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SPEZIAL: ARCHITEKTURFARBEN DER FRÜHEN MODERNE IN ZUSAMMENARBEIT MIT KEIMFARBEN db-Metamorphose BAUEN IM BESTAND

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SPEZIAL: ARCHITEKTURFARBEN DER FRÜHEN MODERNE

IN ZUSAMMENARBEIT MIT KEIMFARBEN

db-MetamorphoseBAUEN IM BESTAND

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IMPRESSUMSonderheft db-Metamorphosedb deutsche bauzeitung HERAUSGEBERINKatja KohlhammerVERLAGKonradin Medien GmbHErnst-Mey-Straße 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, GermanyGESCHÄFTSFÜHRERPeter DilgerVERLAGSLEITERINMarei RödingVERANTWORTLICHER REDAKTEURDipl.-Ing. Christian Schönwetter, Phone +49 711 28 49 372LAYOUTAnja Carolin GrafANZEIGENMediaberatung: Marion Hinze, [email protected] Mlynek, [email protected] +49 711 7594-1302

Bildnachweis:Das Cover zeigt das Hotel Miramonte in Bad Gastein, dessen Räume mit Corbusier-Farbtönen aus der Kol-lektion »poLyChro« des Herstellers Keimfarben gestal-tet wurde.S. 1: Keimfarben, DiedorfS. 2: Christian Schönwetter, StuttgartS. 3: Christian Schönwetter, StuttgartS. 4-7: (1-2): Thomas Robbin / Architektur-Bildarchiv, Herten; (3): Andreas Praefcke, Wikimedia; (4, 5, 7, 8): Matthias Gröne, Stuttgart; (6): Hugo / WikimediaS. 8-11: (1, 2, 5, 7): Keimfarben, Diedorf; (3, 4, 6): Helge Pitz, BerlinS. 12-15: (1, 6): Mikaela Burstow, Tel Aviv; (2, 8): Netz-werk Weiße Stadt, Tel Aviv; (3, 4, 9): Dagmar Ruhnau, Stuttgart; (5): Zoltan Kluger; (7): Sharon Golan-Yaron, Tel AvivS. 16-18: (1): Le Corbusier: Maison La Roche, Innen-aufnahme, (c) FLC / VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: Olivier Martin Gambier, Paris; (2): Abbildung des Buchs »Farbenklaviaturen« als Teil des Schubers »Poly-chromie architecturale« hrsg. von Arthur Rüegg, Basel, 1997; (3): Le Corbusier: Werke im Atelier, (c) FLC / VG Bild-Kunst, Bonn 2017, Foto: © WILLY RIZZO, exhibit at the Studio Willy Rizzo; (4): Les Couleurs Suisse AG (Hg), Architektonische Farbgestaltung – Le Corbusier‘s Polychromie Architecturale, Zürich, 2015; (5-6): Keimfarben, Diedorf

INHALT

GRUNDLAGEN WELCHE FARBE ZU WELCHER ZEIT? Architekturfarben vom Jugendstil bis zu den 50er Jahren 4 Matthias Gröne

BEISPIEL SIEDLUNGSBAU FARBIGE IKONE DER MODERNEN ARCHITEKTUR Siedlung Onkel Toms Hütte in Berlin 8 Helge Pitz

BEISPIEL STÄDTEBAU DIE WEISSE STADT TEL AVIV UNESCO-Welterbe zwischen Bewahren und Weiterentwickeln 12 Sharon Golan-Yaron

FARBSYSTEM FARBE BEKENNEN Le Corbusiers Polychromie architecturale und ihre heutigen Anwendungsmöglichkeiten 16 Dorothee Maier

db-Metamorphose Spezial 2017 ARCHITEKTURFARBEN DER FRÜHEN MODERNE

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ARCHITEKTURFARBEN DER FRÜHEN MODERNELange schien Weiß die alles beherrschende Farbe zu sein, wenn es um Avant-garde-Architektur der 20er Jahre ging. Der Ton prägte bedeutende Bauten dieser Dekade, seien es Le Corbusiers Villen in und um Paris, Ouds Sied-lungshäuser bei Rotterdam oder auch Gropius‘ Bauhaus-Ensemble in Dessau. Doch seit einiger Zeit wird kräftig am Mythos der »weißen Moderne« gekratzt – und das durchaus im wörtlichen Sinne: Bei restauratorischen Untersuchun-gen an Denkmalen dieser Epoche tauchen unter weißen Anstrichen häufig Bunttöne auf, die aus der Erbauungszeit stammen. Im Zuge der Instandset-zung wird dann meist die frühere Farbigkeit wiederhergestellt.Besonders eindrucksvoll geschah dies bei der berühmten Weißenhofsiedlung in Stuttgart. Wer länger nicht dort war und heute durch die Straßen schlen-dert, trifft nicht nur auf eine leuchtend blaue Reihenhauszeile von Mart Stam, sondern seit Kurzem auch auf eine pastellgrüne Fassade am Doppelhaus von Le Corbusier und auf eine satt beigefarbene Wohnzeile von Mies van der Rohe (Bilder oben und links). Der Weißenhof überrascht mit einer solchen Farbfülle, dass man ihn ganz neu entdecken kann. Wie konnten all diese Töne in Vergessenheit geraten? Einer der Gründe liegt in der medialen Rezeption der Bauten nach ihrer Fertigstellung: Fotografisch ließ sich Architektur in Zeitschriften und Büchern damals nur mittels Schwarz-Weiß-Aufnahmen do-kumentieren. Und im Laufe der folgenden Jahrzehnte waren die originalen Nuancen nach und nach unter neuen Anstrichen verschwunden. Auch die Karlsruher Dammerstocksiedlung, eine Inkunabel der weißen Mo-derne, entpuppte sich bei der jüngsten Modernisierung als verblüffend farbig. Hier hatte Walter Gropius als Verfasser des städtebaulichen Masterplans ex-plizit für alle Bauten gestalterische Vorgaben gemacht: Weiß für die Wandflä-chen, Grau für Sockel, Türen und Fenster. Noch bis vor Kurzem schien eine Wohnzeile, die er selbst errichtet hatte, genau diesem Farbkanon zu gehor-chen. Bei der restauratorischen Untersuchung tauchte jedoch ein kräftiges Karminrot an den Türen zwischen Laubengang und Treppenhaus auf – Gro-pius hatte sich anscheinend über seine eigenen Vorgaben hinweggesetzt. Seit der behutsamen Sanierung der Zeile leuchtet das Rot kräftig in den Außen-raum und gibt dem Bau eine zusätzliche Facette.Viele weitere Beispiele ließen sich anführen. Und so erleben wir seit einigen Jahren einen regelrechten Prozess der »Rekolorisierung« bei den älteren Bau-ten der Moderne. Grund genug, diese Epoche etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Das Unternehmen Keimfarben hat daher im November 2016 ein Symposium zum Thema »Architekturfarben der frühen Moderne« veranstal-

tet. Es fand im Rahmen der Leipziger Messe »denkmal« statt und setzte sich mit Gebäuden der 20er bis 50er Jahre auseinander. Die Ergebnisse des Symposiums fasst diese Sonderausgabe der db-Metamorphose zusammen. Sie beschäftigt sich mit den beiden wichtigsten Protagonisten des farbigen Bauens jener Jahre: zum einen mit Bruno Taut, dessen Siedlung Onkel Toms Hütte durch eine ei-genwillige Farbigkeit besticht und hier genauer be-leuchtet wird, zum anderen mit Le Corbusier, der mit der »Polychromie architecturale« eine eigene Farbkollektion auf den Markt brachte, die inzwi-schen von Keimfarben produziert und vertrieben wird. Darüber hinaus kommt das Werk jener Bau-haus-Architekten zur Sprache, die ab den 30er Jah-ren nach Palästina auswanderten und dort bis in die 50er Jahre die legendäre Weiße Stadt in Tel Aviv aufbauten. Und da ist sie dann doch wieder, die Farbe Weiß …

Christian Schönwetter

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WELCHE FARBE ZU WELCHER ZEIT?

Wer denkmalgeschützte Architektur instand-setzt, braucht ein schlüssiges Farbkonzept. Hier kann es nicht schaden, sich ins Ge-dächtnis zu rufen, welche Gestaltungsvorlie-ben zu bestimmten Zeiten herrschten und mit welchen Farbstoffen sie verwirklicht wurden.

Egal ob bei Fassaden oder in Innenräumen: Bei genauer Be-trachtung von Oberflächen alter Gebäude treten häufig uner-wartete Anstrichtechniken oder Farbgestaltungen zutage, die von darüber liegenden Farbschichten überdeckt waren. Geht es nun um einen Neuanstrich, stützt sich der Denkmalpfleger bei vorhandener Bausubstanz in der Regel auf eine Befunderhe-bung. Wo dies nicht möglich ist, kann man für Gebäude, die et-wa ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden, auf epochentypische Töne setzen. Denn ab dieser Zeit gibt es ge-nauere Aufzeichnungen über Materialmengen und Verkaufs-zahlen bestimmter Bauprodukte und Farben. Aufgrund einer statistischen Auswertung solcher Zahlen legte die Kunsthistori-kerin Dr. Christel Darmstadt drei Farbtendenzen und Farbvor-lieben zur Zeit des Historismus in Deutschland fest:

Text: Matthias Gröne

FARBIGKEIT UND ANSTRICHE VOM JUGENDSTIL BIS ZU DEN 50ER JAHREN

• die Zeit der »buntfarbigen Dekoration« von etwa 1830 bis 1860• die Zeit der »dunklen Naturfarbigkeit« von etwa 1860 bis 1890

und • die Zeit der »historisch richtigen Farbgebung« von ungefähr

1890 bis 1915, als man etwa für gotisierende Architektur ande-re Töne verwendete als für neoromanische oder neobarocke.

Für die farbliche Gestaltung der Oberflächen, sei es aus Stuck, Holz, Putz oder anderen Materialien, wählte man Ölfarbenan-striche, Kaseine, Kalk-Kaseine und Leimfarben. Farben werden in der Regel nach ihrem Bindemittel benannt: Dies sind Öle, Wachse, Harze oder eben auch das Milchprodukt Kasein und andere tierische und pflanzliche Leime. Die Basis der Leimfar-ben waren Knochen- oder Hautleime – also Tierabfälle.

DIE FARBIGKEIT DES JUGENDSTILS VON ETWA 1890 BIS 1910

In der auf den Historismus folgenden Zeit des Jugendstils bevor-zugte der gut situierte Bürger im Innenraum Wandbespannun-gen und Tapeten – manchmal auch Schablonenmalereien auf Gewebe oder auch schon mal direkt auf feinen Putz. Oft wurde

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nur türhoch tapeziert und darüber eine Linie oder Bordüre mit dem Strichzieher angebracht. Aus dieser Zeit sind Musterbücher mit dekorativen Malvorlagen bekannt. Als Schutzschicht solch dekorativer Malereien beispielsweise in Fluren und Treppen-häusern verwendete man Dammarharz, ein natürliches Baum-harz, aufgelöst in Terpentin und kombiniert mit Leinöl als Fir-nis. Leinöl trocknet langsam, Dammarharz schnell – die richtige Mischung macht‘s. Sehr beliebt waren auch verschiedene Ver-goldungs- und die kostengünstigeren Schlagmetalltechniken.In der farbigen Gestaltung von Fassaden bildeten sich zwei Auf-fassungen heraus, die auch heute noch die Denkmalpflege im-mer wieder zu Diskussionen um die Farbe anregen:

Ein Haus soll sein wie ein »Blumenstrauß«Hier steht die Auffassung derer, die das Erscheinungsbild eines Gebäudes wie einen Blumenstrauß betrachteten – zu ihnen ge-hörte J. M. Olbrich –, das heißt, ein Haus besitzt eine sehr stark ausgeprägte Farbigkeit.Die Siedlung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt wurde im Volksmund »Tintenviertel« bezeichnet, demgegenüber stand die übrige Stadt in Steingrau. Eine rezeptartige Gestaltungsanwei-sung von Olbrich besagt: »Der Giebel, verschindelt, sei Grün ge-strichen, halte das Holzwerk in Weiß, die übrige Fassade in Ocker abgetöntem Putz. Besonders wichtig sind die roten Dach-ziegel, denn durch die Farbabstimmung Grün, Gelb, Weiß und Rot macht das Haus einen freundlichen Eindruck, einem Blu-menstrauße gleich« [1]. Die Zeitschrift »Die Kunst« empfiehlt in einem Aufsatz über Landhäuser im Harz eine Farbpalette von hellem Ocker, tiefem Rot, Blau und Grün sowie Schattierungen von Violett (z. B. Bild 2).

»Gegen das geistlose Bepinseln von Fassaden«Einer gänzlich anderen Auffassung waren die Verfechter einer eher zurückhaltenden Farbgebung, sie vertraten die Meinung, eine starke Formensprache in der Architektur bedürfe nur eines zurückhaltenden Anstrichs, um die Licht- und Schattenwirkung der baulichen Gestalt zu unterstützen (Bild 1). »Nichts wirkt ge-nusstötender als übel gewählte, ordinär kreischende Farbtöne«

[1], sie galten als »überflüssiges Pinselgefasel« [1]. Auch diese

1 Damit nichts vom plastischen Fassadenschmuck dieses Gebäudes in München ablenkt, hat sein Ar-chitekt auf eine sehr zurückhaltende Farbgebung gesetzt

2 Passend zur floralen Ornamentik: Viele Wohn-bauten im Jugendstil präsentieren sich bunt wie ein Blumenstrauß. Hier ein Beispiel aus Weimar

3 Strahlend weiße Anstriche waren technisch erst ab den 30er Jahren möglich. Ältere Bauten, etwa Le Corbusiers Doppelhaus in der Stuttgarter Wei-ßenhofsiedlung, zeigten daher Pastelltöne oder gebrochenes Weiß

Fraktion hatte eine rezeptartige Gestaltungsanweisung parat: »Wo Du zu dekorativen Zwecken mit einer Farbe auskommst, da nimm nicht zwei, wo zwei zulangen, nicht drei – sonst allerdings kommt statt Farbenkraft leicht Buntscheckigkeit heraus« [1].

FARBKOLLEKTIONEN DER BAUHAUS-ÄRA

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts setzt das Bauhaus mit der Ein-richtung einer Klasse für Wandmalerei neue Trends in der Farb-gestaltung. Nach Johannes Itten leiteten Oskar Schlemmer und Wassily Kandinsky die Klasse. Ihre Schwerpunkte lagen mehr im bildhaften und figürlichen Gestalten von Wänden. Kandin-sky folgte nach Aufzeichnungen seiner Frau Nina nicht den pu-ristischen Tendenzen der 20er Jahre, denen sich z. B. Gropius im Bereich der Architektur angeschlossen hatte. Vielmehr waren seine Wandgestaltungen eng mit den eigenen, darauf befindli-chen Bildern und Malereien verwoben. In Aufschrieben finden wir eine Auflistung von Techniken, die Kandinsky und seine Kollegen angewandt haben. Dazu gehören Leim- und Kaseinfar-ben, Öltempera- und Ölmalfarben, Kalk- und Wachsfarben, das Sgraffito und das Fresko als Putztechniken und auch Imitations-techniken auf Holz oder Stuck. Auf Kandinsky folgte im ›

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Töne können dabei miteinander kombiniert werden und passen stets wieder zusammen. Das Geheimnis liegt in der Herstellung: Le Corbusier mischte seine Farben nicht mit Schwarz, um sie zu trüben – sondern mit der Gegen-, der Komplementärfarbe. Das entspricht der traditionellen Farbtheorie, wie sie auch am Bau-haus gelehrt wurde. Bei der Mischung mit der im Farbkreis ge-genüberliegenden Farbe wird der Ton sanft gebrochen. Er wirkt harmonisch und beruhigend auf das menschliche Auge – denn eigentlich mischt man immer nur die drei Grundfarben Blau, Gelb und Rot miteinander aus.

RICHARD NEUTRA UND BRUNO TAUT

Ebenfalls in den 20er Jahren baute Richard Neutra eine Wohn-siedlung in Berlin, für deren Fassaden er ausschließlich Weiß und Rot wählte. Innen zeigte sich dagegen ein Blumenstrauß an Farben, jeder Raum wurde in einem anderen Ton deckend oder lasierend gestaltet (Bild 4-5).Eine Sonderstellung in der Gestaltung von Architektur nahm Bruno Taut mit seinem »Aufruf zum farbigen Bauen« ein. Ge-prägt durch die Farbenfreude des Expressionismus gestaltete er ganze Stadtteile in und um Berlin und Magdeburg mit einer wahren Farbexplosion. Mit der Verwendung von sehr kräftigen und ausdrucksstarken Tönen im Innen- sowie im Außenraum verfolgte er seine ganz eigene Philosophie, die ihn weltweit als Farbarchitekt berühmt machte (s. a. S. 8-11).

GRAU UND BRAUN ERSETZEN BUNT

In Deutschland setzte zu Beginn der 30er Jahre eine große Vor-liebe für graue, braune, ockerfarbene und gelbe Nuancen ein (Bild 6). Grau war dabei dem fortschrittlichen Stadtleben vorbe-halten, es symbolisierte regelrecht den Begriff »Stadt« – im Ge-gensatz zur Farbgebung auf dem Land. Grau galt als Farbe der Arbeit, bunte Farbtöne wurden als zu romantisch eher abgelehnt. Auch in der Denkmalpflege war man der Meinung, dass haupt-sächlich für die älteren Gebäude ein lichtes bis mittleres Grau die einzig richtige Farbe sei.

Jahr 1925 Hinnerk Scheper, dessen Werkstatt eher handwerklich ausgerichtet war. Von ihm liegen keine theoretischen Abhand-lungen über den Gebrauch von Farben im Raum vor. Die Fassaden der Bauhausarchitektur, geprägt durch Walter Gropius, zeigen primär die Farbe Weiß als Sinnbild schmucklo-ser Eleganz. Nichts sollte von der reinen Form ablenken. Tradi-tionalisten und Gegnern des Funktionalismus galt sie aber als ungeeignet für repräsentative Zwecke und so wurde der 1927 entstandenen Stuttgarter Werkbundsiedlung auch ein wenig ab-fällig der Beiname »Araberdorf« gegeben. Betrachtet man die Siedlung am Weißenhof jedoch ein wenig genauer, lässt sich feststellen, dass nahezu an keiner Fassade das reine Weiß auf-taucht – vielmehr liegt eine Palette von sanften Weißnuancen und Pastelltönen vor (Bild 3). Denn das strahlende Weiß, wie wir es heute kennen, gibt es herstellungstechnisch erst seit dem Jahr 1938. Das heißt, die Farbtöne RAL 9010 oder RAL 9016 waren damals noch nicht produzierbar. Beide gilt es daher zu vermeiden, wenn heute bei einer Instandsetzung das originale Erscheinungsbild angestrebt wird.

DE STIJL UND LE CORBUSIER

In Holland hatte sich in den 20er Jahren die Gruppe De Stijl for-miert. Architekten, Künstler und Designer bevorzugten geome-trisch-abstrakte und »asketische« Darstellungsformen in Kunst und Architektur – geradezu ein Markenzeichen wurde die ge-stalterische Dominanz der fünf Farben Schwarz, Weiß, Rot, Gelb und Blau. Die wichtigsten Vertreter waren Piet Mondrian, Gerrit Rietveld, Theo van Doesburg und der Architekt J. J. P. Oud, der in einigen seiner Gebäude quasi die Gemälde Piet Mondrians in Architektur umsetzte. Le Corbusier verwendete bei seinen Häusern aus dieser Epoche leichte, helle und duftige Pastelltöne an den Fassaden und kräfti-ge, warme Farbtöne im Innenraum. Er verstand sich als Künstler und Architekt, in der Architektur verwendet er deswegen auch die Farben der Kunst. Mit der Schweizer Firma Salubra brachte er eine eigene Farbtonkollektion heraus, die es ermöglichen soll-te, Räume ansprechend zu gestalten (s. a. S. 16-18). Nahezu alle

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Während auf den griechischen Inseln der Diktator Metaxa die Fassadenfarbe Weiß aus hygienischen Gründen vorschrieb, gab es in Deutschland einen Erlass aus den 30er Jahren, der einen dunkelgrauen bis schwarzen Anstrich verordnete. Damit sollten besonders Gebäude in Industriegebieten und auch große Miets-häuser im Kriegsfall nicht so schnell aus der Luft ausfindig ge-macht werden können.Bedingt durch den Zweiten Weltkrieg entfielen für die 40er Jah-re fast jegliche Farbanwendung und eine weiterführende Aus -einandersetzung über die farbige Gestaltung von Gebäuden. Bunte Töne an Gebäuden wurden eher vermieden und verach-tet. Farbe wurde nicht thematisiert, weder an Hochschulen noch an den Malerfachschulen gab es entsprechende Lehrangebote. Lediglich unter denkmalpflegerischen Gesichtspunkten wurde das Thema Farbe manchmal behandelt.

NACH DEM KRIEG: NEUES DESIGN, NEUE FARBEN

Die Zeit nach 1945 war geprägt durch die Trümmerbeseitigung und den allmählichen Wiederaufbau der Städte. Erst in den be-ginnenden 50er Jahren setzte eine leichte Trendwende hin zur Farbe und damit auch zur Lebensfreude ein. Großer Beliebtheit erfreuten sich neue kreative Schmucktechniken, etwa der Lack-schnitt, das Sgrafitto (Bild 7), der Kammzug, das Mosaik und ver-schiedene Putzarten. Im Innenraum fanden sich häufig pastellige, später kräftigere Farbtonvariationen – vornehmlich in den drei Grundfarben Blau, Gelb und Rot. Gerne wurde auch mit Farbe aus dem Material heraus experimentiert – wie z. B. mit Alumini-um und Messing im Einklang mit Edelhölzern oder auch neuen Kunststoffen. Diese wurden häufig in einen Kontrast mit den meist glänzend gespachtelten Oberflächen gebracht. Die Dispersionsfarbe, ein nahezu reines Kunstharzprodukt, fand ab diesem Zeitpunkt – bis heute – große Verbreitung. Neben dem traditionellen, leicht gebrochenen Weiß stehen Farbtöne in Türkis, Blaugrau, kräftigem pompejianischen Rot, Pastellgelb und Schwarz hoch im Kurs. In Treppenhäusern findet man häu-fig dicke Latex-Farbanstriche, die extrem robust, aber leider überhaupt nicht reversibel sind. Für die Denkmalpflege ist dies

[1] Roether, Jürgen und Hans-Günther Sperlich, Jugendstil auf der Mathildenhöhe – Ein Dokument des Jugendstils, Darmstadt 1980

4/5 Selbst Architekten der Neuen Sachlichkeit trieben es mitunter ziemlich bunt: Ein Berliner Siedlungshaus von Richard Neutra wartet mit Räumen in sattem Blau, Orange und Grün auf

6 Typische Töne der 30er Jahre waren Ocker und Grau, wie hier am Staatstheater von Saarbrücken

7 In den 50er Jahren erfreuten sich Sgraffitos großer Beliebtheit

8 Graue Wandfarbe, Messinggeländer und Linoleum-boden in einem Londoner Haus aus den 50er Jahren

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bis heute ein Problem, denn diese Produkte können nicht ein-fach wie die natürlichen Farben abgewaschen werden; man kann sie nur mechanisch sehr mühsam und häufig den Untergrund angreifend oder zerstörend entfernen. In der Nachkriegszeit nimmt Le Corbusier wieder eine Sonder-stellung ein. Dies zeigt sich besonders am Beispiel der Kapelle von Ronchamp: Außen eher schmucklos und auf Form bedacht, entstand innen eine wunderbare farbige Welt – geschaffen durch Lichtspiele mit farbigem Glas. Andere Material-Farbenspiele gibt es beispielsweise bei der Lie-derhalle in Stuttgart von Rolf Gutbrod: Hier lebt das Thema Far-be v. a. aus dem Material heraus. Im Innenraum weisen Glätte-techniken aus Dispersionsspachtelmaterial im Wechsel mit Sichtbeton bereits in Richtung der folgenden 60er Jahre.

Matthias Gröne studierte Architektur an der Akademie der Bil-denden Künste Stuttgart und an der Universität Stuttgart. Seit 2001 unterrichtet er an der Hochschule Esslingen als Professor für Farbe, Design, Denkmalschutz und Kreative Werktechnik im Studiengang »Chemieingenieurwesen / Farbe und Lack«.

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FARBIGE IKONE DER MODERNEN ARCHITEKTUR

Es gibt gute Gründe, die Siedlung »Onkel Toms Hütte« ins UNESCO-Welterbe aufzunehmen. Seit der neuesten Instandsetzung werden ihre virtuosen Farbqualitäten immer deutlicher sichtbar. Und mit ihrer besonderen Entste-hungsgeschichte ist sie Zeugnis der großen sozialen und architektonischen Themen der 20er Jahre.

Es begann Ende der 70er Jahre: Nachdem die vier Berliner Großsiedlungen der Weimarer Republik durch unsensible Sa-nierungen in der Nachkriegszeit erheblich an Qualität einge-büßt hatten, erforschte unsere Architekturwerkstatt Pitz-Brenne den historischen Zustand der Bauten. Die umfangreiche Doku-mentation (zehn bis zwölf DIN-A4-Bände mit je ca. 300 Seiten) stieß auf großes Interesse: Das Bauhaus-Archiv nutzte das Mate-rial Anfang der 80er Jahre für die Ausstellung »Siedlungen der Zwanziger Jahre – heute«. Gleichzeitig wurden diese Gutachten die Basis für den weiteren Umgang mit den Gebäuden, für den wir damals den Begriff »erhaltende Erneuerung« prägten. Die

Text: Helge Pitz

SIEDLUNG ONKEL TOMS HÜTTE IN BERLIN

Dokumentation versetzte die Berliner Denkmalpflege und die Wohnungsbaugesellschaften in die Lage, am Originalmaterial orientierte Programme für die Instandsetzungsarbeiten am Ob-jekt aufzustellen – bis zum heutigen Tage. Für die Denkmalpfle-ge war unsere Bauforschung außerdem die Grundlage für die Unterschutzstellung der Siedlungen.Heute gehören die »Weiße Stadt« in Reinickendorf, die Siemens-stadt und die Hufeisensiedlung zum UNESCO-Welterbe. Es bleibt jedoch völlig unverständlich, warum die Siedlung »Onkel Toms Hütte« in Zehlendorf, errichtet von den Architekten Taut, Häring und Salvisberg, nicht auch in das Welterbe-Programm aufgenommen wurde – ein Versäumnis der zuständigen Berli-ner Denkmalbehörde und ihrer Zuarbeiter. Allein das Farbkonzept dieser Siedlung ist weltweit einmalig. Taut förderte und dominierte es. Im Laufe der rund zehn Jahre, die er an »Onkel Toms Hütte« arbeitete, hat er es immer weiter verfeinert. Beispielhaft sei hier auf den vorletzten Bauabschnitt verwiesen, an dem deutlich wird, wie Taut Farbe stadträumlich einsetzt: In den Straßen am nördlichen Ende der Siedlung nutzt er die roten und grünen Fassaden der Reihenhauszeilen, um mit

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diesen dunklen Tönen, die optisch zurückweichen, den engen Straßenraum weiter erscheinen zu lassen (Bild 2). Ans Kopfende der Straßen stellt er dann weiße Baukörper, die optisch nach vorn drängen und den Raum begrenzen. Auch geht er auf die unterschiedlichen Lichtstimmungen im Tagesverlauf ein. Wäh-rend die grünen Ostfassaden der Reihenhauszeilen mit dem kühleren Morgenlicht korrespondieren, sind die roten Westfas-saden eine Antwort auf das wärmere Abendlicht.

STIMMEN ÜBER DIE SIEDLUNG

Im Katalog zur oben erwähnten Ausstellung schrieb Norbert Huse im Jahr 1984: »Überall in den restaurierten Teilen entfal-ten sich bislang kaum wahrgenommene Qualitäten dieser Ar-chitektur. So sieht und erlebt man erst heute, wo die Kontrover-sen der zwanziger Jahre Geschichte sind, ihre Großzügigkeit und Spontanität, ihr Improvisationstalent und ihre Fähigkeit, einprägsame Orte zu schaffen. Sie zeigt sich als weit lebendiger und aktueller, als selbst ihre Bewunderer noch vor wenigen Jah-ren glaubten, und schon deshalb muß ihre erhaltende Sanierung weitergehen.« [1]Und die Sanierung geht natürlich weiter – nach über 30 Jahren exakt auf der Basis unserer Arbeit aus den 80er Jahren. Derzeit werden etwa Gebäude an der Argentinischen Allee instand ge-setzt. Im Bauwagen der Malerfirma hängen aufgereiht an der Wand alle Tabellen und Pläne mit den genauen Farbangaben für die einzelnen Bauteile – Kopien unserer bauhistorischen For-schungsergebnisse aus den Jahren 1980-85. (Bild 3). Auch die Bauten an der Riemeister- und der Wilskistraße gewinnen wie-der »ihre membranhaft zarten und spannenreichen Oberflä-chen« (Norbert Huse), die nur mit Mineralfarben von Keim erzielbar sind. Dies zum Wohle des Stadtraums und zur Freude seiner Bewohner (Bild 1).Bruno Taut berichtet in seinen Siedlungsmemoiren 1936 von der Aussage des Franzosen Vandoyer über die Siedlung: »Die Häuser sind [...] von einer sehr einfachen Modernität und vor allem äußerst heiter. Jede Straße hat hinter ihrem Kiefernvor-hang ihr Gesicht, ihre Farbe. Gewiss, solche Häuser machen noch nicht das Glück aus. Doch mindest laden sie zum Glück-lichsein ein.« [2] Und er hat recht behalten, die Menschen in »Onkel Toms Hütte« wohnen in einer der künstlerisch, architektonisch und sozial wertvollsten Siedlungen aus der Zeit der Weimarer Republik. ›

1 Wohnzeile in der Wilskistraße mit wiederherge-stellter ursprünglicher Farbigkeit

2 Ausschnitt eines Prospekts der Firma Keim, vermutlich aus dem Jahr 1931: Er zeigt die Wirkung von Bruno Tauts Farben im Stadtraum

3 Eine Untersuchung in den 80er Jahren ermittelte das originale Kolorit der Bauten. Bis heute dienen die Forschungsergebnisse als Leitfaden für die Instandsetzung

4 Die Architekten nutzten in den 20er Jahren den alten Bestand an Kiefernbäumen, der entscheidend zur hohen Wohnqualität der Siedlung beiträgt

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Am Fischtal

Lageplan, ohne Maßstab

Argentinische Allee

Riemeisterstraße

Wilskistraße

sen ›Gehagsiedlung‹ für die ›Gagfahhäuser‹ das normale Ziegel-dach auszuführen, so wurzelt dieser Entschluss nicht in einer Kriegsstimmung gegen die ›Gehagsiedlung‹ [...], sondern allein in der Überzeugung, dass es für unseren heutigen Wohnhaus-bau ganz zuerst durchaus nicht auf irgendwelche Stilrichtungen oder Modernitäten, sondern auf eine gewisse einfach vernünfti-ge Art der Bauausführung ankomme. [...] Wir behaupten nicht, neben den Wahrheiten der ›Gehagsiedlung‹ oder neben den ›Wahrheiten‹ der Kollegen Taut, Haering, Salvisberg, [...] die so-zusagen höhere Wahrheit gefunden zu haben. [...] Aber wir sind nicht imstande, das Durcheinander der allgemeinen Anschau-ungen und Willensrichtungen, das Durcheinander der Gestal-tungsmöglichkeiten usw., das heute unsere Welt regiert, ent-scheidend zu ordnen. Als ob es die anderen könnten!« [4] Einige Jahre später schrieb Bruno Taut in der Rückschau, dieser Dä-cherstreit sei ein Vorläufer dessen gewesen, was 1933 ganz Deutschland erlebte.

STÄDTEBAULICHE ASPEKTE

Doch es ging nicht nur um die Dachform. Die Bebauung der GAGFAH riegelt auch den direkten Zugang zum Fischtalpark ab. Sie schafft eine privilegierte Situation für wenige dort errich-tete Wohnhäuser und verhindert, dass man vom Straßenraum den Blick in den Park genießen kann. Die Fachpresse reagierte empört auf diese städtebauliche »Untat«. Man mag durchaus ei-ne Absicht dahinter vermuten, dass das südlich davon gelegene Zehlendorfer Villenviertel gegen den sozialen Wohnungsbau abgeschottet werden sollte. Bekannte Architekten von Hans Poelzig über Alexander Klein zu Heinrich Tessenow – um nur einige zu nennen – haben sich um eines Auftrags willen hinrei-ßen lassen, eine kluge stadträumliche Vorgabe zu zerstören.Bruno Taut reagierte mit einem »Peitschenknall«: So nannte er die 485 m lange Wohnzeile, die er in den Jahren 1931/32 errich-tete (Bild 6). Sie folgt der tief liegenden U-Bahntrasse und deren sanftem Schwung. Geschickt gliederte Taut die scheinbar end-lose Front zur Argentinischen Allee mit risalitähnlichen leichten Vorsprüngen. Auch die Farbe nutzte er, um das lange Gebäude

UMSTRITTENER VORREITER

Was heute so überzeugend vor Augen steht, war zu seiner Ent-stehungszeit allerdings stark umstritten. An dem Ensemble ent-zündeten sich Debatten, die als typisch für die Jahre der Weima-rer Republik gelten dürfen. Dass die Siedlung zur Linderung der Wohnungsnot überhaupt zustande kam, ist v. a. dem außergewöhnlichen, selbstlosen En-gagement des Berliner Stadtbaurates Martin Wagner zu verdan-ken, aber auch den Architekten Bruno Taut, Hugo Häring, Otto Rudolf Salvisberg und dem Bauunternehmer der Siedlung, Adolf Sommerfeld. Unter dem Motto »Raus aus der Stadt an die frische Luft« haben die genannten im vornehmen Berliner Vil-lenvorort Zehlendorf Wohnraum für sozial schwache Menschen geschaffen – auch gegen den Widerstand der Behörden. Martin Wagner etwa ficht um einen sofortigen Baubeginn und nimmt sogar in Kauf, dass er für verfrühte Ausschachtarbeiten von der Baupolizei belangt wird. Die ihm auferlegte Geldbuße von 200 Mark will er ostentativ als Gefängnisstrafe absitzen: »Ich würde es [...] vorziehen, die mir zur Wahl gestellten 10 oder 15 Tage Haft zu verbüßen, um der Allgemeinheit zu zeigen, wie ein bis-her völlig unbestrafter Bürger von der Gemeindeverwaltung Groß-Berlin angefasst wird, wenn er sich bemüht, die Woh-nungsnot auf beschleunigtem Wege abzustellen.« [3]Auch die Gestaltung der Baukörper traf teilweise auf Unver-ständnis. So mussten die fünf treibenden Personen hinter dem Projekt »Onkel Toms Hütte« den sogenannten Zehlendorfer Dä-cherkrieg über sich ergehen lassen. Nachdem sie ihren Bauten für das Wohnungsunternehmen GEHAG Flachdächer gegeben hatten, entstand am südlichen Rand der Siedlung, direkt auf der gegenüberliegenden Seite der Straße »Am Fischtal«, eine einzel-ne Häuserreihe mit Schrägdach (siehe Lageplan). Verantwort-lich war die konkurrierende GAGFAH. Ihr künstlerischer Ober-leiter Heinrich Tessenow schreibt 1928 hierzu: »Die Gagfah, die uns beauftragte, ihre neue Siedlung am Fischtalgrund zu bear-beiten, stellte uns unter anderem die präzise Aufgabe, für alle Häuser das normale Ziegelsteindach zu verwenden. [...] Wenn wir uns hin und her doch entschlossen haben, trotz der dachlo-

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[1] Huse, Norbert, Siedlungen der Zwanziger Jahre – heute, Berlin 1984, S. 11

[2] Neue Heimat, Monatshefte 5/80, S. 15[3] Brief Martin Wagners an den Zehlendorfer Bürgermeister

Dr. Schumacher vom 2.Oktober 1926. Bezirksamt Zehlendorf, Bau- und Wohnungsaufsichtsamt, Generalakte Riemeisterstr., 1926, Band Ia

[4] Deutsche Bauhütte 32, 1928, H. 14, S. 213[5] Gehag-Nachrichten 1.1930., H. 6, S. 1-2

zu rhythmisieren. Während die Vorsprünge stets einen gelben Anstrich tragen, wechseln die zurückgesetzten Partien zwischen Weiß, kräftigem Grün, sattem Blau und Ochsenblutrot.

WEISS VERSUS FARBIG

Nicht zuletzt war es auch die so intelligente, einmalige Farbge-bung in der Siedlung, die Diskussionen auslöste. Bruno Taut schreibt 1930 an den Siedlungsverein Zehlendorf Fischtalgrund: »Vor etwa zehn Jahren tobte am heftigsten der Kampf um die Farbe mit dem Resultat, daß die Farbe in der Außenarchitektur den vollen Sieg errang. Selbst Farben wie Blau und Grün, die man früher für den Außenstrich unter keinen Umständen zuge-lassen hätte, konnten seitdem verwendet werden. Wie auf allen Gebieten, so trat auch hier die unvermeidliche Reaktion ein, die eine biologische Notwendigkeit des Wellengesetzes ist: Die star-ke Betonung der Funktion in der Architektur, die Vorliebe für glatteste, einfachste und rein konstruktive Formen, die flachen Dächer und all dergleichen führten dazu, dass die Farbe für ein Stück Romantik gehalten wurde. Weiß wurde nun die Parole, Weiß als die Farblosigkeit ›an sich‹ oder anders gesprochen: als die Farbenfülle an sich, Weiß als der Glückbringer des absoluten funktionellen Architekten. Was an Farbe noch in geringen Res-ten übrig blieb, musste sich dem beherrschenden Weiß in Form von dünnem strichartigem Schwarz oder Hellgrau, Hellgelb oder bestenfalls Hellrosa und Blassblau unterordnen...« [5] Taut hatte wohl die in Dessau bis zum heutigen Tag so gerühmte Architektur des Bauhauses im Blick – und er beendet das Schreiben: »Es gilt heute für den Architekten, zwei Extreme zu vermeiden: auf der einen Seite eine Popularität, die man als Juchhei-Volkskunst bezeichnen könnte, und auf der anderen Seite eine Eleganz und Schnittigkeit, zu der wiederum nur ein Kurfürstendamm-Dämchen passt. Die objektive Arbeit mit der Farbe und die Betrachtung der Farbe als eines nicht zu umge-henden und unentbehrlichen Baumaterials wird am besten dazu helfen, jede derartige Entartung zu vermeiden und den Weg zu einem wirklich volkstümlichen und doch nicht sentimental süß-lichen Bauen zu eröffnen.«

Die Farbe in der Architektur ist nirgendwo so intelligent und wunderbar realisiert worden wie in der Siedlung »Onkel Toms Hütte«. Es ist umso unverständlicher – und ich wiederhole mich gerne – wieso die Hüter der historischen Architektur dieses En-semble nicht in die Liste des Weltkulturerbes gebracht haben. Dies gilt es nachzuholen!

Helge Pitz wohnte selbst einige Jahre in der Siedlung »Onkel Toms Hütte«. Als Architekt hat er sich einen Namen gemacht mit der denkmalgerechten Instandsetzung bedeutender Bauwerke der Moderne, darunter nicht nur Taut-Siedlungen, sondern etwa auch der Einsteinturm von Erich Mendelsohn. An verschiedenen Hochschulen, u. a. der TU München, hatte er Gastprofessuren und Lehraufträge.

6 Vor Kurzem wurde der sogenannte »Peitschenknall« an der Argentinischen Allee saniert

5 Die Wiederherstellung der Taut‘schen Farben beschränkt sich auf Fassaden und Treppenhäuser und endet vor der Wohnungstür

7 Das kräftige Kolorit von Tauts Bauten lässt sich nicht zuletzt als Ausgleich für die Ornamentlosig-keit seiner modernen Architektur auffassen

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DIE WEISSE STADT IN TEL AVIV

Nirgendwo auf der Welt sind so viele Gebäude der Neuen Sachlichkeit entstanden wie in der Weißen Stadt in Tel Aviv. Wie ist es zu die-ser einmaligen Ballung gekommen? Wie lässt sich dieses Erbe pflegen? Und wie lässt sich der Nachverdichtungsdruck kanalisieren, der heute auf der Weißen Stadt lastet?

Das Phänomen Weiße Stadt lässt sich nicht verstehen, ohne ei-nen kurzen Blick in die Geschichte Tel Avivs zu werfen. Sie wur-de wie bei kaum einer anderen Stadt außerhalb Deutschlands von deutschen Einflüssen geprägt.Ausgangspunkt ist die Hafenstadt Jaffa. Vor ihren Toren gründe-ten Templer in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Kolonie – als Pietisten waren sie vom heutigen Baden-Württem-berg nach Palästina ausgewandert. Ihre Siedlungen bildeten mit baumbestandenen Alleen und fließend Wasser einen starken Kontrast zum Straßenbild Jaffas mit seinen engen Gassen, durch die der Unrat floss. Hier moderne Bauerngüter, die eine hohe Produktivität an den Tag legten, dort zum Teil noch mittelalter-liche Anbaumethoden. So wurden die deutschen Kolonien zum Vorbild für jüdische Pioniere, als diese sich im Jahr 1909 eben-

Text: Sharon Golan-Yaron

UNESCO-WELTERBE ZWISCHEN BEWAHREN UND WEITERENTWICKELN

falls außerhalb der Mauern von Jaffa ansiedelten und hier die Stadt Tel Aviv gründeten. Die jüdischen Siedler folgten dem deutschen Beispiel und bauten auch ihre Häuser aus Ziegelstei-nen, deckten sie mit roten Ziegeldächern und umgaben sie mit Ziergärten und rechtwinklig angeordneten Straßen. Aus den kleinbürgerlich-ländlichen Siedlungen wurde dank der starken Einwanderung von Juden aus Osteuropa im Laufe von 20 Jahren eine Kleinstadt, die nun vom eklektischen Stil domi-niert wurde. Er war eine Mischform orientalischer, biblischer, europäischer und neo-kolonialistischer Motive und stellte einen ersten Versuch zionistischer Architekten dar, eine eigene, heb-räische Formensprache zu finden. Fassaden, die in prallem Rot, Blau oder Gelb getüncht waren, zierten fortan die frisch gepflas-terten Straßen Tel Avivs.1925 brachte die britische Mandatsmacht ein neues städtebau -liches Leitbild mit, das Ebenezer Howard in England entwickelt hatte: Der schottische Städteplaner Sir Patrick Geddes schlug vor, Tel Aviv in eine Gartenstadt zu verwandeln. Auf kleinen Grundstücken sollten private Investoren freistehende Gebäude errichten, die Licht und Luft in die Innenräume lassen. Das Er-schließungssystem erhielt eine hierarchische Gliederung in Hauptverkehrsachsen, Wohnstraßen, Wohnwege und Fußwege.

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Dabei sollten die Hauptverkehrsachsen als Einkaufsstraßen pa-rallel zur Meeresküste von Norden nach Süden verlaufen, die Wohnstraßen dagegen von Westen nach Osten, um die vom Meer heranziehende Brise in die Stadt zu bringen und das loka-le, subtropische Klima erträglicher zu machen. Geddes ahnte wahrscheinlich nicht, dass sein Plan innerhalb sehr kurzer Zeit und in fast vollem Umfang ausgeführt werden würde. Denn die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 löste eine große Fluchtwelle europäischer Juden nach Palästina aus – die Einwohnerzahl Tel Avivs verdreifachte sich in wenigen Jah-ren auf 150 000. Unter den Immigranten befanden sich erneut viele Deutsche.

DAS BAUHAUS UND DIE MODERNE IN TEL AVIV

Für die Einwanderer musste schnell bezahlbarer Wohnraum ge-schaffen werden. Der am Bauhaus gelehrte Funktionalismus, der mit den Immigranten ins Land kam, trug dieser Entwick-lung Rechnung. Das Prinzip formeller Vereinfachung und der Einsatz neuer Baumaterialien und Techniken ermöglichten Lö-sungen für das rasante Wachstum Tel Avivs. Auch die moderne Gestaltung, ob man sie nun als »Neue Sachlichkeit« oder als »In-ternationalen Stil« bezeichnet, passte in die Zeit. Die Gebäude, die unter großen Widrigkeiten entstanden, stehen für die Hoff-nung auf einen Neuanfang und den in Beton gegossenen Traum von einer neuen, gerechten und freien Gesellschaft. Ihr Stil bot sowohl einen Kontrast zur Realität, vor der die Juden geflohen waren, als auch zum lokalen Stil der arabischen Einwohner, die

zu diesem Zeitpunkt bereits als Bedrohung oder gar als Feind wahrgenommen wurden.Als in Deutschland die Nationalsozialisten das Bauhaus schlos-sen, fand der dort entwickelte Stil in Tel Aviv ein neues Zuhause. Wer durch die Straßen schlendert, wird schnell aber auch den Einfluss von Le Corbusier, Erich Mendelsohn und anderen Pro-tagonisten der 20er und 30er Jahre entdecken, mitgebracht von Architekten, die in Rom, Gent oder Paris studiert hatten. Mit der Architektur der Moderne hielt auch die Farbe Weiß Einzug, sodass sich für das neu bebaute Gebiet der Name »Weiße Stadt« etablierte. ›

1 In Tel Aviv entstand eine eigene Spielart der Moderne mit Elementen, die das heiße Klima erträg-licher machen: z. B. kleine Fenster und geschlitzte Balkonbrüstungen für eine bessere Belüftung

4 Typisch für die lokale Baukultur: Das schmale horizontale Öffnungsband der Loggia, das zu starke Sonneneinstrahlung verhindert. Typisch für die heutige Situation: die instandsetzungsbedürftige Bausubstanz

2/3 Mit Aufstockungen wird die aufwendige Sanie-rung der Häuser gegenfinanziert

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Kalkhydrate. Sie führten in der Regel zu hellen, nahezu weißen Putzen, die je nach verwendeter Kalksorte ins Beige oder Gräu-liche tendieren. Aber auch der Zuschlagstoff beeinflusste die Farbigkeit: Viele Fassaden der Weißen Stadt zeigen dank der Herstellung vor Ort einen relativ hellen Beigeton, der durch den Tel Aviver Sand entstand.Nicht zuletzt waren es auch die Verarbeitungstechniken, mit de-nen sich der Ausdruck der Fassadenputze variieren ließ. Noch immer ist eine große Vielfalt unterschiedlicher Putzstrukturen erhalten, bei denen zahlreiche typische Dekorationsvarianten der 30er Jahre erkennbar sind. Dass die Putzgestaltung häufig aus Deutschland übernommen wurde, lässt sich bis heute an Lehnwörtern in der hebräischen Sprache erkennen: Arbeiter auf den Baustellen Tel Avivs verwenden immer noch Fachbegriffe wie »Kratzputz« oder »Waschputz«.

DIE WEISSE STADT VON HEUTE

Inzwischen ist Tel Aviv mehrfach erweitert worden und die Wei-ße Stadt ist lediglich ein Bezirk im Zentrum. Im Jahr 2003 er-klärte die UNESCO dieses Gebiet zum Weltkulturerbe, da Tel Aviv mit mehr als 4 000 Gebäuden über die weltweit größte An-sammlung von Bauwerken im Internationalen Stil verfügt. Weil im Land Wohnraum knapp ist und Tel Aviv auch heute stark wächst, lastet ein großer Nachverdichtungsdruck auf den Gebäuden, besonders im Zentrum. Denkmalpfleger können ihm nicht allzu viel entgegensetzen, da sie im Vergleich zu Deutschland in einer schwächeren Position sind und ihre Pro-fession auf eine weniger lange Tradition zurückblickt. In Tel Aviv wurde eine Denkmalpflegeabteilung innerhalb der Stadt-verwaltung überhaupt erst 1990 geschaffen – und die staatliche Denkmalbehörde Israels ist nur für Bauten aus der Zeit vor 1700 zuständig. Öffentliche Fördermittel für den Erhalt von Denkma-len gibt es nicht.

Die dortige Bebauung weist zwei Besonderheiten auf, die einen ganz eigenen Charakter erzeugen. Zum einen handelt es sich um einen lokalen Ausdruck der Moderne, der sich den klimatischen und sozialen Bedingungen des Landes anpasste. Wegen der star-ken Sonneneinstrahlung verzichteten die Architekten beispiels-weise auf große Glasfronten und bildeten stattdessen eher kleine Fenster aus. Bei vielen Balkonen sorgen breite, horizontale Schlitze in der Brüstung für eine bessere Ventilation und verhin-dern Hitzestau – umgekehrt zeigen Loggien häufig besonders schmale Öffnungen, damit nicht zu viel Sonne einfällt. Die zwei-te Besonderheit liegt in der ungewöhnlichen Kombination eines Masterplans der Gartenstadtbewegung mit der minimalisti-schen weißen Architektur der Neuen Sachlichkeit. Bei europäi-schen Gartenstädten war die Formensprache der einzelnen Ge-bäude meist traditioneller.

DIE FARBEN DER WEISSEN STADT

Trotz ihres Namens waren in der Weißen Stadt von Beginn an auch andere Farben präsent. Auf alten Schwarz-Weiß-Auf -nahmen sind zwischen all den hellen Bauten auch solche in dunkleren Grautönen zu erkennen, die auf eindeutig nicht wei-ße Fassaden schließen lassen. Vor Ort zeigt sich bei genauerer Betrachtung eine breite Farbpalette, von verschiedenen Weißtö-nen über Schattierungen eines sandfarbenen Beige bis zu Ocker. Heute hat sich zudem auf den Häusern durch Ablagerungen von Staubpartikeln eine natürliche Patina gebildet. Auf Außenanstriche wurde bei der Errichtung der Bauten meist verzichtet. Die Farbigkeit der Fassaden resultierte aus der Eigen-farbigkeit der Putze, die sich wiederum aus den verwendeten Materialien ergab. Der Außenputz erfüllte nicht nur die techni-sche Funktion, die Mauerwerksfugen vor Erosion zu schützen, sondern wurde auch zu Gestaltungszwecken eingesetzt. Als Bin-demittel damaliger rein mineralischer Putze verwendete man

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Viele Gebäude der Weißen Stadt befinden sich in privater Hand und sind in bedenklichem Zustand. Um den Zerfall zu stoppen, musste sich die Stadtverwaltung etwas einfallen lassen. So be-schloss sie, den Eigentümern zusätzliche Baurechte als Anreiz zur Sanierung zu gewähren: Historische Gebäude, die unter Denk-malschutz stehen, dürfen aufgestockt werden, sofern sich der Be-sitzer im Gegenzug verpflichtet, das Gebäude denkmalgerecht instandzusetzen. Nur wenn das Bauwerk unter besonders stren-gem Denkmalschutz steht (das betrifft etwa 200 Gebäude in der Weißen Stadt), darf nicht aufgestockt werden. Stattdessen kann man die potenziellen Baurechte verkaufen, damit sie außerhalb der deklarierten UNESCO-Zone eingesetzt werden. Auf diese Weise sind bereits viele Denkmale hergerichtet worden – auch wenn dies wegen der starken Eingriffe in die Bauten nicht immer der »reinen Lehre« denkmalpflegerischen Handelns entspricht.Weil deutsche Immigranten und das Gedankengut des Bauhau-ses bei der Entwicklung Tel Avivs eine besondere Rolle spielten, entstand in beiden Staaten der Wunsch nach einer Kooperation bei der Sanierung der Weißen Stadt. Die Bundesregierung, ver-treten durch das BUMB, engagiert sich nach Kräften. Mit ihr ge-meinsam hat Tel Aviv im Jahr 2015 ein Denkmalzentrum für die Weiße Stadt eingerichtet. Eine seiner Hauptaufgaben ist es, Be-wohnern und Besuchern Informationen über dieses einzigartige Welterbe zu vermitteln. Es wird ein digitales Datenarchiv, eine Musterwohnung, ein Schulungs- und Weiterbildungszentrum und eine Dauerausstellung zur Weißen Stadt beinhalten, damit diese auch für die nächsten Generationen erhalten bleibt.

Sharon Golan-Yaron ist Denkmalpflegerin der Stadt Tel Aviv. Dort betreut sie speziell die Gebäude der Moderne im Gebiet des UNESCO-Welterbes. Nach ihrem Architekturstudium am IIT Chicago und an der TU Berlin absolvierte sie ein Masterstudium in Denkmalpflege.

5 Die Weiße Stadt ungefähr im Jahr 1938

6 Das Erscheinungsbild der meisten Bauten wird wesentlich durch die Eigenfarbigkeit der Putze geprägt

7-9 Wie ein Freilichtmuseum zeigt die Weiße Stadt unterschiedliche Putzstrukturen. Sie zeugen z. T. von handwerklichen Fertigkeiten, die heute verlo-ren sind. Deutsche Fachbegriffe wie »Kratzputz« und »Waschputz« haben Eingang in die hebräische Sprache gefunden

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FARBE BEKENNEN

Farbe spielt in Le Corbusiers Werk eine be-deutende Rolle. Er ist der einzige Archi-tekt, der seine Farbphilosophie so systema-tisch aufbereitet hat, dass sie auch von Kollegen und Bauherren direkt genutzt werden kann: in Form einer Kollektion aus 63 aufei-nander abgestimmten Tönen. Nach welchen Kri-terien hat er sie zusammengestellt? Und wie lässt sich heute damit arbeiten?

Wer Le Corbusiers außergewöhnliche Affinität zur Farbe verste-hen möchte, muss nur einen Blick auf seinen Werdegang werfen: Er beschäftigte sich zunächst mit der Malerei, bevor er sich als Quereinsteiger auch der Architektur zuwandte. Als wahrer Far-benfreund stand er Zeit seines Lebens vor der Staffelei (Bild 3). So schuf er über 400 Gemälde, teils in großen Formaten, und setzte sich dabei intensiv mit der Wirkung von Farben auseinan-der. In seinem architektonischen Werk transportierte er Farbe dann vom 2-D der Leinwand ins 3-D der Gebäude.Egal ob beispielsweise bei der Weißenhofsiedlung in Stuttgart (1927) oder bei der Unité d‘habitation in Marseille (1945) – Far-be kam als wesentliches Gestaltungselement zum Einsatz, an

Text: Dorothee Maier und Christian Schönwetter

LE CORBUSIERS »POLYCHROMIE ARCHITECTURALE« – FRÜHER UND HEUTE

Fassaden genauso wie im Innern. In seinem berühmten Traktat »Ausblick auf eine Architektur«, das 1923 erschien, wird sie al-lerdings noch mit keinem Wort erwähnt. Er näherte sich dem Thema zunächst einmal nur in seiner praktischen Arbeit.Das erste seiner modernen Gebäude, die von einer auffälligen Farbigkeit geprägt sind, ist das Maison La Roche-Jeanneret in Paris (1925). Das Interieur zeichnet sich nicht nur durch eine dynamische Raumerschließung und Lichtführung aus, sondern eben auch durch eine vielfältige Farbkomposition mit mindes-tens fünf Tönen für Boden, Decke und Wand, die Farben des Mobiliars noch nicht eingerechnet. Einbauten und Raum ver-schmelzen zu einer Gesamtkomposition, das Haus wird zum Möbel und das Möbel zum Haus. Alle Materialien und Oberflä-chen sind in ihren Farben aufeinander abgestimmt und unter-stützen Licht und Schatten in ihrer Wirkung (Bild 1).Erst später äußerte sich Le Corbusier auch in seinen theoreti-schen Schriften zum Thema Farbigkeit. Am deutlichsten viel-leicht 1939 in Rom: »Die Farbe ist in der Architektur ein ebenso kräftiges Mittel wie der Grundriss und der Schnitt. Oder bes-ser: die Polychromie, ein Bestandteil des Grundrisses und des Schnittes selbst.« [1] Die räumliche Wirkung der Farben be-schrieb er folgendermaßen:

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»Man musste sich jene Farben verbieten, welche die Wände in eine Art Vibration versetzen und damit ihrer Wirkung berauben ...« [2]»... Die Beschränkung jener Farben auf bestimmte Werte hinge-gen wird durch die Gesetze der Wand diktiert (Architektur, Ge-setze des Lichtes).« [3]»... Für jede Farbe gibt es einige Werte der Intensität, wo die Opulenz offensichtlich ist.« [3]

ÖLFARBENANSTRICH IN ROLLEN

Die Anfrage der Firma Salubra, eine Tapetenkollektion zu ent-wickeln, war für Le Corbusier der perfekte Anlass, seine Farb-philosophie einem breiten Nutzerkreis verfügbar zu machen. Die monochromen Tapetenbahnen, der »Ölfarbenanstrich in Rollen«, sicherte die farbgetreue Wiedergabe seiner Vorstellun-gen, unabhängig von den Fähigkeiten der Maler auf der Baustel-le. 1931 entwickelte er ein kohärentes und normiertes Farbsys-tem aus 43 Tönen, das er 1959 um weitere 20 Nuancen ergänzte. Das Musterbuch zur Kollektion zeigte nicht nur Tapete für Tapete, sondern präsentierte auch Farbcollagen mit bereits auf -einander abgestimmten Kombinationen für dezentere Hinter-grund- und kräftigere Akzentfarben. Mithilfe einer Schablone konnte der Kunde seine eigene Farbzusammenstellung filtern, die stets harmonisch wirkte. Auf diese Weise erhielt er ein prak-tikables Werkzeug für die Raumgestaltung (Bild 2).Die »Polychromie architecturale« besteht aus neun Farbgrup-pen, deren Töne der Natur entlehnt sind (Bild 4). Den neun Gruppen sind unterschiedliche räumliche Wirkungen zugeord-net. So werden die Umbra-Töne zum Beispiel so beschrieben: »Ihrem Namen entsprechend (lat: Schatten) sind sie Schatten-farben. Die Flächen verziehen sich in den Schatten und ent -ziehen sich der Aufmerksamkeit. Die Präsenz wird dezimiert,

1 Maison La Roche-Jeanneret in Paris: Ein frühes Corbusier-Bauwerk, bei dem die Farbigkeit bereits eine wichtige Rolle spielte

3 Regelmäßig stand Le Corbusier als Maler an der Staffelei und arbeitete intensiv mit Farben

2 Musterbuch mit Tapeten der Firma Salubra: Mit-hilfe einer Schablone konnte der Kunde harmonische Kombinationen aus Flächen- und Akzentfarben der »Polychromie architecturale« zusammenstellen

Aufmerksamkeit wird an andere Stellen geleitet.« [4] Völlig un-terschiedlich ist der Einfluss der folgenden beiden Farbgruppen: »Blau und seine grünen Mischungen schaffen Raum, geben Dis-tanz, erzeugen Atmosphäre, rücken die Wand in die Ferne ... Rot (und seine braunen, orangefarbenen, ... Mischungen) fixiert die Wand, bekräftigt ihre exakte Lage, ihre Dimension, ihre Prä-senz.« [5] Auch über Mehrfarbigkeit machte Le Corbusier sich Gedanken: »Monochromie erlaubt die exakte Einschätzung der Volumina des Objekts. Polychromie (zwei, drei Farben usw.) zerstört die reine Form des Objekts, verändert sein Volumen, widersetzt sich der exakten Einschätzung dieses Volumens und ermöglicht es umgekehrt, von einem Volumen nur das ins Be-wusstsein treten zu lassen, was man zeigen möchte: ganz gleich ob Haus, Intérieur oder Objekt.« [5] ›

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[1] Les Couleurs Suisse AG (Hg), Architektonische Farbgestaltung – Le Corbusier‘s Polychromie Architecturale, Zürich, 2015, S. 10. Die Publikation ist erhältlich unter www.lescouleurs.ch

[2] ebda, S. 38[3] ebda, S. 39[4] ebda, S. 70[5] ebda, S. 41

Ein wenig dezenter, aber dennoch raumfüllend, brillieren die Corbusier-Farben im Hotel Miramonte in Bad Gastein. Das Haus aus den 50er Jahren wurde mit einem charmanten und hochwertigen Interieur revitalisiert. Die Atmosphäre dort lebt durch die Materialien, den Look der 50er in Kombination mit reichlich neuer Farbe und gekonnt eingesetztem Licht. Die Far-ben verleihen den Räumen Charakter und unterstreichen die verschiedenen Nutzungen. Die bestechend harmonischen Farb-kombinationen zaubern Flair in das gesamte Hotel (Bild 6). Le Corbusier hat seine »Polychromie architecturale« speziell für Architektur und Innenarchitektur entwickelt. Da er seine lang-jährigen Erfahrungen einfließen ließ, ist ein architektonisch ge-prüfter Werkzeugkoffer entstanden, der Gestaltern zur Verfü-gung steht, wenn es Farbkonzepte zu entwickeln gilt. Die Ent-scheidung für Farbe an einem Bauwerk bedeutet immer auch, Profil – Persönlichkeit – zu zeigen. Warum nicht in dieser Form auch Farbe bekennen?!

Dorothee Maier ist Innenarchitektin in München. Nach ersten be-ruflichen Erfahrungen bei Matteo Thun in Mailand gründete sie ihr Büro »meierei« und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. 2013 wurde sie in den Bund Deutscher Innenarchitekten BDIA aufgenommen.

HEUTIGE ANWENDUNGSMÖGLICHKEITEN

Da wir Menschen immer noch in gebauten Räumen leben und Farbe nach langen Jahren der Weiß-Dominanz erst allmählich wieder stärker eingesetzt wird, drängt sich die Frage auf, wie die »Polychromie architecturale« heute wirkt. Der Bund Deutscher Innenarchitekten (BDIA) wagte ein Expe-riment und griff dafür in die Vollen: Für seinen Messestand ließ er das Büro »meierei« die gesamte Palette der 63 Corbusier-Far-ben in Szene setzen. Auf hochformatigen mannshohen Tafeln, die drehbar gelagert waren, wurden jeweils sieben Töne kombi-niert. Diese beweglichen Farbprismen erzeugten ein begeh- und erfahrbares Kaleidoskop, das die Kraft der Farben beeindru-ckend wiedergab und die Lust an Farbe weckte (Bild 5).

4 In einem neuen Buch des Unternehmens Les Couleurs Suisse ist die »Polychromie architecturale« systema-tisch dargestellt. Sie besteht aus neun Farbgruppen, denen unterschiedliche räumliche Wirkungen zuge-schrieben werden

5 Messestand des Bunds Deutscher Innenarchitekten BDIA: In geballter Ladung erzeugen die Farben Le Corbusiers eine beinahe psychedelische Wirkung

6 Hotel Miramonte in Bad Gastein: Eines der ersten Projekte, bei denen Corbusier-Farben des Herstellers Keim verwendet wurden

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