DavidHume Politische und ökonomische Essays - ciando.com · Hume sich in seiner generellen...

24
PhilosoP,hische Bibliothek· BaD DavidHume Politische und ökonomische Essays Teilband 1 •• I.

Transcript of DavidHume Politische und ökonomische Essays - ciando.com · Hume sich in seiner generellen...

PhilosoP,hische Bibliothek· BaD

DavidHume Politische und ökonomische Essays Teilband 1

•• I.

DAVIDHUME

Politische und ökonomische Essays

Übersetzt von Susanne Fischer

Mit einer Einleitung herausgegeben von

Udo Bermbach

Teilband 1

FELIX MEINER VERLAG HAMBURG

PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 405a

Im Digitaldruck »on demand« hergestelltes, inhaltlich mit der ursprüng-lichen Ausgabe identisches Exemplar. Wir bitten um Verständnis für un-vermeidliche Abweichungen in der Ausstattung, die der Einzelfertigung geschuldet sind. Weitere Informationen unter: www.meiner.de/bod

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliogra phi sche Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar.ISBN 978-3-7873-0760-9ISBN eBook: 978-3-7873-2627-3

© Felix Meiner Verlag GmbH, Hamburg 1988. Alle Rechte vorbehalten. Dies gilt auch für Vervielfältigungen, Übertragungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen, soweit es nicht §§  53 und 54 URG ausdrücklich gestatten. Gesamtherstel-lung: BoD, Norderstedt. Gedruckt auf alterungsbeständigem Werkdruck-papier, hergestellt aus 100 % chlor frei gebleich tem Zellstoff. Printed in Germany. www.meiner.de

INHALT

Teilband 1 (PhB 405a) DAvm HuME: PounscHE UND ÖKONOMISCHE EssAYS

Einleitung. Von Udo Bermbach...................... VII

Die Ausgaben der >Essays<. Von Udo Bermbach . . . . . . XLVII

Vorbemerkung zur Übersetzung. Von Susanne Fischer . . . . . . . . . . . . . . . LV

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . LVII

David Hume

Über die Pressefreiheit ............................... .

Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse................................................. 7

Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung . . . . . . 25

Über den Ursprung der Regierung..................... 31

Über die Unabhängigkeit des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . 36

Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monarchie oder zu einer Republik tendiert. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

Über Parteien im allgemeinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51

Über die Parteien in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61

Über Aberglaube und Enthusiasmus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77

Über Würde und Gemeinheit der menschlichen Natur . . . 86

Über bürgerliche Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94

Über Redekunst...................................... 106

VI Inhalt

Über Aufstieg und Fortschritt der Künste und Wissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122

Über nationale Charaktere . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154

Teilband 2 (PhB 405b)

Über Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

Über Verfeinerung in den Künsten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191

Über Geld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205

Über Zinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219

Über die Handelsbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232

Über den Argwohn im Handel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251

Über das Machtgleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

Über Steuern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266

Über Staatskredit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273

Über einige bemerkenswerte Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . 291

Über den ursprünglichen Vertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301

Über passiven Gehorsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

Über die Parteienkoalition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

Die Idee einer vollkommenen Republik . . . . . . . . . . . . . . . . 339

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363

EINLEITUNG

I David Humes politisches Denken geht nicht in einem Sy-• stem auf, auch wenn es durchaus systematisch angelegt ist.

Sein philosophisches Hauptwerk, der >Traktat über die mensch-liche N atur<1, enthält nach einem ersten, erkenntnistheore-tischen Teil im zweiten Buch >Über Affekte< eine ausgearbeitete Anthropologie, die als systematische Grundlegung des letzten, moralphilosophischenund politiktheoretischen Teils verstanden werden kann. Schon dieser Aufbau des >Traktats<- von der Er-kenntnistheorie über die Anthropologie zur >praktischen Philo-sophie<- macht nachdrücklich deutlich, daß Hume seine politi-schen Überlegungen als einen nicht abtrennbaren und integralen Bestandteil seiner gesamten Philosophie betrachtet hat, und daß sein politisches Denken aus dieser Philosophie hervorwächst2•

Beides ist unzweifelhaft aufeinander bezogen, ohne daß freilich eine umfassende und systematisch ausformulierte Theorie der Politik entworfen wird. Vielmehr beschränkt sich Hume im we-sentlichen darauf, Grundfragen von Gesellschaft und Politik zu behandeln, und er tut dies vielfach mit Bezug auf die zeitgenös-sische Diskussion. Das Entstehen von Gesellschaften, der Ur-sprung von Rechtsordnungen und von Eigentum, die Sicherheit des Besitzes, die Kompetenzen von Regierungen sowie die Rechte und Pflichten der Untertanen sind einige jener Zentralto-poi, die im >Traktat< mit prinzipieller Klärungsabsicht erörtert

1 Die folgende Einleitung versucht die Umrisse des politischen Den-kensaus den >Essays< zu rekonstruieren, unter weitgehender Vernachläs-sigung der übrigen Arbeiten Humes. Wo immer möglich, werden Humes Werke nach deutschen Ausgaben zitiert, hier: >Ein Traktat über die menschliche Natur, mit einer Einleitung neu hrsg. von R. Brandt, 2 Bde., Harnburg 1973.

2 Den Zusammenhang von Philosophie und politischem Denken be-tonen fast alle neueren Arbeiten zu Hume. Vgl. statt vieler D. Miller, Philosophy and Ideology in Hume's Political Thought, Oxford 1981, eine der besten, zusammenfassenden Darstellungen.

VIII Udo Bermbach

werden. Im Kontext einer psychologisierenden Anthropologie, die auf der Folie eines komplexen Schemas von >Leidenschaften< das Handeln der Menschen vornehmlich als affektgesteuert in-terpretiert, durch Interesse wie Vernunft sozial kontrolliert, lassen diese Erörterungen die Umrisse und Strukturen einer >bürgerlichen Gesellschaft< entstehen, mit deren konkreten Pro-blemen sich Hume dann in seinen zahlreichen >Essays< einge-hend auseinandersetzt.

Diese >Essays<, entstanden und publiziert nach dem für Hume so enttäuschenden Mißerfolg seines >Traktats<3, nehmen die dort geführte grundsätzliche Diskussion in variantenreicher Form wieder auf und können als literarische Neu- und Umformulie-rung der philosophischen Absichten des >Traktats< gelten4 • Sie lassen sich lesen auch als Reaktionen Humes auf aktuelle Pro-bleme, die mit weitausholenden, historischen Exkursen und Beispielen, mit Verweisen auf zeitgenössische Vorgänge und Entwicklungen die Absicht einer gründlichen Klärung von ge-sellschaftlichen, politischen, ökonomischen, ja selbst kulturel-len und wissenschaftlichen Fragen verbinden. In ihnen doku-mentiert sich ein Politik-Verständnis, das noch erheblich aus der Tradition einer umfassenden philosophia practica lebt, eingebet-tet ist in eine weite, gesellschaftstheoretische Perspektive, die erst in Ansätzen jene fach-disziplinären Ausdifferenzierungen

3 Der >Traktat< erschien 1739/40, während Hume sich in Frankreich aufhielt. Er wurde weder ein wissenschaftlicher noch ein finanzieller Erfolg. Hume arbeitete ihn später um und publizierte ihn unter den Titeln >An Enquiry concerning Human Understanding, 1748 (dt.: Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand, mit einer Einleitung hrsg. von J. Kulenkampff, Harnburg 1984) und >An Enquiry concerning the Principles of Morals, 1751 ( dt.: Untersuchung über die Prinzipien der Moral, übersetzt, mit Einleitung und Register versehen von C. Wink-ler, Harnburg 1972). Vgl. dazu auch die Standardbiographie zu Hume, E. C. Mossner, The Life of David Hume, Oxford 1980, bes. S. 117ff.; neuerdings auch David Hume, mit Selbsterzeugnissen und Bilddoku-menten dargestellt von G. Streminger, Reinbek b. Hamburg, 1986, S. 27ff.

4 E. C. Mossner, a. a. 0., S. 140; ähnlich urteilen die meisten Auto-ren, die sich mit den >Essays< befassen.

Einleitung IX

erkennen läßt, welche für die weitere Entwicklung der wissen-schaftlichen Einzeldisziplinen bestimmend werden sollte. Poli-tik wird von Hume in einem weiten Zusammenhang mensch-lichen Sozialverhaltens diskutiert, sie umgreift individuelle Reaktionen und interpersonale Kommunikation ebenso wie die institutionellen Bedingungen und Regelungen gesellschaftlicher Organisation. Wie schon im >Traktat<, so thematisiert Hume auch in seinen >Essays< die Frage der Entstehung von Gesell-schaften, den Ursprung, die Rechtfertigung und Ausgestaltung von Regierungen, die Bedeutung und Funktion von öffentlicher Meinungs- und Pressefreiheit, aber auch Formen und Wirkun-gen von Parteibildung und die Folgen politischen Handeins für die Entwicklung einer prosperierenden Wirtschaft und damit verbunden von Kultur und Wissenschaft. In einem eingängig zu lesenden Stil, fern aller akademischen Schwerfälligkeit, handelt Hume von den Grundlagen der zu seiner Zeit im Entstehen be-griffenen >commercial society<, wobei die Analyse historischer wie aktueller Entwicklungen sich immer wieder verbindet mit der normativen Reflexion einer möglichst optimalen Politik-Ge-staltung.

Gerade die >Essays< sind durchgehend beherrscht vom Gedan-ken der möglichen Ausarbeitung einer guten und >Vernünftigen< Politik, von der Hume glaubt, sie lasse sich aus historischer Er-fahrung gewinnen5• Daß Politik wissenschaftlich betrieben wer-den könne, stand für ihn außer Frage; mit Entschiedenheit behauptete er, es könne als ein allgemeines Axiom betrachtet werden, >>daß Politik allgemeine Wahrheiten zuläßt<<6 . Doch sind solche Wahrheiten nicht etwa im Sinne neuzeitlichen Ver-ständnisses von Naturwissenschaften aufzufassen - auch wenn Hume sich in seiner generellen Auffassung von Wissenschaft an

5 Vgl. dazu allgemein U. Voigt, David Hume und das Problem der Geschichte, Berlin 1975, bes. S. 37ff.

6 >Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse<, S. 11; zum Wissenschaftsverständnis von Hume vgl. u. a.]. Noxon, Hume's Philo-sophical Development, Oxford 1973;]. Passmore, Hume's Intentions, London 1980; S. R. Letwin, The Pursuit of Certainty, Cambridge 1965.

X Udo Bermbach

Newton orientierte -, sondern eher als Erfahrungsregeln, die sowohl durch historische Untersuchungen als auch mit Hilfe einer quasi-empirischen Anthropologie gewonnen werden kön-nen. Diese Anthropologie, die im >Traktat< formuliert ist 7, ent-wirft das Bild eines Menschen, der aus den Gegensätzen von Stolz und Demut, von Furcht und Hoffnung, von Liebe und Haß, von Begehren und Abneigung und ausgerichtet an Gefüh-len der Lust bzw. der Unlust je ruhige oder heftige Affekte entwickelt, direkte oder indirekte, handlungsstimulierende oder solche, die die Passivität befördern. Durch Selbstbezug wie durch die Fähigkeit des einzelnen, sich in die Handlungsmotive anderer hineinzuversetzen- was Hume als >Sympathie< bezeich-net -, gewinnen individuelle Affekte ihre soziale Dimension und werden dann durch die Vernunft, die selbst kein Motiv für Handeln abgeben kann, in ihrer gesellschaftlichen und politi-schen Wirkung kontrolliert. Ohne ein »vollständiges Inventar<<8

individueller Instinkte, Triebe und Gefühle zu liefern, wird noch deutlich, was Hume mit seiner differenziert ausgearbeiteten Af-fektenlehre intendiert: die wissenschaftliche Grundlage zur Er-klärung natürlicher Verhaltensdispositionen von Menschen zu geben, die dann in je spezifischen historischen Lagen ihre jewei-lige Konkretion erleben und damit auch soziales und politisches Verhalten der wissenschaftlichen Analyse überhaupt erst zu-gänglich machen.

In den >Essays< ist diese, hier nur angedeutete Anthropologie gleichsam implizit als Hintergrund der Diskussion immer vor-

7 >Traktat<, Buch II (Über Affekte). Zur Anthropologie vgl. u. a. H. D. Ardal, Passion and Value in Hume's Treatise, Edinburgh 1966; A. B. Glathe, Hume's Theory of the Passionsand of Morals. A Study of Book II and III of the Treatise, New York, 1969; W. H. Schrader, Ethik und Anthropologie in der englischen Aufklärung, Harnburg 1984; J. B. Stewart, The Moraland Political Philosophy ofDavid Hume, New York/ London 1963; N. Waszek, Man's Social Nature, A Topic of the Scottish Enlightenment in its Historical Setting, Frankfurt/M., Bern, New York 1986. F. G. Whelan, Order and Artifice in Hume's Political Philosophy, Princeton 1985.

8 H. Kliemt, Moralische Institutionen, Freiburg 1985, S. 60.

Einleitung XI

handen9, sie ist situativ in die Erörterungen der Sachthemen eingebunden und sie bildet zugleich die Folie, auf der die Motive des individuellen und kollektiven Handeins sich in ihrer histori-schen Entwicklung entfalten können. 1° Für Hume steht die Natur des Menschen nicht ein für allemal fest, sondern der Mensch ist, auf der Basis grundlegender, aber dispositiv verfüg-barer Affekte und Leidenschaften, >>ein sehr flexibles Wesen und für viele verschiedene Meinungen, Prinzipien und Verhaltensre-geln empfänglich« 11 , von Natur aus zwar unheilbar schwach12

und in bezug auf Politik sogar verdorben 13 , aber zugleich doch auch um ständige Besserung bemüht. Gegen die Hobbessche Position wendet Hume ein, daß die Menschen in aller Regel ihre positiven Eigenschaften bevorzugen, sie am anderen schätzen14, gegen die Unterstellung eines rein egoistischen und bloß utilitä-ren Verhaltens -wie beispielsweise bei Mandeville15 - argumen-tiert er mit dem Hinweis auf eine allen Menschen ursprüngliche Sozialveranlagung16• Daß der Mensch in eine Familie hineinge-boren wird 17, ist von fundamentaler Bedeutung hinsichtlich sei-

9 Das betont generell D. Miller, a. a. 0., S. 101 ff.; vgl. auch D. For-bes, Hume's Political Philosophy, Cambridge 1975, bes. S. 102ff.; inbe-zug auf die ökonomischen >Essays< die vorzügliche Einleitung von Eugene Rotwein, David Hume, Writings on Economics, Nelson 1955, S. XXIVff.

10 Dazu U. Voigt, a. a. 0., S. 28. " >Über Handel<, S. 177. 12 >Über den Ursprung der Regierung<, S. 31. B >Über die Unabhängigkeit des Parlaments<, S. 36. 14 >Über Würde und Gemeinheit der menschlichen Natur<, S. 91. 15 Bernard Mandeville, 1602-1733, veröffentlichte 1714 seine außer-

ordentlich erfolgreiche Verssatire The Fable of the Bees, or Private Vices, Public Benefits (dt.: Die Bienenfabel oder Private Laster, öffentliche Vorteile, Einleitung von Walter Euchner, Frankfurt/M. 1968), deren Hauptthese besagt, daß die rücksichtslose Verfolgung egoistischer Ein-zelinteressen zum allgemeinen Vorteil gereicht. Mandeville wurde zu seiner Zeit scharf kritisiert, gerade auch von jenen schottischen Aufklä-rungsphilosophen, zu deren Kreis Hume zählt, vgl. Euchner, a. a. 0., s. 14.

16 >Über nationale Charaktere<, S. 160. 17 >Über den Ursprung der Regierung<, S. 31.

XII Udo Bermbach

ner Sozialbefindlichkeit, daß er sich »eine Vorstellung von Voll-kommenheit machen kann, die weit über seine eigenen Erfah-rungen hinausgeht« 18, gehört zu seinen >>herausragenden Eigen-schaften«19 und befähigt ihn zur Reflexion wie Selbstkorrektur seiner individuellen und sozialen Situation, läßt ihn auch aus der Erfahrung lernen wie in die Zukunft hinausgreifen. Immer wie-der handelt Hume eingehend20 von den natürlichen wie gesell-schaftlichen und institutionellen Bedingungen der Ausbildung kollektiver Eigenschaften und immer wieder betont er, daß nur der Wandel beständig ist und also ein wechselseitiger Einfluß von gesellschaftlichen und politischen Institutionen, von Entwick-lung der Wirtschaft und des Handels, der Verfeinerung der Kultur und Wissenschaft und darauf bezogener menschlicher Reaktionen besteht. Was einzig festgehalten werden kann, ist so die prinzipielle Unabgeschlossenheit individueller wie gattungs-geschichtlicher Entwicklung, die Offenheit der Zukunft, die sowohl Fortschritt als auch zivilisatorischen Rückfall bereithal-ten kann.

Daß alle politische Theorie damit nur als >>theoretische Pro-blematisierung des historisch Verwirklichten<<21 auftreten kann, ist evident. Zur Verfügung steht dafür das Material der Ge-schichte, vornehmlich der europäischen, aber dieses Material ist, wie Hume meint, kaum ausreichend und die Welt selbst noch insgesamt zu jung, >>um in der Politik generelle Wahrheiten fest-

18 >Über Würde und Gemeinheit der menschlichen Natur<, S. 89. 19 Ebenda. 20 Besonders eingehend in >Über nationale Charaktere<, S. 161 ff., wo

Hume die verschiedenen Faktoren untersucht und die >Klimatheorie< scharf zurückweist. Diese >Klimatheorie< taucht im Denken der frühen Neuzeit erstmals beiJean Bodin auf, in >Les six Livres de la Republique, Paris 1583, Reprint Aalen 1961, hier Buch V (dt.: Jean Bodin, Sechs Bücher über den Staat, hrsg. von P. C. Mayer-Tasch, München 1986, S. 159ff.) und wird dann im 18. Jahrhundert aktualisiert und populari-siert von Charles-Louis de Secondant Montesquieu in seinem Werk >De l'esprit des lois<, Paris 1748 (dt.: Vom Geist der Gesetze, in neuer Über-tragung eingeleitet und herausgegeben von Ernst Forsthoff, 2 Bde., Tübingen 1951, bes. 14.-18. Buch.

21 U. Voigt, a. a. 0., S. 40.

Einleitung XIII

zulegen, die bis in die fernste Zukunft wahr bleiben«22 • Freilich sieht Hume in der Geschichte schon jetzt Tendenzen evolutionä-rer Entwicklungen, die im Sinne von qualitativen Verbesserun-gen gedeutet werden können. Eine Vielzahl von Hinweisen in den >Essays<- wie auch an anderer Stelle - läßt den Schluß zu, daß Hume vier Stufen gesellschaftlicher (Höher-)Entwicklung unterscheidet: als einfachste die der Stammesgesellschaften, danach die des alten Griechenlands und Roms, gefolgt von den Feudalordnungen des Mittelalters und schließlich denjenigen seiner eigenen Zeit23 , wobei England gleichsam als Prototyp einer modernen Industrie- und Handelsnation mit einem aus-balancierten Machtgleichgewicht eine Vorzugsstellung und Vor-bildfunktion einnimmt24 • Kriterien für diese gesellschaftliche Evolution finden sich in der Moralentwicklung der Menschen ebenso wie in der Tatsache der Ausdifferenzierung institutionel-ler Ordnungen und dem Entstehen und der Festigung von ge-setzlich gebundener Herrschaft, in der Verbesserung der Le-benssituation wie im kulturellen und wissenschaftlichen Fort-schritt.

Trotz solch beobachtbarer Entwicklungen hält Hume daran fest, »daß alle allgemeinen Maximen in der Politik mit großer Vorsicht aufgestellt werden sollten<<25 , weil zum einen die Erfah-rungen der Menschheit noch zu gering sind, zum anderen immer nur ex-post-Erklärungen möglich sind, die sich nicht umstands-los in die Zukunft projezieren lassen. Ganz im Sinne der Tradi-tion bleibt Politik so für Hume eine >praktische Wissenschaft<, zwar keinesfalls beliebig, aber auch nicht nomothetisch. Die Perspektive, in der Hume die Entwicklung und Verbesserung der Politik als einer Wissenschaft sieht, ist die einer durch histo-rische Erfahrung und empirische Beobachtung informierten

22 >Über bürgerliche Freiheit<, S. 94. 23 Dazu ausführlich D. Miller, a. a. 0., S. 122ff. 24 Dazu allgemein: >Über Aufstieg und Fortschritt der Künste und

Wissenschaften, S. 122ff.; >Über Verfeinerung in den Künsten<, S. 191 ff.

25 >Über einige bemerkenswerte Traditionen<, S. 291.

XIV Udo Bermbach

Selbstaufklärung des Menschen, damit verbunden individueller und kollektiver Selbstkontrolle und der daraus erwachsenden moralischen wie vor allem institutionellen Absicherung des je erreichten gesellschaftlichen Entwicklungsstandes.

I I In den >Essays< diskutiert Hume diesen Prozeß der • Selbstaufklärung und der historischen Evolution vor-

nehmlich unter dem Aspekt des Verhältnisses von Person und Institution bzw. Institutionensystem. Die Vorstellung, daß Menschen, ungeachtet ihrer vergleichbaren, affektiven Ausstat-tung, in ihrem individuellen wie gesellschaftlichen Verhalten wesentlich durch ihre Lebensumstände bestimmt werden, lenkt zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf die gesellschaftlichen und politischen Institutionen; deren Entstehung, Entwicklung, Sta-bilisierung oder auch Destabilisierung sind daher zentrale The-men der >Essays< und weisen Hume als einen der wichtigsten Institutionstheoretiker der bürgerlichen Gesellschaft aus.

Die Notwendigkeit, sich gesellschaftlich zusammenzuschlie-ßen, ist in Humes Anthropologie bereits eindeutig mitbegrün-det. Von Anfang an - so argumentiert Hume - sind Menschen gesellig26 , haben sie den Drang zueinander und werden sie durch ihre Fähigkeit, die Perspektive des Anderen einnehmen zu können, in eine interpersonale Kommunikation einbezogen. Zu-gleich legen natürliche Schwäche und prinzipiell uneinschränk-barer, individueller wie kollektiver Bedürfnishorizont die Be-gründung von Gesellschaft ebenso für jeden einzelnen nahe wie etwa der Wunsch nach Überleben und nach Sicherheit. Die >>Ver-bindung von Schwäche und Bedürfnis«27 in der menschlichen Natur ist daher ein bedeutender Grund für Vergesellschaftung, Selbstbezug und Eigeninteresse kommen hinzu und fungieren als ihre Motive. Das Streben nach Wohlbefinden, nach materiel-ler und geistiger Absicherung, aber auch die Tatsache, daß durch organisierte Arbeitsteilung die Effektivität und die Produktivität

26 >Über nationale Charaktere<, S. 160. 27 >Traktat<, Buch II, S. 228.

Einleitung XV

des Wirtschaftens gesteigert werden können28 , lassen Gesell-schaft nicht nur als nützlich, sondern auch als unumgänglich erscheinen.

Die Rechtfertigung des Prozesses der Vergesellschaftung, von Hume in Anknüpfung an unterschiedliche Denktraditionen aus einer Vielzahl differenter Motive hergeleitet, ist zunächst von der Erklärung des Entstehens der politischen Institutionen und deren Rechtfertigung unterschieden und getrennt. In primitiven Gesellschaften - so die These- mag Herrschaft über lange Zeit ohne eine auf Dauer gestellte Regierung auskommen; sie ist dort wesentlich personale Herrschaft, ausgeübt von Häuptlingen oder Heerführern, deren persönliche Autorität sich aufgrund erfolgreicher Situationsbewältigung herausgebildet hat, sich im-mer wieder neu bewähren muß und so faktisch auf Zeit bestätigt wird29 • Erst die allmähliche, aber unvermeidbare Verfestigung dieses persönlichen Regiments bezeichnet dann den Beginn einer institutionell abgesicherten Herrschaft und damit auch das Ent-stehen der Gesellschaft und des modernen Staates.

Entscheidend jedoch für die Herausbildung von Gesellschaf-ten wie für die Etablierung politischer Institutionen ist, wie Hume mit größtem Nachdruck mehrfach betont, die Entste-hung des Eigentums. Dem privaten Eigentum mißt er in seiner Gesellschaftstheorie eine - an den frühen Marx erinnernde -fundamentale und konstitutive Rolle zu, weil ohne dieses Eigen-tum Gesellschaften nicht notwendig würden: >>Besäßen alle Menschen ein so sicheres Gerechtigkeitsgefühl, daß sie niemals das Eigentum anderer begehrten, so hätten sie auf Ewigkeit in völliger Freiheit und ohne jegliche Unterwerfung unter einen Magistrat oder eine politische Gesellschaft leben können.«30

Allerdings: schon primitive Gesellschaften kennen soziale Diffe-

28 >Traktat<, Buch li, S. 229. Der Gedanke der Arbeitsteilung spielt in den >Essays< erstaunlicherweise keine Rolle.

29 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 304; vgl. auch >Traktat<, Buch III, S. 283 ff.

30 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 310; >Traktat<, Buch III, S. 227ff.; vgl. auch F. Linares, Das politische Denken von David Hume, Hildesheim 1984, bes. S. 17ff.

XVI Udo Bermbach

renzierungen, etwa die von Landbesitzern und deren Vasallen31

und damit kennen sie auch ungleich verteiltes Eigentum, das >>irgend wann, einmal durch Betrug oder Ungerechtigkeit erlangt worden sein muß<< 32 • Da dieser Zustand ungleicher Verteilung materieller Güterangesichts der Natur des Menschen und ange-sichts knapper Ressourcen nicht korrigierbar erscheint und des-halb akzeptiert werden muß, da überdies auch der Prozeß zivilisatorischer Entwicklung ungleiche Eigentumsverhältnisse nach sich zieht33 , ergibt sich der Zwang zur Sicherung der vorge-fundenen Situation. Dies geschieht durch die Einführung einer gesellschaftssichernden Rechtsordnung und der damit verbun-denen Gehorsamsverpflichtung für die Untertanen34 • Damit ist zugleich auch der Übergang von der primitiven, d. h. >natür-lichen< zur >künstlichen<, d. h. bürgerlichen Gesellschaft vollzo-gen und wird die personale durch die institutionelle Herrschaft abgelöst.

Historisch hat dieser Prozeß, dem Hume immer wieder nach-spürt, sich allerdings nicht in Form gegenseitiger Vereinbarung der betroffenen Handlungssubjekte vollzogen, weil die Nicht-besitzenden und Nichteigentümer dem wohl kaum hätten zu-stimmen können. Regierungen sind vielmehr >>Ursprünglich entweder durch Usurpation oder Eroberung oder beides ent-standen, jedoch stets ohne Vorspiegelung einer freien Zustim-mung oder freiwilligen Unterwerfung«35 . Mit dieser These bezieht Hume eine scharfe Gegenposition zu der in seiner Zeit vorherrschenden, naturrechtliehen fundierten Vertragstheorie, die als Unterwerfungs- (Hobbes) bzw. Zustimmungsvertrag (Locke) die Legitimität von Regierungen auf den consensus om-nium gründen wollte. Hume macht gegen den neuzeitlichen Kontraktualismus zwei Argumente geltend: zum einen bleibt

31 >Über Verfeinerung in den Künsten<, S. 200. 32 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 318. 33 >Über Zinsen<, S. 221. 34 >Über passiven Gehorsam<, S. 32Sff.; >Traktat<, Buch III, S. 235,

289ff. Vgl. auch Anm. 50. 35 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 306, 309 f.

Einleitung XVII

ihm die Unterstellung eines vorstaatlichen, gesetzeslosen Natur-zustandes eine »leere Fiktion«36 , ein >>spekulatives Prinzip<<37

von Philosophen, dem keine historische Wirklichkeit korre-spondiert und das allenfalls als eine hypothetische Negation des vorfindliehen Zustandes verstanden werden kann; die Idee eines Vertrages zur Begründung, Rechtfertigung und Institutionalisie-rung politischer Herrschaft übersteigt seiner Meinung nach das intellektuelle Vermögen von Wilden. Zum anderen hält er die in der Vertragstheorie implizierte Zustimmung der Regierten zur Regierung für eine ahistorische Konstruktion. Zwar kann theo-retisch >Zustimmung< »als eine der gerechtesten Grundlagen von Regierung<<, als »von allen die beste und unverletzlichste<<38 gel-ten, aber sie ist dann an die schon erwähnte Bedingung geknüpft, daß die bürgerliche Eigentumsordnung respektiert wird. Da diese Bedingung aber in der Realität unerfüllbar erscheint, Re-gierungen de facto auf Gewalt und Macht, auf Flotten und Armeen gegründet sind, läßt Hume die These der Zustimmung seitens der Regierten als Legitimationsquelle für Regierungen nur in zwei Fällen gelten: einmal für deren allererste Ursprünge »in Wäldern und Wüsten<<39, für personale Herrschaft also, zum anderen für jene bereits existierende, auf Gesetzen beruhende bürgerliche Herrschaft, und hier im Sinne eines stillschweigen-den Konsenses; konstitutiv für das Entstehen institutioneller Herrschaft und moderner Regierungen kann also Zustimmung der Regierten nicht sein, denn: »Diese Annahme setzt zum einen voraus, daß die Zustimmung der Väter auch die Kinder bis in die entfernteste Generation bindet - was republikanische Autoren niemals anerkennen würden- und ist zum anderen weder durch die Geschichte noch die Erfahrung zu irgendeiner Zeit und in irgendeinem Land der Welt gerechtfertigt.<<40

Konstitutiv sind vielmehr- neben dem Entstehen des Privat-

36 >Traktat<, Buch III, S. 237. 37 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 301. 38 Ebenda, S. 309. 39 Ebenda, S. 303. 40 Ebenda, S. 306.

XVIII Udo Bermbach

eigentums, dessen Garantie zentrales Motiv der Vergesellschaf-tung und folglich auch zentrale Aufgabe einer bürgerlichen Regierung ist - Nützlichkeitserwägungen der Menschen, auch ihre Neigung, Nahziele den Fernzielen vorzuziehen sowie schließlich die Einsicht in die Notwendigkeit der Sicherung einer die Gesellschaft zusammenhaltenden Rechtsordnung. Mögen Regierungen in der Geschichte der Menschheit >>eher zufällig und unvollkommen<<41 entstanden sein; Sicherheit des Besitzes, Übertragung dieses Besitzes durch Zustimmung und die Erfül-lung von Versprechungen sind- unter systematischen Aspekten gesehen- jene >>drei Grundgesetze des Naturrechts<<42 , die Ge-sellschaft notwendig machen, auf denen diese beruht und die jeder bürgerlichen Regierung ihre Ziele vorgeben.

Gegenüber der Tatsache, daß Affekte und Leidenschaften des Menschen unabänderlich sind43 , unterstreicht Hume stets die Notwendigkeit stabiler und funktionsfähiger Institutionen. Sie sind ihm- modern gesprochen- Konkretisierungen und Instru-mente kollektiver Rationalität, auch wenn gelegentlich und un-vermeidbar nicht-intendierte Folgen institutionellen Handeins beobachtet werden können44 • Sie übersteigen jede individuelle Vernunft, denn >>diese ist ein so unsicherer Ratgeber, daß sie stets Zweifel und Kontroversen ausgesetzt sein wird<<45 . Wären frei-lich kollektive und individuelle Vernunft identisch, so ließe sich vielleicht auf Institutionen verzichten, weil die dann geltenden sozialen Verhaltensregeln als gleichsam >natürliche< ihre Beach-tung finden würden, Herrschaft also kaum entstehen könnte.

Insoweit individuelle und kollektive Vernunft auseinander-treten, sind Institutionen >künstliche< Produkte46 , entspringen

41 >Über den Ursprung der Regierung<, S. 33. 42 >Traktat<, Buch III, S. 274. 43 >Traktat<, Buch III, S. 268. 44 >Über Steuern<, S. 271. 45 >Über die Parteienkoalition<, S. 332. 46 Zu der für Hume grundlegenden Bestimmung des >künstlichen<,

d. h. gesellschaftlichen Charakters von Institutionen vgl. D. Forbes, Hume's Philosophical Politics, Cambridge 1985, bes. S. 224ff.; F. G. Whelan, a. a. 0., S. 189ff.

Einleitung XIX

menschlichem Handeln und beruhen, jenseits ihrer systema-tischen Rechtfertigung, auf Konventionen, die sich aus der Ver-knüpfung von menschlichen Affekten und tradierten, gesell-schaftlichen Sozialstrukturen ergeben47• Diese Verknüpfung ist auch der Grund für einen dauernden Veränderungs- und Wand-lungsprozeß- >>alle menschlichen Institutionen und ganz beson-ders die Regierung sind in ständiger Bewegung«48 -, für einen Prozeß institutioneller Ausdifferenzierung und qualitativer Ent-faltung, den Hume evolutionär interpretiert, ohne ihn allerdings mit einem ausgearbeiteten Evolutionsmodell zu verbinden. Doch die Perspektive institutioneller Destabilisierung und De-generation ist damit nicht ausgeschlossen; Hume rechnet damit, daß auch Institutionen sich auflösen und ihr Ende finden kön-nen49.

Institutionalisierungsprozessen vorgelagert und mit der Af-fektenlehre verbunden sind moralische Verpflichtungen der Un-tertanen von zweierlei Art: zum einen gibt es Verpflichtungen, die >>durch natürlichen Instinkt oder eine unmittelbare Neigung veranlaßt werden<<50 , wie sie etwa, unabhängig von individuellen Nutzenkalkülen, in der Liebe zu den Kindern, der Dankbarkeit gegenüber Wohltätern oder auch dem Mitleid zu Unglücklichen ihren Ausdruck finden. Zum anderen gibt es jene, die nicht aus natürlichen Instinkten resultieren, sondern ihre Grundlage nur in der Existenz von Instititutionen finden und diese deshalb auch nötig werden lassen: >>Gerechtigkeit, Respekt vor dem Eigentum anderer und die Einhaltung von Versprechungen<<51 • Es sind ge-sellschaftlich interpretierte Grundsätze des Naturrechts, Ein-grenzungen eines ursprünglich sehr starken Verlangens nach

47 Vgl. J. L. Mackie, Hume's Moral Theory, London 1980, bes. Kap. VINII; H. Kliemt, a.a.O., S. 42ff.

48 >Über die Parteienkoalition<, S. 331. 49 >Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monar-

chie oder zu einer Republik tendiert<, S. 48. 50 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 316; zur Pflichtenlehre vgl.

auch >Traktat<, Buch III, S. 289ff.; F. Linares, a. a. 0., S. 22ff.; D. Mil-ler, a. a. 0., S. 78ff.

51 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 316.

XX Udo Bermbach

>>unbegrenzter Freiheit oder Herrschaft über andere«52 , aus de-nen sich im Interesse gesellschaftlicher Bestandssicherung für Hume zugleich auch starke Loyalitäts- und Gehorsamsver-pflichtungen der Bürger ergeben. Da im Prozeß gesellschaft-licher Entwicklung die natürlichen Pflichten ihre unmittelbar Evidenz allmählich verlieren, da ihre Bindungswirkung gleich-sam historisch sich verschleift, übernehmen die politischen In-stitutionen die Aufgabe, mit Hilfe allgemeiner Rechtsregeln deren gesellschaftliche Einlösung zu erzwingen. Gesellschaft und mit ihr die politischen Institutionen entstehen also aus an-thropologischen, verhaltensdispositiven und sozialen Gründen. In Institutionen sind individuelle Interessen und Bedürfnisse, Meinungen und Optionen ebenso aufgenommen wie die allge-meinen Ziele der Gerechtigkeit und der Friedenssicherung, aber sie werden jeweils, sobald institutionelles Handeln einsetzt, auf ihre Verallgemeinerungsfähigkeit hin überprüft. Institutionen erweisen sich so als intermediäre, organisatorische Verfestigun-gen, deren je selektive Integrationsleistung mit einer starken Bindungswirkung der von ihren Entscheidungen Betroffenen korreliert. In diesem Sinne heißt es bei Hume: »Die allgemeine Verpflichtung, die uns an Regierung bindet, entsteht aus dem Interesse und den Erfordernissen der Gesellschaft; und diese Verpflichtung ist sehr stark<<53 •

Letzteres rückt die Frage der Bedingungen von institutioneller Stabilität ins Blickfeld, die Hume primär am Beispiel der Regie-rung diskutiert. Grundlegend für solche Stabilität ist zunächst eine funktionierende Rechtsordnung, sind Gesetze, die das Le-ben, die Freiheit und das Eigentum der Bürger schützen. >>Ge-setzgeber sollten daher die zukünftige Regierung eines Staates nicht völlig dem Zufall anvertrauen, sondern ein System von Gesetzen schaffen, das die Verwaltung öffentlicher Angelegen-heiten bis in die entfernteste Nachwelt regelt. << 54 Gemeint ist mit dieser, aufs erste überraschenden Aussage, ein fester Verfas-

52 Ebenda, S. 316f. 53 Ebenda, S. 322. 54 >Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse<<, S. 16.

Einleitung XXI

sungsrahmen, der die >Rechtstaatlichkeit< von Regierungen zu gewährleisten vermag und personalen Machtmißbrauch aus-schließen kann. Nicht gemeint ist eine vorbehaltlose Verteidi-gung eines einmal erreichten gesellschaftlichen Zustandes, denn Hume weiß genau, daß sozialer Wandel, wissenschaftlicher und kultureller Fortschritt mit Veränderungen des allgemeinen, ge-sellschaftlichen Bewußtseins einhergehen und Gesetze wie poli-tische Institutionen nicht unberührt lassen. Ganz im Gegenteil: institutionelle Reaktion auf diesen Wandel und Gesetze, die dem natürlichen Lauf der Dinge entsprechen 55 , sowie eine Regie-rung, die die Menschen in ihrer faktischen Befindlichkeit in Rechnung stellt, sind geradezu Voraussetzungen institutioneller Stabilität. Wenn Hume mit Bezug auf die Eigentumsgarantie der bürgerlichen Gesellschaft darauf verweist, daß damit die realen Eigentumsverteilungen nicht dauerhaft festgeschrieben werden sollen, sondern daß Verjährung, Übertragung, Zuwachs oder Erbschaft zu ständiger Neuverteilung dieses Eigentums führen können56 ; wenn er zugleich feststellt, daß der »große Einfluß des Eigentums auf die Macht keinesfalls bestritten werden kann<< 57,

so läßt der damit behauptete Funktionszusammenhang von prin-zipieller Bestandsgarantie für die Institution bei gleichzeitiger Flexibilität ihrer inhaltlichen Ausfüllung und Handlungsorien-tierung sich generalisieren und auf alle, besonders die politischen Institutionen übertragen.

Die Geltung eines allgemeinen Verfassungsrahmens und die unbedingte Gesetzesbindung haben für die Regierungen auch binnenorganisatorische Wirkungen. Gute Gesetze zum Beispiel können »Ordnung und Mäßigung<<58 bewirken, Extreme ver-meiden und damit zu einer organisierten Machtbalance beitra-gen, die als eine weitere, fundamentale Stabilitätsbedingung

55 >Über Handel<, S. 182. 56 >Traktat<, Buch III, S. 249 ff. 57 >Zur Frage, ob die britische Regierung mehr zu absoluter Monar-

chie oder zu einer Republik tendiert<, S. 44. 58 >Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse<<, S. 18; Zur

Theorie der Gerechtigkeit vgl. u. a. J. Harrison, Hume's Theory of Ju-stice, Oxford 1981; D. Miller, a. a. 0., S. 60ff.

XXII Udo Bermbach

gesehen wird. Der Grundsatz des Machtgleichgewichts durch-zieht Humes gesamtes politisches Denken, er ist in außenpoliti-scher Hinsicht ebenso zentral 59 wie für die innergesellschaftliche Herrschaftsausübung und Herrschaftsorganisation. Er ist- ähn-lich dem Grundsatz einer an Gesetze gebundenen Regierung -ein modernes Prinzip, >>ein Geheimnis, das erst in der heutigen Zeit vollständig bekannt ist<<60 und das sich konkretisiert in der allmählichen Verwirklichung der Gewaltenteilung wie in der Mäßigung beim Verfolgen politischer Ziele. Er ist Ergebnis eines Zivilisationsprozesses, dessen Realisierung auf der Basis allge-meiner Gesetze außerordentlich schwierig erscheint, der Ur-teilskraft vieler bedarf und nur durch Erfahrung und permanen-te Selbstkorrektur überhaupt erfolgreich bewältigt werden kann61 .

Machtbalance - dies ist ein Kriterium, das Hume in seinen >Essays< immer wieder als zentralen Bestimmungsgrund anlegt, das gleichsam als institutionelle Fassung seines Ideals der Mäßi-gung gelten kann. In der europäische Geschichte sieht er seit der Antike Ansätze zu einer Verwirklichung dieses Prinzips, das ihm als Tendenz der Realisierung des >>gesunden Menschenverstan-des«62 erscheint. Für die Moderne gewinnt dieses Prinzip der Machtbalance eine mächtige, normative Kraft: soziale und poli-tische Macht, Eigentum und politische Herrschaft sollen in ei-nem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen63 , die soziale Struktur einer Gesellschaft sich in der Organisation von Regie-rung und Administration reflektieren und repräsentiert finden, damit Stabilität gewährleistet werden kann. Ziel aller modernen Politik muß es sein, Machtkonzentrationen zu vermeiden, und

59 >Über das Machtgleichgewicht<, S. 255 ff.; vgl. u. a. W. Jäger, Politi-sche Partei und parlamentarische Opposition, Berlin 1971; S. 177ff.; F. Linares, a. a. 0., S. 81 ff.

60 >Über bürgerliche Freiheit<, S. 100. 61 >Über Aufstieg und Fortschritt der Künste und Wissenschaften<<,

s. 136. 62 >Über das Machtgleichgewicht<, S. 261. 63 >Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung<, S. 28; >Über

Handel<, S. 187.

Einleitung XXIII

um dies zu erreichen, müssen Regierungen eine ausgleichende, auf >>Milde und Mäßigung<<64 gegründete Politik betreiben. In diesem Zusammenhang übt Hume scharfe Kritik an jeglicher Politisierung und Instrumentalisierung von Religion, tritt er ge-gen Ideologisierungen jeglicher Art der Politik auf. Priester sind ihm von jeher >>Feinde der Freiheit<<6S, religiöser Fanatismus das >>blindeste, eigensinnigste und unbeherrschbarste Prinzip<<66 ,

das sich >>jeder Kontrolle durch menschliche Gesetze, Vernunft und Autorität verweigert<<67• Seine radikale Religionskritik, mit der er sich im Einklang mit der europäischen Aufklärungsphilo-sophie befindet, zielt auf die Bekämpfung jeglichen Extremis-mus und jeglicher politischer Interventionsmöglichkeit etablier-ter Kirchen, weil dies die gesellschaftliche Ausgewogenheit zerstört, konfliktverschärfend wirkt und damit den Bestand und die Dauerhaftigkeit politischer Institutionen gefährdet.

Und schließlich kommt, als eine weitere Bedingung institutio-neller Stabilität, der Respekt vor der Tradition hinzu, denn sie >>bestimmt stets die Meinung über Rechtmäßigkeit<<68 von politi-scher Herrschaft. Die Ablehnung des Kontraktualismus, die Betonung der Bindung von Regierungen an die- auch historisch sich entwickelnden- Gesetze, der stete Hinweis auf den Zivilisa-tionsprozeß und sein Ergebnis einer' gewaltengeteilten und ge-waltenbalancierten Gesellschaft, >>jenes weise System von Geset-zen, Institutionen und Traditionen<<69 - dies alles sind Elemente, die das Politik-Konzept von Hume überaus nachhaltig bestim-men. Sie sind zugleich auch Grundlagen jener schon erwähnten Gehorsamsverpflichtung für die Bürger, von der Hume meint, sie müsse mit besonderem Nachdruck allen eingeprägt werden,

64 >Über Verfeinerung in den Künsten<, S. 197. 65 >Über Parteien in Großbritannien<, S. 63; >Über Aberglaube und

Enthusiasmus<, S. 77ff.; zu Humes Religionskritik vgl. den einführen-den Überblick in E. Topitsch/G. Streminger, Hume, Darmstadt 1981, s. 140ff.

66 >Über die Parteienkoalition<, S. 336. 67 Ebenda. 68 >Über die ursprünglichen Prinzipien der Regierung<, S. 25. 69 >Daß Politik sich auf eine Wissenschaft reduzieren lasse<, S. 21.

XXIV Udo Bermbach

denn: »Es gibt tatsächlich nichts Schrecklicheres als die völlige Auflösung der Regierung<<'o.

Verletzt eine Regierung allerdings die fundamentalen Interes-sen der Gesellschaft, kann sie die Eigentumsgarantie nicht auf-rechterhalten, und sind so Frieden und Gerechtigkeit gefährdet, so kann diese Gehorsamsverpflichtung durch die Regierten auf-gekündigt werden. Zwar nicht durch Revolution, denn Hume kennt kein Recht auf Revolution71 , wohl aber durch Widerstand. Ganz in der Tradition der klassisch-europäischen Widerstands-lehre läßt Hume für jenen Fall obrigkeitlichen Versagens als ultima ratio, als »letzten Ausweg in verzweifelten Fällen<< 72 Wi-derstand dann zu, >>wenn die Verfassung nur dadurch verteidigt werden kann<< 73 • Aber alle Anstrengungen des Argumentierens in den >Essays< sind gerade darauf gerichtet, jene Grundsätze vernünftigen Regierens so zu entwickeln und zu plausibilisieren, daß der Fall eines nur individuell entscheidbaren Widerstandes nicht eintreten kann. Denn für Hume wäre dies ein Rückfall von einer institutionell eingegrenzten und kontrollierten Machtaus-übung, wie sie einzig der Moderne entspricht, auf historisch überholte Positionen personaler Politik-Entscheidung.

111 Aus der Analyse der zentralen politischen lnstitutio-• nen seiner Zeit, vor allem denjenigen Englands, sucht

Hume die Bedingungen einer Politik zu erkennen, die am morali-schen, politischen und ökonomischen Fortschritt orientiert ist. Daß alle Lebens- und Tätigkeitsbereiche aufs engste miteinander zusammenhängen, daß sie sich wechselseitig beeinflussen, hem-men oder fördern, ist ihm nicht zweifelhaft. Es sind primär die sozialen Umstände, wie Prägung durch den Beruf, Lebensstan-dard, Sprache, Gesetze, die Entwicklung der Wissenschaften und

70 >Über den ursprünglichen Vertrag<, S. 307; im >Essay< >Über den Ursprung der Regierung< heißt es zu den Gehorsamsverpflichtungen la-pidar: >>Gehorsam muß als eine neue Pflicht eingeführt werden<<, s. 32.

71 Dazu F. Linares, a. a. 0., S. 54ff. 72 >Über passiven Gehorsam<, S. 326. 73 Ebenda, S. 328.