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13.09.11 1 Depression – ein modernes Phänomen? Hintergründe eines gesellschaftlichen Trends Depression und Familie Universität Zürich, 26.08.2011 Prof. Dr. med. Daniel Hell

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Depression – ein modernes Phänomen?

Hintergründe eines gesellschaftlichen Trends

Depression und Familie Universität Zürich, 26.08.2011 Prof. Dr. med. Daniel Hell

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Agenda

•  Kulturabhängiges Verständnis „depressiven“ Erlebens und Verhaltens

•  Gesellschaftlicher Wandel und Veränderung der diagnostischen Kriterien im 20. Jahrhundert

•  Depressive Aktionshemmung und spätmodern geforderte Flexibilität

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Pole des Depressionsverständnisses (in der geschichtlichen Entwicklung)

Krankheit - Sünde

Schicksal - Lebensproblem

Biologisches Geschehen - Psychosoziales Geschehen

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Begriffe verschiedener Epochen

Melancholie

Akedia

Dunkle Nacht

Depression

Burnout

- Ungleichgewicht der Körpersäfte

- „Dämonische Versuchung“

- Sinn- und Geisteskrise, Durch- gangsstadien des Glaubenswegs

- „funktionelle Hirnstörung“

- Erschöpfung durch (berufliche) Überbelastung

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Gegenbewegungen (in der Geschichte)

Melancholie als Störung (antike Ärzteschule) Todsünde „Akedia“ des Mittelalters (Dämonisierung) Gehirnkrankheit „Depression“ der Spätmoderne (Pathologisierung)

Melancholie als Begabung (antike Philosophen) Dunkle Nacht der Mystiker (Entdämonisierung) Burnout, (Entpathologisierung)

Neurotische Depression (Sinn machende Störung)

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Namensgebung abhängig vom kulturellen Ideal

Melancholie Schwarzgalligkeit Verlust des Masses

Akedia nervöse Trägheit Verlust der Seelenruhe

Dunkle Nacht Orientierungs- Verlust des losigkeit göttlichen Lichts

Depression Niedergeschlagen- Verlust des auf- heit rechten Ganges (Selbständigkeit)

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„Depression“ leitet sich von lateinisch „deprimere“ (niederschlagen, niederdrücken) ab

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Agenda

•  Kulturabhängiges Verständnis „depressiven“ Erlebens und Verhaltens

•  Gesellschaftlicher Wandel und Veränderung der diagnostischen Kriterien im 20. Jahrhundert

•  Depressive Aktionshemmung und spätmodern geforderte Flexibilität

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Gesellschaftlicher Wandel und Veränderung der diagnostischen Kriterien im 20. Jahrhundert

Anfang 20. Jhdt.: Manisch-depressives ca. 1% der (Ordnungskriterien) Irresein (endogen) Bevölkerung Mitte 20. Jhdt.: zusätzlich ca. 5% (Anpassungskriterien) psychogene Depression Ende 20. Jhdt.: bipolare affektive ca. 20% (Kriterium des Störung, depressive Wohlbefindens) Episode und rezidivierende

depressive Störung, Dysthymie etc.

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Depressionstypen – eingeteilt nach Ursachen (ICD-9)

Psychogene Depression

Endogene Depression

Somatogene Depression

Sozial

endogen

psychogen

Körperlich

Psychisch

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Altes Therapiemodell der Depressionen (Kielholz 1971)

Psychogene Depressionen

Psychotherapie

Endogene Depressionen

Pharmakotherapie

Somatogene Depressionen

Internistische Therapie

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Diagnostische Kriterien der depressiven Episode (nach ICD-10)

•  Leitsymptome 1. Depressive Stimmung (mind. 2 Wochen)

2. Verlust von Interessen und Freude

3. Verminderter Antrieb oder gesteigerte Ermüdbarkeit

•  Zusatzsymptome

1. Verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit 2. Vermindertes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen 3. Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit (Selbstvorwürfe) 4. Negative und pessimistische Zukunftsperspektiven 5. Wiederkehrende Suizidgedanken oder - handlungen 6. Schlafstörungen 7. Verminderter Appetit

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Methodische Entwicklungen und kulturelle bzw. sozioökonomische Einflüsse

Epidemiologie (Statistik) Bildgebung Molekurbiologie Wissenschaftliche

Stichworte

Individualisierung

Oekonomisierung

Medikalisierung Gesellschaftliche Stichworte

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Agenda

•  Kulturabhängiges Verständnis „depressiven“ Erlebens und Verhaltens

•  Gesellschaftlicher Wandel und Veränderung der diagnostischen Kriterien im 20. Jahrhundert

•  Depressive Aktionshemmung und spätmodern geforderte Flexibilität

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Charakteristika der Spätmoderne

•  Technisch-wissenschaftliches Weltbild

Betonung der Aussensicht

•  Individualisierung

Betonung der Selbstwirksamkeit

•  Ökonomisierung

Betonung des (sichtbaren, messbaren) Erfolgs

•  Globalisierung

Betonung der Flexibilität und Mobilität

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Affekt Motorik Kognition

Hemmung Agitation

ANTRIEB

Beeinträchtigte Funktionen in der Depression

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Dysfunktionelle Entwicklung: von deprimiert zu depressiv

Belastung, Distress

Psychologische Einstellung und Reaktion

evtl. ungünstiges Coping (Grübeln)

Wahrnehmung der Handlungserschwerung

Biologische Reaktion Deprimierung (motorische und

mentale Aktionshemmung)

Verlustereignisse (privat , beruflich), Konfliktsituationen, chron. Belastung, Isolation, Armut

abhängig von: • Genetik (z.B. Serotonin- Transporter-Gen) • Biographie, Neuroplastizität (z.B. Reagibilität der hormonellen Stressachse HHN) • Neuropathologie (z.B. Stirnhirninsulte, degenerative Veränderungen)

abhängig von: • Sensibilität früherer (depressiver) Erfahrungen

abhängig von: •  Persönlichkeits- störungen •  Selbstbild •  Interpersonellen Ein- flüssen (Biographie, Kultur)

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Faktoren, welche die psychologische Reaktion auf eine depressive Aktionshemmung beeinflussen (Auswahl)

Lebensumstände

•  soziale Isolation •  starke Rollen- verpflichtungen

Persönlichkeitszüge •  narzisstische Züge (Ich-Problematik) •  zwanghafte Züge (Über-Ich-Problematik)

Typus melancholicus (starke Rollenverpflichtungen

bei grosser Gewissenhaftigkeit)

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Therapeutische Möglichkeiten bei Depressionen

Belastung, Distress

Psychologische Einstellung und Reaktion

evtl. ungünstiges Coping (Grübeln)

Wahrnehmung der Handlungserschwernis

Biologische Reaktion Deprimierung (motorische und

mentale Aktionshemmung)

Soziotherapie

Psychopharmaka und andere biolog. Th.

Psychotherapie

Selbsthilfe

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Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit

Daniel Hell