DEEPAK CHOPRA - amrita.de · 6 7 VORWORT Als ich etwa sechs Jahre alt war, las ich meinen ersten...

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Übersetzung: Ulrich Magin ... und verändere die Welt DEEPAK CHOPRA mit Gotham Chopra Entdecke die Kraft der Superhelden in Dir

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Übersetzung: Ulrich Magin

... und verändere die Welt

DEEPAK CHOPRA

mit Gotham Chopra

Entdecke die Kraftder Superhelden in Dir

Vorwort 7

Einführung 11

1 Das Gesetz des Ausgleichs 19

2 Das Gesetz der Transformation 41

3 Das Gesetz der Kraft 63

4 Das Gesetz der Liebe 89

5 Das Gesetz der Kreativität 107

6 Das Gesetz der Absicht 125

7 Das Gesetz der Transzendenz 141

Wie du das Gehirn des Superhelden aktivierst 165

Lesetipps für den Superhelden 175

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VORWORT

Als ich etwa sechs Jahre alt war, las ich meinen ersten Comic. Mein Vater hatte ihn mir mit den Worten über-reicht: „Hier – lies das. Das Wichtigste, was du je lernen kannst, ist, wie man gute Geschichten erzählt.“

Man könnte wegen meines Namens glauben, es sei ein Batman-Comic gewesen (Gautam, Gotama oder – in der englischen Form Gotham – ist der ursprüngliche Name des Buddhas – warum Batman ausgerechnet in Gotham City spielt, weiß ich nicht). Allerdings ist mein Vater, wie ich bezeugen kann, erst vor kurzem ein Fan des Dunklen Ritters geworden. Und somit handelte es sich bei meinem ersten Comic in Wirklichkeit um eine Geschichte über Lord Krish na, einen der beliebtesten Götter Indiens.

Ich war begeistert. Im Laufe der Jahre hortete ich jedes Jahr, wenn meine

Familie in unser Herkunftsland Indien reiste, um meine Großeltern zu besuchen, immer weitere indische Comics. Es gab Hunderte dieser Comics mit den großartigen Geschich-ten von indischen Göttern und Göttinnen, Königen und Königinnen, Angreifern und Befreiern, Kriegern und Wei-sen. Mein Cousin und ich sammelten alle. Als ich die Puber-tät erreichte, packte mich dann auch die Leidenschaft für Comics aus dem Westen – Batman, Superman, Spiderman,

X-Man und all die anderen. Intensiv las ich Alan Moore und Stan Lee und die anderen visionären Vordenker, die sich daranmachten, in der doch recht obskuren Welt des

Comics neue Erzählstrukturen einzuführen. Vor einigen Jahren gründete ich dann mit einem guten Freund einen Comic-Verlag, gerade als die Bildergeschichten wieder populär wurden, weil all die Comicfiguren mit ihren Capes und Overalls plötzlich Hollywood eroberten.

In all dieser Zeit führte mein Vater eine Invasion an: Er brachte den Osten in den Westen, er machte Themen wie Yoga und Chai und Ideen wie Karma und Mantras zu einem Teil unserer Alltagssprache. Das merkte ich natürlich, ich konnte es ja auch kaum übersehen: Er war Gast bei Oprah. Elizabeth Taylor und Michael Jackson kamen zum Abendes-sen zu uns nach Hause. Seine Bestseller finanzierten meine Collegeausbildung.

Und plötzlich hatten wir einen gemeinsamen Weg. Im Filmunterricht am College sah ich wieder einmal Star Wars. „Nutze die Kraft, Luke“ erinnerte mich an etwas. Und Morpheus aus Matrix ebenfalls: „Die Welt ist eine Illusion.“

In jüngster Zeit sprachen erfolgreiche Fernsehserien wie Heroes, Lost, The Dark Knight und viele andere so viele der Themen an, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten auch in den Büchern meines Vaters fanden. Es handelt sich also nicht um eine Einbahnstraße. Vor ein paar Jahren, als ich eine Diskussion zwischen meinem Vater und meinem Comicidol Grant Morrison auf dem San Diego Comic-Con moderierte, fragte ein Mann aus dem Publikum meinen Vater nach dem „Quantenbewusstsein“. Der drehte sich zu mir um und grinste mich breit an. Ich begriff sofort, was er dachte: Er war hier unter seinesgleichen.

All das ging mir durch den Kopf, als ich vor kurzem bei meinem Vater war (mittlerweile war ich selbst Vater) und mit ihm darüber sprach, in welch prekärer Lage sich unser

Vorwort

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Planet gerade befindet. Ich dachte daran, dass er selbst mich ja als Erster mit Comics vertraut gemacht hatte. Er hatte mir eingeschärft, dass sie eine Hauptrolle beim Wichtigsten

spielen würden, was ich je lernen könnte.

Jetzt ergriff ich die Gelegenheit herauszufinden, warum das so war. Gotham Chopra

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EINFÜHRUNG

Als meine Kinder Mallika und Gotham heran-wuchsen, führten wir jeden Abend vor dem Schlafengehen ein kleines Ritual durch. Ich erzählte ihnen eine Geschichte, meistens eine mythische Erzählung über den Kampf des Guten gegen das Böse, die Natur oder sprechende Tiere. Wo immer sich eine Stelle als Cliffhanger eignete, wo also die Geschichte einen Höhepunkt erreichte, auf dem die Hautperson ihrem schlimmsten Feind oder einem unüber-windbaren Hindernis gegenüberstand oder eine dramatische Entscheidung treffen musste, brach ich ab. Ich bat sie dann, in der Nacht mit der größtmöglichen Dramatik einen Aus-gang der Geschichte zu erträumen. Dadurch schliefen sie mit dem Auftrag ein, ein Abenteuer zu erleben. Morgens, wenn sie geweckt wurden und nachdem sie aufgestanden waren, fragte ich sie nach ihren Träumen. Ich hörte geduldig zu, wenn sie von ihrer Quest erzählten. Ihre schier unerschöpf-liche Phantasie und ihre wunderbaren mitternächtlichen Traumreisen beeindruckten mich. Oft genug erinnerten ihre Erzählungen an die großartigsten Mythen der Menschheit – die Epen über den Kampf des Guten gegen das Böse, über Romantik und Drama, Verrat, Treue, Konflikte, Eroberun-gen, Tugenden und Laster, viele Emotionen und Erfahrun-gen, die sie in ihren jungen Jahren noch nicht selbst erlebt hatten. Schöpften ihre unschuldigen Gemüter aus der tiefen Quelle der kollektiven Einbildungskraft?

Der bedeutende Schweizer Psychologe Carl Gustav Jung wies auf das kollektive Unbewusste und seine arche-typischen Symbole hin. In diesem „Akasha-Feld“ oder auf einer nicht-lokalen Ebene des Daseins existieren Mythen, in denen Informationen, in diesem Fall die kollektive Einbil-dungskraft, verwahrt werden. Von hier aus können sie von jeder Generation wieder neu geschaffen werden. Mythen sind die größtmögliche Annäherung an einen Begriff für das Unbegriffliche – das Unendliche. Sie sind der höchste Ausdruck des Begrenzten, des Endlichen, das versucht, vom Unendlichen zu sprechen. Es sind Ur-Erzählungen, sie fas-sen das Transzendente und verleihen ihm eine Form mit Anfang, Mitte und Ende. Diese Geschichten gleichen sich oft, maskieren und kostümieren sich aber stets modern. Die Geschichte ist einfach, ihre Figuren fesseln, und häufig berichtet sie vom ewigen Kampf des Guten gegen das Böse, vom Heiligen gegen das Weltliche, vom Göttlichen gegen das Teuflische. Immerzu gewinnen die Guten, doch sie gewinnen nie wirklich. Die Bösewichte werden oft besiegt, erzeugen aber manchmal den Eindruck, sie hätten gewon-nen. Tatsächlich gewinnt oder verliert niemals eine der bei-den Seiten. Die Geschichte endet nie. Es ist der Tanz von Kreativität und Erstarrung, von Evolution und Entropie.

Als die Kinder heranwuchsen, brachte ich ihnen immer, wenn ich aus Indien, dem Land meiner Vorfahren, zurück-kehrte, Koffer voller einheimischer Comics mit. Sie schil-derten die traditionellen großen indischen Epen. Das regte ihre Phantasie natürlich noch mehr an, denn die großarti-gen Geschichten von unzähligen Göttern und Göttinnen, von Kaisern und Eroberern wurden auf den Seiten dieser Comics äußerst lebhaft dargestellt. Ich denke ganz gern, dass

Einführung

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all das dazu beitrug, dass sowohl Mallika wie auch Gotham so wundervolle Geschichtenerzähler wurden.

Auf der Highschool war Gotham – zumindest den Noten nach – nie der beste Schüler, doch machte sich hier seine Kreativität bemerkbar. Das war auch am College so, als er die Columbia University in New York besuchte. Ich hatte es stets besser gefunden, ihn in den Fächern zu unterstützen, die ihn interessierten, als mir wegen der Fachgebiete Sorgen zu machen, die ihn kaltließen. Deshalb unterstützte ich ihn bei seiner Beschäftigung mit vergleichender Religionswis-senschaft, Literatur und Film. Nachdem er seinen Abschluss gemacht hatte, kam seinem Freund Sharad Devarajan und ihm die Idee, einige der in diesen Comics erzählten indi-schen Erzählungen neu zu gestalten und sie in die Welt zu tragen.

Gemeinsam warben sie in Indien junge Autoren und Zeichner an – einer von ihnen war Jeevan Kang, dessen Illustrationen auf den folgenden Seiten zu sehen sind. Wie Jeevan sind die meisten dieser Talente junge Männer, die sonst vermutlich eine Stelle bei einem der großen ameri-kanischen Studios angenommen hätten. So aber gingen sie begeistert daran, neue Charaktere und ihre Geschichten zu schaffen. Bald darauf traten Gotham und Sharad an Sir Richard Branson heran und baten ihn, in ihr Unter-nehmen zu investieren. Gemeinsam gründeten sie den Comic-Verlag Virgin Comics. Heute, nachdem sie jahrelang zusammen mit dem Virgin-Konzern den Verlag aufgebaut haben, gehört er zum Großteil Gotham und Sharad und heißt Liquid Comics (www.liquidcomics.com). Gotham, Sharad und die bei ihnen unter Vertrag stehenden Künstler schaffen großartige moderne Mythen und entwickeln ihre

Geschichten über die Papierform hinaus in die digitale Welt, in Kinofilme, Videospiele und anderes mehr. Bei einigen Projekten arbeiten sie mit John Woo, Guy Ritchie, Shekhar Kapur, Wes Craven und anderen Filmemachern zusammen.

Dieses Buch ist Evolution, Höhepunkt und Zusammen-schau von all dem. In vielerlei Hinsicht bildet es ein Destillat meiner Ideen und Forschungen vieler Jahre, meines Ver-ständnisses des Bewusstseins und meines Mythenschöpfens, verbunden mit denen Gothams und einer neuen Genera-tion von Künstlern und Geschichtenerzählern. Ich bin sehr stolz darauf, dass ich wieder einmal, wie bereits vor so vie-len Jahren, Geschichten voller archetypischer Elemente und Figuren angeregt habe, und höre gespannt zu, wenn mein Sohn und andere sie gemeinsam mit mir in neue, ungeahnte Höhen führen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Mythen, die sich bewährt haben, und die Figuren, die sie bevölkern, nie von einem einzigen Schöpfer stammen. Sie entstammen den universellen Feldern, die das Ergebnis ganzer Zeitalter menschlicher Träume, Hoffnungen, Ängste und Phantasien sind, sie verändern und entwickeln sich unaufhörlich.

Dieses Buch erzählt von der modernen Mythenschöp-fung und der Erschaffung neuer Superhelden, die jede nati-onale und ethnische Identität überschreiten. Wir brauchen diese Superhelden dringend, um die gegenwärtigen Krisen in einer Welt voller Krieg, Terror, ökologischer Zerstö-rung und sozialer wie wirtschaftlicher Ungerechtigkeit zu lösen. Die Charaktere und Qualitäten, die wir erschaffen und beschrieben haben, sind außergewöhnlich und bahn-brechend: Sie sind die Synthese aus meinen Überlegungen und – was ebenso wichtig ist – denen Gothams und seiner Generation. Sie haben sich von den größten Superhelden,

Einführung

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aus Ost und West, von Buddha bis Batman, inspirieren las-sen und ihnen nachgeeifert.

Die Anregung zu Entdecke die Kraft der Superhelden in

Dir bekam ich durch mein Buch Die sieben geistigen Gesetze

des Erfolgs. Ich habe versucht, das Wesentliche dieses Buchs für eine neue Generation spirituell Suchender zusammen-zufassen. Es handelt aber auch von meiner persönlichen Lebensreise, auf der ich Gotham die Superhelden Indiens näherbrachte und im Gegenzug durch ihn die Superhel-den Amerikas kennenlernte. In den letzten Jahren haben wir beide auf dem florierenden San Diego Comic-Con an Diskussionsrunden teilgenommen mit anderen Urhebern phantastischer Mythen wie dem legendären Stan Lee, dem Schöpfer des Marvel-Universums, und Grant Morrison, dem gegenwärtig produktivsten Comicbuch-Autor.

Neue Superhelden sollten sich in einer zeitgemäßen Sprache ausdrücken und eine neue Generation ansprechen, auch wenn niemand von uns sie besitzen oder einschrän-ken kann. Wir leben in schwierigen und gefährlichen Zei-ten und stehen an einem Scheideweg. Einerseits riskieren wir aufgrund einer desaströsen Kombination alter Stam-mesbräuche mit modernster Technologie die Vernichtung unseres Planeten und der Menschheit, weil wir mittlerweile jedes einzelne Lebewesen auf der Erde mehrmals auslöschen können. Andererseits besitzen wir ein Nervensystem, durch das sich das Universum seiner selbst bewusst wird. Mehr als je zuvor verfügen wir über alle Mittel und auch über das Wissen, eine schöne neue Welt zu schaffen, in der sich die Phase des Überlebens des Stärksten, in der wir uns gegen-wärtig befinden, zu einer Phase des Überlebens der Weises-ten entwickeln kann. Welche Abzweigung wir nehmen, legt

genau jetzt die Grundlagen für unsere Zukunft. Und unsere Entscheidung hängt davon ab, welche der Eigenschaften der großen Helden und Heldinnen, die unsere Legenden und Mythen seit Anbeginn der Menschheit bevölkern, wir für erstrebenswert halten, mit welchen wir uns identifizieren und welchen wir nacheifern.

Es ist kein Zufall, dass in unserer Zeit die Superhelden die kulturelle Einbildungskraft wie kaum je zuvor bestim-men. Wohin man auch blickt, sind Superhelden und das Übernatürliche regelmäßig Gegenstand lebhafter Gesprä-che. Superhelden sind von magischen Kräften erfüllt, die die Gesetze von Raum und Zeit infrage stellen, und zeigen uns eine Welt, die sich verändern lässt. Superhelden erforschen die Grenzen von Kraft und Bewusstsein und machen es möglich, dass wir uns und unser Potenzial besser verstehen.

Deshalb können uns, wie ich meine, Superhelden tat-sächlich helfen, die Welt zu retten. Am Wichtigsten ist, dass wir zu diesen Superhelden werden können. Auf den folgenden Seiten versuche ich, die Verbindung herzustellen zwischen einigen der uralten Weisheitslehren, wie ich sie im Laufe meines Lebens zu deuten gelernt habe, und den kostümierten Superhelden, die man in den Mythen von heute antrifft. Bei Batman erkenne ich Eigenschaften, die mich an Buddha erinnern. Superman hat Qualitäten, die auch Lord Shiva auszeichnen. Doch selbst darüber hinaus gibt es neue Grenzen, die wir, wie ich meine, überschreiten müssen. Wir müssen bei diesem Dutzend Figuren nicht nur bestimmte erstrebenswerte Eigenschaften aufzeigen, die in jedem von uns geweckt werden können, sondern diese auch mit Absicht, Aufmerksamkeit und Handlungen fördern, um so eine ganze Riege neuer Darsteller zu erschaffen.

Einführung

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Diese Charaktere stehen nicht nur mit ihrem weisen Selbst in Kontakt, sondern auch mit ihrem Schatten-Selbst. Sie begreifen die tiefe Verbundenheit aller Dinge. Wenn wir Erfolg haben, kann das Ergebnis uns als verlässliche Anlei-tung dafür dienen, unser Potenzial auszuschöpfen, den Superhelden in uns zu entdecken und die Geschichte der Menschheit neu zu schreiben.

Deepak Chopra

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DAS GESETZ DES

AUSGLEICHS

Unter Ausgleich versteht man das

Zusammenspiel von Sein, Gefühl, Denken

und Tun. Superhelden integrieren diese vier

Kernbereiche ihres Daseins mitten im Trubel

dieser Welt und im alltäglichen Handeln.

Damit können sie jede Herausforderung, die

sich ihnen stellt, kreativ lösen und überall

eine Atmosphäre von Bestärkung und Liebe

schaffen. Folgerichtig ist der Superheld ein

Meister der Kampfkunst, die ihrem Wesen

nach eine spirituelle Disziplin ist.

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Ich habe kürzlich herausgefunden, dass die Frage nach ihrem „liebsten Superhelden“ für die meisten Leute der Frage gleicht, ob sie ihren Vater oder ihre Mutter mehr lieben. Die Frage lässt sich praktisch nicht beantworten und birgt Zündstoff. Mein Sohn erklärte mir, dass es allein bei den beiden größten Comic-Verlagen – Marvel und DC Comics – schon zwischen fünf- und zehntausend Charak-tere zur Auswahl gebe.

„Das sind die Helden und die Schurken, und einige von ihnen wechseln sogar hin und wieder die Seite“, führte er aus. „Häufig werden bestimmte Helden zerstörerisch und böse bis zu dem Punkt, an dem sie sich selbst vernichten könnten.“ Er nannte mir ein paar Beispiele – Wolverine, der Punisher, Hulk.

„Und Batman?“, wollte ich wissen. Mit dieser naiven Frage zeigte ich, wie wenig ich von diesem Pantheon wusste.

„Der ist schon mal toll“, antwortete Gotham.„Zum Beispiel?“, hakte ich nach.Er überlegte einen Augenblick, bevor er weitersprach.

„Man nennt Batman den Dunklen Ritter, weil er zwar der Beschützer der Unterdrückten und der Bewahrer der Gerechtigkeit ist, ein Lichtträger, weil er eben ein Superheld ist, aber seine Antriebskraft liegt in der Dunkelheit – in den Schatten und Ängsten. Was ihn wirklich erdet, sind seine

Erinnerungen an eine schwere Kindheit, die von einem Schicksalsschlag erschüttert wurde, seine Angst vor dem Alleinsein und vor der Sinnlosigkeit. Ganz gleich, welche Heldentaten Batman auch vollbringt, ganz gleich, wie oft er siegt, seine tragische Vergangenheit holt ihn immer wieder ein und treibt ihn weiter an. Selbst seine größten Gegner – der Joker oder der Riddler – spiegeln nur das Chaos in ihm. Sie sind nichts weiter als seine eigenen Ängste und Albträume, die sich verselbständigen, denn in sich trägt er all diese Eigenschaften. Sie könnten in ihm überhandneh-men, wenn er sie nicht ständig kontrollierte. Er könnte sich in seine Feinde verwandeln. Eigentlich tanzt er in ständiger Gefahr auf Messers Schneide, die Dunkelheit lockt ihn, aber er gibt selten nach.“

„Ist ihm das bewusst?“, fragte ich beeindruckt.Gotham nickte. „Batmans Leid treibt ihn an.“Jetzt kam er in Fahrt. Er erzählte mir seine Lieblings-

geschichte aus dem unüberschaubaren Batman-Mythos.„Die Geschichte heißt War on Crime. Batman findet

einen kleinen Jungen, dessen Eltern bei einem Überfall ermordet wurden. Batman erinnert das an seine eigene tra-gische Kindheit. Als Kind und als sein Alter Ego, Bruce Wayne, musste er mit ansehen, wie ein drogensüchtiger Obdachloser seine Eltern erschoss. Batman weiß um all die düsteren Entscheidungen, die nun auf den heranwach-senden Waisenjungen lauern. Diese Dunkelheit – von den finsteren Gassen von Gotham City bis zu den dunklen Anzügen der Geschäftsleute, die Gier und Unersättlichkeit bedeuten – erwägt Batman, er sieht den Waisen auf dünnem Eis gehen. Ein einziger falscher Schritt, und ein Leben wird kriminell, bösartig oder zerstört sich selbst. ,Es sind weniger

Das Gesetz des Ausgleichs

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die tragischen Augenblicke, die unser Leben ausmachen‘“, meinte Gotham und zitierte damit einen Satz Batmans aus War on Crime, „,als vielmehr die Entscheidungen, die wir treffen, um mit ihnen zurechtzukommen.‘ Das ist stark, oder?“ Er lächelte.

„Ja“, pflichtete ich bei, „das ist nicht schlecht!“

Die besten Superhelden-Geschichten sprechen von uns selbst. Es handelt sich um Metaphern für die Herausfor-derungen und Konflikte, denen wir im Leben begegnen, und die Kräfte – oder die innere Weisheit –, die wir nutzen müssen, um diese Herausforderungen zu meistern und uns beständig weiterzuentwickeln.

Die Kämpfe, die Batman in den Straßen und Gassen seiner Stadt besteht, sind genau die, die auch wir in unserm Leben immer wieder aufnehmen müssen. Schauplatz, Cha-raktere und der Plot gemeinsam ergeben natürlich eine gran-diose mythische Erzählung vom Kampf zwischen Gut und Böse, doch die Kämpfe dieser Helden spiegeln nur unsere eigenen Erfahrungen. In unserem Leben sind das emotio-nale Konflikte mit denen, die wir lieben, oder mit denen wir arbeiten, spirituelle und ethische Konflikte infolge des Zusammenpralls von Wissenschaft und Spiritualität und die existenzielle Angst, die unsere immer komplexere Technik erzeugt. Wir alle, die einfachen Sterblichen, sind diesem ständigen Wandel ausgesetzt. Viele von uns verbringen ihre Zeit damit, nach „Sinn“ zu suchen und ihn in ein starres und statisches Verständnis der Welt zu pressen.

Aber von den Superhelden, die wir gemeinsam erschaf-fen haben, können wir viel lernen. Aus ihren Versuchungen und Siegen, aus ihren Stärken und Schwächen können wir

erfahren, wie unsere täglichen Kämpfe geführt werden soll-ten. Beherrschen wir ihre Fähigkeiten, entdecken wir eine Fülle an Wissen und einen Leitfaden für das Leben mit tiefgreifenden Auswirkungen auf die individuelle und glo-bale Transformation. Diese Fähigkeiten sind der Schlüssel dazu, unser Potenzial als Individuum Schritt für Schritt zu maximieren und damit die Welt kollektiv zu verbessern. Das Gesetz des Ausgleichs ist unser Ausgangspunkt.

Superhelden wissen, dass die einzige Möglichkeit, eine Herausforderung zu meistern, der Blick nach innen ist. Sie begreifen, dass Ausgeglichenheit das Wichtigste ist, um die eigenen Superkräfte zu erkennen, sie aufzuladen und dann mit größtmöglicher Wirkung einzusetzen. Eine Spruchweis-heit aus dem Osten besagt, man könne den Grad der eige-nen Erleuchtung daran ersehen, wie weit man mit Paradoxa, Widersprüchen, Verwirrung und Doppeldeutigkeit zurecht-komme. Friedrich Nietzsche stimmte zu: „Man muss noch Chaos in sich haben, um einen tanzenden Stern gebären zu können.“ Genau das tun die Superhelden. Sie verbinden sich mit ihrer eigenen Bewusstheit und versöhnen die Wir-ren des Alltags. Sie ruhen in ihrer Mitte und handeln aus diesem Ort der Kraft und des Ausgleichs.

Superhelden blühen im Chaos und in der Verwirrung auf, denn sie ruhen in sich – ganz gleich, wie verrückt die Welt um sie herum ist. Instinktiv verstehen sie, dass im Leben Sinn, Beziehungen und Kontext zusammenfließen. Super-helden wissen, dass Einklang entsteht, wenn alles um uns herum sich im Ausgleich befindet. Kurz gesagt: Superhelden gleichen in sich die Kräfte von Licht und Finsternis aus, von Wut und Heiterkeit, von Heiligem und Weltlichem. Daraus schmieden sie eine kraftvolle und zielgerichtete Identität.

Das Gesetz des Ausgleichs