De-Anastasia03Wladimir Megre Extrakt ( Deutsch)

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Band 3 Raum der Leibe 1 Ein weiterer Pilger Endlich sah ich ihn wieder: Vor meinen Augen erstreckte sich der gewaltige sibirische Strom Ob. Ich war in jener nördlichen Siedlung angelangt, wo alle regulären Verkehrsverbindungen enden. Um zu dem Ort zu gelangen, von dem aus ich zu Fuß zu Anastasias Lichtung gehen konnte, musste ich ein Motorboot oder einen kleinen Kutter chartern. An einem der vielen am Ufer liegenden Boote waren drei Männer damit beschäftigt, ihre Fischernetze zu entwirren. Ich grüßte sie und fragte, ob sie jemand kannten, der mich gegen eine gute Entlohnung an mein Ziel bringen könne. «Der Jegorytsch, der ist bei uns dafür zuständig. Eine halbe Million* kostet das», erwiderte einer der Männer. * Etwa 100 US-Dollar. Ich war beunruhigt. Wenn schon jemand «dafür zuständig» war, Leute zu einem so abgelegenen Ort in der Taiga zu befördern, so war ich offenbar nicht der Erste mit diesem Anliegen. Es musste eine recht rege Nachfrage für diese Dienstleistung herrschen, denn bekanntlich werden ja Angebot und Preis von der Nachfrage bestimmt. Und dann dieser Preis für ein paar Stunden Bootsfahrt … Allerdings war mir klar, dass es hier im hohen Norden wenig Zweck hatte zu feilschen, und so fragte ich gleich: «Wo kann ich diesen Jegorytsch finden?» «Irgendwo im Dorf wird er sein, wahrscheinlich in der Nähe vom Laden. Siehst du den Kutter da vorn? Das ist seiner. Und eines der Kinder, die dort spielen, ist Jegorytschs Enkel, Wasjatka. Frag ihn, er wird dir Jegorytsch holen.» Wasjatka war ein aufgeweckter Bursche von vielleicht zwölf Jahren. Kaum hatte ich ihn begrüßt, da platzte er heraus: «Sie wollen mit dem Boot fahren, nicht wahr – zu Anastasia? Sekunde nur, ich hol gleich meinen Opa.» Und ohne meine Antwort erst abzuwarten, rannte er los ins Dorf. Offenbar gab es seiner Meinung nach nur einen möglichen Grund für mein Kommen: Alle Fremden wollten zu Anastasia. Ich setzte mich ans Ufer und wartete. Da es für mich nichts zu tun gab, starrte ich ins Wasser und ließ meine Gedanken schweifen. Der Fluss, so schätzte ich, musste hier von Ufer zu Ufer einen guten Kilometer messen. Würdevoll und gemächlich wälzt sich der Strom seit Jahrhunderten durch die Taiga, deren Weite selbst vom Flugzeug aus nicht zu ermessen ist. Welche Bilder aus spurlos verflossenen Zeiten tragen die Wellen des Ob wohl noch heute mit sich? Vielleicht erinnern sie sich an Jermak, den Eroberer Sibiriens? Daran, wie er von den Feinden ans Flussufer gedrängt wurde? Wie er allein mit dem Schwert in der Hand sich des Angriffs der Feinde erwehrte, während sein Blut ins Wasser floss? Und wie er schließlich entkräftet ins Wasser fiel und von den Wellen des Ob fortgetragen wurde? Was hat Jermak erobert? Wer weiß

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die ersten 15 Seiten des Buches

Transcript of De-Anastasia03Wladimir Megre Extrakt ( Deutsch)

  • Band 3 Raum der Leibe

    1 Ein weiterer Pilger

    Endlich sah ich ihn wieder: Vor meinen Augen erstreckte sich der gewaltige sibirische Strom Ob. Ich war in jener nrdlichen Siedlung angelangt, wo alle regulren Verkehrsverbindungen enden. Um zu dem Ort zu gelangen, von dem aus ich zu Fu zu Anastasias Lichtung gehen konnte, musste ich ein Motorboot oder einen kleinen Kutter chartern. An einem der vielen am Ufer liegenden Boote waren drei Mnner damit beschftigt, ihre Fischernetze zu entwirren. Ich grte sie und fragte, ob sie jemand kannten, der mich gegen eine gute Entlohnung an mein Ziel bringen knne.

    Der Jegorytsch, der ist bei uns dafr zustndig. Eine halbe Million* kostet das, erwiderte einer der Mnner.

    * Etwa 100 US-Dollar.

    Ich war beunruhigt. Wenn schon jemand dafr zustndig war, Leute zu einem so abgelegenen Ort in der Taiga zu befrdern, so war ich offenbar nicht der Erste mit diesem Anliegen. Es musste eine recht rege Nachfrage fr diese Dienstleistung herrschen, denn bekanntlich werden ja Angebot und Preis von der Nachfrage bestimmt. Und dann dieser Preis fr ein paar Stunden Bootsfahrt Allerdings war mir klar, dass es hier im hohen Norden wenig Zweck hatte zu feilschen, und so fragte ich gleich: Wo kann ich diesen Jegorytsch finden?

    Irgendwo im Dorf wird er sein, wahrscheinlich in der Nhe vom Laden. Siehst du den Kutter da vorn? Das ist seiner. Und eines der Kinder, die dort spielen, ist Jegorytschs Enkel, Wasjatka. Frag ihn, er wird dir Jegorytsch holen.

    Wasjatka war ein aufgeweckter Bursche von vielleicht zwlf Jahren. Kaum hatte ich ihn begrt, da platzte er heraus: Sie wollen mit dem Boot fahren, nicht wahr zu Anastasia? Sekunde nur, ich hol gleich meinen Opa. Und ohne meine Antwort erst abzuwarten, rannte er los ins Dorf. Offenbar gab es seiner Meinung nach nur einen mglichen Grund fr mein Kommen: Alle Fremden wollten zu Anastasia.

    Ich setzte mich ans Ufer und wartete. Da es fr mich nichts zu tun gab, starrte ich ins Wasser und lie meine Gedanken schweifen.

    Der Fluss, so schtzte ich, musste hier von Ufer zu Ufer einen guten Kilometer messen. Wrdevoll und gemchlich wlzt sich der Strom seit Jahrhunderten durch die Taiga, deren Weite selbst vom Flugzeug aus nicht zu ermessen ist. Welche Bilder aus spurlos verflossenen Zeiten tragen die Wellen des Ob wohl noch heute mit sich?

    Vielleicht erinnern sie sich an Jermak, den Eroberer Sibiriens? Daran, wie er von den Feinden ans Flussufer gedrngt wurde? Wie er allein mit dem Schwert in der Hand sich des Angriffs der Feinde erwehrte, whrend sein Blut ins Wasser floss? Und wie er schlielich entkrftet ins Wasser fiel und von den Wellen des Ob fortgetragen wurde? Was hat Jermak erobert? Wer wei

  • vielleicht war er nicht besser als all die Mrder und Gangster von heute. Eine Antwort hierauf knnte heute wohl nur der Ob geben

    Oder vielleicht sind fr den Fluss die Raubzge Dschingis Khans bedeutender? Seine wilden Horden waren im Mittelalter berall gefrchtet. In der heutigen Region Nowosibirsk liegt die Kreisstadt Ordynskoje, und ihrer Nhe gibt es ein Dorf namens Dschingis. Erinnern sich die Fluten des Ob wohl noch, wie die Horden -Dschingis Khans mit ihrer Beute den Rckzug antraten und wie sie eine junge Sibirierin fesselten? Wie einer seiner mchtigen Wesire diese Frau mit leidenschaftlichen Worten und mit vor Liebe erglhten Augen anflehte, ihm freiwillig zu folgen? Sie jedoch blickte stumm zu Boden. Die Soldaten des Wesirs waren schon entflohen, denn die Verfolger nahten; er aber redete wieder und wieder auf sie ein und warb um ihre Liebe. Schlielich packte er sie auf den Rcken des Pferdes, machte die Satteltaschen voller Gold fest, sprang selbst in den Sattel und sprengte mit seinem treuen Ross davon, auf das Ufer des Ob zuhaltend. Die Verfolger jedoch holten auf, und so warf der Wesir ihnen Gold zu, um sie abzulenken und Ballast zu verlieren. Als die Taschen leer waren, riss er sich seine kostbaren Abzeichen und Medaillen von der Brust und warf sie den Verfolgern zu Fen. Die Sibirierin aber behielt er bei sich. Das vor Erschpfung schumende Pferd brachte sie zu den Khnen am Ufer des Ob. Der Wesir nahm das gefesselte Mdchen behutsam vom Pferd und setzte es ins Boot. Dann sprang er selbst hinein. Doch whrend er das Boot mit einem Stecken vom Ufer abstie, ereilte ihn ein Pfeil.

    Schwer verwundet lag der Wesir im Heck des Bootes. Er bemerkte gar nicht, dass drei gegnerische Boote ihnen folgten und immer nher kamen. Er hatte keine Kraft zu sprechen und blickte zrtlich das Mdchen an, das schweigsam dasa. Die Sibirierin sah ihn an, dann die Verfolger da huschte pltzlich ein Lcheln ber ihr Gesicht. Wem nur galt dieses Lcheln? Sie riss sich die Stricke von den Hnden, warf sie ins Wasser und bernahm das Ruder. So sehr sich die Verfolger auch bemhten, sie konnten das Boot mit der Sibirierin und dem verletzten Wesir nicht einholen.

    An welchen Ort und in welche Zeiten hat deine Strmung die beiden getrieben? Und welche Bilder werden deine getrbten Wellen jetzt, in diesem Moment, als Erinnerung an uns mit sich nehmen? Lass es mich wissen, ehrenwerter Fluss!

    Sind vielleicht die Grostdte fr dich von Bedeutung? Nher an deiner Quelle liegt die sibirische Metropole Nowosibirsk. Bist du dir ihrer erhabenen Gre bewusst? Klar, ich wei schon, was du mir alles erzhlen knntest von den vielen giftigen Abwssern, die sie in dich hineinpumpt, sodass dein einst heilendes Wasser ungeniebar geworden ist. Nun, wir sind eben nicht wie unsere Vorfahren. Wir streben nach Fortschritt und wirtschaftlicher Entwicklung. Wohin sollten wir sonst mit all den Abfllen unserer Fabriken? In und um Nowosibirsk gibt es jetzt eine ganze Reihe von Forschungszentren. Wenn die ihre Abflle nicht in dich leiten wrden, mssten wir glatt ersticken. Die Luft in Nowosibirsk ist sowieso schon schlecht genug. In einigen Bezirken riecht es uerst penetrant, sodass uns das Atmen manchmal schwer fllt. Bitte versuch all das zu verstehen. Du weit doch, welche Technik wir jetzt haben. Die Zeiten der lautlosen Khne sind nun mal vorbei; wir haben jetzt groe Schiffe mit Dieselmotoren. Auch mein Schiff befuhr ja deine Wasser.

    Es wrde mich wirklich interessieren, ob sich der Fluss an mich erinnert. Ich fuhr mit dem grten Passagierschiff unserer Reederei. Nun ja, neu war es wei Gott nicht, und der Dieselmotor und die Schrauben machten einen solchen Lrm, dass man bei vol-ler Fahrt die Musik in der Schiffbar kaum mehr hren konnte. Jedenfalls wei ich noch, wie ich eines Tages durch die Fenster der Schiffbar vom Oberdeck des Schiffes den Fluss betrachtete. Aus der Musikbox erklangen Lieder und Romanzen von Malinin:

    Auf weiem Rosse wollte ich einst reiten in die Stadt, Derweil der Schenke Wirtin mich nett angelchelt hat. Auf der Brcke bedachte mich der Mller mit finsteren Blicken, Die Nacht aber verbrachte ich mit der Wirtin zu meinem Entzcken.

  • Klein und unbedeutend waren mir die Menschen damals vorgekommen, die ich an den Ufern des Ob sah jetzt war ich pltzlich selbst einer von ihnen

    Ich dachte darber nach, wie ich wohl Anastasia davon berzeugen mochte, den Kontakt mit meinem Sohn zuzulassen. Die Lage war schon recht seltsam. Mein Leben lang hatte ich davon getrumt, einen Sohn zu haben. Ich hatte mir vorgestellt, wie ich mit ihm spielen und ihn spter erziehen wrde. Wenn er dann erwachsen wre, sollte er mir bei der Arbeit helfen. Dann knnten wir gemeinsam Geschfte machen. Einen Sohn habe ich jetzt. Und auch wenn er nicht bei mir lebt, so ist es doch ein schnes Gefhl zu wissen, dass auf dieser Erde ein solches mir nahes und von mir erwnschtes Wesen lebt. Vor meiner Abreise hatte ich fr den Kleinen mit groem Vergngen alle mglichen Kindersachen gekauft. Das Kaufen war allerdings eine Sache eine andere war die Frage, ob er die Sachen auch bekommen wrde. Wre er der Sohn einer normalen Frau gewesen, egal ob Stdterin oder Dorffrau, so wre diese Frage gar nicht erst aufgetaucht. Jede andere Frau htte sich darber gefreut, wenn der Vater um das Wohl des Kindes besorgt ist, ihm alles Ntige zur Verfgung stellen und an seiner Erziehung teilhaben will. Im Gegenteil: Tut er das nicht, so klagen viele Frauen Alimente ein. Ganz anders Anastasia. Die Taiga-Einsiedlerin hat ihre eigenen Lebensanschauungen und Wertmastbe. Bereits vor der Geburt des Sohnes erklrte sie mir: All deine so genannten materiellen Annehmlichkeiten hat er nicht ntig. Ihm steht die ganze Flle der Schpfung zur Verfgung. Du willst ihm irgendwelches nutzloses Spielzeug kaufen. Aber das ist hchstens fr deine eigene Befriedigung gut damit du dir sagen kannst: Was bin ich doch fr ein sorgsamer Vater!

    Wie kann sie nur so etwas sagen: Das Kind braucht keine materiellen Annehmlichkeiten? Was knnen die Eltern einem kleinen Kind dann berhaupt geben vor allem der Vater? So ein Baby ist doch noch zu klein fr vterliche Erziehung. Wie also soll er seine Liebe und seine Frsorge dem Kind gegenber zum Ausdruck bringen? Die Mutter hat es da schon leichter sie stillt das Kind, und das ist das Wichtigste in diesem Alter. Was bleibt fr den Vater da noch gro zu tun? In der normalen Gesellschaft kann er im Haushalt mithelfen und sich um wirtschaftliche Belange kmmern. Anastasia jedoch braucht solche Hilfe nicht. Alles, was sie hat, ist ihre Taiga-Lichtung. Ihr Haushalt besorgt sich von selbst und kmmert sich auch um sie, und sobald er sieht, dass das Kind zu ihr gehrt, wird er es ebenfalls versorgen. Interessant ist, wie viel ein solcher Haushalt kosten knnte. Heutzutage ist es kein Problem, fnf Hektar Land kuflich zu erwerben oder langfristig zu pachten. Aber fr wie viel Geld kann man die Zuneigung einer Wlfin, einer Brin, eines Adlers und zahlloser Kfer kaufen?

    Nun gut, Anastasia macht sich nichts aus den Errungenschaften unserer Zivilisation aber wieso soll ein kleines Kind unter der Weltanschauung seiner Mutter leiden? Nicht einmal normales Spielzeug hat es. Wozu solch sinnloses Spielzeug? Das wird dem Kind nur schaden und es von der Wahrheit abbringen, hatte sie gesagt.

    Nun, ich finde, Anastasia neigt in mancher Hinsicht zu bertreibung und Aberglauben. Es kann doch nicht sein, dass die ganze Menschheit nur sinnloses Spielzeug erfunden hat! Doch ihr zuliebe hatte ich kein sinnloses Babyspielzeug gekauft, sondern gleich einen Baukasten fr ein greres Kind. Auf der Verpackung stand: Zur Frderung der geistigen Entwicklung des Kindes. Auerdem hatte ich Wegwerfwindeln besorgt, wie sie heutzutage in aller Welt blich sind, und Babynahrung, deren einfache Zubereitung mich faszinierte. Man ffnet die Schachtel und findet darin einen Beutel aus wasserdichter Folie. Den schneidet man auf, gibt das darin enthaltene Pulver in warmes Wasser, einmal umrhren fertig! Es gibt verschiedene Sorten von diesem Pulver: es kann aus Buchweizen bestehen, aus Reis oder aus anderem Getreide. Auerdem steht auf der Packung, dass diese Nahrung mit verschiedenen Vitaminen angereichert ist.

    Ich kann mich noch gut erinnern, als meine Tochter Polinka* ganz klein war: Da musste ich ihr Essen jeden Tag aus der Babykche** holen gehen. Jetzt aber kann man einfach diese Fertignahrung kaufen, und das ganze Problem ist gelst: Kochen ist nicht mehr ntig. Da ich wusste, dass Anastasia es ablehnt, Wasser zu kochen, hatte ich zunchst nur eine Packung

  • gekauft. Ich wollte zuerst probieren, ob sich das Pulver auch in lauwarmem Wasser auflst. Und tatschlich es klappte. Der Brei schmeckte gar nicht bel, nur war er etwas fade, weil ungesalzen. Aber das muss bei Baby-nahrung wohl so sein. Jedenfalls kam ich zu dem Schluss, dass Anastasia keine Argumente gegen diese Babynahrung wrde finden knnen. Etwas so Praktisches abzulehnen wre schlichtweg absurd. Im Gegenteil, Anastasia msste endlich einmal zugeben, dass unsere technokratische Welt auch Gutes hervorbringt: Wir produzieren nicht nur Waffen, sondern denken auch an das Wohl der Kinder.

    * Kosename fr Polina. ** Eine Einrichtung (in der Sowjetzeit), wo frisch gekochte Milchgerichte fr Suglinge verkauft wurden.

    Von alledem, was Anastasia zu mir gesagt hatte, gab es eine Sache, die mich am meisten beunruhigte: Um meinem Sohn zu begegnen, sollte ich zunchst innerlich gelutert werden und rein in Gedanken sein. Htte sie darauf bestanden, dass ich glatt rasiert und ordentlich gekleidet sein und aufs Rauchen verzichten solle, whrend ich meinen Sohn besuchte, ja, das htte ich noch verstanden. Sie sprach aber von irgendeiner inneren Reinigung. Wie sollte ich das denn anstellen? Und bin ich wirklich so ein Dreckskerl? Gut, ich bin vielleicht nicht gerade ein Tugendbold, aber ich bin auch nicht schlechter als die anderen. Wrden alle Frauen solche Ansprche an die Mnner stellen, dann htten wir bald ein Fegefeuer auf Erden. Wo kmen wir denn da hin? Das widerspricht jeglicher Gesetzgebung.

    So hatte ich denn in meinem Rucksack einen Auszug aus dem brgerlichen Gesetzbuch mitgebracht, der sinngem besagte, dass ein Partner dem anderen das Recht, ihr gemeinsames Kind zu sehen, nicht ohne Grund vorenthalten darf selbst wenn es sich um ein uneheliches Kind handelt. Mir war klar, dass Anastasia nicht viel auf unsere Gesetze gibt, aber dennoch war das kein unbedeutendes Argument, denn immerhin richten sich die meisten Menschen nach den Gesetzen. Ich htte Anastasia gegenber natrlich auch einen hrteren Ton anschlagen und darauf bestehen knnen, das gleiche Recht auf unseren Sohn zu haben wie sie. Das hatte ich ursprnglich auch tun wollen, aber dann waren mir immer mehr Zweifel an diesem Plan gekommen.

    Grund dazu war nicht zuletzt ein Packen Leserbriefe, den ich in meinem Rucksack mitgenommen hatte fr alle wre nicht genug Platz gewesen. In vielen Briefen bringen die Leser ihr Verstndnis Anastasia gegenber zum Ausdruck. Mehr noch, sie nennen sie ihren Messias, die Taiga-Fee oder eine Gttin und widmen ihr Gedichte und Lieder. Einige sprechen mit ihr, wie man mit einem vertrauten Freund spricht. Die Flut von Briefen hatte mich dazu bewegt, mein ursprnglich beabsichtigtes Auftreten Anastasia gegenber nochmals zu berdenken.

    So sa ich etwa drei Stunden am Flussufer nahe bei Jegorytschs Kutter und hing meinen Gedanken nach. Die Abenddmmerung setzte bereits ein, als sich mir zwei Mnner nherten, begleitet von Jegorytschs Enkel. Der erste von ihnen er war um die sechzig -Jahre alt trug eine Windjacke und Gummistiefel. Er hatte ein rotes Gesicht und wirkte angetrunken, denn er wankte beim Gehen. Der zweite Mann war jnger, etwa dreiig; er war krftig gebaut, und mir fielen ein paar graue Strhnen in seinem ansonsten dunkelblonden Haar auf. Der ltere kam gleich zur Sache: Tag, der Herr! Zu Anastasia? Bitteschn. Macht fnfhunderttausend fr die Fahrt und zwei Flaschen Wodka.

    Wegen des hohen Preises war mir von vornherein klar gewesen, dass ich nicht der Erste war, der zu Anastasia wollte. Ich war fr die Leute einfach einer von vielen Anastasia-Pilgern. Dennoch fragte ich: Wie kommen Sie darauf, dass ich zu irgendeiner Anastasia will und nicht einfach ins Dorf?

    Mir egal, der Preis ist der gleiche. Hast du jetzt die fnfhundert Piepen oder nicht? Sonst kannst du nmlich selber sehen, wie du hinkommst.

    Besonders freundlich schien Jegorytsch nicht zu sein. So viel Geld verlangt er fr die Fahrt, dachte ich, und dann noch in diesem Ton Was hat das wohl zu bedeuten? Ich hatte aber

  • keine Wahl, und so zahlte ich. Doch statt sich ber das Geld und den Wodka zu freuen, wurde er nur noch gereizter. Whrend sein Begleiter den Wodka kaufen ging, setzte er sich auf einen Stein und brummte missmutig vor sich hin: Ins Dorf welches Dorf denn? Ganze sechs Huser sind es, und kaum jemand lebt mehr dort. Was sollte da schon jemand zu suchen haben?

    Fahren Sie oft Leute zu Anastasia? Luft das Geschft gut?, fragte ich Jegorytsch, um ein Gesprch anzuknpfen und ihn milder zu stimmen.

    Wer hat sie nur alle eingeladen?, entgegnete er unwirsch. Von selbst kommen sie, und nichts hlt sie auf. Hat sie sie etwa eingeladen? Nein, hat sie nicht! Irgendjemand hat ber ihr Leben berichtet, ein Buch hat er geschrieben. Schreiben, meinetwegen wozu aber die Stelle verraten? Wir haben das jedenfalls nicht getan. Er war es. Er hat ber ihr Leben geschrieben und darber, wo sie lebt. Sogar unsere Weiber hier haben schon immer gewusst: So etwas verrt man nicht, sonst wird sie keine Ruhe mehr haben.

    Dann haben Sie das Buch ber Anastasia gelesen? Nein, ich lese keine Bcher. Saschka, mein Partner, der liest. brigens wir werden dich

    nicht gleich zum Dorf bringen. Das ist weit, und der Motor wrde es nicht schaffen. Wir fahren bis zum Fischerhuschen und werden dort bernachten. Morgen frh fhrt Saschka dich weiter, und ich gehe fischen.

    Na schn, sagte ich und dachte: Blo gut, dass Jegorytsch nicht wei, dass das Buch ber Anastasia von mir ist!

    Saschka kam mit dem Wodka, und die beiden verstauten die Utensilien fr den Fischfang im Boot. Dann meldete sich Wasjatka zu Wort, und beinahe htte er mich um die Fahrt gebracht. Er bat Jegorytsch um Geld fr ein neues Radiogert: Ich habe eine Stange gefunden, die als Antenne dienen kann, und habe mir schon berlegt, wo ich sie anbringen will. Ein Stck Draht fr die Antenne habe ich auch. Und wenn man die Antenne an ein Radio anschliet, kann man viele verschiedene Sender hren.

    2 Kein Geld fr dumme Flausen

    Siehst du, was fr einen aufgeweckten Buben ich zum Enkel habe!, prahlte Jegorytsch mit einer viel wrmeren Stimme. Wissbegierig und geschickt. Gut so, Wasjatka! Das Geld sollst du bekommen.

    Mir war klar, wer dafr bezahlen sollte Ich machte mich also daran, mein Geld hervorzuholen, da fuhr Wasjatka, durch das Lob ermutigt, mit den Ausfhrungen ber seine Plne fort: Ich will alles ber die Kosmonauten hren ber unsere und die amerikanischen. Und wenn ich gro bin, werde ich selber Kosmonaut.

    Was hast du da gesagt?, fiel pltzlich Jegorytsch ein. Wenn ich gro bin, werde ich Kosmonaut. Soso nicht einen Rubel sollst du von mir bekommen fr solchen Quatsch. Wieso denn Quatsch? Kosmonauten findet doch jeder gut. Sie sind Helden. ber sie wird im

    Fernsehen berichtet. Mit ihren riesigen Raumschiffen kreisen sie stndig um die Erde, und sie sprechen aus dem Weltall direkt mit den Wissenschaftlern.

    Und was bringt der ganze Rummel? Sie drehen da oben ihre Runden, und im Ob gibt es immer weniger Fische.

  • Die Kosmonauten erzhlen uns ber das Wetter. Sie knnen genau sagen, was fr ein Wetter morgen auf der ganzen Erde sein wird, verteidigte Wasjatka weiter die Wissenschaft.

    Was ist daran so besonders? Geh mal zu Oma Marpha, die kann dir auch vom Wetter erzhlen fr morgen, bermorgen und das ganze Jahr. Sie wird blo kein Geld dafr verlangen, im Gegensatz zu deinen Kosmonauten. Wer bezahlt denn fr diesen Zirkus, wenn ich fragen darf? Von Petkas Geld fliegen sie da oben rum, vom Geld deines Vaters.

    Die Kosmonauten bekommen eine Menge Geld vom Staat. Und woher bekommt der Staat sein Geld? Na, woher wohl? Von Petka, von deinem Vater,

    bekommt er es. Ich habe hier Fische gefangen, und Petka hat sie auf dem Markt verkauft. Er dachte sich, er kann ein gutes Geschft machen, doch da kommt Vater Staat zu ihm und sagt: Zahl deine Steuern. Gib uns all dein Geld. Wir haben sehr hohe Kosten. Die in der Duma, die quasseln doch nur rum schlimmer als Klatschweiber sind die. Sie machen groe Plne und halten sich fr wer wei wie schlau. Ihre eigenen Wohnungen haben sie sich schn eingerichtet, diese Quarkkpfe, mit piekfeinen Toiletten und unser Fluss wird immer dreckiger. Nein, Wasjatka, fr deine Flausen zahle ich nicht auch noch. Ich werde nirgendwo mehr hinfahren. Ich verdiene mein Geld doch nicht fr solchen Unfug!

    Es lag wohl auch daran, dass Jegorytsch schon etwas getrunken hatte, jedenfalls regte er sich dermaen auf, dass er die Reise tatschlich beinahe abgeblasen htte. Doch dann brachte Saschka die beiden Flaschen Wodka, und Jegorytsch nahm einen krftigen Schluck direkt aus der Flasche, rauchte eine und beruhigte sich dann allmhlich. Wasjatka jedoch bekam kein Geld fr sein Radio, und noch whrend der ganzen Fahrt brummte Jegorytsch etwas ber dumme Flausen vor sich hin.

    Der alte Motor des Kutters machte einen Hllenlrm, sodass es fast unmglich war, miteinander zu sprechen. So fuhren wir schweigend dahin, bis wir zu einer alten Fischerhtte mit einem kleinen Fenster gelangten. Es war inzwischen dunkel geworden, und am Abendhimmel leuchteten die ersten Sterne. Jegorytsch, der die erste Flasche Wodka geleert hatte, lallte zu seinem Partner Saschka: Ich geh jetzt sch-schlafen. Ihr schlaft am Feuer oder in der Htte auf dem Fuboden, klar? Und morgen frh bringst du ihn zu unserer Stelle, verstehst du?

    Jegorytsch bckte sich schon, um durch die winzige Tr in die Htte einzutreten, doch dann drehte er sich noch einmal um und wiederholte streng: Zu unserer Stelle, Saschka. Kapiert?

    Schon klar, antwortete Saschka ruhig. Als Saschka und ich spter am Lagerfeuer saen und gebratenen Fisch aen, fragte ich ihn:

    Alexander, knntest du mir sagen, was eure Stelle ist, wo du mich morgen hinbringen sollst? Unsere Stelle das ist gegenber von dem Dorf, von dem aus man Anastasias Lichtung

    erreichen kann, antwortete Alexander gelassen. Was? Erst knpft ihr mir so viel Geld ab, und dann bringt ihr mich noch nicht mal zur

    richtigen Stelle? Ja. Das ist alles, was wir fr Anastasia tun knnen das sind wir ihr schuldig. Schuldig? Und warum hast du mir das eigentlich verraten? Wie stellst du dir das jetzt vor,

    mich an eurer Stelle abzusetzen? Ich werde dich da hinbringen, wo du willst. Und meinen Anteil am Geld gebe ich dir

    zurck. Wieso denn pltzlich solche Vergnstigung? Ich habe dich erkannt. Hab sofort gewusst, dass du Wladimir Megre bist. Ich habe dein Buch

    gelesen und dein Foto auf dem Umschlag gesehen. Ich werde dich dahin bringen, wo du willst. Nur muss ich dir zunchst noch etwas sagen. Hre gut zu und handle dann besonnen. Es hat keinen Sinn, in die Taiga zu gehen. Du wirst Anastasia dort nicht mehr finden. Sie ist fort. Ich glaube, sie lebt jetzt noch tiefer im Wald oder ganz woanders. Suchen ist zwecklos. Du wirst umkommen in der Taiga, oder die Jger werden dich erschieen. Sie dulden keine Fremden in ihrem Revier. Fremde erledigen sie gleich aus der Entfernung, um kein Risiko einzugehen.

    uerlich sprach Alexander fast ruhig, nur zuckte pltzlich der Stecken auf, mit dem er ab und zu in der Glut herumstocherte, sodass die Funken in den Nachthimmel aufstieben.

  • Was ist denn los? Du hast mich schon richtig erkannt, also erzhl mir auch, was geschehen ist. Weshalb ist Anastasia wegge-gangen?

    Ich mchte es ja selbst jemandem erzhlen, sagte Alexander mit bedrckter Stimme. Jemandem, der das alles verstehen kann. Ich wei blo nicht, wo ich anfangen soll und wie ich es sagen soll, dass es auch verstndlich wird dass ich es selbst verstehe

    Erzhle es einfach so, wie es war. Einfach? Stimmt, alles ist ganz einfach frchterlich einfach! Hre mir gut zu und versuche,

    mich nicht zu unterbrechen. Schon gut. Lass nur hren.

    3 Ungebetene Gste

    Alexander sprach recht behbig, wie es die Art der Sibirier ist. Dennoch sprte ich, wie aufgeregt der junge, schon leicht ergraute Mann war.

    Als ich damals dein Buch ber Anastasia las, war ich Doktorand an der Moskauer Universitt. Meine Fcher waren Philosophie und Psychologie. Mich interessierten besonders die Religionen des Orients. Dann war da pltzlich Anastasia, und zwar nicht am Ende der Welt, sondern in Sibirien, direkt bei meinem Heimatort. Ich sprte die groe Kraft und den tiefen Sinn in ihren Worten. Alles war mir irgendwie sehr vertraut und gleichzeitig so voller Bedeutung. Angesichts dieser ungewhnlichen Empfindungen, die in mir entstanden, verblasste mein Interesse an den fernstlichen Weisheiten. Ich habe mein Studium auf der Stelle geschmissen und eilte nach Hause, wie aus der Finsternis ins Licht. Dieses Licht war Anastasia. Ich wollte sie sehen, mit ihr reden so machte ich mich daran, mit Jegorytsch und seinem Boot die von dir beschriebene Stelle am Ufer zu suchen. Nicht lange, und wir hatten sie gefunden. Ab und zu tauchten dann auch andere auf, die Anastasia aufsuchen wollten. Sie fragten nach dieser Stelle am Ufer. Doch wir fhrten niemanden dorthin. Auch die anderen Einwohner hier hatten genug Verstand zu begreifen, dass es nicht ratsam wre, die Pilger zu ermutigen. Doch eines Tages haben wir genauer gesagt ich allein eine ganze Gruppe zu der Stelle gefhrt.

    Wieso hast du das getan? Ich hielt das damals fr die richtige Entscheidung und dachte sogar, ich tte dadurch etwas

    Gutes. Die Gruppe bestand aus sechs Mnnern, darunter zwei namhafte Wissenschaftler, die offenbar ber groe finanzielle Mittel verfgten oder wenn nicht sie selbst, so zumindest ihre Auftraggeber. Die brigen waren Leibwchter, die Pistolen trugen und in ihrem Gepck noch andere Waffen dabeihatten.

    Sie baten mich, sie als ihr Expeditionsleiter in die Taiga zu begleiten. Ich sagte zu. Dabei ging es mir gar nicht ums Geld. Ich -hatte mich zunchst lange mit ihnen unterhalten. Sie sagten mir gleich offen, dass sie auf der Suche nach Anastasia waren. Der Gruppenleiter, ein wrdevoller lterer Herr namens Boris Moissejewitsch, war der Ansicht, Anastasia knne der Wissenschaft grere Dienste leisten als so manches Forschungsinstitut. Sie wollten sie zu ihrer eigenen Sicherheit in ein bewachtes Naturschutzgebiet bringen. -Boris Moissejewitsch sagte: Wenn wir das nicht tun, wird es jemand anders tun. Anastasia ist ein besonderes Phnomen, und wir haben die Pflicht, sie zu beschtzen und zu erforschen.

  • Sein Helfer, ein intelligenter junger Mann namens Stanislaw, war geradezu verliebt in Anastasia, obwohl er sie noch nie gesehen hatte.

    Wie gesagt, ich lie mich schlielich durch ihre Argumente berzeugen, und bald darauf ging es los. Sie mieteten einen kleinen Dampfer. Auer unserem Gepck verstauten sie auch ein paar Fsser Treibstoff darin, die in einem Auto angeliefert wurden.

    An besagter Stelle angekommen, schlugen wir auf einem erhhten Flussufer Zelte auf, und sie riefen per Funk einen Hubschrauber herbei. Der Hubschrauber war mit einer Apparatur fr Luftaufnahmen und einer Videokamera ausgestattet und hatte dazu noch ein paar seltsame, mir unbekannte Gerte an Bord. Die beiden Piloten flogen Tag fr Tag in geringer Hhe die Taiga ab und fotografierten systematisch ein Planquadrat nach dem anderen. Die Wissenschaftler schauten dann jeweils das neue Material durch und flogen hin und wieder zu Stellen, die ihnen interessant erschienen. Sie suchten nach Anastasias Waldlichtung, wo sie dann landen wollten. Ich stellte mir vor, was fr einen Schrecken Anastasia, ihr Kind und alle Lebewesen in der Nhe der Lichtung bekmen, wenn der lrmende Hubschrauber dort landen wrde. Deshalb schlug ich vor, nach dem Auffinden der Lichtung einen Lageplan zu zeichnen und zu Fu dort hinzugehen. Doch Stanislaw entgegnete, der lange Marsch durch die Taiga sei zu beschwerlich fr Boris Moissejewitsch. Er sah zwar meine Bedenken ein, was die Lrmbelstigung fr die Taiga-Bewohner betraf, versicherte mir aber, Boris Moissejewitsch sei sicherlich in der Lage, Anastasia und ihr Kind zu beruhigen. Am vierten Tage geschah es dann.

    Was geschah? Die Piloten waren mit dem Hubschrauber fortgeflogen, um weitere Luftaufnahmen zu

    machen, und wir gingen alle unseren jeweiligen Beschftigungen nach, als pltzlich ein Wachtposten eine Frau bemerkte, die allein aus der Taiga auf unser Lager zukam. Er unterrichtete Boris Moissejewitsch darber, und bald sahen wir alle der Frau entgegen. Sie trug eine leichte Bluse und einen langen Rock, und ihr Kopftuch war so gebunden, dass es Stirn und Hals bedeckte. Wir standen in einer Gruppe zusammen, zuvorderst Boris Moissejewitsch und Stanislaw. Die Frau nherte sich uns. Ihr Gesicht zeigte keine Regung von Furcht oder Verlegenheit. Und ihre Augen mit ihren auergewhnlichen Augen blickte sie uns gtig und freundlich an. Dabei schaute sie nicht die Gruppe als Ganzes, sondern jeden Einzelnen von uns an. Uns wurde ganz warm unter ihren Blicken, und doch erfasste uns eine sonderbare Aufregung. Wir vergaen alles um uns herum und sogen nur noch die Wrme ein, die die seltsamen Augen der Frau verstrmten. Wir dachten nicht einmal daran, ihr einen Sitzplatz anzubieten.

    So war es dann auch sie, die zu sprechen begann. Guten Tag, meine Herren, sagte sie mit ruhiger, freundlicher Stimme.

    Wir standen einfach nur da und schwiegen. Boris Moissejewitsch fasste sich als Erster. Guten Tag, antwortete er. Darf ich fragen, wer Sie sind?

    Ich heie Anastasia, und ich bin mit einer Bitte zu Ihnen gekommen. Rufen Sie bitte Ihren Hubschrauber zurck. Er ist eine Strung fr diese Gegend. Sie suchen mich. Da bin ich. Ich werde mich bemhen, Ihre Fragen zu beantworten.

    Ja, das stimmt, wir haben nach Ihnen gesucht. Danke, dass Sie gekommen sind. Das lst eine Menge Probleme, sagte Boris Moissejewitsch. Noch immer bot er ihr keine Sitzgelegenheit an, obwohl vor unserem Zelt ein Tisch und ein paar Klappsthle standen. Wahrscheinlich war er aufgrund ihres unerwarteten Erscheinens noch etwas verwirrt. Er kam dann gleich auf den Zweck unseres Kommens zu sprechen. Ja, sehr gut Wir wollten zu Ihnen, und jetzt, jetzt sind Sie selbst gekommen. Keine Sorge, den Hubschrauber holen wir gleich zurck.

    Boris Moissejewitsch gab dem Fhrer der Wachmannschaft eine kurze Anweisung, und dieser beorderte die Hubschrauberpiloten ber Funk zum Lager zurck. Dann wandte sich Boris Moissejewitsch Anastasia zu und sprach, schon ruhiger als zuvor: Anastasia, der Hubschrauber wird jeden Moment hier sein. Sie werden sich mit meinen Mitarbeitern in den Hubschrauber setzen und uns zu Ihrer Lichtung fhren. Wir werden dort landen, wo Sie es uns zeigen, und dann nehmen Sie bitte Ihren Sohn mit. Wir werden Sie beide in ein Naturschutzgebiet in der Nhe von Moskau bringen. Dort wird alles nach Ihren Wnschen eingerichtet werden. Das muss so sein.

  • Niemand wird Sie dort belstigen. Jenes Gebiet steht unter stndiger Bewachung, und nach Ihrer Umsiedlung wird die Bewachung noch verstrkt werden. Hin und wieder, zu einer Ihnen genehmen Zeit, werden Wissenschaftler zu Ihnen kommen, alles kompetente Fachleute. Ich denke, der Umgang mit ihnen wird ganz interessant fr Sie werden. Und diese Leute werden sich ihrerseits fr Ihre Ausfhrungen zu bestimmten Phnomenen in der Natur und der Gesellschaft interessieren, ja ganz allgemein fr Ihre Lebensphilosophie. Wenn Sie mchten, werden Sie einen wrdigen Begleiter haben, jemand, der immer bei Ihnen sein und Sie sofort verstehen wird. Trotz seiner Jugend ist er schon eine anerkannte Kapazitt der Wissenschaft. Auerdem hat er sich in Sie verliebt, noch bevor er Sie kennen gelernt hat. Ich denke, Sie beide passen sehr gut zueinander und werden ein glckliches Paar sein. Er ist in jeder Hinsicht ein wrdiger Partner fr Sie, nicht nur was seine Gelehrsamkeit betrifft, sondern auch von seiner ganzen Lebensart her. Und hier ist er

    Mit diesen Worten wandte er sich Stanislaw zu, wies mit der Hand auf ihn und winkte ihn herbei: Komm her, Stanislaw, was ist denn los? Jetzt stell dich doch vor!

    Stanislaw kam herbei, stellte sich Anastasia gegenber und fing etwas unsicher an zu sprechen: Boris Moissejewitsch hat fr mich direkt um Ihre Hand angehalten. Das mag alles sehr berraschend fr Sie sein, aber ich versichere Ihnen, dass ich Sie wirklich heiraten mchte. Ich bin bereit, Ihren Sohn zu adoptieren und ihm ein Vater zu sein. In allen Lebenslagen mchte ich Ihnen zur Seite stehen. Bitte betrachten Sie mich als Ihren wohlmeinenden Freund.

    Damit verneigte sich Stanislaw elegant vor Anastasia und gab ihr einen Handkuss. Er war wirklich ein kultivierter, stattlicher junger Mann. Wre Anastasia anders gekleidet gewesen, htten die beiden tatschlich ein ansehnliches Paar abgegeben.

    Anastasia antwortete ihm freundlich und ernst: Danke fr Ihre Sympathiebekundung und Ihre Sorge um mich. Dann fgte sie hinzu: Wenn Sie sich wirklich stark genug fhlen, mit Ihrer Liebe das Leben eines anderen Menschen glcklicher und erfllter zu machen, dann denken Sie dabei bitte an Frauen aus Ihrer Umgebung. Vielleicht gibt es dort eine Frau, die mit ihrem Leben nicht zufrieden ist. Wenden Sie sich an sie, gewinnen Sie sie lieb, und machen Sie sie glcklich.

    Aber ich mchte Sie lieben, Anastasia. Ich bin bereits mit einem anderen glcklich. Bemhen Sie sich nicht weiter um mich. Es gibt

    andere Frauen, die Sie mehr brauchen als ich. Boris Moissejewitsch wollte dem schweigenden Stanislaw behilflich sein: Wer ist dieser

    andere, den Sie gerade erwhnt haben? Sicher meinen Sie Wladimir, aber der ist doch kein Vorbild!

    Ihre Worte knnen meine Gefhle nicht beeinflussen. Nicht einmal ich selbst bin in der Lage, sie zu bestimmen.

    Wie konnten Sie nur diesem Wladimir verfallen einem -Men-schen, dem jeglicher Bezug zu Spiritualitt und Wissenschaft fehlt, der noch nicht einmal ein normales Leben fhren kann! Er ist ein gewhnlicher Unternehmer. Warum lieben Sie ausgerechnet ihn?

    Irgendwann begann ich zu begreifen, unterbrach Alexander seine Erzhlung, dass Boris Moissejewitsch, Stanislaw und ihre Mnner ein klar gestecktes Ziel verfolgten: Anastasia auch gegen ihren Willen mitzunehmen und sie fr irgendwelche Zwecke auszunutzen. Ob das alles ihre eigene Idee war oder ob sie jemandes Befehl folgten, spielte im Moment keine Rolle. Klar war nur, dass keine auch noch so gewichtigen Argumente sie von ihrem Plan abbringen konnten. Anastasia wird das auch alles gesprt haben. Kein Zweifel, sie muss die Absichten dieser Leute durchschaut haben. Dennoch blieb sie bis zum Schluss freundlich, als wrde sie ein Gesprch mit ihr wohlgesinnten Menschen fhren. Sie sprach ganz offen ber ihre grten Geheimnisse, und mit ihrer Offenheit und Ehrlichkeit verhinderte sie eine direkte Gewaltanwendung vonseiten der Mnner oder schob sie zumindest auf. Sie widersetzte sich den Bestrebungen Boris Moissejewitschs und Stanislaws, ihre Beziehung zu dir in Frage zu stellen, auf solch wirkungsvolle Weise, dass deren Argumente schlielich gegenstandslos wurden. Dabei reagierte sie keineswegs wie eine Frau, die vor Liebe blind ist und nur das Gute in ihrem Partner sieht, egal was er auch tut. Nein, ihre Argumente waren anderer Art.

  • Als die erste Aufregung nach Anastasias Erscheinen verflogen war, gelang es mir, heimlich mein Diktiergert einzuschalten. Spter hrte ich mir diese Aufnahmen immer wieder an. Ich kann mich fast wrtlich an alles erinnern, was sie sagte. Und ihre Worte verwirrten mich immer aufs Neue.

    Was hat dich daran verwirrt?, fragte ich, denn ich wollte wissen, was Anastasia ber mich gesagt hatte.

    Alexander fuhr fort: Auf die Frage, wieso Anastasia dich liebt, antwortete sie zunchst einfach: Es hat keinen Sinn, mir eine solche Frage zu stellen. Niemand, der verliebt ist, kann seine Liebe erklren. Jede verliebte Frau kennt nur einen Mann in der Welt, und das ist ihr Auserwhlter. Ich bin da keine Ausnahme.

    Trotzdem, Anastasia, Sie knnen doch nicht die Absurditt Ihrer Wahl bestreiten. Sie haben Ihre Wahl vielleicht umstndehalber oder zufllig getroffen, aber absurd war sie dennoch. Mit Ihrem Willen, Ihren Fhigkeiten und Ihrer analytischen Intelligenz sollten Sie doch in der Lage sein, von dem ursprnglichen Gefhls-ausbruch Abstand zu gewinnen und die Haltlosigkeit dieser Person zu erkennen. Lassen Sie sich das Ganze bitte noch mal durch den Kopf gehen.

    Das fhrt zu nichts. Meine berlegungen haben genau das Gegenteil bewirkt: Sie haben mir nur die rtselhafte Notwendigkeit des Geschehenen verdeutlicht. Mir ist klar geworden, dass ich nichts davon ablehnen darf.

    Wollen Sie damit sagen, dass Sie das Absurde, das Paradoxe, einfach hinnehmen? Paradox erscheint es nur auf den ersten Blick. Sie haben eine lange Reise hinter sich von

    Moskau bis zu diesem entlegenen Ort in der Taiga. Jetzt fragen Sie mich ber meine Liebe aus. Das Para-doxe an dieser Liebe ist, dass sie gerade durch Ereignisse klarer wird, die in Moskau stattgefunden haben. Sie sollten besser dort darber nachdenken. Der weite Weg hat sich nicht gelohnt.

    Was ist denn in Moskau geschehen? Oberflchlich gesehen vielleicht nichts Besonderes. Aber dieser Eindruck trgt. Wladimir,

    der in Ihren Augen ja eine einfltige, verderbte Person ist, hat nach seiner Sibirienreise seine Firma aufgegeben und ist nach Moskau gefahren. Er tat das, um sein Versprechen mir gegenber einzulsen: eine Vereinigung von Unternehmern mit reinen Absichten zu grnden. Er hatte kein Geld mehr, aber dennoch setzte er sich fr diese Idee ein.

    In der Tokmakovgasse 14 in Moskau steht ein zweistckiges Gebude, in dem die erste Vereinigung von Unternehmern ihren Sitz hatte. Die Leiter dieses Verbandes jedoch waren gestorben oder ausgetreten, und der Verband war am Ende. Wladimir brachte neues Leben in die leer stehenden Rume des Gebudes. Er schrieb dort Briefe an Unternehmer und erklrte ihnen seine Ideen. Von frh bis spt arbeitete er in seinem Bro und bernachtete auch dort. Allmhlich fanden sich Leute, die ihm halfen und die an ihn und sein Vorhaben glaubten. Und all das tat er, weil ich ihn darum gebeten hatte, als er bei mir auf der Taiga-Lichtung war. Es war mein Plan gewesen, und ich hatte ihm erklrt, wie wichtig dieser Plan war und was er zu tun hatte. Um das Ziel zu erreichen, musste Wladimir in einer bestimmten Reihenfolge vorgehen, so wie es in meinem Traum gewesen war. Zuerst htte er das Buch schreiben sollen, mit dessen Hilfe die ntigen Informationen verbreitet werden sollten. So sollten rechtschaffene Unternehmer mit der Idee einer Vereinigung bekannt gemacht werden. Das Buch sollte auch das Geld fr die Verwirklichung des Planes einbringen.

    Wladimir verstand sehr wohl die Wichtigkeit der Sache und setzte sich auch eifrig dafr ein. Er handelte jedoch nach seinem eigenen Gutdnken und dachte nur selten an mich. Mit viel Energie und Geschick gelang es ihm dennoch, erste Helfer und Mitarbeiter um sich zu scharen, die an die Idee glaubten. So entstand tatschlich ein zartes Pflnzchen der neuen Vereinigung der Unternehmer. Es war unglaublich, aber ein Anfang war ihm gelungen. Und die Unternehmer, die daran teilnahmen, hatten tatschlich gute Absichten. Sie knnen sich selbst davon berzeugen. Die Adressenliste gibt es noch.

    Diese Liste ist uns bekannt. Sie war ja in der ersten Ausgabe des Buches abgedruckt. Aber ich muss Sie leider enttuschen, Anastasia. In der Liste befanden sich auch Firmen wie die Moskauer

  • Fabrik Kristall, wo alkoholische Getrnke hergestellt werden, und das ist ja wohl mit spirituellen Prinzipien unvereinbar.

    Alles in dieser Welt ist relativ. Und im Vergleich mit anderen Firmen gehrt diese Fabrik Kristall durchaus nicht zu den schlimmsten. Auerdem geht es ja darum, seine Absichten zu bessern. Unsere heutige Realitt ist die Frucht unserer Gedanken von gestern.

    Da muss ich Ihnen allerdings Recht geben. Aber dennoch ist Wladimir gescheitert. Ich kann Ihnen versichern, Anastasia, Sie haben auf den Falschen gesetzt.

    Er kam nicht ans Ziel, da er sich nicht an die vorbestimmte Reihenfolge der Ereignisse hielt. Er hatte nicht einmal die Mittel, die Informationen ber die Grenzen Moskaus hinaus zu verbreiten. Die Umstnde, unter denen er arbeitete, verschlechterten sich stndig: Er musste das Haus in der Tokmakovgasse verlassen. Dadurch verlor er auf einen Schlag sein Bro, seine Verbindung zur Auenwelt und seine Wohnung. Er verlie das Haus vllig mittellos, mit nur einer Handvoll Moskauern, seinen Helfern, denen er nicht einmal einen Lohn zahlen konnte. Auch hatte er kein Dach ber dem Kopf und konnte sich keine Winterkleidung leisten. Seine Familie hatte er verlassen und sie hatte ihn verlassen. Und wissen Sie, worber er mit seinen Moskauer Begleitern sprach, whrend er mit ihnen durch die eiskalten Straen Moskaus zur Metrostation lief? Dass sie wieder ganz von vorne anfangen sollten. Selbst in einem solch erbrmlichen Zustand gab er nicht auf, sondern schmiedete neue Plne. Er ist ein wahrer Unternehmer. Die Moskauer folgten ihm, hrten ihm zu und glaubten an ihn. Kurzum, sie liebten ihn.

    Weshalb denn, wenn ich fragen darf? Fragen Sie am besten diese Moskauer, was sie an ihm fanden. Oder gehen Sie zu dem Haus

    in der Tokmakovgasse und fragen Sie das Wachpersonal, warum sie regelmig von zu Hause abgefllte Glser und kleine Esspakete zum Abendessen fr Wladimir mitbrachten. Sie versuchten es so zu tun, dass es ihm nicht peinlich wurde. Diese Mnner kochten zu Hause Suppe oder Borschtsch und brachten Wladimir davon eine Portion mit, damit er etwas Warmes zu essen hatte. Sie liebten ihn. Warum?

    Oder reden Sie, wenn Sie in jenem Gebude sind, mit der gut aussehenden Frau, die damals dort als Sekretrin arbeitete. Sie war ehemals Schauspielerin gewesen und hatte die Hauptrolle in dem Film Auf rauen Wegen zu den Sternen. Sie spielte darin eine junge Auerirdische brigens spielte sie ganz ausgezeichnet. Der Film war ein Aufruf, unseren Planeten Erde zu achten und zu lieben. Fragen Sie sie, warum sie sich bemhte, Wladimir zu helfen. Sie war nicht seine Sekretrin, sondern arbeitete fr eine andere Firma im gleichen Gebude. Warum brachte sie meinem geliebten Wladimir mittags Kaffee oder Tee? Sie erweckte dabei den Anschein, als ob ihre Firma ihr Zucker, Kekse und Tee zur Verfgung stellte, aber sie brachte alles von zu Hause mit. Sie war nicht reich sie liebte ihn einfach. Warum?

    Und trotz all dieser Hilfe war Wladimir mit seinen Krften am Ende. Er lag im Sterben. Doch selbst in diesem Zustand war er weiterhin bestrebt, seine Ziele zu erreichen. Er ist ein wahrer Unternehmer. Sein Geist ist sehr stark.

    Anastasia, was wollen Sie damit sagen: Er lag im Sterben? Meinen Sie das im bertragenen Sinne?

    Nein, das meine ich genauso. Ein paar Tage lang schwebte er zwischen Leben und Tod. In einem solchen Zustand liegen die Menschen normalerweise reglos im Bett. Er aber war auf den Beinen und arbeitete.

    Haben Sie ihm geholfen, Anastasia? Whrend dieser zweiundvierzig schrecklichen Stunden erwrmte ich ihn jede Sekunde, ja

    jeden Augenblick mit meinem Strahl. Aber das war nicht genug. Htte er im Geiste den Kampf aufgegeben, dann wre auch ich mit meinem Strahl machtlos gewesen. Doch in seinem Streben bemerkte er nicht einmal das Nahen des Todes. Mein Strahl half ihm, aber nicht allein. Nach und nach gesellten sich andere Strahlen dazu, ganz schwach und unbewusst. Das waren die Strahlen der Moskauer, die ihn liebten.

  • Als sein Leib dann fast tot war, kehrte das Leben allmhlich wieder in ihn zurck. Angesichts aufrichtiger Liebe weicht der Tod, wenn die Liebe nur stark genug ist. Die Unsterblichkeit des Menschen liegt in der Liebe und auch in der Fhigkeit, das Feuer der Liebe in anderen zu entfachen.

    Nun, ein toter Leib kann nicht laufen. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache. Sie sprechen also doch im bertragenen Sinne

    Kriterien menschlicher Wissenschaft gelten immer nur eine gewisse Zeit lang. Es gibt auch Wahrheiten, die immer whren.

    Aber wie sollen wir Wissenschaftler uns von solchen Wahrheiten berzeugen? Wir brauchen objektive Messergebnisse.

    In der Metrostation Kursk gibt es einen Fotoautomaten. Wladimir machte whrend jener Tage dort ein Farbfoto fr einen Passierschein. Dieses Foto befindet sich vielleicht noch immer im Leninprospekt Nr. 42. Oder aber Wladimir hat es noch. Sehen Sie sich dieses Bild genau an, und Sie werden eindeutige Todesmerkmale erkennen, Flecken in seinem Gesicht wie bei einer Leiche. Sie werden aber auch das Leben in seinen Augen sehen, das Leuchten seines ungebrochenen Geistes.

    Dennoch haben Sie allein ihn gerettet, Anastasia. Wieso haben Sie sich gerade um ihn so bemht?

    Nein, ich war es nicht allein. Drei Moskauer Studenten haben fr Wladimir eine Wohnung gemietet. Und als er endlich begriff, wie wichtig das Buch ist, waren es die gleichen drei Studenten, die whrend ihrer Prfungszeit das Manuskript auf ihrem Computer eintippten. Warum? hnliche Fragen knnten Sie vielen Moskauern stellen, die Wladimir in schwierigen Zeiten zur Seite standen. Die Lsung zu seiner geheimnisvollen Rettung liegt in ihnen, nicht in mir. Warum haben sie ihn beschtzt, ihm geholfen und an ihn geglaubt?

    Nicht Wladimir allein schrieb das Buch; die Stadt Moskau war auch daran beteiligt. Ich bin begeistert von dieser Stadt, ja ich verliebte mich geradezu in sie. Weder die lrmenden Blechkisten noch die von der technokratischen Welt hervorgebrachten wahnsinnigen Katastrophen vermochten den Sinn der Menschen in dieser Stadt fr das Gute und die Liebe auszulschen. Viele Moskauer streben nach dem Guten, nach dem Lichten und nach der Liebe. Trotz Lrm und Stress spren sie die groe Kraft und den Segen der Liebe.

    Was Sie da sagen, Anastasia, ist schier unglaublich. Es kann nicht einfach so geschehen sein, ohne Ihre Mithilfe. Fr mich ist das alles nur ein Beweis mehr fr Ihre unerhrten Fhigkeiten und die Kraft Ihres Strahls. Sie haben bestimmt Ihren Strahl auf die Moskauer gerichtet, die Wladimir halfen. So ist es doch gewesen, nicht wahr? Fr all diese Wunder sind letztlich Sie verantwortlich.

    Die Wunder sind ein Werk der Liebe. In der Tat, mit meinem Strahl berhrte ich behutsam alle Menschen, mit denen Wladimir zu tun hatte. Doch damit habe ich die in ihnen bereits vorhandenen Gefhle des Guten und der Liebe und ihr Streben zum Licht nur ein wenig verstrkt. Und das Erscheinen des Buches ist das allei-nige Verdienst der Stadt Moskau. Die erste Auflage war nicht hoch, und das Bchlein war recht unscheinbar, aber die Leute kauften es. Wladimir hat einfach wiedergegeben, was in der Taiga geschah, ohne die Ereignisse zu verzerren, und hat seine Erfahrungen ehrlich dargelegt. Viele Leser kamen vorschnell zu dem Schluss: Anastasia ist gut und klug, Wladimir dumm und einfltig. Sie lasen das Buch in ihrem warmen Zuhause und haben nicht bedacht, dass sich Wladimir mit mir weit drauen in der sibirischen Taiga befand. Das war alles recht ungewhnlich fr ihn. Es fragt sich, wer sonst allein und ohne Ausrstung so weit in die Taiga gehen knnte und wie sich derjenige verhalten htte, htte er das Gleiche erlebt wie Wladimir. Wladimir hat die Geschehnisse ehrlich beschrieben. So sah er fr viele wie ein Narr aus. Auch Sie fragen ja: Warum gerade er? Und warum liebe ich ihn?

    Als Wladimir das Buch schrieb, sah er schon vieles mit anderen Augen. Er ist in der Lage, alles sehr schnell zu erfassen. Alle, die ihn nher kennen lernen, knnen das besttigen. Aber ihm ist nicht daran gelegen, das Geschehene auszuschmcken.

  • 4 Kosmische Klangschwingungen

    Anastasia sprach sehr liebevoll von dir, fuhr Alexander fort. Und sie wusste ber alles Bescheid, was weit weg von ihr geschah. Zum Beispiel sagte sie: Gleich nach dem Erscheinen der ersten, kleinen Auflage von Wladimirs Buch in Moskau kamen begeisterte Leserreaktionen in Form von Gedichten, Gemlden und Liedern. Da Wladimir aus reinem Herzen schrieb, sind die Lautkombinationen und Symbole, die ich im Kosmos gefunden hatte, im Buch erhalten geblieben. Sie riefen in den Lesern ungewhnlich wohltuende und heilende Gefhle hervor.

    Bei diesen Worten Anastasias wurde Boris Moissejewitsch unruhig und setzte sich pltzlich an den Tisch neben dem Zelt. Ich sah, wie er sich bemhte, unbemerkt das Diktiergert einzuschalten. Wohl in der Befrchtung, etwas auerordentlich Wichtiges zu verpassen, verga er alles um sich herum. Noch immer dachte er nicht daran, Anastasia einen Sitz anzubieten, sondern war fieberhaft bemht, mglichst schnell viele Informationen aus Anastasia herauszubekommen. Aufgeregt stellte er ihr eine Reihe von Fragen:

    Wissenschaftler verschiedener Lnder versuchen mit Hilfe teurer Gerte, ungewhnliche Klangschwingungen aus dem All aufzufangen. Dass es solche Klnge gibt, ist eine wissenschaftliche Tatsache. Doch kennt man bisher wahrscheinlich nur einen Bruchteil dieser Klnge vielleicht ein Milliardstel des gesamten Spektrums. Mit was fr einem Gert empfangen Sie sie, Anastasia? Und mit was fr einem Gert kann man bestimmte Laute erzeugen, die gezielt die menschliche Psyche beeinflussen?

    Solche Empfangsgerte gibt es schon seit langem. Man nennt sie menschliche Seelen. Die Gemtsstimmung und die Reinheit der Seele bestimmen darber, welche Klnge sie empfindet oder nicht empfindet.

    Na gut. Nehmen wir also einmal an, es sei Ihnen gelungen, aus Milliarden kosmischer Klnge die besten herauszufiltern und sie dann ideal zu kombinieren. Es ist doch aber nur mglich, diese Klnge mit Hilfe von Musikinstrumenten wiederzugeben. Sie sprechen jedoch von einem Buch, und ein Buch kann nicht klingen.

    Ja, das Buch selbst klingt nicht. Es dient als eine Art Notenblatt. Der Leser erzeugt beim Lesen innerlich unwillkrlich die entsprechenden Klnge. So geben die im Text verborgenen Kombinationen den ursprnglichen Klang unverflscht in der Seele des Menschen wieder. Sie tragen in sich Wahrheit und Heilung und spenden der Seele Begeisterung. Mit einem technischen Gert ist die Wieder-gabe solcher Seelenmusik nicht mglich.

    Wie ist es Wladimir, der von Ihren Lautkombinationen ja nichts wusste, dann gelungen, sie in den Text des Buches zu bertragen?

    Ich kannte Wladimirs Art zu sprechen. Auerdem wusste ich: Wladimir wrde nie die Geschehnisse und die Bedeutung meiner Worte verzerrt wiedergeben; sogar sich selbst wrde er ganz ehrlich beschreiben. Aber er hatte nur einen Teil der von mir gewhlten Zeichenkombinationen aufgeschrieben und htte weiter schreiben sollen, als er sich zu einem Schritt entschloss, der in meinem Traum nicht vorgesehen war. Er hatte bereits groen Erfolg durch die Verffentlichung des Buches, und mit etwas Bemhung htte die Gesellschaft fr Unternehmer Realitt werden knnen da setzte er sich pltzlich in den Zug und fuhr aus Moskau fort. Seine bereits bezahlte Wohnung und damit auch den Empfang der -Komplimente von seinen Lesern berlie er seinen Moskauer Freunden und Helfern.

    Wieso tat er das?

  • Er wollte schon immer eine wissenschaftliche Besttigung fr all das finden, wovon ich ihm erzhlt hatte. Er wollte die Dinge selbst anfassen. Aus diesem Grund entschloss er sich, seine Schreibarbeit zu unterbrechen und in den Kaukasus zu fahren. Er reiste von Moskau fort, um in den Hhen des Kaukasus mit eigenen Augen die Dolmen zu sehen, jene altertmlichen Bauten, in die vor zehntausend Jahren sich Menschen zum Sterben zurckzogen. Ich hatte ihm von den Dolmen erzhlt und von ihrer wichtigen Bedeutung fr die heute lebenden Menschen.

    Wladimir kam in der Stadt namens Gelendschik an. In den Heimatmuseen von Krasnodar, Noworossijsk und Gelendschik sammelte er Informationen ber die Dolmen. Auch sprach er mit verschiedenen Wissenschaftlern, Archologen und Heimatforschern, die sich mit den Dolmen beschftigt hatten. So sammelte er mehr Material ber die Dolmen, als ihm je ein Museum htte bieten knnen. Natrlich versuchte ich ihm dabei unbemerkt zu helfen. Durch die Lippen der Menschen, mit denen Wladimir sprach, erffnete ich ihm den Zugang zu vielen neuen Informationen, auf dass er sich selbst ein Urteil bilden und zu eigenen Schlussfolgerungen kommen wrde. Er selbst jedoch war es dann, der schnell und entschlossen handelte. Als er all die Informationen, die er gesammelt hatte, mit meinen Beschreibungen verglichen hatte und dann von den Archologen erfuhr, dass sich die Einheimischen nicht fr die Dolmen interessieren und dass viele dieser Kultsttten bereits zerstrt sind, tat er etwas Unglaubliches. In nur drei Monaten gelang es ihm, die Beziehung der Einheimischen zu den Dolmen grundlegend zu verndern, und sie begannen, dort Blumen niederzulegen. Die Heimatkundlerinnen der Stadt Gelendschik grndeten einen Verein, den sie mir zu Ehren Anastasia nannten. Dieser Verein erffnete eine Schule fr Reiseleiter, wo auch Exkursionen zu den Dolmen vorbereitet werden. Eine Reihe dieser Exkursionen luft unter dem Titel Fhrung ins Bewusstsein. In Gelendschik begannen die Reiseleiter, bei ihren Fhrungen ber den kosmischen Ursprung zu sprechen und ber das groe Werk des Schpfers, die Natur. Es ist auerdem ein erklrtes Ziel des Vereins, die Dolmen zu erhalten und vor der Zerstrung zu bewahren.

    Anastasia, ist all dies allein ihm zu verdanken? Spielen Sie dabei keine Rolle? Htte ich das Gleiche auch ohne ihn erreichen knnen, so htte ich es lngst getan. Das war

    sogar mein groer Wunsch, denn in einem entlegenen Dolmen in den Bergen verlie einst meine Urmutter ihren Krper

    Kaum zu glauben! Wie nur konnte jemand in einer so kurzen Zeit die Einstellung der Menschen dort verndern? Und wie konnte er eine solch wirksame Vereinigung ins Leben rufen? Sie sagen, dass die Einwohner bereits wissenschaftliche Publikationen und andere Abhandlungen ber die Dolmen kannten. Auch in den Museen war ja vieles ber sie zu erfahren. Dennoch hatten die Menschen keinerlei Interesse daran gezeigt.

    Sie haben vollkommen Recht. Wieso haben sie dann auf Wladimir gehrt? Wie ist ihm das gelungen? Es ist unmglich, das

    Bewusstsein der Menschen so schnell zu verndern. Das hat Wladimir nicht gewusst. Er hatte keine Ahnung, wie schwer sich die Einstellung der

    Menschen ndern lsst. Er hat es einfach probiert und war erfolgreich. Fahren Sie selbst nach Gelendschik und fragen Sie die Mitglieder des Vereins, warum Wladimir mit seinen Bemhungen so groen Erfolg hatte.

    Ich freute mich damals sehr ber diese Stadt und den Verein Anastasia. Als man ihn nach seiner Zustimmung fragte, den neuen Verein nach mir zu benennen, pflichtete er dem Vorschlag bei. Ich dachte, er tat das mir zuliebe dass er begann, mich zu verstehen und zu lieben. Und in der Tat verstand er damals schon viel, aber geliebt hat er mich nicht. Und der Grund dafr sind meine vielen Fehler und Snden.

    Bald wurde mir klar: Mein Traum verwirklicht sich. Die Menschen werden aus der Zeit der Dunkelheit entrckt werden und werden glcklich sein. Alles, wovon ich getrumt habe, geht in Erfllung. Nur eines bleibt mir verwehrt: die Erwiderung meiner Liebe zu Wladimir. Und das liegt an meinen Fehlern, meiner Unvollkommenheit und der ungengenden Reinheit meiner Gedanken.

  • Aber Anastasia wie kommen Sie darauf? Es ist doch lngst klar, was fr ein ungehobelter Klotz Wladimir ist. Glauben Sie mir ich bin um einiges lter als Sie und habe selbst eine Familie. Und als Vater sage ich Ihnen, dass auch Ihre Eltern diese Beziehung nicht gebilligt htten.

    Bitte unterlassen Sie es, so ber meinen Liebsten zu sprechen. Andere mgen denken, Wladimir sei grob, aber ich kenne ihn nun einmal anders.

    Kenne ihn nun einmal anders Ich bitte Sie, Anastasia, alle wissen, dass er ein typischer Unternehmer unserer Tage ist. Sie sind in Ihrer Beziehung zu Wladimir ganz schn voreingenommen.

    Ich stehe zu meiner Meinung, auch wenn sie damit nicht einverstanden sind. brigens liegen Sie auch mit der Ansicht meiner Eltern falsch.