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60 Der Hausarzt 11 /11 www.springermedizin.de/der-hausarzt INDUSTRIE & FORSCHUNG | REPORT Depression: eine behandelbare, aber unterdiagnostizierte Krankheit DIE DEPRESSION WIRD IN DEUTSCHLAND HÄUFIG ÜBERSEHEN. Zu den wichtigsten Gründen gehören die Negierung der psychischen Erkrankung und die Schilderung atypischer Symptome vor allem durch ältere Menschen. Dabei ist die Depression gut behandelbar. F ast jede vierte Frau und jeder achte Mann in Deutschland erkranken im Lebensverlauf an einer depressiven Stö- rung. Nach Angaben von Dr. Michael Enzl*, Münster, besteht hierzulande eine dramatische Unterversorgung: Obwohl 60–70% der Depressionspatienten in hausärztlicher Behandlung sind, wird die Krankheit nur bei 30–35% diagnosti- ziert, und nur 6–9% erhalten eine effek- tive Therapie. Auf atypische Symptome achten Für die Diagnose sind nach ICD-10 min- destens zwei von drei Hauptsymptomen sowie 2–4 andere häufige Symptome er- forderlich. Viele ältere Patienten vernei- nen jedoch ihre depressiven Beschwerden und klagen stattdessen über körperliche Symptome wie Kopf- bzw. Rücken- schmerzen oder Atembeschwerden. Depression ist laut Enzl eine sehr erns- te, chronische Krankheit, die nach der ersten Episode mit ca. 50%iger Wahr- scheinlichkeit rezidiviert [1]. Nach zwei Episoden beträgt das Risiko ca. 80%. De- pressionspatienten haben eine schlechte Lebensqualität und ein mehr als verdop- peltes Risiko, an einer anderen Krankheit zu sterben. Zudem begehen ca. 15% aller schwer depressiven Patienten Suizid. Therapieziel: vollständige Heilung Wichtig ist ein rascher Behandlungsbe- ginn, um Chronifizierung zu verhindern. Eine Besserung der Symptomatik bewer- tete Enzl als unzureichend: Das Ziel beste- he in der vollständigen Wiederherstellung von Lebensqualität und Funktionalität, weil eine Restsymptomatik das Rezidivri- siko erhöht. Eine Gesundung sei erst er- reicht, wenn die Patienten wieder belas- tungsstabil sind. Nach Remission der Symptome ist daher eine mindestens halbjährige Erhaltungstherapie erforder- lich. Um die Compliance zu erhalten, empfahl Enzl, ein möglichst gut verträgli- ches Medikament zu verschreiben. Ältere Antidepressiva wie Trizyklika sind nach Einschätzung Enzls aufgrund ihrer Nebenwirkungen, der geringen the- rapeutischen Breite und des potenziellen Abb. 1: Wirksamkeit und Akzeptanz moderner Therapien der Depression in Relation zu Fluoxetin (OR = Odds Ratio). Wirksamkeit [OR] 0,6 0,7 0,8 1,0 0,9 1,2 1,1 1,3 1,4 1,25 1,20 1,15 1,10 1,05 1,00 0,95 0,90 0,85 0,80 Akzeptanz [OR] Reboxetin Fluvoxamin Duloxetin Paroxetin Milnacipran Fluoxetin Venlafaxin Mirtazapin Citalopram Sertralin Escitalopram Bupropion Mod. nach [2] Missbrauchs zum Suizid für die Behand- lung der Depression ungeeignet. Moder- ne Antidepressiva dagegen sind kardial gut verträglich und induzieren keine anti- cholinergen Nebenwirkungen, keine Se- dierung und in der Regel keine Ver- schlechterung der Kognition. Hohe Wirksamkeit und Akzeptanz Die modernen Antidepressiva sind je- doch keineswegs alle gleich, betonte Enzl. So zeichnete sich unter den selekti- ven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibi- toren (SSRI) Escitalopram (Cipralex®) durch die beste Verträglichkeit, das schnellste Ansprechen und das geringste Interaktionspotenzial aus. Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin führen dage- gen zu einer z.T. ausgeprägten Hem- mung verschiedener Cytochrom-P450- Isoenzyme. Dass sich moderne Antidepressiva in Wirksamkeit und Verträglichkeit unter- scheiden, bestätigte eine Metaanalyse der Daten von mehr als 25 000 Patienten aus 117 Studien [2]. Danach ist Escitalopram allen anderen modernen Antidepressiva in der Akzeptanz (als Maß für die Ver- träglichkeit) und (fast allen) in der Wirk- samkeit überlegen (Abb. 1). Der antidepressive Effekt ist frühestens nach zwei Wochen, nicht selten jedoch erst nach acht Wochen erkennbar. Bleibt der Behandlungserfolg aus, rät Enzl, die Compliance bzw. Wirkspiegel zu über- prüfen und nach möglichen organischen Ursachen der Symptome zu fahnden, z.B. einer Parkinson-Krankheit, einer Schild- drüsenunterfunktion oder einer begin- nenden Demenz. Literatur 1. Kupfer DJ et al. J Clin Psychiatry 1991;52 (Suppl 5): 28–34 2. Cipriani A et al. Lancet 2009;373:746–758 *Satellitensymposium „Demenz und Depression. Der Blick voraus – Wie viel Psychiatrie braucht der Hausarzt?“ im Rahmen des 117. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 30.4.2011, Wiesbaden. Veranstalter: Lundbeck GmbH, Hamburg

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60 Der Hausarzt 11 / 11 www.springermedizin.de/der-hausarzt

I N D U S T R I E & F O R S C H U N G | R E P O R T

Depression: eine behandelbare, aber unterdiagnostizierte KrankheitDIE DEPRESSION WIRD IN DEUTSCHLAND HÄUFIG ÜBERSEHEN. Zu den wichtigsten Gründen gehören die Negierung der psychischen Erkrankung und die Schilderung atypischer Symptome vor allem durch ältere Menschen. Dabei ist die Depression gut behandelbar.

Fast jede vierte Frau und jeder achte Mann in Deutschland erkranken im

Lebensverlauf an einer depressiven Stö-rung. Nach Angaben von Dr. Michael Enzl*, Münster, besteht hierzulande eine dramatische Unterversorgung: Obwohl 60–70% der Depressionspatienten in hausärztlicher Behandlung sind, wird die Krankheit nur bei 30–35% diagnosti-ziert, und nur 6–9% erhalten eine effek-tive Therapie.

Auf atypische Symptome achten Für die Diagnose sind nach ICD-10 min-destens zwei von drei Hauptsymptomen sowie 2–4 andere häu� ge Symptome er-forderlich. Viele ältere Patienten vernei-nen jedoch ihre depressiven Beschwerden und klagen stattdessen über körperliche Symptome wie Kopf- bzw. Rücken-schmerzen oder Atembeschwerden.

Depression ist laut Enzl eine sehr erns-te, chronische Krankheit, die nach der ersten Episode mit ca. 50%iger Wahr-scheinlichkeit rezidiviert [1]. Nach zwei Episoden beträgt das Risiko ca. 80%. De-

pressionspatienten haben eine schlechte Lebensqualität und ein mehr als verdop-peltes Risiko, an einer anderen Krankheit zu sterben. Zudem begehen ca. 15% aller schwer depressiven Patienten Suizid.

Therapieziel: vollständige HeilungWichtig ist ein rascher Behandlungsbe-ginn, um Chroni� zierung zu verhindern. Eine Besserung der Symptomatik bewer-tete Enzl als unzureichend: Das Ziel beste-he in der vollständigen Wiederherstellung von Lebensqualität und Funktionalität, weil eine Restsymptomatik das Rezidivri-siko erhöht. Eine Gesundung sei erst er-reicht, wenn die Patienten wieder belas-tungsstabil sind. Nach Remission der Symptome ist daher eine mindestens halbjährige Erhaltungstherapie erforder-lich. Um die Compliance zu erhalten, empfahl Enzl, ein möglichst gut verträgli-ches Medikament zu verschreiben.

Ältere Antidepressiva wie Trizyklika sind nach Einschätzung Enzls aufgrund ihrer Nebenwirkungen, der geringen the-rapeutischen Breite und des potenziellen

Abb. 1: Wirksamkeit und Akzeptanz moderner Therapien der Depression in Relation zu Fluoxetin (OR = Odds Ratio).

Wirksamkeit [OR]

0,6 0,7 0,8 1,00,9 1,21,1 1,3 1,4

1,25

1,20

1,15

1,10

1,05

1,00

0,95

0,90

0,85

0,80

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ReboxetinFluvoxamin

Duloxetin

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MilnacipranFluoxetin

VenlafaxinMirtazapin

CitalopramSertralin

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Missbrauchs zum Suizid für die Behand-lung der Depression ungeeignet. Moder-ne Antidepressiva dagegen sind kardial gut verträglich und induzieren keine anti-cholinergen Nebenwirkungen, keine Se-dierung und in der Regel keine Ver-schlechterung der Kognition.

Hohe Wirksamkeit und AkzeptanzDie modernen Antidepressiva sind je-doch keineswegs alle gleich, betonte Enzl. So zeichnete sich unter den selekti-ven Serotonin-Wiederaufnahme-Inhibi-toren (SSRI) Escitalopram (Cipralex®) durch die beste Verträglichkeit, das schnellste Ansprechen und das geringste Interaktionspotenzial aus. Fluoxetin, Fluvoxamin und Paroxetin führen dage-gen zu einer z.T. ausgeprägten Hem-mung verschiedener Cytochrom-P450-Isoenzyme.

Dass sich moderne Antidepressiva in Wirksamkeit und Verträglichkeit unter-scheiden, bestätigte eine Metaanalyse der Daten von mehr als 25 000 Patienten aus 117 Studien [2]. Danach ist Escitalopram allen anderen modernen Antidepressiva in der Akzeptanz (als Maß für die Ver-träglichkeit) und (fast allen) in der Wirk-samkeit überlegen (Abb. 1).

Der antidepressive E« ekt ist frühestens nach zwei Wochen, nicht selten jedoch erst nach acht Wochen erkennbar. Bleibt der Behandlungserfolg aus, rät Enzl, die Compliance bzw. Wirkspiegel zu über-prüfen und nach möglichen organischen Ursachen der Symptome zu fahnden, z.B. einer Parkinson-Krankheit, einer Schild-drüsenunterfunktion oder einer begin-nenden Demenz.

Literatur1. Kupfer DJ et al. J Clin Psychiatry 1991;52 (Suppl 5): 28–342. Cipriani A et al. Lancet 2009;373:746–758

*Satellitensymposium „Demenz und Depression. Der Blick voraus – Wie viel Psychiatrie braucht der Hausarzt?“ im Rahmen des 117. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin, 30.4.2011, Wiesbaden. Veranstalter: Lundbeck GmbH, Hamburg

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Impressum: Kongress Report aktuell KR 1671; Berichterstattung: Dr. Günter Springer; Redaktion: Ingo Schroeder; Leitung Corporate Publishing: Ulrike Hafner (verantwortlich);

Springer Medizin © Urban & Vogel GmbH, München, Juni 2011; Mit freundlicher Unterstützung der Lundbeck GmbH, Hamburg

Alzheimer-Demenz: frühzeitig erkennen und kontinuierlich behandelnDIE SYMPTOME DER ALZHEIMER-DEMENZ frühzeitig zu deuten, ist eine verantwor-tungsvolle Aufgabe, die sich in den meisten Fällen den Hausärzten stellt. Nach der Diagnose sollten die Patienten eine eff ektive und gut verträgliche Therapie erhalten.

Die Alzheimer-Demenz ist mit einem Anteil von rund 60% die häufigste

Demenzursache. Berücksichtigt man die gemischte Demenz (zerebrovaskuläre De-menz/Alzheimer-Demenz), liegt, so Prof. Matthias Riemenschneider, Homburg/Saar, bei einem noch höheren Anteil eine Alzheimer-Pathologie vor.

Ein erstes Kennzeichen der Alzheimer-Demenz ist der fortschreitende Verlust kognitiver Fähigkeiten. Später kommen nicht-kognitive Symptome wie Unruhe, Wahn oder Schlafstörungen hinzu. Die Alzheimer-Demenz ist multifaktoriell. Genmutationen oder Risikogene können ebenso eine Rolle spielen wie medizini-sche Risikofaktoren, so Riemenschneider.

Die DiagnoseDiagnostische Kriterien sind nach ICD-10 eine verminderte Fähigkeit, neue In-formationen zu speichern und abzurufen, sowie die Beeinträchtigung einer weite-

ren kognitiven Leistung (wie Sprache, Denken, Urteilen).

Ergibt sich anhand solcher Symptome der Verdacht einer Alzheimer-Demenz, kann der Hausarzt verschiedene Diagno-semethoden anwenden, z.B. kognitive Tests wie den Mini-Mental-Status-Test [1]. Zum Ausschluss sekundärer Demenz-ursachen dienen Laboruntersuchungen sowie die kraniale Bildgebung. Mit einer erweiterten Diagnostik, wie z. B. der Li-quoruntersuchung, lässt sich die Alzhei-mer-Demenz von anderen primär dege-nerativen Demenzformen di« erenzieren.

Memantin empfohlenRiemenschneider riet zu einer frühzeiti-gen Behandlung mit aktuellen ® erapie-optionen wie dem NMDA-(N-Methyl-D-aspartat-)Antagonisten Memantin (Ebixa®). Memantin ist für die Behand-lung der moderaten bis schweren Alz-heimer-Demenz zugelassen und wird in

dieser Indikation von der S3-Leitlinie [1] empfohlen (Abb. 2). Darüber hinaus erkennt das Institut für Wirtscha ̄lichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) in sei-nem kürzlich verö« entlichten Rapid Re-port den Nutzen von Memantin in dem patientenrelevanten ® erapieziel der kog nitiven Leistungsfähigkeit an [2].

In einer Meta-Analyse [3] der Daten von 1826 Patienten mit moderater bis schwerer Alzheimer-Demenz aus sechs randomisierten Phase-III-Studien führte Memantin im Vergleich zu Placebo zu ei-ner jeweils signi� kanten Verbesserung des globalen Zustands (p < 0,001), der Kognition und Funktionalität (jeweils p < 0,001) sowie des Verhaltens (p = 0,03).

Kontinuierlich behandeln® erapien zur Alzheimer-Demenz sollten möglichst mit der empfohlenen Erhal-tungsdosis von 20 mg pro Tag durchge-führt werden, um einen optimalen E« ekt zu erzielen. Ein zu frühes Absetzen sei zu vermeiden, betonte Riemenschneider. Eine retro spektive Analyse der Daten von 521 mit Memantin behandelten Heimbewoh-nern ergab, dass sich kognitive Fähigkeiten, Stimmung, Alltagsaktivitäten und nicht-kognitive Symptome wie Depression, Wahn oder Aggressivität nach dem Abset-zen von Memantin verschlechtern [4].

Risikofaktoren der Demenz sollten kon-sequent behandelt werden. Riemenschnei-der riet zudem zu präventiven Maßnah-men wie körperlicher Bewegung oder ei-ner anhaltenden geistigen Aktivität.

Literatur1. S3-Leitlinie „Demenzen“ (2009) der Deutschen Gesellschaft für

Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie (DGPPN) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). http://www.dggpp.de/documents/s3-leitlinie-demenz-kf.pdf

2. IQWiG-Berichte, Responderanalysen zu Memantin bei Alzhei-mer-Demenz, 2011, Nr. 84. https://www.iqwig.de/download/A10-06_Rapid-Report_Responderanalysen_zu_Memantin_bei_Alzheimer_Demenz.pdf

3. Winblad B et al. Dement Geriatr Cogn Disord 2007; 24:20–274. Fillit H et al. J Am Med Dir Assoc 2010;11:636–644

Abb. 2: Schematische Darstellung der Behandlung von Demenzen mit Empfehlungsgraden (A, B, C).

Stadium derleichten Demenz

AD: Donepezil (B), Galantamin (B), Rivastigmin (B)GD: Donepezil (C), Galantamin (C), Rivastigmin (C)

Off-label: Donepezil (C), Galantamin (C), Rivastigmin (C), Memantin (C)

Off-label:Memantin + Donepezil (C)

AD: Donepezil (B)(Galantamin) (B)

GD: Donepezil (C)(Galantamin) (C)

Stadium dermittelschweren/

moderaten Demenz

Stadium derschweren Demenz

Alzheimer-Demenz (AD)/Gemischte Demenz (GD)

Vaskuläre Demenz

Keine TherapieempfehlungFrontotemporale Demenz

Keine TherapieempfehlungLewy-Körperchen Demenz

Rivastigmin Kapseln (B), Off-label: Rivastigmin Pflaster (B) Keine EmpfehlungDemenz bei M. Parkinson

AD: Memantin (B)GD: Memantin (C)

Mod

. nac

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]