Debatte um eine Predigt in St. Martini...und klares christliches Zeugnis ist jetzt gefragt! Pastor...

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BEK Forum Februar 2015 3 aktuell In einem von der Polizei geschützten Gottesdienst hat sich der Vorstand der evangelisch-konservativen St.-Martini-Gemeinde in Bremen erneut hinter seinen umstrittenen Pastor Olaf Latzel (47) gestellt. Vorstand und Gemeinde seien dankbar für die klare und bibel- orientierte Wortverkündigung ihres Pastors, sagte Vorstandssprecher Jürgen Fischer am 8. Februar in einer Erklärung vor rund 500 Besuchern in einer überfüllten Kirche. Die Gemeinde reagierte auf die Stellungnahme mit langanhaltendem Applaus und erhob sich vor Latzel. In einer Predigt am 18. Januar hatte der streng konservative Theologe das islamische Zuckerfest als „Blödsinn“, Buddha als „dicken, fetten Herrn“, die Lehre der katholischen Kirche als „ganz großen Mist“ und Reliquien als „Dreck“ bezeichnet. Zu Götzen und anderen Göttern sage Gott: „umhau- en, verbrennen, hacken, Schnitte ziehen“. „Predigt nicht gegen andere Religionen“ „Sollten einige seiner Formulierungen die religiösen Gefühle anderer verletzt haben, so tut uns dieses leid und wir bitten auch im Namen von Pastor Latzel hierfür um Entschuldigung“, sagte Fischer. Die Predigt habe sich nicht gegen andere Religionen gerichtet, sondern kritisiere eine Religionsvermischung, die sich in Kirche und Gesellschaft ausbreite. „Den Vorwurf, wir würden andere Religionen verhöhnen, weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück.“ „Für ein gutes Zusammenleben sorgen“ Ähnlich hatte sich der Vorstand schon vor einigen Tagen geäußert. Der Finanzexperte der Kirchengemeinde ergänzte, aus der Bibel gehe hervor, dass der Gott der Bibel nicht der Gott des Korans sein könne. „Das Feiern gemeinsamer Gottesdienste oder Gebete mit Imamen oder Vertretern anderer Religionen ist daher nicht möglich.“ Auch Glücksbringer, Buddha-Statuen oder Reliquienverehrung gehörten nicht zum evan- gelischen Christen. Das bedeute aber nicht, dass die Martini-Gemeinde und Pastor Latzel anderen Religionen nicht respektvoll begegneten. Latzel habe ganz im Gegenteil in seiner Predigt darauf hingewie- sen, dass Christen die Pflicht hätten, für ein gutes Zusammenleben mit Mitbürgern anderen Religionen zu sorgen. Pastorinnen und Pastoren, die sich in den vergangenen Tagen mit Erklärungen und einer Protestaktion von Latzel distanziert hatten, kritisierte Fischer scharf. Sie müssten sich fragen lassen, ob sie sich noch Gott und dem biblischen Bekenntnis ver- bunden fühlten. In seiner Predigt sagte Latzel diesmal, die vergangene Woche „war nicht vergnügungssteuerpflichtig für mein Leben“. Er finde aber Kraft in Gottes Wort. Mit Blick auf die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) werde er „ganz traurig“. Sie sei zwar gesell- schaftlich und diakonisch aktiv. Aber „eine Kirche, die nicht ausstreut das Wort Gottes, die verhun- gert“. Der Gottesdienst lief unter Beobachtung von Polizeibeamten, die sich gegenüber der Kirche in einem Mannschaftswagen postiert hatten. Das sei eine reine Vorsichtmaßnahme gewesen, sagte eine Sprecherin der Polizei dem epd. Es habe keine kon- kreten Hinweise auf Störungen gegeben. Disziplinarische Konsequenzen gefordert Mitglieder der Kirchenleitung der Bremischen Evangelischen Kirche hatten sich in den zurück- liegenden Tagen besonders für die beleidigenden Teile der Predigt von Latzel entschuldigt. Pastoren und Mitarbeitende der bremischen Kirche for- derten disziplinarische Konsequenzen. Die Bremer Staatsanwaltschaft prüft, ob die Kanzelrede den Anfangsverdacht einer Straftat wie Volksverhetzung oder Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft erfüllt. Im Internet und in Zuschriften erfährt Latzel dagegen großen Zuspruch. (epd) Edda Bosse Präsidentin in der Bremischen Evangelischen Kirche „Ich bitte um Entschuldigung“ Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit. Die Bibel, Buch Daniel, Kapitel 9, Vers 18 Zunächst ist es meine Aufgabe als Präsidentin und mir ein persönliches Bedürfnis, all diejenigen um Ent- schuldigung zu bitten, die Olaf Latzel mit seiner Pre- digt am 18. Januar gekränkt, diskriminiert und sie in ihren religiösen Gefühlen und Wertvorstellungen oder liturgischen Traditionen verletzt hat. Das gilt nament- lich für die Menschen muslimischen, buddhistischen und hinduistischen Glaubens und die katholischen Schwestern und Brüder, denn sie wurden in dieser Pre- digt expressis verbis erwähnt. Predigt bedeutet Verantwortung Ich finde, dass das Predigtamt der Pastorin, dem Pastor eine besondere Verantwortung auferlegt. Die Gemein- de vertraut der Predigerin/ dem Prediger die Auslegung des Wortes Gottes, wie es in den Schriften des Alten und Neuen Testaments niedergelegt ist, an. Der Pre- digttext wird gelesen, oftmals zum besseren Verständ- nis in seine historischen Bezüge eingeordnet und dann auf das Christsein in der Gegenwart bezogen. Eine Pre- digt versucht Antworten und formuliert Fragen, sie regt Geist und Gemüt des Christenmenschen an, in aller Freiheit und Freude, mit allen Ängsten und Zweifeln persönlich und in der Gemeinschaft mit anderen sich immer wieder und immer neu auf den Weg der Er- kenntnis Gottes zu machen. Den Raum weiten und das Herz öffnen Eine gute Predigt weitet den Raum und öffnet das Herz, sie offenbart mir die Bibel als das Buch der gro- ßen Verheißungen, das uns die Liebe zum Leben und zum Nächsten lehrt. Ich meine aber, dass eine Predigt nicht verschweigen sollte, dass die Bibel auch voller Geheimnisse, Rätsel und Widersprüchen steckt, denen wir uns nicht verweigern dürfen. Nur das nie nachlas- sende Nachdenken, das Gespräch und auch der theo- logische Streit bewahren uns davor, uns in absoluter Si- cherheit zu wiegen. Die Weite unseres evangelischen Verständnisses lässt viele Zugänge zum „Buch der Bücher“ zu, die wir ernst nehmen sollten. Ich möch- te nicht in Wortwahl und Duktus von der Kanzel eine Predigt hören, die mich das Fürchten lehrt. Liebe, Vertrauen und Respekt Die Begegnung mit dem dreieinigen Gott geschieht für mich in Liebe, Vertrauen und Respekt. Evangeli- um heißt; „Frohe Botschaft“! Damit ich aber auch die Spannung zwischen Frage und Antwort aushalte, zwischen Gewissheit und Nicht-wissen, hat Gott mich das beten gelehrt. Wie oft verweist Jesus auf das Beten und Schweigen, auf das „sanfte“ Joch und die „leich- te“ Last. Ich möchte unbedingt versuchen, den durch die Situation entstandenen Schaden von der Bremi- schen Evangelischen Kirche abzuwenden, in dem ich Gemeinden und Einrichtungen für alle tägliche uner- müdliche Arbeit der Verständigung und Öffnung dan- ke und sie ermutige, Gottesdienst und Verkündigung in aller evangelischen Freiheit und Verantwortung zu leben und miteinander im Gespräch zu bleiben. Debatte um eine Predigt in St. Martini

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BEK Forum Februar 2015 3

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In einem von der Polizei geschützten Gottesdienst hat sich der Vorstand der evangelisch-konservativen St.-Martini-Gemeinde in Bremen erneut hinter seinen umstrittenen Pastor Olaf Latzel (47) gestellt. Vorstand und Gemeinde seien dankbar für die klare und bibel-orientierte Wortverkündigung ihres Pastors, sagte Vorstandssprecher Jürgen Fischer am 8. Februar in einer Erklärung vor rund 500 Besuchern in einer überfüllten Kirche. Die Gemeinde reagierte auf die Stellungnahme mit langanhaltendem Applaus und erhob sich vor Latzel. In einer Predigt am 18. Januar hatte der streng konservative Theologe das islamische Zuckerfest als „Blödsinn“, Buddha als „dicken, fetten Herrn“, die Lehre der katholischen Kirche als „ganz großen Mist“ und Reliquien als „Dreck“ bezeichnet. Zu Götzen und anderen Göttern sage Gott: „umhau-en, verbrennen, hacken, Schnitte ziehen“.

„Predigt nicht gegen andere Religionen“

„Sollten einige seiner Formulierungen die religiösen Gefühle anderer verletzt haben, so tut uns dieses leid und wir bitten auch im Namen von Pastor Latzel hierfür um Entschuldigung“, sagte Fischer. Die Predigt habe sich nicht gegen andere Religionen gerichtet, sondern kritisiere eine Religionsvermischung, die sich in Kirche und Gesellschaft ausbreite. „Den Vorwurf,

wir würden andere Religionen verhöhnen, weisen wir mit aller Entschiedenheit zurück.“

„Für ein gutes Zusammenleben sorgen“

Ähnlich hatte sich der Vorstand schon vor einigen Tagen geäußert. Der Finanzexperte der Kirchengemeinde ergänzte, aus der Bibel gehe hervor, dass der Gott der Bibel nicht der Gott des Korans sein könne. „Das Feiern gemeinsamer Gottesdienste oder Gebete mit Imamen oder Vertretern anderer Religionen ist daher nicht möglich.“ Auch Glücksbringer, Buddha-Statuen oder Reliquienverehrung gehörten nicht zum evan-gelischen Christen. Das bedeute aber nicht, dass die Martini-Gemeinde und Pastor Latzel anderen Religionen nicht respektvoll begegneten. Latzel habe ganz im Gegenteil in seiner Predigt darauf hingewie-sen, dass Christen die Pflicht hätten, für ein gutes Zusammenleben mit Mitbürgern anderen Religionen zu sorgen. Pastorinnen und Pastoren, die sich in den vergangenen Tagen mit Erklärungen und einer Protestaktion von Latzel distanziert hatten, kritisierte Fischer scharf. Sie müssten sich fragen lassen, ob sie sich noch Gott und dem biblischen Bekenntnis ver-bunden fühlten.In seiner Predigt sagte Latzel diesmal, die vergangene Woche „war nicht vergnügungssteuerpflichtig für

mein Leben“. Er finde aber Kraft in Gottes Wort. Mit Blick auf die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) werde er „ganz traurig“. Sie sei zwar gesell-schaftlich und diakonisch aktiv. Aber „eine Kirche, die nicht ausstreut das Wort Gottes, die verhun-gert“. Der Gottesdienst lief unter Beobachtung von Polizeibeamten, die sich gegenüber der Kirche in einem Mannschaftswagen postiert hatten. Das sei eine reine Vorsichtmaßnahme gewesen, sagte eine Sprecherin der Polizei dem epd. Es habe keine kon-kreten Hinweise auf Störungen gegeben.

Disziplinarische Konsequenzen gefordert

Mitglieder der Kirchenleitung der Bremischen Evangelischen Kirche hatten sich in den zurück-liegenden Tagen besonders für die beleidigenden Teile der Predigt von Latzel entschuldigt. Pastoren und Mitarbeitende der bremischen Kirche for-derten disziplinarische Konsequenzen. Die Bremer Staatsanwaltschaft prüft, ob die Kanzelrede den Anfangsverdacht einer Straftat wie Volksverhetzung oder Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft erfüllt. Im Internet und in Zuschriften erfährt Latzel dagegen großen Zuspruch. (epd)

Edda Bosse

Präsidentin in der

Bremischen Evangelischen Kirche

„Ich bitte um Entschuldigung“

Wir liegen vor dir mit unserem Gebet

und vertrauen nicht auf unsere Gerechtigkeit,

sondern auf deine große Barmherzigkeit.

Die Bibel, Buch Daniel, Kapitel 9, Vers 18

Zunächst ist es meine Aufgabe als Präsidentin und mir ein persönliches Bedürfnis, all diejenigen um Ent-schuldigung zu bitten, die Olaf Latzel mit seiner Pre-digt am 18. Januar gekränkt, diskriminiert und sie in ihren religiösen Gefühlen und Wertvorstellungen oder liturgischen Traditionen verletzt hat. Das gilt nament-lich für die Menschen muslimischen, buddhistischen und hinduistischen Glaubens und die katholischen Schwestern und Brüder, denn sie wurden in dieser Pre-digt expressis verbis erwähnt.

Predigt bedeutet Verantwortung

Ich finde, dass das Predigtamt der Pastorin, dem Pastor eine besondere Verantwortung auferlegt. Die Gemein-de vertraut der Predigerin/ dem Prediger die Auslegung des Wortes Gottes, wie es in den Schriften des Alten und Neuen Testaments niedergelegt ist, an. Der Pre-digttext wird gelesen, oftmals zum besseren Verständ-nis in seine historischen Bezüge eingeordnet und dann auf das Christsein in der Gegenwart bezogen. Eine Pre-digt versucht Antworten und formuliert Fragen, sie regt Geist und Gemüt des Christenmenschen an, in aller Freiheit und Freude, mit allen Ängsten und Zweifeln persönlich und in der Gemeinschaft mit anderen sich immer wieder und immer neu auf den Weg der Er-kenntnis Gottes zu machen.

Den Raum weiten und das Herz öffnen

Eine gute Predigt weitet den Raum und öffnet das Herz, sie offenbart mir die Bibel als das Buch der gro-

ßen Verheißungen, das uns die Liebe zum Leben und zum Nächsten lehrt. Ich meine aber, dass eine Predigt nicht verschweigen sollte, dass die Bibel auch voller Geheimnisse, Rätsel und Widersprüchen steckt, denen wir uns nicht verweigern dürfen. Nur das nie nachlas-sende Nachdenken, das Gespräch und auch der theo-logische Streit bewahren uns davor, uns in absoluter Si-cherheit zu wiegen. Die Weite unseres evangelischen Verständnisses lässt viele Zugänge zum „Buch der Bücher“ zu, die wir ernst nehmen sollten. Ich möch-te nicht in Wortwahl und Duktus von der Kanzel eine Predigt hören, die mich das Fürchten lehrt.

Liebe, Vertrauen und Respekt

Die Begegnung mit dem dreieinigen Gott geschieht für mich in Liebe, Vertrauen und Respekt. Evangeli-um heißt; „Frohe Botschaft“! Damit ich aber auch die Spannung zwischen Frage und Antwort aushalte, zwischen Gewissheit und Nicht-wissen, hat Gott mich das beten gelehrt. Wie oft verweist Jesus auf das Beten und Schweigen, auf das „sanfte“ Joch und die „leich-te“ Last. Ich möchte unbedingt versuchen, den durch die Situation entstandenen Schaden von der Bremi-schen Evangelischen Kirche abzuwenden, in dem ich Gemeinden und Einrichtungen für alle tägliche uner-müdliche Arbeit der Verständigung und Öffnung dan-ke und sie ermutige, Gottesdienst und Verkündigung in aller evangelischen Freiheit und Verantwortung zu leben und miteinander im Gespräch zu bleiben.

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BEK Forum Februar 2015 54 BEK Forum Februar 2015

Pastor Volker Keller, Vegesack,Beauftragter der BEK für den Dialog mit den

Religionen (Schwerpunkt Islam)

„Durch Begegnungen werden wir uns des Eigenen bewusster“

In der Predigt geht es um die Bewahrung des Glau-bens vor fremdreligiösen Einflüssen. Die Sorge vor „Verschmutzung“ ist so extrem, dass schon eine Be-gegnung zwischen Christen und Muslimen einem Verrat gleichkommt.

Nach 30-jähriger Dialogerfahrung vor allem mit Muslimen, Buddhisten und Hindus kann ich sagen, dass Christen sich durch Begegnungen des Eigenen bewusster werden; dass sie mitunter die Einsicht in einen Mangel an eigener Klarheit gewinnen und das Bedürfnis geweckt wird, sich mehr mit dem christlichen Glauben zu befassen.

Pastor Renke BrahmsSchriftführer

in der Bremischen Evangelischen Kirche

„Wir müssen wieder auf eine sachliche

Ebene zurück“Die Freiheit der Verkündigung, so wie sie Pastorinnen und Pastoren in der Ordination zuer-kannt wird, ist ein hohes Gut. Deswegen gibt es in der BEK eine große theologische Bandbreite, mit der wir umgehen müssen. Ich würde beides immer verteidigen und schützen, auch wenn ich eine Position nicht teile. Diese Grundhaltung evangelischer Freiheit halte ich für richtig und wichtig. Es gibt aber trotzdem Fälle, in denen Grenzen überschritten sind. Wir müssen unsere theologischen Standpunkte mit Respekt austau-schen, ohne Beschimpfungen und Beleidigungen. Respekt ist die wichtigste Grundlage für das the-ologische Gespräch und auch für eine Predigt. Alle anderen Fragen gehören in die große theolo-gische Vielfalt, die die BEK auszeichnet.Als Mitglied des Kirchenausschusses wende ich mich vor allem gegen die Respektlosigkeit und beleidigende und polarisierende Äußerungen dieser Predigt. Ich habe mich distanziert und mich zusammen mit der Präsidentin bei den anderen Religionen und Konfessionen, die belei-digt wurden, entschuldigt. Wir stehen für einen ökumenischen und interreligiösen Dialog, den wir von solchen Äußerungen nicht stören las-sen wollen. Für uns geht es jetzt vorrangig um eine Deeskalation des Konfliktes. Wir müssen wieder auf eine sachliche Ebene zurückkom-men. Ich nehme die Entschuldigung für ein-zelne wenige Passagen wahr, es bleibt aber der Gesamtduktus der Predigt äußerst proble-matisch. Die theologischen Fragen müssen wir diskutieren. Dafür ist der Kirchenausschuss im engeren Sinne nicht zuständig. Es ist Sache aller Gemeinden und Einrichtungen unserer Kirche. Als Kirchenausschuss werden wir einen Weg fin-den, den nötigen theologischen Diskurs zu initi-ieren und zu fördern. Dabei geht es einerseits um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Konfessionen und Religionen. Andererseits steht für mich die Frage im Raum, wie wir als BEK mit eigener Glaubensfreude und -gewissheit mit anderen Religionen und Konfessionen einen Dialog führen können, der uns alle bereichert und zum Frieden zwischen den Gesprächspartnern beiträgt.

Pastorin Jeannette QuerfurthPolitik-Beauftragte der Bremischen

Evangelischen Kirche

„Ich bin Christin, aber ich will den

Dialog mit anderen Religionen“

Die Predigt in St. Martini gefährdet das Bündnis „Bremen ist bunt“ ganz sicher nicht. Sie macht viel-mehr deutlich, wie wichtig solch ein Bündnis in dieser Stadt ist, das Dialog statt Abgrenzung sucht und gegenseitige Achtung anstelle von Verachtung. Es wird immer wieder unterstellt, dass wir Religio-nen vermischen wollten. Aber das ist Unsinn! Ich bin Christin, nichts Anderes und nichts außerdem. Wenn ich zum Zuckerfest eingeladen werde, bin ich als Christin nur Gast und ich bleibe Christin. Da wird gar nichts gemischt.

Aber ich will mit anderen Religionen in unserer Stadt in Dialog und Frieden leben. Um es ganz deutlich zu sagen: Mit allen friedfertigen und di-alogbereiten Vertreterinnen und Vertretern dieser Religionen. Mit Hasspredigern gibt es keine Ge-sprächsbasis.

Die Erklärung unter www.missionrespekt.de stellt für diese Begegnungen einen Grundkonsens dar, den auch evangelikale Gemeinden teilen. Ein christliches Zeugnis in einer pluralistischen Gesell-schaft kann gegenseitige Konturen und Grenzen se-hen, aber muss keine Mauern zu anderen aufrich-ten. Ein klares Bekenntnis zu Christus darf nicht im selben Atemzug andere Menschen herabwürdigen.

Ich glaube, wir brauchen eine theologische Debatte mit dem Ziel, einen BEK-weiten Konsens zu „Mis-sion Respekt“ herzustellen. Wo und wie diese not-wendige Diskussion angesichts unserer Kirchenver-fassung geführt werden kann, wird in allernächster Zeit zu klären sein. Unser menschenfreundliches und klares christliches Zeugnis ist jetzt gefragt!

Pastor Andreas SchröderVorsitzender der Evangelischen Allianz Bremen

„Wir bedauern einige in der Predigt gemachte

Äußerungen“Der Vorstand der Ev. Allianz Bremen erklärt:

Die Evangelische Allianz Bremen ist ein Netzwerk von landeskirchlichen und freikirchlichen evan-gelischen Christen aus Kirchengemeinden und Werken mit unterschiedlichen theologischen Prägungen und Traditionen. Sie gründet sich in der biblischen Botschaft von Jesus Christus und definiert sich nicht über die Abgrenzung zu ande-ren Konfessionen und Religionen.

Im Umgang mit Andersgläubigen und in unserem christlichen Zeugnis orientieren wir uns an den Richtlinien, wie sie in der gemeinsamen Erklärung „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt - Empfehlungen für einen Verhaltenskodex“ von der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA), von dem Ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) und von dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog erarbeitet wurden.

Daher bedauern wir einige in der Predigt des St. Martini-Pastors Olaf Latzel am 18.01.2015 gemachten Äußerungen zur Glaubenspraxis in anderen Religionen und Denominationen. Sie entsprechen nicht der Art der Diskussion und dem Stil eines notwendigen Dialogs, wie ihn die Ev. Allianz Bremen schätzt und fördert.

Pastor Hans-Gerhard Klatt, Beauftragter fürden Ökumenischen Stadtkirchentag 2016

und das Reformationsjubiläum

„Interkonfessionelles Gespräch wird nicht

belastet werden“Ich vertraue darauf, dass diese zutiefst unfrom-me Predigt das interkonfessionelle Gespräch in Bremen nicht belasten wird. Sie verstößt in ihren unflätigen Ausfällen eklatant gegen alle Regeln des christlichen Zeugnisses in einer mul-tireligiösen Welt, die auch von der weltwei-ten Evangelischen Allianz mitgetragen werden. Sie wird deshalb keine Verwirrung in das gute Zusammenspiel der christlichen Kirchen in dieser Stadt bringen können. Größere Sorgen bereitet mir die Frage, welches Bild von Kirche in der Öffentlichkeit haften bleiben wird.

Gesamtausschuss der Mitarbeitendenvertretungen in der Bremischen Evangelischen Kirche

„Die Diskussion muss im Kirchentag

weitergehen“Der kirchliche Dienst soll in vertrauensvoller Zu-sammenarbeit das Evangelium in Wort und Tat ver-kündigen. Diese „Verkündigung“ in St. Martini be-schädigt in unerträglicher Weise das Ansehen der BEK und insbesondere ihrer Mitarbeiter/innen. Sie trägt dazu bei, den Boden für Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, für Gewalt und Hass zu bereiten, in dem sie den eigenen Glauben überhöht und ande-re diffamiert. Unerträglich ist dies für uns deshalb, da viele Mitarbeitende gerade in den Kitas, aber auch in den Gemeinden, mit Menschen anderer oder keiner Glaubensrichtung arbeiten, z.B. in der Flüchtlingsarbeit.

Für sie ist diese Predigt in St. Martini ein Schlag ins Gesicht, gegen ihr tägliches Tun; sie verletzt neben „Anders- und Nichtgläubigen“ diejenigen, die das Evangelium in der Tat verkündigen. Der Prediger diffamiert all jene, die sich in beruflicher und/oder ehrenamtlicher Weise für das gleichberechtigte und solidarische Zusammenleben aller einsetzen. Und wie steht er zu denen, die nicht in der Lage sind, ihren oder einen Glauben zu formulieren?

U.E. steht die Auffassung von Verkündigung, wie sie hier gepredigt wird, im fundamentalen Widerspruch zum christlich-humanitären Menschenbild. Theolo-gische Vielfalt darf auch glaubens-rassistische Ein-fältigkeit nicht dulden! Sie muss da ein Ende haben, wo andere in ihrer Existenz verunglimpft werden. Wir erwarten eine theologische und ggf. kirchen-verfassungsrechtliche Positionierung des Kirchen-ausschusses und des Kirchentages. Hier muss diese Diskussion weiter geführt werden. Konsequenzen sind überfällig.

Erklärung des Pastors und des Kirchenvorstands der Innenstadtgemeinde St.Martini

„Wir stehen für Religionsfreiheit

und absolute Gewaltlosigkeit“

Wir stehen als Gemeinde und Pastor für eine weltoffene und freie Gesellschaft in der alle Menschen gleich welcher Hautfarbe, Ethnie oder Religion in Frieden miteinander leben können.

Wir stehen als Gemeinde und Pastor ein für Religionsfreiheit und absolute Gewaltlosigkeit unter den Menschen in Bremen, in Deutschland und in der Welt.

Wir stehen als Gemeinde und Pastor ein für die Gültigkeit der Heiligen Schrift Alten wie Neuen Testamentes und wissen uns alleine Jesus Christus verpflichtet.

Wir wenden uns als Gemeinde und Pastor gegen jede Form der Verfolgung, der Verunglimpfung oder Einschränkung des Glaubens gleich welcher Religion.

Wir wenden uns als Gemeinde und Pastor gegen jede Form der Vermischung der Religion, bei der uns als Christen ein anderer Gott präsentiert wird, als der in der Bibel bezeugte dreieinige Gott, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.Jesus Christus, gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit. (Hebr 13,8)

Nach Redaktionsschluss hat die Innenstadtgemeinde St. Martini eine ausführlichere Erklärung abgegeben,

die Sie online hier finden:

www.st-martini.net

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Auf dieser Doppelseite dokumentieren wir weitere Stimmen aus der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) zur umstrit-tenen Predigt in der Innenstadtgemeinde St. Martini vom 18. Januar 2015.

Debatte um eine Predigt in St. Martini Stimmen aus der Bremischen Evangelischen Kirche

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BEK Forum Februar 2015 76 BEK Forum Februar 2015

Cornelia RichterProfessorin für Systematische Theologie

Universität Bonn

„Das letzte Gericht ist dem Höchsten allein anheim zu stellen“

Cornelia Richter kritisiert in ihrer ausführlichen Stellungnahme zunächst der Prediger verwech-sele religiöse Positionierung mit Diffamierung. Das wahrhaftige Einstehen für den eigenen Glauben beinhalte in erster Linie Selbstprüfung und Selbstkritik gegenüber Gott – nicht die respektlose Diffamierung anderer Religionen. Der Prediger verwechsele zudem sachliche Kritik mit Selbstüberhöhung. Weil gerade im Christentum gilt, dass kein Mensch Gott je gesehen hat als der Sohn (vgl. Johannes 1,18 u.a.), können wir aber nicht wissen, wie Gott selbst ist. So wenig wir daher wissen können, ob wir an ein und denselben Gott glauben, so wenig könnten wir wissen, ob wir es nicht tun: Gott selbst hat niemand gesehen – auch der Prediger nicht. Wenn der Prediger meint, das Zeugnis von Gott, das uns in Christus und der Bibel überliefert ist, aus eigener Kraft letztgültig auszulegen, dann setzt er sich selbst und eigen-mächtig an die Stelle des Richters. Der Prediger verwechselt deshalb drittens Überzeugungsrede mit gefährlicher Agitation: Obwohl er rhetorisch geschickt das Gebot der Nächstenliebe einflicht und sich selbst scheinbar des Urteils über den Kollegen enthält, missbraucht er die inspirierende Überzeugungskraft des Predigens für die persön-lich-politische Agitation. Wie die Hassprediger anderer Religionen missbraucht er die Kraft reli-giöser Bilder, um Misstrauen, Ausgrenzung und damit letztlich Gewalt unter Menschen zu schü-ren. Wahre christliche Gottesfurcht bestünde im Gegenteil: Im klaren Bekenntnis, dass das letzte Gericht dem Höchsten allein anheim zu stellen ist.

Eberhard HauschildtProfessor für Praktische Theologe

Universität Bonn

„Verdeckt den Unterschied zwischen

Gott und eigener Predigt“

Predigt soll Gottes guter Gegenwart dienen. Tut das diese Predigt?

Jede Predigt derzeit stellt unausweichlich einen Kommentar zum Verhältnis zum Islam dar. Da ist als Predigttext aus gewählt eine Erzählung von Gideon als dem Helden, der vor über 3000 Jahren in Gottes Namen nachts Götzenbilder zerstörte. Wir hören dazu: Der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ist falsch. Dass Gideon danach in einen militärischen Heiligen Krieg zog, bleibt unerwähnt.

Die Predigt stellt die Gewalterzählung unter das Thema „Reinigung“. Wovon? Von „Neuheidentum, so einem Dreck“ , „Reliquiendreck“, katholische Lehre sei „ein großer Mist“ und „Irrsinn“. Und (alsZitat eines anderen über Muslime): „...wenn die uns einladen zu ihrem Zuckerfest und all diesemBlödsinn“. Die Predigt zielt auf den Ruf: „Reinigt euch“. Der Bibeltext gilt als Anordnung Gottes. Ein zeitlicher und womöglich auch inhaltlicher Abstand zwischen der Geschichte und heute wird nicht zugelassen. Die Predigt meint zu wis-sen, dass „Gott die Toleranz hundertprozentig ablehnt“. Und: „Gott sagt: Umhauen, verbrennen, hacken.“ Die Charakterisierung der Gegner ist verzerrt . Der Prediger erzählt z.B.: „dass gegen mich Lehrzuchtverfahren eingefordert werden, weil ich das klar gesagt habe, dass Allah nicht derselbe Gott ist wie unser Herr und Heiland Jesus Christus.“ Kritik an einem bestätigt nur; ihr Inhalt ist egal: „Die Angriffe gehören mit dazu. Und wenn das nicht mehr ist, dann stimmt was mit deinem Christsein nicht.“ Mit all dem fördert diese Predigt Gefühle, sich von dem Dreck ande-rer reinigen zu müssen; sie nimmt es argumentativ nicht genau; sie stilisiert kritisiert zu werden alsAngriff von Götzendienern. Das ist bei aller Formulierungskunst ein Beispiel für schlechte Rede: Die wiegelt Nachbarn gegeneinander auf, verhindert Selbstkritik. Sie verdeckt den Unterschied zwischen Gott und eigener Predigt.

Henning WrogemannProfessor für Missions- und

Religionswissenschaft und ÖkumenikKirchliche Hochschule Wuppertal/Bethel

„Bewahrheiten nur in liebevoller und

gemeinsamer Weise“In Deutschland leben Menschen verschiedenen Glaubens bisher friedlich nebeneinander. Das ist ein hohes Gut. Wie können Christen/innen inmitten dieser Pluralität ihren Glauben in Tat und Wort bezeugen? Mir persönlich stehen Bilder von Menschen vor Augen, wie ich sie in Ländern wie Pakistan oder Indonesien getroffen habe. Ganz am Anfang steht da der Respekt vor Menschen anderen Glaubens, was jede Form von Herabwürdigung ausschließt. Es geht um eine lie-bevolle Sprache und ein Umgehen miteinander, bei dem beide Seiten das Gesicht wahren kön-nen. Dazu gehört der Mut, anderen wirklich zu begegnen und die Gelassenheit, dass Gott selbst durch seinen Heiligen Geist wirken wird. Der Name von Jesus Christus, den Christen/innen bezeugen, fasst die Geschichte des Jesus von Nazareth zusammen: Seine Reich-Gottes Botschaft lud verachtete und fremde Menschen ein und forderte den Stolz der Mächtigen heraus. In seinem Kreuzestod wurde die Sünde der Welt und in seiner Auferweckung die größere Gnade Gottes erkennbar. Dies sind die Wahrheiten, die Christen/innen kritisch festzuhalten haben: Dass sich Gott in Jesus Christus als ein Gott der Liebe, der Gerechtigkeit, der Gnade und der Hoffnung offenbart hat. Darum kann diese Wahrheit auch nur bezeugt werden, wenn sich das Bewahrheiten in einer liebevollen und gemeinschaftlichen Weise ereignet.Gegenwärtig sind in etlichen Ländern der Erde religiöse Bewegungen zu beobachten, die um der „Reinheit“ der religiösen Praxis willen for-dern, Kontakte zu Andersgläubigen abzubrechen. Daneben gibt es nationalistische Bewegungen, die um der Reinheit der eigenen Nation willen fordern, Menschen anderen Glaubens Rechte zu nehmen oder diese des Landes zu verweisen. Christen/innen weltweit sind zusammen mit allen Menschen guten Willens dazu aufgerufen, sol-chen Tendenzen entschieden entgegenzutreten. Dies fängt bei der Sprache an.

Uta Pohl-Patalong,Professorin für Praktische Theologie

Universität Kiel

„Der Predigerstellt sich zwischen

Text und Gemeinde“Der Prediger überträgt Aspekte aus dem Bibeltext willkürlich auf heutige Verhältnisse und leitet aus diesen Handlungsanweisungen ab. Was dieser Prediger diesem Text entnimmt, ist seine per-sönliche Deutung, die mit dem Inhalt des Textes wenig zu tun hat. Zudem belegt der Prediger seine Aussagen mit anderen Bibeltexten, ohne deren Hintergründe und Kontexte zu beachten. Er funktionalisiert sie für das, was er ohnehin sagen möchte.Der Prediger inszeniert sich als jemand, der weiß, was Gott von den Menschen will. Er beansprucht eine Deutungshoheit über biblische Texte, indem er seine Deutung mit dem Inhalt der Bibel gleich setzt. Jede Aussage von Predigerinnen und Predigern aber ist eine Deutung eines biblischen Textes – der selbst immer mehr ist als mensch-liche Deutungen erfassen können. Der Prediger verwechselt damit seine Botschaft mit dem Inhalt des Textes.Diese Selbstüberhebung entspricht auch, dass der Prediger sich immer wieder selbst thematisiert. Entgegen seiner Aussage „Ich will mich jetzt hier nicht irgendwie stilisieren“ macht er sich zum Märtyrer für die Sache des Glaubens und stellt sich in peinlich berührender Weise als Vorbild dar. Eine Predigt hat die Aufgabe, eine Begegnung zwischen biblischem Text und Menschen heute zu eröffnen. Zu einer solchen Begegnung gibt diese Predigt keine Chance. Der Prediger stellt sich sozusagen zwischen Text und Gemeinde, indem er der Gemeinde sagt, was der Predigttext meint und welche Konsequenzen aus ihm zu ziehen sind. Die Hörerinnen und Hörer können keinen eigenen Entdeckungen am Predigttext machen, keine eigenen Erfahrungen mit ihm ver-binden, keine eigenen Schlüsse aus ihm ziehen.Auch wenn es gegenüber den Inhalten marginal wirkt: Die Sprache der Predigt entspricht auf fatale Weise dem Inhalt. Sätze wie „So Synkretismus, nicht, so alles zusammenmanschen, nicht. Ist doch sowieso derselbe Gott!‘ zeigen selbst in mündlicher Rede, dass der Prediger sprachlich ebenso wenig Sorgfalt aufbringt, wie er es in der Beschäftigung mit dem Bibeltext tut. Form und Inhalt gehen damit in erstaunlicher Weise konform.

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Frank CrüsemannProfessor (i.R.) für Altes Testament

Kirchliche Hochschule Bethel

„Bibel und Gott sind anders“

Man suche sich einen harten Text und behaupte dann, das sei jetzt unmittelbar Gottes Wort für uns heute. Mit dieser Methode kann man mit der Bibel alles machen. Wer Menschen im Namen des Koran enthauptet, geht - methodisch gesehen ¬- nicht viel anders vor. Nur drei fundamentale Einwände:

- Ri 6 ist eine Erzählung und keine Anweisung zum Handeln. Sie spiegelt eine Auseinandersetzung Israels mit der kanaanäischen Religion, die sich über Jahrhunderte hinzog, in der es Phasen von Gewalt gab, an deren Ende aber die Einsicht stand, dass religiöse Konflikte (im eigenen Haus!) niemals durch Gewalt zu lösen sind.

- Gott als eine einzige Größe – diese Kernbotschaft des Alten Testamentes bedeutet auch, dass er nicht ausschließlich zu uns, den Rechtgläubigen, gehört, sondern dass wir ihm auch bei den ande-ren begegnen. Man lese etwa nach, wie Abraham lernen muss, dass es „Gottesfurcht /Respekt vor Gott“ auch bei den Philistern gibt (1. Mose 20,11) – und die verehren andere Gottheiten. Jesus preist Trauernde und Sanftmütige selig – ganz unabhän-gig von ihrer Religion (Matthäus 5,4ff).

- In der Tat ist das 1. Gebot wichtig. Aber neben „Keine anderen Gottheiten“ steht im Dekalog „kein Bild von Gott machen“. Und das heißt auch, Gott nicht mit unseren eigenen Vorstellungen von Gott zu verwechseln. Wenn man ein festes Gottesbild hat und dann behauptet, nur dieses sei richtig und alle anderen müssten sich ihm anschließen, hat man nicht selten aus Gott schon einen Götzen gemacht.

Friedrich-Wilhelm GrafProfessor (i.R ) für Systematische Theologie

Universität München

„Hier helfen weder Staatsanwalt noch

kirchliche Autoritäten“Wer die Bibel liest, findet im Alten wie Neuen Testament viele Geschichten von religiös moti-vierter Gewalt und Aggressionsbereitschaft. Oft wird ein extrem autoritäres Bild Gottes als eines eifernden, auch eifersüchtigen und zornigen Machtsubjekts gezeichnet.

Uralte „Heilige Schriften“ spiegeln in ihren Mythen und Legenden eben archaische Zeiten. So sind sie hochgradig ambivalente Texte, deren Deutung schwierig und voraussetzungsreich ist. Seit der Frühzeit der reformatorischen Bewegung Martin Luthers gehörte es deshalb zu den ent-scheidenden Zielen des Protestantismus, dass die Prediger, also die Pastoren und Pfarrer, ein anspruchsvolles akademisches Studium an den „Hohen Schulen“, den Universitäten, durchlaufen haben müssen, bevor sie auf die Kanzel steigen dürfen. Denn die Auslegung alter, gefährlicher Texte bedarf hoher Deutungskompetenz.

Diese professionelle Fähigkeit, alte Texte mit Blick auf die Gegenwart verständlich auszu-legen, geht dem Pastor Olaf Latzel sichtlich ab. Wo mag dieser Gottesgelehrte bloß studiert haben, und wie kann ein solch ungebildeter, gedankenloser Redner nur ein wissenschaftliches Examen bestanden haben? Seine Predigt ist bloß gedankenloses Gerede ohne jeden theologischen Gehalt. Erschreckend primitiv wird in grausam schlechtem Deutsch fort und fort immer nur die Trivialität verkündet, dass man Gottes Gottsein ernst nehmen und Jesus nachfolgen soll.

Wer nur so wenig zu sagen hat, überdeckt seinen Mangel an Bildung und Reflexionskraft dann eben durch die taktlose Beleidigung anderer. Von Bürgertugend und Höflichkeit keinerlei Spur. Aber hier helfen weder der Staatsanwalt noch irgendwelche kirchlichen Autoritäten. Zu Leuten mit schlechtem Benehmen soll man einfach nicht mehr hingehen.

Die Predigt in St. Martini vom 18. Januar hat auch

unter wissenschaftlich arbeitenden Theologinnen

und Theologen zahlreiche Reaktionen aus-

gelöst. Auf dieser Doppelseite dokumentieren

wir Einschätzungen von Professorinnen und

Professoren aus verschiedenen theologischen

Fachgebieten.

Die Texte sind teilweise gekürzt. Die vollstän-digen Statements finden Sie unter

www.kirche-bremen.de

Debatte um eine Predigt in St. Martini Stimmen aus der theologischen Wissenschaft

Page 4: Debatte um eine Predigt in St. Martini...und klares christliches Zeugnis ist jetzt gefragt! Pastor Andreas Schröder Vorsitzender der Evangelischen Allianz Bremen „Wir bedauern einige

Magdalene L. FrettlöhProfessorin für Systematische Theologie

Universität Bern

Verblüffungsresistente Selbstinszenierung und

Selbstvergötzung

Diese Predigt ekelt mich an – und doch bedürfte sie ei-ner genauen Analyse im Gespräch mit der Bibel, dem Prediger, der Gemeinde und jenen, die er – vermeintlich göttlicher Apartheitspolitik entsprechend – in zwei feind-liche Lager geschieden hat. Für ein solches Gespräch notiere ich einige Beobachtungen:

1. Vor allen unsäglichen Inhalten stößt mich die Spra-che dieser Predigt ab: Da begegnet mir ein penetrant (59 Mal) Zustimmung heischendes „nicht“ (als verkürztes

„nicht wahr!“). Der massiven Vereinnahmung der Ge-meinde dienen auch das bevormundende „wir wollen“, zwanghaftes „wir müssen“/„man muss“/„du musst“/„da muss ich“/„wir dürfen nicht“, lautstarke Appelle („Le-sen Sie ...“; „Lesen Sie ...“), suggestive Wiederholun-gen („geht alles schief, geht alles schief, geht alles den Bach runter“), die gehäuften verbalen Verstärker „ganz (wichtig, klar, deutlich, elementar, bewusst)“, „absolut“, „wirklich“, „alles“, „immer wieder“ ... und die übergrif-fige „Du“-Anrede. Latzels Predigt bemächtigt sich ihrer HörerInnen und nimmt sie gefangen, statt sie die glanz-volle Freiheit der Töchter und Söhne Gottes schmecken zu lassen.

2. „Ich sage nur, was in der Bibel steht.“ Der Prediger ver-rät seiner Gemeinde nicht, was ihn zur Wahl dieses Pre-digttextes bewogen hat. Deutlich wird aber, dass dieser Text (wie die Bibel insgesamt) keine Chance gegen das hat, was Herr Latzel auch ohne den Predigttext weiß. Er lässt sich durch die Bibel nicht ins Wort fallen, irritieren, anfechten. Ihm ist alles „klar“; er hat keine Fragen. Das Leitwort der Predigt, „Reinigung“, dem der aufdringliche Klarheitsjargon korrespondiert, kommt im biblischen Text nicht vor. Der Prediger kennt seine(!) ganze(!) Bibel, während die Gemeinde noch viel lesen muss. Er predigt sich selbst. Unübersehbar wird dies an den vielen Ich-Aussagen der Predigt („Da hab ich gegen gekämpft“) und vor allem an der Vorwegnahme von Einwänden („... ich weiß genau, was wieder kommt nach dieser Predigt“), mit denen er sich immunisiert. Verräterisch die Formulie-rung: „Aber glaubt mir ...“. Die (gebrochene) Identifikati-on mit Gideon, Jesus, Luther und Paul Schneider macht auch vor Gott nicht Halt.

3. Ebenso ist dem Gottes- und Jesusbild der Predigt zu widersprechen. Latzel weiß immer genau, was Gott will, und vor allem, was Gott nicht will. Und er hat Gott stets auf seiner Seite – gegen (fast) alle anderen. Dabei be-

schwört er ein bedrohliches Schreckensszenario der Jesusnachfolge herauf: Jesusnachfolge heißt Verfolgung und Leiden: „... dann wirst du angegriffen.“ „Da gibt’s immer zwischen die Beine.“ Die lebensgefährliche Ag-gression der Anderen wird zum Beweis der Echtheit der Nachfolge: „Wenn das nicht mehr ist, dann stimmt etwas mit deinem Christsein nicht.“ So redet einer, der sich selbst zum Märtyrer stilisiert und will, dass ihm die Gemeinde darin folgt. Dietrich Bonhoeffer hat daran er-innert, dass Jesus nicht der einzig Sündlose unter lauter SünderInnen sein wollte und deshalb stellvertretend die Schuld der anderen auf sich genommen hat. Von ei-ner solchen Stellvertretung zeigt sich die durchgängige Schwarz-weiß-Zeichnung dieser Predigt unberührt. Hier wird eigene „absolute Reinheit“ durch die Beschmutzung der Anderen gesucht. Diese Predigt wirft buchstäblich mit Dreck.

4. „Jesus allein, Jesus allein, der dreieinige Gott – das ist Christentum.“ Nicht nur, dass Latzel andere Religionen verzeichnet und mit Begriffen der Fäkaliensprache dif-famiert, er muss sich auch fragen lassen, welchem Chri-stentum er das Wort redet, wie etwa das „Jesus allein“, für das schon Gideon eingetreten sein soll, zu vermitteln ist mit dem Bekenntnis zum dreieinigen Gott. In der Tat: der Gott, zu dem sich Christenmenschen bekennen, ist nicht einfältig. Er ist dreifältig – und damit anders als an-ders als anders und so gerade auch Gott der Anderen. Wie können wir ein „Für-uns-Sein“ dieses Gottes bean-spruchen, das nicht auch ein „Sein-für-Andere“ ist?!

5. Nach These 6 der Barmer Theologischen Erklärung ist es die Aufgabe der Kirche, „die Botschaft von der freien Gnade Gottes auszurichten an alles Volk“. Die freie Gna-de Gottes aber ist eine befreiende und zurechtbringende, nicht eine zugrunde richtende und zerstörende. Und es ist ihr eigen, anmutig zu sein. Latzels Predigt dagegen strotzt vor Selbstgerechtigkeit und Selbstherrlichkeit. In ihr lese ich nichts von Gottes Grazie.

BEK Forum Februar 2015 98 BEK Forum Februar 2015

a k t u e l la k t u e l l

Friedhelm Hartenstein

Professor für Altes Testament

Universität München

„Was Fundamentalisten eint, ist, dass man mit ihnen

nicht diskutieren kann.“Pfarrerinnen und Pfarrer der evangelischen Kirchen in

Deutschland durchlaufen – genau wie Ärzte und Juristen

– üblicherweise einen aufwändigen Bildungsprozess in

Theorie und Praxis, bis sie den Auftrag zur öffentlichen

Verkündigung erhalten. Wie bei Ärzten und Juristen soll

diese Ausbildung möglichst Fehlern in der Berufsaus-

übung vorbeugen (weil sie Folgen für Leib und Leben

haben können).

Zum Studium der Theologie gehört es, dass man die bi-

blischen Texte des Alten wie des Neuen Testaments auch

aus einer historischen Distanz lesen lernt und sie nicht

einfach unkritisch für eigene Vorstellungen und Wün-

sche vereinnahmt. Eine solche wissenschaftliche Hal-

tung ist ein wichtiges Erbe der Aufklärung. Sie ermög-

licht es der Kirche und allen Christen mit verständlichen

Argumenten ihren Glauben darzulegen und sich am

öffentlichen Gespräch, z.B. über Religionen, produktiv

zu beteiligen.

Nach Lektüre der Predigt von Pastor Olaf Latzel habe ich

den Eindruck, dass er (wohlgemerkt: als öffentlich beauf-

tragter Prediger) eine ganz narzisstische und destruktive

Haltung einnimmt. Es ist eine distanzlose Predigt: Weder

hat der Prediger Abstand zu sich selbst noch zum bibli-

schen Text. Er setzt seine Rede mit dem Willen Gottes

gleich und beansprucht dessen Autorität.

Der biblische Text wird nicht in seinen historischen und

theologischen Zusammenhang eingeordnet und sorg-

sam interpretiert, sondern als „Stimme senkrecht von

oben“ vernommen. Aus der Erzählung Richter 6,25-32 hört

Latzel direkte Befehle Gottes heraus, sich von allem reli-

giösen „Dreck“ zu reinigen (wobei sich ein Klischee an

das andere reiht und es völlig einerlei ist, ob er über Hin-

duismus, Buddhismus, Islam oder Katholizismus redet).

Ich möchte vor allem auf den Begriff des „Neuheiden-

tums“ hinweisen, weil dieser vermutlich einen Schlüssel

zu den Nöten darstellt, die den Prediger umtreiben: Es

geht ihm um „einfache“ Unterscheidungen zwischen

wahr und falsch, schwarz und weiß, in einer Kirche,

die er als unentschieden und weich wahrnimmt. So fällt

auch das Stichwort „westlich dekadent“, und der Vor-

wurf des „Götzendienstes“ durchzieht die ganze Predigt.

Solche Verfallsthesen prägen oft Predigten und Hand-

lungen von Fundamentalisten verschiedener religiöser

Herkunft.

Was Fundamentalisten eint, ist, dass man mit ihnen nicht

diskutieren kann, weil sie die Wahrheit immer schon

kennen. Sie tun zuletzt genau das, wovor Latzel in sei-

ner Predigt warnen möchte: Sie vereinnahmen Gott und

vergöttern ihre eigenen Überzeugungen. Leider sind sie

darauf nicht ansprechbar, weil sie in einer geschlosse-

nen Welt leben, aus der heraus sie sich nach öffentlicher

Bedeutsamkeit sehnen. Der Wunsch nach (ja sogar eine

gewisse „Lust“ an) der Wahrnehmung als „Widerstands-

kämpfer“ prägt auch die Predigt von Pastor Latzel. Die

kirchliche und städtische Öffentlichkeit in Bremen – be-

sonders die Kirchengemeinde St. Martini – muss sich

fragen wie sie damit umgeht, dass es in ihren Reihen

Stimmen wie die von Pastor Latzel gibt, die sich heute

auch dank der sozialen Medien im Internet eine breite

Aufmerksamkeit schaffen können. Wir alle müssen uns

als evangelische Christen in Kirche und Universitäten

fragen: Wofür ist eine solche Predigt ein Symptom? Die Barmer Theologische Erklärung von 1934 richtet sich gegen die Verfälschung

des christlichen Glaubens durch die hitler-treuen Deutschen Christen. Wegen deren

„Irrlehre“ schied sich die NS-kritischeBekennende Kirche von ihnen. Das Barmer Bekenntnis wandte sich entschieden gegen jeden Versuch staatlicher Gleichschaltung

der Kirche in der NS-Diktatur.

Im aktuellen Streit berufen sich sowohl dieSt. Martini-Gemeinde als auch ihre

Kritiker/innen in ihren Stellungnahmenauf diese Erklärung.

Stimmen aus erregten Facebook-Kommen-taren von Befürwortern der Predigt. Sie kritisieren scharf, dass Repräsentanten und zahlreiche Pastorinnen und Pastoren der Bre-mischen Evangelischen Kirche sich von dem Text distanziert haben.

IslamisierungIrrlehren

Multikultiwischiwaschi

Christus bekennen!

Leerformeln

Verführer

falsche Propheten dreckige Lügensuizidale Selbstabschaffung

Judasverratkotzen vor Wut

Feuer der HölleTotengräber des Christentums

Heuchler

Synkretistische KircheMultireligion

Scharia

Bananenrepublik

Wahrheit

Debatte um eine Predigt in St. Martini Stimmen aus der theologischen Wissenschaft