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28. Januar 2016 439 WEITERBAUEN DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER Creating Happiness in Moskau WOWHAUS Das Querformat für Architekten

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Page 1: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

28 Januar 2016

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WEITERBAUENDENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Creating Happiness

in Moskau

WOWHAUS

Das Querformat fuumlr Architekten

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Titel Schusterbauernhaus in Muumlnchen von Peter Haimerl Foto

Edward Beierle fuumlr Euroboden

Oben Umbau von dvvt Rot Ellenberg Foto Filip Dujardin

BauNetz Media GmbH

Geschaumlftsfuumlhrer Juumlrgen Paul

Creative Director Stephan Burkoff

Chefredaktion Jeanette Kunsmann

Texte Luise Rellensmann Katharina Sommer Nadin Heinich

Gestaltung Artdirektion Natascha Schuler

7 Umbauen weiterbauen Denkmalschutz ohne Denkmalpfleger

Beton statt Kitsch Peter Haimerl Denkmalschutz ohne Denkmalpfleger Walter Angonese Love Context dvvt Komplexer Pragamatismus Brandlhuber + Emde Burlon

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Denkmalpfleger und Architekten stehen sich oft unversoumlhnlich gegenuumlberdabei stirbt Stararchitektur langsam aus und Rem Koolhaas sieht denDenkmalschutz auf der Uumlberholspur Sind beide Professionen wirklich Gegner

22 Tipp

24 Bild der Woche

3 Architekturwoche

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Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen Wahrscheinlich haben Skidmore Owings amp Merrill genau aus diesem Grund ihre neue 3D-gedruckte Superstruktur letzte Woche auf der International Buildersrsquo Show in Las Vegas zum ersten Mal der Oumlffentlichkeit praumlsentiert ndash mit fast zwoumllf Metern Laumlnge und vier Metern Houmlhe ist es weltweit das bisher groumlszligte Element aus dem 3D-Drucker Damit nicht genug es produziert auch noch Strom In Zusammenarbeit mit Energylsquos Oak Ridge National Laboratory haben SOM einen dynamisch-organisch geformten Pavillon entwickelt dessen Fassade an uumlberdimensionale Kiemen erinnert Das macht Angst Warum muss Architektur aus dem Drucker so aussehen als waumlre sie nicht von dieser Welt

FREITAG

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Die Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf 20 Architekturjahre blickt auf den Schaffens-prozess der Architekten Dieter Henke Marta Schreieck Ruumldiger Lainer Walter Stelzhammer und Albert Wimmer zuruumlck und stellt diese in Bezug zueinander Die Wiener Architekten hatten ihren Zugang zur Architektur bereits im Jahr 1995 in der Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf praumlsentiert und nehmen ihre Arbeit nun erneut in den Blick Viel hat sich seither getan und veraumlndert Die Kuratoren Heidi Pretterhofer und Dieter Spath interessierte bei dieser vergleichenden Ruumlckschau besonders die Frage wie bestimmte Themen und Haltungen von Projekt zu Projekt weitergetragen und veraumlndert wurden Bis 3 Maumlrz 2016 Aedes Architekturforumwwwaedes-arcde

EIN RAUM FUumlR FUumlNF AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Einrichtung kann viel uumlber einen Menschen aussagen vielleicht manch-mal mehr als ein Portraumlt Wohnraumlume sind die Inszenierung unseres privaten Alltags und spiegeln uns und unsere un-terschiedlichen Lebensabschnitte wider Die Ausstellung Aufschlussreiche RaumlumeInterieur als Portraumlt zeigt Arbeiten ver-schiedener Kuumlnstler die Bewohner an-hand ihrer Einrichtung portraumltieren Raumgreifende Installationen Gemaumllde Zeichnungen Fotografien und Videos erlauben den Einblick in verschiedenste Wohn- und Arbeitsraumlume teils auch in die der Kuumlnstler selbst 31 Januar bis 24 April 2016 Museum Morsbroich

wwwmuseum-morsbroichde

Die Ausstellungsreihe Room in Room ruumlckt den Raum in den Fokus und be-wegt sich zwischen Architektur und ar-chitekturaffiner Kunst Initiiert wurde sie von der Kuumlnstlerin Susanne Schuricht und dem Architekten Karsten Schubert die in ihrer aktuellen Ausstellung den norwegischen Kuumlnstler Oslashystein Aasan vorstellen Gezeigt werden zwei Wand-arbeiten aus der Serie bdquoTrueldquo (2015) und die Skulptur bdquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSldquo (2014) fuumlr die sich Aasan vom Tor eines Shintō-Schreins in-spirieren lieszlig 29 Januar bis 20 Februar 2016 Gruumlntuch Ernst Lab eh Juumldische Maumldchenschule

wwwmaedchenschuleorg

INTERIEUR ALS PORTRAumlTAUSSTELLUNG IN LEVERKUSEN

OslashYSTEIN AASAN AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Berliner Architekten Bruno Fioretti Marquez haben fuumlr die Neuen Meister-haumluser in Dessau den DAM Preis fuumlr Ar-chitektur in Deutschland 2015 erhalten Die Jury entschied sich damit fuumlr ein viel diskutiertes Projekt deren Architekten sich bewusst fuumlr eine abstrahierte Wie-dergabe und gegen eine originalgetreue Rekonstruktion entschieden hattenNeben den Gewinnern praumlsentiert die Ausstellung 21 weitere Bauten in und aus Deutschland die von Wohn- uumlber Kulturbauten bis hin zu Gedenkstaumltten einen breiten Querschnitt der aktuellen deutschen Baukultur zeigen 30 Januar bis 8 Mai 2016 Deutsches Architektur-museum

wwwdam-onlinede

22 BESTE BAUTEN AUSSTELLUNG IN FRANKFURT

RLP Ruumldiger Lainer + Partner Wika NOuml St Poumllten (A) 2005 Foto copy Gert Walden

Stiftung Bauhaus Dessau Neue Meisterhaumluser 2014 Bruno Fioretti Marquez Foto copy Christoph Rokitta

Ralph Schulz 02112010 Bornstraszlige 2010 C-Print 120 times 159 cm Foto copy Ralph Schulz

Oslashystein Aasan ldquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSrdquo 2014 Installationsansicht Box Freiraum Foto Jens Ziehe

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Gerne blicken wir bei der Frage nach gu-ter Architektur zu unseren Nachbarn in die Schweiz Dort sucht der Kanton Zuuml-rich aktuell nach herausragenden Bau-ten fuumlr den Architekturpreis 2016 Der Preis wird in diesem Jahr zum fuumlnften Mal vergeben und widmet sich der Fra-ge nach dem richtigen Maszlig fuumlr Mensch und Kontext Zum Thema bdquoMaszligstaumlb-lichkeitldquo koumlnnen Bauten eingereicht werden die im Kanton Zuumlrich zwischen 2013 und 2015 vollendet wurden Zu-dem wird ein Sonderpreis fuumlr Projekte vergeben die Brandschutzkonzepte und gute Architektur zu vereinen vermoumlgen Der Upload der Arbeiten ist noch bis 11 Maumlrz 2016 2400 Uhr moumlglich

wwwarchitekturpreisch

ARCHITEKTURPREIS AUSSCHREIBUNG IM KANTON ZUumlRICH

Ein groszliger Park und zwei Bildungsbau-ten an seinem Eingang sollen den herun-tergekommenen Osten von Torrelavega aufwerten Die Stadt mit dem klangvol-len Namen ist ein wichtiges Industrie- und Wirtschaftszentrum der autonomen Region Kantabrien an der Nordkuumlste Spaniens Das Ausbildungszentrum nach Plaumlnen der ortsansaumlssigen 1004 arquitec-tos richtet sich an Erwachsene im ange-gliederten Spielhaus wird eine Kinderbe-treuung angeboten Hinter den filigran gefassten Glasfassaden der zeichenhaften Baukoumlrper schimmert die Betonstruktur durch Doch nicht nur die aumluszligere Um-fassung sondern auch die Klassenraumlume sind vollstaumlndig verglast So entstehen mannigfache Blickbeziehungen die nur durch Vorhaumlnge unterbrochen werden wwwbaunetzwissendeGlas

GLAumlSERN IN TORRELAVEGAOBJEKTE IM BAUNETZ WISSEN

Die Lage dieser Privatresidenz am Hang eines zerkluumlfteten Felshuumlgels ndash knapp oberhalb der Waldkante und des Tals ndash ist geradezu filmreif Doch nicht nur die atemberaubende Kulisse des belieb-ten neuseelaumlndischen Wander- und Aus-flugsgebiets beeindruckt Das abgelegene Wohnhaus schafft es sich in den einzig-artigen Kontext einzubinden und doch als eigenstaumlndige und zeitgemaumlszlige Archi-tektur wahrgenommen zu werden Rost sei Dank Als Baumaterialien verwende-ten Herbst Architects Holz und korro-diertes Stahlblech beides Werkstoffe die in der Region oft verbaut werden und dem hohen Nachhaltigkeitsanspruch der Bauherren genuumlgten die sich houmlchstper-soumlnlich um das Heranschaffen der Mate-rialien kuumlmmertenwwwdesignlinesde

ROST ON THE ROCKS PROJEKTE BEI DESIGNLINES

Foto Lance Herbst Foto Miguel de Guzmaacuten

Stand 15 Juli 2015Stand 23September 2015Stand 15 Juli 2015

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Stand 26 Januar 2016

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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG

DIE STADT DER ZUKUNFT ndashGIBT ES DIE IDEALE STADT

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE

Das Thema bdquoStadt der Zukunftldquo wird international zunehmend diskutiert Was macht eineStadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert und welche Beitraumlge kann Architekturleisten 280 geladene Architekten und Meinungsbildner anderer Fachrichtungen interes-sierten sich im Rahmen der GROHE trends thesen typologien Dialoge im Kunstmuseum inStuttgart fuumlr die Antworten renommierter Architekten

In bdquoDIE STADT DER ZUKUNFT ndash GIBT ES DIE IDEALE STADTldquo gewaumlhren wir einen Einblick in die thematische Zusammenfassung der Vortraumlge sowie in die Interviews mit denreferierenden Architekten und dem Vorstandsvorsitzenden eines der fuumlhrenden Beratungs-und Planungsgesellschaften in der nationalen und internationalen Immobilienbranche zudieser Frage

Die vollstaumlndige Dokumentation inklusive der Zusammenfassung des Events sowie der Interviews der Protagonisten koumlnnen Sie hier herunterladen oder als gedrucktes Exemplar unter architekturgrohecom anfordern

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

bdquoARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EINldquo

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

bdquoDIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHAumlFTIGEN MUumlSSENldquo

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

bdquoES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFT EINER STADTDASS VERAumlNDERUNGEN MOumlGLICH SIND UND DASS SIENICHT FERTIG IST SONDERN IMMER VERWANDLUNGS-FAumlHIG BLEIBTldquo

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES amp SOMMER AG

bdquoICH BIN UumlBERZEUGT DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -UumlBERGREIFENDE STADT SEIN WIRDldquo

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WEITERBAUEN

Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 2: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Titel Schusterbauernhaus in Muumlnchen von Peter Haimerl Foto

Edward Beierle fuumlr Euroboden

Oben Umbau von dvvt Rot Ellenberg Foto Filip Dujardin

BauNetz Media GmbH

Geschaumlftsfuumlhrer Juumlrgen Paul

Creative Director Stephan Burkoff

Chefredaktion Jeanette Kunsmann

Texte Luise Rellensmann Katharina Sommer Nadin Heinich

Gestaltung Artdirektion Natascha Schuler

7 Umbauen weiterbauen Denkmalschutz ohne Denkmalpfleger

Beton statt Kitsch Peter Haimerl Denkmalschutz ohne Denkmalpfleger Walter Angonese Love Context dvvt Komplexer Pragamatismus Brandlhuber + Emde Burlon

DIESE WOCHE

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Denkmalpfleger und Architekten stehen sich oft unversoumlhnlich gegenuumlberdabei stirbt Stararchitektur langsam aus und Rem Koolhaas sieht denDenkmalschutz auf der Uumlberholspur Sind beide Professionen wirklich Gegner

22 Tipp

24 Bild der Woche

3 Architekturwoche

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Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen Wahrscheinlich haben Skidmore Owings amp Merrill genau aus diesem Grund ihre neue 3D-gedruckte Superstruktur letzte Woche auf der International Buildersrsquo Show in Las Vegas zum ersten Mal der Oumlffentlichkeit praumlsentiert ndash mit fast zwoumllf Metern Laumlnge und vier Metern Houmlhe ist es weltweit das bisher groumlszligte Element aus dem 3D-Drucker Damit nicht genug es produziert auch noch Strom In Zusammenarbeit mit Energylsquos Oak Ridge National Laboratory haben SOM einen dynamisch-organisch geformten Pavillon entwickelt dessen Fassade an uumlberdimensionale Kiemen erinnert Das macht Angst Warum muss Architektur aus dem Drucker so aussehen als waumlre sie nicht von dieser Welt

FREITAG

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copy Skidmore Owings amp Merrill

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Die Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf 20 Architekturjahre blickt auf den Schaffens-prozess der Architekten Dieter Henke Marta Schreieck Ruumldiger Lainer Walter Stelzhammer und Albert Wimmer zuruumlck und stellt diese in Bezug zueinander Die Wiener Architekten hatten ihren Zugang zur Architektur bereits im Jahr 1995 in der Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf praumlsentiert und nehmen ihre Arbeit nun erneut in den Blick Viel hat sich seither getan und veraumlndert Die Kuratoren Heidi Pretterhofer und Dieter Spath interessierte bei dieser vergleichenden Ruumlckschau besonders die Frage wie bestimmte Themen und Haltungen von Projekt zu Projekt weitergetragen und veraumlndert wurden Bis 3 Maumlrz 2016 Aedes Architekturforumwwwaedes-arcde

EIN RAUM FUumlR FUumlNF AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Einrichtung kann viel uumlber einen Menschen aussagen vielleicht manch-mal mehr als ein Portraumlt Wohnraumlume sind die Inszenierung unseres privaten Alltags und spiegeln uns und unsere un-terschiedlichen Lebensabschnitte wider Die Ausstellung Aufschlussreiche RaumlumeInterieur als Portraumlt zeigt Arbeiten ver-schiedener Kuumlnstler die Bewohner an-hand ihrer Einrichtung portraumltieren Raumgreifende Installationen Gemaumllde Zeichnungen Fotografien und Videos erlauben den Einblick in verschiedenste Wohn- und Arbeitsraumlume teils auch in die der Kuumlnstler selbst 31 Januar bis 24 April 2016 Museum Morsbroich

wwwmuseum-morsbroichde

Die Ausstellungsreihe Room in Room ruumlckt den Raum in den Fokus und be-wegt sich zwischen Architektur und ar-chitekturaffiner Kunst Initiiert wurde sie von der Kuumlnstlerin Susanne Schuricht und dem Architekten Karsten Schubert die in ihrer aktuellen Ausstellung den norwegischen Kuumlnstler Oslashystein Aasan vorstellen Gezeigt werden zwei Wand-arbeiten aus der Serie bdquoTrueldquo (2015) und die Skulptur bdquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSldquo (2014) fuumlr die sich Aasan vom Tor eines Shintō-Schreins in-spirieren lieszlig 29 Januar bis 20 Februar 2016 Gruumlntuch Ernst Lab eh Juumldische Maumldchenschule

wwwmaedchenschuleorg

INTERIEUR ALS PORTRAumlTAUSSTELLUNG IN LEVERKUSEN

OslashYSTEIN AASAN AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Berliner Architekten Bruno Fioretti Marquez haben fuumlr die Neuen Meister-haumluser in Dessau den DAM Preis fuumlr Ar-chitektur in Deutschland 2015 erhalten Die Jury entschied sich damit fuumlr ein viel diskutiertes Projekt deren Architekten sich bewusst fuumlr eine abstrahierte Wie-dergabe und gegen eine originalgetreue Rekonstruktion entschieden hattenNeben den Gewinnern praumlsentiert die Ausstellung 21 weitere Bauten in und aus Deutschland die von Wohn- uumlber Kulturbauten bis hin zu Gedenkstaumltten einen breiten Querschnitt der aktuellen deutschen Baukultur zeigen 30 Januar bis 8 Mai 2016 Deutsches Architektur-museum

wwwdam-onlinede

22 BESTE BAUTEN AUSSTELLUNG IN FRANKFURT

RLP Ruumldiger Lainer + Partner Wika NOuml St Poumllten (A) 2005 Foto copy Gert Walden

Stiftung Bauhaus Dessau Neue Meisterhaumluser 2014 Bruno Fioretti Marquez Foto copy Christoph Rokitta

Ralph Schulz 02112010 Bornstraszlige 2010 C-Print 120 times 159 cm Foto copy Ralph Schulz

Oslashystein Aasan ldquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSrdquo 2014 Installationsansicht Box Freiraum Foto Jens Ziehe

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Gerne blicken wir bei der Frage nach gu-ter Architektur zu unseren Nachbarn in die Schweiz Dort sucht der Kanton Zuuml-rich aktuell nach herausragenden Bau-ten fuumlr den Architekturpreis 2016 Der Preis wird in diesem Jahr zum fuumlnften Mal vergeben und widmet sich der Fra-ge nach dem richtigen Maszlig fuumlr Mensch und Kontext Zum Thema bdquoMaszligstaumlb-lichkeitldquo koumlnnen Bauten eingereicht werden die im Kanton Zuumlrich zwischen 2013 und 2015 vollendet wurden Zu-dem wird ein Sonderpreis fuumlr Projekte vergeben die Brandschutzkonzepte und gute Architektur zu vereinen vermoumlgen Der Upload der Arbeiten ist noch bis 11 Maumlrz 2016 2400 Uhr moumlglich

wwwarchitekturpreisch

ARCHITEKTURPREIS AUSSCHREIBUNG IM KANTON ZUumlRICH

Ein groszliger Park und zwei Bildungsbau-ten an seinem Eingang sollen den herun-tergekommenen Osten von Torrelavega aufwerten Die Stadt mit dem klangvol-len Namen ist ein wichtiges Industrie- und Wirtschaftszentrum der autonomen Region Kantabrien an der Nordkuumlste Spaniens Das Ausbildungszentrum nach Plaumlnen der ortsansaumlssigen 1004 arquitec-tos richtet sich an Erwachsene im ange-gliederten Spielhaus wird eine Kinderbe-treuung angeboten Hinter den filigran gefassten Glasfassaden der zeichenhaften Baukoumlrper schimmert die Betonstruktur durch Doch nicht nur die aumluszligere Um-fassung sondern auch die Klassenraumlume sind vollstaumlndig verglast So entstehen mannigfache Blickbeziehungen die nur durch Vorhaumlnge unterbrochen werden wwwbaunetzwissendeGlas

GLAumlSERN IN TORRELAVEGAOBJEKTE IM BAUNETZ WISSEN

Die Lage dieser Privatresidenz am Hang eines zerkluumlfteten Felshuumlgels ndash knapp oberhalb der Waldkante und des Tals ndash ist geradezu filmreif Doch nicht nur die atemberaubende Kulisse des belieb-ten neuseelaumlndischen Wander- und Aus-flugsgebiets beeindruckt Das abgelegene Wohnhaus schafft es sich in den einzig-artigen Kontext einzubinden und doch als eigenstaumlndige und zeitgemaumlszlige Archi-tektur wahrgenommen zu werden Rost sei Dank Als Baumaterialien verwende-ten Herbst Architects Holz und korro-diertes Stahlblech beides Werkstoffe die in der Region oft verbaut werden und dem hohen Nachhaltigkeitsanspruch der Bauherren genuumlgten die sich houmlchstper-soumlnlich um das Heranschaffen der Mate-rialien kuumlmmertenwwwdesignlinesde

ROST ON THE ROCKS PROJEKTE BEI DESIGNLINES

Foto Lance Herbst Foto Miguel de Guzmaacuten

Stand 15 Juli 2015Stand 23September 2015Stand 15 Juli 2015

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Stand 26 Januar 2016

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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG

DIE STADT DER ZUKUNFT ndashGIBT ES DIE IDEALE STADT

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE

Das Thema bdquoStadt der Zukunftldquo wird international zunehmend diskutiert Was macht eineStadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert und welche Beitraumlge kann Architekturleisten 280 geladene Architekten und Meinungsbildner anderer Fachrichtungen interes-sierten sich im Rahmen der GROHE trends thesen typologien Dialoge im Kunstmuseum inStuttgart fuumlr die Antworten renommierter Architekten

In bdquoDIE STADT DER ZUKUNFT ndash GIBT ES DIE IDEALE STADTldquo gewaumlhren wir einen Einblick in die thematische Zusammenfassung der Vortraumlge sowie in die Interviews mit denreferierenden Architekten und dem Vorstandsvorsitzenden eines der fuumlhrenden Beratungs-und Planungsgesellschaften in der nationalen und internationalen Immobilienbranche zudieser Frage

Die vollstaumlndige Dokumentation inklusive der Zusammenfassung des Events sowie der Interviews der Protagonisten koumlnnen Sie hier herunterladen oder als gedrucktes Exemplar unter architekturgrohecom anfordern

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

bdquoARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EINldquo

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

bdquoDIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHAumlFTIGEN MUumlSSENldquo

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

bdquoES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFT EINER STADTDASS VERAumlNDERUNGEN MOumlGLICH SIND UND DASS SIENICHT FERTIG IST SONDERN IMMER VERWANDLUNGS-FAumlHIG BLEIBTldquo

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES amp SOMMER AG

bdquoICH BIN UumlBERZEUGT DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -UumlBERGREIFENDE STADT SEIN WIRDldquo

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Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 3: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen Wahrscheinlich haben Skidmore Owings amp Merrill genau aus diesem Grund ihre neue 3D-gedruckte Superstruktur letzte Woche auf der International Buildersrsquo Show in Las Vegas zum ersten Mal der Oumlffentlichkeit praumlsentiert ndash mit fast zwoumllf Metern Laumlnge und vier Metern Houmlhe ist es weltweit das bisher groumlszligte Element aus dem 3D-Drucker Damit nicht genug es produziert auch noch Strom In Zusammenarbeit mit Energylsquos Oak Ridge National Laboratory haben SOM einen dynamisch-organisch geformten Pavillon entwickelt dessen Fassade an uumlberdimensionale Kiemen erinnert Das macht Angst Warum muss Architektur aus dem Drucker so aussehen als waumlre sie nicht von dieser Welt

FREITAG

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Die Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf 20 Architekturjahre blickt auf den Schaffens-prozess der Architekten Dieter Henke Marta Schreieck Ruumldiger Lainer Walter Stelzhammer und Albert Wimmer zuruumlck und stellt diese in Bezug zueinander Die Wiener Architekten hatten ihren Zugang zur Architektur bereits im Jahr 1995 in der Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf praumlsentiert und nehmen ihre Arbeit nun erneut in den Blick Viel hat sich seither getan und veraumlndert Die Kuratoren Heidi Pretterhofer und Dieter Spath interessierte bei dieser vergleichenden Ruumlckschau besonders die Frage wie bestimmte Themen und Haltungen von Projekt zu Projekt weitergetragen und veraumlndert wurden Bis 3 Maumlrz 2016 Aedes Architekturforumwwwaedes-arcde

EIN RAUM FUumlR FUumlNF AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Einrichtung kann viel uumlber einen Menschen aussagen vielleicht manch-mal mehr als ein Portraumlt Wohnraumlume sind die Inszenierung unseres privaten Alltags und spiegeln uns und unsere un-terschiedlichen Lebensabschnitte wider Die Ausstellung Aufschlussreiche RaumlumeInterieur als Portraumlt zeigt Arbeiten ver-schiedener Kuumlnstler die Bewohner an-hand ihrer Einrichtung portraumltieren Raumgreifende Installationen Gemaumllde Zeichnungen Fotografien und Videos erlauben den Einblick in verschiedenste Wohn- und Arbeitsraumlume teils auch in die der Kuumlnstler selbst 31 Januar bis 24 April 2016 Museum Morsbroich

wwwmuseum-morsbroichde

Die Ausstellungsreihe Room in Room ruumlckt den Raum in den Fokus und be-wegt sich zwischen Architektur und ar-chitekturaffiner Kunst Initiiert wurde sie von der Kuumlnstlerin Susanne Schuricht und dem Architekten Karsten Schubert die in ihrer aktuellen Ausstellung den norwegischen Kuumlnstler Oslashystein Aasan vorstellen Gezeigt werden zwei Wand-arbeiten aus der Serie bdquoTrueldquo (2015) und die Skulptur bdquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSldquo (2014) fuumlr die sich Aasan vom Tor eines Shintō-Schreins in-spirieren lieszlig 29 Januar bis 20 Februar 2016 Gruumlntuch Ernst Lab eh Juumldische Maumldchenschule

wwwmaedchenschuleorg

INTERIEUR ALS PORTRAumlTAUSSTELLUNG IN LEVERKUSEN

OslashYSTEIN AASAN AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Berliner Architekten Bruno Fioretti Marquez haben fuumlr die Neuen Meister-haumluser in Dessau den DAM Preis fuumlr Ar-chitektur in Deutschland 2015 erhalten Die Jury entschied sich damit fuumlr ein viel diskutiertes Projekt deren Architekten sich bewusst fuumlr eine abstrahierte Wie-dergabe und gegen eine originalgetreue Rekonstruktion entschieden hattenNeben den Gewinnern praumlsentiert die Ausstellung 21 weitere Bauten in und aus Deutschland die von Wohn- uumlber Kulturbauten bis hin zu Gedenkstaumltten einen breiten Querschnitt der aktuellen deutschen Baukultur zeigen 30 Januar bis 8 Mai 2016 Deutsches Architektur-museum

wwwdam-onlinede

22 BESTE BAUTEN AUSSTELLUNG IN FRANKFURT

RLP Ruumldiger Lainer + Partner Wika NOuml St Poumllten (A) 2005 Foto copy Gert Walden

Stiftung Bauhaus Dessau Neue Meisterhaumluser 2014 Bruno Fioretti Marquez Foto copy Christoph Rokitta

Ralph Schulz 02112010 Bornstraszlige 2010 C-Print 120 times 159 cm Foto copy Ralph Schulz

Oslashystein Aasan ldquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSrdquo 2014 Installationsansicht Box Freiraum Foto Jens Ziehe

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NEWS

Gerne blicken wir bei der Frage nach gu-ter Architektur zu unseren Nachbarn in die Schweiz Dort sucht der Kanton Zuuml-rich aktuell nach herausragenden Bau-ten fuumlr den Architekturpreis 2016 Der Preis wird in diesem Jahr zum fuumlnften Mal vergeben und widmet sich der Fra-ge nach dem richtigen Maszlig fuumlr Mensch und Kontext Zum Thema bdquoMaszligstaumlb-lichkeitldquo koumlnnen Bauten eingereicht werden die im Kanton Zuumlrich zwischen 2013 und 2015 vollendet wurden Zu-dem wird ein Sonderpreis fuumlr Projekte vergeben die Brandschutzkonzepte und gute Architektur zu vereinen vermoumlgen Der Upload der Arbeiten ist noch bis 11 Maumlrz 2016 2400 Uhr moumlglich

wwwarchitekturpreisch

ARCHITEKTURPREIS AUSSCHREIBUNG IM KANTON ZUumlRICH

Ein groszliger Park und zwei Bildungsbau-ten an seinem Eingang sollen den herun-tergekommenen Osten von Torrelavega aufwerten Die Stadt mit dem klangvol-len Namen ist ein wichtiges Industrie- und Wirtschaftszentrum der autonomen Region Kantabrien an der Nordkuumlste Spaniens Das Ausbildungszentrum nach Plaumlnen der ortsansaumlssigen 1004 arquitec-tos richtet sich an Erwachsene im ange-gliederten Spielhaus wird eine Kinderbe-treuung angeboten Hinter den filigran gefassten Glasfassaden der zeichenhaften Baukoumlrper schimmert die Betonstruktur durch Doch nicht nur die aumluszligere Um-fassung sondern auch die Klassenraumlume sind vollstaumlndig verglast So entstehen mannigfache Blickbeziehungen die nur durch Vorhaumlnge unterbrochen werden wwwbaunetzwissendeGlas

GLAumlSERN IN TORRELAVEGAOBJEKTE IM BAUNETZ WISSEN

Die Lage dieser Privatresidenz am Hang eines zerkluumlfteten Felshuumlgels ndash knapp oberhalb der Waldkante und des Tals ndash ist geradezu filmreif Doch nicht nur die atemberaubende Kulisse des belieb-ten neuseelaumlndischen Wander- und Aus-flugsgebiets beeindruckt Das abgelegene Wohnhaus schafft es sich in den einzig-artigen Kontext einzubinden und doch als eigenstaumlndige und zeitgemaumlszlige Archi-tektur wahrgenommen zu werden Rost sei Dank Als Baumaterialien verwende-ten Herbst Architects Holz und korro-diertes Stahlblech beides Werkstoffe die in der Region oft verbaut werden und dem hohen Nachhaltigkeitsanspruch der Bauherren genuumlgten die sich houmlchstper-soumlnlich um das Heranschaffen der Mate-rialien kuumlmmertenwwwdesignlinesde

ROST ON THE ROCKS PROJEKTE BEI DESIGNLINES

Foto Lance Herbst Foto Miguel de Guzmaacuten

Stand 15 Juli 2015Stand 23September 2015Stand 15 Juli 2015

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Stand 26 Januar 2016

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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG

DIE STADT DER ZUKUNFT ndashGIBT ES DIE IDEALE STADT

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE

Das Thema bdquoStadt der Zukunftldquo wird international zunehmend diskutiert Was macht eineStadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert und welche Beitraumlge kann Architekturleisten 280 geladene Architekten und Meinungsbildner anderer Fachrichtungen interes-sierten sich im Rahmen der GROHE trends thesen typologien Dialoge im Kunstmuseum inStuttgart fuumlr die Antworten renommierter Architekten

In bdquoDIE STADT DER ZUKUNFT ndash GIBT ES DIE IDEALE STADTldquo gewaumlhren wir einen Einblick in die thematische Zusammenfassung der Vortraumlge sowie in die Interviews mit denreferierenden Architekten und dem Vorstandsvorsitzenden eines der fuumlhrenden Beratungs-und Planungsgesellschaften in der nationalen und internationalen Immobilienbranche zudieser Frage

Die vollstaumlndige Dokumentation inklusive der Zusammenfassung des Events sowie der Interviews der Protagonisten koumlnnen Sie hier herunterladen oder als gedrucktes Exemplar unter architekturgrohecom anfordern

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

bdquoARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EINldquo

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

bdquoDIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHAumlFTIGEN MUumlSSENldquo

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

bdquoES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFT EINER STADTDASS VERAumlNDERUNGEN MOumlGLICH SIND UND DASS SIENICHT FERTIG IST SONDERN IMMER VERWANDLUNGS-FAumlHIG BLEIBTldquo

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES amp SOMMER AG

bdquoICH BIN UumlBERZEUGT DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -UumlBERGREIFENDE STADT SEIN WIRDldquo

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WEITERBAUEN

Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 4: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Die Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf 20 Architekturjahre blickt auf den Schaffens-prozess der Architekten Dieter Henke Marta Schreieck Ruumldiger Lainer Walter Stelzhammer und Albert Wimmer zuruumlck und stellt diese in Bezug zueinander Die Wiener Architekten hatten ihren Zugang zur Architektur bereits im Jahr 1995 in der Ausstellung Ein Raum fuumlr Fuumlnf praumlsentiert und nehmen ihre Arbeit nun erneut in den Blick Viel hat sich seither getan und veraumlndert Die Kuratoren Heidi Pretterhofer und Dieter Spath interessierte bei dieser vergleichenden Ruumlckschau besonders die Frage wie bestimmte Themen und Haltungen von Projekt zu Projekt weitergetragen und veraumlndert wurden Bis 3 Maumlrz 2016 Aedes Architekturforumwwwaedes-arcde

EIN RAUM FUumlR FUumlNF AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Einrichtung kann viel uumlber einen Menschen aussagen vielleicht manch-mal mehr als ein Portraumlt Wohnraumlume sind die Inszenierung unseres privaten Alltags und spiegeln uns und unsere un-terschiedlichen Lebensabschnitte wider Die Ausstellung Aufschlussreiche RaumlumeInterieur als Portraumlt zeigt Arbeiten ver-schiedener Kuumlnstler die Bewohner an-hand ihrer Einrichtung portraumltieren Raumgreifende Installationen Gemaumllde Zeichnungen Fotografien und Videos erlauben den Einblick in verschiedenste Wohn- und Arbeitsraumlume teils auch in die der Kuumlnstler selbst 31 Januar bis 24 April 2016 Museum Morsbroich

wwwmuseum-morsbroichde

Die Ausstellungsreihe Room in Room ruumlckt den Raum in den Fokus und be-wegt sich zwischen Architektur und ar-chitekturaffiner Kunst Initiiert wurde sie von der Kuumlnstlerin Susanne Schuricht und dem Architekten Karsten Schubert die in ihrer aktuellen Ausstellung den norwegischen Kuumlnstler Oslashystein Aasan vorstellen Gezeigt werden zwei Wand-arbeiten aus der Serie bdquoTrueldquo (2015) und die Skulptur bdquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSldquo (2014) fuumlr die sich Aasan vom Tor eines Shintō-Schreins in-spirieren lieszlig 29 Januar bis 20 Februar 2016 Gruumlntuch Ernst Lab eh Juumldische Maumldchenschule

wwwmaedchenschuleorg

INTERIEUR ALS PORTRAumlTAUSSTELLUNG IN LEVERKUSEN

OslashYSTEIN AASAN AUSSTELLUNG IN BERLIN

Die Berliner Architekten Bruno Fioretti Marquez haben fuumlr die Neuen Meister-haumluser in Dessau den DAM Preis fuumlr Ar-chitektur in Deutschland 2015 erhalten Die Jury entschied sich damit fuumlr ein viel diskutiertes Projekt deren Architekten sich bewusst fuumlr eine abstrahierte Wie-dergabe und gegen eine originalgetreue Rekonstruktion entschieden hattenNeben den Gewinnern praumlsentiert die Ausstellung 21 weitere Bauten in und aus Deutschland die von Wohn- uumlber Kulturbauten bis hin zu Gedenkstaumltten einen breiten Querschnitt der aktuellen deutschen Baukultur zeigen 30 Januar bis 8 Mai 2016 Deutsches Architektur-museum

wwwdam-onlinede

22 BESTE BAUTEN AUSSTELLUNG IN FRANKFURT

RLP Ruumldiger Lainer + Partner Wika NOuml St Poumllten (A) 2005 Foto copy Gert Walden

Stiftung Bauhaus Dessau Neue Meisterhaumluser 2014 Bruno Fioretti Marquez Foto copy Christoph Rokitta

Ralph Schulz 02112010 Bornstraszlige 2010 C-Print 120 times 159 cm Foto copy Ralph Schulz

Oslashystein Aasan ldquoGATES IN (NOT) SO MANY WORDSrdquo 2014 Installationsansicht Box Freiraum Foto Jens Ziehe

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Gerne blicken wir bei der Frage nach gu-ter Architektur zu unseren Nachbarn in die Schweiz Dort sucht der Kanton Zuuml-rich aktuell nach herausragenden Bau-ten fuumlr den Architekturpreis 2016 Der Preis wird in diesem Jahr zum fuumlnften Mal vergeben und widmet sich der Fra-ge nach dem richtigen Maszlig fuumlr Mensch und Kontext Zum Thema bdquoMaszligstaumlb-lichkeitldquo koumlnnen Bauten eingereicht werden die im Kanton Zuumlrich zwischen 2013 und 2015 vollendet wurden Zu-dem wird ein Sonderpreis fuumlr Projekte vergeben die Brandschutzkonzepte und gute Architektur zu vereinen vermoumlgen Der Upload der Arbeiten ist noch bis 11 Maumlrz 2016 2400 Uhr moumlglich

wwwarchitekturpreisch

ARCHITEKTURPREIS AUSSCHREIBUNG IM KANTON ZUumlRICH

Ein groszliger Park und zwei Bildungsbau-ten an seinem Eingang sollen den herun-tergekommenen Osten von Torrelavega aufwerten Die Stadt mit dem klangvol-len Namen ist ein wichtiges Industrie- und Wirtschaftszentrum der autonomen Region Kantabrien an der Nordkuumlste Spaniens Das Ausbildungszentrum nach Plaumlnen der ortsansaumlssigen 1004 arquitec-tos richtet sich an Erwachsene im ange-gliederten Spielhaus wird eine Kinderbe-treuung angeboten Hinter den filigran gefassten Glasfassaden der zeichenhaften Baukoumlrper schimmert die Betonstruktur durch Doch nicht nur die aumluszligere Um-fassung sondern auch die Klassenraumlume sind vollstaumlndig verglast So entstehen mannigfache Blickbeziehungen die nur durch Vorhaumlnge unterbrochen werden wwwbaunetzwissendeGlas

GLAumlSERN IN TORRELAVEGAOBJEKTE IM BAUNETZ WISSEN

Die Lage dieser Privatresidenz am Hang eines zerkluumlfteten Felshuumlgels ndash knapp oberhalb der Waldkante und des Tals ndash ist geradezu filmreif Doch nicht nur die atemberaubende Kulisse des belieb-ten neuseelaumlndischen Wander- und Aus-flugsgebiets beeindruckt Das abgelegene Wohnhaus schafft es sich in den einzig-artigen Kontext einzubinden und doch als eigenstaumlndige und zeitgemaumlszlige Archi-tektur wahrgenommen zu werden Rost sei Dank Als Baumaterialien verwende-ten Herbst Architects Holz und korro-diertes Stahlblech beides Werkstoffe die in der Region oft verbaut werden und dem hohen Nachhaltigkeitsanspruch der Bauherren genuumlgten die sich houmlchstper-soumlnlich um das Heranschaffen der Mate-rialien kuumlmmertenwwwdesignlinesde

ROST ON THE ROCKS PROJEKTE BEI DESIGNLINES

Foto Lance Herbst Foto Miguel de Guzmaacuten

Stand 15 Juli 2015Stand 23September 2015Stand 15 Juli 2015

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Stand 26 Januar 2016

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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG

DIE STADT DER ZUKUNFT ndashGIBT ES DIE IDEALE STADT

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE

Das Thema bdquoStadt der Zukunftldquo wird international zunehmend diskutiert Was macht eineStadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert und welche Beitraumlge kann Architekturleisten 280 geladene Architekten und Meinungsbildner anderer Fachrichtungen interes-sierten sich im Rahmen der GROHE trends thesen typologien Dialoge im Kunstmuseum inStuttgart fuumlr die Antworten renommierter Architekten

In bdquoDIE STADT DER ZUKUNFT ndash GIBT ES DIE IDEALE STADTldquo gewaumlhren wir einen Einblick in die thematische Zusammenfassung der Vortraumlge sowie in die Interviews mit denreferierenden Architekten und dem Vorstandsvorsitzenden eines der fuumlhrenden Beratungs-und Planungsgesellschaften in der nationalen und internationalen Immobilienbranche zudieser Frage

Die vollstaumlndige Dokumentation inklusive der Zusammenfassung des Events sowie der Interviews der Protagonisten koumlnnen Sie hier herunterladen oder als gedrucktes Exemplar unter architekturgrohecom anfordern

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

bdquoARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EINldquo

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

bdquoDIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHAumlFTIGEN MUumlSSENldquo

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

bdquoES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFT EINER STADTDASS VERAumlNDERUNGEN MOumlGLICH SIND UND DASS SIENICHT FERTIG IST SONDERN IMMER VERWANDLUNGS-FAumlHIG BLEIBTldquo

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES amp SOMMER AG

bdquoICH BIN UumlBERZEUGT DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -UumlBERGREIFENDE STADT SEIN WIRDldquo

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WEITERBAUEN

Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 5: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Gerne blicken wir bei der Frage nach gu-ter Architektur zu unseren Nachbarn in die Schweiz Dort sucht der Kanton Zuuml-rich aktuell nach herausragenden Bau-ten fuumlr den Architekturpreis 2016 Der Preis wird in diesem Jahr zum fuumlnften Mal vergeben und widmet sich der Fra-ge nach dem richtigen Maszlig fuumlr Mensch und Kontext Zum Thema bdquoMaszligstaumlb-lichkeitldquo koumlnnen Bauten eingereicht werden die im Kanton Zuumlrich zwischen 2013 und 2015 vollendet wurden Zu-dem wird ein Sonderpreis fuumlr Projekte vergeben die Brandschutzkonzepte und gute Architektur zu vereinen vermoumlgen Der Upload der Arbeiten ist noch bis 11 Maumlrz 2016 2400 Uhr moumlglich

wwwarchitekturpreisch

ARCHITEKTURPREIS AUSSCHREIBUNG IM KANTON ZUumlRICH

Ein groszliger Park und zwei Bildungsbau-ten an seinem Eingang sollen den herun-tergekommenen Osten von Torrelavega aufwerten Die Stadt mit dem klangvol-len Namen ist ein wichtiges Industrie- und Wirtschaftszentrum der autonomen Region Kantabrien an der Nordkuumlste Spaniens Das Ausbildungszentrum nach Plaumlnen der ortsansaumlssigen 1004 arquitec-tos richtet sich an Erwachsene im ange-gliederten Spielhaus wird eine Kinderbe-treuung angeboten Hinter den filigran gefassten Glasfassaden der zeichenhaften Baukoumlrper schimmert die Betonstruktur durch Doch nicht nur die aumluszligere Um-fassung sondern auch die Klassenraumlume sind vollstaumlndig verglast So entstehen mannigfache Blickbeziehungen die nur durch Vorhaumlnge unterbrochen werden wwwbaunetzwissendeGlas

GLAumlSERN IN TORRELAVEGAOBJEKTE IM BAUNETZ WISSEN

Die Lage dieser Privatresidenz am Hang eines zerkluumlfteten Felshuumlgels ndash knapp oberhalb der Waldkante und des Tals ndash ist geradezu filmreif Doch nicht nur die atemberaubende Kulisse des belieb-ten neuseelaumlndischen Wander- und Aus-flugsgebiets beeindruckt Das abgelegene Wohnhaus schafft es sich in den einzig-artigen Kontext einzubinden und doch als eigenstaumlndige und zeitgemaumlszlige Archi-tektur wahrgenommen zu werden Rost sei Dank Als Baumaterialien verwende-ten Herbst Architects Holz und korro-diertes Stahlblech beides Werkstoffe die in der Region oft verbaut werden und dem hohen Nachhaltigkeitsanspruch der Bauherren genuumlgten die sich houmlchstper-soumlnlich um das Heranschaffen der Mate-rialien kuumlmmertenwwwdesignlinesde

ROST ON THE ROCKS PROJEKTE BEI DESIGNLINES

Foto Lance Herbst Foto Miguel de Guzmaacuten

Stand 15 Juli 2015Stand 23September 2015Stand 15 Juli 2015

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Stand 26 Januar 2016

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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG

DIE STADT DER ZUKUNFT ndashGIBT ES DIE IDEALE STADT

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE

Das Thema bdquoStadt der Zukunftldquo wird international zunehmend diskutiert Was macht eineStadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert und welche Beitraumlge kann Architekturleisten 280 geladene Architekten und Meinungsbildner anderer Fachrichtungen interes-sierten sich im Rahmen der GROHE trends thesen typologien Dialoge im Kunstmuseum inStuttgart fuumlr die Antworten renommierter Architekten

In bdquoDIE STADT DER ZUKUNFT ndash GIBT ES DIE IDEALE STADTldquo gewaumlhren wir einen Einblick in die thematische Zusammenfassung der Vortraumlge sowie in die Interviews mit denreferierenden Architekten und dem Vorstandsvorsitzenden eines der fuumlhrenden Beratungs-und Planungsgesellschaften in der nationalen und internationalen Immobilienbranche zudieser Frage

Die vollstaumlndige Dokumentation inklusive der Zusammenfassung des Events sowie der Interviews der Protagonisten koumlnnen Sie hier herunterladen oder als gedrucktes Exemplar unter architekturgrohecom anfordern

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

bdquoARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EINldquo

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

bdquoDIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHAumlFTIGEN MUumlSSENldquo

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

bdquoES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFT EINER STADTDASS VERAumlNDERUNGEN MOumlGLICH SIND UND DASS SIENICHT FERTIG IST SONDERN IMMER VERWANDLUNGS-FAumlHIG BLEIBTldquo

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES amp SOMMER AG

bdquoICH BIN UumlBERZEUGT DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -UumlBERGREIFENDE STADT SEIN WIRDldquo

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WEITERBAUEN

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WEITERBAUEN

Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 6: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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WAS SIND DIE AUFGABEN EINER ZUKUNFTSWEISENDEN STADTENTWICKLUNG

DIE STADT DER ZUKUNFT ndashGIBT ES DIE IDEALE STADT

trends thesen typologienDie Dialogreihe von GROHE

Das Thema bdquoStadt der Zukunftldquo wird international zunehmend diskutiert Was macht eineStadt mit Blick in Richtung Zukunft lebenswert und welche Beitraumlge kann Architekturleisten 280 geladene Architekten und Meinungsbildner anderer Fachrichtungen interes-sierten sich im Rahmen der GROHE trends thesen typologien Dialoge im Kunstmuseum inStuttgart fuumlr die Antworten renommierter Architekten

In bdquoDIE STADT DER ZUKUNFT ndash GIBT ES DIE IDEALE STADTldquo gewaumlhren wir einen Einblick in die thematische Zusammenfassung der Vortraumlge sowie in die Interviews mit denreferierenden Architekten und dem Vorstandsvorsitzenden eines der fuumlhrenden Beratungs-und Planungsgesellschaften in der nationalen und internationalen Immobilienbranche zudieser Frage

Die vollstaumlndige Dokumentation inklusive der Zusammenfassung des Events sowie der Interviews der Protagonisten koumlnnen Sie hier herunterladen oder als gedrucktes Exemplar unter architekturgrohecom anfordern

EIKE BECKEREIKE BECKER_ARCHITEKTEN

bdquoARCHITEKTEN SIND IN SO EINER ENTSCHEIDENDEN POSITION ABER SIE MISCHEN SICH ZU WENIG EINldquo

DANIEL NIGGLIEM2N ARCHITEKTEN AG

bdquoDIE FRAGE NACH EINER AUSGEWOGENENSOZIALEN BALANCE IN DER STADT WIRDUNS BESCHAumlFTIGEN MUumlSSENldquo

CHRISTOPH LAMMERHUBERPOOL ARCHITEKTUR ZT GMBH

bdquoES IST EINE ESSENTIELLE EIGENSCHAFT EINER STADTDASS VERAumlNDERUNGEN MOumlGLICH SIND UND DASS SIENICHT FERTIG IST SONDERN IMMER VERWANDLUNGS-FAumlHIG BLEIBTldquo

PETER TZESCHLOCKVORSTANDSVORSITZENDER DER DREES amp SOMMER AG

bdquoICH BIN UumlBERZEUGT DASS DIE STADT DER ZUKUNFT EINE GENERATIONS -UumlBERGREIFENDE STADT SEIN WIRDldquo

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WEITERBAUEN

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WEITERBAUEN

Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 7: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 8: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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WEITERBAUEN

Fuumlr immer mehr Architekten ist ein verantwortungsvoller Umgang mit Be-stand auch jenseits der Dogmen und Vorgaben der Denkmalpflege selbst-verstaumlndlich Houmlchste Zeit dem gegenseitigen Feindbild auf den Grund zu gehen und am Ende vielleicht zu dem Fazit zu gelangen dass Denk-malpflege und Architektur in einem produktiven Konflikt zur progressiven Kunstform werden koumlnnen

VON LUISE RELLENSMANN

DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMAFoto Yuri Palmin

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 9: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Seit sich Rem Koolhaas nach kompletter Ablehnung in den 90ern (bdquoFuck Contextldquo) mit der Denkmalpflege befasst ist das Thema auch fuumlr andere Architekten attraktiver geworden In nur zwei Saumltzen fasste der Rotterdamer Architekt 2004 in einer Rede an der Columbia die Geschichte und den heutigen Stand der Denkmalpflege zusam-men bdquo() we started looking at the interval or the distance between the present and what was preserved In 1818 that was 2000 years In 1900 it was only 200 years And now near the 1960s it became twenty years We are living in an incredibly ex-citing and slightly absurd moment namely that preservation is overtaking us Maybe we can be the first to actually experience the moment that preservation is no longer a retroactive activity but becomes a prospective activityrdquo

Manch ein Architekt mag das als boumlse Prophezeiung empfinden Thomas Burlon Partner bei Brandlhuber + Emde Burlon jedoch meint bdquoJeder Bestand sollte ei-nem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werdenldquo Das Buumlro baut vielfach im Bestand denkmalgeschuumltzt sind dabei nur die wenigsten der Bauten Hinter der Erhaltung des zumeist juumlngeren Bauerbes ndash etwa einer Naumlhfabrik aus den 80er Jahren oder einer Bauruine aus dem Jahr 2000 ndash steckt das Prinzip eines bdquokom-plexen Pragmatismusldquo Darunter verstehen die Architekten die Weiterverwertung grauer Energie aber auch das Freilegen von Geschichten und gesellschaftlichen Dimensionen Ein Groszligteil ihrer Projekte setzt sich mit fuumlr Investoren uninteressanter Baumasse auseinander die gleichzeitig Zeugnis unserer kapitalistischen Verwer-tungslogik ist

Nachhaltiges Bauen in Form von stetigem Weiterbauen das mit einer Ablagerung von Zeitschichten einhergeht gab es schon immer und ist baugeschichtlich belegt Abgerissen wurde erst im Laufe des 19 Jahrhunderts im Nachklang und in der Eu-phorie der industriellen Revolution Der Muumlnchner Architekt Peter Haimerl ist davon uumlberzeugt dass heutige Neubauten in ihrer Qualitaumlt kaum an den Bestand wie etwa barocke Buumlrgerhaumluser aus dem 17 Jahrhundert heranreichen von denen er viele in Bayern umgebaut hat Dabei betreibt er das Gegenteil eines romantischen Heimat-schutzes sein Projekt Birg mich Cilli (2010) ist eine radikale Transformation eines nicht-denkmalgeschuumltzten Bauernhauses das er durch das Einfuumlgen von Betonku-ben erhalten konnte Ein Beispiel das der italienische Architekt Walter Angonese als bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo beschreiben wuumlrde Er hat selbst in der Suumldtiroler Denkmalpflege gearbeitet und zahlreiche Bestandsbauten von Weinkelte-

reien bis hin zu Schloumlssern und Festungen weitergebaut Derzeit baut der in Mendri-sio lehrende Architekturprofessor auch an nicht geschuumltztem Baubestand weiter

Dass auch bisher nicht architekturgeschichtlich beschriebene Gebaumlude als Kontext beruumlcksichtigt und erhalten werden koumlnnen demonstrieren die Genter Architekten de vylder vinck taillieu Die Belgier beziehen sich in ihren Projekten vielfach auf die in der zweiten Haumllfte des 20Jahrhunderts entstandene teils surreal wirkende Eigenheimarchitektur ihres Heimatlandes und wuumlrdigen damit eine baukulturelle Zeit-schicht die bisher kunsthistorisch nicht als relevant betrachtet wurde Sie erkennen die gesellschaftlichen Dimensionen ndash schlieszliglich sind die Haumluser Zeugnis liberaler belgischer Stadtplanung und verschiedenster Lebensstile Ein intellektueller Ansatz in der Architektur der vielleicht missverstanden werden koumlnnte sich aber auch in aktuellen Diskursen einer sozialorientierten Denkmaltheorie wiederfindet

Garage Museum of Contemporary ArtMoskau Gorky Park Umbau von OMA

Fotos Yuri Palmin

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 10: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Zuruumlck zu Rem Koolhaas Mit dem Garage Museum of Contemporary Art im Moskau-er Gorky Park erhielt er ein anonymes Ausflugsrestaurant dessen Architekt zunaumlchst unbekannt war Das Gebaumlude hatte rund 20 Jahre leer gestanden Ein Haus wie die-ses koumlnne man heute gar nicht mehr bauen bemerkte er kuumlrzlich in seinem Vortrag an der Technischen Universitaumlt Berlin Ein anonymes sozialistisches Wandbild lieszlig er vorsichtig wie ein antikes Mosaik restaurieren in seiner fast archaumlologischen Fortset-zungsarchitektur thematisiert er die Konstruktion des Bestandgebaumludes aus Beton-fertigteilen bdquoWir als Architekten koumlnnen dazu beitragen zu entscheiden was transfor-miert und was beibehalten werden sollldquo sagte er auszligerdem in seinem Vortrag Dazu passt dass die GSAPP vergangenes Jahre eine Publikation mit fuumlnf scharfen Thesen aus Aussagen Koolhaaslsquo zur Denkmalpflege veroumlffentlichte Das Denkmalpflegeinsti-tut der Columbia Universitiy vertritt die Haltung dass Denkmalpflege eine progressi-ve Kunstform sein kann so wie es Koolhaas in seinem Moskauer Projekt und die im Folgenden vorgestellten Protagonisten demonstrieren

Egal ob in Bayern Berlin Belgien oder Suumldtirol die vorgestellten Positionen zeigen die Facetten einer Richtung in der Architektur und bestaumltigen dass ein selbstbe-wusster Umgang mit Bausubstanz oft interessanter ist als vermeintliche Original-zustaumlnde wiederhergestellter Denkmale Anders als die Auseinandersetzung mit Brandschutz EnEV oder haustechnischen Anlagen ist die Denkmalpflege immer noch ein Teil der Architektur der als kuumlnstlerischer Akt begriffen werden kann Einig-keit herrscht daruumlber dass ein Dialog auf Augenhoumlhe zwischen Denkmalpflege und Architektur in Zukunft weitere Potentiale auf dem Gebiet Bauen im Bestand freiset-zen kann

Das anonyme sozialistische Wandbild wurde wie ein antikes Mosaik restauriert Garage Museum of Contemporary Art Moskau Gorky Park Umbau von OMA Foto Yuri Palmin

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 11: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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BETON STATT KITSCHMIT SEINEN TRANSFORMATIONEN KATAPULTIERT PETER HAIMERL HISTORISCHEN BESTAND IN DIE NEUZEIT

Ab wann ist Architektur Denkmalpflege Seit seinem Projekt Birg mich Cilli einem Bauernhaus aus dem fruumlhen 19 Jahrhundert das er mit dem Einfuumlgen von Beton-kuben konservierte und vor dem Verfall rettete ist Peter Haimerl dafuumlr bekannt in seinen Umbauprojekten kontrastreiche Bezuumlge zwischen Alt und Neu herzustellen Seine architektonischen Maszlignahmen sieht er dabei vor allem als denkmalpflegeri-schen Akt bdquoBei unseren Projekten ist fast alles Denkmalpflege das ist schwer zu trennenldquo so der Muumlnchner Architekt

Sein juumlngstes Projekt ist der Umbau des denkmalgeschuumltzten Schusterbauernhau-ses im Muumlnchner Stadtteil Alt-Riem Haimerl hat eine moderne Raumintervention aus Beton Holz und Filz jenseits von romantischem Landhaus-Chic in den Bestand aus dem 18 Jahrhundert eingefuumlgt ndash eine Transformation die den historischen Bau gewissermaszligen in die Neuzeit katapultiert bdquoWas ich nicht will ist ein heimeliges und kitschiges Denkmalldquo Er schaumltzt die Bruumlche Zeitablagerungen oder Beschaumldigun-gen die fuumlr ihn offene Stellen sind die es erlauben das Denkmal weiterzuentwickeln Seine Herangehensweise schafft Dialoge zwischen Alt und Neu ohne dabei didak-tisch zu werden

Eine Art Vermittlungsarbeit ist hingegen die konzeptionelle Fotoserie mit der die Kuumlnstlerin Jutta Goumlrlich und der Fotograf Edward Beierle stets Haimerls Projekte begleiten Die inszenierten Fotos entstehen in verschiedenen Baustellenphasen des Transformationsprozesses dokumentieren diesen und verknuumlpfen ihn mit Geschich-ten der Gebaumludebiographie

Waumlhrend Gegenwart und Geschichte in Haimerls Projekten hervorragend korres-pondieren sieht der Architekt im Dialog zwischen Denkmalpflegern und Architekten noch unausgeschoumlpftes Potential bdquoArchitekten koumlnnten viel mehr einbringen was das Neuinterpretieren des Baubestands angeht gleichzeitig haben Denkmalpfleger ein groszliges geschichtliches und strukturelles Knowhow von dem auch Architekten viel lernen koumlnnenldquo Den gegenseitigen Umgang haumllt er auf beiden Seiten fuumlr ver-besserungswuumlrdig bdquoDenkmalpfleger und Architekten sehen sich oft gegenseitig als Feindeldquo ndash wenn man beide offen zusammenbraumlchte koumlnnte das neue Chancen fuumlr Architektur und Denkmalpflege bringen

bdquoARCHITEKTEN KOumlNNTEN VIEL MEHR EINBRINGEN WAS DAS NEUINTER-PRETIEREN DES BAUBESTANDS ANGEHT GLEICHZEITIG HABEN DENKMAL-PFLEGER EIN GROSSES GESCHICHTLICHES UND STRUKTURELLES KNOW-HOW VON DEM AUCH ARCHITEKTEN VIEL LERNEN KOumlNNENldquo

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen Alt-Riem von Peter Haimerl Foto Edward Beierle fuumlr Euroboden wwwedwardbeierlede

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 12: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Mancherorts nehme die Denkmalpflege fast diktatorische Zuumlge an bdquoin Muumlnchen aber haben wir das Gluumlck sehr offene und intelligente Denkmalpfleger zu habenldquo lobt Haimerl Zusammen mit dem Bayerischen Landesamt fuumlr Denkmalpflege gruumlndete er das HausPatenBayerWald Projekt um alte Gebaumlude wie Waldlerhaumluser durch moderne Sanierungen in die Zukunft zu retten Dazu gehoumlrt auch sein Umbau des Penzkoferhauses (2012) in Viechtach wo Haimerl wie in Waldmuumlnchen und Blaibach Stadtplaner der Gemeinde ist Auch in anderen Orten ist er beratend taumltig und ar-beitet derzeit an einem neuen Projekt das durch den Erhalt von historischem Bau-bestand langfristig Abwanderung stoppen und Nischen fuumlr junge Leute auszligerhalb der groszligen Staumldte schaffen soll Oftmals muss er die Gemeinden uumlberzeugen das

Vorhandene nicht gnadenlos niederzuknuumlppeln beschreibt er bdquoWir in Europa haben das Gluumlck uumlber eine jahrhundertelang gewachsene Kulturlandschaft zu verfuumlgen mit moderner Architektur von heute kann man nicht annaumlhernd die Qualitaumlt dessen erreichen was viele Jahrhunderte zuruumlckreichtldquo Wenn Peter Haimerl heute durch die Staumldte oder uumlbers Land faumlhrt sei er immer wieder geschockt von allgegenwaumlrtiger Zerstoumlrung Um zu einer vernuumlnftigen Planungskultur zuruumlckzufinden sei es deshalb unabdingbar an die vorhandenen Reststrukturen anzuknuumlpfen Haimerl kann nicht verstehen dass viele Architekten lieber abreiszligen statt weiterzubauen bdquoSie nehmen sich dadurch die Chance gute Architektur zu machenldquo

Birg mich Cilli von Peter HaimerlDer Beton bildet immer wieder Oumlffnungen die den Bestand wie den alten Lehmboden Fensterrahmen oder Wandflaumlchen rahmen

Schusterbauernhaus (2015) in Muumlchen von Peter Haimerl Fotos Edward Beierle wwwedwardbeierlede

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

architecturematterseu

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 13: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER EIN GESPRAumlCH MIT WALTER ANGONESE

Seit den spaumlten 90er Jahren ist Wal-ter Angonese bekannt durch seine gelungenen Weiterentwicklungen der Architektur traditionsreicher Weinpro-duzenten in Suumldtirol inzwischen baut er auch nicht geschuumltzte Bauwerke ohne die Kontrolle des Denkschmalschutzes denkmalgerecht weiter

Wann kann man von einem gelun-genen Dialog zwischen Architekten und Denkmalpflegern sprechen Er funktioniert dort wo man einen Dis-kurs auf Augenhoumlhe anstrebt Dort wo man den Diskussionspartner in der Denkmalpflege zu uumlberzeugen vermag dass das oumlffentliche Interesse bdquoDenk-malpflegeldquo auch fuumlr Architekten einen Wert darstellt und nicht als Hemmschuh

angesehen wird Solch eine Haltung hat nichts mit bdquodevot seinldquo zu tun im Gegenteil Ich maszlige mir auch an methodisch korrekt als Denkmalpfleger denken zu koumlnnen Das klingt schizophren ist aber nicht mehr als ein Rollenspiel Ich habe immer sehr angeregte Diskussionen mit den Denkmalpflegern ndash professionell und respektvoll von beiden Seiten ndash gefuumlhrtLeider gibt es auch Architektenkollegen die in Denkmalpflegern nur Verhinderer eigener Ambitionen sehen Wenn ich selbst einmal auf Uumlberheblichkeit stoszlige was kaum vorkommt pflege ich Hannah Arendt zu zitieren Macht beginnt wo Oumlffentlich-keit aufhoumlrt

Warum funktioniert die enge Zusammenarbeit in Ihrer Heimat so gut Ich spre-che in der Diskussion mit dem Suumldtiroler Denkmalamt gerne von Intervallen die die

Denkmalpflege ihrerseits artikulieren muss Intervalle die die Breite der moumlglichen Interventionen und Uumlberformungen definieren Das verlangt von beiden Parteien eine starke Auseinandersetzung mit dem Objekt Die Denkmalpflege bedient sich dabei sehr gerne der Bauforschung einer Hilfsdisziplin die auch uns Architekten ndash unser Interesse dafuumlr vorausgesetzt ndash sehr zugutekommt um Bauten zu verstehen Wei-terdenken an Objekten um daran weiterzubauen bleibt eine gemeinsame Strategie Dieser methodische Ansatz sollte von beiden den Denkmalpflegern und den Planern angewandt werden dann kann ein synergetisches Hochspiel entstehen Und noch ein letztes Der Diskurs muss moumlglich fruumlh initiiert werden ndash vorgefertigte Prinzipien und Ansaumltze sind weder der einen noch anderen Seite dienlich Prozesshaftes Agie-ren und Reagieren bleibt fuumlr mich eine Konstante der Herangehensweise

Sie haben selbst zwei Jahre im Denkmalamt gearbeitet warum Inwiefern ha-ben die Erfahrungen dort Ihre spaumltere Arbeit als Architekt gepraumlgt Diese zwei Jahre haben mich gepraumlgt wie jedes Jahr an Erfahrung mich stetig praumlgt Ich bin sehr neugierig ins Amt gekommen und habe alles aufgesaugt was mir so uumlber den Weg gelaufen ist Ich habe mir die historischen Bauten mit denen ich konfrontiert war (und war es nur die Errichtung einer nebensaumlchlichen Gaube) immer sehr intensiv angeschaut zuhause nachgezeichnet und mir auch einen kunsthistorischen Back-ground angeeignet von dem ich heute noch zehre Eine gewisse Zeit war ich auch mit Bauforschung konfrontiert was mir Themen wie die Stratifikation ndash das Denken in Schichten ndash offenbart hat Oft kann man in Bauten uumlber 20 verschiedene Baupha-sen feststellen was einem als Architekt vor Augen fuumlhren sollte dass wir maximal zur 21 beitragen Wir sollten unsere Arbeiten zwar sehr ernst aber uns selbst nicht zu wichtig nehmen

Wie wuumlrden Sie Ihre Herangehensweise im Umgang mit Bestand beschreiben Vorab versuche ich einen Baubestand zu verstehen Von seiner bauhistorischen Be-deutung her aber auch von seiner raumlumlichen und semantischen Komplexitaumlt Mich interessiert der Stimmungsbegriff so wie ihn Adolf Loos gemeint hat sehr und ich versuche die Stimmung eines Baubestandes zu eruieren um daran weiterzudenken weiterzubauen Ich halte wenig von einer verkrampften Dialektik Und relativ wenig von einer meist sehr pauschal angewandten Charta von Venedig Mir ist die Stimmig-keit wichtiger was nicht meint dass ich keine Bruumlche verwende um diese Stimmung

Walter Angonese Foto Marco Riebler

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 14: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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zu generieren Der Bruch soll aber nicht im Vordergrund stehen sondern soll reflek-tiert zum Einsatz kommen Ich halte es da mit Hermann Czech der meint Architektur ist Hintergrund was nicht meint dass die Architektur in die zweite Reihe treten muss nur soll ein reiner Formwille sich nicht uumlber alles stuumllpen

Sie haben etwa das Schloss Tirol und die Festung Kufstein umgebaut aktuell arbeiten Sie ua an der Restaurierung und Adaptierung eines romanischen Hospizes und dem Umbau anderer denkmalgeschuumltzter Objekte Arno Brandl-huber mit dem Sie in Salzburg im Gestaltungsbeirat sitzen hat in Potsdam hat einen Fabrikbau aus den 80er Jahren denkmalgerecht umgebaut Ab wann ist fuumlr Sie ein Bauwerk erhaltenswert Schloss Tirol und die Josefsburg der Festung Kufstein sind ausgewiesene Baudenkmaumller deren alleinige Wertung wir nicht uumlber-nehmen mussten Was auch ok ist eine persoumlnliche Wertung erfolgt ohnedies und irgendwie auch aus dem Unterbewusstsein heraus Grundsaumltzlich muss man sich immer die Frage stellen warum man ein Gebaumlude das seit laumlngerem schon existiert abreiszligen muss Jedes Gebaumlude hat einen Wert sogar eine Baracke die richtig in Szene gesetzt zu etwas Wertvollem mutieren kann Deshalb ist ein denkmalpflegeri-scher Zugang oder eine reine bauhistorische Wertung fuumlr mich a priori nicht wichtig Jedes Gebaumlude hat eine semantische Dimension dieser Aspekt interessiert mich Die Frage ist wie ich damit umgehen will Ich finde Arnos Zugang extrem spannend auch seine letzten Arbeiten zu Bauruinen in Sizilien Er ist imstande einen Mangel durch wenige Kunstgriffe zu etwas Edlem werden zu lassen Und er uumlbernimmt selbst die Wertung und nimmt diese Entscheidung sehr ernst kulturell und konzeptionell reflektiert was er erhalten und was er veraumlndern will

Gebaumlude die ohne ausgewiesenen Formwillen entstanden sind solche die als reine Zweckbauten gedient haben oder als Geruumlst gedacht waren sind besonders interessant weil man den Formwillen nicht relativieren muss Man kann sie in ihrer Stringenz uumlbernehmen und an ihnen weiterbauen Bauten die der uumlberwiegende Teil der Menschen als haumlsslich einstuft sind fuumlr Grenzgaumlnger und scharfe Denker inso-fern interessant weil ihnen eine kontroverse Aura eigen ist Mich interessiert auch die anonyme Architektur sehr die anscheinend belanglose ndash weil sie eine Unschuld oft auch Einsamkeit ausstrahlt Daraus entsteht fuumlr mich der Diskurs bdquoerhaltenswert oder nichtldquo

Sie selbst arbeiten nur an denkmalgeschuumltzten Gebaumluden Vor einem Jahr habe ich mich mit einem historischen Gebaumlude aus dem 17 Jahrhundert beschaumlftigt das nicht unter Denkmalschutz stand aber sehr viele historische Elemente aufwies wie wir sie von denkmalgeschuumltzten Bauten her kennen Als konzeptionellen Ansatz habe ich mir bdquoDenkmalschutz ohne Denkmalpflegerldquo vorgenommen Und habe feststellen koumlnnen dass der Weg zwar der gleiche das Ergebnis aber etwas anders ausgefal-len ist

Weingut Manincor in Kaltern 2004Foto Guumlnter Richard Wett

Schloss Tirol 2002 und 2012 Aufgang BergfriedFoto Stefan Bruumlning

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 15: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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LOVE CONTEXT KONTEXTUALISERUNG STATT DIFFAMIERUNG IN BELGIEN

Sind verschrobene Backsteinvariationen oder mit Faserzement verkleidete Giebel erhaltenswert Jede Zeit hinterlaumlsst ihre baukulturellen Spuren dazu zaumlhlen ndash mehr noch als in Deutschland besonders in Belgien ndash die vielen vielfach sehr individuel-len und oft auch im Selbstbau entstandenen Einfamilienhaumluser In Deutschland gelten sie bisweilen als banal oder stoumlrend die Denkmalpflege beruumlcksichtigt sie schon gar nicht In Belgien werden die manchmal unbeholfen ausschauenden Einfamilienhaumluser inzwischen zunehmend als baukulturelles Phaumlnomen begriffen das untersucht und dokumentiert wird Auf dem inzwischen in Buchform publizierten Internet-Blog Ugly Belgian Houses traumlgt der Journalist Hannes Coudenys den teils wilden Straszligenrand-Mix seit Jahren zusammen Auch der belgische Beitrag auf der 14 Architekturbienna-le in Venedig griff die Idee selbstgestalteter Raumlume unter dem Titel bdquointerieursldquo auf

Das Ansammeln vorwiegend aus den 50er bis 70er Jahren stammender Wohnbauten unter dem Label von bdquoHaumlsslichkeitldquo aumlrgert Jan de Vylder von architekten de vylder vinck taillieu (dvvt) bdquoWir wollten schon mal eines unserer eigenen Projekte an den Blog schickenldquo verraumlt der Belgier Die Architekten des Buumlros sind genaue Beobach-ter der surrealen Architekturlandschaft aus Alltagsmaterialien die sie in ihrer Archi-tektur wieder einsetzen und neu interpretieren bdquoEine Selektion des Kontexts ist nicht noumltig um gute Architektur daraus weiterzuentwickelnldquo erklaumlrt dvvt-Partner Jan de Vylder bdquoOb schoumln oder nicht schoumln spielt fuumlr uns keine Rolle Architektur ist etwas sehr Persoumlnliches und eine der Moumlglichkeiten der Bewohner sich auszudruumlckenldquo bis in die 70er Jahre war das Bauen in Belgien nur wenig gelenkt fuumlr de Vylder spiegeln sich in den Haumlusern auch verschiedene Lebensstile wider

Tatsaumlchlich sind zwei Drittel der Belgier Besitzer eines Eigenheims das zumeist in die Kategorie Einfamilienhaus mit durchschnittlich fuumlnf Zimmern faumlllt Eine Haumllfte davon freistehend die andere Haumllfte Reihenhaumluser saumlumen diese oft verschrobenen und individuellen Haumluschen Belgiens Straszligenraumlnder in Vorstaumldten und laumlndlichen Regionen

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

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Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 16: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Die Haltung von dvvt erinnert an Ansaumltze aus den 70ern als VenturiScott Brown in ihrer Studie bdquoLearning from Levittownldquo festhielten dass bdquozeitgenoumlssische vernakulaumlre Architekturldquo oder bdquoBaumarkt-vernakulaumlrldquo durchaus Berechtigung und viele Gemein-samkeiten mit vernakulaumlrer Bautradition habe Etwa zur gleichen Zeit beschrieb Heinrich Klotz das Beduumlrfnis von Bewohnern in ihren Haumlusern oder selbstgebauten Gartenlauben ihre Individualitaumlt ausdruumlcken zu wollen

Unvoreingenommen wagen dvvt in ihren Projekten eine Neuinterpretation und Aumlsthe-tisierung allgegenwaumlrtiger Materialien und kontextualisieren statt diffamieren so was andere als banal oder haumlsslich empfinden In ihrem Projekt Haus H (2008) verpass-ten sie einem typischen Backsteinbau einen Wohnzimmeranbau aus Betonplatten die in Belgien gewoumlhnlich als Gartenmauern Verwendung finden Fuumlr einen weiteren Umbau (Rot Ellenberg 2013) verkleideten sie die Nordfassade des Bestandsbaus zu Daumlmmzwecken mit gewoumlhnlichen Schindeln Genau diese kommen in vielen weiteren Wohnungsbauprojekten und in ihrer aktuellsten Fertigstellung ndash dem Umbau des

Haus Huik ndash zum Einsatz Den Bestandsbau fuumlr das Haus Huik haumltte man vermutlich auch in dem bdquougly housesldquo-Buch veroumlffentlichen koumlnnen vermutet de Vylder bdquoUns geht es eine Auseinandersetzung mit dem Kontext wie er ist auch wenn er auf den ersten Blick manchmal nicht besonders ergiebig wirktldquo so de Vylder bdquo Es geht uns mehr darum eine Liebe fuumlr die Dinge zu entwickeln wie sie sindldquo

dvvt Haus Huik 2016 Foto Filip Dujardin

dvvt Haus H 2008 Foto Filip Dujardin

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 17: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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KOMPLEXER PRAGMATISMUSEIN GESPRAumlCH MIT THOMAS BURLON

Der aumllteste Bestand mit dem Brandlhuber + Emde Burlon in letzter Zeit umzuge-hen hatten ist die ehemalige St-Agnes-Kirche von Werner Duumlttmann aus dem Jahr 1967 die sie gemeinsam mit dem Buumlro Riegler Riewe (Realisierung) zu einer Galerie umbauten Eine Form des Bestands die das Buumlro besonders fasziniert sind Abfall-produkte und Zeugnisse kapitalistischer Verwertungslogik zugleich mit denen sie immer wieder einen intelligenten Umgang finden

bdquoStar-Architektur ist tot neue Formen sind nicht laumlnger wichtig Erhaltung ist Ruumlckzugsort der Architektur Denkmalpflege erzeugt Relevanz ohne neue Formen Denkmalpflege ist formloser Architekturersatzldquo ndash 2014 veroumlffentlichte der Denkmalpflegeprofessor Kuumlnstler und Architekt Jorge Otero-Pailos in der Reihe GSAPP transcript fuumlnf provokative Thesen zur Denkmalpflege die er aus zwei Koolhaas-Vortraumlgen heraus rekonstruierte Wuumlrdest Du denen zustim-men An der Resonanz auf die Antivilla sieht man dass man sich durch den Umgang mit Altbau nicht der Stararchitektur entziehen kann Es gibt einen regelrechten Tou-rismus nach Krampnitz Was stimmt ist dass man im Altbau das Problem der Form nicht hat weil die bereits besteht Es gibt immer einen Kontext den man architekto-nisch mit einbeziehen kann und den man nicht bdquofickenldquo sollte wie Koolhaas das im Bezug auf reine Programmierung von groszligen Gebaumluden in den fruumlhen 90ern gesagt hat (bdquoFuck Contextldquo) Architektur und Staumldtebau sollten immer mit einer gewissen Kreativitaumlt den Kontext mit einbeziehen egal wie viel Substanz noch vorhanden ist Es ist oft erschreckend zu sehen was Architekten heute mit Neubauten fuumlr Realitaumlten schaffen ndash ein Beispiel dafuumlr ist die Standardbebauung am Rand des Gleisdreieck-parks in Berlin

Was sind fuumlr Dich Vorbilder oder Anregungen zum Umgang mit BestandEine sehr gute Referenz sind die Arbeiten des Konzeptkuumlnstlers und Architekten Gordon Matta-Clark Dazu zaumlhlen die bdquoCuttingsldquo wie sein Projekt bdquoConical Intersectldquo zur Paris Biennale 1975 Damals hat er zwei Abrisshaumlusern neben dem noch im Bau befindlichen Centre Pompidou kegelfoumlrmige Einschnitte verpasst die Raumlume der alten Gebaumlude sichtbar und den Passanten bewusst gemacht was da verloren gehen wird

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Fotos Luise Rellensmann

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

Antivilla Umbau von Arno Brandlhuber Markus Emde amp Thomas Burlon Krampnitz 2015 Foto Luise Rellensmann

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

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Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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Unser Projekt zu den Option Lots in Berlin knuumlpft an die odd lots seiner Arbeit bdquoFake Estatesldquo an Dazu hatte er in den 70er Jahren eine Reihe sinnloser Grundstuumlcke auf denen man nichts bauen konnte ndash manche mit 30 Zentimeter Breite und 60 Meter Laumlnge ndash erworben Die von uns untersuchten Option Lots in Berlin-Mitte sind Tortenstuumlck-aumlhnliche Restgrundstuumlcke mit einer Durchschnittsgroumlszlige von sieben Quadratmetern wobei die groumlszligten Grundstuumlcke bis 40 Quadratmeter groszlig sind Sie sind dort entstanden wo die unregelmaumlszligigen Gruumlnderzeitbauten gegen den System-bau der Plattenbauten stoszligen und sind fuumlr die Immobilienwirtschaft nicht interessant Dabei sind sie Moumlglichkeitsraumlume in denen auch im Sinne eine Stadtverdichtung durchaus Potential steckt Sie gehoumlren der WBM Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die kein Interesse daran hat weil sie davon ausgeht dass die Plattenbauten langfristig abgerissen werden

Wir wuumlrdest Du selbst Eure Herangehensweise beschreiben Bei uns im Buumlro gibt es zwei Richtungen Auf der einen Seite steht unser sehr strukturelles Arbeiten Wenn wir auf der gruumlnen Wiese planen entwickeln wir Gebaumlude von innen heraus

Dann gibt es die Arbeit im Kontext immer in Reaktion auf eine bestimmte Situation Unser Begriff dafuumlr ist komplexer Pragmatismuslsquo Wir haben uns darauf spezialisiert mit unmoumlglichen Bestandssituationen umzugehen die fuumlr normale Investoren uninte-ressant sind Ein Beispiel dafuumlr ist die Antivilla dort hat es allein zwei Jahre gedauert die Eigentuumlmerfrage zu klaumlren Jeder Bestand sollte einem Schutz unterliegen ein Abriss muumlsste plausibel erklaumlrt werden Es lohnt sich immer Bestand weiterzuden-ken jeder Baubestand hat Energie und Geld gekostet

Welche Qualitaumlten schaumltzt Ihr mit Eurem pragmatischen Ansatz jenseits grauer Energie Natuumlrlich steckt in den Gebaumluden noch viel mehr ndash vor allem Geschichte In Krampnitz haben wir mit der Antivilla ein wichtiges Zweigwerk des fruumlheren VEB Obertrikotagen bdquoErnst Luumlckldquo durch minimale Eingriffe erhalten Spuren von Rolltor und Feuerleiter blieben erhalten auch der DDR-Putz auf den wir eine Schlaumlmme aufgetragen haben Bruumlche und Risse sind sichtbar Die hinzugefuumlgten groben Fens-teroumlffnungen unterstreichen die materielle Praumlsenz des Bestands machen aber auch Geschichte sichtbar ndash das Mauerwerk war seinerzeit Lehrstuumlck von Maurerlehrlingen die aus Mozambik oder Vietnam in die DDR gekommen waren Beim Abriss waumlre das alles unwiederbringlich verloren gegangen

Der Reiz am Umgang mit Bestand ist auch dass man sich nicht auf Standards fest-legen kann es gibt immer tausend Ecken die Fragen aufwerfen Das was vorhanden ist sollte man immer kritisch bewerten so dass es nicht zu einer ruumlckwaumlrtsgewand-ten oder nostalgischen Weiterentwicklung kommt

Der Baubestand mit dem Ihr umgeht ist in der Regel noch jung Egal wie jung das Vorhandene ist es gibt immer genug Kontext auf den man sich beziehen kann Das Projekt in der Brunnenstraszlige (2010) ist komplett aus der Nachbarschaft und den strukturellen Vorgaben des minimalen Baubestands ndash einem Sockel aus dem Jahr 2000 ndash entwickelt worden Der Bestand in Krampnitz stammt aus den 80er Jahren die Kirche von Werner Duumlttmann wurde 1967 fertiggestellt

Dann habt Ihr in letzterem Projekt mit dem Denkmalschutz zu tun gehabt was waren die Erfahrungen Grundlage im Umgang mit den Behoumlrden ist auch heute noch die Charta von Venedig von 1964 die fordert dass das Weiterbauen immer

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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ARCHITECTURE MATTERS01 CREATING HAPPINESS ndash WOWHAUS

Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 19: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Luise Rellensmann schreibt seit 2010 als Autorin fuumlr Baunetz und die Baunetzwoche ndash eben so lange arbeitet sie als akademische Mitarbeiterin am Lehrstuhl fuumlr Denkmalpflege der BTU Cottbus-Senftenberg 201213 war sie Volontaumlrin am Getty Conservation Institute in Los Angeles seit letztem Jahr ist sie Vorstandsmitglied von ICOMOS Deutschland dem internationalen Rat fuumlr Denkmalpflege

erkennbar ist und sich vom Bestand abhebt Das ist schwierig weil dadurch eine Konkurrenz aufgebaut wird Bei Duumlttmanns Kirche koumlnnte man etwa einen handge-schalten Beton so wie er im Bestand vorhanden ist nur einbauen wenn man ihn hinterher rosa anstreicht

Wir haben einen sehr radikalen Eingriff durchgefuumlhrt der die Raumstruktur komplett bricht Den Einbau in Beton durften wir nur machen weil er reversibel ist und es die Fuge zwischen der Tischkonstruktion und dem Kirchenraum gibt Die Forderung nach Reversibilitaumlt steht im Widerspruch zu dem Anspruch dem Bauwerk eine eige-ne Zeitschicht hinzuzufuumlgen die es dann auch irgendwann als Bestand zu beruumlck-sichtigen gilt

Im Abstimmungsprozess mit der Denkmalpflege braucht man eine klare Argumentati-on und vor allem ein konstruktives Gegenuumlber Als Architekt hat man zunaumlchst mit der Unteren Denkmalschutzbehoumlrde zu tun die nicht uumlber die Entscheidungsgewalt ver-fuumlgt Wir sind schlieszliglich bis zum Landeskonservator gegangen ndash auch in der Obe-ren Denkmalschutzbehoumlrde gab es gute Partner mit denen man diskutieren konnte Durch die Strukturen in der Denkmalpflege die sicher auch aus der hoffnungslosen Uumlberlastung der Aumlmter resultieren wird der Diskurs oft einem konstruktiven Gegen-uumlber beraubt

Eure derzeitigen Projekte im Kontext vorhandener Bauten Wir arbeiten an dem Umbau von einem von zwei Tuumlrmen des ehemaligen VEB-Elektrokohle in Lichten-berg Beim Umgang mit dem Bezirk haben wir das Gefuumlhl dass der Umgang mit diesen 30 und 45 Meter hohen Relikten aus DDR-Zeiten schwierig ist Die Tuumlrme bestehen aus sehr gutem ndash teilweise 50 Zentimeter dickem ndash Stahlbeton der einen Abriss nicht unmoumlglich aber unwirtschaftlich macht Geplant ist eine Prototypenpro-duktion zur Erprobung neuer Wohn- und Arbeitstypologien im Maszligstab 11

Antivilla Bestand vor dem UmbauFoto Paul Reinhardt

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Foto Michael ReischArchitekten Brandlhuber+ Emde Burlon Riegler RieweCourtesty of KOumlNIG GALERIEcopy Katharina Grosse und VG Bild-Kunst Bonn 2016

WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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Page 20: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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WILLKOMMEN ZUHAUSESpecial zur imm cologne 2016JUNGE LEUTE ALTE BEKANNTE UND EIN GRUSS AUS ISTANBUL DAS GROSSE DESIGNLINES SPECIAL ZUR KOumlLNER MOumlBELMESSE

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Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

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Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

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Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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Der oumlffentliche Raum war lange kein Thema in Moskau Erst mit der Entmachtung des Buumlrgermeisters Juri Luschkow 2010 setzte ein sicht-barer Wandel ein Die Projekte von Wowhaus 2007 von Dmitry Likin und Oleg Shapiro gegruumlndet zaumlhlen zu den wichtigsten in diesem Kon-text

Dmitry Likin und Oleg Shapiro sind ausgebildete Architekten beide hatten jedoch keine Lust in den wilden 90ern Shoppingcenter kitschige Palaumlste fuumlr die Neureichen oder Plattenbauten zu entwerfen Stattdessen wurde Likin Art Director der ersten Generation russischer Hochglanzmagazine wie Harperrsquos Bazaar und arbeitete fuumlr Channel One inzwischen als Chef-

designer des Ersten Kanals Shapiro war vor allem bdquoBusinessmanldquo Bis heute verkauft er Helikopter

Waumlhrend des Turbokapitalismus nach dem Zerfall der Sowjetunion war es ein kleiner geschlossener Club von russischen Architekten die das Bauge-schehen in Moskau dominierten Selbst internationalen Stars wie Zaha Hadid oder Norman Foster gelang es nicht gewonnene Wettbewerbe zu realisieren Der bizarre Geschmack Luschkows wurde allgemeiner Maszligstab Seine Ehefrau die Bauunternehmerin Jele-na Baturina stieg durch Auftraumlge der Stadt mit ihrem Unternehmen Inteco zur Milliardaumlrin und reichsten Frau des Landes auf Heute lebt sie uumlberwiegend in Oumlsterreich und Groszligbritannien

Oleg Shapiro und Dmitry Likin von Wowhaus Foto Maxim Panov

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Ihre finanzielle Unabhaumlngigkeit gab Dmitry Likin und Oleg Shapiro die Freiheit eine klare Haltung zu verfol-gen mit ihrem Architekturbuumlro nur an den Projekten zu arbeiten von denen sie wirklich uumlberzeugt waren Bis 2010 blieb das Buumlro klein Uumlber die Medien vor allem uumlber Stadtmagazine mach-ten Wowhaus ihre Projekte bekannt Als Sergei Sobjanin 2010 zum neuen Buumlrgermeister Moskaus gewaumlhlt wurde setzte ein Umdenken ein Er brauchte eine neue Agenda fuumlr die Stadt Der oumlffentliche Raum wurde zum zentralen Thema

Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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bdquoWOFUumlR ARBEITEN WENN NICHT FUumlR GELDldquoWenn der Kurator selbst ein Kuumlnstler ist Die Manifesta 11 hat eigentlich schon lange angefangen auch wenn erst Mitte Juni offiziell eroumlffnet wird Mit Christian Jankowskis Konzept bdquoWhat People Do for Money Some Joint Venturesldquo hat die elfte europaumlische Biennale fuumlr zeitgenoumlssische Kunst auszligerdem ein greifbares Thema bekommen und wird zum Experiment Kuumlnstler arbeiten mit verschiedenen Berufsgruppen in der Stadt Zuumlrich Das passende Gesicht gestaltet der Schweizer Kommunikationsdesigner Ruedi Baur der die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung des kuumlnstlerischen Konzeptes in die Kommunikation integriert Seine reduzierten Grafiken die mit der Zahl 11 als gespiegeltes M spielen haben jetzt den Wettbewerb gewonnen Manifesta 11 in Zuumlrich 11 Juni bis 18 September 2016 wwwmanifesta11org Visualisierungen von Integral Ruedi Baur copy Manifesta 11Ruedi Baur

Page 23: DENKMALSCHUTZ OHNE DENKMALPFLEGER - media.baunetz.de 3 439 Bei so viel Show muss auch das Setting stimmen: Wahrscheinlich haben Skidmore, Owings & Merrill genau aus diesem Grund ihre

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Der erste dieser neuen pulsierenden Plaumltze wurde Strelka 2009 als nicht-staatliches Institut fuumlr Medien Archi-tektur und Design gegruumlndet bietet es seither in einem postgradualen Studien-gang eine neue bisher einzigartige Form der Architekturausbildung in Russland an Likin und Shapiro gehoumlren zu den fuumlnf Initiatoren von Strelka sind Mit-glied des Stiftungsrates und haben das Institutsgebaumlude fruumlher die Garagen der Schokoladenfabrik bdquoRoter Oktoberldquo umgebaut Mit der Neugestaltung des Gorki Parks im Jahr 2011 erreichten sie eine noch groumlszligere oumlffentliche Auf-merksamkeit Der beruumlhmte Park im Stadtzentrum am Ufer der Moskwa war zuletzt mit Post-Perestroika-Attrakti-onen Achterbahn Riesenrad Werbe-

bannern etc in die Jahre gekommen Fast alle dieser bdquoAttraktionenldquo wurden abgerissen Wowhaus schufen mit der Strandlandschaft bdquoOlive Beachldquo ein Gegenstuumlck zum neoklassizistischen Eingangstor und Symbol des neuen Parks Dazu entwarfen sie ein Open Air-Kino eine Eislaufbahn und multi-funktionale Pavillons

Weitere oumlffentliche Auftraumlge folgten Wowhaus zaumlhlen heute zu den interna-tional interessantesten Architekturbuumlros des neuen Russland Doch das Klima hat sich wieder gewandelt ndash ein neuer Konservativismus liegt in der Luft Die wirtschaftliche Situation in Russland ist durch den niedrigen Oumllpreis und die westlichen Sanktionen die der Ukraine-Konflikt ausloumlste angespannt Kritik wurde laut dass es bei dem ploumltzlich erwachten politischen Interesse fuumlr die Neugestaltung des oumlffentlichen Raumes vor allem darum geht Demonstratio-nen wie die nach den Parlaments- und Praumlsidentschaftswahlen 2011 und 2012 zu unterbinden die Widerstaumlnde einer jungen aufstrebenden Mittelschicht mit kostenlosem Internet Yoga-Kursen und Fahrradwegen zu besaumlnftigen Wowhaus haben sich davon immer distanziert Nicht nur Moskau braumluchte mehr solche Architekten

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