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Vorlesung im SS 2012
Denken, Sprache und Problemlösen
Assoziationismus, Gestaltpsychologie und Einsichtsprobleme
Prof. Dr. Thomas Goschke
Literaturhinweise
Lehrbuch
Eysenck, M.W. & Keane, M. (2010). Cognitive psychology: A student‘s handbook (6th Ed.). Hove: Psychology Press. [Kapitel 12]
Vertiefung
Funke, J. (2003). Problemlösendes Denken. Stuttgart: Kohlhammer: Seiten 26-29 und 39-56.
3
Wichtige Strömungen der Denkpsychologie
Früher Assoziationismus (19. Jh.)
Introspektionismus (Anfang des 20. Jh.)
Behaviorismus (1910-1950; insb. USA)
Gestaltpsychologie (ab 1920er Jahre)
Informationsverarbeitungsansatz und Kognitive Psychologie (1950 - heute)
Kognitive Neurowissenschaft (1990 – heute)
5
Philosophischer Hintergrund: Assoziationismus
Aristoteles (384-322 v. Chr.)
Denken beruht auf bewussten Vorstellungen
Vorstellungen sind durch Assoziationen verbunden
Gesetze der Assoziationsbildung
Ähnlichkeit
Gegensatz
räumliche oder zeitliche Nähe (Kontiguität)
Denken als Prozess, der auf Übergängen zwischen miteinander assoziierten Ideen beruht
Britischer Empirizismus (Hume; Locke)
Geist als „tabula rasa“: Alles Wissen stammt aus der Erfahrungen
Komplexe Ideen werden durch Assoziationen aus elementaren Ideen aufgebaut
8
David Hume (1711-1767)
John Locke (1632-1704)
Assoziationismus in der Psychologie
Assoziationspsychologie des 19. Jh.
Herbarth; Ebbinghaus; G.E. Müller; Ziehen
Denken als Abfolge von untereinander assoziativ verknüpften Vorstellungen
Behaviorismus (Watson, Skinner):
Führte Assoziationismus fort, leugnete aber die Bedeutung innerer (nicht direkt beobachtbarer) geistiger Vorgänge
Neo-Assoziationismus in der Kognitionspsychologie
Andersons (1983, 1993) ACT-Theorie
Konnektionismus (künstliche neuronale Netze)
9
Radikaler Behaviorismus
Wichtige Vertreter: Thorndyke; Watson; Skinner
Positivistische Wissenschaftsphilosophie
Wissenschaft soll sich nur mit beobachtbaren Entitäten befassen
Nicht direkt beobachtbare mentale Prozesse haben keine Platz in Naturwissenschaften
Gegenstand der Psychologie = beobachtbares Verhalten
Mentale Prozesse (Ziele, Gedanken, Vorstellungen) wurden als überflüssig für Verhaltenserklärung betrachtet
Ziel der Forschung
Analyse gesetzmäßiger Beziehungen zwischen Reizen und Reaktionen
Lernprinzipien, die der Bildung und Änderung von Reiz-Reaktions-Assoziationen zugrunde liegen
Vorhersage und Kontrolle von Verhalten
20
Radikaler Behaviorismus: Der Geist als „black box“
Stimuli Responses
Verhalten als Produkt erlernter Reiz-Reaktions-Assoziationen
22
„Black box“
Behavioristische Analyse des Problemlöseverhaltens
Problem = die stärkste Reaktion führt nicht zum Ziel
Problemlösen beruht auf (a) Anwendung erlernter Reaktionen oder (b) Versuch und Irrtum
Reaktionen, die zu einer Belohnung führen, werden verstärkt; Reaktionen, die zu einer Bestrafung führen, werden abgeschwächt
Graduelle Bildung von Reaktions- bzw. Gewohnheitshierarchien
27
Problemlösen als Versuch-und-Irrtums-Verhalten: Thorndikes Problemkäfig (1898)
Katze im Käfig zeigt verschiedene Reaktionen: Miauen, Kratzen, Fauchen etc.
Zufälliges (!) Ziehen an der Schnur bewirkt, dass sich Tür öffnet
Im Laufe von mehreren Wiederholungen lernt die Katze, sofort die richtige Reaktion auszuführen, um dem Käfig zu entkommen.
28
Edward L. Thorndike (1874 -1949)
Reaktions-Hierarchie
Gestaltpsychologie
Wurzeln in Wahrnehmungspsychologie des 19. Jh. (Organisationsprinzipien der Wahrnehmung)
Gegensatz zur „Elementenpsychologie“: Wahrnehmung und Denken lassen sich nicht auf Assoziationen zwischen elementaren Bewusstseinsinhalten reduzieren
Entscheidend ist die Konfiguration der Elemente („Gestalt“)
„Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“
31
Karl Duncker (1935)
Max Wertheimer
(1964)
Wolfgang Köhler
(1921, 1947)
Gestaltpsychologie: Einsicht und Restrukturierung
Wolfgang Köhlers (1917): Studien zum Problemlösen bei Schimpansen auf der Anthropoidenstation der Preussischen Akademie der Wissenschaften in Teneriffa
33
Intelligenzprüfungen an Anthropoiden (1917) The Mentality of Apes(1925)
Graduelle Änderung von Reaktionshierarchien vs. Problemlösen durch plötzliche Einsicht
35
Schimpanse Sultan („Einsicht“?)
Katze in Thorndykes Problembox („Versuch-und-Irrtum“)
Kommentar des Philosophen Bertrand Russel zur tierexperimentellen Problemlöseforschung
„Die von den Amerikanern untersuchten Tiere laufen rastlos umher, machen sich zu schaffen und mobilisieren dabei eine unglaubliche Menge Energie, um schließlich das gewünschte Resultat rein zufällig zu erreichen.“
„Die von den Deutschen beobachteten Tiere sitzen ruhig da und denken nach, um dann die Lösung der Probleme aus ihrer innersten Tiefe hervorzuziehen.”
(zit. nach G. Celli, Der letzte Alchemist, Stuttgart 1986, S. 82)
37
Gestaltpsychologie: Spontane Restrukturierung von Wahrnehmungsgestalten
Spontane perzeptuelle Umstrukturierung
Simultane Neuinterpretation aller Elemente der Gestalt!
40
Restrukturierung beim Problemlösen
41 nach Wertheimer, 1964
Wie groß ist die Summe der Flächen der beiden Figuren (des Rechtecks und des Parallelogramms)?
Restrukturierung einer Problemrepräsentation
Ist die folgende Zahl durch 9 teilbar?
1.000.000.000.000.000.000.000.008
42
Ein weiteres Beispiel für Re-Repräsentation eines Problems
Der Volksschullehrer Büttner stellte dem etwa 10-jährigen späteren Mathematiker Carl Friedrich Gauß (1777-1855) die Aufgabe, die Zahlen von 1 bis 100 zu summieren
Problem-Restrukturierung (am Beispiel 1+ 2+ ...+ 10)
44
5 x 11 = 55
( analog: 50 x 101 = 5050 )
1 + 2 + 3 + 4 + 5 + 6 + 7 + 8 + 9 + 10
Anwendung gestaltpsychologischer Prinzipien auf die Denkpsychologie
Problem = “unvollständige Gestalt“, die einen inneren „Spannungszustand“ erzeugt, der auf Auflösung drängt
Problemlösen = Transformation einer „unvollständigen“ in eine „gute“ Gestalt
Reproduktives Denken
Wiederverwendung früherer Erfahrungen / erlernter Reaktionen
kann Problemlösen beeinträchtigen „funktionale Fixiertheit“
Produktives Denken
Einsicht durch Restrukturierung und Reorganisation des Problems
Rekombination vorhandener Erfahrungen zu neuer Struktur (Selz, 1922)
Einsicht („Aha-Erlebnis“) (Bühler, 1907) : Plötzliche Restrukturierung (Analogie zur Wahrnehmung: Necker-Würfel)
45
Gestaltpsychologische Forschung zu Einsichtsproblemen
Das Zwei-Seile-Problem (Maier, 1931)
Probanden kamen häufiger auf die Lösung, wenn Versuchsleiter beiläufig ein Seil in Schwingung versetzte
Viele Probanden gaben an, sich des Hinweises nicht bewusst geworden zu sein
Aber: nicht gut kontrolliert
48
Gestaltpsychologische Forschung zu Einsichtsproblemen Das Streichholzproblem
Arrangieren Sie die sechs Streichhölzer so, das sie vier gleichseitige Dreiecke bilden!
51
Funktionale Fixierung: Das 9-Punkte-Problem
Verbinden Sie alle 9 Punkte mit 4 gerade Linien, ohne den Stift zu heben
52
Punkte werden aufgrund von Gestaltgesetzen als Quadrat gruppiert
Führt zur impliziten Annahme, das Linien innerhalb des Quadrats bleiben müssen
Funktionale Fixierung: Das Kerzenproblem (Duncker, 1945)
Befestigen Sie unter Verwendung der auf dem Tisch liegenden Materialen die Kerze an eine Pinnwand
55
Funktionale Fixierung
Funktionale Fixierung = lösungsrelevante Objekte werden nur in ihrer gewohnten Funktion wahrgenommen
Zwei-Seile-Problem: Zange muss als Gewicht für ein Pendel uminterpretiert werden
9-Punkte-Problem: Probanden müssen implizite Annahme überwinden, das Linien innerhalb des Quadrats bleiben müssen
Kerzenproblem: Streichholzschachtel muss als Kerzenhalter uminterpretiert werden
Vorwissen kann sich negativ auswirken, wenn Problemlösung es erfordert, Dinge in neuer o. ungewohnter Funktion zu sehen
56
Funktionale Fixierung: Das Kerzenproblem
German & Defeyter (2000):
Kleine Kinder mit wenig Erfahrung mit Behältern sollten immun gegen funktionale Fixierung sein
5, 6, oder 7-jährigen Kindern wurde Aufgabe ähnliche zu Dunckers Kerzenaufgabe vorgegeben
Vorher wurde eine Box entweder in ihrer Funktion als Behälter oder nicht in dieser Funktion gezeigt
59 Aus: Eysenck & Keane, 2010
Einstellungseffekte („mental set effects“) (Luchins, 1942)
60 Luchins, A.S. (1942). Mechanization in problem solving. Psychological Monographs, 54, 1-95.
Luchins, A.S & Luchins, E.H. (1959). Rigidity of behavior. Eugene, OR: University of Oregon Press.
Wasserumfüllproblem Sie haben drei Krüge mit unterschiedlichem Volumen, einen Wasserhahn und einen Ausguss.
Ihre Aufgabe ist es, ein bestimmtes Wasservolumen abzumessen. Sie dürfen Krüge nach Belieben füllen und wieder ausleeren und Wasser von einem Krug in einen anderen umschütten.
Beispiel:
Krug A: 21 Liter
Krug B: 127 Liter
Krug C: 3 Liter
Wie können Sie 100 Liter abmessen?
Wasserfüllproblem: Lösung
Probleme 1-5 können alle auf die gleiche Weise gelöst werden:
Zielvolumen = B – A – 2C
Probleme 6–9 können auf die gleiche Weise gelöst werden, aber es gibt auch eine einfachere Lösung:
Problem 6 u. 9: A - C
Problem 7 u. 8: A + C
61
Problem A B C Ziel
1
2
3
4
5
6
7
21 127 3
14 163 25
18 43 10
9 42 6
20 59 4
23 49 3
15 39 3
100
99
5
21
31
20
18
8 18 48 4 22
9 14 36 8 6
Wasserfüllproblem: Ergebnisse und Schlussfolgerung
62
0
20
40
60
80
100
120
Einstellung Kontrolle
Gruppe
Komplizierte Lösung
Einfache Lösung
• Versuchspersonen, die erst die Einstellungsprobleme gelöst hatten, verwendeten auch bei einfachen Problemen weiter die komplizierte Lösungsstrategie
• Einstellung (mental set): Tendenz, in der Vergangenheit
erfolgreiche Operationen auf neue Problem zu übertragen, selbst wenn dies suboptimal ist
Gestaltpsychologie Zusammenfassung wichtiger Konzepte
Produktives Denken und Restrukturierung: Dinge auf neue und ungewohnte Weise repräsentieren / verwenden
Problemrepräsentation bestimmt Lösungsansätze und Schwierigkeit des Problems
Restrukturierung der Problemrepräsentation wird (mitunter) als plötzliche Einsicht erlebt
Funktionale Fixierung: Tendenz, Gegenstände in gewohnter Funktion wahrzunehmen, kann Problemlösen beeinträchtigen
Einstellungseffekte: mechanische Anwendung von in der Vergangenheit erfolgreichen Reaktionen kann produktives Problemlösen beeinträchtigen
63
Gewohnheitsbildung vs. produktives Denken
Gewohnheitsbildung
Vorteil: Schnelles Auffinden einer in der Vergangenheit bewährten Lösung
Nachteil: mangelnde Flexibilität und Kreativität beim Umgang mit neuen Aufgaben
64
Einsichtsvolle Umstrukturierung
Vorteil: flexible Anpassung an neue Problemstellungen
Nachteil: Beansprucht Zeit und kognitive Ressourcen
Behavioristen betonten positive Aspekte der Gewohnheitsbildung: durch graduelles Lernen wird Lösungsstrategie für bekannte Probleme erworben
Funktionale Fixierung und Einstellungseffekte zeigen, dass starre Anwendung erlernter Gewohnheiten Problemlösen beeinträchtigen kann
Bewertung der Gestaltpsychologie: Stärken
Demonstration der Grenzen behavioristischer Ansätze (Denken ist nicht einfache Reproduktion erlernter Reaktionen)
Interessante Aufgaben und kreative Versuchsanordnungen
Wichtige empirische Beobachtungen (z.B. Einstellungseffekte, funktionale Fixierung)
Anregende theoretische Konzepte und Metaphern (z.B. Umstrukturierung; Analogie von Reorganisation in der Wahrnehmung und Einsicht beim Denken)
66
Bewertung der Gestaltpsychologie: Schwächen
Wenig präzise theoretische Begrifflichkeit
Unbefriedigende Erklärungsmodelle: Gestaltpsychologische Konzepte beschreiben die zu erklärenden Phänomene, aber die zugrunde liegenden Prozesse werden nicht genauer spezifiziert
Welche Prozesse liegen der Reorganisation einer Problemrepräsentation zugrunde?
Was ist eine „gute Gestalt“?
Welche Bedingungen führen zu Umstrukturierungen?
Wann kommt es zu spontanen Einsichten?
67
Weiterentwicklung gestaltpsychologischer Ansätze
Nach ihrer Blütezeit in den 1920er Jahren kam Gestaltpsychologie mit der Nazi-Diktatur zu einem gewaltsamen Ende Jüdische Kollegen wurden aus den Universitäten entlassen, in die Emigration
gezwungen (Köhler, Wertheimer), im KZ ermordert (Selz) oder begingen Selbstmord (Duncker)
Bis in die 1950er Jahre wurde die (englischsprachige) Psychologie vom Behaviorismus dominiert
Erst im Zuge der „kognitiven Wende“ in den 1950er Jahren wurden Denken und Problemlösen wieder zu Forschungsthemen Denken als Informationsverarbeitung
Reinterpretation gestaltpsychologischer Phänomene
Ansätze zur Integration von Gestaltpsychologie und Assoziationismus (-> konnektionistische Modelle)
68
Reinterpretation gestaltpsychologischer Konzepte im Informationsverarbeitungsansatz
Kaplan & Simon (1990): Schwierigkeit eines Problems hängt davon ab, wie das Problem repräsentiert wird
Inkorrekte oder unvollständige Repräsentation des Ausgangszustands macht Veränderung der Problemrepräsentation notwendig (Ergänzung oder Elaboration)
Einsichtsprobleme erfordern nicht nur Suche durch den Problemraum, sondern Suche nach der richtigen Problemrepräsentation
Kaplan, C. A., & Simon, H. A. (1990). In search of insight. Cognitive Psychology, 22, 373–419.
Reinterpretation gestaltpsychologischer Phänomene im IVA
Das unvollständige Schachbrett
Können die 62 verbleibenden Felder durch 31 Dominosteine, die jeweils zwei benachbarte Felder überdecken, vollständig bedeckt werden?
Kaplan, C. A., & Simon, H. A. (1990). In search of insight. Cognitive Psychology, 22, 373–419.
Reinterpretation gestaltpsychologischer Phänomene im IVA Das unvollständige Schachbrett
Warum ist das Problem schwierig?
Analyse des lauten Denkens zeigte, dass die meisten Personen zunächst beginnen, im Geiste Felder mit Dominosteinen abzudecken
Diese Problemrepräsentation führt zu einem Problemraum mit riesiger Anzahl (758.148) möglicher Zustände
Der lösungsrelevante Aspekt des Problems wird nicht gesehen
Lösung erfordert eine Re-Repräsentation des Problems
Zugrunde liegende Struktur des Problems muss entdeckt werden
Dominostein muss als Objekt repräsentiert werden, dass ein weißes und ein schwarzes Feld abdeckt
Schachbrett muss als eines repräsentiert werden, bei dem zwei schwarze Felder fehlen
Ohlssons (1992) Einsichtstheorie
Langzeitgedächtnis Vorwissen Regeln Operatoren
Arbeitsgedächtnis Aktuelle Problemrepräsentation Abgerufene Operatoren Aktiviertes Wissen
Abruf
Aktivierungs- ausbreitung
Ohlsson, S. (1992). In M. Keane & K. Gilhooly (Eds.), Advances in the psychology
of thinking (p.1-44). London: Harvester-Wheatsheaf.
Aktuelle Problemrepräsentation im Arbeitsgedächtnis aktivier assoziierte Informationen/Operatoren im Langzeitgedächtnis
Ohlssons (1992) Einsichtstheorie
Abruf geeigneter Operatoren
Hinderliches Vorwissen oder mangelnde Enkodierung relevanter Problemaspekte
Unangemessene Repräsentation des Ausgangs- oder Zielzustands
Abruf von ungeeigneten Problemlöseoperatoren aus dem Langzeitgedächtnis
„Sackgasse“
Veränderung der Problemrepräsentation
(a) Elaboration: Hinzufügen neuer Information
(b) Constraint relaxation: Lockerung von Randbedingungen
(c) Rekodierung: neue Kategorisierung von Problemelementen
Ausbrechen aus Sackgasse wird als plötzliche Einsicht („Aha“-Erlebnis) wahrgenommen
Ohlsson, S. (1992). In M. Keane & K. Gilhooly (Eds.), Advances in the psychology of thinking (p.1-44). London: Harvester-Wheatsheaf.
Ohlssons (1992) Einsichtstheorie Lockerung von Randbedingungen (constraint relaxation)
Vorwissen Erwartungen darüber, welche Aspekte der Problemsituation veränderlich und welche konstant sind
Vorwissen über ähnliche Probleme bestimmt Problemrepräsentation
Lockerung von Randbedingungen
Problemaspekte, die als konstant oder unveränderlich betrachtet werden, werden plötzlich als variabel und veränderlich interpretiert
Kann zur Aktivierung geeigneter Operatoren führen
Empirische Überprüfung von Ohlssons Einsichtstheorie Lockerung von Randbedingungen
Streichholzarithmetik: Verschieben Sie einen einzigen Streichholz, so dass sich eine korrekte Gleichung ergibt!
Arithmetisches Vorwissen führt dazu, dass die Operatoren als konstant und die Zahlenwerte als variabel repräsentiert werden
Knoblich, G., Ohlsson, S., Haider, H., & Rhenius, D. (1999). Constraint relaxation and chunk decomposition in insight problem solving. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 25, 1534–1555.
Empirische Überprüfung von Ohlssons Einsichtstheorie
Lockerung von Randbedingungen
Knoblich et al. (1999). Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory & Cognition, 25, 1534-1555.
Ohlssons Einsichtstheorie
Chunk-Dekomposition
Vertraute Reizkonfigurationen sind als Einheiten („chunks“) im Gedächtnis gespeichert
Passt eine Reizkonfiguration zu einem gespeicherten Chunk, wird sie als Instanz des Chunks repräsentiert
Bei der Enkodierung eines Problems werden Chunks aktiviert, die bei der Lösung ähnlicher Probleme nützlich waren
Dies kann die Problemlösung behindern, wenn Chunks in ihre Komponenten zerlegt und die Komponenten neu konfiguriert werden müssen
Empirische Überprüfung von Ohlssons Einsichtstheorie
Chunk-Dekomposition
Problem C: Zerlegung von Chunk „X“ in „\“ und „/“ ist schwierig, weil die Bestandteile für sich bedeutungslos sind und ein integriertes Symbol (X) in Bestandteile zerlegt werden muß
III = III = III
I / \ I V
Problem A Problem B Problem C
Problem A: Zerlegung von Chunk „IV“ in „I“ und „V“ ist einfach, weil die Bestandteile selbst bedeutungshaltige Symbole sind
VI = III + III VI = III + III
Problem B: Lockerung von Randbedingungen
Empirische Überprüfung von Ohlssons Einsichtstheorie
Chunk-Dekomposition: Empirische Ergebnisse
0
20
40
60
80
100
120
A B C
% Personen,
die Problem lösten
Problem
Knoblich et al. (1999). Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition.
Empirische Überprüfung von Ohlssons Einsichtstheorie Blickbewegungen und Aufmerksamkeitsverlagerungen
Blickbewegungsmessung liefert Informationen darüber, welche Aufgabenelemente beachtet werden
Fixationsdauer = wie lange Information im Arbeitsgedächtnis verarbeitet wird (Just & Carpenter, 1976)
Fixationszeiten für verschiedene Aufgabenelemente in verschiedenen Phasen des Problemlösens geben Aufschluss über Verlagerungen des Aufmerksamkeitsfokus
Knoblich, G., Ohlsson, S., & Raney, G. E. (2001). An eye movement study of insight problem solving. Memory & Cognition, 29, 1000-1009.
Empirische Überprüfung von Ohlssons Einsichtstheorie
Chunk-Dekomposition
Problem B: Lockerung der Randbedingung, dass Operatoren nicht verändert werden können, sollte sich in Verlagerung der Aufmerksamkeit vom Ergebnis und den Operanden zu den Operatoren zeigen
Problem C: Dekomposition des Chunks „X“ sollte sich in Verlagerung der Aufmerksamkeit auf diesen Chunk zeigen
Diese Aufmerksamkeitsverlagerungen sollten bei erfolgreichen Problemlösern ausgeprägter sein als bei erfolglosen Problemlösern
VI = III + III VI = III + III III = III = III
I / \ I V
Problem A Problem B Problem C
Fixationszeiten für unterschiedliche Aufgabenaspekte in drei Phasen der Problemlösung
Problem B: Lockerung von Randbedingungen
Erfolgreiche Problemlösern verlagern Aufmerksamkeit von den Zahlen zu den Operatoren => Lockerung der Randbedingung, dass Operatoren konstant sind
Fixationszeiten für unterschiedliche Aufgabenaspekte in drei Phasen der Problemlösung
Erfolgreiche Problemlöser verlagern Aufmerksamkeit von den Operanden zum
Ergebnis => Dekomposition des „starren“ Chunks „X“
Problem C: Chunk-Dekomposition
Schlussfolgerungen
Prozesse, die zur Veränderung der Problemrepräsentation führen, manifestieren sich in Verlagerung der Aufmerksamkeit auf lösungsrelevante Problemelemente
Aufmerksamkeitsverlagerungen zeigen sich in den Blickbewegungen, aber nicht im subjektiven Gefühl, der Lösung näher zu kommen
Dies könnte scheinbar plötzliches „Aha-Erlebnis“ erklären
Überblick
Reinterpretation gestaltpsychologischer Phänomene
Ohlssons Einsichtstheorie
Experimentelle Untersuchungen zu Einsichtsproblemen
Unbewusste Lösungshinweise bei Einsichtsproblemen
Unbewusste Lösungshinweise bei Einsichtsproblemen
Dass eine Lösung plötzlich bewusst wird („Aha“-Erlebnis) bedeutet nicht, dass der zugrunde liegende Lösungsprozess ebenfalls diskontinuierlich ist
Aha-Erlebnisse könnten das Ergebnis der unbewussten Aktivierung lösungsrelevanter Gedächtnisinhalte sein
Unbemerkte Lösungshinweise beeinflussen Problemlöseprozess (Mayer, 1931; Schunn & Dunbar, 1996; Knoblich & Wartenberg, 1998)
Annäherung an die Problemlösung geht mit kumulativer unterschwelliger Aktivierung lösungsrelevanter Gedächtnisinhalte einher (Bolte, Goschke & Kuhl, in press; Bowers et al., 1990; Bowden & Beeman, 1998).
Unbewusste Lösungshinweise bei Einsichtsproblemen
Maier (1931): Personen häufiger auf Lösung des Zwei-Seile-Problems, wenn der VL das Seil „versehentlich“ in Schwingung versetzte (dies galt auch für Problemlöser, die angaben, den Hinweis nicht als solchen erkannt zu haben)
Knoblich et al. (1998): Neuere Studie zu unbemerkten Lösungshinweisen
Streichholz-Arithmetik-Probleme
35 Probanden arbeiteten 2 Minuten ohne Lösungshinweise an einem Streichholz-Problem
Danach begann eine Priming-Prozedur, die jede Minute wiederholt wurde (max. 6 mal)
Experimentalgruppe: Unterschwellige und maskierte Darbietung eines Lösungshinweises
Kontrollgruppe: nur die Maske wurde dargeboten
Knoblich, G. & Wartenberg, F. (1998). Unbemerkte Lösungshinweise erleichtern Repräsentationswechsel beim Problemlösen. Zeitschrift für Psychologie, 206, 207-234
Primingprozedur
Tonsignal!
748 msec IV = III - I
316 msec IV = III - I
IV = III - I 316 msec
IV = III - I 748 msec
IV = III - I 316 msec
IV = III - I 748 msec
IV = III - I 316 msec
IV = III - I 748 msec
IV = III - I 996 msec
IV = III - I 316 msec
IV - III - I 17 msec Lösungshinweis
IV = III = I 17 msec Lösungshinweis
Ergebnisse für Probleme, die eine Lockerung von Randbedingungen erfordern
0
10
20
30
40
50
60
70
80
Ku
mu
liert
e p
rozen
tuale
Lö
su
ng
sh
äu
fig
keit
Start 1. Min 2. Min P1 P2 P3 P4 P5
Nur-Maske
Priming
„Plötzliche“ Einsicht als Ergebnis der Kumulation unbewusst aktivierter Gedächtnisinhalte
Wie spontan sind spontane Einsichten?
Beruhen scheinbar „plötzliche“ Einsichten auf der kumulativen unbewussten Aktivierung von problemrelevanten Gedächtnisinhalten?
„Plötzliche“ Einsicht als Ergebnis der Kumulation unbewusst aktivierter Gedächtnisinhalte
Den Vpn wurden nacheinander 15 Hinweisworte dargeboten, die alle mit dem gleichen Lösungswort assoziiert waren
Die Vp sollte nach jedem Hinweiswort ein Wort generieren, das möglichst mit allen Worten der Liste assoziiert ist
Wenn die Vp meinte, das Lösungswort gefunden zu haben, sollte sie dies anzeigen
Bowers, K.S., Regehr, G., Balthazard, C & Parker, K. (1990). Intuition in the context of discovery. Cognitive Psychology, 22, 72-110.
Produkt
Meter
Schachtel
Ecke
Schädel
Plan
Mathematik
Vier
Latschen
Häuserblock
Kasten
Dreieck
Quadrat
„Plötzliche“ Einsicht als Ergebnis der Kumulation unbewusst aktivierter Gedächtnisinhalte
Von jeder Vp wurden vier generierte Worte aus vier Zeitintervallen während der Problemlösung ausgewählt:
Das allererste Wort
zwei Worte aus mittleren Intervallen
Das Wort, das unmittelbar vor der Lösung generiert wurde
Unabhängige Rater schätzten ein, wie eng diese Worte mit dem korrekten Lösungswort assoziiert waren
Bowers, K.S., Regehr, G., Balthazard, C & Parker, K. (1990). Intuition
in the context of discovery. Cognitive Psychology, 22, 72-110.
Ergebnisse
Die von den Vpn generierten Worte waren zunehmend enger mit dem Lösungswort assoziiert
Was subjektiv als plötzlicher Einfall erschien, war das Ergebnis eines graduellen Prozesses: kumulative Aktivierung lösungsrelevanter Inhalte im Gedächtnis
2
3
4
5
6
1 2 3 4
Zeitintervall während der
Problemlösung
Mittle
res A
sso
ziie
rth
eitsra
tin
g
„Plötzliche“ Einsicht als Ergebnis der kumulativen Aktivierung relevanter Gedächtnisinhalte
Zeit
Nähe zur Lösung
Bewusstes Erleben
(Einsicht; „Aha“)
Unbewusste graduelle
Akumulation von
Evidenz
Neuronale Korrelate der Lösung von Einsichtsproblemen
Kanarienvogel
Seiten
Butter
Mit welchem vierten Wort sind alle drei semantisch assoziiert?
Remote associates test (Mednick & Mednick, 1967)
Neuronale Korrelate der Lösung von Einsichtsproblemen
Messung der Hirnaktivität mit fMRT
Vergleich der Hirnaktivität bei Problemlösungen mit vs. ohne „Aha“-Erlebnis
Ergebnisse von Jung-Beeman et al. (2004)
(a) Region im rechten anterioren superioren Temporalkortex zeigte höhere Aktivierung bei Problemen, die mit “Einsicht” gelöst wurden
(b) Signalveränderung nach Einsichts- und Nicht-Einsichtslösungen in der (b) linken und (c) rechten Hemisphäre
(d) Differenz der Signal-verändungerungen in (c)
Wichtige Konzepte der heutigen Vorlesung
Problemlösen als Versuchs-und-Irrtums-Lernen
Produktives Denken
Restrukturierung und Re-Repräsentation von Problemen
Funktionale Fixierung
Einstellungseffekte
Lockerung von Randbedingungen
Unbewusste Aktivierung von lösungsrelevanten Informationen
Neuronale Korrelate einsichtsvollen Problemlösens
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