dabei sind Aufklärungspflichten zu beachten über

- die Rechtsgrundlage der Erhebung, also § 62 i.V.m. der Aufgabennorm nach

SGB VIII

- den Zweck der Erhebung, also die Erfüllung einer konkreten Aufgabe nach dem

SGB VIII

- den Zweck der weiteren Verwendung (Verarbeitung oder Nutzung) des Datums.

Ausnahmefälle (Fremderhebung):

1. Fall („Gesetzesvorbehalt“):

Es gibt eine gesetzliche Ermächtigung zur Erhebung von Daten über den Betroffenen bei

Dritten.

2. Fall („Unmöglichkeit“):

(1) Datenerhebung ist beim Betroffenen (also durch Befragung seiner selbst oder Dritter

mit seiner Zustimmung) nicht möglich und

(2) das Jugendamt ist auf das Datum angewiesen für

a) Leistungsgewährung (auch nach familiengerichtlicher Entscheidung nach § 1666

BGB) nach SGB VIII oder

b) Leistungserstattung nach § 50 SGB X oder

c) Aufgabenwahrnehmung nach §§ 42 – 48a, 52 SGB VIII oder

d) Schutzauftrag nach § 8a SGB VIII.

3. Fall („Spezifische Aufgabe“):

(1) Das Jugendamt nimmt eine (spezifische) Aufgabe wahr, die ihrer Art nach eine

Erhebung von Daten bei Dritten erforderlich macht und

(2) das Jugendamt ist auf die Kenntnis des Datums angewiesen für

a) - d) wie oben.

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4. Fall („Unverhältnismäßigkeit“):

(1) Die Erhebung des Datums beim Betroffenen (Befragung seiner selbst oder Dritter mit

seiner Zustimmung) würde einen Aufwand erfordern, der außer Verhältnis steht zur

Bedeutung des zu erhebenden Datums - gemessen an der leichteren Be-

schaffungsmöglichkeit bei Dritten und

(2) schutzwürdige Interessen des Betroffenen werden durch die Fremderhebung nicht

beeinträchtigt.

5. Fall („Keine Leistungsblockade durch Dritte“):

(1) Leistungsbeteiligter und Betroffener i.S.v. § 67 Abs. 1 S. 1 SGB X sind verschiedene

Personen. Das Jugendamt kann dann Daten über den Betroffenen beim

Leistungsbeteiligten erfragen, wenn

(2) ohne Kenntnis dieser Daten eine Leistungsgewährung nach SGB VIII nicht möglich

ist.

6. Fall („Keine Aufgabenblockade durch Dritte“):

Das Jugendamt benötigt die Daten über einen Dritten nicht zur Gewährung einer

Leistung, sondern zur Erfüllung einer anderen Aufgabe nach den §§ 42 bis 60 SGB VIII.

Aus: Kunkel, Jugendhilferecht, 8. Aufl. 2015

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Datenspeicherung in der Jugendhilfe

1. Befugnisnorm § 67b Abs. 1 i.V.m. § 67c SGB X i.V.m. § 63 Abs. 1

SGB VIII

(1) SGB-Aufgaben

2. Zulässigkeitsvoraus-

setzungen

3. Verbot der Akten-

verbindung

(2) Erfüllung dieser Aufgabe im konkreten Fall

(3) Zuständigkeit (sachlich und örtlich) der verant-

wortlichen Stelle im Sinn des § 67 Abs. 9 SGB X

(4) Erforderlichkeit für die Erfüllung der Aufgabe

(5) rechtmäßige Erhebung des zu speichernden Datums

(6) Kongruenz von Speicher- und Erhebungszweck

(einschl. Kontroll-, Organisations-, Prüfungs-

zwecken).

Falls Zweckinkongruenz:

a) Stellenidentität

b) für neue Aufgaben müssen die Voraussetzungen

unter (1) bis (5) vorliegen

oder

c) Einwilligung im konkreten Fall

oder

d) Planungs- oder Forschungszweck, wenn

(aa) bestimmtes Vorhaben

(bb) im SGB-Bereich

(cc) Datum hierfür erforderlich

(dd) keine Beeinträchtigung schutzwürdiger

Interessen des Betroffenen oder Überwiegen

des öff. Interesses

(ee) Einholung der Einwilligung unzumutbar

§ 63 Abs. 2 SGB VIII.

Zusammenführung zweck-inkongruenter Daten ist ver-

boten. Ausnahme: Unmittelbarer Sachzusammenhang.

Daten aus Leistungsgewährung nach §§ 11 bis 41

SGB VIII dürfen mit Daten aus Aufgabenerfüllung

nach §§ 42 bis 60 SGB VIII aber nur verbunden

werden, wenn die jeweilige Aufgabe sonst nicht erfüllt

werden kann.

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Schaubild: Sozialdatenschutz in der Jugendhilfe

- Prüfstruktur -

§ 61 SGB VIII i.V.m.

§ 35 Abs. 1 SGB I

i.V.m.

§ 67 SGB X

Schutzbereich

Sozialleistungs

träger

personenbez.

Datum

§ 67 Abs. 5-7 SGB X Eingriff

§ 35 Abs. 2 SGB I

i.V.m.

§§ 67a, b SGB X

Eingriffsbefugnis („Schranke“)

Einwilligung Befugnisnorm

§ 67b Abs. 2 SGB X

§ 62 Abs. 2 SGB VIII

§ 62 SGB VIII Datenerhebung

Datenüber-

mittlung § 67d SGB X i.V.m.

§ 68 § 69 § 71 § 73 § 74 § 74a § 75

„Schranken-Schranke“

§ 76 SGB X

§ 65 SGB VIII (für anvertraute Daten)

§ 64 Abs. 2, 2a SGB VIII (nur für § 69 SGB X)

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SGB X

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Schaubild: Gesetzliche Übermittlungsbefugnisse

§ 68 SGB X

§ 69 SGB X

§ 71 SGB X

§ 73 SGB X

Polizei/Gericht

Beachte:

nur Adresse ...

Ersuchen

schutzwürdige

Interessen be-

achten

besondere

Zuständigkeit

für

Geldansprüche

ab 500.- gilt

seit 1.1.2013

§74a SGB X

andere Stellen zu:

(1) eigener Aufgaben-

erfüllung nach SGB

(„eigennützig“)

(2) Erfüllung einer

Aufgabe nach dem

SGB durch andere

Stelle („fremdnützig“)

(3) Justiz zu:

Verfahren im

Zusammenhang mit

Aufgabenerfüllung

nach SGB VIII

Polizei (Abs. 1)

zur:

Anzeige einer

geplanten Straftat

nach §138 StGB

Ausländerbehörde

(Abs. 2) zur:

Mitteilung nach

§ 87 AufenthG:

a) Auswei-

sungsgrund

(Jugendhil-

feleistung)

b) Vorausset-

zungen für be-

hördliches

Anfechtungs-

recht der

Vaterschaft

Strafgericht zur:

Durchführung eines

Strafverfahrens

Beachte:

schwere Straftat

+

Anordnung des

Richters

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Übersicht über die Übermittlungsbefugnis nach § 69 SGB X

Abs. 1:

Nr. 1:

1. Alternative: Erfüllung eigener SGB-Aufgabe

(„eigennützig“)

1. Variante: Zweckidentität mit Erhebungs

zweck;

2. Variante: Zweckdisparität;

3. Variante: Fiktion der Aufgabenerfüllung

nach Abs. 5

Jugendamt

2. Alternative:

Erfüllung einer SGB-Aufgabe durch einen

anderen Sozialleistungsträger („fremdnützig“)

Nr. 2: Fortsetzung eines Verwaltungsverfahrens

(z.B. Klage gegen Bescheid)

Jugendamt Justiz

Flankierende Maßnahme bei Aufgabenerfüllung

(z.B. Anzeige wegen Kindesmisshandlung)

Nr. 3:

Jugendamt Presse

Abwehr falscher Behauptungen des Betroffenen

(„Notwehrübermittlung“)

Abs. 5:

Aufsichts-, Kontroll-, Disziplinar-

stellen

Jugendamt Rechnungsprüfungsstellen

Stellen für Organisations-

untersuchungen

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Prüfschema für Mitteilungen des JA an die Ausländerbehörde

A. Besteht eine Mitteilungspflicht nach dem Aufenthaltsgesetz?

I. Nach § 87 Abs. 1 AufenthG?

1. Liegt ein Ersuchen der Ausländerbehörde vor?

2. Liegen die Voraussetzungen des § 86 AufenthG für ein Ersuchen vor?

II. Nach § 87 Abs. 2 AufenthG?

1. Nr. 1: Illegaler Aufenthalt?

a) Ist Aufenthalt illegal, weil Aufenthaltstitel (§ 4 AufenthG) fehlt?

b) Besteht positive Kenntnis von illegalem Aufenthalt?

c) Gehört die Aufenthaltsfeststellung zum Dienstgeschäft?

2. Nr. 3: Liegt ein gesetzlicher Ausweisungsgrund (§§ 53 – 55 AufenthG)

vor?

3. Liegt ein Ausschluss des Ausweisungsgrundes vor?

a) bei Minderjährigen: Eltern halten sich hier rechtmäßig auf (§§ 56

Abs. 2 S. 2, 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG)

b) privilegierte Personen (§ 56 AufenthG)

4. Liegt ein Ausschluss der Ausweisung vor?

a) Nach EG-Gemeinschaftsrecht

(In § 6 FreizügG/EU als Transformation in innerstaatliches Recht).

b) Nach multilateralen zwischenstaatlichen Abkommen

aa) Europäisches Fürsorgeabkommen (Art. 6)

bb) Europäisches Niederlassungsabkommen (Art. 3)

c) Zwischenstaatliche bilaterale Abkommen

aa) mit Österreich (Art. 8)

bb) mit der Schweiz (Art. 5; gekündigt zum 31.3.2006)

5. Ist die Ausweisung ausgeschlossen, weil das Ermessen der Ausländer-

behörde auf Null reduziert ist?

Mitteilung ist dann nicht erforderlich.

6. Nr. 4: Behördliches Anfechtungsrecht der Vaterschaft

B. Ist die Mitteilungspflicht begrenzt durch die Pflicht zur Geheimhaltung nach

§ 35 SGB I?

Es besteht keine Mitteilungspflicht, wenn keine Übermittlungsbefugnis nach dem

SGB besteht (§ 88 Abs. 1 AufenthG i.V.m. § 35 Abs. 3 SGB I):

Eine Übermittlungsbefugnis kann sich nur aus § 71 Abs. 2 SGB X ergeben:

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I. § 71 Abs. 2 Nr. 1 SGB X bezüglich der Mitteilungspflicht nach § 87 Abs. 1

AufenthG?

Für das Jugendamt gilt nur § 71 Abs. 2 S. 1 Nr. 1d SGB X:

Sozialprognose für Aufenthaltsentscheidung erforderlich?

II. § 71 Abs. 2 Nr. 2 SGB X bezüglich der Mitteilungspflicht nach § 87 Abs. 2

AufenthG?

1. Ausweisungsgrund; für das Jugendamt nur (§ 55 Abs. 2 Nr. 7 AufenthG)

bei stationärer Hilfe im Rahmen von

- Hilfe zur Erziehung im Heim (§ 34 SGB VIII)

- Hilfe für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII)

- Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII).

2. Voraussetzungen für behördliches Anfechtungsrecht der Vaterschaft (§ 87

Abs. 2 Nr. 4 AufenthG; BVerfG v. 28.2.14: nichtig).

Aber: Übermittlung nur, wenn dadurch keine Aufgabengefährdung im JA

III. Beachte: Ausschluss des Ausweisungsgrundes oder der Ausweisung?

(siehe oben A II. 3-5)

C. Schranken-Schranken der Übermittlungsbefugnis?

I. § 76 SGB X?

- Berufsgeheimnis nach § 203 Abs. 1 StGB? Falls ja:

- strafrechtliche Offenbarungsbefugnis? Beachte § 88 Abs. 2 AufenthG

II. § 65 SGB VIII?

- Datum anvertraut zum Zweck erzieherischer Hilfe? Falls ja:

- quasi-strafrechtliche Offenbarungsbefugnis?

III. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20, 28 GG)?

D. Besondere Zuständigkeit gem. § 68 Abs. 2 SGB X analog beachten

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Übersicht über die Übermittlungsbefugnisse an ein Gericht

I. Gemäß § 68 SGB X

Vgl. hierzu das Gesamt-Prüfungsschema S. 30.

II. Gem. § 69 SGB X

1. § 69 Abs. 1 Nr. 1 (Gerichtshilfe als SGB-Aufgabe)

a) 1. Alternative (Gerichtshilfe als eigene Aufgabe)

aa) 1. Variante (Datenerhebung erfolgte zu Gerichtshilfe):

- Familiengerichtshilfe gem. §§ 50, 8a Abs.2 SGB VIII

- Jugendgerichtshilfe nach § 52 SGB VIII

bb) 2. Variante (Datenerhebung erfolgte zu anderem Zweck)

b) 2. Alternative (Gerichtshilfe als Aufgabe eines anderen Jugendhilfeträgers)

2. § 69 Abs. 1 Nr. 2 (gerichtliches Verfahren im Zusammenhang mit SGB-Aufgabe),

z.B.

- Klage aus übergeleitetem Anspruch (§ 95 SGB VIII)

- Anfechtungs-/Verpflichtungsklage gegen bzw. auf Bescheid

- Strafverfahren wegen

Leistungsbetrugs (§ 263 StGB)

Unterhaltspflichtverletzung (§ 170 StGB)

Kindesmisshandlung (§ 176 StGB)

- Straftaten und Ordnungswidrigkeiten nach §§ 104, 105 SGB VIII

- Disziplinarverfahren gegen Mitarbeiter

III. Gem. § 71 Abs. 3 SGB X

In Betreuungssachen gegenüber dem Betreuungsgericht

IV. Gem. § 73 SGB X nach richterlicher Anordnung

Vgl. hierzu das Gesamt-Prüfungsschema S. 30.

V. Gem. § 74 S. 1 Nr. 1 SGB X

Vgl. hierzu das Gesamt-Prüfungsschema S. 30.

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Prüfschema für eine Übermittlung von Daten im Jugendamt

I. Schutzbereich des Sozialgeheimnisses (§ 61 SGB VIII i.V.m. § 35 SGB I

i.V.m. § 67 SGB X)

1. Normadressat?

a) Leistungsträger

Für die Jugendhilfe sind Leistungsträger gem. § 12 SGB I i.V.m. § 27

Abs. 2 SGB I die Gebietskörperschaften Landkreis oder Stadtkreis sowie

die überörtlichen Träger. Zur Wahrung des Sozialgeheimnisses ver-

pflichtet sind deren Stellen, die Aufgaben nach dem SGB VIII wahr-

nehmen. Nicht Normadressat sind Wohlfahrtsverbände (außer im Fall des

§ 78 SGB X als „abgeleitete“ Normadressaten und im Fall des § 61 Abs. 3

SGB VIII).

b) „Hilfsstellen“

Normadressaten sind auch die Stellen, die im Bereich der Jugendhilfe

Aufsichts-, Kontroll-, Disziplinar-, Prüfungs-, Organisations-, Aus-

bildungsaufgaben wahrnehmen.

c) Mitwirkungspflichtige Gemeinden

Normadressaten sind ferner kreisangehörige Gemeinden, die Aufgaben

nach dem SGB VIII wahrnehmen.

2. Sozialdatum?

Jede Einzelangabe über persönliche oder sachliche Verhältnisse einer be-

stimmten oder bestimmbaren natürlichen Person (auch nach ihrem Tode).

Gleichgestellt sind Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.

3. Schutzinhalt?

Sozialdaten sind geschützt

a) gegen Eingriffe durch das Erheben von Daten und ihre Verwendung (Ver-

arbeiten und Nutzen)

b) beim Umgang durch Datensicherung

4. Schutzumfang?

Soweit eine Übermittlung unzulässig ist (siehe hierzu unter II und III), besteht

keine Auskunfts-, Zeugnis- und Aktenvorlagepflicht und auch kein solches

Recht.

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II. Übermittlungsbefugnis (§ 61 Abs. 1 SGB VIII i.V.m. § 35 Abs. 2 SGB I i.V.m.

§§ 67b, d SGB X)

Jede Verwendung von Sozialdaten (zur Erhebung vgl. Extra-Schema; S. 20)

unterliegt dem Gesetzesvorbehalt (§ 35 Abs. 2 SGB I i.V.m. § 67b Abs. 1 SGB X).

Verwendung ist das Verarbeiten und das Nutzen von Daten (s. Übersicht zum

Begriff des Sozialgeheimnisses: S. 12). Häufigster Verarbeitungsvorgang ist das

Übermitteln von Daten. Übermitteln ist die Bekanntgabe der Daten an einen

Dritten, also an eine Person/Stelle außerhalb der Stelle im Jugendamt, die das

Datum erhoben oder verwendet hat („Verantwortliche Stelle“). Kein Übermitteln,

sondern Nutzen ist die Weitergabe von Daten an einen Empfänger innerhalb der

verantwortlichen Stelle; die Zulässigkeit der Datennutzung richtet sich nach § 67c

SGB X.

Das Übermitteln eines Sozialdatums ist nur zulässig, wenn der Betroffene ein-

gewilligt hat oder wenn eine gesetzliche Übermittlungsbefugnis nach den §§ 68-75

SGB X vorliegt oder wenn andere Bestimmungen des SGB eine Übermittlung er-

lauben (§§ 67b und d SGB X).

Die spezifischen Daten nach § 67 Abs. 12 SGB X dürfen nur mit Einwilligung

weitergegeben werden (Ausnahme: Daten über die Gesundheit oder das Sexual-

leben).

1. Einwilligung (§ 67b Abs. 2 SGB X)?

a) Nur für den Einzelfall

b) Nur aufgrund freier Entscheidung

c) Hinweis auf

aa) Zweck der Übermittlung

bb) Folgen der Verweigerung einer Einwilligung

d) Grundsätzlich Schriftform für Einwilligung und den Hinweis, außer bei

Vorliegen besonderer Umstände

e) Bei Verbindung mit anderen Erklärungen visuelle Hervorhebung der Ein-

willigung

2. Gesetzliche Übermittlungsbefugnisse nach § 67d Abs. 1 i.V.m. §§ 68-75

SGB X?

a) § 68 SGB X?

aa) Nur an bestimmte Empfänger

- Polizei, Justiz, Verfassungsschutz

- Vollstreckungsstellen (seit 1.1.2013 in § 74a SGB X)

bb) Nur Standarddaten (s. Übersicht über Datenklassen; S. 15)

cc) Erweiterte Standarddaten nach Abs. 3 nur zur Rasterfahndung

dd) Nur bei Erforderlichkeit für Aufgabenerfüllung der empfangenden

Stelle

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32

ee) Durch Übermittlung dürfen schutzwürdige Interessen des Betroffenen

nicht beeinträchtigt werden

ff) Nur auf Ersuchen

gg) Ersuchende Stelle hat keine andere Beschaffungsmöglichkeit

hh) Besondere Entscheidungskompetenz (Sozialdezernent)

b) § 69 SGB X?

aa) Zur Erfüllung einer eigenen Aufgabe nach dem SGB („eigennützig“)

- Erfüllung des Erhebungszweckes (einschließlich – so Abs. 5 -

Aufsicht, Kontrolle, Rechnungsprüfung, Organisationsunter-

suchung) oder

- Zweckänderung zur Erfüllung eines anderen Zwecks, der sich aus

einer SGB-Norm ergibt

bb) Zur Erfüllung einer SGB-Aufgabe der Empfängerstelle („fremd-

nützig“)

cc) Zur Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens, das mit einer SGB-

Aufgabe zusammenhängt

dd) Zur Abwehr falscher Behauptungen des Betroffenen

c) § 71 SGB X?

aa) Erfüllung besonderer gesetzlicher Mitteilungspflichten, insbesondere

nach

- § 138 StGB

- § 8 InfektionsschutzG

- AO

- ArchivG

- StatistikG

bb) Bei Ausländern zusätzlich

(1) auf Ersuchen der Ausländerbehörde nach § 87 Abs. 1 AufenthG

(2) auch ohne Ersuchen gem. § 87 Abs. 2 AufenthG

Vgl. hierzu das Extra-Schema; S. 27

(3) zur Durchführung des AsylbLG

cc) In Betreuungssachen gegenüber dem Betreuungsgericht nach Er-

messen

d) § 72 SGB X?

aa) An Verfassungsschutz/BND/MAD/BKA

bb) Erweiterte Standarddaten (s. Übersicht über Datenklassen; S. 16)

cc) Besondere Entscheidungskompetenz (Landrat, Bürgermeister oder

Stellvertreter)

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33

e) § 73 SGB X?

aa) Richterliche Anordnung

bb) Zur Durchführung eines Strafverfahrens wegen eines Verbrechens

(Strafandrohung von mindestens 1 Jahr Freiheitsstrafe) oder wegen

eines Vergehens von erheblicher Bedeutung

cc) Bei einfachen Vergehen ist nur die Übermittlung von erweiterten

Standarddaten (s. Übersicht über Datenklassen; S. 16) zulässig

f) § 74 SGB X?

aa) Durchführung eines gerichtlichen oder Vollstreckungsverfahrens

wegen eines Unterhaltsanspruchs/Versorgungsausgleich

bb) Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs/Ausgleichsanspruchs

außerhalb eines Verfahrens, wenn

- der Betroffene zur Auskunft verpflichtet ist

- diese Pflicht nach Mahnung und Fristsetzung nicht erfüllt hat

g) § 74a SGB X?

aa) Wie § 68 Abs.1 SGB X zur Durchsetzung öffent.-rechtlicher

Geldansprüche ab 500.- (Abs.1)

bb) Spezielle Regelung für die Übermittlung von Daten durch

Rentenversicherungsträger im Vollstreckungsverfahren (Abs.2)

h) § 75 SGB X?

aa) Bestimmtes Vorhaben

- der Wissenschaft und Forschung

- der Planung durch eine öffentliche Stelle

bb) im Bereich der §§ 18-29 SGB I

cc) Schutzwürdige Interessen des Betroffenen werden nicht beeinträchtigt

oder erheblich überwogen durch öffentliche Interessen

dd) Vorrangig ist Einwilligung einzuholen oder Zweckerreichung auf

andere Weise

ee) Genehmigungsvorbehalt

ff) Für Forschung des Bundes ist § 119 SGB XII lex specialis.

III. Einschränkungen der Übermittlungsbefugnis

1. Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Art. 20, 28 GG)

a) Übermittlung muss geeignet sein, ihren Zweck zu erfüllen

b) Übermittlung muss im Einzelfall in Form und Umfang erforderlich sein

zur Zweckerreichung

c) Übermittlung muss angemessen sein, d.h. ihre Vorteile für die Allgemein-

heit dürfen nicht außer Verhältnis stehen zu den Nachteilen für den Be-

troffenen.

Vgl. den Sonderfall nach § 64 Abs. 2 SGB VIII für Übermittlung nach

§ 69 SGB X.

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2. § 76 SGB X bzw. § 65 SGB VIII (Anvertraute Daten)

a) Jugendamt hat das zur Übermittlung vorgesehene Datum

- vom Träger eines Berufsgeheimnisses nach § 203 Abs. 1 StGB er-

halten (außer bei Gutachtendaten, wenn der Betroffene nicht

widerspricht oder bei Kontrolldaten)

- im Rahmen erzieherischer/persönlicher Hilfe anvertraut bekommen

b) Besteht (fiktive) strafrechtliche Offenbarungsbefugnis?

aa) Einwilligung?

bb) Höherrangige gesetzliche Mitteilungspflicht(z.B. nach § 76 Abs. 2

SGB X) oder – befugnis (z.B. nach Art.1 § 4 BKiSchG )?

cc) Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB)?

c) Zusätzliche Weitergabebefugnisse nach § 65 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 und 4

SGB VIII?

aa) bei Zuständigkeitswechsel

bb) zur Risikoeinschätzung.

3. Übermittlung ins Ausland (§ 77 SGB X)?

a) In Europa, wenn

aa) zur Erfüllung einer (eigenen) SGB-Aufgabe oder einer entsprechenden

Aufgabe des Empfängers oder

bb) zur Abwehr falscher Behauptungen des Betroffenen oder

cc) zum Arbeitsschutz oder

dd) bei Verletzung der Unterhaltspflicht.

b) In außereuropäischen Staat (oder über- oder zwischenstaatliche Stelle)

(1) mit angemessenem Datenschutzniveau:

wie bei a)

(2) ohne angemessenes Datenschutzniveau:

aa) zur Erfüllung einer SGB-Aufgabe oder für ein damit zusammen-

hängendes gerichtliches Verfahren und

bb) keine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange.

c) In jedem Fall ist Übermittlung nur zulässig, wenn

aa) keine Beeinträchtigung schutzwürdiger Belange und

bb) Einwilligung oder

cc) aufgrund von Abkommen oder

dd) für gerichtliches Verfahren, wenn

- Voraussetzungen des § 69 Abs. 2 oder des § 73 SGB X vorliegen

- angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet ist.

ee) Immer Hinweis auf Zweck der Übermittlung notwendig.

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Prüfschema zum Datenschutz bei Kindeswohlgefährdung

I. Übermittlungsbefugnis

1. Eingriff in Sozialgeheimnis? § 35 Abs. 1 SGB I i.V.m. § 61 Abs. 1 SGB VIII - Sozialleistungsträger (§§ 18 - 29 SGB I) - Sozialdatum (§ 67 Abs. 1 SGB X) - Übermittlung (§ 67 Abs. 6 Nr. 3 SGB X)

2. Zulässigkeit des Eingriffs? § 35 Abs. 2 SGB I i.V.m. §§ 67b, d SGB X i.V.m. a) § 68 SGB X

- (gültiges) Ersuchen der Polizei - übermittlungsfähiges Datum (Adresse ...)

b) § 69 SGB X i.V.m. § 64 Abs. 2, 2a SGB VIII - Erfüllung einer Aufgabe nach dem SGB (Abs. 1 Nr. 1) oder damit im

Zusammenhang stehendes gerichtliches Verfahren (Abs. 1 Nr. 2) - Erforderlichkeit für diese Aufgabenerfüllung - die Übermittlung darf den Erfolg einer Leistung gem. § 2 Abs. 2

SGB VIII nicht gefährden - Anonymisierung oder Pseudonymisierung der Sozialdaten

c) § 73 SGB X - Anordnung durch den Richter - Verbrechen (gem. § 12 StGB) oder Vergehen von erheblicher

Bedeutung, insbesondere § 176 StGB (sexueller Missbrauch von Kindern) § 225 StGB (Misshandlung von Schutzbefohlenen)

bei anvertrauten Daten zusätzlich:

II. Weitergabebefugnis

1. Eingriff gem. § 65 SGB VIII? a) anvertrautes Datum b) bei persönlicher oder erzieherischer Hilfe

2. Zulässigkeit des Eingriffs? a) Nr. 1:

Einwilligung des Anvertrauenden b) Nr. 2:

Gefährdungsschwelle des § 1666 BGB +

Entscheidung des Familiengerichts +

Leistung des Jugendamts gem. § 2 Abs. 2 SGB VIII c) Nr. 3:

bei Zuständigkeitswechsel d) Nr. 4:

zur Einschätzung des Gefährdungsrisikos - Anonymisierung oder Pseudonymisierung

e) Nr. 5: Rechtfertigender Notstand (§ 34 StGB) oder Mitteilungsbefugnis (an JA) nach § 4 KKG

Beachte: (1) Für Tätigkeit des AB/AP/AV gilt nur § 68 SGB VIII. (2) Für Angehörige einer Berufsgruppe nach § 203 Abs. 1 StGB gilt

zusätzlich die strafrechtliche Schweigepflicht aus § 203 Abs. 1 StGB.

© Kunkel 2016

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Schaubild: Weitergabe von Daten durch das Jugendamt im Rahmen des Schutzauftrages

Beteiligung weiterer (externer)

Fachkraft zur Einschätzung

des Gefährdungsrisikos

Einrichtung eines

freien Trägers

anderes

andere Fachkraft Jugendamt

im Jugendamt

Familien-

Arzt gericht

Fachkraft

= Nutzen Polizei

Verwandte Schule

des Kindes

= Übermitteln

bzw. Erheben

Weitergabe bzw. Erheben ist zulässig, wenn zur Erfüllung des Schutzauftrages

erforderlich.

© Kunkel 2016

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Schaubild : Weitergabe von Daten durch freien Träger im Rahmen des Schutzauftrages

externe Fachkraft

andere

Einrichtung

andere Fachkraft Jugendamt

innerhalb der Einrichtung

Arzt

Fachkraft

= Nutzen Polizei

Verwandte

des Kindes Schule

= Übermitteln

bzw. Erheben

Weitergabe bzw. Erheben ist zulässig, wenn zur Erfüllung des Schutzauftrages

erforderlich.

© Kunkel 2016

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Datenschutz im Jugendamt (hier im Hilfeplanungsverfahren)

Verwaltungshandlung Schutzbereich Eingriff Befugnis

1. Diagnose/Anamnese bei

a) Kind

§ 61 SGB VIII i.V.m. § 35 Abs. 1

SGB I i.V.m. § 67 Abs. 1 SGB X

Erhebung

(§ 67 Abs. 5 SGB X)

§ 62 SGB VIII:

- Abs. 1: erforderlich

(§ 27 SGB VIII)

- Abs. 2: Betroffener

(§ 67 Abs. 1 SGB X)

b) Eltern wie oben wie oben wie oben (eigene Daten)

Kindesdaten:

§ 62 Abs. 2 Nr. 1 SGB VIII oder

§ 62 Abs. 3 Nr. 1 und 2a SGB VIII

c) Umfeld (Schule ...) wie oben wie oben wie oben (bei Eltern)

2. Beratung im Team wie oben (wenn personenbezogen) Nutzung

(§ 67 Abs. 7 SGB X)

§ 67c Abs. 1 SGB X

3. Mitteilung an WJH wie oben und (bei anvertrauten

Daten) § 65 SGB VIII

Nutzung; bei anvertrauten Daten

auch Weitergabe i.S.v. § 65

SGB VIII

§ 67c Abs. 2 Nr. 1 SGB X; bei

anvertrauten Daten § 65 Nr. 1

SGB VIII

4. Mitteilung an „Erfüllungs-

gehilfen“ (Pflegeperson/

Heim ...)

wie oben - Übermittlung

(§ 67 Abs. 6 Nr. 3 SGB X)

§ 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X i.V.m.

§ 27 SGB VIII, § 64 Abs. 1 u. 2

SGB VIII

- Weitergabe § 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII

(§ 65 Abs. 1 SGB VIII) § 76 SGB X, § 203 Abs. 1 StGB

(Arzt ...)

5. Dokumentation wie oben Speicherung

(§ 67 Abs. 6 Nr. 1 SGB X)

§ 63 SGB VIII

© Kunkel 2014

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Rechte des Betroffenen

I. Datenschutzbeauftragter

1. des Landes:

§§ 81 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 S. 2 u. 3 SGB X i.V.m. LDSG (z.B. § 27 LDSG BW)

2. kommunaler:

§ 81 Abs. 4 S. 3 u. 4 SGB X i.V.m. LDSG (z.B. § 32a DSG NRW und § 11

LDSG Rheinland-Pfalz: ja; § 10 LDSG Baden-Württemberg und § 11 Sächs.

DSG: nach Ermessen der Behörde)

3. bei freiem Träger:

BDSG gilt für freie Träger (§ 1 Abs. 2 Nr. 3); § 4f verpflichtet sie zur Bestellung.

Aber nach § 1 Abs. 3 BDSG hat das SGB X Vorrang, wenn sie abgeleiteter

Normadressat des §35 SGB I sind. Nach § 81 Abs. 4 S. 1 SGB X ist dann aber

§ 4f BDSG entsprechend anwendbar.

II. Auskunftsrecht

§ 83 SGB X

Beachte:

Daneben besteht ein Akteneinsichtsrecht nach § 25 SGB X (vgl. S. 41)

Vgl. die Extra-Übersicht S. 41.

III. Sperrung/Löschung

§ 84 SGB X

Vgl. die Extra-Übersicht S. 44.

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Prüfschema: Akteneinsichtsrecht in der Jugendhilfe

(§ 25 SGB X)

1. Verwaltungsverfahren? (§ 8 SGB X). Verwaltungsverfahren endet mit Erlass des VA. Das Widerspruchsverfahren ist ein neues Verwaltungsverfahren (§ 62 SGB X); ebenso das Aufhebungsverfahren nach §§ 44-48 SGB X nach Bestandskraft des VA. Im gerichtlichen Verfahren gilt § 100 VwGO. Außerhalb eines Verwaltungsverfahrens steht Akteneinsicht im Ermessen; ebenso bei freien Trägern.

2. Einsichtsberechtigter? Beteiligter (§ 12 SGB X). Der Beteiligte kann entweder selbst die Akteneinsicht begehren oder sich dabei vertreten lassen (§ 13 SGB X). Die Akteneinsicht ist eine Verfahrenshandlung und setzt daher Handlungsfähigkeit (§ 11 SGB X) voraus; Minderjährige haben diese mit 15 Jahren.

3. Gegenstand? Alle Akten, die das Verfahren betreffen (auch Nebenakten, nicht aber Vorarbeiten).

4. Erforderlichkeit? Weit auszulegen: alles, was der Interessenvertretung förderlich sein könnte; bloß wirtschaftliches Interesse genügt nicht.

5. Grenze? Sozialgeheimnis eines Dritten bei berechtigten Interessen (§ 25 Abs. 3 SGB X).

6. Rechtsfolge? Rechtsanspruch. Unmittelbare Akteneinsicht bei der Behörde (§ 25 Abs. 4 S. 1 SGB X); nur mittelbare Akteneinsicht (vermittelt über einfühlsame Personen) bei „Schockdaten“ (§ 25 Abs. 2 SGB X). Ausnahmsweise (wenn Anreise unzumutbar) ist die Akteneinsicht auch bei anderen Behörden möglich oder kann durch Zusendung an ein Anwaltsbüro erfolgen.

7. Kopien?

Ja, aber auf eigene Kosten (§ 25 Abs. 5 S. 1 SGB X).

8. Rechtsbehelfe? Widerspruch gegen ablehnende Entscheidung, aber nur gleichzeitig mit Rechtsbehelf gegen die Entscheidung in der Sache selbst (§ 44a VwGO). Einstweilige Anordnung daneben ist nicht möglich.

9. Unterscheide: a. Auskunft über Daten nach § 83 SGB X b. Akteneinsicht nach InformationsfreiheitsG (nur bei Bundesbehörden, aber auch in den

meisten Ländern nach Landesgesetz). c. Akteneinsichtsrecht des Gemeinderats, das sich nach der Gemeindeordnung und der

Hauptsatzung richtet. d. Dateninformation im Vormundschaftswesen nach § 68 Abs. 3 SGB VIII. e. Akteneinsicht in Vermittlungsakten nach § 9b AdVermiG.

5 Aus: Kunkel, Jugendhilferecht, 8. Aufl. 2015

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41

Das Auskunftsrecht gem. § 83 SGB X

Auskunfts-

berechtigter

Betroffener i.S.v. § 67 Abs. 1

S. 1 SGB X

§ 83 Abs. 1 S. 1 SGB X

Auskunftsver-

pflichteter

Verantwortliche Stelle i.S.d.

§ 67 Abs. 9 SGB X (auch bei

verlängertem Sozialdaten-

schutz gem. § 78 SGB X oder

§ 61 Abs. 3 SGB VIII)

§ 83 Abs. 1 S. 4 SGB X

Gegenstand

der Auskunft

Information über

- die eigenen Daten des Be-

troffenen, soweit sie

Sozialdaten i.S.d. § 67

Abs. 1 S. 1 SGB X und

gespeichert i.S.v. § 67

Abs. 6 S. 2 Nr. 1

SGB X sind

- ihre Herkunft

- ihren Empfänger

- den Zweck der Speicherung

§ 83 Abs. 1 S. 1 SGB X

Mitwirkung

des Berech-

tigten

- Antrag § 83 Abs. 1 S. 1 SGB X

- Bezeichnung der Art der

Daten („soll“)

§ 83 Abs. 1 S. 2 SGB X

- Suchhinweise bei Akten-

daten („muss“)

§ 83 Abs. 1 S. 3 SGB X

Anspruchsvor

aussetzungen

bei Aktendaten muss Such-

aufwand verhältnismäßig sein

§ 83 Abs. 1 S. 3 SGB X

Form des

Auskunftsver-

fahrens

- Ermessen (beachte § 39

SGB I)

§ 83 Abs. 1 S. 4 SGB X

- bei „Schockdaten“ Aus-

kunft durch geeigneten

Vermittler

§ 83 Abs. 1 S. 5 SGB X i.V.m. § 25

Abs. 2 SGB X

Kosten keine § 83 Abs. 7 SGB X

Anspruchs-

ausschluss

(Ermessens-

auskunft)

bei Archivdaten und Daten

zur Datensicherung und Da-

tenkontrolle, wenn Aufwand

unverhältnismäßig

§ 83 Abs. 2 SGB X

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Verbot der

Auskunft

bei

- Gefährdung der Aufgaben-

erfüllung

§ 83 Abs. 4 Nr. 1 SGB X

- Gefährdung der öffent-

lichen Sicherheit

§ 83 Abs. 4 Nr. 2 SGB X

- Nachteilen für das öffent-

liche Wohl

§ 83 Abs. 4 Nr. 2 SGB X

- Geheimhaltungspflicht,

insbesondere wegen über-

wiegender Interessen Drit-

ter

nach Abwägung gegen Infor-

mationsinteresse

§ 83 Abs. 4 Nr. 3 SGB X

Zustimmungs-

bedürftigkeit

der Auskunft

bei Übermittlung

- an Justiz wegen Strafver-

folgung

- an Polizeibehörden wegen

Gefahrenabwehr

- an Geheimdienste wegen

Sicherheitsgefährdung

§ 83 Abs. 3 SGB X

Begründungs-

pflicht bei Ab-

lehnung der

Auskunft

Grundsätzlich immer, Aus-

nahme: Begründung würde

den mit der Ablehnung ver-

folgten Zweck gefährden.

§ 83 Abs. 5 S. 3 SGB X, § 35 SGB X

Anrufung des

Landesbeauf-

tragten für

Datenschutz

- wegen fehlender Begrün-

dung der Ablehnung (Hin-

weis in Rechtsbehelfsbeleh-

rung)

§ 83 Abs. 5 S. 2 SGB X

- wegen Ablehnung der Aus-

kunft (zur Überprüfung der

Rechtmäßigkeit)

§ 83 Abs. 6 SGB X

Förmliche

Rechtsbehelfe

bei Untätigkeit oder Verwei-

gerung der Auskunft Wider-

spruch und Verpflichtungs-

klage

§ 68 bzw. § 42 VwGO

© Kunkel 2015

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43

Berichtigung, Löschung und Sperrung gem. § 84 SGB X

gesetzliche

Definition Voraussetzungen Folgen

Regelung

§ 84 SGB X Berichti

gung

--- Datum ist unrichtig - Löschung des unrichtigen und

Speicherung des richtigen

Datums

Abs. 1 S. 1

- bei Unaufklärbarkeit der Rich-

tigkeit:

Abs. 1 S. 2

Vermerk über Unaufklärbar-

keit

Hinweis auf Strittigkeit des

Datums bei weiteren Nutzun-

gen oder Übermittlungen

Abs. 1 S. 3

- Informationsgebot über Strittig-

keit des Datums und über Be-

richtigung an regelmäßige

Datenabnehmer

Abs. 5

Lö-

schung

§ 67 Abs. 6

S. 2 Nr. 5

SGB X

Unzulässigkeit der

Speicherung

- Schwärzen oder Vernichten des

Datums

Abs. 2

- von vornherein

- nachträglich durch

nicht mehr be-

nötigte Daten u.

keine Beein-

trächtigung

schutzwürdiger

Interessen des

Betroffenen

- Information regelmäßiger Ab-

nehmer über Löschung

Abs. 5

Sper-

rung

§ 67 Abs. 6

S. 2 Nr. 4

SGB X

Voraussetzungen für

Löschung liegen vor,

aber

- normative Auf-

bewahrungsfrist

verbietet Löschung

- Löschung würde

schutzwürdige In-

teressen beein-

trächtigen

- Löschung ist nur

mit unangemesse-

nem Aufwand

möglich

- Verbot der Verarbeitung und

Nutzung, außer

Abs. 4

für Wissenschaft Nr. 1

für Beweiszwecke Nr. 1

unerlässlich für einen sons-

tigen Zweck,

Nr. 1

wenn freies Datum auch für diese

Zwecke einsetzbar gewesen wäre; Nr. 2

- Information an regelmäßige Abnehmer über Sperrung

Abs. 5

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44

Sanktionen bei Verletzung von Sozialdatenschutzbestimmungen

(1) Ordnungswidrigkeit

§ 85 SGB X

(2) Straftat

(a) § 203 Abs. 1 und 2 StGB

(b) § 85a SGB X

Vgl. die Extra-Übersicht S. 45

(3) Disziplinarvergehen

§ 37 BeamtStG

§ 61 LBG/§ 3 TVöD

(4) Schadensersatz

§ 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG oder

§ 823 BGB jeweils i.V.m. § 253 BGB

§ 82 SGB X i.V.m. § 7 BDSG

(5) Rechtswidrigkeit des VA

(a) der Sachentscheidung

(b) der Übermittlungshandlung

(6) Folgenbeseitigungsanspruch

§ 40 VwGO (Rechtsweg)

§ 113 Abs. 1 S. 2 VwGO analog (Klagart)

(7) Unterlassungsanspruch

§ 40 VwGO (Rechtsweg)

§ 1004 BGB analog (Klagart)

(8) Verwertungsverbot

§ 78 Abs. 1 S. 1 SGB X

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45 Übersicht über Straf- und Bußgeldvorschriften

bei Verletzung des Sozialgeheimnisses Straf-/Buß-geldvor-schriften

§ 85 SGB X § 85a SGB X § 203 Abs. 1 und 3 StGB

§ 203 Abs. 2 StGB

§ 353b StGB

Tatgegen-stand

Sozialdaten (§ 67 Abs. 1 S. 1 und 2 SGB X)

Sozialdaten (§ 67 Abs. 1 S. 1 SGB X)

- Geheimnis - anvertraut/

bekannt ge-worden

- Geheimnis - anvertraut/

bekannt ge-worden

- Geheimnis - anvertraut/

bekannt ge-worden

Tathand-lung

Abs. 1: - Verletzung der

Zweckbindung als Datenempfänger nach § 78 SGB X durch Verarbeiten oder Nutzen (ohne Übermitteln)

- Verletzung des § 80 Abs. 4 SGB X als Daten-verarbeiter im Auftrag

- (Nr. 3 ist für die Jugendhilfe nicht einschlägig)

Abs. 2: - unbefugtes Erhe-

ben u. Verarbeiten - unbefugter Abruf - Erschleichen von

Daten - unbefugte Weiter-

gabe

Handlung nach § 85 Abs. 2 SGB X in Be-reicherungs- oder Schädi-gungsabsicht

- Offenbaren - ohne Be-

fugnis (insb. Einwilli-gung, höher-rangige ge-setzliche Mitteilungs-pflicht, rechtferti-gender Not-stand)

- Offenbaren - ohne Be-

fugnis (zur Aufgaben-erfüllung der öffentlichen Verwaltung mit Befugnis nach §§ 68 bis 76 SGB X und §§ 64 Abs. 2, 65 SGB VIII)

- Offenbaren - unbefugt

(wie § 203 Abs. 2)

- Gefährdung wichtiger öf-fentlicher Interessen

Täter jeder Mitarbeiter ei-ner SGB-Stelle und jeder Empfänger ei-nes Sozialdatums

jeder Mitarbei-ter einer SGB-Stelle und jeder Empfänger eines Sozial-datums

Träger eines Berufsgeheim-nisses und Ge-hilfen

- Amtsträger - besonders

Verpflich-tete

- Amtsträger - besonders

Verpflich-tete

Schuld Vorsatz oder Fahr-lässigkeit

Vorsatz oder Absicht

Vorsatz Vorsatz Vorsatz

Strafe/ Bußgeld

Geldbuße bis zu 25.000,- € (Abs. 1) bzw. bis 250.000,- € (Abs. 2)

Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe

Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geld-strafe; bei Qualifikation nach Abs. 5: Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe

Freiheitsstrafe bis zu 1 Jahr oder Geld-strafe; bei Qualifikation nach Abs. 5: Freiheitsstrafe bis zu 2 Jahren oder Geldstrafe

Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe

Strafver-folgungs-voraus-setzungen

Opportunitätsprinzip Antrag Antrag Antrag Ermächtigung durch oberste Landesbehörde

Konkur-renzen

Tateinheit möglich zwischen § 85a SGB X und § 203 Abs. 1 und Abs. 2 StGB sowie § 303a StGB (Datenveränderung); Tatmehrheit mit § 353b StGB

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Hinweis

Veröffentlicht am 18.01.2016 unter http://www.SGBVIII.de/S60.pdf