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Der Beratungsprozess und die Prinzipien und Probleme der Sozialleistungsberatung Studienbrief Autorinnen: Prof. Dr. Katharina Gröning Cristiane Gerhold

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Der Beratungsprozess und die Prinzipien und Probleme der Sozialleistungsberatung

Studienbrief

Autorinnen: Prof. Dr. Katharina Gröning Cristiane Gerhold

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© Universität Bielefeld 2016

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Inhaltsverzeichnis

Lernziele s 04

1. Beratungskunst s 05

1.1 Beratungskunst und Pflegekunst s 10

1.2 Der Beratungsprozess und das BeraterInnenverhalten s 13

1.2.1 Erstkontakt und Erstgespräch s 13

1.2.2 Das Problem des Anfangs s 15

1.2.3 Das Arbeitsbündnis s 16

1.2.4 Den Beziehungsraum aufbauen und gestalten s 18

1.2.5 Die Wahrnehmungserweiterung und das s 20

soziale Lernen durch Beratung

1.2.5.1 Das Johari-Fenster s 21

1.2.5.2 Die Transaktionsanalyse s 21

1.2.5.3 Rollenübernahme s 22

1.2.5.4 Die Aufklärung s 23

1.2.6 Gegenhorizonte und Konfrontation s 24

1.2.7 Spiegeln und Identifizieren s 24

1.2.8 Der schwierige Klient – Regressionen, s 25

Verstrickungen und Kriseninterventionen

1.2.9 Abschied und Perspektive s 28

2. Beratung in der Pflege s 29

3. Klassische Beratungsfelder und Beratungsformen in der Pflege s 36

3.1 Die Patienteninformation s 36

3.2 Die Patientenedukation s 48

3.3 Die Pflegequalitätsberatung s 49

3.4 Kommunale Pflegeberatung s 49

3.5 Innovationen und neue Formen der Beratung s 51

in der Pflege

3.6 Alltagsorientierte Beratung für pflegende Angehörige s 52

– einzeln und in Gruppen

3.7 Beratung von nicht sichergestelltem Pflegen s 54

3.8 Beratung im interkulturellen Feld der Pflege s 57

Literaturverzeichnis s 60

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Lernziele

Der vorliegende Studienbrief will Ihnen Grundkenntnisse zu einer Theorie des Bera-

tens und der Beratung vermitteln, die im Rahmen des Modellprogramms, aber auch

im Rahmen der tagtäglichen Arbeit im Krankenhaus hilfreich sein könnte. Im Mittel-

punkt steht der Beratungsprozess, so wie er in der pädagogischen, der psychosozialen

und der sozialpädagogischen Beratung vorkommt. Der Studienbrief soll die Frage

nach dem Aufbau von Beratungsprozessen, nach der inneren Struktur, vor allem aber

nach den Kriterien des hilfreichen Gespräches beantworten. Gleichzeitig ist darauf

geachtet worden, dass Beratung nicht mit Therapie gleichgesetzt werden kann. Sie

ergibt sich aus der menschlichen Ratbedürftigkeit, die schon im antiken Griechenland

eine Rolle spielt. Diese im Lebenslauf immer wieder vorkommende Ratbedürftigkeit

des Menschen ist keine Krankheit, wie schon die alten Griechen wussten, weshalb sie

bei Ratbedürftigkeit auch nicht zu einem Arzt, sondern zu einem Philosophen gingen,

der ihnen die Wahrheit sagen sollte.

Gleichzeitig ist Beraten kein technischer Prozess, keine Anwendung einer Anleitung.

Jeder Klient ist anders, jedes Problem will speziell verstanden werden. Beraten kann

wenig standardisiert werden und ist insofern eine Kunst.

Mit der Lektüre des Studienbriefes sollen Sie

Schließlich will der Studienbrief Sie zur Praxis und zum Ausprobieren von Beratungs-

situationen motivieren. Dabei empfehlenswert ist, dass Sie Beratungsfälle und Be-

gegnungen mit pflegenden Angehörigen (möglicherweise in einer Art Tagebuch)

dokumentieren und gemeinsam mit anderen beratenden Personen reflektieren.

die Logik und Struktur des beraterischen Handelns nachvollziehen können

und sich diese aneignen,

einen Zugewinn an Sicherheit bezogen auf ihr eigenes Beraterverhalten

gewinnen,

die Prinzipien der Pflegeberatung kennenlernen,

rechtliche Grundlagen der Gesundheitsberatung verstehen,

Das weite Feld der Beratung im Gesundheitswesen mit seinen verschiede-

nen Ansätzen nachvollziehen.

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1. Beratungskunst

Menschen sind in ihrem Lebenslauf immer wieder ratbedürftig. Einer der ältesten

Ansätze zur Beratung, der auf der Ratbedürftigkeit von Menschen aufbaut, sind die

Überlegungen von Aristoteles zur Wohlberatenheit in der Nikomachischen Ethik. Da-

nach befindet sich die Beratungskunst erstens in einem Spannungsfeld von Wissen-

schaft (das ist die Perspektive des Allgemeinen), der Suche nach der richtigen Mei-

nung (das ist die Perspektive der Person) und schließlich dem Takt, das ist die Haltung

des Beraters, der bei Aristoteles vor allem Philosoph ist.

„Wir müssen aber auch ermitteln, was die Wohlberatenheit ist, ob eine Wissenschaft

oder Meinung oder richtiger Takt, oder ob sie zu einer anderen Gattung gehört. Wis-

senschaft ist sie offenbar nicht. Denn was man weiß, danach sucht man nicht; die

Wohlberatenheit ist aber eine Art Beratschlagung, und wer beratschlägt, sucht und

schließt. Ebenso wenig ist sie ein richtiger Takt. Denn dieser sucht nicht nach Gründen

und bedarf keiner Zeit“ (Aristoteles 322 v.Chr.).

Beratung braucht nach Aristoteles zweitens Zeit. Der Beratungsprozess ist bei ihm so

konzipiert, dass vom Ratsuchenden erwartet wird, dass er den Rat, der ihm als Ergeb-

nis gemeinsamer Überlegungen gegeben wurde, umsetzt, was nur möglich ist, wenn

der Rat gut und richtig ist, wozu wiederum Zeit zum Beraten nötig ist.

„Zum Beraten aber gehört viel Zeit, und es ist ein bekanntes Wort, man müsse was

man beraten und beschlossen, unverweilt ausführen, zum Beraten aber sich Zeit gön-

nen“ (Aristoteles 322 v.Chr.).

Aristoteles macht drittens auf die Bedeutung der (sachlichen) Richtigkeit des Rates auf-

merksam, d.h. der Rat muss passen im Sinne der Sache und Entscheidung, um die es

dem Ratsuchenden geht. Gleichzeitig muss der Rat aber auch persönlich angemessen

sein und für die konkrete Lage und Situation stimmen. Das wiederum bedeutet, dass

die Beratungskunst darin liegt, vom allgemeinen Hintergrundwissen auf das Konkrete

des Falls, auf das, was die ratsuchende Person braucht, auf ihre Situation zu kommen

und beide Perspektiven zu verbinden. Ein Rat muss folglich darüber hinaus viertens Per-

spektiven der Lebensführung und Ideen des guten Lebens der Person berücksichtigen

und somit das Element der allgemeinen Reflexion und das Nachdenken einschließen.

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Erst dann, wenn diese Reflexivität, die Spielräume und Freiheit lässt, die nicht bedrängt

und nicht führt, Teil der Beratung ist, ist der Rat ein guter und richtiger Rat.

„Da vielmehr wer sich übel berät, fehlt, und wer sich wohl berät, sich richtig berät, so ist

Wohlberatenheit offenbar eine gewisse Richtigkeit, aber eine Richtigkeit weder des Wis-

sens noch der Meinung. (…) Aber die Wohlberatenheit entbehrt auch nicht der Gründe

und des Denkens. Mithin bleibt nur übrig, dass sie zum Nachdenken gehört, das ja

noch kein Behaupten ist. Denn die Meinung ist kein Suchen, sondern schon ein Behaup-

ten, wohl aber ist es von dem, der sich berät, tue er dieses nun gut oder schlecht, wahr,

dass er nach etwas sucht und Überlegungen anstellt“ (Aristoteles 322 v.Chr.).

Den letzten Aspekt, welchen Aristoteles anspricht, ist jener des Zuwachses an Erfah-

rung und an Bildung durch den Rat. Beratung ist danach mehr als nur eine sachliche

Auskunft oder eine Information. Sie lässt umgekehrt die Freiheit des Nachdenkens

und ermöglicht gleichzeitig Einsichten und Erkenntnisse, die den Ratsuchenden so

kompetent machen, dass er künftig in vergleichbaren und ähnlichen Situationen von

seiner Wohlberatenheit profitieren kann.

„Endlich kann man teils schlechthin wohlberaten sein, teils mit Beziehung auf ein ein-

zelnes Geschäft. Mithin ist Wohlberatenheit schlechthin diejenige, die für den Zweck

des Lebens schlechthin das Richtige trifft, dagegen Wohlberatenheit in einer bestimm-

ten Hinsicht jene, die es für ein einzelnes Geschäft trifft“ (Aristoteles 322 v.Chr.).

Wohlberatenheit schafft schließlich nach Aristoteles Lebensklugheit und Lebenskom-

petenz. Wenn demnach „wohlberaten zu sein“ ein Merkmal des klugen Mannes ist, so

kann man sagen: Die Wohlberatenheit ist Richtigkeit in Bezug auf das, was zu einem

Zweck dient, von dem die Klugheit eine wahre Meinung hat.

Die Merkmale des guten und richtigen Rates und Beratens heißen demnach sachliche

Richtigkeit und Reflexivität, Anwendung des sachlichen Wissens, des Personenwissens

und die Bereitschaft, das allgemeine Wissen auf einen konkreten Fall anzuwenden.

Schließlich wohnt jeder guten Beratung ein Moment von Bildung inne, eine beson-

dere Art des reflexiven Lernens, die sich nicht durch nomologisches Wissen, sondern

durch einen Zuwachs an innerer Freiheit auszeichnet. Um diese Fähigkeit des Bera-

tens entwickeln zu können, sind zum einen Techniken der Beratung vonnöten, zum

anderen aber auch Haltungen des Beraters und eine besondere Beziehungsfähigkeit.

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Einen ähnlichen Aufriss von Beratungskunst, in deren Mittelpunkt die Mündigkeit des

Ratsuchenden steht, hat in den 1960er Jahren der Erziehungswissenschaftler Klaus

Mollenhauer formuliert. Beratung, so Mollenhauer (1965), enthülle ein bestimmtes

anthropologisches, gesellschaftliches Konzept. Wer eine pessimistische Anthropolo-

gie vertrete, werde nicht beraten können, sondern nur Anweisungen geben. Dieses

Lenken und Führen der Person des Ratsuchenden lehnte Mollenhauer (1965) ab und

stellte ihm den folgenden Entwurf entgegen:

Die theoretische Stärke des Entwurfs von Mollenhauer (1965) zur Beratung liegt si-

cher darin, dass er sie als Aufklärung im Sinne von Kant verstanden hat und damit

die Beziehung von Ratsuchendem und Berater neu definiert bzw. nach einer Zeit, in

der Rat geben vor allem mit sozialer Kontrolle einherging, einen neuen Beratungs-

begriff geprägt hat. In einer seiner vielen Schriften hat Hartmut von Hentig davon

gesprochen, dass die Pädagogik „die Sachen klären und die Menschen stärken“ (vgl.

v. Hentig 1985) müsse. Dieses Bild kommt sowohl der Tugend der Wohlberatenheit

als auch der Vorstellung von Beratung als Aufklärung sehr nahe.

Nachdem nun für das Thema Beratungskunst ein Philosoph und ein Pädagoge zu Wort

gekommen sind, soll schließlich an den Psychologen Carl Rogers und den Theologen

Beratung bedeute für den Ratsuchenden die Vorbereitung einer Entschei-

dung. Er will aus einem Apriori heraus.

Vom Berater erwarte der Ratsuchende keine Anweisungen, sondern dass

er zuhört und aus vielleicht besserer Übersicht eine Antwort gibt bzw. eine

Möglichkeit aufzeigt. Der Ratsuchende erwarte keinen Zwang, keine Vor-

schriften, keine unumstößlichen Wahrheiten, kein Urteil, das nicht revidiert

werden könnte.

Der pädagogische Sinn der Beratung liege darin, dass sie die Selbstfähig-

keiten, die Produktivität, die Rationalität und die Phantasie des Ratsuchen-

den anspricht.

Die entscheidende Funktion der Beratung sei, dass kritische Aufklärung

stattfinden könne, im Sinne der Möglichkeit zur Distanz, zur objektivieren-

den Betrachtung und eines rationalen Verhaltens zu sich selbst.

Im Akt der Selbstaufklärung würde die Information in ein kritisches Selbst-

und Weltverhältnis umgesetzt. Beratung in diesem Sinne führe nicht in die

Anpassung, sondern solle von Konformitätszwängen befreien.

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Martin Buber als zwei wichtige Theoretiker und Wegbereiter der Beratungskunst erin-

nert werden. Beide haben sich über Prinzipien der Beratung ausgetauscht. Carl Rogers

hat sich vor allem in Bezug auf die Beziehungsgestaltung und den „Beziehungsraum“

auf Buber bezogen und dessen Konzept von „Ich und Du“ als für den beraterischen

Beziehungsraum maßgeblich angenommen.

Martin Buber hat in seinem 1923 erschienen Buch „Ich und Du“ zwischen Ich-Es-

Beziehungen und Ich-Du-Beziehungen, also zwischen instrumentellen und ethischen

Beziehungen unterschieden. Das Verstehen einer Sache ist danach etwas ganz ande-

res als das Verstehen eines Menschen. Auch eine Krankheit ist im Rahmen einer Ich-

Es-Beziehung zu verstehen, das Verstehen eines (kranken) Menschen nur im Rahmen

einer Ich-Du-Beziehung. Zwar ist es nach Buber (1923/ 1995) grundsätzlich möglich,

die innere Struktur eines Menschen, die Logik seiner Seele, die Sinnhaftigkeit seines

Verhaltens über eine Ich-Es-Beziehung logisch zu erfassen, trotzdem dürfte sich dieser

Mensch dann nicht unbedingt verstanden, sondern lediglich erkannt (und vielleicht

beschämt) fühlen. Dies ist das Eigentümliche am Verstehen eines Menschen oder am

Verstehen zwischen Menschen. Verstehen basiert auf sich ähnlich machen, auf sich

identifizieren und auf Anerkennung. Mittels des Verstehens können sich Menschen

sowohl ausgegrenzt, gekränkt, beschämt und zurückgestoßen (wenn man sie nur er-

kennen will) als auch integriert, anerkannt und gewertschätzt fühlen – je nachdem ob

das Verstehen aus einer Ich-Es-Beziehung heraus oder aus einer Ich-Du-Beziehung

heraus geschieht. Der Psychologe und Begründer des personenzentrierten Ansatzes

Carl Rogers (1972) hat diese Ich-Du-Beziehung zu einer umfassenden Haltung in der

Beratung entwickelt und Folgendes gesagt:

„Dass der Klient derjenige ist, der weiß, wo ihn der Schuh drückt, welche Richtung ein-

zuschlagen, welche Probleme entscheidend, welche Erfahrungen tief begraben gewe-

sen sind. Langsam merkte ich, dass, wenn ich es nicht nötig hätte, meine Cleverness

und Gelehrsamkeit zu demonstrieren, ich besser daran täte, mich auf den Klienten zu

verlassen, was die Richtung des Prozessablaufes anging“ (Rogers 1972, S. 123).

Rogers entscheidende Erfahrung war, dass nicht der Klient sich seiner Führung, son-

dern er sich der Führung des Klienten anvertrauen musste, um Erfolge zu erzielen.

Er forderte denn auch, dass der Klient spricht und der Berater vor allem aktiv zuhört,

dass den Klienten Diagnosen erspart werden und auf wissenschaftliche und exper-

tenhafte Deutungen oder Interpretationen weitgehend verzichtet wird. Stattdessen soll

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der Berater für den Klienten ein Spiegel sein und ihn auf der Ebene von Ich und Du

verstehen. Bei Rogers liegt der Schlüssel zur Beratung weiter in der Anwendung von

Techniken der Gesprächsführung, die seine Methode auszeichnet. Diese Gesprächs-

technik ist seit den 1970er Jahren in den sozialen Berufen sehr verbreitet und stellt

heute einen Kern von Beratung dar. Dabei sind bedauerlicherweise die philosophi-

schen (aristotelischen und kantianischen) Aspekte der Aufklärung in den Hintergrund

geraten, werden heute aber wieder entdeckt. Eines der wesentlichsten Elemente der

Kunst der personenzentrierten Gesprächsführung ist zunächst das Weglassen und

Unterdrücken des „üblen Rates“, um die Argumentation von Aristoteles (322 v.Chr.)

aufzugreifen. Wilfried Weber (1974) nennt als Lasterkatalog der Gesprächsführung

z.B. das Gängeln, Dominieren, Drohen, Dozieren, Belehren, Expertokratisieren, Len-

ken, Schuldgefühle Machen, Beschämen, Zutexten u.v.m. (vgl. Weber 1974, S. 12f.).

Bei Rogers ist es sogar so, dass die Förderung der Selbstachtung des Klienten in den

Mittelpunkt des Prozesses gerückt wird, was vor allem bezogen auf die psychologi-

sche und psychosoziale Beratung von großer Wichtigkeit ist. Unabhängig von der

Beratungsform gibt es unter BeratungswissenschaftlerInnen einen breiten Konsens

darüber, dass es von großer Wichtigkeit ist, inwieweit es dem Berater gelingt, dem

Klienten Achtung, Wertschätzung und emotionale Wärme entgegenzubringen. Durch

die zugewandte Haltung sollen dem Ratsuchenden Angstgefühle, Scham und Vertei-

digungshaltungen genommen werden.

1.1 BeratungskunstundPflegekunst

Im Bereich der Pflege stellen sich eine Reihe von Fragen und Problemen, die das

Thema des Verstehens, der Interpersonalität, der Beziehung und der Ethik betreffen –

ähnlich wie in der Beratung. Zum einen werden kranke Körper gepflegt und Konzepte

der evidenzbasierten Pflege zeigen, dass eine „richtige Pflege“, um den Begriff von

Aristoteles auf das Feld der Pflege anzuwenden, im Sinne einer Ich-Es-Beziehung,

wie es Martin Buber (1923/ 1995) formuliert hat, sehr wohl möglich und erfolgreich

ist – für den Körper. Gleichzeitig gehört es zum professionsbezogenen Wissen in den

Pflegeberufen und der Pflegewissenschaft, dass eine gute Pflege über die naturwis-

senschaftliche Theorie des Körpers hinausweist. So spricht die Pflegewissenschaftlerin

Ulrike Boehnke (2005) von einer phänomenologischen Leibtheorie, da der Leib als

Ausdruck des menschlichen Selbstes mehr sei als nur ein Körper. Boehnkes Konzept

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des Leibes knüpft an die Konzeption der „psychischen Haut“ an. Während z.B. Kon-

zepte einer evidenzbasierten Pflege diese als einen aus Komponenten zusammenge-

setzten Pflegeprozess betrachten, der für sich beobachtet und evaluiert werden kann,

sprechen die Vertreter einer phänomenologischen Konzeption (z.B. Martin Schnell

2004, Ulrike Boehnke 2005) von den psychischen Dimensionen der Pflege, der „psy-

chischen Haut“, dem engen Zusammenspiel von körperlicher Berührung und der

Entstehung von Vertrauen, psychischer Entwicklung und der Entstehung des Oikos,

des Wohnens und zu Hause Seins in sich selbst (vgl. Wolfstetter 1984, S. 59ff.).

Die körperliche Pflege, die Berührungen, aber auch die Stimme der PflegerIn, ihre

Zuwendung zum Leib-Körper können, wie z.B. die Arbeit mit Berührungen zeigt, eine

verlorene psychische Fassung zurückgeben. Feinfühligkeit, Zeit, Achtsamkeit, Empa-

thie und Resonanz gelten auch hier als Merkmale der Wohlbefinden erzeugenden

Pflege. Die Lebenserhaltungsfunktion dieser Pflege richtet sich nicht nur auf die Ge-

währung eines hygienischen Zustandes oder auf die Befriedigung der körperlichen

Grundbedürfnisse. Die spezielle Qualität der Pflege liegt in der Vermittlung einer

leiblich-seelischen basalen Erfahrung von Kultur und menschlicher Beziehung. Dies

ist begründet in der grundsätzlichen Verletzungsoffenheit des menschlichen Körpers

und seiner dadurch bedingten lebenslangen Angewiesenheit auf Pflege. Jede Kultur,

ebenso ihre Zerstörung, wurzelt im Körperlichen. Pflege kann (und ist) deshalb auch

die unmittelbare Erfahrung von Gewalt und Macht (sein), wenn der zu pflegende

Körper instrumentell zum Objekt gemacht und die Verletzungsoffenheit des mensch-

lichen Körpers, seine Angewiesenheit auf Pflege benutzt wird, um diese zu verweigern

oder die Pflege mit Ritualen des verletzt Werdens, der Hilflosigkeit, der Macht oder

der Scham einhergeht. Dies ist z.B. die Machtkultur der Anstalt. Wenn wir uns heute

in der Erziehungswissenschaft der Problematik der Kinderheime in den 1960er Jah-

ren zuwenden und konstatieren müssen, dass eine Erziehung, die auf die Herstellung

von Ordnungskörpern gerichtet ist, schwere seelische Schäden verursacht, so haben

Erziehungswissenschaft und Pflegewissenschaft hier ihre Schnittstelle. Der phänome-

nologische „Leib-Körper-Begriff“ (Boehnke 2005, Schnell 2004), der psychoanalyti-

sche Pflegebegriff von Pikler (1988) oder auch der Anerkennungsbegriff von Honneth

(1992) stehen in einer teilweise recht deutlichen Spannung zu Pflegetheorien und

Pflegeverständnissen, die die Pflege entweder als das definieren, was der Arzt zur Be-

handlung eines Kranken an die Pflege delegiert – hier ist Pflege Heilhilfsberuf – oder

auch solchen Verständnissen von Pflege, die diese als System, als Problemlösungs-

und Beziehungsprozess, kurz als etwas sehen, was aus verschiedenen instrumentellen

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Komponenten zusammengesetzt ist, die sich beliebig kombinieren lassen. Dies ist

zwar auch eine notwendige Dimension von Pflege, aber keine hinreichende. Pflege

in der beschriebenen phänomenologischen und psychoanalytischen Perspektive rich-

tet sich auf die „psychische Haut“ desjenigen, der gepflegt wird. Ihr Erfolg zeigt sich

häufig in der psychischen Resonanz von Personen, die gepflegt werden und besteht

immer wieder in der Hervorbringung des Lächelns, der emotionalen Zustimmung

und des Wohlbefindens des Patienten (vgl. Gröning 2010). Der Handlungstypus ist

deshalb nicht Fachlichkeit oder Qualität, sondern Pflegekunst.

Pflegetheoretisch betrachtet sind es insbesondere die basalen Funktionen der Grund-

pflege – das Reinigen des Körpers, die Befreiung von Schmutz, die Entlastung von

Schmerz, die Gewährung von Sicherheit, Nahrung und Ruhe – die sie zu einem

Schlüssel für die „psychische Haut“ des Menschen machen.

Der Körperbezug der Pflege ist der Grund dafür, dass Pflege und die Entstehung des

Selbstes – Vertrauen, Autonomie, Initiative und Identität – in einem engen psychody-

namischen Zusammenhang stehen.

Die Ausführungen zur Pflegekunst zeigen auf, dass die beschriebene Beratungskunst

der Pflegekunst nicht so fern steht, wie in der Praxis immer wieder angenommen. Vie-

len Pflegenden erscheint die Aussicht zukünftig zu beraten, zunächst einmal fremd.

Die Beschleunigung in den Institutionen des Gesundheitswesens vor allem im Kran-

kenhaus, die Umsetzung von funktionalen Pflegeprozessen und die Rationalität von

Fallpauschalen lassen die entschleunigten, reflexiven und Sinn verstehenden Zugän-

ge, die für die Beratung nötig sind, als Luxus und als im Krankenhaus nicht umsetz-

bar erscheinen. Gleichzeitig verlangen besonders die hochaltrigen, sterbenden und

demenziell erkrankten Patienten nach einer Weiterentwicklung von verstehenden und

hermeneutischen Konzepten – auch im Krankenhaus. Es liegt also nahe, Kranken-

häuser der Zukunft als differenzierte Orte mit sehr unterschiedlichen Kulturen und

Orten zu entwerfen. Eine leibphänomenologisch begründete Pflegekunst knüpft an

die phänomenologischen Ansätze im Bereich der personenzentrierten Beratung an.

Ihre Umsetzbarkeit hängt vor allem von der Möglichkeit ab, im Krankenhaus entspre-

chende Orte zu schaffen.

In Bezug auf die Angehörigenpflege gelten ähnliche Regeln. Ein hochaltriger und

sterbender oder auch desorientierter Mensch, der von seinen Angehörigen versorgt

wird, ist auf ihre Pflegekunst und auf ihr Pflegeverständnis besonders angewiesen.

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Feinfühligkeit, Achtsamkeit, emotionale Zustimmung und die Bereitschaft, die pfle-

gebedürftige Lebensphase als Phase im Familienzyklus anzuerkennen, sind deshalb

auch wichtige Gesprächsthemen in der Beratung von pflegenden Angehörigen und

im Erstgespräch. In Bezug auf die Pflegekunst der Pflegetrainerinnen und Pflegetrai-

ner sind deshalb zunächst die folgenden selbstreflexiven Aspekte für die eigene Arbeit

als Pflegetrainerin bzw. als Pflegetrainer zu klären:

Im Erstgespräch mit den Angehörigen gibt der Berater/ die Beraterin zunächst quasi

eine Kostprobe seiner Persönlichkeit und seiner Beratungs- und Pflegekunst ab. Er/

Sie kann anhand seines pflegerischen Wissens die Angehörigen über die auf sie zu-

kommenden Anforderungen informieren und Hilfe anbieten. Motivierend sind eben-

falls Beispiele aus der eigenen Erfahrung.

1.2 Der Beratungsprozess und das BeraterInnenverhalten

Auch wenn Beratungen im Krankenhaus und im Kontext der Pflege als funktional,

fokal oder Kurzberatung gelten, spielt sich doch ein Beratungsprozess ab, der einer

professionellen Ordnung folgen sollte. Diese besteht aus der Gestaltung der Erstsitu-

ation, dem Kontrakt und Arbeitsbündnis, dem Verstehen, den Elementen der eigentli-

chen Beratung wie Wahrnehmungserweiterung und Raterteilung, dem Einführen von

Gegenhorizonten und Abschied sowie der Berücksichtigung des institutionellen Rah-

mens.

Welches Bild habe ich von hochaltrigen und sterbenden Menschen?

Welches Bild habe ich von der pflegenden Familie im Allgemeinen?

Wo sehe ich Chancen, wo Probleme?

Welches Pflegeverständnis will ich vermitteln?

Wie sollen die pflegenden Angehörigen mit dem Körper und dem Leib der

pflegebedürftigen Personen meiner Ansicht nach umgehen?

Was sollen die Angehörigen von dieser letzten Lebensphase und ihren Be-

dürfnissen wissen?

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1.2.1 Erstkontakt und Erstgespräch

Allgemein gilt in der Beratung das Erstgespräch und seine Gestaltung als eine wichtige

Säule in der Beratungskunst. Zum einen sind die Rollen von Berater(in) und Klient(in)

durch die Institution weitgehend festgelegt. Zum anderen führt gerade diese Festle-

gung nicht unbedingt zu mehr Sachlichkeit und Rationalität in der Beratung, wie es

z.B. das Dienstleistungsverständnis nahelegt, sondern zu einem Vergrößern der Kon-

flikte, wenn die Ratsuchenden sich nicht verstanden fühlen oder an die Beratung ganz

andere Erwartungen formulieren. Zunächst einmal ist für die Ratsuchenden wichtig,

zu wissen, mit wem sie es zu tun haben. In der Komplexität des Krankenhauses, mit

seinen unendlich vielen Rollen und Funktionen, ist es für Patienten und Angehörige

nicht einfach zu verstehen, was sie von jemandem erwarten dürfen und wie derjeni-

ge/ diejenige, der/ die ihm gegenübersitzt, die jeweilige Aufgabe auffasst. Zudem ist

in der Szene rund um die häusliche Pflege zu beobachten, dass sich das Beraten und

das Verkaufen miteinander vermischen. Angehörige können also fürchten, dass sie

in ein Verkaufsgespräch geraten. Nicht selten haben sie aber schon viele Gespräche

geführt und sind unterschiedlich beraten worden. Dies deutet sich manchmal schon

im Erstgespräch an.

Grundsätzlich gilt, dass sehr viel in der Beratung im Krankenhaus in die Situation

des Anfangs fällt: der Problemdruck des/ der Ratsuchenden, seine/ ihre Gefühle und

Hoffnungen, sein/ ihr Widerstand und seine/ ihre Befürchtungen, die institutionellen

Rollen und Erwartungen und die realen Rahmenbedingungen und Grenzen. Der An-

fang in der Beratung im Krankenhaus muss deshalb zum einen aus der Perspektive

von außen, also aus der Perspektive der Rollen und der Institution betrachtet werden,

zum anderen aus der Perspektive von Gefühlen, die durch die Institution ausgelöst

werden.

Mit den Problemen des Neuanfangs in professionellen Beziehungen hat sich vor al-

lem die Psychoanalyse auseinandergesetzt. Hier ist der institutionelle Rahmen durch

die Praxis des Analytikers, durch die Art der Kontraktierung und durch die Vereinba-

rungen, die spezifisch sind für die Psychoanalyse, wie z.B. unbedingte Aufrichtigkeit

des Klienten, gegeben und löst bei diesem Gefühle aus. Ähnliches vollzieht sich auch

in sozialpädagogischen Institutionen oder in Behörden und nicht zuletzt im Kranken-

haus. Die Psychoanalyse spricht von einer institutionellen Übertragung und meint,

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dass gleich am Anfang Gefühlsreaktionen in Bezug auf die Institution und die Erwar-

tungen an die dort tätigen Professionellen zustande kommen, die zunächst einmal

nichts mit der Beziehung, sondern ausschließlich mit der Institution zu tun haben.

Noch vor der ersten Begegnung z.B. werden durch die Institution Krankenhaus, durch

das Gebäude, aber auch durch die gesellschaftlichen und kulturellen Bilder von Hei-

len, Helfen und Retten Übertragungen ausgelöst, die die erste Begegnung und das

Arbeitsbündnis als ersten Schritt in der Beratung beeinflussen. „Bereits vor der ersten

Begegnung sind Prozesse der Übertragung, Gegenübertragung und Widerstand in

Gang gekommen“ (Thomä/ Kächele 1985, S. 172). Dies macht den Anfang schwer.

Betritt der Ratsuchende das Büro der Pflegetrainerin bzw. des Pflegetrainers, wirkt

auch dieser auf ihn ein. Der Raum und die Art des Arrangements sind eine Kostpro-

be der Beziehung, die den Ratsuchenden erwartet. Ist die Beratung geprägt von der

Atmosphäre eines Arbeits- oder Stationszimmers für die Vorbereitung und Koordina-

tion von Pflege und Behandlung? Hat der Berater überhaupt Zeit für die Beratung?

Ist die Beratung störungsfrei? Thomä und Kächele (1985) betonen, dass es für die

Anfangssituation tragend ist, welche Einstellung der Berater/ die Beraterin selbst zum

Ratsuchenden hat (vgl. S. 53ff). Kann er/ sie den Einzelfall sehen? Sieht er durch die

Patienten hindurch (expertokratisches Professionsmodell), ist der Ratsuchende für ihn

vor allem Routine? Vom ersten Gespräch werden alle weiteren Begegnungen getra-

gen. Ist das erste Gespräch schlecht und kontaktlos, schlägt gar die institutionelle

Übertragung durch („Hier gehe ich verloren“), so sind fast alle weiteren Gespräche

belastet und die Beratung insgesamt steht in Frage.

1.2.2 Das Problem des Anfangs

Berater und Beraterinnen müssen mit Anfangsübertragungen umgehen. Misstrauen,

Scham, Angst und Hemmung, aber auch Bedürftigkeit und Passivität, das am Berater

Kleben werden meist nicht offen angesprochen. Hinter der Sprache sind diese An-

fangsübertragungen aber fühlbar und in diesem Kontext eben auch bearbeitbar. In

der Pflegeberatung ist eine der schwierigsten Anfangsübertragungen die Ablehnung

der Hilfe. Dies kann aus Scham sein, aber auch aus ganz rationalen Interessen. Hilfe

kann als Kontrolle erlebt werden und wird deshalb abgelehnt, ein „Pferdefuß“ kann

vermutet werden, das heißt, der Ratsuchende hat in die Beratung kein Vertrauen. Im

Bereich der Arbeit mit Familien ist derjenige oder diejenige, die/ der das (Pflege-)

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Problem hat, nicht immer derjenige oder diejenige, die/ der entscheiden darf, ob sie/

er Hilfe annimmt. Bei Personen die pflegen kann es trotzdem sein, dass die Familien-

mitglieder, die im Hintergrund der Familie agieren, einen enormen indirekten Einfluss

auf die Pflege haben. Gerade in der Anfangssituation ist die Gefahr der negativen

Übertragung und Projektion besonders gegeben. So kann es sein, dass Angehörige,

die am Modellprogramm teilnehmen wollen und in die Pflegetrainings einsteigen

wollen, nicht zu verabredeten Terminen kommen, Termine vergessen oder anderes

tun, um die Pflegetrainerinnen und Pflegetrainer zu frustrieren und zu enttäuschen.

Von besonderer Bedeutung ist auch die Überprüfung der eigenen Bilder: Was denken

BeraterInnen, warum pflegende Angehörige nicht zum Gespräch oder zum Pflege-

training erscheinen? Gerade in der Anfangssituation ist der Berater/ die Beraterin ge-

halten, sich weder zu viel noch zu wenig mit ihrer Rolle zu identifizieren, weder zu viel

noch zu wenig Engagement zu zeigen. In der Psychoanalyse spricht man von einer

Art Abstinenz, die es dem Berater ermöglichen soll, anstatt sich in Gefühlen zu verstri-

cken, möglichst viel Hypothesen über die Situation anzustellen. Die wichtigsten Fallen

des Anfangs sind: die Projektion und das Aufkommen von bestimmten Stereotypen,

Wut auf die Ratsuchenden, Enttäuschung, Klischees, die Regression in die Rolle der

Fürsorgerin, die hinter den Klienten herläuft, die projektive Identifizierung (was be-

deutet, dass man sich mit den Stereotypen der Ratsuchenden unbewusst identifiziert,

in dem man z.B. Termine vergisst und so die Projektion der Ratsuchenden bestätigt,

dass sowieso niemand Interesse an ihnen hat), Polarisierung und Identifizierung mit

nur einem Teil der Ratsuchenden („liebe“ Schwester, „böser“ Bruder oder umgekehrt).

Der Gruppenanalytiker Felix Mendelssohn (1997) beschreibt in der Zeitschrift Grup-

penanalyse die Erfahrung des Neuankommens als eine Erfahrung großer Ambiva-

lenz. Die Ambivalenz liegt in der Spannung beim Ratsuchenden, am liebsten alles

so zu belassen wie es ist, keinen guten oder richtigen Rat zu bekommen und einem

großen Veränderungsdruck. Die in der Literatur vielfach beschriebene Ambivalenz

der Ratsuchenden legt eine genaue Absprache und Verhandlung über den Rat und

weitere Hilfen nahe. Dies ist die Perspektive von Rolle und Arbeitsbündnis.

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16

1.2.3 Das Arbeitsbündnis

Das Arbeitsbündnis ist im Kern eine Kontraktethik. Es sollte geprägt sein von der

Anerkennung des Ratsuchenden als Rechtsperson sowie von Takt und einer gewis-

sen Distanz. Hinter den Begriffen Anerkennung, Takt und Distanz versteckt sich ein

ganzes Gebäude von beratungstheoretischen Positionen, die Beratung. Gerade der

Zusammenhang von Beratung und häuslicher Pflege ist dominiert durch lange For-

schungstraditionen, die vor allem die Belastung und die Überforderung von pflegen-

den Angehörigen immer wieder hervorgehoben haben. Bei vielen Beratern herrscht

die Meinung vor, dass es vor allem um die Bereitstellung von institutionellen Lösungen

gehe, als wollten pflegende Angehörige nichts lieber, als ihre zu pflegenden Personen

zu institutionalisieren. Aus der Perspektive eines Experten wird das Problem angese-

hen und die Lösungen, einschließlich Maßnahmen, dem Ratsuchenden nahegelegt.

Die Haltung, dass jemand, der Rat und Hilfe sucht bzw. braucht, trotz seiner Proble-

me mit Distanz und Takt behandelt werden muss, dass zunächst einmal von Fall zu

Fall neu erschlossen werden muss, welche Hilfe jemand will und braucht, ist wichtiger

Teil des Arbeitsbündnisses. Es sollten keine Maßnahmen in die Beratung einfließen,

die schon am Beginn der Beratung feststehen. Zum Arbeitsbündnis gehört das Modell

der „idealen Dienstleistung“ von Goffman (1973), wonach der Ratsuchende dem

Experten eine dritte Sache (seine Situation) zeitweise anvertraut. Dieses Distanz-Mo-

dell ist heute ein anerkanntes Modell des Arbeitsbündnisses und einer Haltung, die

Beraterinnen und Berater vertreten sollten. Zum Arbeitsbündnis gehören ferner die

formalen Absprachen über den äußeren Rahmen der Beratung. Dieser äußere Rah-

men, den Micha Brumlik (1992) für die Professionellen reklamiert hat, umfasst auch

die Bereitschaft des Beraters: Der Berater muss dem Klienten zusichern, seine gan-

ze professionelle Kunst in diesen einen Fall zu investieren und nach bestem Wissen

und Gewissen zu beraten. Der Berater muss ferner Schaden, den der Klient nehmen

kann, vermeiden. Hier heißt das Gebot „Tu dem dir Anvertrauten nichts Schlechtes“.

Gleichzeitig gelten die von Elisabeth Rohr (1999) beschriebenen zwei Ebenen: Sache

und Emotion. Diese Ebenen von Sache und Emotion oder Problem und Beziehung

sind Ebenen, die sich im Beratungsgespräch immer wieder vermischen. Es macht also

Sinn zu kontraktieren, dass Ratsuchender und Berater in der Beratung sowohl über

die Sache sprechen als auch (an ausgewählten Punkten) über ihre Beziehung, also

Metakommunikation üben.

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Eine besondere Bedeutung bezogen auf das Arbeitsbündnis hat die Maßnahme des

Modellprogramms. Eigentlich „sollen“ die Ratsuchenden an dem Modellprogramm

teilnehmen. Hier ist es wichtig, dass die Pflegeberaterinnen sich von diesem Ziel, die

Angehörigen auf jeden Fall für das Programm gewinnen zu wollen, innerhalb der Be-

ratung freimachen und sich ganz darauf konzentrieren, was die Angehörigen wollen

und wie sie ihre Situation schildern. Die Beratung ist keine Vorstufe für eine Maßnah-

me, auch wenn diese gut ist, sondern stellt einen eigenen Schritt im professionellen

Handeln und im System der Hilfen dar. Ein Arbeitsbündnis mit den Familien ist nur zu

bekommen, wenn die Beraterinnen/ die Berater versuchen, sich ganz in die Perspek-

tive der Angehörigen hineinzuversetzen und den Sinn dessen, was die Ratsuchenden

erzählen, aus deren Perspektive zu begreifen.

Exkurs: Verstehen

Die historischen Wurzeln für eine Wissenschaft vom Verstehen liegen in der Antike.

Hier stehen Probleme des Verstehens vor allem von klassischen Texten im Zentrum,

die immer wieder gelesen und immer wieder neu gedeutet werden. In Griechenland

entstehen erste Ansätze einer Verstehenslehre, die als Hermeneutik (deuten; griech:

hermeneúein) bezeichnet wird. Diese Lehre bezieht sich vor allem auf Texte. Hier wird

zwischen wörtlichem Sinn und literalem Sinn unterschieden. Die Hermeneutik bleibt

über lange Jahrhunderte hinweg der Auslegung religiöser Texte verpflichtet und die

Deutung richtet sich auf die göttlichen Botschaften, die in den Texten zum Ausdruck

kommen (vgl. Bongaerts 2010, S. 20).

Der Phänomenologe Gregor Bongaerts (2010) differenziert in einer grundlegenden

Arbeit verschiedene Ebenen des Verstehens und bezieht das Verstehen auf unter-

schiedliche Phänomene: schriftlicher Text, mündliche Rede, Handlungen, andere

Menschen, Bilder, Musik, Baupläne, Automotoren usw. Er nennt vieles, was verstan-

den oder auch nicht verstanden werden soll bzw. muss. Was jedoch als Verstehen

bezeichnet wird, ist sehr abhängig davon, welches Phänomen bzw. welcher Gegen-

stand verstanden werden soll. Soll ein anderer Mensch verstanden werden, so frage

man gewöhnlich nach Gründen und Motiven, nach Intentionen und Absichten. Wolle

man die Probleme eines Motors verstehen, so müsse man einen (technischen) Zu-

sammenhang erfassen. Beim Erfassen von technischen Zusammenhängen gehe es

um Intentionen und Verhalten, Sprache und Zeichensysteme mitsamt ihren sozialen

Konventionen oder auch den Elementen einer Maschine in ihrem Zusammenwirken.

Was dann verstanden wird, ist zumeist in einer Beschreibung niedergelegt. Wenn

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man hingegen einen Menschen versteht, versteht man sich immer auch mit ihm und

dieses miteinander Verstehen bedeutet, dass man versuchen muss, dem anderen

Menschen ähnlich zu werden (vgl. Bongaerts 2010, S. 10).

Verstehen des Anderen bedeutet demnach, sich in diesen Anderen hineinzuverset-

zen und die Sinnsetzungs- und Sinndeutungsakte nachzuvollziehen, die dieser vorge-

nommen hat. Dieses Verstehen in der Art einer „Personenvertauschung“ (Bongaerts

2010, S. 16) betrifft auf den ersten Blick ausschließlich das Verstehen eines anderen

Menschen, wie es weiter oben besprochen worden ist. Es muss allerdings nicht be-

deuten, dass immer nach den individuellen Sinnsetzungen und Sinndeutungen eines

anderen gefragt wird, wenn Verstehensprozesse stattfinden.

1.2.4 DenBeziehungsraumaufbauenundgestalten

Neben der Kontraktierung und dem Arbeitsbündnis ist die Gestaltung des Bezie-

hungsraumes eine wichtige Dimension in der Beratungskunst. Für die Soziale Arbeit

spricht z.B. die Professorin für Sozialpädagogik Magdalena Stemmer-Lück (2004) da-

von, dass Sozialarbeiter und Klient sich in einem interpersonalen, interaktiven und or-

ganisationsbezogenen Raum bewegen würden. Die Art ihrer Beziehung werde durch

die Interaktion dieser Dimensionen mitbestimmt. Stemmer-Lück (2004) zählt auf, wie

gesellschaftliche Bedingungen über institutionelle Regeln in die Beratungssituation

mit einem Klienten hineinwirken (vgl. S. 56 ff.). Diese Wirkfaktoren reichen von ge-

sellschaftlichen Entwicklungen und politischen Diskursen, über konkrete institutionelle

Regeln bis hin zu Ausbildungsstandards und Leitbildern in den Qualifizierungen der

Sozialen Arbeit. Sie müssen bewusst gemacht, ggf. gefiltert und neutralisiert werden,

damit ein Beziehungsraum nicht von vornherein Scham auslösend und aggressiv ist.

Stemmer-Lück (2004) schreibt, dass zunächst beide Interaktionspartner, also Sozial-

arbeiter und Klient, Anliegen, Wünsche und Bedürfnisse an die Situation haben, die

sich zum Teil deckten, zum Teil aber auch auseinandergehen. Darüber müsste man in

einem guten Beziehungsraum verhandeln können. In einem schlechten Beziehungs-

raum fehlt die Verhandlungsmöglichkeit. Im Krankenhaus gelten die Regeln der kli-

nischen Beziehungsräume. Hier stehen Krankheitslehren und die Interventionen von

Heilen und Selektieren im Vordergrund. Michel Foucault (1982) hat den Blick des Arz-

tes zudem als auf die Krankheit gerichtet beschrieben. Der klinische Beziehungsraum

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hat eine eigene Logik: wenig Zeit, ein Rollengefälle, fertig bereitstehende Lösungen.

Dagegen gilt der personenzentrierte Beziehungsraum als einer, der von Achtung,

Wertschätzung und Respekt gegenüber der Person des Ratsuchenden geprägt ist.

Wirksame Beratung besteht in einer eindeutig strukturierten, aber gleichzeitig ge-

währenden Beziehung. Der Ratsuchende soll auch etwas über sich selbst lernen, das

ihn befähigt, positive Schritte zu unternehmen (vgl. Rogers 1942/ 1972, S. 28). Am

stärksten von allen Beratungstheoretikern ist es bei Rogers die Beziehung selbst, die

die Veränderung bringt, weshalb es auch in der Beratung nicht (nur) um Techniken

und Methoden, sondern besonders um eine gute Beziehung geht.

In den Aufbau des Beziehungsraumes gehören ebenfalls die Exploration und das

Herausfinden des Problems des Ratsuchenden. Explorieren wird in der Regel durch

das Stellen offener Fragen und durch das Einladen zum Erzählen hergestellt. Da im

Krankenhaus in der Regel die Zeit begrenzt ist, ist es wichtig, dem Ratsuchenden mit-

zuteilen, wie viel Zeit er zum Erzählen haben kann. Eine Exploration wird dann so ein-

geleitet, dass der Beratende dem Ratsuchenden mitteilt, dass er seine Situation gerne

kennenlernen möchte und ihn zum Erzählen einlädt. Der Beratende wird dann auch

nur Fragen stellen, wenn er etwas nicht verstanden hat, um den Ratsuchenden nicht

zu unterbrechen. Der Ratsuchende richtet sich in der Regel nach dem zeitlichen Rah-

men, den der Berater setzt. Von hoher Bedeutung ist die Gestalthaftigkeit der Erzäh-

lung beim Explorieren. Der Berater muss sich ein Bild machen können. Am Ende der

Exploration spiegelt er dieses Bild zurück, indem er mit eigenen Worten die Gestalt

der gehörten Erzählung des Ratsuchenden zurückerzählt. Hier kann der Ratsuchende

ergänzen und korrigieren. Sodann geht es um Wahrnehmungserweiterung, Verhand-

lung, aber auch um die möglichen Lösungen durch das angebotene Programm.

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1.2.5 Die Wahrnehmungserweiterung und das soziale Lernen durch Beratung

Jede Entwicklung in der Beratung setzt voraus, dass der Ratsuchende irgendwann

seinen Standpunkt reflektiert und ggf. relativiert. Diese Relativierung der eigenen

Wahrnehmung, das Verlassen und Überschreiten des eigenen Horizontes ist ebenso

wichtig wie schwierig. Trotzdem bildet die Wahrnehmungserweiterung als besondere

Form des Lernens im Beratungsprozess den zentralen Kern. Hierzu kann dem Klienten

auch theoretisch nähergebracht werden, worum es bei der Wahrnehmungserweite-

rung geht. Grundsätzlich gilt das Wissen um die Wahrnehmungserweiterung aber als

ein Hintergrundwissen des Beraters. Zwei wichtige Theoretiker des Prinzips der Wahr-

nehmungserweiterung sind der Soziologe G.H. Mead und der Begründer der Grup-

pendynamik Kurt Lewin. In der Beratungspraxis ist es bei der Wahrnehmungserweite-

rung der Ratsuchenden wichtig, ihre subjektiven Sinndeutungen zu hinterfragen und

andere Deutungsmöglichkeiten einzuführen, die neben den Deutungen und Interpre-

tationen der Ratsuchenden bestehen sollten. Die Wahrnehmungserweiterung ist also

ein Nebeneinanderstellen von Interpretationen, ohne die subjektiven Sinndeutungen

der Ratsuchenden zu entwerten. Diese Fähigkeit, die eigene Deutung und Interpreta-

tion neben die Deutung der Ratsuchenden zu stellen und dort stehen zu lassen, ist ein

wichtiger Schritt in der Beratungsbeziehung. Für den Fall, dass die Ratsuchenden sich

nicht mehr verstanden fühlen, wenn man sich ihren subjektiven Deutungen nicht un-

terwirft, besteht die Möglichkeit, zum einen zum Spiegeln zurückzukehren (vgl. 1.2.7),

zum anderen aber die Dualität von objektivem und subjektivem Verstehen zu erör-

tern. Wahrnehmungserweiterung mutet dem Klienten zu, sich objektiver zu verstehen.

Dazu kann man sich der folgenden Techniken in der Beratung bedienen.

1.2.5.1 Das Johari-Fenster

Eine besondere Bedeutung im Rahmen von gruppenbezogenem und gruppendyna-

mischem Lernen kommt dem so genannten Johari-Fenster zu. Das Johari-Fenster

(Darstellung und Bezeichnung der Felder weicht je nach Literatur ab) ist eine Visua-

lisierung bewusster und unbewusster Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale zwi-

schen einem Selbst und den Anderen bzw. einer Gruppe. Entwickelt wurde es 1955

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von den amerikanischen Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham. Die Vor-

namen dieser beiden wurden für die Namensgebung herangezogen. Mit Hilfe des

Johari-Fensters wird vor allem der so genannte „blinde Fleck“ im Selbstbild eines

Menschen illustriert. Das Johari-Fenster hat vier Quadranten, die in a) öffentlich, b)

geheim, c) blinder Fleck und d) unbewusst unterschieden werden. Öffentlich ist al-

les, was ein Mensch von sich preisgibt, was also ihm selbst und Dritten bekannt ist,

die Anteile der Persönlichkeit, die nach außen sichtbar gemacht werden. Geheim ist

alles, was der Betroffene weiß oder kennt, aber Dritten nicht zugänglich macht oder

aktiv vor ihnen verbirgt. Der „blinde Fleck“ ist alles, wovon der Betroffene selbst keine

Ahnung hat, Dritte aber sehr wohl darum wissen und schließlich ist das Unbekannte

und Unbewusste das, was sowohl dem Betroffenen als auch Dritten nicht bekannt ist.

Dennoch existiert es. Vor allem in der Kommunikation und Reflexion von Konflikten

kann es sinnvoll sein, die Klienten mit der Technik des Johari-Fensters vertraut zu ma-

chen. Kränkungen können so in Feedbacks umgewandelt werden, der Berater wird

zum Übersetzer der Elemente in den einzelnen Quadranten.

1.2.5.2 Die Transaktionsanalyse

Die Transaktionsanalyse ist eine Theorie der menschlichen Persönlichkeit, der zwi-

schenmenschlichen Beziehung und Kommunikation. Sie wurde vom amerikanischen

Psychiater Dr. Eric Berne (1910 bis 1970) begründet und bietet ein Konzept zur Be-

handlung psychischer Erkrankungen sowie ein Entwicklungs- und Beratungskonzept

zur Förderung des individuellen, sozialen und kollektiven Wachstums. Die Theorie

der Transaktionsanalyse geht davon aus, dass das Denken, Fühlen und Verhalten von

verschiedenen Wesensmerkmalen unserer Person bestimmt wird, die als Kind-Ich,

Eltern-Ich und Erwachsenen-Ich bezeichnet werden. Diese Ich-Zustände treten bei

einer inneren Auseinandersetzung oder Entscheidung auf. Die Transaktionsanalyse

betont die Bedeutung des meist unbewussten Lebensplans („Skripts“), dem in der

Kindheit entwickelten Selbst- und Weltbild, nach welchem jede Person ihre Erfahrun-

gen auslegt und ihr Leben gestaltet („Skriptanalyse“). In der Beratung eignet sich das

transaktionsanalytische Modell sehr gut zur Bewusstmachung der Wahrnehmungser-

weiterung, wenn es um das Verstehen der emotionalen Untergründe von Konflikten

und Erlebensweisen geht. Vor allem die Affekte können zunächst einmal auf der Folie

von Ich-Zuständen, in welchen man sich gerade befindet, besser verstanden werden.

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Die Bedeutung eines meist unbewussten Lebensplanes, die so genannte „Skriptana-

lyse“, ist eher der Therapie vorbehalten. Hier können große Lebenskonflikte und Rol-

len verstanden und unbewusste Muster, vor allem Abhängigkeit, aber auch negative

Rollen, wie Sündenbockrollen, Parentifizierung und ähnliches nachvollzogen werden.

Doch Vorsicht! Eine zu einseitige Buchstabierung auf dieser Basis mündet meist in

einer Therapeutisierung komplexer, sozialer Sachverhalte. Ein historisch und sozial-

wissenschaftl. fundierter Gegenhorizont ist in der Beratung dann nötig.

1.2.5.3 Rollenübernahme

Als ein besonderer Theoretiker und Sozialwissenschaftler, dessen Forschungsarbei-

ten dem Problem der Entstehung menschlicher Identität gewidmet sind, gilt Geor-

ge Herbert Mead (1863-1931). Mead nennt als Kern der persönlichen Identität die

Möglichkeit, Selbsterfahrung aus der Sicht anderer zu machen, was ein empathischer

und sozial-moralischer Akt ist. Die Reflexionen werden dadurch in Gang gesetzt,

dass Menschen unweigerlich die Erfahrung des Psychischen machen, die Erfahrung,

dass Dinge wahrgenommen, erfahren und erlebt werden, die andere so nicht wahr-

nehmen und erleben. Dies kann eine Kränkung sein, es ist gleichzeitig ein Motor

zur Reflexion (vgl. Honneth 1992, S. 114ff.) und ein wichtiger Akt des sozialen und

moralischen Lernens, wenn diese Kränkung überwunden ist. In der Beratung typisch

sind beide Erfahrungen, die der Kränkung, dadurch dass der andere die gleiche Situ-

ation anders erlebt oder/ und interpretiert und die des Ansporns zur Reflexion und zur

Selbstveränderung. Um gesellschaftsfähig zu werden, ist es jedoch nötig, nicht nur

die Perspektive eines konkreten Anderen einzunehmen, sondern die Perspektive der

gesamten Gesellschaft, des „generalisierten Anderen“, wie Mead (1968) es nennt.

1.2.5.4DieAufklärung

An einer herausgehobenen Stelle im Beratungsgeschehen steht die Aufklärung des

Ratsuchenden, die innerhalb der psychologischen Beratung als Patientenedukation

bezeichnet wird. Hier erzählt zum Beispiel der psychologische Berater seinem Kli-

enten das, was er objektiv über dessen Probleme weiß. Das kann bei Ängsten eine

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Theorie der Angst sein, bei Sucht, wie sucht entsteht, was man dazu wissenschaftlich

weiß und welche Forscher wichtige Beiträge zur wissenschaftlichen Aufklärung bei-

getragen haben. In der sozialpädagogischen Beratung ist die Aufklärung vor allem

die Aufklärung über die sozialen Verhältnisse und das Funktionieren des Staates; in

der Gesundheitsberatung ist die Aufklärung jene über gesundheitliche Risiken und

Forschungsergebnisse zum gesunden Verhalten etc. Die Aufklärung dient der Verob-

jektivierung; der Klient/die Klientin soll ein objektiveres Verhältnis zu sich selbst be-

kommen. Sie/ er soll lernen, sich quasi von außen zu betrachten. An die Aufklärung

des Klienten/der Klientin werden bestimmte Erwartungen gestellt, weil der Berater

jetzt die Rolle wechselt. Er tritt aus der Beratungsrolle heraus und wird für kurze Zeit

Experte. Dies sollte der Klient nachvollziehen können. Eine zweite Dimension ist die

Beachtung zwischen Allgemeinem und Besonderem bei der Aufklärung. Jede allge-

meine Erkenntnis muss zwischen der Objektivität und dem Besonderen des Falles

vermitteln. Eine objektive Erkenntnis muss gar nichts, kann aber auch sehr viel für

den Einzelfall bedeuten. Die Vermittlung von Allgemeinem und Besonderem sollte mit

dem Klienten gemeinsam vorgenommen werden. Schließlich kann von der Aufklä-

rung erwartet werden, dass sie den Klienten stärkt. Sie enthält einen Bildungsaspekt

und soll der Mündigkeit des Klienten dienen. Hilfen zum Weiterlesen, zum Weiterstu-

dieren sind hier angemessen.

1.2.6 Gegenhorizonte und Konfrontation

Konfrontieren heißt in der Beratungspraxis sich gegenüberstellen, in einen Konflikt

mit dem Klienten gehen und sich von diesem abgrenzen. Eigentlich sind dies Din-

ge, die man in der Beratung nicht unbedingt macht und die mit dem Bild der von

Empathie geprägten Beratungsbeziehung schlecht vereinbar sind. Gleichwohl geht

es manchmal nicht anders, als sich gegenüberzustellen und Gegenhorizonte zu be-

nennen, die dann auch so bezeichnet werden können. Zunächst geht es darum zu

konfrontieren, aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. So ist an Sokrates zu erin-

nern, der die Aufgabe der Beratung darin gesehen hat, dem Klienten die Wahrheit

zu sagen oder auch Kritik zu üben. Plato spricht in diesem Zusammenhang von der

Parrhesia, dem Wahrheit Sprechen, welches in der Beratung unabdingbar ist. Ge-

genhorizonte können in der Beratung als Möglichkeiten vom Berater gesetzt werden.

Wichtig ist es allerdings, nicht nur einen Gegenhorizont, sondern möglichst mehrere

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in die Diskussion mit dem Klienten einzubringen, um die Relativität seiner Wahrneh-

mung und seines Standpunktes zu dokumentieren. Und: Im Bereich des Konfrontie-

rens gilt das Prinzip der Freundlichkeit, der Ausführlichkeit und der Zugewandtheit.

1.2.7 SpiegelnundIdentifizieren

Wohl kaum ein Theoretiker der Beratung hat die Lehre vom empathischen Verste-

hen in der Beratung so geprägt wie Carl Rogers. „Ich kann einen Menschen hören“

war Rogers Leitgedanke in seiner Arbeit. Ratbedürftige und ratsuchende Menschen

befinden sich in einem seelischen Spannungszustand, den BeraterInnen am besten

verändern, wenn sie sich empathisch verhalten. Vor allem eine Gesprächstechnik, die

Rogers (1942/ 1972) die „nicht-direktive“ Methode genannt hat, ist in der Beratung

ein wichtiger Schritt für die Gesprächskunst des Beraters/ der Beraterin. Der Berater

versucht hier, die Gefühle des Klienten zu erfassen, indem er sich zu den Reaktionen

wie ein Spiegel verhält. Der Berater soll dem Klienten ein zweites Selbst werden und

den Klienten so verstehen, wie er sich selbst erscheint. Es geht beim Spiegeln um eine

Art des Verstehens, wie der Klient sich im Augenblick wahrnimmt. Spiegeln ist ein

empathischer Akt, der viel mit Prozessen der Identifizierung zu tun hat. Empathie be-

deutet, so Wolfgang Krone (1988), die Wahrnehmungswelt des anderen zu betreten

und darin so gut wie möglich heimisch zu werden (vgl. S. 99). Der Berater muss ein

Gespür dafür haben, in welchem Affektzustand der Klient sich bewegt. Wut, Angst,

Verwirrung müssen mitgefühlt und nachvollzogen werden können. Empathie bedeu-

tet, in das Leben der Person einzutreten und keine Urteile zu fällen, keine Gefühle

aufzudecken und nicht zu konfrontieren, was zu bedrohlich wäre. Das Spiegeln ist

eine Art Beiseitelegen der eigenen Person und deshalb besonders schwierig für den

Berater. Rogers (1942/ 1972) geht aber davon aus, dass es vor allem die Erfahrung

des Verstehens und Übereinstimmens ist, die zur inneren Freiheit des Klienten, zur Ka-

tharsis und zum Lernen führt. Empathie richtet sich auf die innere Welt des Klienten,

sein Selbstbild, Weltbild, Menschenbild, wie es sich ihm darstellt und bestimmend ist

für sein Fühlen, Wahrnehmen und Erleben. Dazu gehört die Bereitschaft des Bera-

ters, die Welt des Klienten nicht nur zu erspüren, sondern auch zu antworten. Was er

verstanden hat, spiegelt er zurück. Dies ist der Kern des helfenden und befreienden

Dialogs.

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1.2.8 Der schwierige Klient – Regressionen, Verstrickungen und Kriseninterventionen

Für den Umgang mit Regressionen, Schwierigkeiten und besonderen Beziehungs-

problemen sind Zugänge aus der Psychoanalyse von entscheidender Wichtigkeit.

Besonders die Methode der Ethnopsychoanalyse geht davon aus, dass Berater und

Ratsuchender sich miteinander verstricken. Die Beratungssituation aus der Sicht der

Psychoanalyse bedeutet, dass ein fremder Berater auf einen fremden Klienten trifft.

Übertragungen können sich einstellen, die auch negativ sein können und die Bera-

tungssituation mitstrukturieren. In einer älteren Arbeit hat sich der Psychoanalytiker

und Beratungswissenschaftler Helmut Junker (1973) mit diesem Problem des schwie-

rigen Klienten befasst. Er verweist auf verschiedene Probleme der Gestaltung der In-

teraktion und hat sich vor allem mit dem Fall beschäftigt, wenn die Beratung schwie-

rig wird. Bei schwierigen Klienten gibt es zunächst erst einmal keinen Rat, sondern

einen Prozess, den Junker (1973) als Verstehen – Identifizieren – Kontakt – Empathie

– Rationalität beschreibt.

Krisen in der Sozialen Arbeit und der Beratung sind Zuspitzungen und Polarisierun-

gen, immer wieder mit einem Wendepunkt verbunden, in dem Entscheidungen zu

treffen sind und Druck ausgehalten werden muss. Der Krisenbegriff hat eine lange

und wichtige Tradition vor allem im Kontext des Psychiatrischen und der Psychothe-

rapie. Jedoch gibt es im Bereich der Beratung häufig schwere und leichtere Krisen,

die bearbeitet und integriert werden müssen, ohne dass psychotherapeutische und

psychiatrische Hilfe in Anspruch genommen werden kann. Um Krisen in der Beratung

richtig beurteilen und angemessen handeln zu können, ist es wichtig, sich mit der Dy-

namik der Krise vertraut zu machen, diese ernst zu nehmen und sie nicht von vornher-

ein als „Spielchen“ und Disziplinlosigkeit von Ratsuchenden anzusehen. Grundsätzlich

gilt in jeder Krise, dass Druck und Polarisierungen ebenso wie ein behavioristisches

und utilitaristisches Menschenbild, welches häufig ein nicht ernst Nehmen der Prob-

leme und eine Umdeutung beinhaltet, die Krise verschärfen. Mit Caplan und Erikson

unterscheidet Frevert (2008) traumatische Krisen von Entwicklungskrisen sowie Krisen,

die im Sinne von Verena Kast (1989) und dem Salutogenese Forscher Antonovsky

als Wendepunkt und Chance verstanden werden müssen. Krisen sind also entweder

normativ, dann sind sie als Entwicklungskrisen und biografische Wendepunkte im Le-

benslauf der Persönlichkeit. Sie sind vorgesehen und können antizipiert werden oder

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sie sind traumatisch. Im Falle der normativen Krise ist sowohl das Eintreten eines ge-

wissen erwarteten Ereignisses, wie Pubertät oder auch Elternschaft und Pflege, krisen-

haft. Bestimmte Krisen sind immer potenziell traumatisch, wie z.B. das Eintreten einer

Demenz oder eines Schlaganfalls, obwohl man dies bei einem 90-jährigen Menschen

ggf. erwartet hat. Es kommt trotzdem alles in Bewegung. Ursprünglich traumatische

Krisen sind jedoch unvorgesehen, können nicht vorgestellt werden, und es stehen

kaum Lebensmuster zur Verfügung, um diese zu bewältigen. Hervorzuheben ist bei

der traumatischen wie auch bei normativen Krisen die Labilität, die Polarisierung, die

Verfestigung und die Zunahme von inadäquaten Verhaltensweisen.

Als nicht normative, traumatische Krisen werden vor allem schwere Erschütterun-

gen im Lebenslauf, wie Tod oder schwere Krankheit eines nahestehenden Angehö-

rigen, Gewalterfahrungen, sexualisierte Gewalt und das Erleben von Katastrophen,

beschrieben. Hier werden die spezifischen Phasen einer Krise unterschieden: die

Schockphase (Trauma), die Labialisierung, die Reaktionsphase, die Bearbeitungspha-

se, die Neuorientierung oder Chronifizierung (vgl. Cullberg 1978, zit. nach Frevert

2008, S. 3).

Frevert (2008) unterscheidet sechs Stufen der Krisenintervention nach Jacobson (1974):

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Grundsätzlich gehört zur Krisenintervention eine andere Haltung als zum Routinebe-

reich in der Beratung. So sind die Auslöser der Krise zu klären, Beginn und Dauer der

Krise zu explorieren, ebenso Besonderheiten, wie z.B. Drogen- und Alkoholkonsum,

andere Risikofaktoren und frühere Krisen. Gleichzeitig sind die Copings zu beschrei-

ben: Auf welches soziale Umfeld können der Ratsuchende und seine Angehörigen

sich verlassen? Wer ist stabilisierend, zugewandt und helfend? Während der Kri-

senintervention gelten vor allem die spiegelnden und anerkennenden Prinzipien der

personenzentrierten Gesprächsführung. Krisenauslöser sollten identifiziert und Ange-

hörige aufgeklärt werden. In der Krisenintervention ist zudem eine Problemanalyse,

Kontaktaufnahme (und screening),

Problemanalyse,

Problemdefinition,

Zieldefinition,

Problembearbeitung,

Abschluss der Intervention.

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27

eine gemeinsame Problemdefinition und eine Problemhierarchie zu erstellen. Frevert

(2008) hebt hervor, dass eine Orientierung auf das Hier und Jetzt, eine Reizabschir-

mung, eine Alltagsstrukturierung und eine Hilfeplanung zur Krisenintervention dazu-

gehören.

Die Psychoanalytikerin Verena Kast (1989) stellt ein Krisenmodell vor, das die kreati-

ven Potenziale des Krisenprozesses in den Vordergrund rückt. Dieses Krisenverständ-

nis ist geeignet, Hoffnung zu geben und den Klienten zu helfen, ihre Ich-Kräfte zu

organisieren. In diesem Zusammenhang kann es als BeraterIn wichtig sein, sich auch

persönlich zu zeigen, Beispiele von gelungener Krisenbewältigung aus der eigenen

Praxis zu erzählen und zu „halten“. Seelische Aufmerksamkeit, Rituale der Zuwen-

dung, das Aufsuchen gehören zum Helfen bei der Bewältigung von Krisen dazu.

1.2.9 Abschied und Perspektive

Jede Beratung sollte mit einer (wenn auch kurzen) Abschlussreflexion und einem Ab-

schlussritual beendet werden. Diese Abschlussreflexion beinhaltet die Bewertung der

Beratung durch den Ratsuchenden und sollte kommunikativ-narrativ und nicht im

Sinne einer Evaluation oder Kundenbefragung ablaufen. Dem Ratsuchenden oder

der Ratsuchenden ist Gelegenheit zu geben, zu erklären, was in der Beratung gut und

was weniger gut für ihn oder sie war, was er oder sie mitnimmt und welche Bedeu-

tung die Beratungserfahrung für ihn oder sie als Ganzes hat. Kommt der Ratsuchen-

de nicht und bricht er die Beratung ab, so ist es ein Weg, eine nachgehende telefoni-

sche Abschlusssitzung durchzuführen, in der diese Fragen erörtert werden. Auch ein

Brief und/ oder eine Nachricht der Beraterin oder des Beraters ist vielfach wertvoll.

Das Abschiedsritual sollte aus Wertschätzung und Anerkennung für die Leistungen

des Ratsuchenden während der Beratung bestehen. Es geht darum, etwas zu sagen,

was die Persönlichkeit und das Problem des Ratsuchenden und seine Bedeutung an-

gemessen beschreibt. Ein weiterer wichtiger Punkt im Abschluss einer Beratung ist die

Frage danach, wie es weitergeht und ob es eine Rückkehr geben kann. Weitere Hilfen

und Möglichkeiten sind zu erörtern.

Eine besondere Bedeutung kommt der Verbindung von Beratung und Bildung zu.

Vielfach kann gesagt werden, dass Beratungsprozesse nur dann nachhaltig sind,

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wenn sie in Bildungsprozesse münden – wenn es also ein Weiterlernen und eine Wei-

terentwicklung der Persönlichkeit gibt, die auf der Beratung und auf ihren Erkenntnis-

sen aufbaut. Als ein weiteres wichtiges Kriterium ist die Selbsthilfe zu nennen. Selbst-

hilfegruppen gibt es in den meisten Städten und Landkreisen, so dass im Anschluss

an Beratungen auch Selbsthilfegruppen empfohlen werden können.

2. BeratunginderPflege

Die Beratung in der Pflege wird vor allem im Sozialgesetzbuch XI geregelt. Im Rah-

men des Sozialgesetzbuches V kommen Pflegende als Beratende direkt nicht vor.

Allerdings ist im neu geregelten Bereich des Versorgungsmanagements und der Pfle-

geüberleitung (§ 11 Abs. 4 SGB V) von einem deutlichen Beratungsbedarf der Pa-

tienten und ihrer Angehörigen auszugehen. Im Rahmen des § 20 SGB V ist zudem

Prävention und Selbsthilfe als Aufgabe der Krankenkassen genannt und erweitert

worden. Auch hier ergeben sich neue Ansatzpunkte für eine Pflegeberatung. Eine

hohe Bedeutung hat Beratung im Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI). Zu nennen

ist hier der § 7 SGB XI Aufklärung, Beratung. Außerdem der § 7a SGB XI Pflege-

beratung, der am 01.01.2008 im Rahmen des Pflege-Weiterentwicklungsgesetzes

(PfWG) in Kraft getreten ist sowie der § 7b SGB XI Beratungsgutscheine, der am

01.01.2013 im Rahmen des Pflegeneuausrichtungsgesetzes, (PNG) wirksam wurde.

Hinzu kommt der § 37, insbesondere Absatz 3 und 4, SGB XI Pflegegeld für selbst

beschaffte Pflegehilfen.

Das SGB XI:

„§ 7 SGB XI Aufklärung, Beratung

(1) Die Pflegekassen haben die Eigenverantwortung der Versicherten durch Aufklä-

rung und Beratung über eine gesunde, der Pflegebedürftigkeit vorbeugende Lebens-

führung zu unterstützen und auf die Teilnahme an gesundheitsfördernden Maßnah-

men hinzuwirken.

(2) Die Pflegekassen haben die Versicherten und ihre Angehörigen und Lebenspartner

in den mit der Pflegebedürftigkeit zusammenhängenden Fragen, insbesondere über

die Leistungen der Pflegekassen sowie über die Leistungen und Hilfen anderer Träger,

in für sie verständlicher Weise zu unterrichten, zu beraten und darüber aufzuklären,

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dass ein Anspruch besteht auf die Übermittlung des Gutachtens des Medizinischen

Dienstes der Krankenversicherung oder eines anderen von der Pflegekasse beauf-

tragten Gutachters sowie der gesonderten Rehabilitationsempfehlung gemäß § 18a

Absatz 1. (...)“

Unverzüglich nach Eingang eines Antrages auf Leistungen ist eine Leistungs- und

Preisvergleichsliste zu übermitteln.

(3) „(…) Gleichzeitig ist der Pflegebedürftige über den nächstgelegenen Pflege-

stützpunkt (§ 92c), die Pflegeberatung (§ 7a) und darüber zu unterrichten, dass die

Beratung und Unterstützung durch den Pflegestützpunkt sowie die Pflegeberatung

unentgeltlich sind. (...) Zugleich ist dem Pflegebedürftigen eine Beratung darüber an-

zubieten, welche Pflegeleistungen für ihn in seiner persönlichen Situation in Betracht

kommen. Ferner ist der Pflegebedürftige auf die Veröffentlichung der Ergebnisse von

Qualitätsprüfungen hinzuweisen.

Versicherte mit erheblichem allgemeinem Betreuungsbedarf und Pflegebedürftige

sind in gleicher Weise, insbesondere über anerkannte niedrigschwellige Betreuungs-

und Entlastungsangebote zu unterrichten und zu beraten.

(4) Die Pflegekassen können sich zur Wahrnehmung ihrer Beratungsaufgaben nach

diesem Buch aus ihren Verwaltungsmitteln an der Finanzierung und arbeitsteiligen

Organisation von Beratungsangeboten anderer Träger beteiligen; die Neutralität und

Unabhängigkeit der Beratung ist zu gewährleisten.“

„§ 7a SGB XI Pflegeberatung“

(1) Personen, die Leistungen nach diesem Buch erhalten, haben ab dem 1. Januar

2009 Anspruch auf individuelle Beratung und Hilfestellung durch einen Pflegeberater

oder eine Pflegeberaterin bei der Auswahl und Inanspruchnahme von bundes- oder

landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen sowie sonstigen Hilfsangeboten, die

auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- oder Betreuungsbe-

darf ausgerichtet sind (Pflegeberatung). Aufgabe der Pflegeberatung ist insbesonde-

re,

1.

2.

den Hilfebedarf unter Berücksichtigung der Feststellungen der Begutach-

tung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung systema-

tisch zu erfassen und zu analysieren,

einen individuellen Versorgungsplan mit den im Einzelfall erforderlichen

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30

3.

4.

5.

Es ist sicherzustellen, dass im jeweiligen Pflegestützpunkt nach § 92c Pflegeberatung

im Sinne dieser Vorschrift in Anspruch genommen werden kann und die Unabhän-

gigkeit der Beratung gewährleistet ist.

(2) Auf Wunsch erfolgt die Pflegeberatung (...) in der häuslichen Umgebung oder in

der Einrichtung, in der der Anspruchsberechtigte lebt. (...)

(3) Die Anzahl von Pflegeberatern und Pflegeberaterinnen ist so zu bemessen, dass

die Aufgaben nach Satz 1 im Interesse der Hilfesuchenden zeitnah und umfassend

wahrgenommen werden können. Die Pflegekassen setzen für die persönliche Bera-

tung und Betreuung durch Pflegeberater und Pflegeberaterinnen entsprechend qua-

lifiziertes Personal ein, insbesondere Pflegefachkräfte, Sozialversicherungsfachan-

gestellte oder Sozialarbeiter mit der jeweils erforderlichen Zusatzqualifikation. Zur

erforderlichen Anzahl und Qualifikation von Pflegeberatern und Pflegeberaterinnen

gibt der Spitzenverband Bund der Pflegekassen bis zum 31. August 2008 Empfeh-

lungen ab. (...)“

㤠7 b SGB XI Beratungsgutscheine

(1) Die Pflegekasse hat dem Antragsteller unmittelbar nach Eingang eines erstmali-

gen Antrages auf Leistungen und bei allen Höherstufungs- und Umstufungsanträgen

1.

2.

Sozialleistungen und gesundheitsfördernden, präventiven, kurativen, reha-

bilitativen oder sonstigen medizinischen sowie pflegerischen und sozialen

Hilfen zu erstellen,

auf die für die Durchführung des Versorgungsplans erforderlichen Maß-

nahmen einschließlich deren Genehmigung durch den jeweiligen Leis-

tungsträger hinzuwirken,

die Durchführung des Versorgungsplans zu überwachen und erforderli-

chenfalls einer veränderten Bedarfslage anzupassen sowie

bei besonders komplexen Fallgestaltungen den Hilfeprozess auszuwerten

und zu dokumentieren. (...)

unter Angabe einer Kontaktperson einen konkreten Beratungstermin anzu-

bieten, der spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang

durchzuführen ist, oder

einen Beratungsgutschein auszustellen, in dem Beratungsstellen benannt

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„§ 37 SGB XI Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen

(…)

(3) Pflegebedürftige, die Pflegegeld nach Absatz 1 beziehen, haben

1.

2.

eine Beratung in der eigenen Häuslichkeit durch eine zugelassene Pflegeeinrichtung,

durch eine von den Landesverbänden der Pflegekassen nach Absatz 7 anerkannte Be-

ratungsstelle mit nachgewiesener pflegefachlicher Kompetenz oder, sofern dies durch

eine zugelassene Pflegeeinrichtung vor Ort oder eine von den Landesverbänden der

Pflegekassen anerkannte Beratungsstelle mit nachgewiesener pflegefachlicher Kom-

petenz nicht gewährleistet werden kann, durch eine von der Pflegekasse beauftragte,

jedoch von ihr nicht beschäftigte Pflegefachkraft abzurufen. Die Beratung dient der

Sicherung der Qualität der häuslichen Pflege und der regelmäßigen Hilfestellung und

praktischen pflegefachlichen Unterstützung der häuslich Pflegenden.

Die Vergütung für die Beratung ist von der zuständigen Pflegekasse, bei privat Pflege-

versicherten von dem zuständigen privaten Versicherungsunternehmen zu tragen, im

Fall der Beihilfeberechtigung anteilig von den Beihilfefestsetzungsstellen. Sie beträgt

in den Pflegestufen I und II bis zu 22 Euro und in der Pflegestufe III bis zu 32 Euro.

Pflegebedürftige, bei denen ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung

und Betreuung nach § 45a festgestellt ist, sind berechtigt, den Beratungseinsatz in-

nerhalb der in Satz 1 genannten Zeiträume zweimal in Anspruch zu nehmen. Perso-

nen, bei denen ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreu-

ung nach § 45a festgestellt ist und die noch nicht die Voraussetzungen der Pflegestufe

I erfüllen, können halbjährlich einmal einen Beratungsbesuch in Anspruch nehmen;

die Vergütung für die Beratung entspricht der für die Pflegestufen I und II nach Satz 4.

In diesen Fällen kann die Beratung auch durch von den Landesverbänden der Pfle-

gekassen anerkannte Beratungsstellen wahrgenommen werden, ohne dass für die

Anerkennung eine pflegefachliche Kompetenz nachgewiesen werden muss.

sind, bei denen er zu Lasten der Pflegekasse innerhalb von zwei Wochen

nach Antragseingang eingelöst werden kann; (...) Die Beratung richtet sich

nach § 7 und § 7a. (...)“

bei Pflegestufe I und II halbjährlich einmal,

bei Pflegestufe III vierteljährlich einmal

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(4) Die Pflegedienste und die anerkannten Beratungsstellen sowie die beauftragten

Pflegefachkräfte haben die Durchführung der Beratungseinsätze gegenüber der Pfle-

gekasse oder dem privaten Versicherungsunternehmen zu bestätigen sowie die bei

dem Beratungsbesuch gewonnenen Erkenntnisse über die Möglichkeiten der Verbes-

serung der häuslichen Pflegesituation dem Pflegebedürftigen und mit dessen Ein-

willigung der Pflegekasse oder dem privaten Versicherungsunternehmen mitzuteilen,

im Fall der Beihilfeberechtigung auch der zuständigen Beihilfefestsetzungsstelle. Der

Spitzenverband Bund der Pflegekassen und die privaten Versicherungsunternehmen

stellen ihnen für diese Mitteilung ein einheitliches Formular zur Verfügung. Der beauf-

tragte Pflegedienst und die anerkannte Beratungsstelle haben dafür Sorge zu tragen,

dass für einen Beratungsbesuch im häuslichen Bereich Pflegekräfte eingesetzt werden,

die spezifisches Wissen zu dem Krankheits- und Behinderungsbild sowie des sich da-

raus ergebenden Hilfebedarfs des Pflegebedürftigen mitbringen und über besondere

Beratungskompetenz verfügen. Zudem soll bei der Planung für die Beratungsbesuche

weitestgehend sichergestellt werden, dass der Beratungsbesuch bei einem Pflegebe-

dürftigen möglichst auf Dauer von derselben Pflegekraft durchgeführt wird. (…)“

„§ 92c SGB XI Pflegestützpunkte“ (ab 01.01.2016 verschoben nach § 7c)

„(1) Zur wohnortnahen Beratung, Versorgung und Betreuung der Versicherten richten

die Pflegekassen und Krankenkassen Pflegestützpunkte ein, sofern die zuständige

oberste Landesbehörde dies bestimmt. (…)

(2) Aufgaben der Pflegestützpunkte sind

1.

2.

3.

(…)“

umfassende sowie unabhängige Auskunft und Beratung zu den Rechten

und Pflichten nach dem Sozialgesetzbuch und zur Auswahl und Inanspruch-

nahme der bundes- oder landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen

und sonstigen Hilfsangebote,

Koordinierung aller für die wohnortnahe Versorgung und Betreuung in Be-

tracht kommenden gesundheitsfördernden, präventiven, kurativen, reha-

bilitativen und sonstigen medizinischen sowie pflegerischen und sozialen

Hilfs- und Unterstützungsangebote einschließlich der Hilfestellung bei der

Inanspruchnahme der Leistungen,

Vernetzung aufeinander abgestimmter pflegerischer und sozialer Versor-

gungs- und Betreuungsangebote. (…)

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Das SGB V:

㤠11 SGB V Leistungsarten

(…)

(4) Versicherte haben Anspruch auf ein Versorgungsmanagement insbesondere zur

Lösung von Problemen beim Übergang in die verschiedenen Versorgungsbereiche.

Die betroffenen Leistungserbringer sorgen für eine sachgerechte Anschlussversor-

gung des Versicherten und übermitteln sich gegenseitig die erforderlichen Informati-

onen. Sie sind zur Erfüllung dieser Aufgabe von den Krankenkassen zu unterstützen.

In das Versorgungsmanagement sind die Pflegeeinrichtungen einzubeziehen; dabei

ist eine enge Zusammenarbeit mit Pflegeberatern und Pflegeberaterinnen nach § 7a

des Elften Buches zu gewährleisten. Das Versorgungsmanagement und eine dazu

erforderliche Übermittlung von Daten darf nur mit Einwilligung und nach vorheriger

Information des Versicherten erfolgen. Soweit in Verträgen nach den §§ 140a bis

140d nicht bereits entsprechende Regelungen vereinbart sind, ist das Nähere im

Rahmen von Verträgen nach § 112 oder § 115 oder in vertraglichen Vereinbarun-

gen mit sonstigen Leistungserbringern der gesetzlichen Krankenversicherung und mit

Leistungserbringern nach dem Elften Buch sowie mit den Pflegekassen zu regeln.

(5) Auf Leistungen besteht kein Anspruch, wenn sie als Folge eines Arbeitsunfalls oder

einer Berufskrankheit im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung zu erbringen sind.“

„§ 20c SGB V Förderung der Selbsthilfe

(1) Die Krankenkassen und ihre Verbände fördern Selbsthilfegruppen und -organi-

sationen, die sich die gesundheitliche Prävention oder die Rehabilitation von Ver-

sicherten bei einer der im Verzeichnis nach Satz 2 aufgeführten Krankheiten zum

Ziel gesetzt haben, sowie Selbsthilfekontaktstellen im Rahmen der Festlegungen des

Absatzes 3. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beschließt ein Verzeich-

nis der Krankheitsbilder, bei deren gesundheitlicher Prävention oder Rehabilitation

eine Förderung zulässig ist; sie haben die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die

Vertretungen der für die Wahrnehmung der Interessen der Selbsthilfe maßgeblichen

Spitzenorganisationen zu beteiligen. Selbsthilfekontaktstellen müssen für eine Förde-

rung ihrer gesundheitsbezogenen Arbeit themen-, bereichs- und indikationsgruppen-

übergreifend tätig sein.

(2) Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen beschließt Grundsätze zu den Inhalten

der Förderung der Selbsthilfe und zur Verteilung der Fördermittel auf die verschiedenen

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Förderebenen und Förderbereiche. Die in Absatz 1 Satz 2 genannten Vertretungen der

Selbsthilfe sind zu beteiligen. Die Förderung kann durch pauschale Zuschüsse und als

Projektförderung erfolgen.

(3) Die Ausgaben der Krankenkassen und ihrer Verbände für die Wahrnehmung der

Aufgaben nach Absatz 1 Satz 1 sollen insgesamt im Jahr 2006 für jeden ihrer Versi-

cherten einen Betrag von 0,55 Euro umfassen; sie sind in den Folgejahren entspre-

chend der prozentualen Veränderung der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 Abs.

1 des Vierten Buches anzupassen. (…)“

Die genannten gesetzlichen Grundlagen zeigen auf, dass die Beratung in der Pflege

nach dem Willen des Gesetzgebers eine zunehmende Bedeutung vor allem im Rah-

men des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI) und hier noch einmal für die häusliche

Pflege erhalten hat. Für Beratung in der Pflege hochgradig bedeutend sind die mit

der Reform der Pflegeversicherung vom 1. Juli 2008 eingeführten Pflegestützpunkte

(vgl. § 92c SGB XI), deren Errichtung zwar bei den Pflegekassen liegt, jedoch zumeist

kooperativ von Pflegekassen und Leistungsanbietern gestaltet wird. Gleichermaßen

bedeutsam ist die Einfügung des § 7a SGB XI in Ergänzung zum § 7 in das SGB XI

im Rahmen derselben Reform, womit der Gesetzgeber einen Anspruch auf individu-

elle Pflegeberatung durch die Pflegekassen gesetzlich festgeschrieben hat. Erstmals

werden Aufgaben der Pflegeberatung und Anforderungen an die Qualifikation der

Pflegeberaterinnen und Pflegeberater verbindlich festgelegt (vgl.: Empfehlungen des

GKV-Spitzenverbandes nach § 7a Abs. 3 Satz 3 SGB XI zur Anzahl und zur Qualifika-

tion der Pflegeberaterinnen und Pflegeberater vom 29.08.2008). Neben Pflegefach-

kräften können sich demnach Sozialversicherungsfachangestellte, Sozialarbeiter und

Menschen mit anderen geeigneten Berufen zu Pflegeberaterinnen und Pflegeberatern

qualifizieren. Gleichzeitig zeigt auch die Weiterentwicklung des § 37 SGB XI, dass

der aufsuchenden, lebensweltlichen und prozessbezogenen Beratung künftig eine

wichtige Bedeutung für die Pflege zukommt. Durch die zentrale Stellung des Kran-

kenhauses bei der Pflegebedürftigkeit werden im Bereich des Entlassungsmanage-

ments Beratungsaufgaben bei aufwendigen Entlassungen von Pflegebedürftigen und

ihren Angehörigen auch im Krankenhaus kontinuierlich zunehmen. Bisher hat sich

ein Professionsprofil für die Pflegeberatung noch nicht wirklich entwickelt. Beratung

galt bisher im Kontext der Pflege als eher randständig und wurde vielfach von Sozi-

alarbeiterinnen und Sozialarbeitern als klassische Sozialberatung, d.h. als Auskunft

und Information über die Hilfen des Pflegeversicherungsgesetzes durchgeführt. Der

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Einstieg des Gesetzgebers in ein komplexes, präventives, prozesshaftes und lebens-

weltliches Beratungsverständnis eröffnet für Pflegende und verwandte Professionen

neue Perspektiven.

3. KlassischeBeratungsfelderundBeratungsformeninderPflege

3.1 Die Patienteninformation

Die Komplexität des Gesundheitswesens, das Nebeneinander von Behandlungskon-

zepten und Pflegemethoden, die Konkurrenz von Schulmedizin mit Alternativmedizin,

der hohe Einfluss der Pharmaindustrie im Gesundheitswesen haben zu einem großen

Bedarf an Verbraucherschutz, Klinikführern und/ oder Patienteninformationsstellen

geführt. Das medizinische System produziert Komplexität, die Beratung von Konsu-

menten und Patienten nach sich zieht. Im Gestrüpp von Angeboten sollen Patienten

sich durch Beratung und Auskunft besser orientieren und angemessene Entscheidun-

gen treffen. Der Beratungsbedarf entsteht, weil der Patient oder die Patientin mit dem

„System Gesundheitswesen“ konfrontiert und dem Risiko ausgesetzt ist, aufgrund von

Informationsmängel schlechte oder falsche Entscheidungen zu treffen. Ebenso ist es

möglich, dass der Patient seine Rechte nicht kennt und auf Möglichkeiten einer Fi-

nanzierung von Angeboten verzichtet, auf die er als Versicherter einen Anspruch hat.

Die Konfrontation mit dem System Krankenhaus kann gleichzeitig bei Patientinnen

und Patienten Gefühle der Überforderung und Hilflosigkeit auslösen, wodurch neben

einer Expertise im Sinne einer sachlichen, rechtmäßigen und richtigen Beratung auch

psychosoziale Kompetenzen des Beraters vonnöten sind.

Die Mehrheit der Beratungsstellen für pflegende Angehörige informieren diese vor

allem über die Leistungen des Pflegeversicherungsgesetzes, sodass es sich bei der

Beratung in der Pflege für Angehörige vor allem um eine Pflegesachleistungsbera-

tung handelt. Klassischerweise wird diese Beratung von SozialarbeiterInnen, auch im

Krankenhaussozialdienst durchgeführt. Im Mittelpunkt stehen hierbei Kurz- und Inten-

sivberatungen zu einzelnen oder komplexen Leistungen oder Leistungspaketen der

Pflegeversicherung. Die Beratungen zur Pflegeversicherung unterliegen den Regeln

der Sozialgesetzgebung. Hier ist vor allem der § 14 SGB I Beratung richtungweisend.

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Das SGB I:

㤠14 SGB I Beratung

Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Ge-

setzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die

Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind.“

Die im entscheidenden § des SGB I formulierte Beratung ist eine „dünne Beratung“,

die den Ratsuchenden nicht mit besonderen Rechten auf umfassende Information und

die Leistungserbringer nicht mit entsprechenden Pflichten ausstattet. Wer seine Rechte

nicht geltend macht oder machen kann, verliert auch seine Ansprüche. Die hohe Be-

deutung der sehr unterschiedlichen Leistungsträger prägt denn auch das Beratungs-

verständnis und das Beratungsklima unter dem Dach eines jeweiligen Gesetzes. So

ist die Beratung unter dem Dach der Jugendhilfe, wo sehr viele ausgebildete und in

Beratung qualifizierte SozialarbeiterInnen tätig sind, ganz anders zu bewerten als in

Bereichen, wo die Beratung vorwiegend über Verwaltungs- oder Versicherungsan-

gestellte durchgeführt wird. Im Bereich des Pflegeversicherungsgesetzes ist anzuneh-

men, dass der Gesetzgeber durch die besondere Einrichtung einer Pflegeberatung

diesem Misstand abhelfen will. Gleichwohl sind die Beratungen zum Pflegeversiche-

rungsgesetz nicht wirklich verbindlich in Bezug auf die Rechte der Versicherten und

der pflegenden Angehörigen. Entscheidende Institution ist weiterhin der Medizinische

Dienst der Krankenversicherung (MDK) und die Pflegekasse.

Mit der Einführung des Pflegeversicherungsgesetzes zeigte sich auch, dass Sozial-

arbeiter als bevorzugte BeraterInnengruppe mit den Spezifika der Pflegeberatung

überfordert sind, da ihnen die pflegerische Beurteilungskompetenz fehlt und es in

den Pflegeberatungen nicht nur um Leistungsberatung, sondern auch um pflegefach-

liche Beratung geht. Weiterhin: Schon kurz nach Einführung der Pflegeversicherung

traten die Probleme und Widersprüche des verrichtungsorientierten Pflegebegriffs,

der Pflegestufen und der eher symbolischen Anerkennung der häuslichen Pflege of-

fen zu Tage. So sind die Dimensionen der klassischen Leistungsberatung vielfältig.

Sie reichen über die allgemeine Aufklärung der einzelnen Ansprüche, über die An-

gebote des Pflegemarktes in der Region bis hin zur strukturierten und organisierten

Beratung zur Neugestaltung eines Pflegesettings. Dabei sind in der Beratung erstens

die Leistungen selbst zu berücksichtigen und die Angehörigen darüber zu informie-

ren, wie man diese beantragt, bekommt, womit man zu rechnen hat. Zweitens sind

die Verfahren zu erläutern und die Rolle des Versicherten und der pflegenden An-

gehörigen ist zu beraten. Schließlich sind personenbezogene Strategien zu beraten,

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d.h. die Berücksichtigung der eigenen Lebenslage, die Frage der Rolle innerhalb der

Familie und innerhalb der Herkunftsfamilie, die Vereinbarkeit von Pflege und Be-

ruf und immer wieder auch die Information über die Akteure des immer komplexer

werdenden Pflegemarktes. Pflegeleistungsberatung ist deshalb eine komplexe, auf

gesellschaftliche Modernisierungsprozesse und Integration bezogene Sachberatung.

Dieser Herausforderung wird künftig viel stärker Rechnung zu tragen sein. Für die

Situation der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen sind potenziell mehrere So-

zialgesetzbücher zur Anwendung möglich. So können neben dem SGB XI auch die

Sozialhilfe (SGB XII), die Sozialgesetzbücher II und III, die Unfallversicherung (SGB

VII) oder das Sozialgesetzbuch IX (Rehabilitation) zur Anwendung kommen. An die-

ser Stelle soll jedoch das Pflegeversicherungsgesetz (SGB XI) in seinen Grundzügen

erläutert werden. Für weitere Beratungsdienstleistungen nach dem Sozialgesetzbuch

müsste der Ratsuchende an geeignete Stellen weiterverwiesen werden.

a. Leistungen der Pflegeversicherung

Die Pflegeversicherung umfasst folgende Leistungen, die für Pflegebedürftige und

deren Angehörige bedeutsam sein können: die Pflegesachleistung, das Pflegegeld,

die Kombinationsleistung, die Pflegehilfsmittel, technische Hilfen und wohnumfeld-

verbessernde Maßnahmen, die Kurzzeitpflege, die Verhinderungspflege, die Tages-

und Nachtpflege, die Betreuungs- und Entlastungsangebote, die stationäre Pflege,

die soziale Sicherung der Pflegeperson und die Bildungsangebote für die Angehöri-

gen.

b. § 37 Pflegegeld für selbstbeschaffte Pflegehilfen,

§ 36 Pflegesachleistungen, § 38 Kombinationsleistungen

Die Pflegeversicherung differenziert in Bezug auf die häusliche Pflege zwischen Pfle-

gesach- und Pflegegeldleistungen, zwischen dem, was Angehörige als Pflegeperso-

nen bekommen (Pflegegeld), und dem, was Pflegedienste bekommen (Pflegesach-

leistung). Für die Höhe und den Umfang der Leistungsansprüche der Versicherten

gegenüber der Pflegeversicherung ist die Einstufung in eine Pflegestufe je nach der

Schwere der Pflegebedürftigkeit von entscheidender Bedeutung. Neben der Pflege-

stufe wird im Rahmen der Begutachtungen durch den Medizinischen Dienst der Kran-

kenkassen (MDK) überprüft, ob die Versicherten dem Personenkreis der Menschen

mit eingeschränkter Alltagskompetenz (nach § 45a) zuzuordnen sind. Dies sind vor

allem an Demenz erkrankte Versicherte. Bei Zuordnung zu diesem Personenkreis

sind die Pflegegeld- und Pflegesachleistungsansprüche höher als bei Personen ohne

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eingeschränkte Alltagskompetenz. Versicherte mit einem Hilfebedarf unterhalb der

Pflegestufe 1 (= Pflegestufe 0), die aber zum Personenkreis mit eingeschränkter

Alltagskompetenz gehören, haben mit Inkrafttreten der ersten Stufe des Pflegestär-

kungsgesetzes (PSG I), ab dem 01.01.15 Zugang zu allen ambulanten Leistungen

der Pflegeversicherung. Zudem besteht je nach Einstufungsgrad ein zusätzlicher An-

spruch auf Betreuungs- und Entlastungsleistungen von 104 Euro oder 208 Euro pro

Monat. Pflegesachleistungen und Pflegegeld können auch kombiniert in Anspruch

genommen werden.

Die Pflegesachleistungen zur Pflege staffeln sich wie folgt auf:

in Pflegestufe 0

mit eingeschränkter Alltagskompetenz

in Pflegestufe I für erheblich Pflegebedürftige

in Pflegestufe I

für erheblich Pflegebedürftige mit eingeschänkter Alltagskompetenz

in Pflegestufe II für Schwerpflegebedürftige

in Pflegestufe II

für Schwerpflegebedürftige mit eingeschränkter

Alltagskompetenz

in Pflegestufe III für Schwerstpflegebedürftige mit und ohne

eingeschränkte Alltagskompetenz

in besonderen Härtefällen mit und ohne eingeschränkte Alltagskompetenz

Pflegesachleistung pro Monat

bis zu 231 Euro

bis zu 468 Euro

bis zu 689 Euro

bis zu 1.144 Euro

bis zu 1298 Euro

bis zu 1.612 Euro

bis zu 1.995 Euro

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Das Pflegegeld beträgt:

c. Private Pflegeversicherung

In der privaten Pflegeversicherung, die privat Krankenversicherte abschließen müs-

sen, tritt an die Stelle der Sachleistung eine Kostenerstattung. Diese entspricht der

Höhe der Leistungen der gesetzlichen oder sozialen Pflegeversicherung.

d. § 14, § 15 Einstufung in eine Pflegestufe

§ 45 a Zuordnung eingeschränkte Alltagskompetenz

Eine besondere Hürde bei der häuslichen (und auch bei der stationären) Pflege sind

die Einstufungen in eine Pflegestufe. Wer Pflegegeld oder Pflegesachleistungen bezie-

hen möchte, muss sowohl pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes

sein (vgl. § 14), als auch mehrfach wöchentlich Hilfe bei der hauswirtschaftlichen

Versorgung benötigen.

in Pflegestufe 0

mit eingeschränkter Alltagskompetenz

in Pflegestufe I für erheblich Pflegebedürftige

in Pflegestufe I

für erheblich Pflegebedürftige mit eingeschänkter Alltagskompetenz

in Pflegestufe II für Schwerpflegebedürftige

in Pflegestufe II

für Schwerpflegebedürftige mit eingeschränkter

Alltagskompetenz

in Pflegestufe III für Schwerstpflegebedürftige mit und ohne

eingeschränkte Alltagskompetenz

in besonderen Härtefällen mit und ohne eingeschränkte Alltagskompetenz

Pflegegeld pro Monat

bis zu 123 Euro

bis zu 244 Euro

bis zu 316 Euro

bis zu 458 Euro

bis zu 545 Euro

bis zu 728 Euro

bis zu 728 Euro

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Der für die Pflegestufe relevante Minutenwert errechnet sich im Sinne des Pflegever-

sicherungsgesetzes aus dem Hilfebedarf bei den Verrichtungen des täglichen Lebens

in den drei Hilfebereichen Körperpflege, Ernährung und Mobilität. Dabei wird Pflege-

stufe I (erheblich Pflegebedürftige) ab 46 Minuten pro Tag (= in 24 Std.), Pflegestufe II

(Schwerpflegebedürftige) ab 120 Minuten pro Tag und Pflegestufe III (Schwerstpflege-

bedürftige) ab 240 Minuten pro Tag erreicht. Zusätzlich muss mehrfach wöchentlich

ein Hilfebedarf im Hilfebereich Hauswirtschaft vorliegen. Dieser wird bei der Begut-

achtung in der Regel mit 60 Minuten pro Tag bemessen. Aufgrund eines höheren

Bedarfs an hauswirtschaftlicher Versorgung kann keine höhere Pflegestufe erreicht

werden. Ein Bedarf an allgemeiner Betreuung und Beaufsichtigung wird bei der Ein-

stufung in eine Pflegestufe ebenso nicht berücksichtigt, wie die Behandlungspflegen

(z.B. Medikamentengaben, Verbandwechsel, Insulininjektionen). Die Pflegebedürftig-

keit muss zudem dauerhaft, d. h. im Sinne des § 14 mindestens 6 Monate vorliegen

um für die Pflegestufe angerechnet werden zu können. Berücksichtigt werden können

auch Pflegeleistungen, die aus pflegerischer Sicht erforderlich sind, die aber beispiel-

weise vom Pflegebedürftigen (noch) abgelehnt werden oder aus organisatorischen

Gründen nicht durchgeführt werden können.

Bei einem Hilfebedarf bei den Verrichtungen in den Hilfebereichen Körperpflege, Er-

nährung und Mobilität ab 360 Minuten pro Tag oder wenn mindestens eine Verrich-

tung tagsüber und des nachts durch zwei Pflegekräftezeitgleich durchgeführt werden

muss, liegt ein Härtefall (Pflegestufe 3 +) vor. Die Anzahl der Härtefälle darf nach

dem SGB XI nicht mehr als 5 % aller Pflegebedürftigen betragen. Härtefälle haben

in der ambulanten Versorgung durch einen Pflegedienst höhere Pflegesachleistungs-

ansprüche als Menschen mit Pflegestufe 3. Wird für die Versorgung eines Härtefalls

Pflegegeld bezogen entspricht das Pflegegeld dem der Pflegestufe 3.

Neben der Einstufung in eine Pflegestufe ist für die häusliche Pflege wichtig, ob der

Pflegebedürftige zum Personenkreis mit eingeschränkter Alltagskompetenz gehört

(§ 45a). Personen mit eingeschränkter Alltagskompetenz haben einen höheren An-

spruch auf Pflegegeld und Pflegesachleistungen. Seit dem 01.01.15 haben Personen-

mit eingeschränkter Alltagskompetenz ohne Pflegestufe, also einem Hilfebedarf unter

46 Pflegeminuten pro Tag (= Pflegestufe 0) erstmals Zugang zu allen ambulanten

Leistungen der Pflegeversicherung.

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Im Verlauf der Begutachtung der Pflegestufe wird die Alltagskompetenz der Versi-

cherten immer mit untersucht. Im Rahmen eines Assessments werden 13 Merkmale

(Items) überprüft und dabei ermittelt, in welchem Grad die Alltagskompetenz einge-

schränkt ist. Bei erheblich eingeschränkter Alltagskompetenz müssen mindestens 2

Merkmale mit „ja“, bei einer in erhöhtem Maße eingeschränkten Alltagskompetenz 3

Merkmale mit „ja“ beantwortet werden. Ein zusätzlicher Leistungsanspruch von 104

Euro (Grundbetrag) oder 208 Euro (erhöhter Betrag) pro Monate für Betreuungs- und

Entlastungsleistungen kann damit abgerufen werden. Zudem besteht ein höherer An-

spruch auf Pflegegeld- und Pflegesachleistungen gegenüber Personen ohne einge-

schränkte Alltagskompetenz.

e. § 40 Pflegehilfsmittel und technische Hilfen

Die Pflegeversicherung zahlt nach Beantragung auch Pflegehilfsmittel und technische

Hilfen. Bei Pflegehilfsmitteln, die zum Verbrauch bestimmt sind (z.B. Inkontinenzar-

tikel, Einmalhandschuhe, Desinfektionsmittel, u.a.), werden pro Monat 40,00 Euro

vergütet. Eine Kostenerstattung ist möglich, d.h. die Rechnungen können nachträglich

eingereicht werden.

Technische Hilfen (z.B. Pflegebett, Lifter, Hausnotruf u.a.) können durch die Pflege-

kasse zur Verfügung gestellt werden. Sie müssen verordnet werden, was in der Regel

der Sozialdienst des Krankenhauses oder der Hausarzt übernimmt. Die beantragten

Hilfen müssen im konkreten Einzelfall der Erleichterung der Pflege, der Linderung der

Beschwerden oder der Ermöglichung einer selbständigeren Lebensführung dienen.

Eine Zuzahlung von höchstens 25,00 Euro kann hierbei erforderlich sein.

f. § 40 Maßnahmen zur Verbesserung des Wohnumfeldes

Schließlich zahlt die Pflegeversicherung noch Maßnahmen zur Verbesserung des

Wohnumfeldes bis zu 4.000 Euro je Maßnahme, sofern diese die Pflege zuhause

ermöglichen oder erleichtern (z.B. pflegegerechter Umbau eines Badezimmers oder

der Wohnräume, Zuschuss zu den Umzugskosten zu den Angehörigen oder in eine

pflegegerechte Wohnung u.a.). Leben mehrere Pflegebedürftige in einer Wohnung

kann bis zu 16.000 Euro bewilligt werden. Die Zahlung eines Eigenanteils ist bei

dieser Maßnahme nicht mehr erforderlich. Die Antragstellung hat vor Beginn der

Maßnahme zu erfolgen.

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Für die häusliche Pflege von besonderer Bedeutung sind Kurzzeitpflege, Verhinde-

rungspflege, Tages- und Nachtpflege sowie zusätzliche Betreuungs- und Entlastungs-

leistungen, die speziell pflegende Angehörige entlasten sollen. Ab dem 01.01.15 hat

der Gesetzgeber diese zusätzlichen Leistungen weiter flexibilisiert, d. h. es ist möglich

die Leistungsansprüche gegeneinander auszutauschen und zu kombinieren. Eben-

so wurde zum 01.01.15 mit dem Pflegestärkungsgesetz I erreicht, dass Personen

mit Pflegestufe 0 und eingeschränkter Alltagskompetenz in gleichem Umfang wie

Personen mit Pflegestufe Zugang zu diesen Leistungen erhalten. Es ist zu beachten,

dass die Leistungen jeweils einzeln beantragt werden müssen. Erst nach erfolgter

Kostenzusage durch die Pflegekasse können sie in Anspruch genommen werden.

Werden diese zusätzlichen Leistungen nicht abgerufen, verfallen sie mit Beginn des

Folgejahres.

g. § 42 Kurzzeitpflege

Die Pflegeversicherung zahlt unabhängig von der Höhe der Pflegestufe oder dem

Grad der Einschränkung der Alltagskompetenz bis zu 1612 Euro pro Jahr für Kurz-

zeitpflege. Der Leistungsanspruch beginnt mit der Antragstellung auf Kurzzeitpflege

oder auf Einstufung in eine Pflegestufe, also ohne Wartezeit. Kurzzeitpflege kann

bis zu 42 Tage pro Jahr beansprucht werden. Ein „Splitten“, d.h. Verteilen über das

Jahr ist möglich. Zu berücksichtigen ist bei der Kurzzeitpflege, dass diese nur für

die pflegebedingten Aufwendungen verwendet werden kann. Kosten für Unterkunft

und Verpflegung (sogenannte Hotelkosten) müssen selbst übernommen werden oder

können über den Anspruch auf zusätzliche Betreuungs- und Entlastungsleistungen

bezahlt werden. Eine Finanzierung über das Sozialamt auf Antrag ist möglich, bei

Anspruchsberechtigung auf Sozialhilfe.

Ab 01.01.15 kann 50 % des Kurzzeitpflegeanspruches für Verhinderungspflege ver-

wendet werden. Reicht der Anspruch auf Kurzzeitpflege nicht aus, beispielsweise weil

der Pflegebedürftige aus verschiedensten Gründen noch nicht in der eigenen Häus-

lichkeit versorgt werden kann, können 100% des Verhinderungspflegeanspruches für

Kurzzeitpflege und im Anschluss daran 100 % des Anspruches auf zusätzliche Betreu-

ungs- und Entlastungsleistungen für Kurzzeitpflege verwendet werden.

Bei Inanspruchnahme von Kurzzeitpflege kann das Pflegegeld zu 50% weiter in An-

spruch genommen werden.

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h. § 39 Verhinderungspflege

Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaub, Krankheit oder aus anderen Gründen

an der Pflege gehindert, zahlt die Pflegeversicherung nochmals unabhängig von der

Pflegestufe bis 1612 Euro pro Jahr für Verhinderungspflege. Voraussetzung ist, dass

die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor erstmaliger Verhinderung mindestens 6

Monate in seiner Wohnung gepflegt hat. Voraussetzung ist demnach nicht, dass min-

destens seit 6 Monaten eine Pflegestufe oder eingeschränkte Alltagskompetenz gut-

achterlich festgestellt worden ist.

Kann also nachgewiesen werden, dass die Pflegeperson seit mindestens sechs Mo-

naten versorgt bzw. pflegt, kann Verhinderungspflege ohne Wartezeit in Anspruch

genommen werden.

Verhinderungspflege kann bei einem Pflegedienst beauftragt werden. Hier werden

Leistungskomplexe oder ein Stundensatz vereinbart. Verhinderungspflege kann „ge-

splittet“, also über das ganze Jahr verteilt werden (z.B. alle 2 Wochen 3 Stunden).

Verhinderungspflege kann außerdem durch privat beschaffte Pflege- und Betreu-

ungskräfte erbracht werden. Die Kosten sind in diesem Fall vom Versicherten vorzu-

strecken und werden von der Pflegekasse erstattet. Verhinderungspflegeleistungen

können im vollen Umfang allerdings nur für Pflegepersonen bezahlt werden, die mit

dem Pflegebedürftigen nicht in häuslicher Gemeinschaft leben und nicht bis zum 2.

Grad verwandt oder verschwägert sind. Lebt die Pflegeperson mit dem Pflegebe-

dürftigen in häuslicher Gemeinschaft und ist mit ihm bis zum 2. Grad verwandt oder

verschwägert, dürfen die Aufwendungen zur „Ersatzpflege“ regelmäßig den Betrag

des Pflegegeldes nicht überschreiten. Zusätzlich können in diesem Fall notwendige

Aufwendungen, die durch die „Ersatzpflege“ entstanden sind (z.B. Fahrtkosten, u.a.)

übernommen werden.

Im Rahmen der Flexibilisierung der Leistungsansprüche kann 100 % des Verhinde-

rungspflegeanspruches für Kurzzeitpflege und 50% des Kurzzeitpflegeanspruches für

Verhinderungspflege verwendet werden.

i. § 41 Tages- und Nachtpflege

Ab 01.01.15 kann Tages- und Nachtpflege ungekürzt zu 100 % neben dem Pflege-

geld und Pflegesachleistungen in Anspruch genommen werden. Tagespflege- und

Nachtpflege kann nicht für andere Leistungen verwendet werden. Beglichen wer-

den die Kosten für die pflegebedingten Aufwendungen. Unterkunft, Verpflegung und

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Fahrkosten muss der Versicherte selbst tragen oder über den Anspruch auf zusätzli-

che Betreuungs- und Entlastungsleistungen begleichen. Bei Anspruch auf Sozialhilfe

nach SGB XII übernimmt das Sozialamt unter bestimmten Umständen diese Kosten.

j. § 45a, § 45b Betreuungs- und Entlastungsleistungen

Leistungsberechtigt sind seit dem 01.01.15 alle Personen mit gutachterlich festgestellter

eingeschränkter Alltagskompetenz (Pflegestufe 0 bis Härtefall). Ebenfalls alle Personen

der Pflegestufen 1 – Härtefall ohne eingeschränkte Alltagskompetenz, in ambulanter

sowie in vollstationärer Versorgung. In vollstationären Einrichtungen auch Bewohne-

rinnen und Bewohner der Pflegestufe 0 ohne eingeschränkte Alltagskompetenz.

Mit dem Pflegestärkungsgesetz I ab 01.01.15 hat der Gesetzgeber den anspruchs-

berechtigten Personenkreis demnach deutlich erweitert. Leistungen erhalten nunmehr

auch Pflegebedürftige, deren Alltagskompetenz nicht eingeschränkt ist. Sie erhalten

den Grundbetrag von 104 Euro pro Monat. In der ambulanten Versorgung wurde im

Rahmen der Reform der Begriff „niedrigschwellige Entlastungsangebote“ eingeführt,

der direkt darauf abzielt, pflegende Angehörige zu entlasten:

Die Leistungen dienen der Deckung des Bedarfes bei der hauswirtschaftlichen Ver-

sorgung, der Bewältigung von allgemeinen und pflegebedingten Anforderungen des

Alltags oder bei der Organisation individuell benötigten Hilfeleistungen. Sie dienen

dazu, Angehörige oder andere Nahestehende in ihrer Eigenschaft als Pflegende zu

entlasten (vgl. § 45c Abs. 3a).

Es können also sowohl pflegerische, hauswirtschaftliche und verschiedene organisato-

rische Tätigkeiten über den Anspruch auf Betreuungs- und Entlastungsleistungen be-

zahlt werden. Dies war bis zum 31.12.14 ausgeschlossen. Zusätzliche Betreuungsleis-

tungen waren zweckgebunden für „niedrigschwellige Betreuungsleistungen“, die im

Rahmen von Einzelbetreuung (z.B. Sparziergänge, Gespräche, Beschäftigungsmaß-

nahmen, u.a.) oder Gruppenangeboten (z.B. Seniorencafé, Bewegungsgruppen, u.a.)

in Anspruch genommen werden mussten. Heute kann der Leistungsanspruch neben

Betreuungsleistungen, Pflege- und hauswirtschaftlichen Arbeiten im Prinzip für alle Tä-

tigkeiten verwendet werden, die den pflegenden Angehörigen als Entlastung dienen.

Als Leistungsanbieter kommen ambulante Pflegedienste, Agenturen für haushalts-

nahe Dienst- und Serviceleistungen, Alltags- Pflegebegleiter mit Zulassung bei der

Pflegekasse und Agenturen mit Ehrenamtlichen in Frage.

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Darüberhinaus kann der Leistungsanspruch verwendet werden für Kurzzeitpflege,

wenn der Kurzzeitpflege und Verhinderungspflegeanspruch ausgeschöpft ist, für die

Kosten der Unterkunft und Verpflegung in der Kurzzeitpflege und Tagespflege und

für zusätzliche Betreuungs- und Aktivierungsangebote in der Tagespflege. Für die

Finanzierung von Betreuungs- und Entlastungsleistungen können auch Mittel der Ver-

hinderungspflege nach § 39 eingesetzt werden.

Ab 01.01.15 kann zudem 40% des Pflegesachleistungsanspruches in Form von Be-

treuungs- und Entlastungsleistungen abgerufen werden. Damit hat der Gesetzgeber

eine neue Kombinationsleistung geschaffen, die neben anderen Maßnahmen eine

deutliche Flexibilisierung der Leistungsansprüche der Versicherten darstellt.

Wichtig ist, dass Betreuungs- und Entlastungsleistungen niemals als Geldleistung aus-

gezahlt werden, sondern immer in Form von Leistungen abgerufen werden müssen.

Werden im Kalenderjahr keine Leistungen in Anspruch genommen, verfallen diese ab

7. Monat des Folgejahres, zu je 104 oder 208 Euro pro Monat.

k. § 44 Maßnahmen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen

Die soziale Sicherung der Pflegeperson umfasst die Unfallversicherung und die Ren-

tenversicherung. Ein Leistungsanspruch entsteht aber nur, wenn die Pflegeperson we-

gen der Pflege nicht mehr als 30 Wochenstunden erwerbstätig ist und im Gutachten

des MDK festgestellt wird, dass die Pflegeperson mindestens 14 Stunden pro Woche

pflegt. Seit 2013 erhält Leistungen auch eine Pflegeperson, die mehrere Pflegebe-

dürftige betreut und insgesamt auf eine wöchentliche Pflegezeit von mindestens 14

Stunden kommt.

l. Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf

Mit dem ab 01.01.15 eingeführten Gesetz hat der Gesetzgeber die bereits vorhande-

nen Instrumente für die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf weiter entwickelt

und unter einem Dach festgeschrieben. Die neuen gesetzlichen Regelungen ruhen

auf drei Säulen: die kurzfristige Arbeitsverhinderung, die Pflegezeit und die Familien-

pflegezeit:

Bei kurzfristiger Arbeitsverhinderung (z.B. bei akut auftretender Änderung der Pfle-

gesituation) können sich „nahe Angehörige“ für 10 Tage von der Arbeit freistellen

lassen, um die Versorgung selbst zu übernehmen oder die notwendigen Hilfen zu or-

ganisieren. Dazu ist ein Antrag bei der Pflegekasse zu stellen. Neu ist ab 01.01.2015

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der Anspruch auf eine Lohnersatzleistung, das sog. Pflegeunterstützungsgeld von

etwa 90 % des Nettoarbeitsentgelts. Es wird aus Mitteln der Pflegeversicherung be-

zahlt.

Im Rahmen der Pflegezeit ist es möglich, sich für 6 Monate ganz oder teilweise von

der Arbeit freistellen zu lassen. Die Familienpflegezeit ermöglicht eine Freistellung

von der Arbeit für bis zu 24 Monate bei einer wöchentlichen Mindestarbeitszeit von

15 Stunden. Für die Dauer der Pflegezeit und Familienpflegezeit besteht ein Rechts-

anspruch auf ein zinsloses Darlehn, um den Lebensunterhalt besser bestreiten zu

können. Der Rechtsanspruch auf Pflegezeit besteht nicht gegenüber Betrieben mit

15 oder weniger Beschäftigten. Der Rechtsanspruch auf Familienpflegezeit gilt nicht

gegenüber Arbeitgebern mit 25 oder weniger Beschäftigten.

Für die Dauer der drei Maßnahmen besteht ein Kündigungsschutz.

Im Rahmen des Gesetzes wurde der Begriff der „nahen Angehörigen“ erweitert. Ein

Rechtsanspruch auf alle Leistungen besteht nicht nur für die Betreuung von Groß-

eltern und Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten oder Partnern eheähnlicher Gemein-

schaften, sondern auch für Stiefeltern, Schwägerinnen und Schwager sowie Partner

in lebenspartnerschaftsähnlichen Gemeinschaften. Wie bisher sind auch Geschwister,

Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners sowie Schwie-

ger- und Enkelkinder eingeschlossen.

m. SGB XII Sozialhilfe und Elternunterhalt

Die Pflegeversicherungsleistungen sind vom Gesetzgeber grundsätzlich als Zuschuss

zur Finanzierung des tatsächlichen Pflegebedarfs konzipiert worden. Reichen die

Leistungen zur Deckung des Hilfebedarfs nicht aus, kann unter bestimmten Voraus-

setzungen das Sozialamt die Kosten übernehmen. Die Sozialhilfeleistungen hängen

vom Einkommen und Vermögen des Antragsstellers und seiner Familie ab, dabei sind

Sozialhilfeleistungen immer nachrangig, das heißt, erst wenn alle anderen Hilfsmög-

lichkeiten ausgeschöpft sind, zahlt die Sozialhilfe. Das Schonvermögen (Selbstbehalt)

für alleinstehende Pflegebedürftige liegt bei 2600 Euro, der für ein Ehepaar bei 3241

Euro, das heißt, das Sozialamt kommt erst für die Kosten der Pflege auf, wenn alle

Ersparnisse, die über dem Selbstbehalt liegen, verbraucht worden sind. Gleiches gilt

im Übrigen auch für eine eigene Immobilie, für einen PKW, für Lebensversicherungen

und andere Werte.

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Kinder sind grundsätzlich gegenüber ihren Eltern unterhaltspflichtig. Bei Sozialhilfe-

bezug der Eltern prüft das Sozialamt das Einkommen der Kinder und kann diese auf

Unterhaltszahlungen in Anspruch nehmen.

Der Selbstbehalt für Alleinstehende beträgt ab dem 01.01.15 1800 Euro und für Ehe-

paare 3240 Euro. Haben die unterhaltspflichtigen Eltern noch unterhaltsberechtigte

Kinder, werden Freibeträge nach der Düsseldorfer Tabelle berücksichtigt. Fahrtkosten

zum Arbeitsplatz, Leistungen zur Alterssicherung, Zins- und Tilgungsleistungen und

einige andere Posten werden vom Sozialamt bei der Berechnung der Höhe der zu

zahlenden Unterhaltsleistungen berücksichtigt.

Da das Thema Elternunterhalt sehr komplex ist, empfiehlt es sich, bei Überschreitung

der Selbstbehalte, einen Fachanwalt für Familienrecht in Anspruch zu nehmen.

3.2 Die Patientenedukation

Eine zweite Beratungskategorie ist die Edukation von Patienten. Durch Information,

Überzeugung und technische Aufklärung sollen Patienten einen rationalen und kom-

petenten Umgang mit ihren Gesundheitsproblemen erlernen. Patientenedukation ist

vor allem im Bereich der chronischen Erkrankungen eine wichtige Beratungsmetho-

de sowie im Bereich der Prävention und Gesundheitserziehung. Patientenedukati-

on ist wie die Patienteninformation eine rationale und funktionale Beratungsform.

Die Patientenedukation ist für entmündigende, belehrende, expertokratische und

im schlechten Sinne pädagogisierende Interventionen besonders anfällig, weshalb

sie zumeist mit Konzepten der Selbsthilfegruppen und des Empowerments verknüpft

wird. Chronische Krankheit wird als Lebenslage begriffen, aus der z.B. eine Reihe

von Benachteiligungen entstehen können. Die Arbeit mit Selbsthilfegruppen hilft, die

von der Beratungskritik der 1980er Jahre kritisierte Entmündigung durch Experten zu

kompensieren.

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3.3 DiePflegequalitätsberatung

Diese ist eine mit dem Pflegeversicherungsgesetz eingeführte personenbezogene In-

tensivberatung zur Gestaltung des Pflegesettings im Rahmen der häuslichen Versor-

gung von pflegebedürftigen Personen, zur Sicherung der Qualität der häuslichen

Pflege und zur Abwendung von Risiken in der häuslichen Pflege, wie Überforderung

der Pflegeperson(en). Die Pflegequalitätsberatung nach § 37 des Pflegeversiche-

rungsgesetzes wird heute weitgehend funktional wahrgenommen. Ihr verpflichtender

Charakter auf der einen Seite und die mangelnde Professionalisierung der Pflege-

fachkräfte für die Beratung auf der anderen Seite beinhalten das Risiko, dass die

Potenziale dieser Beratungsform nicht ausgeschöpft werden. Zum Ersten durch den

verpflichtenden Charakter der Beratung und ihre Stellung zwischen Hilfe und Kont-

rolle, zum Zweiten durch die geringe Vergütung der Pflegequalitätsbesuche von 22

bzw. 32 Euro kommt der Beratung nach § 37 SGB XI eher eine marginale Stellung zu.

Prekär wird diese Stellung dadurch, dass über die ggf. nötigen Hilfen für pflegende

Angehörige oder auch Maßnahmen zum Schutz des Pflegebedürftigen Handlungs-

konzepte und Hilfekataloge fehlen.

3.4 KommunalePflegeberatung

Die Mehrheit dieser Beratungen in den Kommunen und Kreisen wird in der Regel als

klassische Sozialberatung im Rahmen einer allgemeinen Pflegeberatung von Sozialar-

beiterInnen und Verwaltungsmitarbeitern angeboten. Der Schwerpunkt der Beratung

liegt zumeist auf der Vermittlung von Hilfen, der Information über Hilfen, der Entge-

gennahme von Beschwerden und dem Entwickeln von neuen Problemlösungen. In der

kommunalen Pflegeberatung dominieren entsprechend die funktionalen Aspekte der

Beratung: Vermitteln, sehr viel Weiterverweisen, Informieren. Zumeist wird der pflege-

rische Alltag technisch und institutionell reorganisiert, d.h. Tagespflege wird vermittelt,

Verhinderungspflege angeboten, auf ambulante Pflegedienste oder Altenheimplätze

verwiesen, etc. Psychische Entlastungen der Angehörigen finden im Kontext klassi-

scher Sozialberatung selten statt. Vielmehr wird versucht, das hinter den Schilderun-

gen liegende sachliche Pflegeproblem zu erfassen und Maßnahmen einzuleiten. Die

kommunale Pflegeberatung arbeitet meist lösungs- und ressourcenorientiert. Zu der

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Betonung von Sachlichkeit und der Lösung praktischer Probleme passt, dass Bera-

tungen dieses Typus zumeist unter dem Dach von Verwaltungen organisiert sind. Bei

pflegebedingten psychischen Problemen und Belastungen wird zumeist auf weitere

Beratungsstellen oder auf Angehörigengruppen verwiesen. Der Vorteil dieser Stellen

ist zweifellos, dass sie eine unabhängige Beratung anbieten und Beratung nicht als

Vorfeld des Verkaufs von Pflegeleistungen verstanden wird.

Fasst man diese klassischen Beratungsfelder der Pflegeberatung im Krankenhaus

durch Pflegende oder unter dem Dach des Pflegeversicherungsgesetzes unter der

Perspektive einer speziellen Beratungskonzeption für die Pflegeberatung zusammen,

so ergeben sich bereits in diesem klassischen Bereich vorläufige Empfehlungen und

konzeptionelle Stützpunkte für ein spezifisches Beratungsverständnis in der Pflege:

In den klassischen Beratungsfeldern Information, Edukation, Pflegequalitätsberatung

und kommunale Pflegeberatung lassen sich Elemente des Informierens, des Ord-

nens, des Systematisierens und des Gewichtens von komplexen Problemen und Pro-

blemlagen nennen. Dies ist nur möglich auf der Basis sachlicher und personenzent-

rierter Kommunikation. Pflegende müssen zudem in der Lage sein, die Problemlagen

der Patienten bezogen auf deren Lebenslage und Lebensumstände zu rekonstruieren.

Dies zählt zu den diagnostischen Kompetenzen der Pflegeberatung. Besonders im Be-

reich der Pflegequalitätsberatung ist eine prozesshafte Unterstützung und Hilfe nötig.

Hierzu sind lebensweltliche und netzwerkbezogene Beratungsansätze hilfreich. Im

Bereich der Patienteninformation (PIZ) handelt es sich dagegen eher um eine ent-

scheidungs- und problemlösungsorientierte Beratung. Hier ist am stärksten davon

auszugehen, dass der/ die Beratende den/ die Ratsuchende/n nur einmal sieht.

Im Sinne der eingangs erwähnten beratungswissenschaftlichen Theorien und Ansätze,

vor allem unter Einbeziehung der Expertokratie- und Therapiekritik seit den 1980er

Jahren, ist im Bereich der Patientenedukation der Umgang der Beraterinnen und Be-

rater mit ihrer Positionsrolle wichtig. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich

Patienten, die von chronischen Krankheiten betroffen sind, schuldig fühlen und/ oder

sich für ihre Krankheit schämen. Ein entsprechender Umgang mit der Positionsrolle

in der Beratung ist nötig.

Thomas Olk (1994) hat hierzu vorgeschlagen, neben einem eher sachbezogenen

Verständnis als Dienstleister eine Solidaritätsbeziehung zu den Klienten, quasi als

ethische Unterfütterung der sachlichen Beziehung, aufzubauen. Zudem wird im Be-

ratungskontext der Patientenedukation das Konzept einer egalitären Beziehung im

Sinne eines Empowerments nötig sein.

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3.5 InnovationenundneueFormenderBeratunginderPflege

Bereits im Jahr 2003 wurde mit einer Novellierung des Landespflegegesetzes NRW

das Case-Management als eine neue Form umfassender und träger-unabhängiger

Beratung propagiert und verbindlich vorgeschrieben. Definiert wird Case-Manage-

ment als Fall- und Versorgungsmanagement mit der Zielsetzung, für ältere Menschen

und ihre Familien oder Bezugspersonen individuell zugeschnittene Hilfepakete zu

schnüren, also „Leistungsanbieter und Einzelfall zusammenzubringen“. Der Beratung

kommt damit eine Steuerungs- und Lotsenfunktion zu. Case-Management reagiert

auf komplexe und widersprüchliche, sozialstaatliche Funktionen und Schnittstellen-

probleme in Organisationen und gilt als systemische und ökosoziale Perspektive in

der Beratung (vgl. Feuerstein 1993). Die Berater sollen mittels Case-Management

befähigt werden, auch unter komplexen Bedingungen Hilfen abzustimmen und die

vorhandenen Ressourcen im Gemeinwesen zur Hilfe und Unterstützung eines einzel-

nen Falls heranzuziehen. Aufgabe ist es, ein abgestimmtes Hilfenetzwerk und eine

professionelle Zusammenarbeit zu organisieren und zu evaluieren. Neben der un-

mittelbaren Beratung soll Qualitätssicherung durch Koordination und Netzwerkarbeit

auf der Basis von Konsumentenrechten umgesetzt werden.

3.6 AlltagsorientierteBeratungfürpflegendeAngehörige – einzeln und in Gruppen

Alltagsorientierte Beratung fasst die Beratung von pflegenden Angehörigen als Pro-

zess auf und rückt psychische Entlastung, Aussprache und Beistand stärker in den

Mittelpunkt der Beratung. Lösungen werden langsamer und unter Einbeziehung der

Bindungen in einer Familie, ihrer Motive, Ressourcen und Lebenslage erarbeitet, wo-

durch sich zumeist ein Beratungsprozess ergibt und BeraterIn und Ratsuchende sich

kennenlernen. Alltagsorientierte Beratung hat sich vor allem im Rahmen der spezi-

ellen Beratungsangebote für Demenz etabliert. Mit der steigenden Anzahl von de-

menziellen Erkrankungen muss grundsätzlich geprüft werden, inwieweit der Status

der Beratung von Angehörigen demenziell Erkrankter gegenüber der allgemeinen

Pflegeberatung angemessen ist. Wahrscheinlich hat sich die Struktur von Angebot

und Nachfrage eher umgedreht, d.h. heute suchen die Angehörigen mehrheitlich

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Beratung, weil sie in sehr hoher Anzahl Menschen mit Demenz pflegen.

Alltagsorientierte Beratungsangebote im Bereich der Beratung von pflegenden Ange-

hörigen orientierten sich bezüglich ihrer Weiterentwicklungen vor allem am Professi-

onalisierungsdiskurs in der Sozialen Arbeit. Dieser hat in den letzten 20 Jahren eine

beachtliche Kraft entwickelt. Neben der Einbeziehung komplexer Sozialtheorien wie

Lebenslage, soziale Felder, Habitus etc. ist die alltagsorientierte Beratung vor allem

von der Lebenswelttheorie beeinflusst worden. Alltagsorientierte Ansätze wollen den

Alltag gelingender gestalten und sehen gerade in den alltäglichen Beziehungen und

Netzwerken der Menschen Ressourcen für die Lösung der Probleme der Klientinnen

und Klienten. Vielfach verknüpfen auch sie Beratung mit sozialer Unterstützung und

praktischer Hilfe. Alltagsorientierte Ansätze sind das Gegenstück zum klinischen Mo-

dell der Beratung. Aufsuchende Formen der Beratung, der Verzicht auf klassische Set-

tings und die Verknüpfung von Beratung und Hilfe zeichnen die Alltagsorientierung

aus. Die Beratenden sehen nicht sich als Experten und die Ratsuchenden als hilflos

oder gar als zu erziehende oder zu führende Personen, wie dies z.B. Begriffe der „Edu-

kation“ nahe legen. Alltagsorientierung bemüht sich um solche Problemlösungen,

die dem Alltag der Klientinnen und Klienten entsprechen und für die der Klient/ die

Klientin den eigenen Alltag nicht maßgeblich ändern muss. Gleichzeitig wird dieser

Alltag kritisch in Bezug auf gesellschaftliche und soziale Strukturen wahrgenommen

(z.B. die Erwartung von Familien, dass sich jemand für die Pflege opfert). Viele Hilfen,

so die Haltung der VertreterInnen der Alltagsorientierung, sind für Klienten nicht nutz-

bar und nicht nützlich, weil sie mit der Lebenswelt und dem Alltag kollidieren und/

oder Klienten in Abhängigkeit von Institutionen bringen. Alltagsorientierung versucht,

die alltägliche Praxis der Klienten kennenzulernen und positioniert sich gegenüber

Beratungsformen kritisch, die vor allem unter den Bedingungen experimenteller oder

klinischer Forschung gewonnen wurden. Alltagstheorie wehrt sich auch gegen den

Anspruch, dass in der Sozialpädagogik das umgesetzt werden müsse, was zuvor un-

ter Laborbedingungen erforscht und beobachtet worden ist.

Anders als in einer allgemeinen Pflege- und Sozialberatung, deren Schwerpunkt die In-

formation ist, wird in der alltagsorientierten Beratung diese als personenzentrierter Pro-

zess aufgefasst. Zusätzlich zur (case-manageriellen) Problemanalyse und der Gewich-

tung der vorgetragenen Probleme (nach Zielbeschreibung und Planung der Beratung

als Lösungs- und Entscheidungsprozess) wird der Schwerpunkt auf einen Prozess des

Beistandes gelegt. Nach Hausbesuch, Informationen, Vermittlung eines Pflegekurses,

Förderung einer geriatrischen Behandlung des Pflegebedürftigen, Information über die

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Pflegeversicherung, nach Klärung des äußeren Rahmens beginnt eine personenzent-

rierte Phase der Beratung, die fachlich, vor allem beratungsfachlich, als „Containing“

zu bezeichnen ist, die den Ratsuchenden hilft, das Pflegeverhältnis aufrechtzuerhal-

ten. Beraterinnen und Berater können zu wichtigen Ansprechpartnern der Ratsuchen-

den werden, wenn das Pflegeverhältnis von weitgehender Alleinverantwortlichkeit der

Pflegeperson geprägt ist. In der sozialpädagogischen und psychosozialen Beratung

spielen die Verfügbarkeit der Berater, die Reflexion der Gefühle und Beziehungen,

die „kleinen Lösungen“, vor allem aber auch die Einfühlung und die Bereitschaft zum

Beistand eine entscheidende Rolle.

3.7 BeratungvonnichtsichergestelltemPflegen

Eine besondere Bedeutung kommt der Beratung von nicht sichergestelltem Pflegen zu.

Dabei kann das Problem des nicht sichergestellten Pflegens und damit die Frage nach

dem beraterischen Umgang mit Gewalt in der Pflege nicht ohne Kontext verstanden

werden. Zunächst ist bedeutend, dass die Vorstellung, dass hochaltrige und demen-

te Leben habe kaum noch Wert, sehr verbreitet ist und zwar nicht nur bei den Laien,

den Pflegepersonen und ihren Familien, sondern auch bei den potenziell Betroffenen,

den Hochaltrigen selbst, bei den professionellen Pflegekräften und BeraterInnen sowie

schließlich in der Gesellschaft insgesamt. Vor dem Hintergrund der Vorstellung, dass

das Leben demenziell Erkrankter für sie selbst, aber auch für alle anderen nur noch

eine Last sei, wird der Tod dementer Menschen allgemein verbunden mit der Idee der

Erlösung (vgl. dazu auch Gröning 2005, Gröning/Lietzau 2010). Die Position, auf le-

bensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, ist nicht nur in der Bevölkerung, sondern

auch bei den alten Menschen selbst verbreitet – häufig ohne genaue Kenntnis, worüber

man entscheidet. „Keine lebensverlängernden Maßnahmen“, „Lasst uns liegen“, „Dann

will ich nicht mehr leben“ sind Äußerungen in der häuslichen Pflege, mit denen die pfle-

genden Kinder umgehen müssen und für die es wenig ethische Regeln gibt. Vielmehr

reagieren pflegende Kinder und andere Angehörige in einer solchen Situation ethisch

verunsichert. Identifikation und Regression erschweren eine nötige Distanzierung von

solchen Botschaften. Die Forschung zur Gewalt gegen Alte, Kranke und Behinderte

– insbesondere die Arbeiten von Klaus Dörner (1994) – verdeutlichen, dass die Vor-

stellung, dass Leben einen Wert haben muss – im Gegensatz zur Idee der Würde – die

gesellschaftlichen Institutionen und ihre Regelwerke unterschwellig sehr weit prägt.

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Dass gerade in dieser Versachlichung des Lebens und der Bemessung des Lebens

nach einem Wert gewaltfördernde Potenziale liegen, soll an einem Beispiel aufgezeigt

werden. Eine Mitarbeiterin einer Pflegekasse reflektiert das Problem des nicht sicher-

gestellten Pflegens. Von 60 Anträgen auf Pflegegeld seien es ungefähr zwei, in denen

der MDK von einer „nicht sichergestellten Pflege“ ausgeht, also von Vernachlässigung

und unter Umständen auch von Gewalt. Problematisiert wird in diesem Zusammen-

hang, dass Handlungskonzepte fehlen und das Problem delegiert wird. Pflegedienste,

Ärzte, der Medizinische Dienst haben durchaus Kenntnisse zu nicht sichergestellten

Pflegen. Jedoch sind Verunsicherung, Ambivalenz und Vermeidung groß.

Fallvignette

Die pflegebedürftige Frau leidet unter Depressionen mit wahnhafter Verarbeitung. Sie

ist verwitwet, lebt allein in ihrer Wohnung, hat einen Sohn, der 30 km weit entfernt lebt

und von seiner Tochter bei der Pflege unterstützt wird. Sohn und Enkeltochter pflegen

genau in dem Umfang, wie ihnen Pflegegeld zuteil wird – nicht mehr. Bereits in der

ersten Begutachtung wird festgestellt, dass die depressiv erkrankte Frau einen unge-

pflegten Eindruck macht. Weil sie im Alltag kaum hilfebedürftig erscheint, wird auf-

grund der Module der Pflegeversicherung ein geringer Bedarf festgestellt. Sie erhält

die Pflegestufe I. Eine zweite Begutachtung ein Jahr später kommt zu einem ähnlichen

Ergebnis. Wieder wird der verwahrloste Eindruck erwähnt, eine Kombination aus Geld

und Sachleistungen wird empfohlen, da die Versorgung durch die Angehörigen nicht

sichergestellt erscheint; ebenso soll ein Psychiater in die Versorgung einbezogen wer-

den. Es bleibt bei Pflegestufe I. Der bereits einbezogene Pflegedienst führt bei der er-

krankten Frau ausschließlich die Behandlungspflege durch, d.h. hier einen täglichen

Verbandswechsel. Die Schwestern beschweren sich, weil sie die Patientin zur Toilette

begleiten müssen, wo doch nur der Verbandswechsel bezahlt wird. Als die Patientin bei

einer weiteren Prüfung der Pflegestufe dem MDK berichtet, sie sei im Alltag selbständig,

wird die Pflegestufe I aberkannt. Daraufhin stellt die Familie die bis dahin bereits un-

zureichende Fürsorge ganz ein, sie widerspricht aber der Entscheidung der Pflegekasse

auf Aberkennung der Pflegestufe. Ein halbes Jahr später findet eine erneute Prüfung –

diesmal durch einen Krankenpfleger des MDK – statt, weil die Nachbarn sich beschwert

hatten. Der prüfende Pfleger findet die Frau desorientiert und verwahrlost vor und stellt

eine vollständige Harn- und Stuhlinkontinenz fest. Überall in der Wohnung finden sich

Kotspuren. Der Flur riecht nach Exkrementen. Die pflegebedürftige Frau ernährt sich

von verdorbenem Essen, schläft auf einer Bank in der Küche, ist desorientiert und hat

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18 kg abgenommen. Dies alles stellt ein Krankenpfleger fest, der zum Qualitätsbesuch

gekommen ist. Er meldet dies der Pflegekasse, die sich jedoch nicht entschließen kann,

etwas zu unternehmen und sich auch nicht zuständig fühlt.

Zieht man ein Fazit in Bezug auf nicht sichergestelltes Pflegen, so wird deutlich, dass

es bei der Hilfe für Familien in Krisensituationen an einem Handlungskonzept und ei-

ner Strategie, mit Krisen umzugehen, weitgehend fehlt. Eine Lösung des Problems ist

indessen nur in Sicht, wenn im Bereich der Pflege nicht mehr so deutlich zwischen den

helfenden Bereichen, wie den Pflegediensten, Sozialarbeitern, Pflegeberatern und

den verwaltenden Bereichen, wie MDK, Pflegekasse etc. unterschieden wird. Gerade

im Bereich des nicht sichergestellten Pflegens ist ein Kriseninterventionsteam nötig.

Auch den verwaltenden Bereichen kommt im Feld der häuslichen Pflege eine „Wäch-

terfunktion“ zu, die künftig deutlicher buchstabiert und ausgebaut werden muss.

In der vorliegenden Fallvignette ist Beratung im engen Sinn von Verhandlung und Aus-

handlung, wie es in der Beratungstheorie beschrieben wird, nicht mehr ausreichend.

Eine Krisenintervention ist nötig. Das Beratungsgespräch ändert sich hin zu einem

Diagnosegespräch, in welchem eingeschätzt werden muss, ob ein Verbleiben in der

Wohnung für die pflegebedürftige Person zumutbar ist. Ebenso eingeschätzt werden

muss in einem Krisengespräch mit den Angehörigen, ob die Vernachlässigung der

pflegebedürftigen Person unbeabsichtigt ist oder billigend in Kauf genommen wur-

de. Ebenso ist festzustellen, ob die Vernachlässigung mit bestimmten pflegerischen

Aufgaben zu tun hatte, wie zum Beispiel der Stuhlinkontinenzversorgung, oder allge-

meiner Natur ist. Für den Fall, dass die Defizite in der Versorgung unbeabsichtigt

und bezogen auf einzelne Pflegehandlungen begrenzt sind, wie z.B. die Inkontinenz-

versorgung, kann eine Fortsetzung der Pflege in Aussicht gestellt werden, wenn die

Angehörigen an entsprechenden Pflegekursen und Trainings teilnehmen und bereit

sind, zu „koproduzieren“, d.h. mit den Pflegekräften zusammenzuarbeiten. Für den

Fall einer beabsichtigten Vernachlässigung mit ökonomischer Rechtfertigung, einem

allgemeinen Widerstand gegen Pflege und Sorge und mangelnder Koproduktionsbe-

reitschaft ist eine Fortsetzung der familialen Pflege nicht mehr zumutbar.

Im Fall 1 würde die Pflegekraft demnach zunächst eine Kurzzeitpflege in die Wege

leiten, um die pflegebedürftige Person in Obhut zu nehmen. Möglich wäre auch

ein Aufenthalt in der Geriatrie zur Rehabilitation oder Gerontopsychiatrie zur Be-

handlung. Während dieser Zeit sind die Pflegekompetenz und die Beziehungskom-

petenz in der Familie aufzubauen und eine künftige Pflege ist zu kontraktieren. Die

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pflegeverantwortlichen Personen sollten während dieser Zeit lernen, Hilfe anzuneh-

men, pflegerisch gebildet werden und über ihre Beziehung reflektieren. Im anderen

Fall bestünde eine Krisenintervention ebenfalls in einer Inobhutnahme der pflege-

bedürftigen Person als erster Schritt und Clearing. Allerdings ist in diesem Fall eine

Aufnahme in einem Pflegeheim wohl kaum zu vermeiden. Für diesen Fall ist eine

entsprechende Vorbereitung des aufnehmenden Heimes eine wichtige Maßnahme

zur Qualität.

3.8 BeratungiminterkulturellenFeldderPflege

Im sechsten Familienbericht zur Situation von Familien ausländischer Herkunft in

Deutschland (BMFSFJ 2000) wird festgestellt, dass die Inanspruchnahme von Be-

ratungsangeboten für MigrantInnen in den psychosozialen und gesundheitlichen

Bereichen gering ist. Auch in Präventionsmaßnahmen sind MigrantInnen unterre-

präsentiert. Sie befinden sich dagegen aufgrund der mangelnden Prävention und

Inanspruchnahme von Beratungsdienstleistungen vor allem in den Endstationen, wie

Frauenhäusern, Heimen, Psychiatrien und Justizvollzugsanstalten. Diese alarmieren-

de Disparität kann auch als Aussage über die Wirksamkeit und Qualität von Be-

ratung und Prävention angesehen werden. Es folgt daraus logisch die Forderung

nach einer interkulturellen Ausrichtung vor allem von Beratungsdienstleistungen im

psychosozialen und gesundheitlichen Feld. Allerdings ist ebenfalls anzumerken, dass

sich seit 15 Jahren ein Diskurs zur kultursensiblen Pflege im Bereich der Altenhilfe

etabliert hat in der Annahme, dass die alt gewordenen und in Deutschland gebliebe-

nen ehemaligen Gastarbeiter verstärkt den Dienst von Pflegeheimen und Altenhilfe-

angeboten annehmen werden: ein Trugschluss. Die Versorgung von alten Menschen

findet in den Haushalten von Migranten vor allem in der Familie statt, wodurch die

funktionale und auf Vermittlung von Dienstleistungen ausgerichtete Beratung im Be-

reich der häuslichen Pflege ins Leere läuft. Verstärkt muss also nach der interkulturel-

len Qualität von Beratung gefragt werden. Dieser Aspekt gilt neben der Einstellung

von muttersprachlichen Fachkräften und neben interkultureller Teamarbeit sowie dem

Training interkultureller Kompetenzen der Berater als zentrale Herausforderung.

Bisher haben Beratungsdienste auf die interkulturelle Öffnung vor allem mit der Ein-

stellung von muttersprachlichen Fachkräften reagiert, die vornehmlich Ratsuchende

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mit mangelnden Deutschkenntnissen ansprechen können. Hinzu treten Informations-

broschüren in mehreren Sprachen und der Aufbau eines Netzwerkes von speziellen,

kulturell und sprachlich kompetenten Einzelpersonen. Dies ist zumindest ein Anfang

und im Sinne des Case-Management Ansatzes wünschenswert. Als eine zweite wichti-

ge Stufe gilt die Vernetzung und systematische institutionsübergreifende Fallarbeit der

Fachkräfte, um Versorgungsnetzwerke auf ihre interkulturelle Tauglichkeit zu über-

prüfen und Lücken sowie Entwicklungspotenziale aufzuzeigen. Interkulturelle, kultur-

sensible Fachgruppen sollten eine Einrichtung der kommunalen Pflegekonferenzen

werden und regelmäßig Berichte zur interkulturellen Kompetenzentwicklung in einer

Region abgeben können.

Interkulturelle Kompetenz von Pflegekräften, die mit Familien mit Migrationshinter-

grund arbeiten, besteht vor allem darin, die eigene Beziehungsfähigkeit zu Personen

aus anderen Kulturkreisen zu entwickeln und zu reflektieren, um vertrauensvoll zu-

sammenarbeiten zu können. Menschen reagieren kulturspezifisch aufeinander. Diese

eigene kulturspezifische Reaktion auf Menschen aus anderen Kulturkreisen ist zu ver-

stehen und zu reflektieren. Am deutlichsten ist dieser Prozess der Reflexion von kul-

turellen Übertragungen bereits in den 1960er Jahren von Devereux in seiner Arbeit

zur „Angst und Methode in den Verhaltenswissenschaften“ (1967/ 1973) beschrieben

worden. Im Mittelpunkt des Ansatzes stehen die emotionalen Verstrickungen des Be-

raters/ der Pflegekraft mit dem Klienten/ den Familien, die affektiven Reaktionen und

damit einhergehenden Typisierungen und Zuweisungen. Gekoppelt mit der Kenntnis

von Lebenslagen und Migrationserfahrungen, die durch wissenschaftliche Weiterbil-

dungen erworben werden können, ist damit die Kultursensibilität des Beraters/ der

Beraterin umrissen.

Interkulturelle Beratung gilt als geprägt von den kulturellen Differenzen zwischen der

Lebenslage, der Biografie und der Migrationserfahrung der Klienten und dem Ort,

an dem die Beratung stattfindet (formaler Charakter der Räume, der Stil des Bera-

ters, Sprachbarrieren etc.). Ihre Qualität wird davon abhängen, inwiefern die negati-

ven kulturellen Übertragungen, welche die Beziehungen zwischen den Angehörigen

der deutschen Mehrheitskultur und den Migranten mit prägen, vermieden werden

können. Auf Seiten der Familien und der Pflegebedürftigen geht es um die Erfah-

rung, dass Kulturen grundsätzlich als gleichwertig angesehen werden. Die kulturelle

Übertragung besteht darin, die Kultur der Migranten als rückständig, frauenfeindlich,

undemokratisch etc. anzusehen. Umgekehrt ist der Blick der Migranten auf die Kultur

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in Deutschland ebenfalls von kulturellen Übertragungen geprägt. Diese können mit

einem unbewussten Schuldvorwurf verbunden sein, der mit der unrühmlichen und

teilweise ausbeutenden Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland zu tun hat und

in entsprechende Wiedergutmachungshaltungen mündet.

Eine kultursensible Haltung in der Beratung umfasst in der Regel folgende Dimensi-

onen:

Assimilationsforderungen und Assimilationsdruck sind grundsätzlich bera-

tungsfremd und zu vermeiden.

Es ist von Benachteiligungserfahrungen und Erfahrungen der Diskriminie-

rung bei den Migranten auszugehen, insofern gilt für die interkulturelle

Beratung ähnlich wie für die feministische Beratung das Prinzip des Man-

dates. Der Berater/ die Beraterin sollte unter Umständen advokatorisch

und als Übersetzer, Interessenvertreter und Fürsprecher für seine Klienten

handeln (vgl. hierzu den Abschnitt zum Arbeitsbündnis).

Gleichzeitig sind Opferperspektiven zu vermeiden. Die Klienten sollen als

handelnde und verantwortliche Personen angesehen werden.

Der Prozess des Verstehens darf nicht strategisch eingesetzt werden. Takt,

Respekt und Achtung können neben den formalen und professionel-

len Kompetenzen als Tugenden in der kultursensiblen Beratung angese-

hen werden, die die Beratung davor schützen, Verstehen als Form der

Machtausübung und Entmündigung anzuwenden.

Kenntnisse der Kultur des Herkunftslandes sind wünschenswert und hilf-

reich. Auf jeden Fall sollte ein positives Interesse an der Herkunft der Klien-

ten für diese fühlbar sein.

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