Definitionen von Armut

24
Definitionen von Armut Über die Messung und die statistischen Erfassungsmethoden von Armut und Entwicklung oder Weshalb arm nicht gleich arm ist von Domingo Conte (2. März 2011) Einführung Seit Jahren verkünden im Entwicklungsbereich tätige Institutionen wie die Weltbank oder die Vereinten Nationen, unter Berufung auf ihre eigenen Daten und Statistiken, einen „bemerkenswerten und beispiellosen“ Fortschritt in der Reduzierung der globalen Armut. 1 Die von ihnen publizierten Daten über Armut und Entwicklung werden von einer Vielzahl von Organisationen, Regierungen, Banken und akademischen Einrichtungen als Grundlage für weitere Forschungen verwendet und basierend auf diesen Daten wird dann beispielsweise festgelegt, ob eine Nation als Land mit niedrigem, mittlerem oder hohem Einkommen klassifiziert wird, woraus sich bedeutende Implikationen für das jeweilige Land ergeben, wie etwa hinsichtlich der Frage, inwieweit es Anspruch auf Kredite oder auf sogenannte zu Vorzugsbedingungen vergebene Finanzhilfen (concessional lending) hat oder inwiefern die Entwicklung eines Landes positiv oder negativ verläuft. Auch in den Industrieländern werden Messungen und Statistiken über die nationale Armut produziert, welche dann unter Umständen von großer Bedeutung für Einzelpersonen und Familien sein können, da es von diesen Daten abhängt, wer finanzielle Unterstützungen oder sonstige Förderungen erhält und wer nicht. Dadurch haben all diese Zahlen und Statistiken über Armut nicht nur im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch auf politischer, ökonomischer und sozialer Ebene einen wichtigen Stellenwert eingenommen. Die Methoden zur Ermittlung dieser Daten sind jedoch oftmals äußerst fragwürdig und die auf Basis dieser Daten erstellten Statistiken und Prognosen dementsprechend häufig zweifelhaft. In dem hier vorliegenden Papier soll es vor allem darum gehen, in einem ersten Schritt kurz auf die verschiedenen derzeit vorherrschenden Methoden zur Messung von Armut und die unterschiedlichen Definitionen derselben einzugehen, um dann aufzuzeigen, dass sie alle zu mehr oder weniger minderwertigen Resultaten führen, wenn es darum geht, ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild der Armut auf dieser Welt zu produzieren, und dass die ihnen zugrundegelegten Zahlen und Daten zum Teil völlig willkürlich sind, was auch auch auf die unterschiedlichen Definitionen von Armut in armen und reichen Ländern zutreffend ist. So gilt z.B. in den USA jemand als arm, wenn ihm weniger als ein bestimmter Geldbetrag zur Verfügung steht, welcher aus seinen Mindestausgaben für Lebensmittel errechnet wird und in der EU fällt jemand unter die Kategorie „arm“, wenn er oder sie weniger als sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, während Menschen in den armen Ländern bereits dann nicht mehr als arm eingestuft werden, wenn sie weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung haben – was eine äußerst fragwürdige Definition von arm ist. Abschließend soll dann anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden, dass die allgemein etablierten Definitionen von Armut nicht nur unrealistisch sind, sondern auch dazu führen, dass die Anzahl der in Armut lebenden Menschen drastisch unterschätzt wird und dass das wesentliche Problem bei all diesen Armutsmessungen nicht nur darin besteht, dass sich sowohl das Sammeln der erforderlichen Daten für eine Einschätzung der Armut in bestimmten Regionen meist als ein äußerst schwieriges Unterfangen erweist und die Methoden der Auswertungen dieser Daten dann oftmals sehr fraglich sind, sondern vor allem darin, dass die jeweiligen Institutionen und Organisationen, welche diese Daten publizieren, meist bestimmte ideologische Interessen damit verfolgen und die Qualität ihrer Daten daher sehr skeptisch betrachtet werden sollte. 1 Vgl. Human Development Report 1997, p. 2 1

description

Definitionen von ArmutÜber die Messung und die statistischen Erfassungsmethoden von Armut und EntwicklungoderWeshalb arm nicht gleich arm istvon Domingo Conte(2. März 2011)EinführungSeit Jahren verkünden im Entwicklungsbereich tätige Institutionen wie die Weltbank oder die Vereinten Nationen, unter Berufung auf ihre eigenen Daten und Statistiken, einen „bemerkenswerten und beispiellosen“ Fortschritt in der Reduzierung der globalen Armut.1 Die von ihnen publizierten Daten über Armut und

Transcript of Definitionen von Armut

Page 1: Definitionen von Armut

Definitionen von ArmutÜber die Messung und die statistischen

Erfassungsmethoden von Armut und Entwicklungoder

Weshalb arm nicht gleich arm ist

von Domingo Conte(2. März 2011)

Einführung

Seit Jahren verkünden im Entwicklungsbereich tätige Institutionen wie die Weltbank oder die Vereinten Nationen, unter Berufung auf ihre eigenen Daten und Statistiken, einen „bemerkenswerten und beispiellosen“ Fortschritt in der Reduzierung der globalen Armut.1 Die von ihnen publizierten Daten über Armut und Entwicklung werden von einer Vielzahl von Organisationen, Regierungen, Banken und akademischen Einrichtungen als Grundlage für weitere Forschungen verwendet und basierend auf diesen Daten wird dann beispielsweise festgelegt, ob eine Nation als Land mit niedrigem, mittlerem oder hohem Einkommen klassifiziert wird, woraus sich bedeutende Implikationen für das jeweilige Land ergeben, wie etwa hinsichtlich der Frage, inwieweit es Anspruch auf Kredite oder auf sogenannte zu Vorzugsbedingungen vergebene Finanzhilfen (concessional lending) hat oder inwiefern die Entwicklung eines Landes positiv oder negativ verläuft. Auch in den Industrieländern werden Messungen und Statistiken über die nationale Armut produziert, welche dann unter Umständen von großer Bedeutung für Einzelpersonen und Familien sein können, da es von diesen Daten abhängt, wer finanzielle Unterstützungen oder sonstige Förderungen erhält und wer nicht. Dadurch haben all diese Zahlen und Statistiken über Armut nicht nur im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, sondern auch auf politischer, ökonomischer und sozialer Ebene einen wichtigen Stellenwert eingenommen. Die Methoden zur Ermittlung dieser Daten sind jedoch oftmals äußerst fragwürdig und die auf Basis dieser Daten erstellten Statistiken und Prognosen dementsprechend häufig zweifelhaft.

In dem hier vorliegenden Papier soll es vor allem darum gehen, in einem ersten Schritt kurz auf die verschiedenen derzeit vorherrschenden Methoden zur Messung von Armut und die unterschiedlichen Definitionen derselben einzugehen, um dann aufzuzeigen, dass sie alle zu mehr oder weniger minderwertigen Resultaten führen, wenn es darum geht, ein möglichst wirklichkeitsgetreues Bild der Armut auf dieser Welt zu produzieren, und dass die ihnen zugrundegelegten Zahlen und Daten zum Teil völlig willkürlich sind, was auch auch auf die unterschiedlichen Definitionen von Armut in armen und reichen Ländern zutreffend ist. So gilt z.B. in den USA jemand als arm, wenn ihm weniger als ein bestimmter Geldbetrag zur Verfügung steht, welcher aus seinen Mindestausgaben für Lebensmittel errechnet wird und in der EU fällt jemand unter die Kategorie „arm“, wenn er oder sie weniger als sechzig Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, während Menschen in den armen Ländern bereits dann nicht mehr als arm eingestuft werden, wenn sie weniger als einen Dollar am Tag zur Verfügung haben – was eine äußerst fragwürdige Definition von arm ist. Abschließend soll dann anhand einiger Beispiele aufgezeigt werden, dass die allgemein etablierten Definitionen von Armut nicht nur unrealistisch sind, sondern auch dazu führen, dass die Anzahl der in Armut lebenden Menschen drastisch unterschätzt wird und dass das wesentliche Problem bei all diesen Armutsmessungen nicht nur darin besteht, dass sich sowohl das Sammeln der erforderlichen Daten für eine Einschätzung der Armut in bestimmten Regionen meist als ein äußerst schwieriges Unterfangen erweist und die Methoden der Auswertungen dieser Daten dann oftmals sehr fraglich sind, sondern vor allem darin, dass die jeweiligen Institutionen und Organisationen, welche diese Daten publizieren, meist bestimmte ideologische Interessen damit verfolgen und die Qualität ihrer Daten daher sehr skeptisch betrachtet werden sollte.

1 Vgl. Human Development Report 1997, p. 2

1

Page 2: Definitionen von Armut

Methoden zur Messung von ArmutArmut wird auf unterschiedliche Weise durch Volksbefragungen und sonstige nationale Umfragen ermittelt und in absoluter oder relativer Armut gemessen. Absolute Armut bezieht sich auf einen festgelegten Standard welcher über zeitliche Abstände und zwischen Ländern hinweg konsistent ist. Ein Beispiel für eine absolute Messung wäre der Prozentsatz der Bevölkerung welcher weniger Nahrung zu sich nimmt als zur Erhaltung des Körpers notwendig wäre (also ca. 2000-2500 Kalorien pro Tag). Relative Armut hingegen bezieht sich auf Armut als etwas gesellschaftlich Definiertes, das vom sozialen Kontext abhängig ist. Eine relative Messung würde etwa darin bestehen, den gesamten Reichtum des ärmsten Drittels der Bevölkerung mit dem der reichsten ein Prozent der Bevölkerung zu vergleichen. In diesem Fall könnte z.B. die Anzahl der als arm eingestuften Menschen auch dann zunehmen, wenn gleichzeitig ihr Einkommen zunimmt. Generell wird Armut auf finanzielle Aspekte reduziert und daran gemessen, wieviel Einkommen jemandem zur Verfügung steht, wie etwa der absoluten Ein-Dollar-Pro-Kopf-und-Tag Armutsgrenze der Weltbank. Alternativ zu einkommensorientierten Armutsdefinitionen existieren z.B. auch Definitionen die etwa auf Lebenserwartung oder Ernährung beruhen und meist ein völlig anderes Bild über Armut liefern. Trotz der offensichtlichen Defizite absoluter Armutsgrenzen sind diese bis heute weitaus verbreiteter als relative Armutsschwellen. Doch auch die Messung relativer Armut hat vor allem den einen großen Nachteil, dass auf diese Weise Armut niemals beseitigt werden kann, da diese Art von Armut immer zunimmt, sobald das Einkommen steig. Es ist sogar der Fall, dass relative Armut abnehmen kann, während die absolute Armut zunimmt (etwa bei starkem Wirtschaftswachstum) und sich die Einkommensdisparitäten vergrößert.

Relative Armut in Industrieländern (nach der Luxemburger Einkommensstudie)

Um Armut überhaupt irgendwie messen zu können wird zu aller erst eine Definition von Armut benötigt um zu bestimmen, was eigentlich genau gemessen werden soll. Dies ist nicht nur ein philosophisches Problem, da abhängig von der verwendeten Definition von Armut die Messungen komplett unterschiedlich ausfallen können, und selbst mit identischen Definitionen ergeben sich sehr unterschiedliche Messungen aufgrund der verschiedenen Messmethoden. Das Maß der auf den ersten Blick naheliegensten und am weitesten verbreiteten Armutsdefinition ist das Einkommen oder die Konsumausgaben. Wie bereits erwähnt, gibt es auch Alternativen zu einkommensorientierten Armutsdefinitionen wie z.B. Definitionen, die etwa auf

2

Page 3: Definitionen von Armut

Lebenserwartung, Ernährung, Bildung oder einem Mangel an Lebenschancen beruhen und meist ein wesentlich differenzierteres Bild über Armut liefern. Die Messung all dieser verschiedenen Formen von Armut gestaltet sich in unterschiedlichem Maße problematisch.

Einkommensorientierte Definitionen haben den Vorteil, dass sie - zumindest in den Industrieländern - relativ leicht messbar sind, da die Quelle des Einkommens der meisten Menschen in diesen Ländern einfach zurückzuverfolgen und somit auch leicht einschätzbar sind. Außerdem sind in den reichen Nationen generell umfassende Steuerdaten vorhanden auf deren Basis sich Einkommen kalkulieren lassen können. In armen Ländern hingegen sind diese Definitionen von Armut meist nicht sonderlich effizient, da es schwierig ist, z.B. das Einkommen von Bauern, welches starken Fluktuationen unterliegt, einzuschätzen. Einen Bauern zu fragen, wie hoch sein Einkommen gestern, letzte Woche oder letzten Monat war, garantiert keine zuverlässige Einschätzung seines Jahreseinkommens. Häufig sind Menschen auch einfach nicht gewillt, ihr Einkommen oder Vermögen preiszugeben, da es unter Umständen aus illegalen Quellen wie Korruption, Schmuggel, Drogenhandel, Prostitution oder Diebstahl stammt oder sie sich einfach zu sehr für ihre Armut schämen um korrekte Angaben dazu zu machen. Aus Gründen wie diesen ergibt eine Einkommensschätzung zur Armutsmessung oftmals ein sehr verzerrtes Bild.

Der hauptsächliche Vorteil, den Konsum anstatt das Einkommen zur Armutsmessung zu verwenden besteht darin, dass das Konsumverhalten über Jahre verteilt wesentlich stabiler ist. Das gegenwärtige Konsumverhalten einer Person repräsentiert viel eher ihr Langzeit-Konsumverhalten. Dies ist beim Einkommen nicht der Fall. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass die Menschen generell weniger zurückhaltend sind, ihr Konsumverhalten offenzulegen, als dies bei ihrem Einkommen der Fall ist. Um zu messen, wie viel Menschen konsumieren, müssen beständige Waren und Ausgaben für Unterkünfte inkludiert werden, jedoch ist der Konsum dieser Güter nur schwer messbar da er nur schwer zu bewerten ist. Wenn ein Haushalt beispielsweise ein Haus besitzt, muss geschätzt werden, wieviel es kosten würde, dieses Haus zu mieten, was dann dem Konsum dieses Haushaltes angerechnet werden müsste um etwa ihr Konsumverhalten mit dem des Nachbarhaushaltes der sein Haus vermietet vergleichen zu können. Und man kann keine Armutsstatistiken erstellen, wenn man nicht solche Vergleiche anstrebt. Danach müsste dasselbe für Autos usw. gemacht werden. Ein anderes Problem besteht darin, dass Haushalte in armen Ländern vieles von dem, was sie selbst produzieren, auch selbst konsumieren, was dann ebenfalls nur schwer bewertbar ist. Außerdem haben verschiedene Menschen verschiedene Konsumbedürfnisse, abhängig von Alter, Gesundheitszustand, Arbeit usw., daher ist nicht klar, wie diese verschiedenen Bedürfnisse miteinkalkuliert werden sollen, wenn es darum geht, das Konsumverhalten als Indikator zur Messung von Armut zu verwenden. Ein weiteres Problem ist jenes, dass Menschen womöglich vergleichbare Einkommen oder Ausgaben haben, sie sich jedoch in sehr unterschiedlichen sozialen oder umweltbedingten Gegebenheiten wiederfinden.

Ein Jahreseinkommen von $500 mag adäquat sein für Menschen in ländlicher Umgebung mit mildem Klima und billigen Unterkunftsmöglichkeiten, da dort Heizkosten oft komplett wegfallen und Subsistenzwirtschaft relativ einfach ist. Das selbe Einkommen kann jedoch für Menschen die in überfüllten urbanen Umgebungen leben tiefste Armut bedeuten. Das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein öffentlicher Einrichtungen wie Schulen, Straßen, fließend Wasser oder Elektrizität macht ebenfalls einen großen Unterschied, doch Armutsmessungen berücksichtigen diese Dinge in der Regel nicht.

Auch Armutsmessungen die sich etwa auf die Ernährung beziehen sind problematisch, da verschiedene Menschen unterschiedliche Mengen an Kalorien benötigen (abhängig von der Art ihrer Arbeit, ihres Alters, ihrer Gesundheit usw.) und es nicht leicht ist zu messen, wieviel Kalorien ein Mensch wirklich konsumiert. Die verschiedenen Messmethoden und Definitionen von Armut haben also alle ihre speziellen Vorzüge und Nachteile und sie finden deshalb in unterschiedlichem Umfang Verwendung zur Messung von Armut. Die Wahl der Definition von Armut ist jedoch von großer Bedeutung da sie sie oftmals bestimmt, wer staatliche Unterstützungen erhält und wer nicht. So gilt beispielsweise in den USA oder in der EU jeder als arm, dessen Einkommen unterhalb einer bestimmten Armutsgrenze liegt. Ist dies der Fall, gilt man als förderungswürdig und erhält gewisse Unterstützungen oder Vergünstigungen.

Um Armut bekämpfen zu können sind Daten diesbezüglich ein nützliches und – bis zu einem gewissen Grad – auch notwendiges Instrument. Ohne eine Antwort auf die Frage, wie viele Menschen an Armut leiden, ist ein Erfolg in der Armutsreduktion nur sehr schwer zu ermitteln. Und genau hier beginnen die Probleme. Die vorhandenen Daten über Armut reflektieren meist keine akkuraten Angaben über die Anzahl der in Armut

3

Page 4: Definitionen von Armut

lebenden Menschen. Auch gibt es Probleme bei den Definitionen, was Armut eigentlich konstituiert, und weitere Probleme bei den Messungen selbst.

Grundlage für Armutsmessungen sind in der Regel Umfragen. Diese Umfragen stellen bereits ein erstes Problem dar, da ihre Genauigkeit und Zuverlässigkeit häufig zweifelhaft ist. Eine häufige Erfahrung diesbezüglich ist jene, dass die respond-Rate reicher Menschen auf Umfragen generell niedriger ist als die von Menschen mit mittlerem Einkommen, da die Reichen weniger zugänglich sind (allein die Wohnungen reicher Menschen sind i.d.R. Schon schwerer zugänglich). Doch selbst wenn sie auf Umfragen eingehen, tendieren sie dahingehend, ihr Vermögen aus verschiedenen Gründen (etwa aus steuerrechtlichen Gründen) zu niedrig anzusetzen. Auch die sehr armen Bevölkerungsgruppen sind häufig nur schwer für Umfragen zugänglich, jedoch aus anderen Gründen. Oftmals leben sie in abgelegenen Regionen mit inadäquatem Zugang zu Transportmitteln oder sie haben keine fixen Wohnadressen. Und auch bei ihnen besteht das Problem, das wenn sie auf die Umfragen eingehen, ihr "Vermögen" oft nicht konkret definierbar ist. Aus diesem Grund sind nur unzureichend Daten dieser zwei Extreme vorhanden und indem diese dann häufig zwangsläufig aus den Berechnungen exkludiert werden ergibt sich dann wieder ein verzerrtes Bild.

Die meisten Methoden zur Armutsmessung verwenden eine sogenannte Armutsgrenze oder Poverty Line (wie etwa im Fall der USA, der EU, der Weltbank oder der UN). Dies ist eine Grenze des Einkommens oder der Ausgaben welche als Minimum für ein menschenwürdiges Leben und für die Befriedigung der Grundbedürfnisse angesehen wird. Diese Methoden werden auch als "Headcount Measures" für Armut bezeichnet: sie zählen einfach die Anzahl der Menschen die unter diese festgelegte Armutsgrenze fallen, welche darüber entscheidet, wer als arm, und wer als nicht arm gilt. Diesen Systemen zufolge ist man also entweder arm, oder man ist es nicht. Sie sagen uns nur, wie viele Menschen als arm gelten, jedoch nicht, wie arm sie wirklich sind. Dies stellt vor allem in den reichen Ländern, wo diese Messmethoden verwendet werden, ein Problem dar. Die Armutsgrenzen in diesen Ländern sind in Dollar ausgedrückt relativ hoch. Dies soll jedoch nicht heißen, dass Menschen unter dieser Grenze nicht wirklich arm sind. Es bedeutet vielmehr, dass Menschen in reichen Ländern ein gewisses Einkommen benötigen um der Armut zu entgehen. Wer einen Job will, benötigt wahrscheinlich auch ein Auto, ein Telefon, eine Internetverbindung oder Einrichtungen für Kinder wie Kindertagesstätten. Außerdem wird eine fixe Unterkunft benötigt die wiederum viel Geld kostet. Armutsgrenzen in Industrieländern sind deshalb nicht so niedrig angelegt, das Armsein schlicht bedeutet, an der Grenze des Verhungerns zu sein. Sie sind vielmehr auf einem Niveau angelegt, nach dem Armsein bedeutet, nicht in der Lage zu sein, sich einen Arbeitsplatz, angemessene Unterkunft, Gesundheitsversorgung und Bildung leisten zu können.

Aufgrund der Tatsache, dass die Armutsgrenzen in Industrieländern eher hoch angelegt sind, bleibt viel Raum darunter. Daher gibt es zwei Arten von armen Menschen: es gibt jene, die einen Job und ein - wenn auch geringes - Einkommen haben aber dennoch ums Überleben kämpfen müssen (die sogenannten „working poor“2), und es gibt solche, die einfach auf der Straße leben. Des weiteren gibt es Menschen die für die Dauer einiger Jahre arm sind, und andere, die ihr ganzes Leben in Armut verbringen.

All diese Menschen sind nach diesen Messmethoden gleichermaßen arm. Dieses System liefert keine Daten über die Distanz zur Armutsgrenze bzw. zur sogenannten Tiefe der Armut. Im schlimmsten Fall können Menschen, die diesem System zufolge bereits als arm eingestuft werden, noch weitaus ärmer werden ohne den "Headcount" der Armut zu verändern. Wenn also z.B. die ca. 13% der US-Amerikaner die gegenwärtig bereits unter die Armutsgrenze fallen, allesamt zu obdachlosen Bettlern würden, wäre dennoch keinerlei Veränderung in den Armutsstatistiken der USA bemerkbar.

Bruttoinlandsprodukt (BIP) und Bruttonationaleinkommen (BNE)

Eine seit langem angewandte Methode zur Messung des Einkommens besteht in der Auswertung des Bruttoinlandsproduktes (BIP) bzw. des Bruttosozialproduktes/Bruttonationaleinkommens (BNE). Bei Berechnungen mittels des BIP nimmt man beispielsweise den Gesamtwert aller Waren und Dienstleitungen, die innerhalb eines Jahres in einem Land produziert worden sind und bezieht diese Zahl dann auf die

2 So ergab beispielsweise eine EuroStat Studie, dass 2008 8% der Bevölkerung in der EU trotz eines Arbeitsplatzes unterhalb der Armutsgrenze lebten. Siehe dazu: Pascal Wolff: Population and social conditions (EuroStat 9/2010)

4

Page 5: Definitionen von Armut

Bevölkerungsanzahl - eine Methode, die jedoch ihre Tücken hat, da wesentliche Aspekte dabei nicht beachtet werden. So bleibt etwa unberücksichtigt, ob die jeweiligen Waren von ausländischen Firmen (die häufig große Teile ihrer Profite in andere Länder abfließen lassen) oder von einheimischen Bauern erzeugt worden sind. Subsistenzwirtschaften, unbezahlte Tätigkeiten und Schwarzarbeit werden ebenfalls nicht berück-sichtigt. Auch die Umrechnung nationaler BIPs auf Grundlage nominaler Wechselkurse ist bei manchen Fragestellungen irreführend und aus diesem Grund wird auch das BNE zur Messung des Pro-Kopf-Einkommens (in Kaufkraftparität) eines Landes verwendet.

Durch das BNE wird die Leistung einer Volkswirtschaft, meist innerhalb eines Jahres, unter Berücksichtigung von Steuern, Subventionen, Abschreibungen, Abgaben, u.a. ermittelt. Doch auch das BNE berücksichtigt wesentliche Aspekte wie Arbeitslosigkeit, Disparität, soziale Errungenschaften oder Umweltauswirkungen (und andere Externalitäten) nicht. So kann das BNE eines Landes steigen während die Arbeitslosigkeit gleich bleibt. Die brasilianische Wirtschaft wuchs während der Militärdiktatur der 1960er Jahre rasant, die Ungleichheit im Land jedoch ebenso. Saudi Arabien gehört zu den Ländern mit hohem Einkommen, doch bezogen auf die sozialen Errungenschaften liegt das Land noch hinter Kuba oder Nigeria. Aufgrund der schwerwiegenden Mankos dieser Berechnungsmethoden wurden im Laufe der Zeit unterschiedliche weitere Methoden mit verschiedensten Indikatoren eingeführt, um ein aussagekräftigeres Bild über Einkommen, Armut, Ungleichheit und weitere Aspekte zu erhalten. Dennoch ist sowohl das BNE als auch das BIP weiterhin ein wichtiges politisches und ökonomisches Maß: So wird etwa eine Rezession dadurch definiert, dass das BIP eines Landes zwei bzw. drei aufeinander folgende Quartale nicht steigt oder sogar sinkt.

Mittlerweile sind Statistiken über die globale Armut im Überfluss vorhanden und dabei werden verschiedenste Methoden zu deren Erstellung verwendet, die jedoch alle zumindest eines gemeinsam haben: sie alle sind immer mehr oder weniger unzuverlässig bzw. nur sehr bedingt aussagekräftig und zum Teil sogar völlig willkürlich. Häufig werden politische Fragen und Probleme in diesen Statistiken verzerrt oder geschönt dargestellt. Auch werden komplett andere Standards zur Messung von Armut in armen und in reichen Ländern angewandt, und Vergleiche der Armutsniveaus dieser Länder werden weitestgehend gemieden. Die heute gängigste Armutsdefinition der OECD und der EU stammt von der Weltbank und sie ist zugleich das beste Beispiel für eine völlig willkürliche Armutsgrenze.

Armutsmessungen in Entwicklungsländern

Die Weltbank-Methode

Die Weltbank nimmt eine Schlüsselrolle in der Messung von Armut ein da sie in den 1980ern die international verbreitetste (und lange auch einzige) Methode zur Messung von Armut in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen eingeführt hat – die sogenannte „International Poverty Line“ (IPL). Die von der Weltbank gemessenen Armutsraten ergaben sich ursprünglich aus dem Prozentsatz der Bevölkerung eines Landes welche in Haushalten mit weniger als einem bzw. zwei Dollar Einkommen pro Kopf und Tag lebten. Dabei wurden Menschen unterhalb der Ein-Dollar-Grenze als "extrem arm" eingestuft, während die Zwei-Dollar-Grenze ein allgemeinerer Indikator für Armut dargestellt hat. Diese Definition der Weltbank galt bis 2008, dann wurde diese Zahl auf $1.253 (zur Kaufkraftparität von 2005) abgeändert4. Beide Grenzen werden in Dollar angegeben und durch Messungen der Kaufkraftparität (KKP) der nationalen Währungen an die Preisdifferenzen zwischen Ländern angepasst. In einem Land mit einer durchschnittlichen Haushaltsgröße von vier Personen würde der Ein-Dollar-Standard eine Armutsgrenze für Familien von $1424 pro Jahr ergeben. Die Methode der Weltbank besteht also einfach ausgedrückt darin, willkürlich eine Armutsgrenze bei einem Dollar pro Kopf und Tag festzulegen und dann (ohne überhaupt irgendwelche Messungen vorzunehmen) zu entscheiden, dass Bevölkerungsgruppen mit einem Pro-Kopf-Einkommen oberhalb eines Dollars nicht arm sind.

3 Diese Änderung wurde vorgenommen, da die Weltbank selbst zur Feststellung gelangt ist, dass sie die Lebenserhaltungskosten in den Entwicklungsländern unterschätzt hatte. Da diese Grenze von $1.25 jedoch ebenso willkürlich ist wie jene von einem US-Dollar wird in diesem Papier weiterhin die Armutsgrenze von einem US-Dollar verwendet.

4 Martin Ravallion, Shaohua Chen, Prem Sangraula: „Dollar a day Revisited“, World Bank Economic Review Volume 23, Number 2-2009, pp. 163-184

5

Page 6: Definitionen von Armut

2001 schätzte die Weltbank das 21% der Bevölkerung in den Entwicklungsländern in extremer Armut leben, was einer Zahl von 1.1 Milliarden Menschen entspricht und eine Reduktion von 1.2 Millionen im Jahr 1990 und 1.5 Millionen im Jahr 1981 impliziert. Mit Hilfe solcher Daten propagiert die Weltbank seit Jahren die angeblichen Erfolge in der Reduktion der weltweiten Armut. Einer ähnlichen Statistiken zufolge waren 1987 noch 28.7% der Weltbevölkerung arm (also unterhalb der Ein-Dollar-Grenze), während es 1998 nur mehr 24.3% gewesen sein sollen. Die selben Statistiken zeigen jedoch auch, dass die absolute Zahl der Armen aufgrund des Bevölkerungswachstums angestiegen ist.5 Der ehemalige Weltbank Präsident James D. Wolfensohn erklärte 2001: „Während der letzten Jahre haben bessere Policen zu einem schnelleren Wachstum des Pro-Kopf-Einkommens in den Entwicklungsländern beigetragen, als zu irgend einem Zeitpunkt seit der Mitte der 1970er. Und schneller Wachstum hat Armutsreduzierung bedeutet. ... Nach einer ständigen Zunahme während der letzten zwei Jahrzehnten ist die Zahl der in Armut lebenden Menschen seit 1980 um geschätzte 200 Millionen gefallen, obwohl die Weltbevölkerung um 1.6 Milliarden zugenommen hat.“6 Doch nur knapp zwei Jahre zuvor verkündete die Weltbank ein noch völlig anderes Bild: „Die absolute Zahl jener Menschen, die von $1 oder weniger pro Tag leben, nimmt weiterhin zu. Die weltweite Gesamtzahl stieg von 1.2 Milliarden 1987 auf gegenwärtig 1.5 Milliarden.“7

Die Methode der Ein-Dollar-Armutsgrenze der Weltbank ist jedenfalls gleichermaßen simpel wie auch willkürlich und voller methodologischer Probleme. Die Willkür dieser Armutsgrenze kann etwa durch das Beispiel von Lateinamerika und der Karibik verdeutlicht werden: In diesen Regionen sind der Weltbank zufolge nur 19% der Bevölkerung arm. Im Vergleich dazu schätzte das US Bureau of Census 1986 – in ungefährer Entsprechung mit der Schätzungsperiode der Weltbank8 – den Anteil der Armen in den USA auf 18.2%.

Wie weiter unten noch aufgezeigt wird, lag z.B. die nationale Armutsgrenze 2004 in den USA bei $13.30, was bezogen auf die Ein-Dollar-Armutsgrenze der Weltbank bedeuten würde, dass diese Definition den Großteil der armen Menschen weltweit außen vor lässt. Die Statistik unten zeigt, das beispielsweise 80% der Weltbevölkerung (und 95% der Bevölkerung in Entwicklungsländern) als arm eingestuft werden müssten, wenn anstatt dieser Ein-Dollar-Armutsgrenze eine Grenze von $10 pro Tag verwendet würde.

5 Global Poverty Monitoring 2001. For some reason in other texts published in the Internet the World Bank gives slightly different figures: 28.3% and 24.0% in Chen and Ravallion 2000, 28.3% and 23.4% in Income Poverty 2001

6 Siehe dazu: Sanjay G. Reddy, Thomas W. Pogge: “How Not to Count the Poor” (October 29th, 2005), Seite 3, Fußnote 67 World Development Report 1999/2000, p. 258 Vgl. World development report 1990

6

Page 7: Definitionen von Armut

Den Grund, weshalb die Weltbank die Grenze von einem Dollar pro Tag verwendet anstatt etwa einen $10-Dollar Standard, wird folgendermaßen erklärt: „In Erfahrung zu bringen, dass (möglicherweise) 95% oder mehr der Bevölkerung [in Entwicklungsländern] nach diesem Standard arm sind, hat wahrscheinlich nicht viel Relevanz, da die US-Lebensstandards nicht in voraussehbarer Reichweite der meisten Menschen in typischen Entwicklungsländern liegen.“9 Dies mag für viele Aspekte auch zutreffend sein, doch bezogen auf die Lebenserhaltungskosten (vor allem für Nahrungsmittel) ist diese Argumentation der Weltbank – wie später noch aufgezeigt wird – äußerst fraglich.

Viele der Daten hinsichtlich Armut und anderer sozialer und ökonomischer Indikatoren der Weltbank oder des Internationalen Währungsfonds (IWF) sind von äußerst ungewisser Qualität. Vielen der ärmsten Nationen - wie etwa Zaire oder Simbabwe - fehlt es an der bürokratischer Infrastruktur um überhaupt akkurate demografische Zahlen zu erheben, und jene armen Ländern mit großen staatlichen Bürokratien - wie China oder Kuba - produzieren oftmals Daten die nur dazu dienen, die lokalen Bürokratien gut und effizient aussehen zu lassen.

Die Konstruktion der Armutsmessung der Weltbank umfasst zwei Schritte: Feststellung der Einkommensverteilung (oder des Konsums) verteilt über die nationalen Haushalte, und eine Definition, was der $1/$2-Pro-Tag-Standard in der lokalen Währung bedeutet. Die Basisdaten dafür werden aus nationalen Umfragen abgeleitet. Diese Umfragen beinhalten die Haushaltsausgaben- oder Einkommen, welche in unterschiedlichen Zeitintervallen erhoben werden (etwa alle sechs Jahre in Indien, alle 1-2 Jahre in China und selten bis nie in vielen anderen der ärmsten Nationen). Typischerweise wird in diesen Haushalts-umfragen nach den Ausgaben für Nahrungsmittel und anderen Ausgaben während der letzten Woche oder des letzten Monats gefragt und diese Daten werden dann auf einen Jahresbetrag extrapoliert. Diese Basisdaten ermöglichen Schätzungen der Prozentsätze von Haushalten auf verschiedenen Konsum- oder Einkommensniveaus und werden dazu verwendet, die Armutsraten mittels nationaler Standards zu schätzen und Messungen über wirtschaftlichen Wachstum und Einkommensverteilung zu generieren (wie z.B. der Gini-Index oder die Lorenzkurve).

Die Qualität und die Methoden zur Sammlung dieser Basisdaten variiert sehr stark von Land zu Land, und länderübergreifende sowie zeitliche Vergleiche dieser Daten sind häufig sehr fragwürdig. In vielen Ländern ist die lokale Bevölkerung sehr skeptisch gegenüber Regierungsbeamten, die kommen und alle möglichen Fragen stellen, während man in anderen Ländern davon ausgehen kann, dass die Daten von Leuten erhoben werden die ihre Büros niemals verlassen.

Die Schätzungen regionaler und weltweiter Armut sind indirekte Messungen die auf den verfügbaren Berichten der jeweiligen Länder und anderen Messungen von Wirtschaftswachstum basieren. Wenn keine Daten aus Haushaltsumfragen vorhanden sind sondern nur Messungen über das Bruttoinlandsprodukt vorliegen, verwendet die Weltbank Schätzungen die auf der Annahme basieren, dass die Einkommens-verteilung dieselbe ist wie in den Nachbarländern. Um die Armutsraten über Jahre hinweg dort zu schätzen, wo keine Haushaltsumfragen verfügbar sind, geht die Weltbank einfach davon aus, dass alle Einkommens-niveaus im selben Maße wie die nationale Wachstumsrate zu- oder abgenommen haben.10 Daher enthalten die Schätzungen immer Reduktionen der Armut, sobald ein Land auch nur den geringsten nationalen Wirtschaftswachstum erfährt.

Die Weltbank versucht auch zu ermitteln, welches Niveau nationaler Konsumentenausgaben mit den $1/$2-Standards korrespondieren. Dies erfordert eine Schätzung der Kaufkraftparität von jedem Land, wozu jedoch weitere Haushaltsumfragen notwendig sind um zu ermitteln, welche Waren die Menschen in dem Land typischerweise konsumieren, sowie Geschäftsumfragen über die Marktpreise dieser Waren. Diese Umfragen sind jedoch meistens gar nicht vorhanden und müssen ebenfalls wieder geschätzt werden.

Die Schätzungen der Weltbank sind also rein subjektiv und berücksichtigen in keiner Weise die tatsächlich vorhandenen Lebensbedingungen der Menschen in den jeweiligen Ländern. Wieviel sie für Nahrungsmittel, Kleidung, Wohnen, Bildung usw. ausgeben müssen wird dabei nicht analysiert. Die Armutsprognosen der Weltbank basieren auf einer rein hypothetischen Wachstumsrate des Pro-Kopf-Einkommens wodurch dann die Zunahme des Einkommens einer entsprechenden Abnahme des Armutsniveaus gleichkommen soll. Den Berechnungen der Weltbank zufolge sollte etwa die Armut in China zwischen 1985 und 2000 von 20% auf 2.9% sinken und im selben Zeitraum in Indien von 55% auf 25% fallen.

9 Prem Sangraula, Martin Ravallion, Shaohua Chen: Dollar a Day Revisited (May 2008), p. 210 Sanjay G. Reddy, Thomas W. Pogge, “How Not to Count the Poor” Version 6.2 (2005)

7

Page 8: Definitionen von Armut

Eine Studie der Inter-American Development Bank11 ergab, dass man auf der Basis der selben Umfragen der Weltbank zu Armutsraten in Lateinamerika auf Ergebnisse zwischen 21% und 66% kommen kann, je nachdem wie fehlende Informationen, Null-Einkommen und offensichtlich zu niedrige Einkommen interpretiert werden, was deutlich macht, dass die Methodologie der zur Erstellung von Statistiken benötigten Umfragen, sowie die Interpretation der Rohdaten, stets einen ausschlaggebenden Effekt auf die Resultate haben. Auch sind ganz allgemein nur sehr wenige Umfragen aus armen Ländern verfügbar. Umfragen aus den Jahren 1997/98 existieren beispielsweise nur aus den wenigsten Ländern, daher beruhen die Armutsraten von 1998 größtenteils auf Schätzungen basierend auf alten Umfragen unter der Annahme, das sich die Einkommensverteilung während der letzten 3-12 Jahre nicht verändert hat.12 Einkommensschätzungen sind ebenfalls häufig bloße Spekulation, da aus sehr vielen Ländern keine Umfragen diesbezüglich vorhanden sind. So produziert die Weltbank Statistiken, die unter anderem dazu verwendet werden, zu beweisen, dass wirtschaftlicher Wachstum mehr Wohlstand für die Armen bedeute.

Eine sehr empfehlenswerte Studie von der Columbia University identifiziert drei wesentliche Kritikpunkte an den Armutsschätzungen der Weltbank: 1. Eine schlecht definierte Armutsgrenze, 2. eine irreführende und inakkurate Messung der Äquivalenz der Kaufkraftparität, und 3. eine inkorrekte Extrapolation der begrenzt vorhandenen Daten welche den falschen Eindruck von Genauigkeit vermittelt und dabei die hohe Wahrscheinlichkeit von Fehlern in diesen Schätzungen verschleiern.13 Diese Studie zeigt u.a. auf, dass die Weltbank in ihren Schätzungen, aufgrund mangelnder aktueller Umfragedaten, einfach von der fragwürdigen Annahme ausgeht, dass sich die jeweiligen nationalen Lorenzkurven seit den letzten Umfragen nicht verändert haben und das die von der Weltbank kalkulierte Reduktion der weltweiten Armut zwischen 1987 und 2001 ausschließlich darauf beruht, dass das von ihr benutzte Messverfahren auf dieser Annahme basiert. Die Studie kommt zu dem Schluss, dass all diese Mängel in den Messverfahren der Weltbank höchstwahrscheinlich systematisch dazu gedacht sind, den Grad und den Trend der globalen Einkommensarmut zu verzerren und dass es einige triftige Gründe dafür gibt, davon auszugehen, dass diese Verzerrung darauf ausgerichtet ist, das Ausmaß der Einkommensarmut unterzubewerten.14 Abschließend wird in der Studie bemerkt: „Wir sind überrascht, dass die [Welt]Bank in den letzten fünfzehn Jahren regelmäßig Statistiken über Einkommensarmut publiziert hat - welche mit sechs-stelliger Präzision angegeben und weitreichend in akademischen Forschungen, Analysen und populären Medien auf der ganzen Welt verwendet wurden - ohne den Hauch einer öffentlichen Anerkennung der groben Mängel in ihrer Konstruktion. Es ist schwer diese Tatsache nicht als Hinweis auf die niedrige Priorität anzusehen, die bisher dem globalen Problem der andauernden schweren Armut beigemessen wurde.“15

Diese mangelhaften Methoden der Weltbank führen also einerseits dazu, dass die weltweite Armut dramatisch unterschätzt wird, und andererseits erlauben sie der Weltbank, das falsche Bild zu vermitteln, dass man in Bezug auf Armutsreduktion auf dem richtigen Weg wäre und das durch die angewendeten Maßnahmen (wie Strukturanpassungen) Erfolge erzielt worden seien.

Bei näherer Betrachtung wird jedoch recht schnell deutlich, dass die Armutsgrenze der Weltbank von $1 bzw. $1.25 völlig willkürlich ist, und dementsprechend sind auch die daraus hervorgegangen Statistiken zu betrachten. Dabei sind die Probleme und Fragen welche die Armutsdefinition der Weltbank aufwirft so offensichtlich. Weshalb beispielsweise gelten all die Menschen, die über $1.30 verfügen nicht mehr als arm? Müssten nicht auch Menschen die täglich $3 oder $5 zur Verfügung haben als arm gelten, wenn sie damit die grundlegensten Bedürfnisse wie Ernährung, Kleidung, Unterkunft usw. nicht befriedigen können? Die Weltbank rechtfertigt dies damit, dass diese Grenze dem Durchschnitt der zehn niedrigsten Armutsgrenzen in Entwicklungsländern entsprechen würde.16 Diese Rechtfertigung lässt allerdings viele Fragen offen. Weshalb sollte absolute Armut überhaupt in jedem Land mit derselben Summe von KKP-Dollars gemessen werden? Es ist doch mehr als naheliegend, dass unter unterschiedlichen Umständen unterschiedliche Summen an Geld zum bloßen Überleben notwendig sind. Und auf welcher Basis werden die nationalen Armutsgrenzen eigentlich definiert bzw. wie zuverlässig sind diese Basisdaten? Ungeachtet der Probleme und ungeklärter Fragen gilt der jährlich von der Weltbank herausgegebene World Development Report weithin als respektable Quelle für statistische Informationen über Armuts-Trends und ähnliche Themenbereiche.

11 Székely, Lustig, Cumba, et al. 2000 12 Chen and Ravallion 2000, Deaton 2000, Attacking Poverty, World Development Report, 2000/2001 2000 pg. 17 13 Sanjay G. Reddy, Thomas W. Pogge: “How Not to Count the Poor” (October 29th, 2005)14 Ibid., p.3715 Ibid., p.4016 Chen and Ravallion 2000 pg. 6, Ravallion, Datt and van de Walle 1991

8

Page 9: Definitionen von Armut

Die Methoden des Entwicklungsprogrammes der Vereinten Nationen (UNDP)

Human Development Index (HDI)

Die UN stellt im Rahmen des United Nations Development Programme (UNDP) ebenfalls Daten in einem ähnlichen Report zur Verfügung – dem Human Development Report (HDR).17 Obgleich viele der Daten dieselben sind, reflektieren diese zwei Berichte die Ideologien der Länder welche die jeweiligen Organisationen kontrollieren. Die Weltbank tendiert dazu, Armut als etwas zu sehen, dem man mit ökonomischer Entwicklung entgegensteuern kann; die UN hebt hervor, dass die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit höchstens einen positiven Nebeneffekt auf die Verbreitung von wirtschaftlicher Entwicklung habe. Beim Vergleich der Berichte dieser zwei Organisationen stellt man rasch fest, dass es sich dabei um jeweils völlig verschiedene epistemologische Welten handelt: Die Weltbank spricht häufig von Dingen wie dem BNE und dessen Messung, über Märkte und Markteffizienz und über die zentrale Rolle von Wirtschaftswachstum bei der Bekämpfung von Armut. Die UNDP hingegen betont vorwiegend Dinge wie menschliches Potenzial, Ansprüche, Freiheit und menschliche Sicherheit.

Im September 2000 verkündete die UN in ihrer "Millennium Deklaration" die sogenannten Millennium-Entwicklungsziele. Diese beinhalten acht Entwicklungsziele für Entwicklungsländer welche sich auf verschiedene Aspekte wie Armut, Bildung, Gleichstellung der Geschlechter, Gesundheit und Umwelt beziehen. Dabei werden insgesamt 48 Entwicklungsindikatoren – u.a. die Ein-Dollar-Armutsgrenze – verwendet um den Fortschritt dieser Entwicklungsziele zu messen. Auf Armut bezogen besteht das Ziel etwa darin, die Anzahl der Menschen unterhalb der Ein-Dollar-Grenze um die Hälfte zu reduzieren, von knapp 28% 1990 auf 14% im Jahr 2015.

Die UNDP präsentierte in den 1990ern mit dem Human Development Index (HDI) ein neues Messverfahren im Versuch, damit eine etwas differenziertere und mehrdimensionale Analyse über Armut und Entwicklung liefern zu können. Der HDI unterscheidet sich von der Orientierung am Einkommen dadurch, dass neben dem Pro-Kopf-Einkommen in US-Dollar auch noch Lebenserwartung und Bildung in die Statistiken miteinbezogen werden. 1997 wurde dann auch noch der Human Poverty Index (HPI) für Entwicklungsländer (HPI-1) und für Industrieländer (HPI-2) eingeführt um damit das jeweilige Ausmaß von Armut besser zu reflektieren.18 Die Indikatoren des HPI bestehen aus a) einer kurzer Lebensspanne, b) mangelndem Zugang zu Bildung und c) mangelndem Zugang zu öffentlichen und privaten Ressourcen.19 Dadurch lassen sich dann beispielsweise Korrelationen verschiedener Aspekte ermitteln, wie etwa der Einfluss von Haushaltsgrößen auf Armutsraten usw., doch auch der HDI ist schlussendlich abhängig von der Art der verfügbaren Rohdaten. Darin besteht ein grundlegendes Problem bei der Erstellung und Auswertung aller Statistiken und ganz besonders hinsichtlich Armutsstatistiken, da in diesem Bereich Rohdaten eine Mangelware darstellen.

So haben z.B. seit 1990 nur 57 von 163 Entwicklungsländern mehr als eine Volksbefragung bezüglich Armut erstellt und aus 92 Ländern existieren überhaupt keine Umfragen. Die letzte Volksbefragung im Libanon fand beispielsweise 1932 statt.20 Auf solchen Grundlagen dann Statistiken zu erstellen hat zwingendermaßen zur Folge, dass viele Spekulationen und Mutmaßung mit in die Auswertungen einfließen und die Resultate daher immer äußerst fragwürdig bleiben. Basierend auf diesen häufig gar nicht vorhandenen (und wenn doch vorhanden, oft recht zweifelhaften) Daten gelangt man dann beim UNDP wie auch bei der Weltbank oder dem IWF zu Armutsschätzungen, die mit der tatsächlichen Lebenssituation ebenso wenig zu tun haben, wie die Schätzungen durch das BIP oder das BNE.

HDI und HPI korrelieren auch sehr stark mit dem Bruttoninlandsprodukt und werden daher häufig aus Gründen der Redundanz kritisiert. Bryan Caplan kritisierte auch die Weise in der die HDI Auswertungen produziert werden, da nach den dort angewandten Methoden ein Land mit unsterblicher Bevölkerung und unendlichem Pro-Kopf-GDP einen Wert von 0.666 (also niedriger als z.B. der von Tadschikistan) bekommen würde, wenn dessen Bevölkerung nie zur Schule gegangen ist und aus Analphabeten besteht. Caplan bemängelte des weiteren, dass der maximale Wert für Bildung nur dann erreicht werden könne, wenn 100% der Bevölkerung Schüler oder Studenten sind. Seiner Meinung nach kommt dem HDI zufolge Skandinavien

17 United Nations Development Programme, Human Development Report 2006: Beyond scarcity: Power, Poverty and the Global Water Crisis (New York: UNDP, 2006)

18 http://hdr.undp.org/hdr2006/pdfs/report/Human_development_indicators.pdf 19 World Development Report, 1997, p. 520 UNHCR Lebanon Overview, Minority Rights Group International, World Directory of Minorities and Indigenous Peoples (June 2008)

9

Page 10: Definitionen von Armut

an der Spitze, weil der HDI im Grunde nur ein Messverfahren dafür sei, wie skandinavisch ein Land wäre.21

Michel Chossudovsky schrieb diesbezüglich: „Tatsächlich vermitteln die Armutsschätzungen des UNDP ein noch verzerrteres und irreführenderes Bild als die der Weltbank. Nur 10,9 Prozent der mexikanischen Bevölkerung z.B. werden vom UNDP als »arm« bezeichnet. Doch diese Schätzung widerspricht der Situation in den letzten 20 Jahren.“22 Einem Bericht von 1998 zufolge23 ist das reale Einkommen in Mexiko nach der Adaption der vom IWF vorgegebenen Reformen zwischen 1982 und 1992 gesunken und das Mindesteinkommen hat über die Hälfte seines Wertes verloren. Auch stieg laut diesem Bericht die Zahl der in Armut lebenden Menschen von unter der Hälfte auf gut zwei Drittel der mexikanischen Bevölkerung, welche damals bei 87 Millionen lag. Des weiteren meint Chossudovsky zu den Armutsschätzungen von Weltbank und UN, dass diese „größtenteils Übungen von Bürokraten in Washington und New York [sind], für die die Realitäten vor Ort ein Buch mit sieben Siegeln sind.“24

Weltbank und IWF vertreten generell die Position, dass die Lösung des Armutsproblems in Reformen hin zu freier Marktwirtschaft und der Reduzierung politischer Korruption bestünde. Diese Richtlinien für freie Marktwirtschaft sind Subjekt vieler Kontroversen. Kritiker der Weltbank und des IWF argumentieren, dass die von ihnen verfechteten Marktreformen wie Privatisierung, Reduzierung von Regierungssubventionen, freier Handel und reduzierte Geschäftsregulationen zu einer Reduktion der notwendigen Sozialdienst-leistungen führe und somit Armut und Ungleichheit fördern würde, und das niedrige Armutsraten und ökonomische Entwicklung, wie sie etwa durch das Pro-Kopf-Einkommen gemessen wird, zwar miteinander verwandte Konditionen, aber nicht notwendigerweise das Selbe sind. Ein Beispiel ist die Reduzierung der Armut in Ost- und Südasien seit den 1980ern, welche man den freien Marktwirtschaftsreformen anrechnen kann. Auf der anderen Seite jedoch folgten die steigenden Raten extremer Armut im ehemaligen Sowjet-Block ebenfalls den substantiellen Marktreformen nach dem Fall des Kommunismus.25

Multidimensional Poverty Index (MPI)

Armut kann, wie hier bereits aufgezeigt wurde, also vielerlei bedeuten. Für verschiedene Menschen in verschiedenen Ländern unter verschiedenen Umständen ist auch die Definition von Armut stets unterschiedlich. Armut kann absoluter Mangel oder relative Armut in Form von Ungleichheit bedeuten. Sie kann unausreichendes Einkommen oder unausreichender Konsum sein - Mangel in der einen oder in der anderen Form. Für die einen bedeutet sie inadäquate Gesundheitsversorgung, für die anderen mangelnder Zugang zu Trinkwasser. Sie kann sich in physischem Leid oder in durch inhärente Unsicherheit hervorgerufenem Stress manifestieren, in Unterernährung oder im Mangel von Selbstwertgefühl. Sie kann sich auf die Lebenserwartung oder auf unzureichende Bildung beziehen. Zwei Menschen mit einem Einkommen unter einem Dollar pro Tag können völlig unterschiedliche Konsequenzen daraus erfahren: dem einem mangelt es in vielen Bereichen, dem anderen nur in ein paar wenigen. Dem einen mangelt es an Gesundheitsversorgung, dem anderen an Bildung und einem weiterer an Nahrung, mit der Konsequenz, das er deswegen verhungert. Um Menschen effizient helfen zu können ist es daher erforderlich zu wissen, worin ihre konkreten Probleme bestehen. Dies erfahren wir jedoch nicht wenn wir uns nur darauf konzentrieren, wie hoch ihr Einkommen ist.

Bereits der HDI hatte deshalb seinen Fokus auf die Multidimensionalität von Armut gerichtet, seit letztem Jahr hat der HDI jedoch Konkurrenz von einem weiteren Index, dem sogenannten Multidimensional Poverty Index (MPI)26 bekommen. 2010 erarbeiteten Forscher der Oxford Poverty and Human Development Initiative zusammen mit dem UNDP eine neue Methode mit der Bezeichnung Multidimensional Poverty Index (MPI)27 welche - zumindest auf den ersten Blick - wesentlich vielversprechender erscheint als die bisherigen Methoden zur Messung von Armut. Ein solcher multidimensionaler Zugang hat vor allem den Vorteil, dass dadurch festgestellt werden kann, welche spezifischen Aspekte von Armut in gewissen Gebieten und Bevölkerungsgruppen vorherrschend sind. 21 Bryan Caplan: Against the Human Development Index, Library of Economics and Liberty 22 Michel Chossudovsky: Global Brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, 200223 Soren Ambrose, "The IMF Has Gotten Too Big for Its Riches," Washington Post, 26 April 1998, p. C224 Michel Chossudovsky: Global Brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, 200225 Jeffrey Sachs, The End of Poverty: Economic Possibilities for Our Time (New York, NY: Penguin Press, 2005) 26 Für eine detaillierte Beschreibung des MPI siehe: Alkire, Sabina, Maria Emma Santos: “Acute Multidimensional Poverty: A New Index for

Developing Countries” OPHI Working Paper No. 38 (July 2010)27 The Economist: A wealth of data - A useful new way to capture the many aspects of poverty (July 29th 2010)

10

Page 11: Definitionen von Armut

Dieser Index versucht aufzuzeigen, wie Menschen arm sind und was am meisten zu ihrer Armut beisteuert. Dies kann die Möglichkeiten dagegen vorzugehen erheblich vergrößern. Anstatt nur zu versuchen, das allgemeine Einkommensniveau zu erhöhen könnte dadurch wesentlich gezielter gegen spezifische Formen der Armut vorgegangen werden. Der MPI zeigt auch auf, wie sich verschiedene Aspekte der Armut überlagern - z.B. wie viele Analphabeten auch an Gesundheitsproblemen leiden usw. Außerdem hilft dieser Index dabei, zu unterscheiden, was im jeweiligen konkreten Fall einen Mangel darstellt und was nicht. Manche Menschen mögen beispielsweise einen Fußboden aus Erde einem betonierten Boden vorziehen und erachten einen Erdboden in keiner Weise als Mangel. Auch kann der MPI dabei hilfreich sein, die Tiefe der Armut besser zu identifizieren.

Wenig überraschend unterscheiden sich die Resultate des MPI dramatisch von den traditionellen Methoden zur Armutsmessung. Auch die Gesamtzahlen unterscheiden sich: So sind laut MPI ca. 1.7 Milliarden Menschen in den erfassten Ländern von multidimensionaler Armut betroffen (also ein Drittel der Gesamt-bevölkerung dieser Länder). Dies übertrifft die von der Weltbank geschätzten 1.3 Milliarden um gut 400 Millionen.28 Doch auch dieser Index weist Mängel und Defizite auf.

Einer der Nachteile dieses neuen Zugangs besteht etwa in der Gewichtung der verschiedenen Messungen, was wiederum zwangsläufig eine gewisse Willkür involviert. So impliziert der MPI, dass z.B. der Tod eines Kindes äquivalent dazu ist, einen schmutzigen Fußboden zu haben oder über kein Radio, Fernseher, Telefon, Fahrrad oder Auto zu verfügen. Oder das der Besitz dieser materiellen Dinge äquivalent zu einem Extra-Jahr Schulbildung ist. Diese im MPI implizierten Gleichstellungen sind äußerst fragwürdig.

Der MPI besteht insgesamt aus zehn Komponenten: zwei bezogen auf die Gesundheit (Unterernährung und Kindersterblichkeit), zwei bezogen auf Bildung (Schuljahre und Schuleinschreibung) und sechs weitere bezogen auf den Lebensstandard. Aufgrund der verwendeten Methodologie des MPI ist es jedoch erforderlich, dass alle nötigen Indikatoren aus exakt demselben Haushalt stammen, d.h. sie müssen alle aus der selben Umfrage stammen. Grundsätzlich wäre das zur Erstellung von aussagekräftigen Statistiken von Vorteil, zum derzeitigen Zeitpunkt stellt dies allerdings einen weiteren Nachteil dieses Indexes dar, da gegenwärtig für die meisten Komponenten des MPI wesentlich bessere Daten vorhanden wären, diese aber nicht verwendet werden können, weil sie aus unterschiedlichen Umfragen stammen. Diese und weitere problematische Aspekte des MPI sind jedenfalls seit der Einführung des Indexes ein häufiges Diskussionsthema und Gegenstand der Kritik von verschiedensten Seiten.29 Inwiefern dieser neue Index also dazu beitragen kann, seriösere Daten zu produzieren und akkuratere Statistiken und Prognosen zu erstellen, bleibt eher fraglich.

Neben der willkürlichen Armutsgrenze von einen bzw. zwei Dollar pro Tag, welche von der Weltbank festgelegt worden ist, gibt es mit dem Human Development Index bzw. dem Human Poverty Index und dem Multidimensional Poverty Index also zumindest Versuche, ein umfassenderes und akkurates Bild über die weltweite Armut zu erstellen. Die Methoden um Armut speziell in Ländern mit höherem Einkommen (HICs)

28 Oxfam Blogs: How can we improve the way we measure poverty? The UN’s new poverty index (2010)29 Siehe dazu z.B.: Martin Ravallion: World Bank research director critiques the new UN poverty index (July 28th, 2010)

11

Page 12: Definitionen von Armut

zu messen, unterscheiden sich interessanterweise jedoch alle von diesen hier beschriebenen Varianten. Die Weltbank und andere Institutionen begründen dies damit, dass Entwicklungsländer nicht mit den reichen Nationen verglichen werden könnten, da z.B. in Bezug auf Nahrungsmittel zu hohe Preisgefälle zwischen diesen beiden Regionen vorhanden wären. Auf dieses Argument soll jedoch weiter unten noch etwas genauer eingegangen werden – kommen wir zuerst zu den Methoden zur Armutsmessung in westlichen Ländern.

Armutsmessungen in den IndustrieländernWenn die Weltbank die Gesamtzahl der Bevölkerung unterhalb der Ein-Dollar-Grenze schätzt, wird dabei davon ausgegangen, dass fast niemand in den Industrieländern unterhalb dieses Standards fällt, da selbst eine Familie in den USA die Essensmarken erhält die Grenze von einem Dollar pro Tag bei weitem überschreitet, daher werden andere Indikatoren verwendet. Ebenso wie bei den Messmethoden für Armut in Ländern mit niedrigem (LICs) und mittlerem Einkommen (MICs), gibt es auch verschiedene Methoden zur Messung von Armut in den Industrieländern. In den Industrienationen beruhen die Methoden zur Messung von Armut auf den Mindestaufwendungen der Haushalte für lebensnotwendige Ausgaben wie Nahrung, Kleidung, Wohnen, usw.

Der in der Europäischen Union generell verwendete Indikator zur Messung von Armut basiert auf einer relativen Einkommensdefinition nach der jeder, dessen Einkommen unter 60% (z.T. auch 50%) des nationalen mittleren (median) Einkommens liegt als "armutsgefährdet" eingestuft wird. Diesen Messungen zufolge waren 2008 insgesamt 85 Millionen Menschen EU-weit armutsgefährdet, was 17% der EU-Gesamtbevölkerung entspricht (siehe dazu Tabelle II auf der nächsten Seite).30 Ein grundsätzliches Problem hinsichtlich der Genauigkeit dieser Berechnungen besteht darin, dass zur Erstellung dieser Daten der sogenannte Medianwert anstatt des Durchschnittswertes des Einkommens herangezogen wird, was zur Folge hat, dass sowohl das oberste als auch das unterste Fünftel aller Einkommensbezieher nicht in diese Daten miteinbezogen wird, wodurch die Anzahl der als armutsgefährdeten Menschen in diesen Statistiken ebenfalls verzerrt bzw. geschönt dargestellt werden.

Aus Tabelle I auf der nächsten Seite (mit einer Berechnungsgrundlage von 60% des Durchschnitts-einkommens) geht z.B. hervor, dass jemand der in Deutschland als Normalverdiener gilt, in anderen europäischen Ländern schon als arm gelten würde. So gilt ein Deutscher als armutsgefährdet, wenn er jährlich weniger als €9.370 verdient, was €781 pro Monat bzw. €26 pro Tag entspricht. Die Berechnungsgrundlage für die Trennlinie zwischen relativem Wohlstand und drohender Armut liefert das Durchschnittseinkommen eines Landes – dieses liegt in Deutschland bei €15.617 im Jahr. Wer mindestens 60% dieses Wertes verdient, gilt nicht als armutsgefährdet. In Luxemburg hingegen liegt die Armutsgrenze bei stolzen 1.484 Euro im Monat, weil das Durchschnittseinkommen der Luxemburger wesentlich höher ist als das der Deutschen.

Als Anmerkung am Rande sei erwähnt, dass in Hinblick auf die in Deutschland erlassenen Hartz-IV Regelungen diese Armutsgrenze von €781 pro Monat geradezu lächerlich erscheint. Denn würde man die Grenze ernst nehmen, ergäbe sich daraus, dass die deutsche Regierung Armut zum Gesetz macht, da der von ihr beschlossene Hartz-IV-Regelsatz den Menschen gerade einmal €364 pro Monat (also €12 pro Tag) zugesteht. Nach eigenen Angaben der deutschen Bundesregierung umfasst dieser Regelsatz neben Ausgaben für Nahrungsmittel, Unterkunft und Gesundheitspflege auch großzügige €1,39 pro Monat für Bildung.31 Damit drückt die Regierung fast 5 Millionen Menschen auf ein Armutsniveau herab welches nur geringfügig über der von der Weltbank für Entwicklungsländer konzipierten oberen Armutsgrenze von $10 pro Tag liegt. Soviel also zur Legitimation und Sinnhaftigkeit der Armutsgrenzen in westlichen Nationen.

30 EuroStat: Population and social conditions: 17 % of EU citizens were at-risk-of-poverty in 200831 Siehe dazu z.B. MDR: Zusammensetzung des geplanten Hartz-IV-Regelsatzes (28. Dezember 2010)

12

Page 13: Definitionen von Armut

Tabelle IPro-Kopf Jahreseinkommensgrenze in Euro, um in der

EU nicht als armutsgefährdet zu gelten:

Tabelle IIArmutsgefährdungsquote in Europa (2008):

(Quelle: Statista 2011)32

Mit der Luxemburger Einkommensstudie (LIS) begann man 1983 damit, eine Kollektion von gewöhnlich jährlichen Haushaltsumfragen in den weltweit reichsten Nationen zu sammeln. Dieses LIS Datenarchiv umfasst heute Einkommensumfragen aus 29 Ländern, wobei vom LIS Zentrum diese Daten aus nationalen Umfragen anpasst werden, um eine möglichst konsistente Messung verschiedener Nationen zu ermöglichen. Aus diesen Daten erstellt LIS eine Vielzahl statistischer Messungen der nationalen Einkommensverteilung.

Im Gegensatz zu den Armutsmessungen der Weltbank ist der häufigste Armutsindikator im LIS eine relative Messung: der Prozentsatz von Personen die in Familien unterhalb von 50% (oder einem anderen Prozentsatz) des nationalen Durchschnittseinkommens liegen, angepasst an die Familiengröße. Einem ähnlichen Verfahren folgt die USA, doch im Gegensatz zu den USA misst die LIS Studie – vernünftigerweise – das Einkommen nach Abzug der Einkommenssteuer. Das LIS Zentrum hat seine Daten in einer Reihe von Reporten verwendet um etwa die internationalen Unterschiede von Kinderarmut zu analysieren und auf die hohen Kinderarmutsraten hinzuweisen.33

32 Statistisches Bundesamt, Statista 2011 , Daten von 200733 Lee Rainwater and Timothy M. Smeeding, Poor Kids in a Rich Country: America's Children in Comparative Perspective (New York: Russell

Sage Foundation, 2003)

13

Page 14: Definitionen von Armut

Kinderarmut in reichen Nationen (2000)

Quelle: Luxembourg Income Study (LIS)

Das von den USA verwendete Verfahren zur nationalen Armutsmessung wurde 1963 von der Ökonomin Molly Orshansky eingeführt. Zuerst wurde ein Standard zur Klassifizierung von „armen Menschen“ festgelegt, welcher aus den Mindestaufwendungen für angemessene Ernährung abgeleitet und dann Mal drei multipliziert wurde um weitere Ausgaben miteinzubeziehen. Aus diesem Messverfahren ergab sich 2004 eine Armutsgrenze von $19.157 jährlich (also $13.30 pro Kopf und Tag) für eine vierköpfige Familie - jeder unter dieser Grenze wird als arm, und jeder darüber als nicht arm eingestuft. 2005 fielen nach dieser Methode insgesamt 37 Millionen Amerikaner in die Kategorie arm, also 12.6% der Gesamtbevölkerung. Da diese Daten jedoch auf dem Einkommen vor Steuerabzug berechnet werden, sind sie ebenfalls sehr ungenau und wenig aussagekräftig. Außerdem liegt diesem Messverfahren die Annahme zugrunde, dass die Menschen in den USA durchschnittlich ein Drittel ihres Einkommens für Nahrung ausgeben. Dies mag vielleicht zutreffend gewesen sein als diese Methode 1963 eingeführt worden ist, auf die Gegenwart bezogen entspricht diese Annahme jedoch keineswegs mehr den reellen Gegebenheiten.

Das U.S. Bureau of Labor Statistics und das Census Bureau erstellen einen jährlichen Bericht der auf einem Current Population Survey (CPS) basiert. Diese Umfrage umfasst etwa 77.000 Familien und misst deren Einkommen des letzten Jahres. Obwohl im Vergleich zu vielen anderen Umfragen und Polls die Anzahl der Samples des CPS sehr groß ist, sind es dennoch häufig unzureichend Samples um zuverlässige Daten für kleinere demografische Gruppierungen oder Regionen zu erhalten. Um den Unzulänglichkeiten des CPS entgegenzuwirken wird seit 2008 ein Report des „American Human Development Project“ veröffentlicht, in dem die Methode des HDI auf die USA angewandt wird.34

34 http://www.measureofamerica.org

14

Page 15: Definitionen von Armut

Armutsstatistiken: The West & The Rest

Die Umfragen in westlichen Ländern sind generell weitaus elaborierter und in einer viel größeren Anzahl verfügbar als es in armen Länder der Fall ist. Dementsprechend sind sie auch – im Verhältnis zu Armutsstatistiken der Entwicklungsländer – genauer und zuverlässiger (was in diesem Zusammenhang natürlich nicht sonderlich viel bedeutet), da die verwendeten Indikatoren schlicht aussagekräftiger sind. Dennoch werden diese für die westliche Welt gängigen Indikatoren zur Messung von Armut nicht auf Länder mit niedrigen und mittleren Einkommen angewendet und miteinander verglichen. Würden beispielsweise die Methoden des US Bureau of Census auf die Entwicklungsländer angewandt werden, so müsste die überwältigende Mehrheit der Weltbevölkerung als arm eingestuft werden. Die Armutsgrenze für einen Vier-Personen-Haushalt lag in den USA im Jahr 2009 bei $14.9 pro Kopf und Tag.35 Einer Studie der Weltbank zufolge leben etwa 80% der Weltbevölkerung von $10 oder weniger pro Tag, somit würde nach US-Armutsdefinition eine große Mehrheit aller Menschen unterhalb der Armutsgrenze leben.36

Auch vergleichen weder UNDP noch Weltbank die Armutsniveaus zwischen Industrie- und Entwicklungsländern. Vergleiche dieser Art würden hervorbringen, dass die Armutsindikatoren, welche diese beiden Organisationen auf die armen Länder anwenden, in einigen Fällen auf gleichem Niveau oder sogar unter den offiziellen Armutsniveaus von Ländern wie den USA, Kanada oder der EU liegen. Michel Chossudovsky hat in seinem Buch von 2001 bereits darauf hingewiesen, dass in Kanada, welches im Human Development Report von 1997 beispielsweise Platz 1 der HDI Rangliste einnahm, 17,4% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze lebten. Dazu zog er u.a. den Vergleich mit Mexiko heran, wo laut HPI damals nur 10,9% unter der Armutsgrenze lebten.37 Dem Human Development Report von 2009 zufolge gab es laut HPI-2 in Kanada 11,2% und in Mexiko, nach HPI-1 5,9% Menschen unter der Armutsgrenze.

Ausgewählte Länder und Prozentsatz unterhalb der Armutsgrenze nach HPI38

HPI-2 (Industrieländer): HPI-1 (Entwicklungsländer):

Land Armutsniveau(in Prozent)

Land Armutsniveau(in Prozent)

Schweden 6,0 Argentinien 3,7

Norwegen 6,6 Kuba 4,6

Deutschland 10,1 Mexiko 5,9

Schweiz 10,6 Trinidad & Tobago 6,4

Frankreich 11 Jordanien 6,6

Kanada 11,2 Kolumbien 7,6

Japan 11,6 China 7,7

UK 14,6 Ecuador 7,9

USA 15,2 Thailand 8,5

Italien 25 Libanon 8,5

In Anbetracht dieser Zahlen wäre es wohl angebracht, die allgemein gültigen Definitionen von Armut und armen Ländern zu überdenken. Andy Sumner versuchte beispielsweise in seinem Papier von 201039 aufzuzeigen, dass Einteilungen wie jene in Länder mit niedrigen oder mittleren Einkommen irreführend wären, da z.B. 1990 noch geschätzt wurde, dass 93% aller armen Menschen in Ländern mit niedrigen Einkommen lebten, während man 2007 bereits davon ausging, dass drei Viertel dieser Menschen in Ländern

35 US Bureau of Census: "Poverty Thresholds 2009" 36 Martin Ravallion, Shaohua Chen und Prem Sangraula: Dollar a day revisited, World Bank, May 2008.37 Ibid.38 Human Development Report 2009 39 Andy Sumner: Global poverty and the new bottom billion, Institute of Development Studies (IDS), United Kingdom (03-Sep-10)

15

Page 16: Definitionen von Armut

mit mittleren Einkommen leben würden. Ernsthafte Studien die sich mit Vergleichen der Armutsniveaus zwischen Industrie- und Entwicklungsländern beschäftigen wären jedoch, wie obige Tabelle zeigt, ebenso interessant wie auch solche, die versuchten, die Messkriterien für Armut in Industrienationen auf arme Länder anzuwenden. Forschungen in diese Richtungen werden aber nur marginal betrieben, meist mit der Begründung, diese Daten wären aufgrund zu großer Diskrepanzen nicht miteinander vergleichbar. Doch sollte diesbezüglich nicht unerwähnt bleiben, dass mit der Deregulierung der Warenmärkte beispielsweise die Einzel-handelspreise von Gütern des täglichen Bedarfs in vielen Entwicklungsländern nicht mehr nennenswert niedriger sind als in den USA oder der EU. Die Argumentation der Weltbank zur Legitimation ihrer Methoden – dass nämlich diese westlichen Standards nicht auf Entwicklungsländer übertragbar wären bzw. die armen Menschen zu weit vom Lebensstandard der westlichen Welt entfernt wären – ist somit nicht nur äußerst zweifelhaft sondern zumindest teilweise sogar ganz klar widerlegt.

Ein Blick auf den sogenannten Big Mac Index40 kann dies in Bezug zum jeweiligen Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf recht anschaulich verdeutlichen: So lag der Preis eines Big Mac 2009 in den USA bei $3,54 und auf den Philippinen bei $2,07 (immerhin 58,47% des US-Preises). Das BIP pro Kopf lag laut Weltbank 2009 in den USA allerdings bei $46.436, während es auf den Philippinen nur $3.546 betrug. Anders ausgedrückt: Für eine Person in den USA, die den BIP-Angaben zufolge durchschnittlich $127 pro Tag verdient, ist ein Big Mac für $3,54 wesentlich billiger als für jemanden auf den Philippinen der $2,07 dafür bezahlt, dessen durchschnittliches Tageseinkommen jedoch nur knapp $10 beträgt – ersterer kann mit seinem Tageseinkommen 35 Big Macs kaufen, letzterer nur vier. Und das, obwohl dessen Einkommen nur 7,87% des Einkommens des ersteren ausmacht.

Forscher des UBS Wealth Management Research (WMR) haben die Idee des Big Mac Index in ihrer „Prices and Earnings“ Studie erweitert um die Arbeitszeit miteinzubeziehen, die in den jeweiligen Ländern aufgebracht werden muss, um sich einen Big Mac leisten zu können. Diese Methode ermöglicht eine etwas realistischere Sichtweise über die Kaufkraft eines durchschnittlichen Arbeiters.41

Big Mac Index in ausgewählten Ländern (Stand 2009)

Land Big Mac Preis42 (in US$) BIP43 (KKP, pro Kopf) Arbeitszeit (in Minuten)44

(in den jeweiligen Städten)

USA 3,54 46.436 13 (L.A.) - 14 (New York)

Brasilien 3,45 10.427 40 (São Paulo)

Kanada 3,36 37.946 15 (Montreal)

UK 3,36 36.496 13 (London)

Japan 3,23 32.443 12 (Tokio)

Ungarn 2,92 19.764 59 (Budapest)

Peru 2,54 8.647 58 (Lima)

Chile 2,51 14.331 69 (Santiago de Chile)

Ägypten 2,34 5.680 82 (Kairo)

Mexiko 2,30 14.337 129 (Mexiko City)

Philippinen 2,07 3.546 88 (Manila)

China 1,83 6.838 44 (Peking)

Thailand 1,77 8.004 45 (Bangkok)

Indonesien 1,74 4.205 136 (Jakarta)

40 Der im Magazin "The Economist" im Jahr 1986 erstmals veröffentlichte Big-Mac-Index vergleicht die Preise des Big Mac in verschiedenen Ländern der Erde. Durch die Umrechnung der inländischen Währungen zum aktuellen US-Dollar-Kurs werden diese untereinander mit einer stark vereinfachenden Methode verglichen. Der Big Mac könnte dahingehend ein guter und einfacher Indikator für die Kaufkraft einer Volkswirtschaft sein, da es ihn fast überall auf der Welt in standardisierter Größe, Zusammensetzung und Qualität gibt.

41 Hoefert, Andreas; Hofer, Simone: Prices and Earnings: A Comparison of Purchasing Power Around the Globe, 2006 Edition. UBS AG, Wealth Management Research

42 http://www.economist.com/node/13055650 , Feb 4th 2009 43 In US$, basierend auf: World Development Indicators database, World Bank, Daten von 200944 Siehe dazu: Prices and Earnings: A Comparison of Purchasing Power Around the Globe, 2009 Edition. UBS AG, Wealth Management Research

16

Page 17: Definitionen von Armut

Der Big Mac Index ist selbstverständlich im allgemeinen ein nur sehr grober Indikator um Kaufkraft-paritäten abzuschätzen. Dennoch kann er (vor allem in Verbindung mit dem Indikator Arbeitszeit) einen recht aufschlussreichen Einblick in die Einzelhandelspreisunterschiede von Nahrungsmitteln (falls man einen Big Mac als solches bezeichnen kann) in Entwicklungsländern und Industrieländern gewähren, und beispiels-weise, wie oben erwähnt, aufzeigen, dass ein Big Mac auf den Philippinen nur knapp 40% billiger ist als in den USA, wobei der durchschnittliche Philippine 88 Minuten arbeiten muss, um sich einen Big Mac leisten zu können, während ein US-Amerikaner dazu nur etwa 13 Minuten Arbeitszeit aufwenden muss. In Mexiko City und Jakarta müssen die Menschen durchschnittlich sogar über zwei Stunden für einen Big Mac arbeiten.

Die Forscher des UBS Wealth Management Research (WMR) versuchten in ihrer Studie45 auch Durchschnittskosten für Nahrungsmittel in verschiedenen Ländern bzw. Städten zu analysieren. Dazu erstellten sie einen Warenkorb bestehend aus 39 verschiedenen Lebensmitteln (mit besonderer Gewichtung auf Grundnahrungsmittel) auf der Basis westeuropäischer Verbrauchergewohnheiten, der in etwa den Monatsverbrauch einer dreiköpfigen Familie repräsentieren soll.

Preisvergleiche dieser Art sind zwar meist nur von geringem Wert, da sich die Ernährungsgewohnheiten in verschiedenen Ländern oft zu stark voneinander unterscheiden, um sie sinnvoll miteinander vergleichen zu können, ihre Analyse kann aber dennoch in gewissen Aspekten recht aufschlussreich sein. Als Orientierungs-wert für die verschiedenen Vergleiche der WMR-Studie wurde New York gewählt, wo durchschnittliche Ausgaben für den zur Analyse verwendeten Nahrungsmittel-Warenkorb von $571 ermittelt wurden. Der Studie zufolge waren 2009 (wie auch schon 2006) die Ausgaben in Tokio mit $710 am höchsten, und am niedrigsten in Mumbai mit $150. Hier nun eine kleine Auswahl der analysierten Städte plus dem monatlichen Durchschnittseinkommen nach IWF-Angaben, wobei die Preise für den Warenkorb durch drei geteilt wurden, um ungefähre Pro-Kopf-Angaben zu erhalten:

Monatliche Durchschnittsausgaben für Nahrungsmittel46

Land, Stadt Monatl. Ausgaben (in US$)

Prozent an Ausgaben(verglichen mit New York)

Monatl. Durchschnitts-einkommen (in US$)47

Japan, Tokio 237,3 124.7% 2819

USA, New York 190,3 100 % 3927

Österreich, Wien 157,7 82.9% 3287

Kanada, Montreal 139,3 73.3% 3252

Thailand, Bangkok 120,7 63.5% 720

UK, London 119 62.6% 3929

China, Peking 116 60.9% 626

Indonesien, Jakarta 115 60.5% 365

Russland, Moskau 97,3 51.2% 1317

Brasilien, Rio de Janeiro 89,7 47.2% 940

Kolumbien, Bogotá 89,7 47.1% 787

Argentinien, Buenos Aires 85,3 44.8% 1300

Philippinen, Manila 83,7 44.0% 310

Kenia, Nairobi 82,3 43.2% 148

Malaysia, Kuala Lumpur 79 41.5% 1216

Mexiko, Mexiko City 72 37.9 1188

Indien, Mumbai 51 26.9% 274

45 Ibid, p. 1546 Prices and Earnings: A Comparison of Purchasing Power Around the Globe , 2009 Edition, p. 1547 Berechnungen auf Basis des International Monetary Fund, GDP (PPP) per capita, (2009/10)

17

Page 18: Definitionen von Armut

Die Zuverlässigkeit dieser Daten ist natürlich ebenso wie die weiter oben erwähnten Statistiken recht zweifelhaft. Dass das Niveau der Preise für Nahrungsmittel in vielen Entwicklungsländern im Verhältnis zu dem der Industrienationen häufig nicht wesentlich niedriger ist, zeigt diese Analyse – trotz aller zwangsläufigen Unschärfen – aber dennoch recht deutlich. In der „Prices and Earnings“ Studie von 2006 wird auch darauf hingewiesen, dass das weltweite Lohngefälle generell größer ist als das Preisgefälle.48 So hätte der durchschnittliche Philippine zwar im Vergleich zu New York 56% niedrigere Ausgaben für den fiktiven Warenkorb in dieser Studie, dafür müsste er aber knapp 30% seines Einkommens dafür aufwenden, während ein New Yorker nur gut 5% seines Gehaltes dafür ausgeben müsste. Würde ein Indonesier diesen Warenkorb kaufen, verblieben ihm danach noch $250 seines Monatseinkommens – im Vergleich dazu müsste jemand in Tokio zwar gut 65% mehr dafür ausgeben, diese Person hätte dann anschließend jedoch noch über $2.500 seines Gehaltes zur Verfügung.

Diese teils massiven Differenzen ergeben sich zwar auch teilweise aufgrund dessen, dass sich die Zusammensetzung der Nahrungsmittel in dem Warenkorb an westlichen Konsumgewohnheiten orientiert – weshalb die reellen Kosten in den jeweiligen Städten in etlichen Fällen niedriger wären – aber dennoch sind die Preisniveaus für Lebensmittel vor allem in Ländern mit mittlerem Einkommen (MICs) häufig nicht signifikant niedriger als in Ländern mit höherem Einkommen (HICs).

Noch besser ersichtlich wird die Tatsache, dass die Diskrepanz der Lebenserhaltungskosten – bezogen auf Nahrungsmittel – für Menschen in armen Ländern zu jenen in der Ersten Welt teils nur marginal ist, durch konkrete Vergleiche der Lebensmittelpreise in den jeweiligen Ländern. Die nachfolgende Tabelle verschiedener Einzelhandelspreise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Weizen oder Mais in reichen und armen Nationen verdeutlicht dies in Bezug auf das vom IWF errechneten Durchschnittseinkommen.

Ausgewählte Grundnahrungsmittelpreise in verschiedenen Ländern (Stand: 2010/11)

Ausgewählte Entwicklungsländer49 Ausgewählte EU Länder50

Land Reis* Weizen* Einkommen51 Land Reis* Weizen* Einkommen52

Afghanistan - 0.52 998 Belgien 4.30 1.13 36,274

Bangladesh 0.44 0.33 1,565 Finnland 3.64 0.91 34,401

Burundi 1.10 0.69 340 Griechenland 3.90 1.86 28,833

Ecuador 0.87 0.86 7,951 Italien 2.98 1.00 29,418

Haiti 0.98 - 1,121 Niederlande 2.85 1.91 40,777

Indien 0.43 0.46 3,290 Österreich 3.11 1.39 39,454

Indonesien 1.04 0.81 4,380 Polen 1.50 0.63 18,837

Kap Verde 1.10 0.81 3,562 Spanien 2.03 1.09 29,651

Kongo 0.91 - 340 UK 4.76 1.12 35,053

Malawi 1.12 - 908 Ungarn 1.72 0.63 18,815

*alle Preise in US$, Mengenangaben in Kilogramm

Reis kostet demnach beispielsweise im Kongo zwar knapp 40% weniger als in Polen, jedoch muss ein Mensch im Kongo mit durchschnittlich weniger als $1 täglich auskommen, während ein Pole $52 pro Tag zur Verfügung hat und Weizen ist in Ecuador nur knapp 6% günstiger als in Finnland, doch verfügt ein Finne im Verhältnis dazu durchschnittlich ca. 77% mehr an Einkommen als jemand in Ecuador.

48 Prices and Earnings: A Comparison of Purchasing Power Around the Globe , 2006 Edition, p. 2649 Daten von: FAO National basic food prices - data and analysis tool (2010/2011, jeweils aktuellster Stand) 50 Daten von: EuroStat Consumer price research (October 2010)51 Daten von: International Monetary Fund, GDP (PPP) per year, per capita, (2009/10)52 Ibid.

18

Page 19: Definitionen von Armut

Wenn all diese Daten auch nur im entferntesten zutreffend sind, wird zumindest etwas daraus ersichtlich: Selbst wenn in jedem noch so kleinen Dorf in den Entwicklungsländern ein großes Kaufhaus voller Lebensmittel errichtet werden würde, hätte dies nicht den geringsten Einfluss auf die Reduktion von Armut, da sich die Menschen dort diese Lebensmittel einfach nicht leisten könnten – was Aussagen wie jene, dass der Hunger und die Armut dieser Welt auf eine zu große bzw. zu schnell anwachsende Bevölkerungszahl zurückzuführen wäre, ad absurdum führt.

Bezogen auf die Armut in den Ländern mit mittlerem Einkommen (MICs) ist die WMR „Prices and Earnings“ Studie aber noch in anderen Hinsichten erwähnenswert. So werden neben der benötigten Arbeitszeit zum Kauf eines Big Mac oder den Ausgaben für einen fiktiven Warenkorb mit Nahrungsmitteln auch noch andere Aspekte wie beispielsweise die Ausgaben für Wohnung oder Kleidung und auch das Einkommen und die durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Jahr analysiert. Da sich diese Studie auf die finanzielle Situation im urbanen Raum konzentriert, und aufgrund der Tatsache, dass mittlerweile gut die Hälfte der Menschheit in Städten lebt, gewährt die Analyse diesbezüglich manch interessante und aufschlussreiche Einblicke.

Besonders interessant ist es in diesem Zusammenhang die Daten über die Ausgaben für Nahrungsmittel und Mietpreise für Wohnungen mit den in der Studie geschätzten Durchschnittseinkommen zu vergleichen. In der oben dargestellten Tabelle wurden die Daten zu den monatlichen Durchschnittseinkommen den BIP-Angaben des IWF von 2009/2010 entnommen, doch finden sich in der „Prices and Earnings“ Analyse ebenfalls Vergleiche über internationale Netto-Stundenlöhne und Schätzungen über die durchschnittlichen Arbeitsstunden pro Jahr, woraus sich auch Monatsgehälter berechnen lassen (allerdings natürlich nur auf die jeweiligen Städte, und nicht auf die ganzen Länder bezogen).

Hier nun eine Tabelle mit einigen ausgewählten Städten in Ländern mit mittlerem Einkommen (MICs) und den Ausgaben für den in der Analyse verwendeten fiktiven Nahrungsmittel-Warenkorb (wieder geteilt durch drei, da sich der Warenkorb auf eine dreiköpfige Familie bezieht), plus den Ausgaben für Wohnungsmieten sowie den aus den vorhandenen Daten kalkulierten Monatsgehältern. In der Analyse werden unterschiedliche Mietpreise für verschiedene Wohnungstypen präsentiert, wobei für die untenstehende Tabelle die jeweils günstigsten Varianten ausgewählt worden sind. In der ersten Spalte der Tabelle sind die Länder bzw. Städte aufgelistet, in der Zweiten die Ausgaben für den Warenkorb, die dritte Spalte beinhaltet die eben erwähnten, jeweils günstigsten Mietpreise, die Vierte die Gesamtausgaben für den Warenkorb plus den Mieten und die fünfte Spalte enthält die aus den Daten kalkulierten Durchschnitts-Netto-Monatseinkommen bezogen auf die jeweiligen Städte.

Ausgaben und Einkommen in Städten mit mittlerem Einkommen*

Land (Stadt) Nahrungsmittel-ausgaben

Mietausgaben Gesamtausgaben Einkommen(monatl.)

Ägypten (Kairo) 76 220 296 415

Argentinien (Buenos Aires) 85 350 435 559

Brasilien (Rio de Janeiro) 90 430 520 661

Brasilien (São Paulo) 98 650 748 811

Bulgarien (Sofia) 93 550 643 432

Chile (Santiago de Chile) 91 410 501 567

China (Peking) 116 500 616 444

Indien (Mumbai) 51 330 381 219

Indien (Delhi) 59 290 349 289

Indonesien (Jakarta) 115 480 595 235

Kolumbien (Bogotá) 90 470 560 497

Malaysia (Kuala Lumpur) 79 130 209 530

Mexiko (Mexiko City) 72 290 362 339

Peru (Lima) 79 130 209 507

19

Page 20: Definitionen von Armut

Philippinen (Manila) 84 260 344 237

Rumänien (Bukarest) 93 510 603 414

Russland (Moskau) 97 1050 1147 867

Südafrika (Johannesburg) 74 410 484 813

Thailand (Bangkok) 121 300 421 469

Ukraine (Kiew) 70 250 320 392

Im Vergleich dazu ein paar Städte in Ländern mit höherem Einkommen (HICs)*

Land (Stadt) Nahrungsmittel-ausgaben

Mietausgaben Gesamtausgaben Einkommen(monatl.)

Dänemark (Kopenhagen) 171,7 1200 1371,7 2446

Schweiz (Zürich) 219,3 1280 1499,3 3571

UK (London) 119 1450 1569 2041

USA (New York) 190,3 2180 2370,3 3095

Frankreich (Paris) 170 1370 1540 1767

Japan (Tokio) 237 1390 1540 1767

Deutschland (München) 146 880 1026 2059

*alle Preise in US$

Was in dieser Tabelle sofort ins Auge sticht ist, dass die aus der „Prices and Earnings“ Studie kalkulierten Monatsgehälter in 12 von den 20 aufgelisteten MIC-Städten zum Teil weit unterhalb der Gesamtausgaben für Nahrungsmittel und Mieten liegen, und in Jakarta ergibt sich ein noch bizarreres Bild, da die Monatsgehälter nicht einmal die Hälfte der Gesamtausgaben ausmachen. Würde man auf Basis dieser 20 MIC-Städte die täglichen Durchschnittsausgaben für Nahrung und Wohnung errechnen und das Ergebnis als Grundlage für eine Armutsschwelle bezogen auf diese Städte verwenden, so käme man auf eine Armutsgrenze von $16 pro Tag und Kopf, was bedeuten würde, dass in diesen Städten durchschnittlich über 90% der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze liegen würde.53

Selbstverständlich sind dies nur Zahlenspielereien, da die Basisdaten bereits nicht repräsentativ sind und nur sehr grobe extrapolierte Schätzungen, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen, darstellen - vor allem da sich, wie bereits erwähnt, das Konsumverhalten in der „Prices and Earnings“ Studie auf Menschen in westlichen Ländern bezieht und dieses sich häufig sehr von dem der Menschen in armen Ländern unterscheidet, aber auch deshalb, weil es oftmals außerordentlich schwierig ist, überhaupt konkrete Angaben zu Löhnen und Sozialabgaben zu erhalten.

Was aber nicht außer Acht gelassen werden darf ist die Tatsache, dass hier nur die Ausgaben für Essen und Unterkunft „geschätzt“ worden sind und keinerlei sonstige in den Lebenserhaltungskosten inkludierten Ausgaben für Dinge wie Kleidung, Bildung, Gesundheit oder Transport, ganz zu schweigen von Freizeit-aktivitäten miteinbezogen wurden. Würde man all dies miteinkalkulieren, wäre das Resultat noch wesentlich dramatischer.

Die „Prices and Earnings“ Studie analysiert die monatlichen Ausgaben für eine dreiköpfige Familie für insgesamt neun Teilbereiche der Lebenserhaltungskosten in 73 Städten weltweit. Darunter fallen Ausgaben für Nahrungsmittel, Getränke, Körper- und Gesundheitspflege, Bekleidung, Haushalts- und Elektronikgeräte, Wohnen, Heizung/Beleuchtung, Verkehrsmittel und verschiedene Dienstleistungen wie z.B. Friseur, Telefongebühren, Internet, Kursgebühren für Schulung und Weiterbildung sowie Eintrittskarten für verschiedene Freizeitaktivitäten. Folgende Tabelle enthält einige ausgewählte Städte in Ländern mit mittlerem Einkommen (MICs) und die in der Studie kalkulierten jeweiligen durchschnittlichen Lebenserhaltungskosten.

53 Kalkulation erfolgte mittels der PovcalNet-Software der Wetbank

20

Page 21: Definitionen von Armut

Lebenserhaltungskosten in Städten mit mittlerem Einkommen*

Land (Stadt) Gesamtausgaben Einkommen (monatl.)

Ägypten (Kairo) 1.346 415

Brasilien (Rio de Janeiro) 1.770 661

China (Peking) 1.703 444

Indien (Mumbai) 916 219

Indonesien (Jakarta) 1.418 235

Kolumbien (Bogotá) 1.399 497

Mexiko (Mexiko City) 1.347 339

Philippinen (Manila) 1.166 237

Thailand (Bangkok) 1.742 469

Ukraine (Kiev) 1.546 392

*alle Preise in US$

Würde man nun davon ausgehen, dass diese Zahlen auch nur ungefähr korrekt sind, hieße das, dass die Menschen in den oben aufgelisteten Städten im Monat durchschnittlich gerade einmal ein Drittel dessen verdienen, was sie für ihre Lebenserhaltungskosten aufbringen müssten. Auch wenn man die Zahlen in dieser Studie halbieren würde, wäre das Resultat immer noch so, dass die Menschen in den zehn aufgelisteten Städten durchschnittlich nur halb so viel (in Jakarta sogar nur 33%) an Einkommen zur Verfügung hätten, als sie zur Deckung ihrer Lebenserhaltungskosten benötigten würden. Und selbst wenn man die gesamten in der Studie kalkulierten Lebenserhaltungskosten durch drei teilen würde, hätten die Leute in acht dieser zehn Städte immer noch nicht genügend Einkommen, um diese zu decken. In Jakarta würden die durchschnitt-lichen Ausgaben dann sogar trotzdem noch $473 betragen, also knapp doppelt so viel wie ihr Einkommen beträgt.

Dass diese „Schätzungen“ nicht akkurat sind ist offensichtlich, aber dennoch geben diese Daten einen Hinweis darauf, weshalb von den über drei Milliarden Menschen die heute in Städten wohnen, jeder Dritte unter Slum-Bedingungen lebt.54 Und da der Großteil der Menschheit nicht in westlichen Städten mit höherem Einkommen lebt, wäre eine Studie interessant, die sich im Gegensatz zu der „Prices and Earnings“ Studie des WMR, auf Basis einiger ausgewählter Städte (z.B. Mumbai, Shanghai, Jakarta, Kairo, São Paulo und Mexiko City) eher an dem Konsumverhalten der Menschen in Ländern mit mittleren und niedrigen Einkommen orientiert.

So ungenau und in manchen Aspekten fragwürdig Studien über Kaufkraftvergleiche wie die „Prices and Earnings“ Studie auch sein mögen, eines zeigen sie dennoch sehr deutlich auf: Die von der Weltbank festgelegte Armutsgrenze von einem bzw. zwei Dollar pro Tag ist tatsächlich völlig willkürlich, wenn man beispielsweise davon ausgeht, das ein Mensch in Kairo, Jakarta oder Manila im Monat $100 allein für Nahrungsmittel benötigt – also weniger als die Hälfte dessen, was aus den Berechnungen aus der „Prices and Earnings“ Studie hervorgeht – ihm aber nur irgendetwas zwischen Null und sechzig Dollar pro Monat zur Verfügung stehen.

Ein Problem der oben aufgezeigten Vergleiche von Nahrungsmittelpreisen besteht natürlich darin, dass sich etwa die „Prices and Earnings“ Studie nur auf Städte, und nicht auf ganze Länder bezieht. In ländlichen Gegenden ist häufig Subsitenzwirtschaft bis zu einem gewissen Grad möglich, was die Ausgaben für Nahrungsmittel natürlich teils drastisch reduziert. Dies ist jedoch nicht immer und überall möglich und der Großteil der armen Weltbevölkerung ist zumindest in gewissem Maße darauf angewiesen, Nahrungsmittel zuzukaufen, und da in semiperiphären oder ländlichen Regionen die Marktstrukturen beispielsweise häufig weniger wettbewerbsorientiert sind, da weniger oder teils gar keine Konkurrenz vorhanden ist, sind die Preise in diesen Regionen zum Teil sogar höher als in urbanen Umgebungen.

54 Siehe dazu den Millennium Development Goals Report 2007

21

Page 22: Definitionen von Armut

Verschiedene Studien, wie beispielsweise jene von Biru55 oder von Rao56 zeigen auch auf, dass arme Menschen ganz allgemein häufig mehr für Waren bezahlen müssen als die Reichen. So geht die Studie von Biru etwa darauf ein, dass niedrigere Einkommensgruppen in Sambia für die selben Waren häufig mehr bezahlen als höhere Einkommensgruppen und das die Unterschiede der von den verschiedenen Einkommensgruppen bezahlten Preise in den ärmsten Regionen am höchsten sind. Die Studie von Rao kommt zu ähnlichen Ergebnissen in ländlichen Gegenden Südindiens.

All diese hier präsentierten Zahlen und Daten sollen nicht zum Ziel haben, eine neue Definition von Armut festzulegen oder akkuratere Angaben über den Prozentsatz der Bevölkerung unterhalb einer gewissen Armutsgrenze zu liefern, sondern sie dienen lediglich dem Versuch, aufzuzeigen, dass aufgrund der derzeit etablierten Armutsdefinitionen die Anzahl der Menschen die in Armut leben dramatisch unterschätzt wird und das der proklamierte Fortschritt bei der Armutsreduktion nur sehr marginal und selektiv für ein paar wenige Regionen zutreffend ist, während im Grunde die breite Masse der Weltbevölkerung in stetig zunehmender Armut lebt.

Statistiken, Agendas und IdeologienSchlussendlich sind alle derzeit gängigen Methoden zur Messung von Armut, sei es für Entwicklungsländer oder für Industrienationen, in unterschiedlichem Maße mangelhaft und geben ein nur sehr ungenaues und verzerrtes Bild über die Armut dieser Welt. All diese Daten, Statistiken und Prognosen sind nicht viel mehr als Zahlen auf Papier und nette bunte computergenerierte Balken und Diagramme ohne wirklichen Bezug zur Realität, erstellt von Menschen und Organisationen mit spezifischen Ideologien und ausschließlich dafür inszeniert, ihre jeweiligen Ideologien und Agendas zu legitimieren und zu bekräftigen. Armut und arme Menschen aufgrund dieser Daten zu definieren kommt etwa dem Versuch gleich, Menschen anhand ihrer Schulzeugnisse zu definieren: Natürlich haben die Zahlen in den Zeugnissen eine gewisse Bedeutung, doch sagen sie – wenn überhaupt – mehr über den Charakter des Schülers als über dessen Bildungsniveau aus, und je älter sie werden, je mehr werden sie zu reiner Makulatur. Ein Mensch mit einem „Nicht Genügend“ in Mathematik war vielleicht wirklich nicht sonderlich bewandert in dieser Disziplin, möglicherweise war er jedoch auch nur unterfordert und deshalb gelangweilt und desinteressiert oder er hat sich einfach nicht besonders gut mit seinem Lehrer verstanden – es gibt viele mögliche Gründe für das Zustandekommen dieser Note, doch was bleibt ist das „Nicht Genügend“: Eine Zahl auf einem Stück Papier die ein bestimmtes ideologisches Konstrukt repräsentiert welches jedoch ohne jeglichen Bezug zur Realität entwickelt wurde und sich außerhalb dieses Konstruktes in völliger Bedeutungslosigkeit verliert. Doch unsere Gesellschaft ist versessen auf Zahlen mit denen wir versuchen, alles mögliche und unmögliche zu messen und so messen wir den Zahlen selbst völlig irrationale Bedeutungen bei, die häufig nicht entfernter von der Wirklichkeit sein könnten.

Man muss sich klar darüber sein, das speziell in Bezug auf alle in der Entwicklungszusammenarbeit tätigen Institution oder Organisation die Zahlen und Statistiken publizieren, diese dies nur deshalb tun, weil sie eine gewisse Agenda damit verfolgen und diese dadurch stärken wollen, in dem sie andere Menschen oder Institutionen von der Richtigkeit, Sinnhaftigkeit und Nützlichkeit ihrer Agenda zu überzeugen versuchen. Manche Institutionen und NGOs manipulieren ihre von vorn herein zweifelhaften Daten dahingehend, dass sie den Eindruck vermitteln, als wäre die Situation in einer gewissen Bevölkerungsgruppe noch prekärer als sie in Wirklichkeit sowieso bereits ist nur um damit etwa ihrer Spendeneinnahmen zu erhöhen, während andere Institutionen versuchen, mit Hilfe ihrer Daten Verbesserungen in Entwicklungsbereichen aufgrund ihrer eigenen Maßnahmen aufzuzeigen um diese zu legitimieren. Daher sollten all diese Daten immer mit äußerster Skepsis betrachtet werden.

Wie bereits zu Anfang erwähnt, sind Daten über Armut ein nützliches und wichtiges Instrument wenn es darum geht, Armut zu bekämpfen. Und es gäbe wesentlich bessere Alternativen zur Messung von Armut als die gegenwärtig gängigen und hier beschriebenen Methoden, wie beispielsweise die von Sanjay und Pogge

55 Rao, V.: "Price Heterogeneity and Real Inequality: A Case-Study of Prices and Poverty in Rural South India," Review of Income and Wealth, 46.2 (2000)

56 Biru, Y.: “The Purchasing Power of the Poor: A Case Study of Zambia”, in Identifying the Poor, ed. F.G. Pyatt and M. Ward, Amsterdam: IOS Press (1999)

22

Page 23: Definitionen von Armut

in ihrer Studie57 präsentierte Methode. Inwiefern sich diese jedoch irgendwann etablieren werden bleibt zu bezweifeln, allein schon aufgrund dessen, dass sie weitaus höhere Zahlen über armustgefährdete bzw. über in Armut lebende Bevölkerungsgruppen ergeben würden, als etwa jene von der Weltbank angewandte Methode. Und es ist fraglich, ob es im Interesse dieser Institutionen liegt, Zahlen zu veröffentlichen denen zufolge die überwiegende Mehrheit der Weltbevölkerung eigentlich in die Kategorie „arm“ fallen würde. Aber selbst wenn irgendwann Messverfahren angewendet werden sollten die ein realistischeres Bild über die Armut auf dieser Welt darzustellen imstande sind, bleibt immer noch die Frage, wem dies von Nutzen sein wird.

Sich zu sehr auf all diese Daten zu konzentrieren birgt schlussendlich die Gefahr in sich, dass man sehr schnell den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr zu sehen vermag. Im Poverty Report des kanadischen Development Forums heißt es diesbezüglich: „Die meisten der Debatten und Kontroversen über das Konzept der Armut beschäftigen sich mit der Methodologie und den Messverfahren, anstatt mit konzeptuellen Angelegenheiten.“58 Um Armut effizient reduzieren zu können ist die Frage nach den Ursachen für diese Armut wesentlich essentieller als alle Daten und Statistiken diesbezüglich. Die Ursachen sind jedoch, um ein weiteres Sprichwort aufzugreifen, wie der Elefant im Zimmer, den keiner sehen will. Daher konzentriert man sich bevorzugterweise auch lieber auf all diese Daten und Statistiken, was zur Folge hat, dass sechzig Jahre Entwicklungshilfe und Entwicklungspolitik im Kontext einer neoliberalen Globalisierung diese Welt für den überwiegenden Großteil der Weltbevölkerung in keiner Weise zu einem lebenswerteren Ort gemacht haben, sondern im Gegenteil sogar wesentlich häufiger dazu beigetragen haben, Situationen noch zu verschlimmern, als sie zu verbessern. Die meisten Institutionen und Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit sind mittlerweile zu dem verkommen, was ihre Arbeit ursprünglich überhaupt erst notwendig gemacht hatte: rein profitorientierte Unternehmen und weitere gut funktionierende Zahnräder in der Maschinerie dieses globalen kapitalistischen Systems. Im Poverty Report wird angemerkt: „[Die] Entscheidungsträger und auch die Organisationen wie die Weltbank, welche Verminderung oder Reduktion der Armut als ihre Aufgabe definieren, lokalisieren die Ursache von Armut generell nicht im System selbst, sondern in der Kultur der Armut, einer Kultur welche die Armen gefangen hält und sie davon abhält, dahingehend zu handeln, ihre Möglichkeiten wahrzunehmen und einen der vorhandenen Wege raus aus der Armut einzuschlagen. Effektiv geben sie den Armen selbst die Schuld an ihrer Armut.“59

Was bei all diesen hier präsentierten Daten, Statistiken und Indices nie außer acht gelassen werden sollte ist die Tatsache, dass sie alle ideologisch motiviert und dazu ausgelegt sind, verschiedene Vorstellung von Entwicklung voranzutreiben. So sind Weltbank und IWF speziell darauf ausgerichtet, die Idee der Maximierung des Wirtschaftswachstums zu fördern. Dabei sollte jedoch nicht vergessen werden, dass diese Organisationen nur einzelne, spezielle Positionen vertreten und ihre eigene Vorstellung davon haben, was Entwicklung bedeutet – nämlich wirtschaftliche Entwicklung. Es gibt allerdings noch viele weitere, teils radikal unterschiedliche Positionen diesbezüglich und viele weitere Vorstellungen darüber, was Entwicklung bedeutet oder wie Armut gemessen und reduziert werden sollte.

Bei all den Unzulänglichkeiten und Defiziten der UN muss ihr beispielsweise dennoch zugute gehalten werden, dass ihre Vorstellungen von Entwicklung sich in wesentlichen Aspekten von jener ihrer „Sonderorganisationen“ wie der Weltbank oder des IWF unterscheiden, und diesen bei weitem vorzuziehen ist, auch wenn die UN häufig dafür kritisiert wird, ineffektiv zu sein – meist genau von jenen Staaten, die sich weigern, sie finanziell zu unterstützen. Solange jedenfalls der Konsens unter den westlichen Nationen vorherrschend ist, dass das UN-Budget mit fünf, sechs Milliarden Dollar pro Jahr für friedenssichernde Maßnahmen ausreichend ist, während sie für ihre Kriegsspiele jährliche Ausgaben von über $1.500 Billionen für nötig und legitim erachten, wird sich an der mangelnden Effizienz der UN in absehbarer Zukunft auch nicht sonderlich viel ändern.

Organisationen wie die Weltbank oder der IWF, deren Gründung vielleicht noch auf noblen und ehrenwerten Motiven beruhte, verfolgen heute mehrheitlich die Agenda der globalen Finanzwirtschaft unter dem Deckmantel der Entwicklungszusammenarbeit oder sonstigem Sozialengagement. Die Daten die sie veröffentlichen mögen zwar den Anschein erwecken, als engagierten sie sich für sozialen Wandel und für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, doch dienen ihrer Publikationen tatsächlich ausschließlich dem Zweck, ihre vorgefassten Agendas zu zementieren und ihre Vorgehensweisen zu legitimieren obwohl diese nachweislich häufig katastrophale Folgen nach sich zogen und Millionen von

57 Sanjay G. Reddy, Thomas W. Pogge: “How Not to Count the Poor” (October 29th, 2005)58 Henry Veltmeyer: „The Poverty Report - Ideas, Policies and Pathways“, Development Forum, 2010 V. II, Special Issue, p.2959 Ibid., p. 27

23

Page 24: Definitionen von Armut

Menschen in noch tiefere Armut stürzten, anstatt sie daraus zu befreien.

Unübersehbare Fakten wie jene, dass die Zahl der Menschen die in Armut leben und die Ungleichheit der Verteilung des Vermögens kontinuierlich zunehmen, werden schlichtweg ignoriert oder geleugnet und gar versucht, die Anzahl der von Armut betroffenen Menschen als so gering wie nur möglich darzustellen, mit permanentem Nachdruck darauf, welch beispiellose Erfolge mit ihren Maßnahmen zur Reduktion von Armut bereits erzielt worden wären, was sie mit Statistiken die auf willkürlichen Zahlen basieren demonstrieren. Armutsniveaus und Prognosen über künftige Entwicklungen werden von ihnen so zurechtgebogen, dass sie die Politik der globalen freien Marktwirtschaft und den „Washingtoner Konsens“ über makroökonomische Reformen verteidigen und stützen. Das „freie“ Marktsystem wird als das effektivste Mittel präsentiert, um die Armut zu lindern, während man die verheerenden sozialen Auswirkungen all dieser Reformen leugnet.

In Anbetracht der Verwüstungen und des Leides die ihre Reformen und Strukturanpassungsmaßnahmen überall auf der Welt verursachen, könnte man beinahe zu dem Schluss gelangen, zu dem auch Michel Chossudovsky kam: „Statt die Armut zu beseitigen, wie der damalige Weltbankpräsident Lewis Preston behauptete, trug das Programm von IWF und Weltbank tatsächlich dazu bei, die Armen zu »beseitigen«.“60

Würde jedenfalls wirklich ein ernsthaftes Interesse daran bestehen, die Lebensbedingungen der Menschen dieser Erde zu verbessern, wäre die erste und wichtigste Konsequenz die daraus zu ziehen wäre jene, die Budgets der weltweiten Kriegsausgaben radikal zu reduzieren um diese für konstruktivere Ziele und Maßnahmen einzusetzen. Die Tatsache, dass – mit sehr wenigen Ausnahmen – alle reichen Nationen nicht einmal das zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele nötige Finanzkapital aufzubringen bereit sind, zeigt jedoch sehr deutlich, dass all die propagierte Solidarität mit den von Armut betroffenen Menschen dieser Welt nicht viel mehr als Heuchelei oder Selbstbetrug ist, und dass kein reelles Interesse seitens der wirtschaftlichen und politischen Eliten daran besteht, Armut, Hunger und Konflikte auf dieser Welt zu reduzieren. Tatsächlich stehen ernsthafte Bemühungen in der Entwicklungszusammenarbeit, ja sogar bereits nur realistischere Definitionen von Armut, den angestrebten Zielen der Eliten im Weg, denn solche Definitionen könnten den armen Menschen bewusst machen, dass sie die überwiegende Mehrheit auf dieser Welt darstellen. Und wirksame Entwicklungszusammenarbeit hätte zur Folge, dass diese arme Mehrheit einen Lebensstandard erreichen könnte, der es ihr ermöglicht, sich gegen das System der elitären Minderheit zur Wehr zu setzen. Ein Szenario, das die Eliten mit allen Mitteln zu verhindern versuchen, wodurch jegliches Bestreben, ernsthafte und effektive Entwicklungszusammenarbeit zu leisten, zu einem aussichtslosen Kampf gegen Windmühlen wird, und daran können selbst die akkuratesten Daten und realistischsten Statistiken nicht das Geringste ändern.

Entwicklungszusammenarbeit scheitert nicht aufgrund inakkurater Daten oder unrealistischen Statistiken, sondern ausschließlich an diesem globalen kapitalistischen System. Michel Chossudovsky schrieb bereits 1997: „ … jede "Lösung" bezüglich der Armutsproblematik sollte darauf eingehen, das System welches Armut produziert und die Armen darin festhält, zu verändern.“61 Im Grunde ist die gegenwärtige Situation dieselbe, wie jene zu Beginn des Industriezeitalters: Die Menschen strömen in Massen, angelockt von den Versprechungen des Kapitalismus, in der Hoffnung auf ein besseres und lebenswerteres Leben in die urbanen Zentren, wo sie sich wiederfinden als Arbeitssklaven oder als überflüssiger menschlicher Abfall, mit der einzigen Aufgabe, einer winzigen Minderheit dazu zu dienen, deren groteske endlose Gier nach immer noch mehr Macht, nach immer noch mehr Reichtum, auf ihre eigenen Kosten zu befriedigen oder – falls nicht dazu zu gebrauchen – still und unbemerkt zugrunde zu gehen.

Die Frage die sich stellt ist jene, ob wir – die Menschen der westlichen Welt – dazu bereit sind, auf ein wenig des Wohlstandes den wir gegenwärtig hier haben, zu verzichten, um allen Menschen dieser Welt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, und was wir bereit sind, dafür zu unternehmen. Institutionen wie die Weltbank, NGOs und Regierungen können und werden an der momentanen Situation hinsichtlich Armut und Ungleichheit nichts ändern, denn sie sind eine kleine Minderheit, nur auf ihr eigenes Wohl ausgerichtet, wir jedoch sind die Überzahl.

60 Michel Chossudovsky: Global Brutal - Der entfesselte Welthandel, die Armut, der Krieg, 2002, Kapitel 1061 Michel Chossudovsky: The Globalization of Poverty: Impacts of IMF and World Bank Reforms. London, Zed Books (1997)

24