Der Begriff Racket in der Transaktionsanalyse...176 ZTA 3/2002 Leonhard Schlegel – Der Begriff...

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FOCUS ZTA 3/2002 175 FOCUS Leonhard Schlegel Definition von Racket „Racket“ heißt übersetzt: (1.) Ein störendes Geräusch, Lärm, Ra- dau (to make a racket = Krach schlagen); (2.) ein Sportartikel in Tennis, Federball, Squash; dann aber – und, worauf in der Trans- aktionsanalyse angespielt wird: (3.) eine moralisch unsaubere Tätigkeit, um Geld zu verdienen, also z.B. durch Wucher oder Er- pressung (to be on a racket = bei einer Gaunerei mitmischen). Umgangssprachlich wird unter einem „Racket“ einfach ein ma- fioses Geschäft verstanden, wenn wir davon absehen, dass im fa- miliären Umgang mit einer gewissen Ironie auch eine berufliche Beschäftigung als Racket bezeichnet wird: „What’s his racket?“ Wenn in der Transaktionsanalyse von einem „Racket“ die Rede ist, ist oft nicht eine Betätigung, sondern ein Racket-Gefühl ge- meint: Eine junge Frau pflegt dann, wenn sie einmal guter Laune ist, ihre Schwiegermutter anzurufen, um Grund zu haben, wieder depressiv zu sein, offensichtlich weil sie nur sich als sich selber er- lebt, wenn sie depressiv ist (James u. Jongeward 1971, p.213/ S.231). Der Anruf wäre ein Racket; nämlich eine Betätigung, um zu einem Racket-Gefühl, wie wir weiter unten sehen werden, zu einer ihr vertrauten Verstimmung zu gelangen. Nachlässigerweise wird von Berne und English zwischen „Racket“ und „Racket-Fee- ling“ nicht unterschieden. Dieses Beispiel weist auch darauf hin, dass der Aussdruck „Racket“ für das Gemeinte unpassend ist, denn als ein unsauberes oder gar mafioses Geschäft kann man den Telefonanruf wohl nicht bezeichnen! Deutsch wird häufig passender von einer „Masche“, also einem individuellen (schwei- zerdeutsch) „Mödeli“ gesprochen, bei unserem Beispiel also von der Masche, immer wieder eine Gelegenheit herbeizuführen, de- pressiv zu sein. Die depressive Verstimmung wäre dann bei dieser Frau ein sogenanntes Maschengefühl. Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse TA Ausgabe 03-02 20.01.2005 15:15 Uhr Seite 175

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FOCUS

Leonhard Schlegel

Definition von Racket

„Racket“ heißt übersetzt: (1.) Ein störendes Geräusch, Lärm, Ra-dau (to make a racket = Krach schlagen); (2.) ein Sportartikel inTennis, Federball, Squash; dann aber – und, worauf in der Trans-aktionsanalyse angespielt wird: (3.) eine moralisch unsaubereTätigkeit, um Geld zu verdienen, also z.B. durch Wucher oder Er-pressung (to be on a racket = bei einer Gaunerei mitmischen).Umgangssprachlich wird unter einem „Racket“ einfach ein ma-fioses Geschäft verstanden, wenn wir davon absehen, dass im fa-miliären Umgang mit einer gewissen Ironie auch eine beruflicheBeschäftigung als Racket bezeichnet wird: „What’s his racket?“Wenn in der Transaktionsanalyse von einem „Racket“ die Redeist, ist oft nicht eine Betätigung, sondern ein Racket-Gefühl ge-meint: Eine junge Frau pflegt dann, wenn sie einmal guter Launeist, ihre Schwiegermutter anzurufen, um Grund zu haben, wiederdepressiv zu sein, offensichtlich weil sie nur sich als sich selber er-lebt, wenn sie depressiv ist (James u. Jongeward 1971, p.213/S.231). Der Anruf wäre ein Racket; nämlich eine Betätigung, umzu einem Racket-Gefühl, wie wir weiter unten sehen werden, zueiner ihr vertrauten Verstimmung zu gelangen. Nachlässigerweisewird von Berne und English zwischen „Racket“ und „Racket-Fee-ling“ nicht unterschieden. Dieses Beispiel weist auch darauf hin,dass der Aussdruck „Racket“ für das Gemeinte unpassend ist,denn als ein unsauberes oder gar mafioses Geschäft kann manden Telefonanruf wohl nicht bezeichnen! Deutsch wird häufigpassender von einer „Masche“, also einem individuellen (schwei-zerdeutsch) „Mödeli“ gesprochen, bei unserem Beispiel also vonder Masche, immer wieder eine Gelegenheit herbeizuführen, de-pressiv zu sein. Die depressive Verstimmung wäre dann bei dieserFrau ein sogenanntes Maschengefühl.

Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

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1. „Racket“ als „be-vorzugtes Gefühl“oder „Lieblings-gefühl“ [favouredfeelings, favoritefeelings] nach Eric Berne

Lieblingsgefühle sind nach

Berne unerfreuliche Gefühle,

mit denen fast jeder gleich-

förmig reagiere, wenn er vor

Schwierigkeiten stehe.

Berne war bei dem, was er als „Racket“ – oder eben verdeutscht„Masche“ – bezeichnete, psychologisch unsorgfältig und unklar.Die Folge ist, dass unter „Racket“ ganz Verschiedenes verstandenwird.

Steiner schrieb als Erster von einem „bevorzugten Gefühls-Racket“ [favorite feeling racket] (1971, p.15). Möglicherweisewar dieser Ausdruck damals bereits in den „sozialpsychiatrischenSeminarien“ unter Berne mündlich geläufig. Berne verbindet ver-schiedene Beobachtungen mit dem Begriff „Racket“.

Erste Beobachtung:Lieblingsgefühle sind nach Berne unerfreuliche Gefühle, mit de-nen fast jeder gleichförmig reagiere, wenn er vor Schwierigkeitenstehe und die ihn im allgemeinen davon abhielten, das anstehen-de Problem als „Erwachsenenperson“ anzupacken. Es könne sichum Ärger, Zorn oder Wut, Schuldgefühle, Minderwertigkeitsge-fühle, Gefühl, verletzt worden zu sein, Angstgefühle handeln.Wenn der Teilnahmer in einer therapeutischen Gruppe von einerSchwierigkeit erzähle, dann könnten im allgemeinen die anderenTeilnehmer sofort erraten, wie er gefühlsmäßig auf diese Tatsachereagieren wird, weil sie sein Lieblingsgefühl bereits kennen (1972,p.139/S.171f).Ich denke mir als Beispiel, dass der Betreffende aus geringfügigem Anlass sei-

ne Stelle verloren hat und dann sagt: „Da muss man ja deprimiert sein!“ Ver-

dutzt muss dieser Gruppenteilnehmer aber feststellen, dass ein anderer sagt:

„Da würde ich mich aber schön ärgern!“, ein anderer: „Ich hätte Angst, nicht

gleich wieder eine Stelle zu finden!“, wieder ein anderer: „Da hätte ich Schuld-

gefühle gegenüber meine Familie!“.

Wer sich nicht auf ein solches Gefühl einlasse, sondern autonomerlebe und sich autonom verhalte, würde realitätsgerecht das Pro-blem anpacken.In Bezug auf mein Beispiel aus einer Gruppe könnte auch ein Teilnehmer sa-

gen: „In einer solchen Situation würde ich sofort eine neue Stelle suchen. Das

dürfte heute nicht allzu schwierig sein!“

Auf die Frage, was für Gefühle denn zum „bevorzugten Gefühl“würden, hat Berne zwei Antworten: (1.) Diese Gefühle seien ur-

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sprünglich den Eltern abgeguckt worden, wenn diese in schwieri-gen Situationen gewesen seien (Berne 1964), „Abgesehen vomfraglichen Einfluss von Genen wurden bevorzugte Gefühle vonden Eltern gelernt“ (1972, p.138/S.171). – (2.) In der späterenKindheit habe jeder „abwechselnd mit Gefühlen von Ärger, Ver-letztheit, Schuld, Angst, Minderwertigkeit, Recht zu haben odervon Triumph experimentiert und dann entdeckt, dass eines dieserGefühle gebilligt worden sei und zu Ergebnissen geführt habe.Dieses wird dann zu seinem Racket!“ (1972, p.137/S.170). Waswir uns unter den „Ergebnissen“ vorzustellen haben, wird vonBerne nicht gesagt, wohl vermehrte Zuwendung.Wir können uns vorstellen, dass bei einem Kind, das in kritischen Situationen

wütend wird, gesagt wird „Ganz der Vater!“ oder bei einem Kind, dass sich

in kritischen Situationen in sich selbst zurückzieht „Ganz die Mutter!“ (Goul-

ding, M. u. R. 1979, p.113/S.143).

Zweite Beobachtung: Nach Berne werden Spiele gespielt, um bestimmte Gefühle, ebenRackets zu rechtfertigen. Er sagt wörtlich: „Ein Racket also ist einbestimmtes aus allen möglichen Gefühlen, das gewohnheitsmäßigvon jemandem als Endgewinn in den Spielen, die er spielt, ange-strebt wird“ (1972, p.139/S.172). Spiele aber sind nach Berneauch Skriptfragmente. Insofern besteht eine Beziehung zwischeneinem Racket als Spielgewinn und seinem Skript!Den Franzosen wird nachgesagt, sie pflegten in einem Restaurant nach dem

Essen peinlich genau die Rechnung zu prüfen, seien dann sichtlich enttäuscht,

wenn sie keinen Fehler finden, aber begeistert, wenn sie doch einen entdecken.

Berne würde dazu sagen, es handle sich um das psychologische Spiel „Hab ich

dich endlich erwischt ... “, dessen Ziel oder „Gewinn“ es sei, sich zu ärgern

und querulatorisch um sein Recht zu kämpfen (1964, p.85ff/S.105-108). –

Skriptüberzeugung: „Jeder will dich hereinlegen!“

Jemand schreibt an der Maschine, während ihm ein anderer über die Schulter

guckt. Er vertippt sich und sagt: „Das ist nun deine Schuld, dass ich mich ver-

tippt habe! Da soll einer fehlerfrei schreiben, wenn ihm ein anderer zusieht!“

Nach Berne handelt es sich bei dieser Szene um das Spiel: „Sieh nur, wozu du

mich gebracht hast!“ (1964a, pp.88-91/S.109-114). – Skriptüberzeugung:

„Wenn mir ein Fehler passiert, sind sehr wahrscheinlich andere schuld!“

Es trifft auch nach den Spielbeispielen von Berne nun allerdings nicht zu, dass

ein abgelaufenes Spiel immer bei den Beteiligten ein ungutes oder unerfreuli-

ches Gefühl hinterlässt.

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Nach Berne werden Spiele

gespielt, um bestimmte Ge-

fühle, eben Rackets zu recht-

fertigen.

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„Der Gewinn [the pay-offs] irgendeines psychologischen Spiels[game] wird nicht nur im Moment mit Vergnügen oder Bedauerneinkassiert, sondern zudem für späteren Gebrauch beiseite gelegt,sehr ähnlich wie Rabattmarken, die man beim Kauf in einem Le-bensmittelgeschäft erhalten hat. Es gehört also sozusagen zu je-dem Skript ein ihm zugeordnetes Rabattmarkenheft und dasSkript kann nicht erfüllt werden, bevor nicht das Heft vollgeklebtund gegen eine Prämie eingetauscht ist“ (1970, pp.157f). So wer-den auch die Gefühle, die nach Spielen zurückbleiben, nach Ber-ne wie Rabattmarken gesammelt, um, wenn genug gesammeltsind, diese gegen eine Prämie einzutauschen, nämlich einen„Skriptausbruch“. Wer sich „genug“ über andere geärgert hat,mag sich schließlich innerlich berechtigt sehen, sich einmal besin-nungslos zu betrinken, völlig unbesonnen seine Stellung aufzuge-ben, sich scheiden zu lassen u.ä. (Berne 1964; 1966, pp.286-288;1970, pp.157-158/S.134; 1972, p.25, pp.139-147). Berne be-zeichnet das Ziel und angestrebte Ergebnis eines solchen Spiels di-rekt als Rabattmarke (1972, p.25). Berne spricht auch von Ra-battmarken als Währung von Rackets, was das auch immerheißen mag (1964; 1972, p.140/S.173).Diese Ausssage von Berne, dass ein Skript nicht erfüllt werden könne, ohne ein

Rabattmarkenheft einzutauschen, verdiente diskutiert zu werden.

Dritte Beobachtung:Oft schwelgen wir nach Berne geradezu in Racket-Gefühlen, stattanstehende Probleme zu lösen (Berne 1966, p.308). Dazu be-merkt Berne, dass solche Rackets sexualisiert worden seien odereinen Ersatz für Sexualität bieten würden (1964; 1966, p.308;1972, p.141/S.173f), ja Gefühle würden eben gerade dann zuRackets. Diese Auffassung hat bei seinen Schülern verständnislo-ses Kopfschütteln ausgelöst, wird aber verständlicher, wenn wirvon einem „wollüstigen Schwelgen in Gefühlen“ sprechen.Die eigenen Lieblingsgefühle zu erkennen, ist nicht immer ein-fach, da der Betreffende sie ja als begründet erlebt. Nach Berne istSelbsterfahrung in Gruppen eine besonders gute Gelegenheit, sei-ne Lieblingsgefühle zu erkennen, wie dies auch aus dem eingangserwähnen Beispiel hervorgeht.Der Ausdruck Lieblingsgefühl besagt, dass das Aufgeben einesLieblingsgefühls einen Verzicht bedeutet, wie wenn diese immerwieder angestrebten Gefühle in das Gefühl der eigenen Identität

Oft schwelgen wir nach Ber-

ne geradezu in Racket-Ge-

fühlen

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einbezogen würden. Es scheint mir wichtig, Lieblingsgefühle nichtzu verdammen, sondern sie, wenn sie als solche erkannt sind, an-zunehmen, ohne sich aber davon lähmen zu lassen. Vielleichtstammt von Muriel James der Vorschlag, beim Auftreten von alssolchen erkannten Lieblingsgefühlen den Terminwecker auf zehnMinuten zu stellen und wenn es läutet, zur Realität, d.h. zum zulösenden Problem zurückzukehren. „Typisch oberflächlich ameri-kanisch?“ – aber es kann sich nach meiner Erfahrung tatsächlichbewähren!

Das Autobahnbeispiel von Robert Goulding: „Man macht seine Erfahrungen über die Allgegenwart von‚Rackets‘, wenn man immer wieder einmal neben einem anderenFahrer [in Hauptverkehrszeiten] auf einer Autobahn fährt undKenntnis nimmt von dem, was sie dabei von sich geben. Nur we-nige drehen ihr Radio an und hören Musik, während sie ihremZiel zufahren und kümmern sich dabei nicht groß um die anderenAutobahnbenutzer; sie lassen sich ihre Laune nicht verderbendurch solche, die sich provozierend benehmen. Solche gleichmüti-gen Fahrer sind die Ausnahme. Weitaus die meisten sind währendder ganzen Fahrt aufgebracht über andere Fahrer: Sie werden wü-tend über diejenigen, die ständig von hinten nachdrücken oderknapp vorn sich hineinschlängeln oder sogar über solche, die beiEinfahrten sich einreihen wollen; andere fühlen sich verwirrt überden (dichten) Verkehr und die Hinweistafeln, so dass sie in Gefahrkommen, die Orientierung zu verlieren; andere werden depri-miert; wieder andere ängstigen sich über die vielen Selbstmord-kandidaten, wie sie sagen, welche die Autobahn bevölkern usw.Die Bemerkungen, die sie dabei machen, sind immer dieselben, et-wa: ‚Dieser Verkehr macht mich heute ängstlich-gespannt [an-xious]‘, aber sie waren bereits morgens noch im Bett ängstlich-ge-spannt, wenn sie an den Verkehr dachten, der sie erwarten wür-de. Oder sie sagen: ‚Wer wäre nicht deprimiert, wenn er sich je-den Tag in dieses Verkehrschaos begeben müsste!‘, aber es kommtihnen nicht in den Sinn, ein Haus oder eine Wohnung zu suchen,die näher am Arbeitsplatz liegen oder eine Stelle, die näher anihrem Wohnsitz ist“ (Goulding, R. 1972). – Solche Gefühle be-zeichnet Goulding als „Rackets“. Für Robert Goulding ist einevertraute Verstimmung ein Racket.

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2. „Racket“ als ver-traute Verstimmung[chronic familiar bad– unpleasent –feeling] nach Robert Goulding

Für Robert Goulding ist eine

vertraute Verstimmung ein

Racket.

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Ein anderes Beispiel, wie solche Racket-Gefühle gleichsam „ge-sucht“ werden, ergibt sich, wenn wir beobachten, auf was derBlick eines Zeitungslesers zuerst fällt: Auf die Rubrik über Un-glücksfälle und Verbrechen, die Veranlassung geben, in Entrü-stung zu schwelgen? Oder auf Skandale bei hohen Politikern oderGefahren, die drohen?Nach Goulding wird die vertraute Verstimmung von den Elterngelernt und wird im Skript verankert (Goulding 1972). Es handeltsich meines Erachtens nicht um eine grundsätzlich verschiedeneAuffassung von der Bedeutung dessen, was auch Berne unter ei-nem „Racket“ versteht. Die Äußerungen von Goulding zur ver-trauten Verstimmung ergänzen das, was Berne über die Lieblings-gefühle sagt.Um zu vermeiden, immer wieder der vertrauten Verstimmungoder dem Lieblingsgefühl zu verfallen, was nach Berne und Goul-ding davon ablenkt, sein Erwachsenen-Ich einzusetzen und soge-nannt autonom zu leben, wenden Goulding und Dusay das an,was ich eine Rückführung des Rackets nenne (Goulding 1972;Dusay 1977, p.46). Eine solche besteht aus Fragen, die an denKlienten oder Patienten gestellt werden: „Was ist es, was Ihnenheute Minderwertigkeitsgefühle macht?“, „Was machte Ihnen inder Mittelschul- oder Lehrzeit Minderwertigkeitgefühle?“, „Waspflegte Ihnen in der obligatorischen Schulzeit Minderwertigkeits-gefühle zu machen?“, „Was für Ereignisse lösten bei Ihnen in derVorschulzeit Minderwertigkeitsgefühle aus?“. Dabei ist darauf zuachten, dass bestimmte Szenen als Beispiele geschildert werden.Die Beantwortung dieser Fragen kann den Betreffenden plötzlichrealisieren lassen, dass er seine Minderwertigkeitgefühle hart-näckig mit immer wieder anderen Begründungen von der frühenKindheit bis in die Gegenwart weitergetragen hat. Manchmalkann auf diese Weise auch schließlich ein Schlüsselerlebnis aufge-deckt werden, das ursprünglich den Minderwertigkeitsgefühlenzugrundelag, wobei eine Deutung des Erlebnisses aus der Erwach-senenperspektive gar nicht auf Minderwertigkeit schließen lassenwürde, z.B. als der drei Jahre ältere Bruder für irgend etwas, waser getan hatte, in Anwesenheit des Betroffenen gelobt wordenwar. Eine solche Szene kann gleichzeitig die Skriptentscheidungoder Grundentscheidung ausgelöst haben.

Rückführung des Rackets

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Nach English sind Rackets Gefühle, die an Stelle eines einer Si-tuation entsprechenden Gefühls auftreten, das aber in der Kind-heit des Betreffenden missbilligt worden war, während das Er-satzgefühl erlaubt war oder sogar zu besonderer Zuwendung ge-führt hat.1. Beispiel: „Lucie z.B. zeigte eine übermäßig liebenswürdige Zuvorkommen-

heit ... . Wenn jemand in der Gruppe etwas sagte, das Neid in ihr auslösen

könnte, nahm Lucie niemals Neid oder Eifersucht bei sich wahr, und sie hielt

daran fest, dass ihre Liebenswürdigkeit echt sei. Als Susi [eine andere Teil-

nehmerin] eigene Gefühle der Eifersucht auf einen Vetter formulierte, reagier-

te Lucie mit Verblüffung auf Susis Gefühle. Sie war niemals eifersüchtig ge-

wesen, als ihr kleiner Bruder geboren war. Man hatte sie stattdessen für Lie-

benswürdigkeit mit Streicheleinheiten belohnt, und nun musste sie erst den

Neid entdecken, bevor sie ihr einseitiges Verhalten abbauen konnte“ (English

1971/1972, TAJ 1, pp.225-230 u. TAJ 2, pp.23-25, dt.1980, S.83-96).

2. Beispiel: Roberta „war 65 Jahre alt und hatte während ihres ganzen Lebens

immer wiederkehrende Depressionen.“ Robertas Mutter hatte an einer lang-

wierigen Krankheit gelitten. Ruhe war ihr ein dringendes Bedürfnis. „Wenn

Roberta von der Schule nach Hause kam, fröhlich und lärmend, dann wurde

sie von der Mutter und Großmutter als ‚Monster‘ betrachtet. Wenn der Vater

nach Hause kam und Roberta traurig herumsitzend fand, dann lobte er sein

liebes, unglückliches Töchterchen, das ‚so traurig über die Krankheit der Mut-

ter‘ war ... So lernte Roberta, die Fröhlichkeit gegen Depressionen einzutau-

schen“ (English 1971/1972).

Nach English hat ein Ersatzgefühl [genauer: die Äußerung einesErsatzgefühls] einen „falschen Ton“, den „falschen Geschmack“,auch mache es einen „aufgesetzten“, „künstlichen“ Eindruck. Er-satzgefühle würden auch aufdringlicher geäußert als andere.

Was English als Ersatzgefühle bezeichnet, erinnert mich an „Gegenemotio-

nen“, wie sie Psychoanalytikern als Folge einer Verdrängung von Emotionen

festgestellt haben (Fenichel 1945, p.473). Beim Beispiel von Lucie, bei der Zu-

vorkommenheit und Liebenswürdigkeit statt Äußerungen von Neid- und Ei-

fersucht aufgetreten sind, und auch bei Roberta, bei der depressive Verstim-

mungen Gefühle der Fröhlichkeit ersetzt haben, kann sehr gut von „Gegene-

motionen“ gesprochen werden, ebenso bei anderen Beispielen von English. Fe-

nichel bemerkt, dass die Gegenemotionen einen unechten und theatralischen

Eindruck machten. (Fenichel 1945, p.473).

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3. „Rackets“ als Er-satzgefühle [substiti-tuition feelings] nachFanita English

Nach English sind Rackets

Gefühle, die an Stelle eines

einer Situation entsprechen-

den Gefühls auftreten.

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Wenn die Autorin der Ansicht ist, dass ein solches Ersatzgefühlmanchmal wohl nach seiner Art, aber nicht nach seiner Intensitätder auslösenden Situation angemessen sein kann, so leuchtet dasnicht ohne weiteres ein, denn damit würde es ja nichts ersetzen.Es wäre aber in einem solchen Fall denkbar, dass etwas vorliegt,das der Psychoanalytiker Valenstein (1962) als „Affektualisie-rung“ – dem Begriff „Intellektualisierung“ nachgebildet – be-zeichnet, eine, wie Mentzos erläutert, „Art Überemotionalität, ei-ne Emotionalisierung und Dramatisierung“, die eine klare kogni-tive Einsicht verhindern solle (Mentzos 1982, S.64; 1983, S.66).Um einen Ersatz würde es sich dann nicht handeln.Ein gewiegter Therapeut oder geschickter Erzieher wird daraufachten, ob Gefühle, die einer Situation ganz und gar nicht ent-sprechen, ein Ersatz sein können für verdrängte Gefühle. Gelingtes ihm, das „eigentliche“ Gefühl bewusst zu machen, was manch-mal allerdings einer analytischen Therapie bedarf, so verschwin-den nach English die sog. Ersatzgefühle. Die Autorin nimmt an,dass diese, weil Ersatz, sich dem Betreffenden besonders hart-näckig aufdrängten und entsprechend auch immer drängendergeäußert würden. Die Autorin deutet an einer Stelle ihrer Aus-führungen an, dass diese „unechten“ Gefühle nicht unbedingt„ausgespielt“ werden, um Beachtung und Zuwendung zu finden,wenn dies auch häufig der Fall zu sein scheine.Berne deutet, meines Erachtens mit Recht an, dass Ärger undGroll oft statt Schmerz, Frustration oder Enttäuschung auftreten(1966, p.309). Ein einleuchtendes Beispiel ist, wenn ich mich aufeine Begegnung sehr gefreut habe und der oder die Betreffendeausbleibt. English könnte sich auf diese Aussage von Berne beru-fen. Nach Berne ist es eine wichtige Aufgabe eines Psychothera-peuten, den Patienten Enttäuschung — ich füge im Sinn von Ber-ne bei: sowie Schmerz oder Frustration — von Ärger unterschei-den zu lernen.Ian Stewart kennt vier Grundgefühle: Angst, Ärger, Trauer,Glücksgefühl. Alle Gefühle, die sich nicht in eines dieser vier Ge-fühle einordnen lassen, seien Ersatzgefühle, so z.B. Gefühle derFrustration, Schuld, Verlegenheit, Spannung [anxiety], Eifersucht,Hilflosigkeit, Verzweiflung, Vorwurf (an andere), Gefühle eigenerTadellosigkeit, Überheblichkeit, Verachtung (Stewart 1989,pp.68f/S.118f). Eine solche Reduktion echter Gefühle wäre mei-

Eine solche Reduktion ech-

ter Gefühle wäre meines Er-

achtens eine ungerechtfertig-

te Verarmung der Emotions-

psychologie.

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nes Erachtens eine ungerechtfertigte Verarmung der Emotions-psychologie.Nehmen wir an, die Mutter eines Kleinkindes stopfe diesem im-mer ein Stück Schokolade in den Mund, wenn es Tränen hat. DasKind wird nachmals als Erwachsene jedesmal, wenn es sich einerSituation gegenübersieht, die Trauer auslösen könnte, stattdessenein unbändiges Gelüst nach Schokolade erleben. English würdeohne weiteres ein solches unüberwindbares Gelüst auf Schokola-de auch als Ersatzgefühl bezeichnen, obgleich es sich nicht um einechtes Gefühl im Sinne des Zu-Mute-Seins handelt. Sie geht sogarviel weiter, wenn sie meint, auch Erbrechen, gesteigerte Sexua-lität, Hunger, Verdauungs- und Atemstörungen, übertriebeneHilfsbereitschaft, Wichtigtuerei, Klatschhaftigkeit, Strebertum,Antreiber wie „Sei stark!“ und ebenso gewisse Phobien, alsoEmpfindungen, körperliche Beschwerden, Charakter- und Verhal-tenseigentümlichkeiten könnten die Bedeutung eines „Ersatzge-fühls“ haben. Es sind nach English auch nicht nur Gefühle, die er-setzt werden, sondern auch Sexualität, Abhängigkeit, Unabhän-gigkeit, Verhaltensweisen, Einstellungen, Erkenntnisse, selbstIdeen (1980, S.99; 1996). Damit verwässert English ihre Konzep-tion von Ersatzgefühlen.Diejenigen Transaktionsanalytiker, die, English folgend, den„Rackets“ die Bedeutung von Ersatzgefühlen geben, gehen, so-weit ich gesehen habe, nicht auf diese uferlose Ausdehnung desBegriffes ein.

Das Ehepaar Haimowitz kennt auch Rackets im Sinn von Ersatz-gefühlen, wenn auch in etwas anderem Sinn als English, nämlichaus eigener Entscheidung oder um ein gefährlicheres, schmerzli-cheres oder verwerflicheres Gefühl zu vermeiden oder weil in derKindheit ein Gefühl nötig war, um etwas zu bekommen (1976,pp.49-52).

Beispiele:

„Wenn ich traurig bin, gebe ich vor, glücklich zu sein, denn meine Mutter war

so traurig, als mein kleiner Bruder starb, dass ich beschloss, ihr Sonnenschein

zu sein, um sie aufzumuntern. Und wenn ich auch jetzt über etwas enttäuscht

bin, bleibe ich vergnügt und schätze, was ich habe“ (1976, p.50).

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4. Ersatzgefühle nachMoritz und NatalieHaimowitz

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Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

„So unerfreulich es ist, traurig zu sein, es ist doch wohl besser, als wütend zu

sein. Oder vielleicht hatte jemand in seiner Herkunftsfamilie traurig zu sein,

um eine Süssigkeit zu bekommen und nun ist Traurigkeit der Preis, um vor der

inneren ,Elternperson‘ ein Vergnügen zu rechtfertigen“ (1976, p.52). – In letz-

terem Fall kann allerdings nicht von einem Ersatz gesprochen werden.

Von Ausbeutung [racketeering] schreibt English bei jemandem,der gegenüber einem anderen Gefühle äußert, von seinen Proble-men erzählt oder unverlangt Ratschläge gibt und Anweisungenerteilt, allein um Zuwendung zu erzwingen, und dies hartnäckig,unersättlich und aufdringlich. Nach English sind die Gefühle, dieder „Ausbeuter“ ausspiele, Ersatzgefühle und damit Rackets imSinn von English (English 1999). Zu dieser Annahme siehe weiterunten.

Beispiele von Fanita English:

5. Ausbeutung[Racketeering = je-mandem betrügerischoder durch Ein-schüchterung Geldaus dem Sack ziehen]und Ersatzgefühlenach English (1971/1972, 1977, 1996)

Ausbeutungstransaktionen

1. Beispiel von Ausbeutungstransaktionen aus einer

kindlichen Haltung (auch unterverantwortlichen

Haltung, Grundeinstellung –/+, Opferrolle – frei

nach English 1977)

Angesprochener: „Was ist denn passiert?“

Angesprochener: „Das tut mir leid!“

Angesprochener: „Kann ich irgend etwas für dich

tun?“

Angesprochener: „Was möchtest du gern?“

Ausbeuter: „Fühlst du dich auch wirklich wohl?“

Angesprochener: „Oh, dankeschön.“

Ausbeuter: „Ist genügend Eis darin?“

Ausbeuter: „Nein, gib mir das Glas noch einmal.

Ich hole dir mehr Eis.“

Ausbeuter: „Oh, doch, ich bestehe darauf. Es ist zu

wenig Eis.“

Usw. usw.

2. Beispiel von Ausbeutungstransaktionen aus einer

elterlichen Haltung (auch überverantwortlichen

Haltung, Grundeinstellung +/–, Retter- oder Verfol-

gerrolle – frei nach English 1977)

Ausbeuter: „Ich bin so unglücklich!“

Ausbeuter: „Ich weiß nicht recht, ich fühle mich

miserabel.“

Ausbeuter: „Ich brauche Trost und Hilfe!“

Ausbeuter: „Ich weiß nicht recht. Aber ich bin si-

cher, du könntest mir helfen.“

Ausbeuter: „Ja, was meinst du?“

Angesprochener: „Ja, vielen Dank.“

Ausbeuter: „Ich will dir etwas zu trinken bringen.“

Angesprochener: „Ja, danke, es genügt.“

Angesprochener: „Nein, nein, vielen Dank!“

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Die Wendung in der Kommunikation, die English als Spiel be-zeichnet, ist nach ihr selbst keineswegs obligatorischer Teil einerAusbeutungsreaktion. Es gibt nach English auch Menschen, die, wenn es ihnen momen-tan nicht gut geht, durch ihr Verhalten etwas zusätzliche Zuwen-dung von ihren Freunden und Fremden zu bekommen trachten.Sie sind dabei aber nicht unersättlich und nicht aufdringlich.Als ersten Grades bezeichnet English eine Ausbeutung, die mehr einem Zeit-

vertreib entspricht (also doch wohl keine echte Ausbeutung nach ihrer Defi-

nition). Eine Ausbeutung zweiten Grades wirke bereits unangenehm auf-

dringlich. Eine solche dritten Grades entspreche einem süchtigen Verhalten,

das sich sogar bis zu Selbstmord- und Morddrohungen steigern könne, was,

was ich von mir aus feststelle, bei sogenannten Querulanten geschehen kann.

Es gibt auch komplementäre Ausbeutungstransaktionen. Wir können uns ja

gut vorstellen, dass ein Ausbeuter aus dem Kind-Ich auf einen Ausbeuter aus

dem Eltern-Ich trifft. Dann kann es endlos weitergehen. Sie halten sich gegen-

seitig in ihrer „Ausbeutungshaltung“ fest! (English 1999).

Der Zusammenhang zwischen Ausbeutungstransaktionen und Er-satzgefühlen ist für English zwingend: Die Gefühle, die der „Aus-beuter“ ausspiele, seien nämlich Ersatzgefühle und gerade des-halb – weil es sich um unechte Gefühle handle – würden sie sosüchtig und unersättlich geäußert. Sie seien nicht zu befriedigen.

Von eigentlichen Gefühlen (Zu-Mute-Sein) kann nicht gesagt wer-den, sie könnten zu einer „Sättigung“ führen oder sie seien „nicht

FOCUS

Der Zusammenhang zwi-

schen Ausbeutungstransak-

tionen und Ersatzgefühlen

ist für English zwingend.

(Es kann aber dazu kommen, dass der Ausbeuter,

oft mit Recht, vermutet, dass der Ausgebeutete sich

zurückzuziehen drohe. Dann wechselt er in die zu

seiner komplementären Haltung, bei diesem Bei-

spiel, wie es English sieht, in die kritische Eltern-

haltung [auch Verfolgerhaltung]. Das ist nach

English dann ein Spiel.)

Angesprochener (energisch): „Nun, das kann ich

doch wirklich nicht sagen!“

Ausbeuter: „Du weißt aber auch gar nichts!“

(Siehe die Zwischenbemerkung im Beispiel links.

Bei dem Beispiel hier wechselt der Ausbeuter, wenn

der Ausgebeutete sich zurückzuziehen droht, aus

der elterlichen in eine kindliche Haltung [auch Op-

ferhaltung]:)

Angesprochener: „Nun dann, danke schön!“ – „Jetzt

will ich aber in Ruhe meinen Whisky trinken!“

Ausbeuter (weinerlich): „Jetzt schickst du mich ein-

fach fort!“

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Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

zu befriedigen“. Nur Bedürfnisse können befriedigt oder gesättigtwerden und zwar im Zusammenhang mit den Beispielen vonEnglish ein Bedürfnis nach Zuwendung. Dieses wird auf einemfalschen Weg zu befriedigen versucht, deshalb die Süchtigkeit!Was English als Ausbeutung bezeichnet und was sie selbst darü-ber sagt, zeigt, dass es sich ganz einfach um eine Sucht nach Zu-wendung handelt.Berne hat 1970 und 1972 dekretiert, dass man nur dann von einem psycho-

logischen Spiel in seinem Sinn sprechen dürfe, wenn es nach der Spielformel

ablaufe (1970, p.152/S.219; 1972, p.24/S.64,541). Es gibt Transaktionsana-

lytiker wie Stewart u. Joines, die betrachten alle Kommunikationsfolgen, die

Berne früher ebenfalls als Spiele bezeichnet hat, obgleich ihr Ablauf der Spiel-

formel nicht entspricht, als Ausbeutungstransaktionen im Sinn von English

und zwar auch dann, wenn der „Ausbeuter“ nicht in einen anderen Ich-Zu-

stand wechselt, was English ihrerseits als Spiel bezeichnet hat, sondern wenn

sich die Transaktionen solange fortsetzen, „als beide wünschen und Energie

dafür einsetzen wollen“ (Stewart u. Joines 1987, p.242/S.346). Meine Bei-

spiele von Ausbeutungstransaktionen, die ich von English übernommen habe,

zeigen meines Erachtens aber, dass sie mit Spielen, wie sie Berne in seiner Mo-

nographie beschreibt, nicht zu vergleichen sind!

Frank Ernst (1973) versteht unter Rackets unechte Gefühlsaus-brüche, die dazu dienen sollen, von anderen etwas zu erreichen.1. Beispiel: Eine Frau prahlt mit der Macht, die sie bei ihren Wutausbrüchen

ausübt: „ ... Wenn ich wirklich wütend werde, bin ich meinem Mann weit

überlegen [I’m stronger than my husband]. Niemand kann mich beruhigen,

wenn ich derart wütend werde.“ Sie genießt in ihren Wutanfällen also ihre

Macht über andere.

2. Beispiel: Die kleine Schwester bricht plötzlich laut hörbar in Tränen aus.

Die Mutter eilt besorgt, ja geradezu in heiligem Eifer [worshipfully] herbei,

um ihr Töchterchen zu beschützen. „Was ist geschehen? Wer hat das getan?“

Die Tränen sind für die Mutter der Beweis, dass sich da jemand vergangen hat.

Der kleine Bruder steht in der Nähe, jetzt bleibt ihm nur noch, sich rasch zu

verziehen, Schläge einzustecken oder ebenfalls in Tränen auszubrechen. – Der

Tränenausbruch des Töchterchen, der die Mutter herbeiruft, ist nach Ernst ein

„Racket“.

3. Beispiel: Ein 38jähriger Mann, der zum vierten Mal im Gefängnis saß, sag-

te: „Doktor, wenn Sie nicht dafür sorgen, dass ich entlassen werde, werde ich

so verbittert, dass ich nicht weiß, was geschehen könnte, wenn ich einmal

6. „Rackets“ als„emotionale Erpres-sung“ [racketeeringwith non-authenticemotional display]Franklin Ernst

TA Ausgabe 03-02 20.01.2005 15:15 Uhr Seite 186

FOCUS

ZTA 3/2002 187

draußen bin!“ – Nach Ernst ein „Racket“ in Form einer Drohung, die aller-

dings, wie auch Ernst bemerkt, die zum Wunsch gegenteilige Wirkung haben

wird, nämlich dass er erst recht nicht entlassen wird.

Wenn Ernst von „Racket“ spricht, schwebt ihm die umgangs-sprachliche Bedeutung dieses Wortes vor: eine Drohung oder Ein-schüchterung, um jemanden zu etwas zu zwingen, wobei er an ei-ne Schutzgelderpressung denkt. Bei einem „psychologischenRacket“ setze der „Erpresser“ einen Gefühlsausbruch als Dro-hung, Einschüchterung und Zwang ein, um Entgegenkommen zuerzwingen. Das ist „das Herz einer psychologischen Erpressungund eines psychologischen Betrugsgeschäfts“ [the heart of psy-chological blackmail and rackets]. Duch einen Gefühlsausbruchbeherrsche der Betreffende die Situation und bewirke, dass es demanderen ungemütlich werde, dass er sich, wie Ernst sagt, nichtO.K. fühle: „Du bist nicht O.K. mit mir, bis ich bekomme, wasich verlange“ (Ernst, F. 1973, p.97). Einerseits sagt Ernst, das„Opfer“ einer solchen „Erpressung“ sei gezwungen zu tun, wasder „Erpresser“ verlange, andererseits meint er aber auch, das„Opfer“ könne notfalls fliehen.William Holloway spricht auch von einem Racket, wenn durch Schmeicheln

oder Flehen versucht wird, etwas zu erreichen (Holloway 1973).

Solche erpresserischen Gefühlsäußerungen werden nach Ernst inder Kindheit erlernt – wie er andeutet, aber nicht differenziertausführt – durch die Umfunktionierung von ursprünglich sponta-nen Gefühlsäußerungen. Ich stelle mir dazu vor, ein Säugling wei-ne ursprünglich spontan, wenn er Hunger hat, dann aber auch,um die Mutter herbeizurufen, wenn er Langeweile hat. Der Indi-vidualpsychologe Fritz Künkel spricht von „Umfinalisierung“(1928/101944, S.20f). Ein solches Kind „sucht“ aber doch wohl,mindestens vorerst, nicht bedacht Zuwendung wie ein Erpresserseinen Profit zu erlangen trachtet, sondern sozusagen als beding-ter Reflex (Berne 1972, p.137/S.170). Und auch wenn es späterbewusst geschehen sollte, handelt es sich um ein echtes Bedürfnis.Mary u. Robert Goulding verbinden das Modell der vertrautenVerstimmung mit demjenigen der emotionalen Erpressung. AchtJahre nach Frank Ernst stellen sie fest: „Diese Gefühle werdeneingesetzt [used = benützt] für den Versuch, andere zu ändern.Gelegentlich natürlich führen die Leute aus, was wir uns wün-

FOCUS

erpresserische

Gefühlsäußerungen

Mary u. Robert Goulding

verbinden das Modell der

vertrauten Verstimmung mit

demjenigen der emotionalen

Erpressung.

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Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

schen, wenn wir nur genügend leiden. Jeder von uns hat die Er-fahrung gemacht, dass, wenn wir traurig waren oder wütend aufjemanden – Gatte, Kind, Eltern, Vorgesetzter – dass diese ihr Ver-halten änderten. ‚Erpressung‘ nennen wir den Einsatz [use] vonRackets als Versuch, das Verhalten von anderen zu ändern“(Goulding, M. u. R. 1979, p.33/S.50). „Traurige Klienten setzenihr Traurigkeit wie wütende Klienten ihre Wut ein, um andere zumanipulieren oder unter Druck zu setzen, sich anders zu verhal-ten [pressure others into changing]“ (Goulding, M. u. R. 1979,p.143/S.179).

Nach M. u. N. Haimowitz (1976) kann jemand Schuldgefühlenaus dem Weg gehen, weil er sich vor einer Verpflichtung gedrückthat: „Ich bin so traurig!“, sagt sein inneres Kind; seine innere El-ternperson entgegnet: „Jemand, der so traurig ist wie du, mussseine Versprechen nicht einhalten!“. – Jemand möchte, dass ihmein Vorteil eingeräumt wird: „Ich bin so müde!“, sagt sein inneresKind; dazu sagt seine innere Elternperson: „Zeige den anderen,wie müde du bist. Wer so müde ist wie du, hat das Recht, in derWarteschlange im Lebensmittelladen nach vorn gelassen zu wer-den!“ – Jemand will sich etwas herausnehmen, was er eigentlichnicht darf: „Ich bin so wütend!“, sagt sein inneres Kind; die in-nere Elternperson meint: „Jemand, der so wütend ist, hat dasRecht, etwas kaputt zu schlagen!“.Nach Goulding können die „schlechten Gefühle“, die er als Racket bezeich-

net, auch als Entschuldigung dienen, sich zurückzuziehen [as an excuse to

withdraw] (1972).

Nach Morris u. Natalie Haimowitz wurden solche Gefühle er-lernt durch Zuwendung, „üblicherweise durch die Eltern oder an-dere Besorger“, die später verinnerlicht worden sind (1976, p.49).Ich möchte in diesem Zusammenhang von einer Verwöhnungsprechen, obgleich die Autoren diesen Begriff nicht gebrauchen.

7. „Racket-Gefühle“als Gefühle, die zurEntschuldigung vorsich und anderen die-nen nach Morris u.Natalie Haimowitz

Racket-Gefühle als Folge

von Verwöhnung

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Beispiele: „Wenn ich mich genügend schlecht fühle, dann wird mich viel-leicht meine Mutter doch noch lieben!“ (McNeel 1977), selbst,wenn sie bereits gestorben sein sollte (McNeel 1977; M. & R.Goulding 1979, p.114/S.144). „Wenn ich mich nur lange und in-tensiv genug schlecht fühle, wird mir jemand Gutes tun!“ oder„Solange ich mich nicht gut fühle, wird mich wenigstens keingrößeres Unheil heimsuchen!“ (Holloway 1973).Eine magische Erwartung ist hier eine Deutung, um zu erklären,weswegen jemand nicht mehr aus einer Verstimmung herausfin-det.Siehe zur Auffassung von Holloway von einem Racket unten im Kommentar!

In ihrem Racket-System (Erskine u. Zalcman 1979 – auch Skript-zirkel nach Schlegel 1979/41995; 1993) sprechen die Autoren beiden Auswirkungen von Skriptüberzeugungen auf das beobacht-bare und das innere Verhalten, auf die körperliche Befindlichkeitund auf Tagträume als vom „Ausspielen oder Aufzeigen von Ra-ckets“ [Rackety Displays].Beispiel: Eine Patientin ist skriptbedingt überzeugt, nicht wichtig zu sein und

dass alle anderen wichtiger sind, dass die Welt voller Forderungen ist, dass das

Leben mühsam ist und nur bestanden werden kann, wenn sie immer liebens-

würdig ist. Es zeigen sich die Rackety Displays in liebenswürdigem Verhalten

unter Zurückstellung eigener Bedürfnisse, wenn solche überhaupt noch wahr-

genommen werden, in Redensarten wie: „Auf mich kommt es ja nicht an!“, in

innerem Verhalten wie dem Zurückschrecken vor Aufgaben: „Das kann ich si-

cher nicht!“, in einer Körperhaltung wie unter ständiger Belastung, im Inhalt

von Tagträumen über die Zukunft: „Ich werde einmal einsam sterben müssen!“

Auf Grund solcher Beobachtungen und Überlegungen stellen dieAutoren auf, was sie Racketanalyse nennen. Sie beziehen sich dar-auf, dass Berne festgestellt habe, dass die Transaktionsanalyse aufvier Pfeilern ruhe: auf der Auffassung von den Ichzuständen, aufder Lehre von den Transaktionen, auf dem Begriff der psycholo-gischen Spiele und schließlich auf der Lehre vom Skript. Diesenvier Pfeilern fügten nun die Begründer des Racketsystems nochdie Racketanalyse als weiteren Pfeiler bei, der vor der Skriptana-lyse einzuordnen sei. Sie bemerken: „Bei den Pfeilern der Trans-aktionsanalyse, die Berne aufgezählt hat, ist die Racketanalyse

FOCUS

8. Racket-Gefühlemit magischen Er-wartungen nach JohnR. McNeel und Wil-liam Holloway

9. „Rackets“ alsAuswirkungen desSkripts auf Erlebens-und Verhaltenswei-sen [rackety displays]im Racketsystem(heute: Skriptsystem)nach Richard Erskineund Marlyn Zalcman

Racketanalyse

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Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

vor der Skriptanalyse einzuordnen. Die Racketanalyse umfasstdie Analyse (1.) von dem, was gedanklich und gefühlsmäßig in ei-nem Menschen vorgeht, wie er körperlich reagiert, was alles eineRolle spielt beim Umgang mit anderen und bei der Gestaltung vonWahrnehmung und der Deutung von Erfahrungen sowie (2.) dieVerhaltensweisen, die direkt aus diesem inneren Geschehen her-vorgehen, ob sie nun ohne Kontakt mit anderen oder im Kontaktmit anderen ablaufen“. Es handle sich bei all dem weder umTransaktionen, noch um psychologische Spiele, noch um Skripts,wenn auch eine Beziehung dazu bestehe (frei nach Erskine undZalcman, 1979, pp.52f; Zalcman 1990, p.13).Immer, wo von einer Auseinandersetzung der Ichzustände mitein-ander die Rede sei, handle es sich um den Bereich einer Racket-analyse, so bei der Analyse innerer Dialoge oder Trialoge, aberauch bei der Beachtung leiblicher Befindlichkeit, bei der Beach-tung des Miniskripts, bei innerpersönlichen Spielen, bei Ausblen-dungen [discounts] im Sinne eines „inneren Mechanismus“ nachder Schiffschule, d.h. um innere Prozesse und nicht um beobacht-bares und insbesondere soziales Verhalten, obgleich dieses Aus-druck dieser innerer Prozesse sei (Zalcman 1986, 1990). Auch dieAufhebung von Trübungen der „Erwachsenenperson“ und voneiner Verwirrung des „Kindes“ seien innere Vorgänge, die nurdurch eine Racketanalyse erfasst werden könnten (Erskine undZalcman 1979, p.52). Wenn English die asymmetrischen Grund-einstellungen als Abwehr gegen die doppelt negative Grundein-stellung auffasse, die beim Bruch der originalen Mutter-Kind-Symbiose geweckt werde, so gehöre dies zu inneren Vorgängen,also ihre Aufdeckung zur Racketanalyse (Zalcman 1990).

Wie aus meinen bisherigen Ausführungen hervorgeht, aber hiernoch einmal zusammenfassend betont werden soll, wird das The-ma „Racket“ dadurch kompliziert, dass einzelne Autoren ver-schiedene Bedeutungen dieses Wortes miteinander verbinden! Fa-nita English verbindet beim Gebrauch des Wortes „Racket“ dieBedeutung eines Ersatzgefühls mit der Bedeutung vom Ausdruckeiner Sucht nach Zuwendung; Robert und Mary Goulding arbei-ten mit der Bedeutung von einer vertrauten Verstimmung, gebenaber dem Wort an einzelnen Stellen in ihrem Werk zugleich dieBedeutung einer emotionalen Erpressung und an wieder anderer

Immer, wo von einer Ausein-

andersetzung der Ichzustän-

de miteinander die Rede sei,

handle es sich um den Be-

reich einer Racketanalyse.

10. KommentierendeBemerkungen zu denAusführungen zumBegriff „Racket“

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FOCUS

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Textstelle auch noch die Bedeutung einer Verstimmung als Aus-druck einer magischen Erwartung. Auch M. &. N. Haimowitzverstehen unter „Rackets“ ganz verschiedenes. Zudem wird im-mer dabei ein Gefühl mit einer Gefühlsäußerung, ob echt oder un-echt, gleichgesetzt. In der Transaktionsanalyse wird der kommunikativen Wirkungvon Gefühlsäußerungen eine große Bedeutung beigemessen, jaGefühle sind für manche Transaktionsanalytiker geradezu Instru-mente, um etwas von anderen zu erreichen (so für Haykin in:Karpman u. D‘Angelo 1976). Das ist eine sehr reduzierte Auffas-sung und als solche unsinnig, zudem eine Verwechslung von Ge-fühlen und Gefühlsäußerungen. Es gefällt mir besser, was Steinersagt: „Eine Emotion ist ein nicht-transaktionales Ereignis. EinRacket ist ein transaktionales!“ (in Karpman & D’Angelo 1976).In diesem Fall wäre ein Racket nicht ein Gefühl, sondern einekommunikativ wirksame Gefühlsäußerung. Es beweist dies aberkeineswegs, dass der Betreffende seine Gefühle hat oder äußert,um dieser kommunikativen Wirkung willen! – Nehmen wir einmal

an, es sei mir die Betreuung einer therapeutischen Wohngemeinschaft über-

tragen. Eine Mitbewohnerin sagt: „Ich möchte nächstes Wochenende nach

Genf fahren; meine Tochter hat Geburtstag!“ und ich sage: „Wir haben dann

unseren Ausflug und ich möchte, dass Sie mit uns kommen. Sie können ja

dann in der Woche darauf zu Ihrer Tochter fahren!“ Die Frau, der ich das sa-

ge, bekommt Tränen. Meines Erachtens wäre es nicht gerechtfertigt, daraus

die Schlussfolgerung zu ziehen, sie wolle mich erpressen. Die Tränen können

einfach nur Ausdruck der Enttäuschung sein. Sie könnten auch erst dann ge-

flossen sein, wenn die Frau allein wieder in ihrem Zimmer ist oder bei einer

Freundin „ihr Herz ausschüttet!“(wunderbare Redensart!). Ich könnte aber

auch nach kurzer Überlegung auf ihre Tränen hin sagen: „Wenn es Ihnen so

wichtig ist, am Geburtstag ihrer Tochter dabei zu sein, so kann ist das verste-

hen. Ich werde Sie allerdings bei unserem Ausflug vermissen!“ Auch eine sol-

che „Meinungsänderung“ meinerseits ist durchaus kein Beweis, dass die Frau

mich mit ihren Tränen erpressen wollte oder dass ich mich erpressen ließ! Es

ist meines Erachtens sogar fraglich, ob jedesmal von Erpressung gesprochen

werden darf, wenn sich ein Kind im Trotzalter im Warenhaus brüllend auf den

Boden wirft, wenn es den Schockoladenstängel nicht erhält, den es im Gestell

beim Ausgang erblickt hat. Kann nicht auch eine solche „Trotzreaktion“ ein-

fach Ausdruck des aktuellen Gemütszustandes sein?

FOCUS

Synopse

Steiner sagt: „Eine Emotion

ist ein nicht-transaktionales

Ereignis. Ein Racket ist ein

transaktionales!“

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192 ZTA 3/2002

Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

Holloway hat sich schon 1973 eingehend mit der Vieldeutigkeitdes Racketbegriffs in der Transaktionsanalyse auseinandergesetzt.Er empfiehlt folgende Formulierung, die seines Erachtens alle Be-deutungen in sich begreifen soll: „Wenn unerfreuliche Gefühlehervorgerufen werden [are created], um die Erfüllung von Wün-schen des ,Kindes’ zu erreichen, dann ist das Vorhaben, das die-sem Vorgang zugrunde liegt, nämlich einen Nutzen anzustreben,ein ‚Racket‘“ (frei nach Holloway 1973).Mit dieser Definition oder Umschreibung sind aber Lieblingsge-fühl und vertraute Verstimmung nicht erfasst, denn diese tretenauch „im stillen Kämmerlein“ auf. Beim Beispiel für Lieblingsge-fühle, wie sie nach Berne in Gruppen zum Ausdruck kommen, sollkein Nutzen daraus gezogen werden und ebenfalls nicht bei denGefühlsäußerungen auf der Autobahn nach Goulding.Bei einer kommunikativen (transaktionalen) Wirkung einer Ge-fühlsäußerung sind psychologisch immer zwei (oder mehr) andem beteiligt, was sich daraus ergibt! Deshalb ist für mich der Be-griff „Ausbeuter“ [racketeer], den English und Ernst gebrauchen,unangebracht, beinhaltet er doch einen mächtigen Vorwurf undlässt denjenigen, der sich „erpressen“ lässt, als unschuldiges Op-fer erscheinen. Hier ist der Vergleich mit einer Schutzgelderpres-sung irreführend, den English und Ernst ziehen. Wenn ein Vertre-ter der Mafia in einer Stadt in Sizilien von einem Geschäftsinha-ber ein „Schutzgeld“ verlangt und dieser ist nicht bereit, ein sol-ches zu bezahlen, dann riskiert er, dass seine Geschäftslokale ei-nes Tages in Brand gesteckt werden, wenn nicht sogar nochSchlimmeres geschieht. Wenn ich mich von erpresserisch vergos-senen Tränen nicht rühren lasse, geschieht mir aber weiter garnichts, wenn ich einmal von einer „Ausbeutung im dritten Grad“nach English absehe, bei der mich der andere umbringen könnte.Es erinnert diese Überlegung an klassische psychologische Spiele:Derjenige, der sich bei einer Schwäche oder Spielanfälligkeit er-wischen lässt, ist immer mit daran beteiligt, dass ein Spiel abläuft.Manchmal „macht“ sogar jemand aus etwas, was ihm gesagtwird, ein Spiel, ohne dass derjenige, der ihn angesprochen hat,weder bewusst noch unbewusst, ein Spiel einleiten wollte:„Kannst du mir rasch das Französisch-Wörterbuch hinüberge-ben?“ – „Immer soll ich alles haben, was andere suchen!“Die Vieldeutigkeit des Racketbegriffes legt nahe, ihn abzuschaffenund eben von Lieblingsgefühlen oder „bervorzugten Gefühlen“

Holloway: „Wenn unerfreu-

liche Gefühle hervorgerufen

werden [are created], um die

Erfüllung von Wünschen des

‚Kindes‘ zu erreichen, dann

ist das Vorhaben, das diesem

Vorgang zugrunde liegt,

nämlich einen Nutzen anzu-

streben, ein ‚Racket‘.“

Jemanden als racketeer zu

bezeichnen ist ein schwerer

Vorwurf.

Die Vieldeutigkeit des

Racketbegriffes legt nahe,

ihn abzuschaffen.

TA Ausgabe 03-02 20.01.2005 15:15 Uhr Seite 192

FOCUS

ZTA 3/2002 193

(Berne) zu sprechen, von „vertrauter Verstimmung“ (Goulding)oder von „Ersatzgefühlen“ (English) oder von „Erpressung durchGefühlsausbruch“ (Frank Ernst). Ich scheue das Wort „Ausbeu-tungstransaktionen“ (English) wegen der moralisch negativenFärbung von „Ausbeutung“ und dem von den Autoren damit ver-bundenen unangebrachten Vergleich mit einer Schutzgelderpres-sung. Ich spreche lieber von einem „Anklammern bei Zuwen-dungssucht“, eine Bezeichnung, die sich nicht nur eignet, um eineTransaktionskette zwischen Bekannten zu kennzeichnen, sondernauch den Stil einer eigentlichen Beziehung zwischen zwei Men-schen.Bei jemandem, der ein Gespräch bei einer persönlichen Begegnung oder am

Telefon anscheinend endlos weiterführen möchte, lässt sich bekanntlich sagen:

„Wer immer weiter spricht, hat Angst, verlassen zu werden!“

Die zudem erwähnten Bedeutungen – ein Gefühl zur Entschuldi-gung vor sich selbst und ein Gefühl, das von magischen Vorstel-lungen begleitet ist, – sind jedesmal zu umschreiben. Diese beidenBedeutungen fallen ohnehin aus dem Rahmen!Schließlich komme ich noch zur Bedeutung von Racket im Rah-men einer Racketanalyse nach Erskine und Zalcman. Ich sehe hiereinmal davon ab, dass Erskine den Ausdruck „Racketsystem“bald einmal durch „Skriptsystem“ ersetzt hat, was vorauszusehenwar, nachdem er und Zalcman bereits in der Zusammenfassungihrer ersten grundlegenden Arbeit zum Racketsystem (1979,p.58) bemerkt haben:„Das Racketsystem bezieht sich immer nurauf jemanden, der nach seinem Skript lebt und kann als ein Quer-schnitt von dessen Skript betrachtet werden.“ [The Racket Systemoperates only when a person is living in script and may be viewedas a cross-section of the script]. Damit ist der Ausdruck „Racket-system“ unnötig geworden! Erskine ließ nicht nur den Ausdruck„racketsystem“ fallen, sondern sagt folgerichtig statt „racketydisplays“ heute „script displays“[also etwa statt von „Manifesta-tionen von Rackets“ spricht er von „Manifestationen desScripts“] und statt von einer „Racketanalyse“, spricht er von ei-ner „Analyse innerer Prozesse“ (Erskine 1980, 1987; Erskine u.Moursund 1988). – Der Ausdruck „Racketsystem“ hält sich inden Kreisen der Transaktionsanalytiker trotzdem hartnäckig!Es bleibt mir unklar, wieso Zalcman, die in Unterscheidung zu Er-skine auch nicht vom Begriff „Racketanalyse“ lassen will, nicht

FOCUS

„Das Racketsystem bezieht

sich immer nur auf jeman-

den, der nach seinem Skript

lebt und kann als ein Quer-

schnitt von dessen Skript be-

trachtet werden.“

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194 ZTA 3/2002

Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

zur Kenntnis nimmt, dass die Lehre, d.h. Theorie und Praxis vonden Ichzuständen, von den Transaktionen, von den Spielen undvom Skript nach Berne alle „inneren Prozesse“ mit-einbegreift. Sogehört das Modell der Trübungen und ihrer Aufhebung in derTransaktionsanalyse durchaus zur Lehre von den Ichzuständenund wird von Berne auch in diesem Rahmen behandelt. Wennfestgestellt wird, dass jemand sich als „braves Kind“ gibt, weilihm eine innere kritische Elternperson das so befiehlt, so geht eszwar, wie auch Zalcman feststellt, um innere Vorgänge, die aberBerne ebenfalls im Rahmen seiner Lehre von den Ichzuständenbehandelt, wie er ganz allgemein das Zusammenspiel von Ichzu-ständen als nach außen wirksame Haltungen und von Ichzustän-den als innerem System in der Lehre von den Ichzuständen ge-meinsam behandelt, also beim ersten „Pfeiler“.Wenn jemand auf eine sachliche Frage so reagiert, wie wenn der-jenige, der die Frage gestellt hat, ihn als kritische Elternperson an-gegriffen hätte, so gehört zu einer praktisch angewandten Analy-se von Transaktionen, dass dieser „innere Vorgang“ aufgedecktwird. Von ihm handelt übrigens das erste Beispiel von Berne füreine „einfache Analyse von Transaktionen“ (1958). Psychologi-sche Spiele sind letztlich Spiele mit sich selbst, nämlich Verhal-tenseigentümlichkeiten, mit denen Skriptüberzeugungen nichtdurch Erfahrung, sondern durch Provokation bestätigt werdensollen. „Aufdecken von inneren Vorgängen“, die Erlebens- oderVerhaltensweisen klären, unter denen ein Patient leidet, ist derSinn jeder Psychotherapie, die mehr als nur übend sein will. Übri-gens durchaus nicht nur bei tiefenpsychologischen Verfahren,sondern auch bei kognitiven und somit auch bei der heute kogni-tiv orientierten Verhaltenstherapie (siehe Schlegel 1998). WennZalcman (mit Erskine), wie bereits angeführt, die Analyse von„Verhaltensweisen, die direkt aus diesem inneren Geschehen her-vorgehen, ob sie nun ohne Kontakt mit anderen oder im Kontaktmit anderen ablaufen“, in den Begriff der „Racketanalyse“ einbe-zieht, wird ihre grundsätzlich strenge Trennung, auch in der Pra-xis, von der „Analyse innerer Vorgänge“ und der „Analyse vonbeobachtbaren Verhaltensweisen“ vollends unverständlich. In diesem Zusammenhang sei nebenbei erwähnt, dass Zalcmann später als

sechsten Pfeiler noch die „Analyse sozialer Systeme“ nennt (1990).

Kritik an Marilyn Zalcman

TA Ausgabe 03-02 20.01.2005 15:15 Uhr Seite 194

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ZTA 3/2002 195

Der Autor schildert die verschiedenen Bedeutungen, die im trans-aktionsanalytischen Schrifttum der Bezeichnung „Racket“ zuge-wiesen werden. Alle beruhen trotz ihrer Verschiedenheit und zumTeil Unvereinbarkeit auf ernst zu nehmenden Beobachtungen.Das auch von deutschen Transaktionsanalytikern oft gebrauchteWort „Racket“ und auch seine Übersetzung „Masche“ ist seinesErachtens aus der transaktionsanalytischen Terminologie zu strei-chen und für jede Bedeutung eine eigene Bezeichnung zu verwen-den.

The author describes the various meanings which are attributedto the term „racket“ throughout the transactional analytic writ-ings. In spite of their difference each of them is based on seriousobservations. The author’s conviction is to drop the term„racket“ as well as the German translation „Masche“ from thetransactional analytic terminology and to introduce a specificterm whenever it is specifically used in different contexts.

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FOCUS

Zusammenfassung

Summary

Literatur

Leonhard Schlegel

Blumenstraße 21

CH-8502 Frauenfeld

TA Ausgabe 03-02 20.01.2005 15:15 Uhr Seite 195

196 ZTA 3/2002

Leonhard Schlegel – Der Begriff »Racket« in der Transaktionsanalyse

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Rackets as the Basis of Games, in: English 1976a/21979, pp.207-210 [dt. Ersatzgefühle und Ausbeutungstransaktionen als

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English, F. 1980, Transaktionsanalyse, Hamburg: ISKO-Press – English, F. 1996, Berne, Phobia, Episcripts, and Racke-

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