Dengue-Virus und Co In Europa auf dem Vormarsch · Die Diagnose einer akuten Infektion gelingt...

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29 Diagnostik im Dialog • Ausgabe 44 • 08/2014 | Dengue-Virus und Co | Medizin Kompetente Vektoren Etwa 390 Millionen Menschen weltweit infi- zieren sich jährlich mit dem Dengue-Virus (DENV). 96 Millionen erkranken anschlie- ßend am Dengue-Fieber (DF) oder an einem Dengue-hämorrhagischen Fieber (DHF). 4,5 Vektoren* sind meist die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) und die Asiatische Tigermü- cke (Aedes albopictus) (Abb. 2). Beide Stech- mücken übertragen auch das Chikungunya- Virus (CHIKV), erstmals isoliert 1953 in Tansania. 6 Das CHIKV ist vor allem im östli- chen Afrika, auf dem indischen Subkontinent, in Südostasien und seit einigen Jahren auf den Inseln im Indischen Ozean verbreitet. 1 Das DF ist eine der häufigsten aus den Tropen und Subtropen importierten Erkrankungen – auch in Deutschland stiegen die registrierten Fallzahlen deutlich an (Abb. 1). Das CHIKV verursacht bei uns derzeit durchschnittlich 38 importierte Krankheitsfälle pro Jahr. 1 Erste autochthone DF-Fälle** in Europa traten 2010 in Südfrankreich und Kroatien auf 2 , Ende 2012 kam es zu einem großen Ausbruch auf der Ferieninsel Madeira mit mehr als 2000 Fällen. 5 Zunehmend sind auch saisonale CHIKV-Übertragungen in Südeuropa möglich – so geschehen 2007 in Italien und im Jahr 2010 mit ein paar Fällen in Frankreich. 1 Aufgrund der klimatischen und biologischen Bedingungen konnten sich die eingeschlepp- ten Arboviren und Stechmückenvektoren in Deutschland meist nicht längerfristig etab- lieren. In den letzten beiden Jahren wurde jedoch die Asiatische Tigermücke mehrfach in Bayern und Baden-Württemberg nachge- wiesen. 3 Damit hat sich auch in Süddeutsch- land ein kompetenter Stechmückenvektor etabliert, der das Dengue-Virus und das Chikungunya-Virus übertragen könnte. Symptomatik Beim DF beginnt die klinische Symptomatik mit einem ausgeprägten Krankheitsgefühl in der Regel nach einer Inkubationszeit von vier bis sieben Tagen: Fieber(schübe) bis 40 °C, Kopfschmerzen sowie starke Muskel- und Gliederschmerzen. Im weiteren Verlauf Gliederfüßer (Arthropoden, insbesondere Stechmücken) übertragen zahlreiche Viren auf den Menschen. 1 Auch die Erreger des Dengue- und Chikungunya-Fiebers gehören zu diesen so genannten Arboviren (Arthropod-borne Viruses). Mit dem interkontinentalen Reise- und Warenverkehr verbreiten sich ursprüng- lich tropische Viren und Stechmückenvektoren weltweit und können lokale Krankheitsaus- brüche außerhalb ihrer Ursprungsgebiete verursachen. 2,3 Die Anzahl der nach Europa importierten Infektionserkrankungen steigt. Im Jahr 2013 beispielsweise hat das Robert- Koch Institut für Deutschland über 870 ein- geschleppte Dengue-Virus-Infektionen regis- triert – so viele wie noch nie seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001 (Abb. 1). Die Diagnostik dieser Infektionserkrankungen ist ausgereift, eine kausale Therapie dagegen noch in der Entwicklung. Die Behandlung beschränkt sich auf symptomatische Maß- nahmen. Wie steht es um die Prävention von Dengue- und Chikungunya-Fieber? Impfstoffe sind nicht verfügbar, daher ist der konse- quente Mückenschutz mit Repellentien immer noch die einzige Präventionsmaßnahme. Dengue-Virus und Co In Europa auf dem Vormarsch PD Dr. med. Dr. med. habil. Jonas Schmidt-Chanasit, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg Mit dem interkontinen- talen Reise- und Waren- verkehr verbreiten sich ursprünglich tropische Viren und Stechmücken- vektoren weltweit fotolia/studio023

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Diagnostik im Dialog • Ausgabe 44 • 08/2014 | Dengue-Virus und Co | Medizin

Kompetente VektorenEtwa 390 Millionen Menschen weltweit infi-zieren sich jährlich mit dem Dengue-Virus (DENV). 96 Millionen erkranken anschlie-ßend am Dengue-Fieber (DF) oder an einem Dengue-hämorrhagischen Fieber (DHF).4,5 Vektoren* sind meist die Gelbfiebermücke (Aedes aegypti) und die Asiatische Tigermü-cke (Aedes albopictus) (Abb. 2). Beide Stech-mücken übertragen auch das Chikungunya-Virus (CHIKV), erstmals isoliert 1953 in Tansania.6 Das CHIKV ist vor allem im östli-chen Afrika, auf dem indischen Subkontinent, in Südostasien und seit einigen Jahren auf den Inseln im Indischen Ozean verbreitet.1

Das DF ist eine der häufigsten aus den Tropen und Subtropen importierten Erkrankungen – auch in Deutschland stiegen die registrierten Fallzahlen deutlich an (Abb. 1). Das CHIKV verursacht bei uns derzeit durchschnittlich 38 importierte Krankheitsfälle pro Jahr.1

Erste autochthone DF-Fälle** in Europa traten 2010 in Südfrankreich und Kroatien auf2, Ende 2012 kam es zu einem großen

Ausbruch auf der Ferieninsel Madeira mit mehr als 2000 Fällen.5 Zunehmend sind auch saisonale CHIKV-Übertragungen in Südeuropa möglich – so geschehen 2007 in Italien und im Jahr 2010 mit ein paar Fällen in Frankreich.1

Aufgrund der klimatischen und biologischen Bedingungen konnten sich die eingeschlepp-ten Arboviren und Stechmückenvektoren in Deutschland meist nicht längerfristig etab-lieren. In den letzten beiden Jahren wurde jedoch die Asiatische Tigermücke mehrfach in Bayern und Baden-Württemberg nachge-wiesen.3 Damit hat sich auch in Süddeutsch-land ein kompetenter Stechmückenvektor etabliert, der das Dengue-Virus und das Chikungunya-Virus übertragen könnte.

SymptomatikBeim DF beginnt die klinische Symptomatik mit einem ausgeprägten Krankheitsgefühl in der Regel nach einer Inkubationszeit von vier bis sieben Tagen: Fieber(schübe) bis 40  °C, Kopfschmerzen sowie starke Muskel- und Gliederschmerzen. Im weiteren Verlauf

Gliederfüßer (Arthropoden, insbesondere Stechmücken) übertragen zahlreiche Viren auf den Menschen.1 Auch die Erreger des Dengue- und Chikungunya-Fiebers gehören zu diesen so genannten Arboviren (Arthropod-borne Viruses). Mit dem interkontinentalen Reise- und Warenverkehr verbreiten sich ursprüng-lich tropische Viren und Stechmückenvektoren weltweit und können lokale Krankheitsaus-brüche außerhalb ihrer Ursprungsgebiete verursachen.2,3 Die Anzahl der nach Europa importierten Infektionserkrankungen steigt. Im Jahr 2013 beispielsweise hat das Robert-Koch Institut für Deutschland über 870 ein-geschleppte Dengue-Virus-Infektionen regis- triert – so viele wie noch nie seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 2001 (Abb. 1). Die Diagnostik dieser Infektionserkrankungen ist ausgereift, eine kausale Therapie dagegen noch in der Entwicklung. Die Behandlung beschränkt sich auf symptomatische Maß-nahmen. Wie steht es um die Prävention von Dengue- und Chikungunya-Fieber? Impfstoffe sind nicht verfügbar, daher ist der konse-quente Mückenschutz mit Repellentien immer noch die einzige Präventionsmaßnahme.

Dengue-Virus und CoIn Europa auf dem VormarschPD Dr. med. Dr. med. habil. Jonas Schmidt-Chanasit, Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, Hamburg

Mit dem interkontinen-talen Reise- und Waren-

verkehr verbreiten sich ursprünglich tropische

Viren und Stechmücken- vektoren weltweit

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Medizin | Dengue-Virus und Co | Diagnostik im Dialog • Ausgabe 44 • 08/2014

Eine abgelaufene Infektion sorgt für eine lebenslange, Serotyp-spezifische Immuni-tät, aber nur für eine kurzzeitige Kreuzim-munität. Das bedeutet: Nach kurzer Zeit besteht kein Schutz mehr vor Infektionen mit anderen Serotypen.1 Neuerdings sind für das DENV nicht mehr nur vier sondern fünf verschiedene Varianten bekannt. Der fünfte Serotyp trat 2007 bei einem DF-Ausbruch auf Borneo auf und wurde letztes Jahr ret-rospektiv identifiziert (Nikos Vasilakis, per-sönliche Mitteilung).

Bei klinisch apparenten CHIKV-Infektionen (Chikungunya-Fieber) kommt es nach einer Inkubationszeit von zwei bis zwölf Tagen zu einem plötzlichen und schnellen, manch-mal biphasischen Fieberanstieg, zu Kopf-schmerzen, Konjunktivitis, Muskel- und Gelenkbeschwerden. Bisweilen treten ein makulopapulöses (knotig-fleckiges) Exan-them oder eine generalisierte Hautrötung auf. Im Vordergrund steht die meist bilate-rale Gelenksymptomatik, vor allem die Ext-remitäten sind betroffen.1,8 Die Gelenke sind geschwollen und berührungsempfindlich. In mindestens 10 % der Fälle persistieren diese Beschwerden gar über Jahre und entwickeln sich zur chronischen Arthritis.9,10

DiagnostikSowohl beim DF als auch beim Chikun-gunya-Fieber fallen im Labor fast immer und bereits in der Frühphase eine ausge-prägte Thrombozytopenie sowie niedrig-normale Leukozyten bis zur Leukopenie auf. Beim DF kommen oftmals eine erhöhte LDH sowie pathologische Werte der Tran-saminasen als Zeichen einer begleitenden akuten Hepatitis hinzu. Diese Auffälligkei-ten sind jedoch unspezifisch. Deshalb ste-hen für die zweifelsfreie Infektionsdiagnose immunologische und molekularbiologische Parameter zur Verfügung.

Eine frische DENV-Infektion lässt sich im Patientenserum detektieren durch den Nachweis von (Abb. 3):O DENV-RNAO DENV-NS-1-AntigenO DENV-spezifischen IgG- und IgM-Anti-

körpern.

Die drei Parameter lassen sich mit sensitiven und spezifischen Schnelltests bestimmen. Die Diagnose einer akuten Infektion gelingt innerhalb weniger Minuten direkt am Pa- tientenbett. In den ersten drei Wochen nach Krankheitsbeginn sollten prinzipiell alle drei Tests parallel durchgeführt werden, um eine möglichst hohe klinische Sensitivität und Spezifität zu erreichen (Abb. 3).1

Die Diagnostik der CHIKV-Infektion in den ersten Krankheitstagen gelingt über die Detektion viraler RNA mittels Real-Time-RT-PCR.1 IgM- und IgG-Antikörper dage-gen lassen sich erst ab der zweiten Krank-heitswoche zuverlässig nachweisen.

Therapie und PräventionDF-Patienten sollten überwacht werden, bis sich die pathologischen Laborparameter normalisieren. Die Krankenhausaufnahme zum klinischen Management und zur Über-wachung ist in folgenden Fällen indiziert:1

O schweres KrankheitsbildO ausgeprägte ThrombozytopenieO Petechien oder andere Blutungszeichen O hohe Transaminasen.

kommen typischerweise ein stammbetontes Erythem, gelegentlich ein feinfleckiges Exan-them, Übelkeit, gastrointestinale Beschwer-den und Halsschmerzen hinzu. Die akute Krankheitsphase dauert meist fünf bis acht Tage, die vollständige Rekonvaleszenz zieht sich bis zu mehreren Wochen hin.1 Schwere Fälle können hämorrhagisch mit unkontrol-lierbaren Blutungen verlaufen (DFH). DENV-Sekundärinfektionen scheinen aufgrund der Antikörper-vermittelten Steigerung der Infektion häufiger zum DHF zu führen.7

Dengue-Fieber in Deutschland

Abb. 1: Übermittelte Dengue-Fieber-Fälle 2001–2013 in Deutschland Fälle entsprechend der Referenzdefinition des Robert Koch-Instituts (RKI). *Datenstand: 15.01.2014 (www3.rki.de/SurvStat/)

1000

900

800

700

600

500

400

300

200

100

0

20012002

20032004

20052006

20072008

20092010

20112012

2013*

Fälle

Jahr

Abb. 2: Asiatische Tigermücke (Aedes albo-pictus) (Quelle, mod.: BNI, Hamburg)

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Literatur 1 Schmidt-Chanasit J et al: Dtsch Arztebl Int (2012);

109(41):681−692 2 Schmidt-Chanasit J et al: Euro Surveill (2010); 15:19677 3 Becker N et al: Parasitol Res (2013); 112(4):1787−1790 4 Bhatt S et al: Nature (2013); 496(7446):504−507 5 Robert Koch-Institut (RKI). Epidemiologisches Bulletin

(2013); 43:444−445 6 Ross RW: J Hyg (Lond) (1956); 54(2):177−191 7 Guzman MG et al: Arch Virol (2013); 158(7):1445−1459 8 Taubitz W et al: Clin Infect Dis (2007); 45(1):e1−4 9 Burt FJ et al: Lancet (2012); 379(9816):662−671 10 Essackjee K et al: Postgrad Med J (2013);

89(1054):440−447

Serologie

Abb. 3: Verlauf serologischer Parameter bei einer Dengue-Virus-Infektion

0 4 8 16 90-180 0 4 8 16

Fieber Fieber

Ant

ikör

per-

und

Ant

igen

-Tite

r

Tage nach Krankheitsbeginn

Virus RNS

Virus RNS

NS1 NS1

IgG

IgG

IgM

IgM

Erstinfektion Zweitinfektion

Roc

he

Beim Dengue-Fieber beginnt die klinische Symptomatik mit einem ausgeprägten Krankheitsgefühl in der Regel nach einer Inkuba- tionszeit von vier bis sieben Tagen

Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Dr. med. habil. Jonas Schmidt-Chanasit Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin Bernhard-Nocht-Strasse 74 20359 Hamburg [email protected]

Eine kausale Therapie ist nicht verfügbar. Die Substitution von Thrombozyten bleibt in der Regel ohne Einfluss auf den klinischen Verlauf. Insbesondere in den Tropen sollte die Trans-fusion daher nur in den Einzelfällen einer hämorrhagischen Komplikation und/oder bei Thrombozytenzahlen unter 5000/µl erfolgen.

Ein tetravalenter Impfstoff gegen die DENV-Serotypen 1–4 befindet sich in einer fort-geschrittenen Erprobungsphase. Erste Ergebnisse zur Wirksamkeit sind jedoch ernüchternd. Darüber hinaus muss nun auch die Entdeckung des fünften Serotyps bei der Entwicklung bzw. Einführung eines Vakzins Berücksichtigung finden. Deshalb ist mit der Zulassung eines Impfstoffs in den nächsten Jahren nicht zu rechnen.

Die gleiche Situation besteht beim CHIKV: Auch gegen das Chikungunya-Fieber gibt keine spezifische Therapie. Die Behandlung erfolgt unter anderem mit nicht-steroidalen Antirheumatika gegen die Gelenksympto-matik.1 Ebenso wenig existiert ein Impfstoff.

Die immer noch einzige Präventionsmög-lichkeit ist daher der konsequente, ganz-tägige Mückenschutz, zum Beispiel mit Diethyltoluamid-haltigen Repellentien.

Zusammenfassung und FazitO Vor allem mit der Asiatischen Tigermü-

cke hat sich eine invasive Stechmücken-

art in Europa etabliert. Deshalb muss in Europa und z. B. auch in Süddeutschland mit autochthonen Dengue-Virus- und Chikungunya-Virus-Infektionen gerech-net werden.

O Infektionen mit Arboviren haben meist eine Inkubationszeit von weniger als einer Woche. Sie manifestieren sich oft akut mit Fieber, Exanthem oder Gelenk-schmerzen. Reisende in gefährdeten Gebieten bzw. Rückkehrer sind angehal-ten, solche Symptome beim ersten Auftre-ten spezifisch abklären zu lassen. Für die DENV-Infektion besteht in Deutschland eine Meldepflicht an die zuständigen Gesundheitsämter.

O Eine genaue Anamnese ist Voraussetzung für eine schnelle und zielgerichtete Labor-diagnostik. Bei Verdacht auf eine akute DENV-Infektion stehen zur Abklärung zuverlässige Bedside-Tests zur Verfügung.

O Ein konsequenter Mückenschutz stellt die derzeit einzige Präventionsmaß-nahme dar.

O Der öffentliche Gesundheitsdienst und die Blutspendedienste müssen bei autoch-thonen Infektionen Vorsichtmaßnahmen wie z. B. die Testung von Blutkonserven mittels NAT (Nuclein Acid Test) oder Antigen-Assays auf DENV ergreifen, um Infektionsketten zu vermeiden.

O Eine deutschlandweite Virus-Surveillance in Stechmücken kann helfen, potenzielle Infektionsherde frühzeitig zu erkennen und rechtzeitig Bekämpfungsmaßnahmen

zu initiieren. Das Bernhard-Nocht-Insti- tut (BNI) arbeitet hierbei seit dem Jahr 2009 mit der Kommunalen Aktionsge-meinschaft zur Bekämpfung der Schna-kenplage (KABS) zusammen.

*Vektor: Virusübertragender Organismus **Autochtone Infektion: Infektionserkrankung, die in einem Gebiet erworben wurde und nicht durch eine Reise oder einen Transport erkrankter Individuen eingeschleppt wurde.