David Hume & Hans Jonas. Zwei philosophische Gottesbilder. Vergleich, Kritik und Erweiterung.

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David Hume & Hans Jonas

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Die Frage nach dem Wesen Gottes wohl eine der heikelsten Fragen der Philosophie überhaupt. In keinem anderen Feld sind die Möglichkeiten für unterschiedlichste und doch wahrscheinliche Annahmen so groß wie hier. In keinem anderen Feld der Philosophie jedoch ist die Aussicht auf Gewissheit so fern. Gewissheit wäre wohl nur in einem Fall möglich, und zwar, dass der Mensch die Gesamtheit der Welt annähernd zu durchschauen vermag. Da wir hier jedoch in me

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Hans Jonas

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3 Einleitung

Die Frage nach dem Wesen Gottes wohl eine der heikelsten Fragen der Philosophie

überhaupt. In keinem anderen Feld sind die Möglichkeiten für unterschiedlichste und doch

wahrscheinliche Annahmen so groß wie hier. In keinem anderen Feld der Philosophie jedoch

ist die Aussicht auf Gewissheit so fern. Gewissheit wäre wohl nur in einem Fall möglich, und

zwar, dass der Mensch die Gesamtheit der Welt annähernd zu durchschauen vermag. Da wir

hier jedoch in mehrerlei Hinsicht als Menschen so deutlich unterlegen sind, ist diese Aussicht

mehr als zweifelhaft.

So ist es also kaum verwunderlich, dass die Menschen auf der Erde zu unterschiedlichsten

Vorstellungen von Gott gelangten und dass die Philosophen mit unterschiedlichsten

Ansätzen versuchten der Vorstellung von Gott auf die Schliche zu kommen, ja zu „beweisen“

– nur um wieder von anderen Philosophen wiederlegt zu werden.

Ist die Frage nach dem Wesen Gottes nun deshalb sinnlos? Meines Erachtens ist diese Frage

zu verneinen, denn die Vorstellung die wir von Gott haben beeinflusst unser Handeln. Hier

wäre der Verweis auf den Soziologen Max Weber wohl ziemlich interessant, der den Einfluss

der Religion auf wirtschaftliches Handeln untersuchte. Auf ihn soll hier jedoch nicht näher

eingegangen werden.

Im ersten Teil der Arbeit werde ich 2 vergleichsweise modernere Versuche, das Wesen

Gottes zu definieren, vorstellen. David Humes Werk „Dialoge über natürliche Religion“ ist ein

Versuch aus der Zeit der Aufklärung. David Hume versucht sich dem Wesen Gottes dialogisch

zu nähern, liefert also die meisten Kritikpunkte der darin enthaltenen These mit. Hans Jonas

Werk „Der Gottesbegriff nach Ausschwitz“ beschäftigt sich aus jüdischer Perspektive mit der

Frage nach dem Wesen Gottes. Er geht im Wesentlichen auf das Theodizee-Problem ein.

Anschließen an die Darstellung der beiden Werke soll sich der kritische Teil der Arbeit, der

danach fragt, ob die Gottesbilder in der Gestalt, wie sie in den Werken präsentiert werden,

heute noch tragfähig sind. Darin enthalten ist auch der Versuch eines Zusammenschlusses

der beiden Thesen bei dem auch andere Einflüsse deutlich gemacht werden sollen.

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4 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

David Humes posthum erschienenes Werk „Dialoge über natürliche Religion“ gilt als

wichtigstes Werk des schottischen Philosophen. Dieser verzichtete auf anraten seiner

Freunde darauf das Werk noch zu Lebzeiten zu veröffentlichen, da diese – wie auch er selbst

- die theologische Sprengkraft als äußerst hoch ansahen. Hume vermachte das Werk

zunächst seinem Freund und Verleger Adam Smith mit der Bitte, jenes nach seinem Tod zu

veröffentlichen, fügte jedoch die zusätzliche Klausel an, dass das Werk an seinen Neffen

David Hume d. J. zur Veröffentlichung zufallen sollte, falls Smith seiner Bitte nicht binnen

einer Frist von 3 Jahren nachkommen sollte. Smith verzichtete auf die Veröffentlichung des

Werkes, sodass David Hume d. J. die Ehre/Verantwortung zuteilwurde, jenes zu

veröffentlichen. Er tat dies noch „im Sommer 1779, bald nachdem die Frist verstrichen war,

die Hume seinem Verleger gesetzt hatte.“1 Die Reaktionen auf das Werk blieben jedoch

deutlich hinter den Erwartungen zurück, was wohl an der gewählten Darstellungsform des

Dialogs, mit der damit einhergehenden Schwierigkeit, Humes Position zu lokalisieren,

einhergeht.2

Erzähler ist Pamphilus, Schüler des Cleanthes, der einem Gespräch zwischen Cleanthes und

seinen beiden Freunden Philo und Demea beiwohnen durfte und den Ablauf desselben nun

in einem Brief an seinen Freund Hermippus darstellt. Durch Pamphilus rechtfertigt Hume

eben genannte Form des Dialogs gleich zu Beginn seines Werkes. So schreibt Pamphilus an

Hermippus:

„Ein Lehrstück, welches so auf der Hand liegt, daß sich kaum darüber streiten lässt, welches aber zugleich so

wichtig ist, daß es nicht zu oft eingeschärft werden kann, scheint eine solche Behandlung zu erfordern […].

Andererseits scheint eine philosophische Frage, die so dunkel und ungewiss ist, daß menschliche Vernunft

in ihr zu keiner bestimmten Entscheidung gelangen kann, wenn anders von ihr überhaupt gehandelt

werden muss, natürlicherweise auf die Form des Dialogs und des Gesprächs zu führen.“3

1 Hume, David, 2007

7: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix

Meiner Verlag. S. XIII 2 Vgl. Ebd. S. XIV

3 Ebd. S.2

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5 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

Bezogen auf das Thema, erklärt Pamphilus, seien beide Umstände von Belang. In der Frage

nach dem Dasein Gottes treffe der Erstgenannte zu, denn keine „Wahrheit ist so offenbar, so

gewiß wie das Dasein Gottes.“4 Damit folgt Hume höchstwahrscheinlich dem Zeitgeist. Die

Existenz Gottes an sich in Frage zu stellen war wohl entweder für ihn selbst undenkbar oder

zumindest philosophisch, vor dem Hintergrund einer noch überaus mächtigen Kirche, nicht

tragbar.

So klar laut Hume die Frage nach der Existenz Gottes ist, so unklar stellt sich die Frage nach

dessen Wesen dar, sodass hier der zweitgenannte Umstand in Kraft tritt. Dies zeigt sich auch

im, den Hauptteil des Werkes darstellenden, Dialog zwischen Cleanthes, Philo und Demea.

Beginnen will ich mit einer Klärung der jeweiligen Standpunkte, von denen aus die drei

Gesprächsteilnehmer den Dialog über die Natur Gottes prägen.

Die drei Figuren des Dialoges sind von Hume mit deutlich unterschiedlichen philosophischen

Grundeinstellungen ausgestattet.

Cleanthes vertritt die Tradition der stoischen Schule.

Dieser geht zurück auf ein historisches Vorbild, einem stoischen Philosophen der Antike.

Der historische Cleanthes war Schüler des Zeno und übernahm nach Abschluss seines

Studiums den Lehrstuhl der Stoa zu Athen ein.5 Ihm wird als Grundsatz seiner Lehre das

naturgemäße „Leben zugeschrieben, in sofern als des Menschen höchste Bestimmung eine

mit der Harmonie des Weltalls, mit der Natur übereinstimmende Lebensweise, anzustreben

sey“6 Diese Einflüsse finden sich auch in den Theorien des hume‘schen Cleanthes wieder,

dem sich in der Beschaffenheit der Welt stets Zweck und Absicht aufdrängen, was dieser

dann auf einen göttlichen Weltbaumeister zurückführen möchte.

Philo hingegen ist von Hume als Vertreter der skeptischen Schule konzipiert. Auch er beruht

auf einem historischen Vorbild, namentlich Philo von Larissa. Dieser lehrte nach seiner Flucht

in den Wirren des mithridatischen Kriegs von Athen nach Rom an der Akademie. Zu seinen

Schülern gehörte unter anderem Cicero, welcher auch für Hume einen großen Einfluss

darstellt. Der Standpunkt des historischen Philo war ein entschärfter Skeptizismus, den

4 Hume, David, 2007

7: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix

Meiner Verlag. S. 2 5 Vgl. Von Pauly, August Friedrich, 1842: Real-Enzyklopädie der classischen Altertumswissenschaften. Band II.

Stuttgart: Verlag der Meßler’schen Buchhandlung. S.432 ( http://books.google.de/books?id=APFaAAAAQAAJ &pg=PP7#v=onepage&q&f=false ) 6 Ebd.

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6 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

derselbe im Laufe seines Lebens herausbildete. Ausschlaggebend hierfür war wohl, dass

Philo nicht wie Pyrrho die bloße Zerstörung von Dogmen als hinreichend für das Erreichen

von Glückseligkeit erachtete, sondern zudem die Anweisung zum rechten Verhalten als

notwendig zum Erreichen derselben befand.7 Dieses rechte Verhalten benötigte jedoch die

Möglichkeit des wissenschaftlichen Erkennens des Richtigen - eine Folgerung die mit den

Ansichten des radikalen Skeptizismus nicht aufrecht zu erhalten war. Zwar leugnete Philo

noch immer „die Möglichkeit eines vollkommenen Wissens, eines Begreifens […] in dem er

[…] ein sicheres Merkmal zur Unterscheidung von wahr und falsch vermisste.

Nichtsdestoweniger wollte er aber doch nicht auf alle Sicherheit der Überzeugung

verzichten, und nicht einräumen, dass mit der Begeiflichkeit der Dinge alles Wissen

überhaupt stehe und falle.“8

Der Philo Humes bestreitet, ganz in der Tradition seines skeptischen Vorbildes, die

Möglichkeit, irgendwelche Aussagen über das Wesen Gottes machen zu können.

„…wenn wir unser Nachdenken auf die beiden Ewigkeiten richten , die dem gegenwärtigen Stand der Dinge

vorausgehen und folgen, auf die Schöpfung und Gestaltung der Welt, die Existenz und Beschaffenheit von

Geistern […] müßten wir ohne die mindeste Neigung zum Skeptizismus sein, wenn wir uns dieser Einsicht

verschließen wollten, daß wir hier über den Bereich unserer Fähigkeiten hinausgeraten sind.“ 9

Er lässt sich aber am Ende des Dialogs doch dazu hinreisen mit seinem Widerstand gegen

Cleanthes Thesen zu brechen und einzugestehen, dass sich Zweck, Absicht oder Plan auch

dem oberflächlichsten und stumpfsinnigsten Denker überall aufdrängen. 10 Dies lässt

wiederum einen Querverweis auf den historischen Philo zu, der sich ebenfalls nicht gegen

die Notwendigkeit der geringsten Überzeugung erwehren konnte.

Ähnlich wie Philo vertritt auch Demea die Ansicht, dass die Schwachheit des menschlichen

Verstandes dazu führt, dass den Menschen die Natur Gottes völlig unbegreiflich und

unbekannt ist.11 Allerdings gründet bei Demea diese Sichtweise nicht in einer skeptischen

Weltanschauung, sondern in einer orthodox-religiösen. Dies wird unter anderem in

Pamphilus‘ Vorrede deutlich, der Demea als rechtgläubig charakterisiert, andererseits auch

7 Vgl. Zeller, Eduard, 1863

2: Die Philosophie der Griechen. In ihrer geschichtlichen Entwicklung dargestellt.

Dritter Theil. Erste Abtheilung. Leipzig: Fues’s Verlag. S. 522ff ( http://books.google.de/books?id=4lZ3L-W8KrQC&printsec=frontcover&source=gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false ) 8 Ebd. S. 527f

9 Hume, David, 2007

7: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix

Meiner Verlag. S. 10 10

Vgl. Ebd. S. 105 11

Ebd. S. 17

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7 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

in der Aussage Demeas, dass es als Frevel anzusehen sei, Einblick in das Wesen Gottes

gewinnen zu wollen.12 Hier werden Parallelen zum 3. Gebot der Christen und Juden deutlich,

wo es heißt: „Fertige dir kein Gottesbild an. Mach dir auch kein Abbild von irgend etwas im

Himmel auf der Erde oder im Meer.“13

Die Einstellung Demeas tritt hier in Konflikt mit den Erkenntnisbestrebungen von Cleanthes.

Als Philo die mit Demea geteilte Position verlässt und sich auf die Theorien von Cleanthes,

welche im nächsten Abschnitt beleuchtet werden sollen, einlässt, verlässt Demea gefrustet

die Gesellschaft. Das Hauptaugenmerk soll in dieser Arbeit jedoch auf den Beweis des

Cleanthes gerichtet sein, welche in den folgenden Abschnitten, samt einiger im Werk

enthaltenen Einwände, behandelt wird.

Nachdem die Gesellschaft in Teil I des Werkes die Standpunkte zum Ausdruck kamen und

über die Umsetzbarkeit des totalen Skeptizismus in reales Handeln diskutiert wurde, trägt

Cleanthes in Teil II seine Theorie von Gott als Weltenbaumeister vor.

Er beginnt zu beschreiben, wie die Welt dem aufmerksamen Betrachter wie „eine einzige

große Maschine [erscheinen muss,] die in eine unendliche Anzahl kleinerer Maschinen

geteilt ist, deren jede wieder bis zu einem Grade Unterteilungen gestattet, die menschliche

Sinne und Fähigkeiten nicht mehr verfolgen und zu erklären vermögen.“14 Konkretisiert man

diese Vorstellung und startet dabei beim uns Bekannten, der Erde, kann man diese

Hierarchisierung in zwei Richtungen denken, in Richtung Makrokosmos auf der einen und in

Richtung Mikrokosmos auf der anderen. Schreiten wir nun in Richtung Mikrokosmos und

Betrachten eine Pflanze. Jedes Jahr treibt sie aufs Neue aus und entwickelt Samen, welche in

folgenden Jahren für den (ewigen) Fortbestrand der Pflanze selbst in neuen Pflanzen, wie

somit auch der Art verantwortlich sind. Schauen wir aber tiefer in die Pflanze hinein eröffnen

sich uns ganz neue Systeme, beispielsweise der Bau, den Zerfall und die Teilung der Zellen,

gleich der Pflanze in ständigem Wechsel zwischen Zerstörung und neuem Leben.

Zellen hingegen sind aus Stoffen zusammengesetzt, die ihrerseits wieder durch komplexe

Reaktionen von Elementen erzeugt wurden. Doch auch die Elemente selbst sind nur

12

Vgl. Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg:

Felix Meiner Verlag. S. 17 13

Exodus 20,4 14

Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix

Meiner Verlag. S. 19f

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8 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

Zusammengesetzt. Sie bestehen aus Protonen, Neutronen und Elektronen welche wiederum

aus weiteren Bausteinen bestehen. Dies lässt sich fortsetzten bis in Bereiche hinein, die weit

der menschliche Erfahrung, ja sogar weit über die menschliche Theoriebildung hinaus

reichen.

Schreitet man, ausgehend von der uns umgebenden Erde in Richtung Makrokosmos tritt der

gleiche Effekt ein. Alle erwähnten Teile, oder „Maschinen“, wie Cleanthes sie nennt, „ sind

einander mit einer Genauigkeit angepasst, die jedermann, der sie jemals betrachtet hat, in

staunende Bewunderung versetzt.“15 Aus dieser Angepasstheit der Dinge, der „Angemessen-

heit von Mitteln und Zwecken in der ganzen Natur“, drängt sich ihm die Ähnlichkeit zu „den

Hervorbringungen menschlicher Kunst, menschlicher Absicht, Weisheit und Einsicht“ auf.

„Da also die Wirkungen einander gleichen, werden wir nach allen Regeln der Analogie zu

dem Schluß geführt, daß auch die Ursachen einander gleichen und daß der Urheber der

Natur dem Geist des Menschen einigermaßen ähnlich ist, freilich im Besitz viel größerer

Fähigkeiten, entsprechend der Größe des Werkes, das er hervorgebracht hat.“16

Cleanthes versucht also mittels eines Analogieschlusses vom erfahrbaren menschlichen

Schaffen und Gestalten auf die Schaffung der Welt durch einen göttlichen Schöpfer zu

schließen. Dieser Schluss erfährt heftige Kritik durch Philo, der zwar einen Gottesbeweis a

posteriori, also durch Erfahrung, grundsätzlich zulässt, aber Anstoß an der Analogie nimmt,

mit der Cleanthes seine Aussagen über das Wesen Gottes, also Gott als Weltbaumeister,

stützen will.

Eine Analogie sei umso verlässlicher, so Philo, je stärker die Fälle sich gleichen und umso

schwächer, je weniger Ähnlichkeit zwischen den Fällen herrsche. Die Unendlichkeit des

Universums, die Vielzahl der Mechanismen, sie lassen selbst die komplexeste oder größte

menschlich erschaffene Maschine einfach oder winzig erscheinen, wenn sie in Relation

zueinander gestellt werden. Hier sind die Wirkungen der so weit voneinander entfernt, dass

auf eine ähnliche Ursache der beiden Fälle zu schließen nichts weiter als Raten oder

Vermuten wäre.17

15

Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix

Meiner Verlag. S. 20 16

Ebd. 17

Vgl. Ebd. S. 21

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9 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

Ferner ließe sich zwar mit größter Wahrscheinlichkeit beim Betrachten eines Hauses durch

Erfahrung erschließen, dass dieses von einem Baumeister stamme, beim Betrachten des

Universums jedoch nicht unbedingt auf einen Schöpfer, da noch nie vor den Augen eines

Menschen Universen entstanden oder gebildet worden seien. Da jedoch eine so große

Entfernung zwischen Haus und Universum bestehen, lässt sich nicht vom einen auf das

andere schließen.

Doch auch dieser Einwand, und das ist der Grund warum Cleanthes trotzdem darauf besteht,

schließt die Zweckmäßigkeit und Absicht in der Natur nicht aus.

Aus jenem, eben genannten Grund führt Cleanthes also weitere Beispiele auf, die den

Eindruck, dass sich die Natur durch Absicht und Zweckmäßigkeit auszeichnet, stützen sollen.

Ein mehr logisch als emotional geprägtes Argument führt Cleanthes mit der Theorie der

organischen Bibliothek auf, welche die Absicht in der Natur gegenüber der Absicht in

menschlicher Kultur noch stärken soll:

Cleanthes macht hierfür zwei Annahmen, dass Bücher eine natürliche, weltweit einheitliche

Sprache sprechen und dass diese sich, gleich den Tieren, auf natürliche Art fortpflanzen.

Sodann stellt er die Frage, ob man sich bei der Lektüre eines der organischen Bücher, noch

bei der Behauptung verharren könne, dass dieses nicht ursprünglich durch Denken und

Absicht seines Autors entstanden sei.18

Das eben genannte Argument stößt jedoch bei Demea auf großes Unbehagen ob des

Anthropomorphismus, der in diesem Beispiel zur Geltung kommt. Er wendet ein:

„Wenn ich ein Buch lese, dringe ich ein in den Geist und die Absicht seines Verfassers; ich werde für einen

Augenblick gleichsam er selbst und habe ein unmittelbares Gefühl und Verständnis von den Vorstellungen,

die er im Geiste bewegte, als er sein Werk hervorbrachte. Aber so weit können wir uns der Gottheit

sicherlich nie annähern. Ihre Wege sind nicht unsere Wege. Ihre Eigenschaften sind vollkommen, aber

unbegreiflich.“19

Er führt fort, dass der Mensch sich selbst zum Urbild des gesamten Universums machen

würde, wenn er die Gottheit so verständlich, begreiflich und dem Menschengeist ähnlich

18

Vgl. Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg:

Felix Meiner Verlag. S. 32f 19

Ebd. S. 35

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10 David Hume – Dialoge über natürliche Religion

darstellt.20 Demzufolge und wie oben schon erwähnt beruft sich Demea auf die Schwachheit

des menschlichen Verstandes, die es ihm nicht erlaubt, Aussagen über Eigenschaften Gottes

zu tätigen.

Philo entgegnet Cleanthes, dass Gott, wenn dieser als menschenähnlicher Weltbaumeister

die Welt erschaffen habe, zuerst auf die Idee angewiesen war, die Welt, wie sie sich uns

darstellt und verschließt, in der Gestalt in der sie ist, herauszubilden. Woher nun die Idee

Gottes? „Wenn die materielle Welt auf einer ähnlichen idealen Welt beruht, so muß diese

wieder auf einer anderen beruhen, und so fort ohne Ende.“21

Auf Philo entgegnet Cleanthes, dass es ihm genüge diesen einen Schritt weiter zu sein. Er

sieht sich nicht in der Verpflichtung „alle neuen Fragen, die unaufhörlich aufgeworfen

werden können“22 zu beantworten, den infiniten Regress der somit entsteht, aufzulösen.

Demeas Standpunkt weist Cleanthes als unbefriedigend zurück, denn „Ein Geist, dessen Akte

und Empfindungen und Vorstellungen nicht unterschieden und aufeinanderfolgend sind, der

völlig einfach und aufeinanderfolgend sind, der völlig einfach, völlig unveränderlich ist, ein

Geist, der kein Denken, keine Vernunft, keinen Willen, kein Gefühl, keine Liebe, keinen Haß

hat, mit einem Worte, er ist überhaupt kein Geist.23

Cleanthes nimmt die Schöpfung durch einen dem Menschen ähnlichen Geist an, weil er

keinen anderen kennt.24

20

Vgl. Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg:

Felix Meiner Verlag. S. 36 21

Ebd. S. 42 22

Ebd. S. 44 23

Ebd. S. 40 24

Vgl. Ebd. S. 38

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11 Hans Jonas – Der Gottesbegriff nach Auschwitz

Wie der Titel schon vermuten lässt ist Hans Jonas ein Kind des frühen 20. Jahrhunderts.

Jonas der im theologisch-philosophisch geprägten Feld der Gnosis im Jahre 1928

promovierte wanderte 1933, also im Jahre der Machtübernahme durch die NSDAP, nach

London und von dort aus im Jahre 1934 nach Jerusalem aus. 1940-1945 war Jonas Soldat der

Britischen Armee. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im Jahre 1945 erfuhr Jonas von

der Deportation seiner Mutter nach Auschwitz. Bis auf die Zeitspanne zwischen 1948 und

1949, als Jonas Soldat bei der Israelitischen Armee war, widmete sich Jonas von dort an

seiner Akademischen Laufbahn.

Die grundsätzliche Frage, die sich Hans Jonas in seinem Werk „Der Gottesbegriff nach

Ausschwitz stellt, ist, wie die Hiobsfrage in Hinsicht auf die „Endlösung der Judenfrage“ zu

beantworten sei. Besonders schwer fällt hier der angebliche Bund des Volkes Israel und

seinem Gott25 gegenüber der Dehumanisierung der Nachkommen des Volkes, die den

Verbrechen in den Arbeits- und Vernichtungslagern zum Opfer fielen, ins Gewicht.

Jonas erläutert, dass entgegen der christlichen Heilserwartung vom Jenseits, der Jude „im

Diesseits den Ort der göttlichen Schöpfung, Gerechtigkeit und Erlösung sieht. [Für ihn] ist

Gott eminent Herr der Geschichte, und da stellt >Auschwitz< selbst für den Gläubigen den

ganzen überlieferten Gottesbegriff in Frage.“26

Um die Frage zu lösen hilft sich Jonas mit einem selbsterdachten Mythos aus.

„Im Anfang, aus unerkennbarer Wahl, entschied der göttliche Grund des Seins, sich dem Zufall, dem Wagnis

und der endlosen Mannigfaltigkeit des Werdens anheimzugeben. Und zwar gänzlich: Da sie einging in das

Abentheuer von Raum und Zeit, hielt die Gottheit nichts von sich zurück; kein unergriffener und immuner

25

Vgl. Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 10 26

Ebd. S. 14

Page 12: David Hume &  Hans Jonas. Zwei philosophische Gottesbilder. Vergleich, Kritik und Erweiterung.

12 Hans Jonas – Der Gottesbegriff nach Auschwitz

Teil von ihr blieb, um die umwegige Ausformung ihres Schicksals in der Schöpfung vom jenseits her zu

lenken, zu berichtigen und letztlich zu garantieren.“27

Dieser Mythos besagt also, dass Gott alles seiende schuf, indem er sich vollkommen darin

aufgab. Der transzendente Gott vollzog einen Wandel zur bedingungslosen Immanenz. Eine

Immanenz jedoch, die nicht einfach Identität von Gott und Welt bedeutet, sondern

Immanenz in dem Sinne, dass die Welt überhaupt nur dadurch entstand, dass Gott seinem

Sein entsagte.28

Lange wird diese sich selbst überlassene Welt brauchen, bis sich aus ihrer Materie, durch

Zufall in Person der Permutation, das erste Leben regt. Mit diesem erwacht auch wieder die

Transzendenz. Mit der Ausdifferenzierung und Entwicklung des Lebens, mit dem

zunehmenden Erscheinen von Fühlen, Wahrnehmen, Streben und Handeln erstarkt diese

„Ewigkeit“, wie Jonas sie nennt, „und zum erstenmal kann der erwachende Gott sagen, die

Schöpfung sei gut.“29

Das erstarken der Transzendenz lässt sich meines Erachtens folgendermaßen verstehen:

Tote Materie fühlt nicht, nimmt nicht wahr, strebt nicht und handelt nicht - denn sie Lebt

nicht. Je stärker aber diese Faktoren werden, desto mehr erstarkt die Transzendenz; denn

Leben heißt reagieren auf die Umwelt. Habe ich Hunger, so esse ich! Wovon nehme ich mir

zu essen? Von meiner Umwelt! Leben bedeutet also, auch wenn es auf Triebsteuerung

reduziert ist, in Wechselwirkung mit der Natur zu treten.

Mit dem Leben jedoch tritt auch der Tod ein. Leben ohne Tod würde Stagnation bedeuten,

wäre Auslassen von Möglichkeiten des lebendig Seienden und damit Auslassen von

Möglichkeit weiterer Selbsterfahrung des göttlichen Grundes.30 Die Nichtexistenz des Todes,

das ewige Leben, wäre Stagnation der eben erwachten Transzendenz, denn zu ihrer vollen

Kraft gelangt die Transzendenz erst mit dem Leben das fragt. Leben das sich mit seinem Sein

auseinandersetzt, das reflektiert. Gemeinhin nehmen (wir Menschen) an, dass das Leben

diese Stufe mit der Menschwerdung erklomm.

Mit der Reflektion der Umstände, dem erkennen des Seienden, gehen jedoch auch Wissen,

das ist einleuchtend, und Freiheit - als Veränderung des Erkannten, als Einsatz des Wissens -

27

Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 16 28

Vgl. Ebd. S. 16 29

Ebd. S. 18 30

Vgl. Ebd. S. 20

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13 Hans Jonas – Der Gottesbegriff nach Auschwitz

einher. Mit der allgemeinen Freiheit geht die spezifische Freiheit zwischen Gut oder Böse zu

entscheiden, welche zugleich die Verantwortung des Menschen ausmacht.31

„Mit dem Erscheinen des Menschen erwachte die Transzendenz zu sich selbst und begleitet

hinfort sein Tun mit angehaltenem Atem, hoffend und werben, mit Freude und mit Trauer,

mit Befriedigung und Enttäuschung, […] sich ihm fühlbar machend, ohne doch in die

Dynamik des weltlichen Schauplatzes einzugreifen.“32

Nachdem Jonas den Mythos vorgetragen hat, erörtert er einige der darin enthaltenen

theologischen Implikationen im Bezug zur jüdischen Religion. Implizit enthalten sind unter

anderem der leidende Gott, der werdende Gott und der sich sorgende Gott.

Was die Vorstellung vom leidenden Gott betrifft, so legt Jonas dar, dass diese nicht

unvereinbar mit der Bibel sei. Da Gott zeitweilig sehr wohl bestürzt auf die Machenschaften

der Menschen reagiert. Beispielsweise, wie der Prophet Hosea berichtet, als sein Volk sich

von ihm abwendet und Baal, anstelle von ihm anbetet.33

Dann ist da der werdende Gott; schon mit der Schöpfung, so Jonas, sei die Veränderlichkeit

Gottes bewiesen, verändere sie ihn doch dadurch, dass Gott in einem Verhältnis zum

Geschaffenen stehe.34

Der sich sorgende Gott gehört insofern zu den Grundsätzen jüdischer Theologie, „daß Gott

für seine Geschöpfe Sorge trägt“35 Der Mythos erweitert jedoch diese Implikation da „dieser

sorgende Gott kein Zauberer ist, der im Akt des Sorgens zugleich auch die Erfüllung seines

Sorgeziels herbeiführt: Er hat es anderen Akteuren zu tun gelassen und hat damit seine

Sorge von ihnen abhängig gemacht.“36

Jene eben angesprochene Abhängigkeit vom Zutun anderer Akteure, den Menschen, führt

zum eigentlichen Kernproblem: Dann ist Gott nichtmehr Allmächtig.

Dies beweist Jonas zunächst logisch. Eine Allmacht ist keine Macht, da sie keinen

Gegenspieler hat. Eine Macht ohne Gegenpol, welcher ebenfalls über gewisse Macht verfügt

31

Vgl. Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 22 32

Ebd. S. 24 33

Vgl. Hosea 11,1-3 34

Vgl. Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 28 35

Ebd. S. 31 36

Ebd. S. 31 f

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14 Hans Jonas – Der Gottesbegriff nach Auschwitz

ist wie eine Kraft ohne Widerstand an dem sie wirken kann. Verfügt jener Gegenpol jedoch

über Macht, so ist die Allmacht nichtmehr allmächtig, da ein kleiner Teil der gesamten macht

dem Gegenpol zur Verfügung steht. Allmacht ist also zugleich totale Aufhebung der Macht.

Neben diesem logischen Beweis, führt Jonas noch einen weiteren, religiösen Beweis an.

Und damit kommen wir zum eigentlichen Theodizee-Problem. Die erste Formulierung dieses

Problems wird dem Philosophen Epikur zugeschrieben. In Humes Dialogen wird dieses

Problem ebenfalls behandelt und von Philo sehr präzise und kurz formuliert:

„Will er übel verhüten und kann nicht? Dann ist er ohnmächtig.

Kann er und will er? Dann ist er übelwollend.

Will er und kann er? Woher dann das Übel?“37

In Humes Werk versucht Cleanthes einen Mittelweg zu gehen. Er setzt „die Vollkommenheit

des Urhebers der Natur als endlich, obwohl weit über menschliche Vollkommenheit

hinausgehend.“38 Übel gibt es demnach aus nur einem Grund: Um größeres Übel zu

vermeiden. „Wohlwollen, durch Weisheit eingeschränkt, mag genau eine solche Welt, als die

vorliegende ist, hervorbringen.“39

Jonas vertritt in dieser Frage, wie oben schon angeklungen, dass Gott nicht allmächtig ist.

Diesem zufolge kann es, im Angesicht des Bösen, des Übels auf dieser Welt, Allmacht und

göttliche Güte nur um den Preis völliger Unerforschlichkeit Gottes geben.40 Also gemäß der

ersten Annahme aus dem Zitat von Philo.

Da Jonas seine Erörterungen vom Standpunkt der jüdischen Theologie aus vertritt, ist für ihn

zudem die Veräußerung von Verstehbarkeit und Güte Gottes undenkbar.

Güte aber ist untrennbar mit dem jüdischen Gottesbegriff verbunden, so Jonas.

Und, wenn auch nicht in vollem Maße, so ist zumindest aber in Teilen für ihn das göttliche

Wesen verstehbar. Insofern, als dass sich Gott den Menschen, wie dem Alten Testament zu

entnehmen ist, durch Gebote und durch die Propheten mitgeteilt hat. „Ein gänzlich

verborgener, unverständlicher Gott ist ein unannehmbarer Begriff nach jüdischer Norm.“41

Mit dieser Lösung des Theodizee-Problems, die Allmacht Gottes aufzugeben, wird das

jüdische Gottesbild im Hinblick auf den Holocaust tragfähig. So war es also keine Ignoranz

37

Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter Gawlick. Hamburg: Felix

Meiner Verlag. S. 86 38

Ebd. S. 91 39

Ebd. 40

Vgl. Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 37 41

Ebd. S. 39

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15 Kritik der Gottesbilder

Gottes, dass er da tatenlos zuschaute, wie sein auserwähltes Volk dort in den

Konzentrationslagern erniedrigt, gepeinigt und vernichtet wurde.

Es waren auch keine höheren Wege, kein höheres Ziel dahinter. Laut Jonas war es die

Ohnmacht Gottes die dies geschehen lassen konnte.

„Verzichtend auf seine eigene Unverletzlichkeit erlaubte der ewige Grund der Welt zu sein. Dieser

Selbstverneinung schuldet alle Kreatur ihr Dasein und hat mit ihm empfangen, was es zu empfangen gab.

Nachdem er sich ganz in die werdende Welt hineingab, hat Gott nichts mehr zu geben: Jetzt ist es dem

Menschen, ihm zu geben. Und er kann dies tun, indem er in den Wegen seines Lebens darauf sieht, daß es

nicht zu oft geschehe, und nicht seinetwegen, daß es Gott um das Werdenlassen der Welt gereuen muß.“42

Da haben wir nun mit Humes Cleanthes und Hans Jonas zwei Versuche, das Wesen Gottes zu

charakterisieren. Ein bedeutender Unterschied liegt darin, dass die Welt, wie Cleanthes sie

beschreibt, relativ statisch ist, während die Welt, wie Jonas sie beschreibt, eine Welt im

Werden ist.

Für seinen teleologischen Gottesbeweis zieht Cleanthes ein ums andere Mal Betrachtungen

der aktuellen Welt heran, um diese als Argumente für die Zweckmäßigkeit und Absicht in der

Welt zu benutzen. Die Aktuelle Welt aber ist eine Momentaufnahme der Weltentwicklung

und stellt sich eben aus diesem Grund statisch dar. Außer Acht bleibt bei ihm die zeitliche

Entwicklung; die Entstehung der Welt und des Lebens sowie die fortschreitende

Ausdifferenzierung des Lebens, beispielsweise durch die Unterschiedlichkeit der Lebensbe-

dingungen mit Eis- und Warmzeit, welche wiederum ihren Teil zum Aussterben von Arten

beitragen, aber auch für die Weiterentwicklung der Arten nötig sind. Das Philo diese

Einwände nicht hervorbringt wundert nicht. Denn man muss Hume zu Gute halten, dass

Charles Darwin die Evolutionslehre erst in der Mitte des darauffolgenden, 19. Jahrhunderts

veröffentlichte.

Will man die These von Cleanthes jedoch aktualisieren, muss man sich der Frage stellen,

welche Rolle Gott in einer Welt spielt, die seine Absicht wiederspiegelt und seinen Zweck

verfolgt, sich aber in steter Veränderung befindet.

42

Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 47

Page 16: David Hume &  Hans Jonas. Zwei philosophische Gottesbilder. Vergleich, Kritik und Erweiterung.

16 Kritik der Gottesbilder

Hat Gott zwar eine Absicht, die perfekte Welt, schafft es aber nicht diese umzusetzen,

sodass diese laufend der Optimierung bedarf? Oder die Optimierungsfunktion via Evolution,

durch Selektion und Mutation, wurde als Funktionsprinzip bei der Schöpfung festgelegt und

ist somit indirekt Absicht Gottes.

Die beiden Alternativen unterscheiden sich darin, dass in Möglichkeit 1 Gott während dem

Entwicklungsprozess der Erde eingreift, also Evolution gestaltet, während er in Möglichkeit 2

die Evolution bei der Schöpfung als grundsätzliches Funktionsprinzip verankert hat, somit

also nichtmehr eingreifen muss.

Möglichkeit 1 hat zur Folge, dass Gott in das Weltgeschehen eingreift. Dies macht er in der

Absicht, die Welt zu optimieren. Da jedoch jeder Optimierung eine weitere folgt ist Gott

nicht allmächtig; in dem Sinne, dass er nicht die richtige Lösung findet. Zudem ist er

unschlüssig: in der Biologie existieren Mutation und „Original“ nebeneinander bis eine der

Variationen die Oberhand gewinnt. Und er ist ein Gott, der in die Weltentwicklung eingreift,

aber bei falschem menschlichem Verhalten, wie etwa dem Holocaust, die Handlung

unterlässt. Alles in allem ein sehr menschlich-fehlbarer und vielleicht gerade deshalb nicht

sehr vertrauenserweckender Gott.

Möglichkeit 2 impliziert kein eingreifen Gottes in die Welt. Jedoch darf für diesen Gott

angenommen werden, dass er Gut sei. Allerdings wird diese Möglichkeit dadurch

abgeschwächt, dass die Welt wie sie sich uns heute darstellt nur indirekt Gottes Absicht

wiedergibt, höchstens Absicht in ihrem Werden darstellt. Vielleicht kann dieser Möglichkeit

im Mythos von Hans Jonas ein Platz eingeräumt werden.

Dies will ich in folgendem Teil der Arbeit versuchen.

Nehmen wir seinen Mythos als Ausgangspunkt. Der göttliche Grund gab sich auf um die Welt

aus nichts als aus ihm zu schaffen. Die Absicht des göttlichen Grundes war es, durch die

Veranlagung des Werdens in der Welt die Möglichkeit anzubahnen, einst in diese Welt

zurückzukehren.

Als das erste Leben sich zu regen begann, begann mit ihm begann auch das Transzendente

sich aus dem nichts zu erheben und mit der Menschwerdung „erwachte die Transzendenz zu

sich selbst“43 Bis hier will ich den Mythos uneingeschränkt übernehmen.

43

Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 23

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17 Kritik der Gottesbilder

Meine oben schon niedergeschriebenen Gedanken zur Transzendenz will ich versuchen zu

präzisieren. Die Transzendenz - oder die Ewigkeit, wie Jonas sie nennt - sie sorgt sich, sie

leidet, kurzum sie hat Persönlichkeit. Die Transzendenz aber wie ich sie verstehe, sie ist nicht

mehr der göttliche Grund, sie ist nun im Denken und Fühlen verschiedener und doch noch

immer eins. Sie leidet nicht an verwerflichem Verhalten der Menschen, sie ist das Leiden der

Mitmenschen; sie sorgt sich nicht, sie ist die Sorge; sie ist nun Fühlen, Wahrnehmen, Streben

und Handeln der Tiere und Menschen, sie ist aber vor allem auch Reflexion des Menschen

über sich selbst. Sie ist die Reflexion des Menschen über den Menschen und sie ist die

Reflexion des Menschen über die Welt.

Die ersten Menschen fertigten Phalli aus Stein, sie fertigten Frauendarstellungen an,

überzeichnete Darstellung mit überdeutlichen Geschlechtsmerkmalen. Diese

Auseinandersetzung der frühen Menschen mit ihren Trieben, diese Frauengestalten, so

verzerrt, auf die Geschlechtsmerkmale reduziert, irgendwie kultisch anmutend, sie

waren wohl die ersten Erscheinungen der Reflexion der Menschen über die eigenen

Triebe, also das einfachste und niederste in der menschlichen Psyche. Sie waren

womöglich aber auch Symbole für das göttliche, womöglich der Ursprung der Religion.

Auch Ludwig Feuerbach stellte Mitte des 19. Jahrhunderts solche Vermutungen an. In

seinem Werk „Das Wesen des Christentum“ trifft er die Grundannahme, dass

„Die Religion im Allgemeinen, als identisch mit dem Wesen des Menschen, [identisch ist] mit dem

Selbstbewusstsein, mit dem Bewusstsein des Menschen von seinem Wesen. Aber die Religion ist,

allgemein ausgedrückt, Bewusstsein des Unendlichen; sie ist also und kann nichts anderes sein als das

Bewusstsein des Menschen von seinem, und zwar nicht endlichen, beschränkten, sondern unendlichen

Wesen. Ein wirklich endliches Wesen hat keine, auch nicht die entfernteste Ahnung, geschweige

Bewusstsein von einem unendlichen Wesen, denn die Schranke des Wesens ist auch die Schranke

seines Bewusstseins.“44

Was jedoch das Bewusstsein des Menschen vom unendlichen, also transzendenten, betrifft,

so muss ich an Feuerbachs Aussage Einschränkungen vornehmen. Bewusstsein ist dann nur

denkbar in gradueller Abstufung. So wie der Mensch sich nicht zum vollen Bewusstsein

seiner selbst aufschwingen kann, so viel weniger kann er sich zum Bewusstsein vom

Unendlichen aufschwingen. Zwar hantiert der Mensch in der Mathematik mit dem

44

Feuerbach, Ludwig, 1841: Das Wesen des Christentums. Leipzig: Otto Wigand. S. 2f http://books.google.de/books?id=n6AUAAAAQAAJ&dq=feuerbach&pg=PR1#v=onepage&q&f=false

Page 18: David Hume &  Hans Jonas. Zwei philosophische Gottesbilder. Vergleich, Kritik und Erweiterung.

18 Kritik der Gottesbilder

Unendlichen, jedoch kommen diese Vorstellungen eher Annahmen gleich als einem

Bewusstsein. Ähnlich steht es mit der Unendlichkeit des Universums oder der Rede von Gott.

Wenn wir also eher dem von Feuerbach geprägten Religionsbegriff den Vorzug gegenüber

dem von Jonas geben so kommen wir doch zum gleichen Schluss. Gott ist dann nur begrenzt

verstehbar. Jonas bezieht diese Verstehbarkeit Gottes auf die Offenbarung Gottes, wie wir

sie im Alten Testament finden können. Im eher nach Feuerbach geprägten Religionsbegriff

würde das bedeuten, dass wir Gott oder sein Werk in diesem Maße verstehen, wie wir die

Welt und uns selbst als Menschen verstehen. Gegen das Verstehen durch die Offenbarung

Gottes tun sich uns aber große logische Einwände auf. Warum offenbart sich Gott nur einem

Teil der Menschen im Nahen Osten, der Rest der Menschen aber ist davon abhängig dass

diese Offenbarung überliefert wird, wie durch die abrahametischen Religionen geschehen.

Wäre diese Offenbarung eine wirklich und unmittelbar von Gott inspirierte müssten die

Menschen doch überall auf der Erde eine ähnliche (wenn nicht gleiche) Vorstellung von Gott

haben. Wenn aber Offenbarung Gottes wie wir sie im Alten Testament einsehen können

eher eine Reflexion bestimmter Menschen – beispielsweise der Propheten - über Sinn und

Herkunft des Lebens und die richtige Lebensführung darstellt, so sind wir hier schon deutlich

am von Feuerbach geprägten Begriff von der Religion.

was jedoch die Annahme vom Transzendenten als dem menschlichen Denken ausmacht ist

die Verantwortung „unter der Disjunktion von Gut und Böse“45 Nicht dem Gott ist es

auferlegt, moralisches Übel abzuwenden, denn er gab sich der Welt durch ihre Erschaffung

hin, sondern dem Menschen ist es auferlegt, eben durch die Fähigkeit zum Denken, zur

kritischen Reflexion seines Handelns und der Umstände überhaupt, solch moralisches Übel

in der Welt zu verhindern. Die Verbrechen der Menschen sind abwendbar, durch den

Menschen, durch Überwindung seiner selbst.

Die Grausamkeiten der Natur, sie sind notwendig für das Werden in der Welt. Ohne Sterben

kein neues Leben. Der Akt der Vernichtung stellt der Evolutionstheorie zur Folge auch einen

Reinigungsprozess dar, Bei dem nur das bleibt was sich auch in schlechten Zeiten bewährt.

Sie stützt das veranlagte Werden in der Welt, welches zugleich Gottes Absicht wieder-

spiegelt.

45

Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin: Suhrkamp. S. 23

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19 Kritik der Gottesbilder

Der Vorteil in dieser Auslegung von Hans Jonas bestünde darin, dass er erstens für alle

Menschen der Erde geltend gemacht werden kann – gleich welcher Religionstradition -, dass

zweitens der Welt als Produkt der Selbstaufgabe Gottes ein gleicher Stellenwert eingeräumt

wird, wie dem Menschen - was impliziert, dass der Mensch verantwortungsvoll mit diesem

Erbe umzugehen hat. Und drittens, dass der Mensch sich seiner Verantwortung bewusst zu

sein hat, die sich ihm mit der Gabe der Reflexions- und Gestaltungsfähigkeit im Hinblick auf

die Erde aufbürdet.

Page 20: David Hume &  Hans Jonas. Zwei philosophische Gottesbilder. Vergleich, Kritik und Erweiterung.

20 Literaturangaben

Feuerbach, Ludwig, 1841: Das Wesen des Christentums. Leipzig: Otto Wigand.

(http://books.google.de/books?id=n6AUAAAAQAAJ&dq=feuerbach&pg=PR1#v=

onepage&q&f=false)

Hume, David, 20077: Dialoge über natürliche Religionen. Herausgegeben von Günter

Gawlick. Hamburg: Felix Meiner Verlag.

Hoerster, Norbert,20103: Die Frage nach Gott. München: Verlag C.H.Beck.

Jonas, Hans, 1987: Der Gottesbegriff nach Auschwitz. Eine jüdische Stimme. Berlin:

Suhrkamp.

Von Pauly, August Friedrich, 1842: Real-Enzyklopädie der classischen Altertums-

wissenschaften. Band II. Stuttgart: Verlag der Meßler’schen Buchhandlung. S.432

(http://books.google.de/books?id=APFaAAAAQAAJ&pg=PP7#v=onepage&q&f=false)

Zeller, Eduard, 18632: Die Philosophie der Griechen. In ihrer geschichtlichen

Entwicklung dargestellt. Dritter Theil. Erste Abtheilung. Leipzig: Fues’s Verlag. S. 522ff

(http://books.google.de/books?id=4lZ3L-W8KrQC&printsec=frontcover&source=

gbs_ge_summary_r&cad=0#v=onepage&q&f=false)