Der Besuch einer jungen Dame

19
Der Besuch einer jungen Dame Eine seltsame Geschichte von (und mit) R. Schwerzmann August 2008 Herausgeber: Machdasdochselber - Verlag

description

Ein Reisebericht der etwas anderen Art.

Transcript of Der Besuch einer jungen Dame

Page 1: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame

Eine seltsame Geschichte

von (und mit) R. Schwerzmann

August 2008

Herausgeber: Machdasdochselber - Verlag

Page 2: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 2

Der Besuch einer jungen Dame Eine gewöhnliche Reise nach Peru und wieder zurück…auf fast direktem Weg. Ereignet hat sich dieses bedenkliche Ereignis genau

vom 21. bis zum 31. Dezember 2007… und etwas zuvor. Ursprünglich hätte diese Reise länger gedauert und die Geschichte wäre

kürzer ausgefallen, aber manchmal kommt es anders… als man befürchtet!

Eigentlich weiss ich im Nachhinein selber nicht so recht, ob

ich jetzt deprimiert oder traurig sein soll oder einfach nur

darüber lachen soll! Diese Geschichte ist auf jeden Fall nicht

(oder eben) gerade Oscar-reif!

Angefangen hat das Ganze damit, dass ich im September

2007 für vier Wochen mit Raphael, meinem ehemaligen

Mitstiften, in Peru und Bolivien rumgereist bin und in Cusco

dann jemanden kennen gelernt habe. Und diese Person kam

ursprünglich aus Lima und sie war weiblicher Natur… und

hat mir natürlich gefallen! Auf welche Weise ich sie kennen

gelernt habe, ist aber wieder eine andere Geschichte.

Jedenfalls hatte ich nach meiner Rückkehr in die Schweiz

dann regen Kontakt zu dieser Karina, und zwar per E-mail

und Chat. Anfangs habe ich noch auf Englisch geschrieben,

da sich meine Spanisch-Kenntnisse in sehr engen Grenzen

hielten. Meine ersten Spanisch-Lernversuche hatten anfangs

August 2007 stattgefunden. Raphael hat gemeint, ich könne

ja ein wenig Spanisch lernen, bevor ich nach Peru komme.

Ich habe dann auch prompt ein Buch mit dem Titel

„Spanisch für Peru“ bestellt und gedacht, das wäre genau

das Richtige für mich! Wäre es vielleicht auch gewesen, nur

bringt es nicht viel, wenn man nur die ersten 10 Seiten liest

und es dann wieder wegschmeisst! Meine liebe Schwester

hat mir dann das Buch „Spanisch in 30 Tagen“ geschenkt

(von Langenscheidt, für die, die es interessiert).

Dummerweise waren es dann nur noch knappe drei Wochen

bis zu meinen Ferien. Selbst wenn ich also jeden Tag eine

Lektion hinter mich gebracht hätte, hätte es nicht gereicht.

Immerhin bin ich bis Lektion 6 oder 7 gekommen… Du

kannst mich jetzt auch auslachen, aber arbeiten musste ich

ja auch noch und kam nicht jeden Abend nach hause und

hatte nichts Gescheiteres vor, als Spanisch zu büffeln! Das

Buch habe ich dann aber auch schön brav mit in die Ferien

genommen und regelmässig - alle zwei bis drei Tage - eine

Lektion gelernt. Dummerweise war Raphael schon ziemlich

gut in Spanisch, deshalb war ich nicht wirklich gezwungen,

mit den Einheimischen zu quatschen. Und bekanntlich lernt

man eine Sprache auch nicht, wenn man sie nicht spricht. Im

Allgemeinen hat mich das auch nicht sonderlich gestört, da

ich keine Person bin, die von früh bis spät das Bedürfnis hat,

sich zu äussern und sämtliche mir über den Weg laufenden

Leute vollzuquatschen! In gewissen Situationen wäre ich

aber froh gewesen, ich hätte das gemacht, um Übung zu

bekommen! Im Ausgang ist es relativ unlustig, wenn man

nach jedem Satz, welchen das attraktive Gegenüber von sich

gegeben hat, den Kollegen fragen muss, was sie damit sagen

möchte! Englisch ist leider nicht so stark verbreitet in den

peruanischen Breitengraden… Irgendwie bin ich jetzt vom

Thema abgekommen! Was wollte ich nun schon wieder

sagen? Klaro, beim Kommunizieren war ich! Wie gesagt

hatte ich Karina anfänglich die E-Mails auf Englisch

geschrieben, sie hat’s dann per Auto-Translator im Internet

übersetzen lassen und bestenfalls auch verstanden, was ich

sagen wollte. Sie hat dann jeweils auf Spanisch

zurückgeschrieben und ich habe wiederum einen netten

Gratis-Internet-Service in Anspruch genommen, um den Text

gratis franko ins Englische zu übersetzen, weil dieser

bescheuerte Übersetzer nun einmal nicht direkt ins

Deutsche übersetzen will! Aber das wäre sowieso auch nicht

besser herausgekommen. Immerhin, mit viel Phantasie

konnte ich dann aus dem Übersetzten herauslesen, was sie

in etwa gemeint hatte. Du fragst dich jetzt wahrscheinlich,

wie in aller Welt hat denn der dazumal mit ihr geredet, als er

sie kennen gelernt hatte? Eben, da war ja Raphael, mein

persönlicher Dolmetscher und falls er nicht gerade in der

Nähe war (es gibt ja auch Situationen, wo man lieber alleine

zu zweit ist), versuchten wir einen Mix aus Spanisch/

Englisch/Händisch/Wasweissichwasisch, und manchmal hat

man dann auch herausgefunden, was der/die andere sagen

wollte. Jedenfalls habe ich dann mit der Zeit immer mehr

Spanische Wörter gekannt und dann auch komplett auf

Spanisch geschrieben. Da war ich auch mächtig stolz drauf,

dass ich innerhalb von wenigen Wochen bereits auf Spanisch

schreiben konnte (natürlich mit geringfügiger Hilfe von

leo.org). Da dachte ich, das wird dann auch kein Problem

sein, mich mit ihr zu unterhalten, falls ich sie wieder einmal

besuchen gehe! Das war schon mal ein grosser Fehler! Wenn

ich mir gedacht oder gewusst hätte, dass Spanisch

schreiben/lesen und sprechen mehr als zwei paar

verschiedene Schuhe sind, dann… wäre ich sie

wahrscheinlich trotzdem besuchen gegangen.

Ich muss jetzt mal einen neuen Absatz anfangen, damit es

auch ordentlich ausschaut. Tatsache ist, dass ich über

Weihnacht/Neujahr sowieso zwei Wochen zwangsweise

verordnete Ferien habe von meiner Bude (Firma) aus. Also

war es naheliegend, dass ich diese Zeit sinnvoll nutzen

könnte, um meine liebe Karina besuchen zu gehen. Die Idee

an sich wäre ja nicht so abwegig… dazu später dann mehr.

Ein paar Haken hatte diese Sache jedoch schon. Meine liebe

Karina hatte da so gewisse Vorstellungen bezüglich des

Unterhaltungs-Programms, wenn ich sie besuchen kommen

würde. Im Grunde genommen ist das aber kurz erklärt: über

Weichnachten geht’s ein paar Tage zu ihren Eltern nach

Piura (das ist so Tradition bei ihr), danach muss sie zwei Tage

Page 3: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 3

arbeiten und hat dann von Samstag bis Mittwoch, dem 2.

Januar 2008 frei. Na ja, während den zwei Tagen, die sie

arbeiten muss, könnte ich ja Spanisch lernen…. aber zu ihren

Eltern gehen? Und sie hat mir dann noch verraten, dass an

Weihnachten sämtliche Verwandten und zugemieteten

Verwandten kommen werden, also rund 25 Personen, die

dann dort herumschwirren! Das waren mir dann rund 25

Dornen im Auge! Ich habe mir die Sache dann genauestens

überlegt und analysiert und bin nach ein paar mehr oder

weniger erfreulichen Mails zum Schluss gekommen, dass es

ein Versuch wert ist! Es waren dann natürlich noch ein paar

klitzekleine, organisatorische Hürden zu meistern. Z.B.

bekam ich die schöne Aufgabe, einen Inlandflug für uns zwei

zu organisieren, damit wir innert nützlicher Frist von Lima

nach Piura zu ihren Eltern kommen an Weihnachten. Per Bus

zu fahren wäre auch noch eine Alternative gewesen, aber 16

Stunden zu fahren ist nicht zwingend ein Vergnügen,

deshalb haben wir uns für die Variante mit Flügeln

entschieden. Eigentlich wäre es naheliegender gewesen,

dass Karina den Flug gebucht hätte, schliesslich ist es nicht

ganz das erste Mal, dass sie dorthin fliegt und ihr Spanisch

ist auch etwas besser als meines (um sich mit einem

Reisebüro zu verständigen). Dass sie momentan aber keine

Kreditkarte hatte, weil kurz zuvor ihr Bankkonto geplündert

wurde, weil sie am Bankomat ausspioniert wurde, war

jedoch ein einigermassen vernünftiges Argument, dass ich

den Flug buchen sollte. Jedenfalls habe ich mich dann erst

einmal im Internet informiert, wie man es heutzutage halt

so tut. Aus Goodwill wollte ich den Flug jedoch bei einer

Kollegin von Karina buchen, weil sie in einem Reisebüro

arbeitet und ich sie auch kennen gelernt habe. Also habe ich

bei ihr dann per Chat einmal nachgefragt, was so ein Flug

kosten würde. Sie hat mir dann einen solchen genannt, der

etwa gleichviel gekostet hätte, wie wenn ich ihn direkt im

Internet gebucht hätte. Nur habe ich im Internet noch zwei

weitere Flüge am selben Tag gesehen, und zwar zum selben

Preis. Der eine war um 6:55 Uhr, einer um 7:55 Uhr und

dann noch einer irgendwann am Nachmittag. Den Flug, den

ich bei der lieben Kollegin bekommen hätte, war

originellerweise die Frühaufsteher-Version (6:55 Uhr) für ca.

$ 170.-, die anderen zwei waren etwa $ 60.- teurer. Ich habe

dann den Preis einmal Karina durchgegeben und sie hat

mich gefragt, ob es nicht noch günstiger gehe. Na klar, wieso

sollte mir ihre Kollegin auch gleich auf Anhieb den besten

Preis offerieren! Und ausserdem hat sie noch hinzugefügt,

dass wenn ich keine Tickets zu einem guten Preis erhalte,

dass sie dann über ihre Eltern sehr günstig zu Flug-Tickets

käme. Nett zu wissen. Ich habe dann wiederum beim

Reisebüro bzw. ihrer Kollegin nachgefragt, ob sie mir noch

einen mindestens $ 500.- besseren Preis anbieten kann... Na

ja, oder anders ausgedrückt: in der Erwartung, keinen

besseren Preis zu bekommen (wieso auch), habe ich sie

trotzdem gefragt, ob da was zu machen sei. Und siehe da,

am Preis war nicht zu rütteln! Ich habe mich dann

kurzerhand entschlossen, mit dem Kauf noch abzuwarten,

weil so ziemlich alles dagegen gesprochen hatte, diesen Flug

über diese Reisebüro-Kollegin zu buchen, zumal es

interessanterweise auch nicht möglich war, per Kreditkarte

zu bezahlen. Der Vorschlag, dass Karina ihr die Tickets

bezahlt und ich dann Karina den Betrag bar zurückbezahle,

sobald ich dort bin, hat mich auch nicht wirklich überzeugt.

Pilar, so hiess die Frau Kollegin beim Reisebüro, hat mir dann

vorgeschlagen, dass sie die Tickets reservieren kann und ich

mich dann immernoch entscheiden kann, ob ich sie nehme

(die Tickets meine ich) oder nicht. Überredet, dachte ich mir

und wir haben diesen Quasi-Deal gemacht und ich musste

dann auch meine Passnummer und die von Karina angeben,

damit sie die Tickets reservieren kann. Klein(un)gedruckt hat

sie mir dann noch gesagt, dass sie mir jedoch nicht

garantieren kann, ob die Ticktes zu einem späteren

Zeitpunkt auch wirklich noch verfügbar seien. Anzumerken

wäre vielleicht noch, dass über die Weihnachtszeit

Hochsaison ist für Flüge nach und in Peru.

Nach ein paar Tagen und mindestens einem unnetten Mail

von Karina, dass ich mich um die Flug-Tickets kümmern soll,

habe ich mich dann entschieden, doch bei ihrer Kollegin zu

buchen. Per Mail habe ich das dann beim Reisebüro

eingekippt und zunächst bekam ich einmal keine Antwort.

Ich dachte mir, die melden sich dann schon irgendwann, ich

habe ja schliesslich keinen Stress. Einen Tag später hat dann

Karina auch noch ein nettes Mail an das Reisebüro gesendet.

Vielleicht wäre hier für den Leser noch gut zu wissen, dass

Pilar nicht immer im Reisebüro war. Da sie Chefin dort war,

hatte sie des öfteren Ferien. Ich möchte auch einmal Chef

sein. Aber eben, wir bekamen dann irgendwann einmal ein

Mail mit dem Flug-Angebot. Das war aber leider nicht ganz

genau das, was ich reservieren lassen habe. Erstens war der

Flug auf einmal um $ 70.- teurer und die Abflugzeit war auf

4:55 Uhr geschrumpft. Als ich Karina diese tollen

Neuigkeiten mitgeteilt habe, hatte sie erstaunlicherweise

keine grosse Freude daran. Nach ein paar belehrenden

Worten, dass sie mich schon länger darauf aufmerksam

gemacht hatte, dass ich den Flug organisieren solle, haben

wir dann beschlossen, dass ich den Flug direkt bei der

Fluggesellschaft LAN über das Internet buche. Also habe ich

schön brav das Online-Bestellprozedere durchgemacht und

als ich dann auf der letzten Seite war, hatte ich das

Vergnügen, festzustellen, dass der Preis von ca. $ 340.- für

zwei Personen auf $ 680.- gestiegen war. Ich dachte mir

dann, ich könne mich ja auch selber verarschen und hatte

den Verdacht, dass ich vielleicht die falsche Währung

ausgewählt hatte oder so was ähnliches. Währenddem

Karina nach Kenntnisnahme dieser Umstände, dem Wortlaut

nach zu erahnen, an der Decke klebte, habe ich das

Bestellprozedere noch einmal von vorne ausgefüllt, kam

aber auf das selbe, eher unerfreuliche Ergebnis. Vielleicht

lag es nur daran, dass ich Schweizer bin und die haben sich

einfach gedacht, der habe sicher noch ein paar Batzeli übrig

und haben das Ganze mit dem Faktor zwei multipliziert.

Dagegen ist ja auch gar nichts einzuwenden, soll jeder

machen was er will. Also habe ich auch gemacht, was ich

wollte (bzw. blieb mir nicht viel anderes übrig) und habe

nochmals beim Reisebüro angefragt, ob es nicht etwa noch

Page 4: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 4

eine Alternative gäbe, z.B. mit einer anderen

Fluggesellschaft zu fliegen. Und prompt kam die Antwort,

dass es noch die AeroCondor gäbe, und die würden sich für

mickrige $ 400.- überreden lassen, zwei Passagiere

mitfliegen zu lassen. Super, dachte ich mir und habe die

frohe Botschaft sogleich Karina mitgechattet. Meine Freude

über diesen grossartigen Coup hielt dann jedoch nicht allzu

lange an, da mir mein entferntes Gegenüber zu verstehen

gab, dass sie nicht mit AeroCondor fliege. Währenddem mir

ein paar weitere, nicht unbedingt schmeichelhafte Wörter

per Chat präsentiert wurden, dachte ich mir: Tja, wieso

gehen wir nicht mit dem Bus? Ich habe mir das dann aber

nicht nur gedacht, sondern habe Karina danach gefragt, ob

das eine Alternative wäre. Im Sinne von "Ob ich eigentlich

einen Knall hätte", kam dann auch ziemlich rasch die nicht

als sehr positiv einzustufende Antwort auf meinen

Vorschlag. Dass sie mir dann u.a. noch mitteilte, dass sie

keinen Freund gebrauchen kann, der nicht einmal imstande

sei, einen Flug zu buchen, war dann auch nicht sehr

sachdienlich. Nachdem meine konstruktiven Vorschläge

dann ziemlich ausgeschöpft waren und sie nicht mehr von

der Decke herunterkommen wollte, habe ich den Chat-

Verkehr dann frühzeitig mit einseitigem Einverständnis

eingestellt.

Einen Tag später bekam ich dann ein E-Mail von meiner

lieben Karina, dass sie jetzt für sich selber ein Ticket

organisiere über ihre Eltern, und zwar zu sehr günstigen

Konditionen. Meine Gefühle entwickelten sich dann relativ

schlagartig in Richtung "Du kannst mich mal... etc. etc.". Ich

war dann wirklich so sauer und deprimiert wie schon lange

nicht mehr! Kurz darauf habe ich die Geschichte Raphael

mitgeteilt und er hat gemeint, ich soll sie doch dort, wo sie

ist, stehen lassen, den Flug umbuchen und anstelle von

Karina ihn in Buenos Aires besuchen kommen. "Why not?",

dachte ich mir und habe den Flug kurzerhand umgebucht!

Na ja, zumindest wollte ich ihn umbuchen. Da es jedoch eine

andere Destination war, musste ich den Flug annullieren

lassen und durfte dann einen neuen Flug übers Internet

buchen. Die Annullierungs-Kosten von € 200.- sind ja auch

nicht alle Welt und insbesondere im Vergleich zum

Fluckticket und zu den Auslagen, die ich in Peru sonst noch

gehabt hätte (zur Debatte stand noch, über Neujahr mit

Karina nach Brasilien zu fliegen), war das Peanuts. Soweit,

so... gut.

Etwa vier Tage nach dem letzen E-Mail von Karina hat mich

meine Hotmailbox auch wieder einmal zu Gesicht

bekommen. Es warteten vier nette Nachrichten von Karina

auf mich. Wer hätte das gedacht, sie war wieder ganz lieb

geworden und hat gebettelt, dass ich ihr vergebe, was sie

alles von sich gegeben hatte. Als ich ihr dann mitgeteilt

habe, dass ich den Flug bereits umgestorniert hatte, war sie

definitiv von der Decke durch alle Wolken wieder auf den

Boden gefallen! Die anfänglichen Argumente und

Entschuldigungen ihrerseits hatten mich noch nicht wirklich

überzeugt, doch noch nach Lima zu fliegen. Erst ein paar E-

Mails und Tage später hat sie mir geschrieben, dass sie

deshalb so ausrastete, weil sie meinte, ich hätte das Buchen

des Fluges absichtlich hinausgezögert, damit wir nicht zu

ihren Eltern gehen müssten! Zumindest war das eine

einigermassen plausible Erklärung für ihr Verhalten! Und so

bescheuert ich bin, habe ich dann der KLM-Hotline

angerufen, ob ich meinen Flug nach Buenos Aires umbuchen

könne. Die liebe Person am anderen Ende der Leitung hat

das dann kurzerhand abgeklärt und mir mitgeteilt, dass ich

das schon machen könne, allerdings würden sie mir nur

noch den Rückflug zurückerstatten, weil es für den Hinflug

etwas kurzfristig sei. Soweit ich mich erinnern mag, waren es

nur noch um die drei Tage bis zum Abflug, von dem her war

diese Erklärung irgendwie verständlich. Somit war also auch

geklärt, dass ich nicht die Dummheit mache, und den Flug

nochmals umbuche, denn Fr. 1'400.- könnte man auch für

andere Zwecke nutzen als ans Bein zu streichen oder in den

Sand zu setzen.

Etwas später habe ich das dann Karina mitgeteilt, dass ich

mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht zu ihr komme, weil

halt eben die Umstände im wahrsten Sinne des Wortes

etwas ungünstig seien. Eigentlich dachte ich, damit sei die

Sache gegessen. Mir war zwar schon klar, dass es

theoretisch noch die Möglichkeit gab, per Inlandflug von

Buenos Aires nach Lima zu gelangen. Und das war Karina

selbstverständlich auch bewusst. Ich wusste zwar, dass dies

eine ziemlich bekloppte Alternative war, aber irgendwie hat

sie mich nicht in Ruhe gelassen. Ich war dann ziemlich ratlos,

was ich machen soll. Im Grunde genommen hätte ich sie ja

schon gerne getroffen, obwohl mir natürlich sämtliche Leute

verständlicherweise davon abgeraten hatten. Aber Raphael

hat mir in meiner Verzweiflung dann gesagt, dass ich sie

unbedingt besuchen muss, denn sonst wüsste ich ja im

Nachhinein nicht, wie es gewesen wäre und würde es

vielleicht bereuen. Und zudem seien die zusätzlichen $ 700 .-

für den Flug von Buenos Aires nach Lima ja eh Peanuts für

mich… Wenn man einmal von den Peanuts absieht und sie

mit etwas schwererem ersetzt, hatte er sicherlich recht.

Wie könnte es anders sein, ich habe mich dann doch dazu

entschlossen, einen Anschlussflug nach Lima/Piura zu

buchen! Wer will, kann mich auch heute noch gratis dafür

ohrfeigen. Vor dem Abflug hatte es jedoch nicht mehr

gereicht, um den Weiterflug zu buchen. Es war dem

Reisebüro von Cusco noch nicht möglich zu sagen, ob es von

Lima einen Anschlussflug nach Piura gäbe. Also habe ich mir

gedacht, ich mache den ersten Schritt und fliege schon mal

nach Buenos Aires, dann bin ich ja zumindest einmal auf

dem richtigen Kontinent, wo ich rein theoretisch

schlimmstenfalls auch noch zu Fuss an meine gewünschte

Enddestination laufen könnte, im schwimmen war ich noch

nie besonders gut.

Mein Flug nach Buenos Aires war kein Direktflug, sondern

einer mit der Zwischenstation Paris. So routiniert wie ich im

Reisen bin, habe ich mich dann nach der Ankunft am Pariser

Page 5: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 5

Flughafen in der erstbesten Warteschlange hinten

angestellt. Ich habe mich dann zwar schon gefragt, was ich

dort solle, aber ich hatte ja genug Zeit bis zu meinem

Weiterflug und irgendetwas musste ich ja machen. Nach

etwa fünf bis zehn Minuten anstehen und nicht

weiterkommen habe ich dann einen anwesenden

Sicherheitsbeamten gefragt, ob ich da anstehen müsse.

Seine Antwort war dann, ich müsse das nicht machen, wenn

ich bereits ein Ticket für den Weiterflug habe. Und das hatte

ich. Also bin ich gemütlich losgezottelt, erfolgreich durch die

Passkontrolle durchgewunken worden und habe es mir beim

Gate auf einem der vielen, bequemen Sitzgelegenheiten

gemütlich gemacht, so gut es ging.

Irgendetwas wollte ich auf meinem Flugticket nachschauen,

wieso und was weiss ich auch nicht mehr. Nach etwa zehn

Minuten suchen, in Gedanken fluchend und mit fragendem

Blick ins Leere, hatte ich so eine leise Vorahnung, dass ich

mein Ticket eventuell beim Zoll liegengelassen hatte. Ich bin

dann also friedlich wieder zurückgeschlendert an den vielen

Läden mit all den sinnvollen Sachen, die man dort kaufen

kann. Am Zoll hat man mich freundlich empfangen, ich

wurde zur hintersten Zollabfertigungs-Station gebracht und

habe mein Ticket auch prompt zugestreckt bekommen.

Hocherfreut über das Wiederauffinden habe ich dann beim

zurückschlendern zum Gate den Fehler für dieses Malheur

beim Zollbeamten gesucht. Wenn er nämlich das Ticket

nicht hätte sehen wollen, dann hätte ich es zu meinen

anderen sieben Sachen in mein Handgepäck gesteckt und es

hätte keine Gefahr bestanden, dass ich diese blöde, separate

Büchse mit dem Ticket auf dem Förderband vergessen

hätte! Aber so sind nun einmal die Spielregeln!

Buenos Aires vom Flieger aus

Ein paar Minuten später… also etwa 1000 Minuten später,

wurde ich dann von Raphael und seiner charmanten

Freundin in Buenos Aires in Empfang genommen. Dort sind

wir dann mit dem Taxi in die Stadt zu ihrem gemeinsamen

Appartement gefahren und haben danach einen Ausflug in

ein Quartier in ihrer Nähe gemacht, zumindest war es

wahrscheinlich für buenosairesische Verhältnisse nah.

Irgendwann hat dann mein Natel gesurrt und ich habe den

Hörer abgenommen… zumindest inwieweit man einen Hörer

abnehmen kann bei einem Mobiltelefon. Es war Veronika

vom Reisebüro in Cusco. Da mein Spanisch noch nicht

sonderlich ausgereift war - und es jetzt eigentlich auch noch

nicht ist – und es ziemlich lärmig war, habe ich das mobile

Ding kurzerhand Raphael hingestreckt. Er hat dann gefragt,

wer dran sei und ich habe nichtsahnend geantwortet, dass

es halt so eine Tante vom Reisebüro sei, wer denn sonst. Er

hat dann den Anruf zögernd entgegengenommen. Erst im

Nachhinein ist mir dann in den Sinn gekommen, dass es

hätte Pilar sein können, die, mit der Raphael einmal was

hatte und er offensichtlich nicht sehr scharf darauf war, mit

ihr zu reden. Aber eben, er hatte ja Glück! Das Cabaret

nahm dann also seinen weiteren Lauf, aber das wäre jetzt zu

bunt, das auch noch zu erzählen, wie mein schöner

Weiterflug schlussendlich zustande kam. Jedenfalls bekam

ich dann einen Flug für den darauffolgenden Abend mit

mehr oder weniger anschliessendem Weiterflug nach Piura,

da Karina in der Zwischenzeit bereits nach Piura zu ihren

Eltern geflogen war.

Raphi’s Appartement (inkl. Raphi)

Am nächsten Tag am Nachmittag wurde ich dann auf den

Linienbus begleitet, der in Richtung Flughafen fahren sollte.

Es ist dort zwar so, dass jeder Bus schön einer Buslinie

angehört und auch mit dem entsprechenden Nümmerchen

angeschrieben ist, jedoch heisst das noch lange nicht, dass

sie dann auch effektiv die ganze Route fahren und nicht

schon vorher umkehren! Raphael hat dann ein paar

vorbeikommende Busse bzw. die darin sitzenden Chauffeure

gefragt und es war dann auch tatsächlich einer dabei, der

auch Lust hatte, einen Abstecher zum Flughafen zu machen.

Nach kurzer Verabschiedung von Raphael - Busschauffeure

haben dort nicht so viel Geduld - sass ich im Bus und hoffte,

dass ich dann am richtigen Ort aussteige. Nach etwas über

einer Stunde waren wir an einer Bushaltestelle

vorbeigekommen, die so ähnlich wie der Flughafen

geheissen hatte. Das hatte ich aber erst realisiert, als der Bus

Page 6: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 6

wieder abgefahren war. Mir war dann etwas mulmig

zumute, zumal ich ja nicht Ewigkeiten mehr Zeit hatte, um

meinen Flug zu erwischen. Nach einer Weile habe ich all

meinen Mut und meine Spanischkenntnisse

zusammengenommen und den Herr, der eine Reihe vor mir

im Bus sass, gefragt, ob es noch weit sei zum Flughafen. Und

dieser Trottel fragt mich, ob ich Englisch spreche! Toll! Habe

ich ihn halt auf Englisch gefragt, ob ich da richtig sei und er

hat mir versichert, dass wir demnächst dort ankommen

werden! Da war ich zumindest wieder ein bisschen beruhigt.

Irgendwann hatte ich dann auch das Gefühl, es sähe nach

Flughafen aus und bin dann ausgestiegen.

Ursprünglich hatten Raphael und ich gedacht, es reiche,

wenn ich ca. zwei Stunden vor Abflug am Flughafen sei. Auf

dem Ticket hatten zwar drei Stunden gestanden, aber wen

interessiert das denn schon, schliesslich weiss man in der

Regel besser bescheid! Als ich das richtige Terminal

gefunden hatte, durfte ich mich dann auch schön brav in

einer unangenehm langen Kolonne einreihen. Zum Glück

hatte ich noch etwas über eine Stunde Zeit bis zum Abflug.

Nach einer halben Stunde war die Kolonne vor mir noch

nicht wesentlich kürzer und mir war es zunehmend anders

zumute! Vielleicht hätte ich doch besser den Angaben auf

dem Ticket vertraut! Irgendwann hat es dann

glücklicherweise geheissen, die Leute für den Flug nach Lima

dürften sich offiziell vordrängen. Also habe ich das auch

gemacht mit etwa 15 anderen Reisenden und als ich dann

das Flugticket in Empfang nehmen durfte, hat mir das nette

Fräulein besänftigend angeraten, ich solle mich doch

beeilen, damit ich den Flug noch erwische! Das ist immer

wieder ein schönes Gefühl, wenn man weiss, man hat

überhaupt keinen Stress! Ich bin dann zum Schalter gerannt,

wo man die Flughafentaxe bezahlen muss und habe mich

dann einen Stock höher zum Zoll begeben. Auf jeden Fall

habe ich den Flug noch mehr oder weniger locker erwischt

und durfte dann einen Moment sitzen bleiben im Flieger.

Nach knappen fünf Stunden waren sämtliche Flugzeug-

Passagiere zeitgleich um ca. 23:00 am Flughafen Lima

angekommen und wir durften wieder aufstehen. Jetzt war

die grosse Frage, was ich in der Zwischenzeit bis zum

Anschlussflug machen soll, denn dieser wollte erst kurz vor

fünf Uhr starten. Vielleicht hätte ich ja mit dem Chauffeur

des Flugzeuges des Piura-Fluges reden können, ob er

möglicherweise doch etwas früher abzufliegen gedenke.

Aber da ich nicht wusste, ob er mich richtig verstehen würde

wegen der Sprache und so, dachte ich, ich richte mich nach

dem Flugplan. Ich sass dann also gemütlich im Flughafen-

Restaurant, ass etwas und trank vor allem Cola, um nicht

einzudösen. Als ich noch in Buenos Aires war, hat mir Karina

einmal per E-Mail gesagt, ich solle sie anrufen, wenn ich in

Lima angekommen sei… aber frag mich nicht wieso.

Jedenfalls haben wir kurz geplaudert… bzw. sie hat

geplaudert und mir irgendetwas versucht zu erklären. Als sie

dann etwas später gefragt hatte, ob ich vom Mobiltelefon

aus anrufe und ich diese Frage mit ja beantwortete, meinte

sie, wir sollten jetzt aufhören mit telefonieren. Einen Monat

später wusste ich dann auch, wieso, als ich die

Telefonrechnung in die Finger bekam. Wir hatten dann noch

vereinbart, dass sie mich am Flughafen abholen komme in

Piura. Das fand ich nett.

Vom Restaurant aus, das etwas erhöht im zweiten Stock

angesiedelt war, hatte ich eine perfekte Aussicht auf die

Check-In Schalter und eine grosse Anzeige-Tafel für die An-

und Abflüge. Ich habe dann aus Langeweile die Flugzeiten

studiert und mir war auf einmal wieder etwas mulmig

zumute. Das war nämlich eine knappe Stunde vor Abflug, als

ich die Flugnummer und die Destination mit den Angaben

auf meinem Ticket-Ausdruck verglichen hatte.

Dummerweise stimmten die nicht überein. D.h. etwa zwei

Drittel der Angaben waren identisch, nämlich Abflugzeit und

Flugnummer, lediglich stand dort in schöner,

orangenfarbener Leuchtdiodenschrift ein anderer

Ankunftsort! Das ist wirklich ein etwas dummes Gefühl, das

man in so einem Moment hat. Ich habe dann

sicherheitshalber den jungen Mann, der gerade

Servierdienst hatte, gefragt, wie das zu erklären sei. Es hätte

mich nämlich nicht gewundert, wenn die blöde Kuh vom

Reisebüro… na ja, lassen wir das. Auf jeden Fall wäre es ja

nicht auszuschliessen gewesen, dass etwas bei der Buchung

falsch gelaufen wäre. Der Mann hat mir dann ausführlich

erklärt, wie der Sachverhalt sei. Ich habe zwar grundsätzlich

praktisch nichts verstanden, was er mir mitteilen wollte,

aber immerhin habe ich mitbekommen, dass die auf der

Anzeigetafel angegebene Destination quasi die übernächste

sei, dass der Flieger aber vorher noch kurz Halt mache in

Piura. Ich habe mich dann bei ihm bedankt und etwas

später, als ich mein Gepäck aufgeben wollte, habe ich auf

einer anderen Anzeige gesehen, dass dort der Ankunftsort

alternierend angezeigt wurde und u.a. auch Piura genannt

wurde. Das war dann eine kleine Erleichterung!

Der Flug war kurz und schmerzlos, es gab wie immer was zu

knabbern und ein Teelein zu trinken. Die Spannung stieg

dann etwas an, als der Flieger… resp. der Pilot den Sinkflug

einleitete. Als ich dann mein Gepäck auf dem Förderband

wiedergefunden habe, ging ich auf die Suche nach Karina.

Sie hat mir zumindest gesagt, dass sie dort auf mich warte

und ich ging auch davon aus, dass es stimmte. Ich suchte

dann also zuerst den Ausgang und hatte lange gebraucht, bis

ich sie schliesslich erblickt habe und wir uns aufeinander zu

rennend in die Armen fielen!! Na ja, das war jetzt ein

bisschen übertrieben, der Flughafen ist nicht viel grösser als

eine gentechnisch vergrösserte Schuhschachtel, wir haben

uns am Ausgang getroffen und umarmt! Mehr Details gebe

ich an dieser Stelle jedoch nicht preis. Soweit ich mich

erinnern mag, gab es auch keine weiteren Details. Eine

Limousine hat uns dann in Empfang genommen und wir sind

durch das Kaff zu ihren Eltern getuckert. Ihre Mutter hat uns

dann freudig in Empfang genommen (glaube ich zumindest)

und wir haben ausgiebig geplaudert… oder vielleicht hätten

wir das, wenn ich hätte Spanisch sprechen können. Englisch

war natürlich ein Fremdwort für sie, mit Deutsch, Russisch

Page 7: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 7

und Mongolisch hat’s leider auch nicht viel besser geklappt.

Ich durfte dann mein eigenes Zimmer beziehen, wie es sich

dort halt so gehört. Ursprünglich wäre nämlich geplant

gewesen, dass ich ein eigenes Hotelzimmer nehme, da in

dieser Region die Leute eher etwas konservativ eingestellt

sind. Aber offenbar hatten sie irgendwie Verständnis wegen

der relativ kurzfristigen Reiseplanung. Was ich mich jedoch

heute noch frage: Sie hat mich bei Ihren Eltern als Freund

angemeldet… offenbar ist dort „Freund“ gleichbedeutend

wie „Kumpel“ oder „Kollege“, ich konnte jedenfalls keinen

Unterschied zu den zwei letztgenannten Spezien feststellen.

Als Erstes sind wir dann beide schlafen gegangen

(selbstverständlich separat), da wir beide sehr müde waren.

Wieso sie müde war, wusste ich zwar eigentlich gar nicht.

Irgendwann um die Mittagszeit klopfte es dann an der Tür

und Karina teilte mir mit, dass wir jetzt in die Stadt gehen an

irgendein Fest. Mit ihrer Mutter zusammen sind wir dann

ein Hinterhof-Restaurant suchen gegangen. Ihre Fahrkünste

sind übrigens nicht erwähnenswert. In diesem Restaurant

sind wir dann eine Horde Verwandten resp. Verwandtinnen

gestossen, etwa sechs an der Zahl, die dort gegessen und

getrunken haben. Wenn ich mich recht erinnere, waren es

nur Frauen: Tanten, Cousinen, Schwestern der Mutter und

was es sonst noch so gibt. Das Lokal war spartanisch

eingerichtet, aus den Lautsprechern ertönte laute,

einheimische Musik und der Auftritt eines Live-Musikant-

Unterhalters war angekündigt. Glücklicherweise konnte die

eine Cousine von Karina gut Englisch sprechen, da sie in

Miami lebte. So konnte ich mich wenigstens ein bisschen mit

jemandem unterhalten. Von der äusseren Erscheinung her

war sie schwanger, so hatte ich auch gleich ein

Gesprächsthema… nicht dass ich selber schon schwanger

gewesen wäre oder bei jemandem dazu beigetragen hätte.

Etwas später kam dann tatsächlich noch der Komiker mit

Band und hat ein paar Sprüche und Lieder zu seinem Besten

gegeben. Dummerweise hatte ich meine Ohrenstöpsel nicht

dabei. Da es um meine Ohren nicht mehr zum Besten steht

und ich nicht sonderlich entzückt auf Lärm reagiere, habe ich

dann halt einfach meine Ohren zugehalten. Karina hat’s

dann den anderen am Tisch erklärt, wieso ich meine Ohren

halte. Der Live-Band hat sie es aber nicht gesagt und ich

denke, die haben das nicht gerade als Kompliment

aufgenommen. Aber ich glaube, sie haben es trotzdem

kapiert, nach dem zweiten Stück haben sie dann einen der

Lautsprecher etwas abgewandt, damit die Schallwellen

zuerst noch über die Wände kehren müssen. Die Idee war

gut, hat aber nichts gebracht. Wir sind dann ziemlich bald

einmal wieder dort rausspaziert und haben eine kleine

Besichtigung der Stadt gemacht.

Komiker/Entertainer/Wasauchimmer mit seiner Band

Dort habe ich dann auch zum ersten Mal peruanische

Advents-Dekoration gesichtet: Krippen mit Figuren (das

ginge ja noch) und Bäume oder Palmen, deren Stämme mit

goldener Folie eingepackt waren! Ein echter Knaller!

Überhaupt war dort auch sonstige Weihnachtsdekoration

eher gewöhnungsbedürftig. Am Abend sieht man dort lauter

bunte Lichterketten, die in allen Farben nervös um die

Wette blinken. Der Hammer fand ich aber immer noch die

Empfangs-Dekoration bei den Eltern von Karina. Die haben

irgend so einen bescheuerten Bewegungsmelder installiert

und jedes Mal wenn man dort in die Nähe der Veranda kam,

ertönte in sauberem, piepsendem Mono-Elektro-Weiss-Der-

Geier-Was-Klang eine wahnsinnig tolle und gar nicht

nervtötende Weihnachtsmelodie!

Schöne Weihnachtsdekoration aus Piura

Zurück zur Stadt-Besichtigung: Wir sind dann also etwas in

der Gegend herumgelatscht, haben die Marktstände

angeguckt und haben dann ein Taxi genommen zusammen

mit Patrizia (ich glaube zumindest, dass die schwangere

Cousine so hiess), fuhren so durch die Gegend und gingen

dann noch ins Kino. Ich hatte zumindest gehofft, dass ich im

Kino ein bisschen mit Karina kuscheln könnte, aber weil

Page 8: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 8

Tante Patrizia anwesend war, war das offenbar verboten.

Wenigstens ging es im Film auch um ein gestörtes Verhältnis

zwischen Mann und Frau…

Am Abend nach dem Nachtessen wollten Karina und ich

dann einen Film auf DVD schauen in „meinem“ Zimmer. Das

Dumme war nur, dass der kleine Bengel von der

Haushaltshilfe auch Fernsehen schauen wollte, jedoch

keinen Film für Erwachsene, da er erst drei Jahre alt war.

Also haben wir dann halt, steif auf dem Bett sitzend, eine

Tier-Dokumentation angefangen zu schauen, die er

wahrscheinlich schon hundertmal gesehen hatte. Der kleine

Bub verfolgte die Sendung voller Entzücken, ich musste

meine Begeisterung aber etwas zurückhalten. Als die

Sendung dann nach etwa 45 Minuten fertig war, musste

natürlich ein zweiter Tierfilm herhalten. Auch den haben wir

schön brav geschaut. Als dieser dann auch wieder zu Ende

war, wollte er dann noch Nemo schauen. Karina hatte sich in

der Zwischenzeit bereits verabschiedet und gesagt, ich solle

den Jungen dann aus dem Zimmer schicken, wenn ich

schlafen will. Ich hätte ihn am liebsten an eine Rakete

gebunden und ins All geschossen, aber ich getraute mich

nicht, Karina zu fragen, ob ich das darf. Zudem hätte ich

auch gar nicht gewusst, wie man das in ihrer Landessprache

sagen würde. Als dann auch der Nemo sein tollkühnes

Abenteuer erfolgreich beendete, habe ich den Kleinen dann

rausgeknallt, schliesslich war es bereits 00:45 Uhr und ich

hatte die Nacht zuvor nicht geschlafen! Er hat dann noch ein

bisschen rumgezickt, aber irgendwann hat er es dann auch

begriffen mit seinem kleinen Kopf, dass er verduften solle!

Am darauf folgenden Tag war dann der 24. Dezember. Nach

dem Morgenessen gingen wir mit dem Taxi in die Stadt.

Einerseits musste ich noch das Geld für den Flug von Buenos

Aires nach Lima und zurück abheben, welches mir Karina

vorgeschossen hatte und dann gingen wir noch in ein

Internet-Kaffee, um ein bisschen Mails anzuschauen. Danach

besuchten wir noch einen Laden mit Dessert-Spezialitäten,

um Einkäufe für den Weihnachts-Nachtisch zu tätigen. Als

ich ihr dann dort drin einen Kuss geben wollte, machte sie

ein riesen Drama daraus, dass das nicht angebracht sei in

der Öffentlichkeit. Tja, anno dazumal, als ich sie kennen

gelernt hatte, war das zwar auch möglich, aber die Zeiten

können sich ja ändern. Nachdem wir uns dann noch ein Eis

genehmigt hatten, ging es wieder nach hause bzw. zu ihren

Eltern. Dort wurden wir dann etwas später von Ihrem Papa

abgeholt, um zu Mittag zu essen. Bis dahin hatte ich ihn ja

noch nicht getroffen, weil er immer arbeiten musste. Wir

gingen dann in ein kleines Restaurant essen und es wurde

das ortsübliche Seviche bestellt, ein Meeresfrüchte-

Fischgericht mit viel Zitronensauce. Als Appetizer gab es

zuvor noch irgend so einen hässlichen Fisch-Milch-Drink, der

auf Kosten des Hauses serviert wurde. Mehr als einen

Schluck konnte ich von diesem jedoch nicht herunterwürgen

und ich war irgendwie froh, dass es Karina auch nicht anders

erging. Für den Hauptgang konnte ich mich sowieso nicht

wirklich erwärmen, aber wenigstens die Cola schmeckte

vorzüglich! Das wichtigste habe ich jetzt aber noch nicht

erwähnt: Der Vater von Karina ist wirklich ein sympathischer

Typ mit einem freundlichen Lächeln und mit Händen und

Füssen hatten wir dann auch eine bescheidene, seichte

Unterhaltung.

Wir waren schon ein Weilchen wieder „zuhause“, als es

dann Abend war und wir langsam aufbrachen, um bei

Verwandten Weihnachten zu feiern. Zuerst gingen wir, d.h.

die Eltern von Karina, Karina selber natürlich, das

Hausmädchen mit ihrem Bengel… sorry, Sohn und meine

Minderheit, zum Bruder von Karinas Vater. Dort waren

schon ein paar Leute anwesend und während wir (vor allem

die Männer) gemütlich im Wohnzimmer bei einem Red Label

on the Rocks sassen, kamen ab und zu wieder neue

Gesichter hereingeschneit: kleine, grössere, männliche,

weibliche, dicke, dünnere und was es sonst noch so gibt.

Irgendwann, wahrscheinlich etwa nach dem dritten Glas,

mussten wir dann aufstehen und uns draussen das

Feuerwerk anschauen gehen. Das ist dort offenbar so

Tradition, dass sie am Heiligabend nicht wirklich heilige (vor

allem was den Lärm angeht) Feuerwerke ablassen. Als

besonders spektakulär würde ich es jetzt aber nicht

bezeichnen. Ein paar Vulkane mussten ihr Leben lassen,

einige Raketen suchten das Weite und Klein und Gross

fuchtelte mit bengalischen Glimmstängeln in der Gegend

rum. Danach ging es wieder rein in die warme Stube, d.h. ich

musste weder drinnen noch draussen frieren, schliesslich

war es anfangs Sommer und mindestens noch 25 Grad warm

draussen. Nach ein paar weiteren Schlücken Whiskey und

etwas verhaltenem Konversations-Beitrag meinerseits, war

dann erneut Action angesagt! Der Weihnachtsmann und

seine Weihnachsfrau nahmen sich die Mühe und kamen bei

uns vorbei, und zwar mit einem buggyähnlichen Fahrzeug

und natürlich im originalen, roten Kostüm! Ich denke, die

mussten wohl auch nicht frieren. Ich habe dann aber nicht

gefragt, wer jetzt mehr schwitzt, er mit seinem dicken

Weihnachsmann-Anzug oder sie mit den hautengen Leder-

Klamotten! Die Kinder hatten jedenfalls riesig Freude daran,

vor allem aber wahrscheinlich an den Geschenken, die sie

bekamen. Ob sie immer noch an den Weihnachtsmann

glauben, ist mir leider nicht bekannt. Es wurden noch ein

paar Fotos geknipst, währenddem mit einer Möchtegern-

Kunstschneemaschine irgendwelche weissen Fötzelchen in

der Luft herumgewirbelt wurden. So kam immerhin etwas

weihnächtliche Stimmung auf, zumindest so wie ich es

gewohnt bin, nämlich mit Schnee! Allerdings gehören weisse

Weihnachten in unseren Breitengraden ja inzwischen auch

nicht mehr zum Standard, ausser man wohnt auf

mindestens 5000 Metern über dem Salzwasserspiegel.

Page 9: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 9

Weihnachtsmann mit Weihnachtsfrau und Weihnachtsauto

Als wir dann wieder drinnen waren und es uns erneut

gemütlich gemacht und nachschenken lassen haben,

machten sich die Kinder mit voller Hingabe dran, ihre

Geschenke auszupacken. Ich weiss gar nicht, ob ich das

schon einmal von dieser Warte aus angeschaut hatte. Auf

jeden Fall rissen die Kleinen die Geschenkverpackungen auf,

staunten und strahlten kurz, legten den Gegenstand zur

Seite, und schon ging es ans Auspacken des nächsten

Geschenkes! Ich würde jetzt zumindest einmal behaupten,

ich hätte früher die Geschenke schön sachte ausgepackt,

damit das schöne Geschenkpapier nicht kaputt geht und

man, sprich die Eltern, es ein Jahr später wieder verwenden

können (der Umwelt zuliebe). Und zudem könnte ich mir

vorstellen, dass ich mich pro Geschenk mindestens fünf

Minuten darüber gefreut habe, bevor ich das nächste

auspackte! Aber das ist nur so eine vage Annahme… So, nun

wieder zurück nach Piura: zu diesen Zeitpunkt musste mich

das Auspacken von Geschenken eigentlich nicht weiter

kümmern, ich hatte ja nichts zum auspacken. Dafür hatte ich

einen Whiskey vor mir stehen, ab dem ich mich erfreuen

konnte, obwohl ich es eigentlich gewohnt bin, ihn mit Cola

zusammen zu trinken...

Irgendwann dann, ich denke es war so gegen zehn Uhr,

fingen ein paar Leute an, sich zu verabschieden. Und da

„meine“ Leute auch unter denen waren bzw. es

ausschliesslich diese Leute waren, dache ich mir, ich

schliesse mich denen an. Wir gingen dann zu einer anderen

Verwandten oder Bekannten Tante, wo wir dann auch noch

was zu essen bekamen. Wir waren dort zu sechst: Karina,

ihre Eltern, irgend so ein Onkel, die Hausdame, deren

Verwandtengrad ich beim besten Willen nicht mehr

auswendig weiss wie die des Onkels, der wahrscheinlich gar

kein Onkel ist, zumindest nicht von Karina. Ausserdem war

auch ich noch anwesend. Es gab dann ein vorzügliches

Nachtessen. Etwas hat mir ganz ausserordentlich

geschmeckt, und wenn ich es noch wüsste, würde ich es

auch verraten. Es gab auf jeden Fall diverse Sorten von

Fleisch, Reis (evtl. Risotto), Gemüse (Spinat und so) und

dann eben noch diesen köstlichen Auflauf. Während dem

Essen kam dann irgendwann das Thema Religion auf. Der

Onkel, der wahrscheinlich keiner ist, jedoch Englisch spricht,

hat mich dann gefragt, welcher Sorte von Religion ich

angehöre. Als ich dann erwiderte, dass ich konfessionslos

sei, machte es den Anschein, als dass er wiederum, anstelle

von katholisch, fassungslos sei. Ich weiss auch nicht, ob er es

bis heute bereits verdaut hat, er machte einen ziemlich

verdutzten Eindruck! Aber wenn ich ihn jetzt angelogen

hätte, dann hätte er mich vielleicht um meine Meinung zu

gewissen Passagen aus der Bibel gefragt, und dann hätte ich

ihm auch keine besonders genauen Angaben darüber

machen können und mich in irgendetwas hineingesteigert!

In der Nähe des Esstisches stand schon den ganzen Abend

ein Tannenbaum und darunter waren allerhand Geschenke

hingelegt worden. Nach dem Essen tauchte dann

irgendwann der kleine Bengel wieder auf, der der

Hauptabnehmer der Geschenke werden sollte. Die

eingepackten Sachen wurden dann verteilt und es ging ein

fröhliches Rascheln los. Nicht dass jetzt jemand denkt, ich

hätte den andern nichts geschenkt! Ein paar einfallslose

Praline-Schachteln und sonstige zollfreie Schokoladen

nahmen den Weg auf sich und reisten mit mir von Zürich aus

bis nach Peru! Im Nachhinein ist es noch gut zu wissen, dass

ich all die Schweizer Schokolade auch in Lima am Flughafen

bekommen hätte. Karina bekam keine Schokolade von mir,

das hätte sie auch gar nicht nötig gehabt, sondern etwas

ganz originelles: Da sie mir dazumal im September in Lima

erzählt hatte, was ihre drei Lieblingsartikel seien, habe ich

mir etwas Besonderes einfallen lassen, was mit

Sonnenbrillen, Hautcremes und Schuhen zu tun hat.

Zumindest mit dem Hautcreme- und Duschlotion-Set mit

Mandel-Geschmack lag ich sicher nicht schlecht. Symbolisch

packte ich noch Baby-Spielzeug-Sandalen und eine ebenfalls

rosarote Spielzeug-Brille in den Creme-Karton! Ich fand’s auf

jeden Fall sauglatt und Karina hatte auch Freude daran. Von

Karina bekam ich ein weisses Poloshirt, ein grünes T-Shirt

mit asiatisch anmutendem Aufdruck und… ein paar weisse

Socken! Über die zwei Bekleidungsstücke für den

Oberkörper habe ich mich wirklich gefreut, die ziehe ich

auch heute noch fleissig an, aber ich habe bis heute noch

nicht herausgefunden, was ich mit den weissen Socken

machen soll! Aber sie nehmen ja nicht viel Platz weg in

meinem Kleiderschrank.

Ein Weilchen später kam dann noch die Nachbars-Familie zu

Besuch. Soweit ich das verstanden habe, waren sie auch in

irgendeiner Weise verwandt. Die Verwandtschaft hat mich

jedoch wenig gekümmert, vielmehr waren da noch zwei

junge, hübsche Mädels dabei! Die ältere von beiden hatte

offenbar auch schon ein, zwei Gläser Alkohol vernichtet, sie

war mehr am kichern als etwas anderes. Die jüngere hat

nach einer Weile angefangen, mich mit Fragen zu löchern.

Da war ich eigentlich froh drum, in erster Linie deswegen,

weil sie die Fragen in Englisch stellte! Wir hatten wirklich

eine interessante Unterhaltung, es ging vor allem über das

Page 10: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 10

Schulwesen, wie das dort so funktioniert und so. Sie hat mir

dann auch von ihrem einjährigen Englisch-Sprachaufenthalt

erzählt in Kalifornien, was sicherlich der Hauptgrund war für

ihre Englisch-Kenntnisse. Und vom Alter hatten wir es dann

halt auch noch. Sie hat mich ein paar Jahre jünger geschätzt,

als die 32, die ich bereits auf dem Tacho habe, und ich hätte

nicht gedacht, dass sie erst 16 war! Wir hatten aber sowieso

nicht mehr allzu viel Zeit zum plaudern, etwas später war

dann nämlich allgemeine Aufbruch-Stimmung. Wir

verabschiedeten uns, wünschten uns irgendwas schönes auf

Spanisch, der Onkel verfluchte mich wahrscheinlich

insgeheim und wir machten uns dann auf die Socken

(schwarz, in meinem Falle). Vater Karina chauffierte dann

seine Tochter und mich in seinem Pickup nach hause. Seine

Frau war aber nicht sonderlich begeistert von dieser Idee, da

er doch schon ziemlich Einen beieinander hatte. Aber was

wollte sie auch machen, schliesslich musste sie ihr eigenes

Auto auch irgendwie nach hause bringen. Zudem möchte ich

die Frage offen lassen, ob Karina’s Mutter in nüchternem

Zustand besser Auto fährt als ihr Vater, wenn er besoffen ist.

Zuhause angekommen und vom wundervollen Klang der

Weihnachtsdekoration willkommen geheissen, gingen wir

dann zu Bett. Soweit ich mich erinnern mag, wollte der

kleine… Engel noch eine Tiersendung schauen,

wahrscheinlich um mich absichtlich zu ärgern. Ich konnte

ihm dann beibringen, dass heute aus unerfindlichen

Gründen das DVD-Abspielgerät nicht funktioniere, dass

unglücklicherweise sämtliche DVD’s gestohlen wurden,

während wir weg waren und gerade akuter Strommangel

herrsche und deswegen davon abgeraten wird, den

Fernseher einzuschalten. Wie auch immer, ich war nicht

unglücklich, nach diesen Strapazen mich auf das eine Ohr zu

legen.

Am nächsten Tag dachte ich eigentlich, dass mich Karina

dann wecken wird, damit wir gemeinsam Morgenessen

können. Dem war aber nicht so. Ich bin dann irgendwann

aufgestanden, habe geduscht, etwas gegessen und habe

mich dann wieder hingelegt. Karina musste offenbar in der

Küche helfen, weil Besuch angesagt war. Irgendwann um die

Mittagszeit kam sie dann doch noch, klopfte an die Tür und

meinte, ich solle jetzt aufstehen, der Verwandten-Besuch sei

schon eingetroffen. Toll dachte ich mir, zum Glück bin ich ja

nicht hier und muss mich nicht schon wieder mit

Verwandten abgeben! Ich blieb dann erst einmal liegen und

hätte wohl fast lieber Tierfilme geschaut mit dem kleinen,

liebenswerten Zwerg, als dass ich raus gegangen wäre! Aber

ich hatte keine Wahl und habe mich nach einem Weilchen

daran gemacht, aufzustehen, mir ein Lächeln anzutrainieren

und habe mich anschliessend auf die Veranda begeben, wo

sich bereits schätzungsweise 1500 Leute aufhielten.

Vielleicht waren es auch nur 20, aber es reichte. Immerhin

war da wieder Patrizia, die Schwangere, die Englisch kann.

Es hatte zwar noch ein paar wenige andere, neue

Verwandte, die noch ein bisschen Englisch sprachen, aber

ich war sowieso nicht sonderlich scharf darauf, Smalltalk zu

praktizieren. Wenigstens hatte ich an diesem Tag Durchfall,

so hatte ich wenigstens einen Grund, um nicht allzu freudig

aus der Wäsche zu gucken. Und das Essen haute mich auch

nicht wirklich vom Sockel, da es wieder einmal Seviche gab,

dieses legendäre, peruanische Zitronen-Fisch-Gericht!

Immerhin schmeckte mir die Cola. Die anderen waren

tüchtig am Bier trinken und Papa Karina war wieder fleissig

am Whiskey kippen. Ich habe mich dann gegen den späteren

Abend auch überreden lassen, mein Cola mit Whiskey zu

verdünnen, um ein bisschen Abwechslung reinzubringen.

Karina hatte ich an diesem Tag übrigens jeweils nur kurz

gesehen, wenn sie aus der Küche kam, um Essen zu bringen

oder am abräumen war, ansonsten glänzte sie mit

Abwesenheit.

Als es schon dunkel war, gingen dann die letzten Besucher

auch noch nach hause, die lästigen Stechmücken jedoch sind

geblieben. Jetzt wären mir wiederum die Verwandten lieber

gewesen, als diese blöden Viecher, aber lassen wir das. Allzu

viel ist dann an diesem Abend nicht mehr vorgefallen. Wir

haben dann noch aufgeräumt und Karina wollte dann schon

bald schlafen gehen. Da sie sich die ganze Zeit so distanziert

verhalten hatte, habe ich sie dann gefragt, was der Grund sei

für ihr Benehmen. Da sagte sie mir, dass ihr ihre Mutter

verschwiegen hatte, dass ihre Grossmutter Krebs hätte und

nur noch ungefähr einen Monat zu leben hätte. Und

natürlich kam es noch besser: Ihre Eltern haben Karina quasi

ans Herz gelegt, dass sie über Neujahr auch wieder zu ihnen

käme, da es ja voraussichtlich eine der letzten

Gelegenheiten sei, um mit der Grossmutter zusammen zu

sein. Karina hat mir zwar gesagt, dass sie sich noch nicht

definitiv dafür entschieden hätte, aber ich sah ziemlich

dunkelschwarz für unsere Neujahrsfeier in Lima. Es war ja

ursprünglich geplant, dass wir am 26. Dezember wieder

nach Lima in ihre Wohnung gehen würden und ich am 3.

Januar wieder abreisen würde nach Buenos Aires. Na ja, mit

einem romantischen Zusammensein in Lima hatte ich

sowieso nicht mehr fest gerechnet, da Karina mir noch

beiläufig mitgeteilt hatte, dass Patrizia und deren Mutter ein

paar Tage bei ihr wohnen kommen würden. Damit habe ich

natürlich auch nicht gerechnet. Wir haben uns gute Nacht

gewünscht und ich habe noch ein bisschen versucht, zu

lesen. Wieder überkam mich ein ungutes Gefühl, dass die

Sterne nicht allzu gut stünden für ein schönes

Zusammensein mit Karina. Präventiv habe ich Raphael eine

SMS geschrieben und ihm die Situation geschildert, so quasi

als Vorwarnung, dass ich eventuell nicht erst am 3. Januar

wieder zu ihm kommen würde. Am frühen Morgen des

darauf folgenden Tages haben uns dann die Eltern von

Karina an den Flughafen gefahren, sie wurde von ihrer

Mutter gefahren und ich hatte die Ehre, vom Vater

chauffiert zu werden. Irgendwie fand ich es noch cool,

höchstpersönlich von ihm gefahren zu werden. Er war

wirklich ein sympathischer Zeitgenosse und ich hatte

zumindest das Gefühl, dass er mich auch ein bisschen

mochte.

Page 11: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 11

Als wir uns dann verabschiedet hatten von Karinas Eltern

und auf den Flieger gingen, war die Stimmung ziemlich weit

unter dem Nullpunkt. Dass sie aus unerfindlichen Gründen

zwei Sitzplätze mit Gang dazwischen gebucht hatte für uns,

machte die Sache auch nicht besser. Wir haben fast kein

Wort miteinander gesprochen während dem ganzen Flug,

was ja zwar an sich nichts Neues war. Auf halber Strecke

dachte ich, die Welt kann ja nicht so schlimm sein. Als

Aufheiterung habe ich ihr dann eine Zeichnung gezeigt, die

ich mir einmal zuhause gemacht habe, um mir die

Körperteile eines Menschen auf Spanisch zu merken. Es war

also ein „Mannsgöggel“ drauf mit Strichen, die zu den

Bezeichnungen führten – was meines Erachtens lustig

aussah – und immerhin konnte ich ihr damit ein kleines

Lächeln entlocken. Als wir dann in Lima im Taxi sassen, hat

sie mir mitgeteilt, dass sie jetzt definitiv über Neujahr

wieder zu ihren Eltern fliege und dass sie ausserdem nach

der Ankunft gleich wieder arbeiten gehen müsse. Da war ich

dann ziemlich am Ende. Wir gingen in ihre Wohnung und sie

machte sich parat, um ins Geschäft zu gehen. Das hiess jetzt

also, dass ich wieder verduften solle! Ich war traurig,

enttäuscht und hatte keine Ahnung, was ich jetzt machen

soll. Ich hatte mir zwar schon gedacht, dass ein gewisses

Risiko bestehe, falls ich sie besuchen gehe, dass nicht alles

so sein würde, wie ich es mir gewünscht hatte. Aber dass es

gleich so verschissen rauskommen würde… Und vor allem

hatte ich bis anhin noch nie eine Frau erlebt, die so eiskalt

war zu mir, als ob Gefühle ein Fremdwort wären für sie.

Jedenfalls hat sie mir dann alle Sachen gezeigt in der

Wohnung, damit ich mich alleine zurechtfinde, weil sie

anschliessend noch vor dem Mittag zur Arbeit musste. Dort

war halt alles ein bisschen anders als bei mir zuhause. Das

erste Mal benutze ich einen Gasherd, für die

Waschmaschine musste man zuerst einen Schalter betätigen

und für die Dusche gab es ebenfalls einen zentralen Schalter,

der eine halbe Stunde vor dem duschen eingeschaltet

werden musste, sofern man warmes Wasser bevorzugte.

Und die Adresse ihrer Wohnung hatte sie mir höflicherweise

auch noch aufgeschrieben und die Telefonnummer eines

„Secure“-Taxis. Die Adresse war aber nicht etwa wie bei uns

ein Strassenname und eine Nummer. Sie hatte einen

Notizzettel, etwa 10 x 10 cm gross, komplett vollgeschrieben

mit Strassennamen, Richtungen, benachbarten Hotels und

was es sonst noch so gab in der Nähe. Das gab mir natürlich

noch mehr Sicherheit, in einer Stadt zu sein, die mehr

Einwohner hat als die ganze Schweiz, wo ich überhaupt

keine Ahnung hatte, in welchem Teil der Stadt ich war und

wenn ich irgendwo hinwollte, nicht sicher sein konnte, ob

ich den Rückweg wieder finden würde. Und zudem hatte sie

noch drei Schlüssel zu drei Schlössern an der Tür mit einem

Riegel, wo wahrscheinlich die Gefahr bestand, dass wenn

man sie falsch schloss von aussen, man gar nicht mehr

reinkam. Zudem sagte mir Karina noch, dass falls jemand

klopfen würde, ich auf keinen Fall aufmachen dürfe. Das gibt

einem noch eine zusätzliche Portion Mut! Und dass mein

Spanisch so ziemlich für den A… war und es wohl nicht so

einfach sein wird, mich alleine durchzuschlagen, möchte ich

schon gar nicht erst erwähnen. Sie hat mir noch ihren PC

gestartet, der zum Glück einen Internet-Anschluss hatte.

Wie sich später herausstellte, funktionierte der Internet-

Zugang aber leider nicht und ich war gezwungen, in ein

Internet-Kaffee zu gehen, um mich zu informieren und Pläne

zu schmieden, was ich jetzt tun soll. Ich hatte nämlich zuvor

noch mit Raphael per SMS kommuniziert und ihn um Rat

gebeten, was ich tun solle, da er einiges mehr an Erfahrung

hatte im Reisen und sich in Peru auch schon ein wenig

besser auskannte als ich. Es wäre ja das Einfachste gewesen,

wenn ich einfach meinen Flug umgebucht hätte und wieder

nach Buenos Aires geflogen wäre. Aber dummerweise war

der gute Raphael zu diesem Zeitpunkt mit seiner Freundin in

Uruguay am Strand und kam erst in fünf Tagen wieder nach

Argentinien. Also musste ich sowieso ein paar Tage alleine

verbringen, ob ich nun wollte oder nicht. Er hatte mir

vorgeschlagen, ich solle doch nach Mancora reisen, das ist

ein touristischer Surf-Strand im Norden von Peru,

originellerweise ganz in der Nähe von Piura, wo ich gerade

herkam.

Ich wagte es dann also, die Wohnung zu verlassen und hielt

mich ganz genau an die Anweisungen von Karina, wie ich die

Tür zu verriegeln hätte. Soweit, so gut. Ich ging dann also

runter an die Strasse. Ich wusste, dass es gleich nebenan ein

Internet-Kaffee hatte. In der Zwischenzeit hatte ich nämlich

noch mit Karina telefoniert, weil der Internet-Zugang nicht

funktionierte und ich hoffte, sie könne mir helfen, die

Ursache dafür zu suchen. Das klingt zwar fast etwas irrwitzig,

dass sie mir als Informatiker helfen sollte! Zu meiner

Verteidigung muss ich aber sagen, dass ich ohne

Telefonsignal nicht viel ausrichten kann und ein spanisches

Windows etwas ungewohnt ist. Jedenfalls kam ich ja dann

trotzdem noch zum Internet-Genuss. Ich suchte zuerst

nähere Destinationen als Mancora, da dies immerhin eine

16 Stunden-Reise gewesen wäre per Bus. Ich habe mir

verschiedene Busverbindungen rausgeschrieben und

versuchte dann, wieder zurück in die Wohnung zu kommen.

Wer hätte das gedacht, ohne zu murren liessen sich die 27

Türschlösser wieder öffnen! Ich habe mir dann noch etwas

gekocht und gehofft, dass ich nicht die ganze Bude in die

Luft sprenge mit dem Gasherd, d.h. um die Bude wäre es mir

nicht schade gewesen, aber ich wollte eigentlich schon

zumindest einigermassen heil wieder nach hause kommen.

Etwa um 18:00 Uhr riegelte es dann an der Türe. Zum Glück

war ich vorgewarnt. Die Mitbewohnerin von Karina kam

nach hause. Sie war offenbar ebenfalls bereits im Bilde,

sonst hätte sie wahrscheinlich etwas dümmer

dreingeschaut, wenn sie mich so ohne Vorahnung in der

Küche ihrer Wohnung getroffen hätte! Das war dann

zumindest eine kleine Erleichterung, wieder einmal mit

jemandem reden zu können, ich fand mich ja schon ziemlich

einsam und verlassen, so im fernen Südamerika! Wir

unterhielten uns jedoch nur kurz, sie musste dann bald

schon wieder fortgehen. Immerhin war es schön, wieder

einmal etwas Gesellschaft gehabt zu haben und zudem hatte

Page 12: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 12

es noch einen tollen Nebeneffekt: Nachdem sie wieder

gegangen war (sie hiess übrigens auch Karina), hatte das

Internet wieder funktioniert! Offenbar hatte ein Telefonat

von ihr Wunder gewirkt, sodass der ADSL-Internet-Anschluss

auch wieder mit sich reden liess.

Es war irgendwann nach 21:00 Uhr, als „meine“ Karina

wieder nach hause kam. Sie hatte mir bereits zuvor gesagt,

dass wir auswärts essen gehen würden, aber nicht, dass wir

nicht alleine gehen würden. Für was hat man denn

Verwandte? Eine Wasauchimmer kam uns mit ihrer 19-

jährigen Tochter und ihrem Auto abholen und wir fuhren

dann zu einem japanischen Restaurant. Ich ass zwar noch

nie japanisch und ich mag mich auch nicht erinnern, ob ich

nach meiner Meinung gefragt wurde, aber ich bin ja

schliesslich immer für Neues zu haben, sofern einem die

Essvorrichtung nicht auseinanderfällt, weil es dermassen

scharf ist. Wer hätte das gedacht, das Essen war wirklich

saugut! Wir, bzw. Karina, hatten „Maggi“ bestellt! So habe

ich es zumindest verstanden, es seien jedenfalls keine Sushi

gewesen. Ich glaube, das war auf meiner bisherigen Reise

das absolute Highlight! Anschliessend machten wir dann

noch eine kleine Stadtrundfahrt und fuhren ein Stück weit

an der Küste von Lima entlang. Bei Nacht war das wirklich

noch ganz schön anzuschauen. Mit dem jungen Fräulein, die

im Auto ebenfalls auf der Rücksitzbank Platz nahm, habe ich

dann irgendwann angefangen, Französisch zu sprechen,

oder ich habe es zumindest versucht. Sie war aber auch

nicht viel besser als ich. Aber wenn das schon jemand

mitgemacht hat, früher einmal Französisch-Unterricht

genossen zu haben und dann anfängt, Spanisch zu lernen,

dann kommt das einfach nicht gut heraus! Da ich beim

Hinflug nach Buenos Aires mit Air France geflogen war,

versuchte ich natürlich auch, auf Französisch zu

kommunizieren mit den Flight Attendants. Aber ich hatte

dann, z.B. wenn ich „Ja“ sagen wollte, mit voller

Überzeugung „si“ gesagt. Egal, es war auf jeden Fall noch

witzig und unterhaltsam auf der Rücksitzbank. Irgendwann

sind wir dann noch den Sohn unserer Chauffeuse abholen

gegangen. Offenbar ging es ihm nicht so gut, sodass wir

dann eine Apotheke suchen gehen mussten. Was man da

nicht so alles erlebt, in der Schweiz ist mir das zumindest

noch nie so in der Reihenfolge passiert. Aber da hätte ich ja

auch noch ein paar andere Beispiele, die mir so in dieser Art

auch noch nicht untergekommen sind in meiner Herkunfts-

Region.

Als wir dann zuhause wieder abgeladen wurden und uns mit

den dort auf zwei dezimierten Küsschen verabschiedet

hatten, gingen wir wieder in Karinas Wohnung. Sie hatte mir

am Nachmittag, als ich ihr wegen dem Internet-Zugang

angerufen hatte, noch gesagt, dass sie abklären würde, ob

ich den Rückflug nach Buenos Aires verschieben könne. Da

sie bis anhin noch kein Wort darüber verloren hatte, dachte

ich, ich frage sie mal. Und prompt sagte sie mir, dass ich

meinen Flug vorverlegen könne auf den darauf folgenden

Tag auf 14:00 Uhr. Ich solle es mir noch überlegen über

Nacht, ob ich diesen Flug nehmen möchte. Da dachte ich

mir, toll, hättest du mir auch schon früher am Abend sagen

können! Aber was soll’s. Sie ist dann in ihr Zimmer schlafen

gegangen und ich bin dann noch ein bisschen surfen

gegangen und habe mir intensiv Gedanken darüber

gemacht, was ich nun tun soll. Sie hatte noch gesagt, dass

sie morgens um acht zur Arbeit muss und ich ihr vorher noch

sagen solle, ob ich den Flug umbuchen will oder nicht, damit

sie es dem Reisebüro in Cusco mitteilen könne. Als ich dann

im Gästezimmer auch schlafen ging, stellte ich den Wecker

auf 7:45 Uhr, damit ich ihr meinen Entscheid noch mitteilen

kann am Morgen.

Mein Mobiltelefon fing dann also früh morgens an, Lärm zu

machen, in der Absicht, mich zu wecken. Ich wurde dann

auch prompt wach, dachte aber, ich hätte ja keinen Stress

und liess mir bis um 7:55 Uhr Zeit. Als ich dann die

Zimmertür öffnete, war gähnende Leere in der Wohnung,

weder Karina 1 noch Karina 2 waren noch da! Das ist nicht

gerade ein erhebendes Gefühl, wenn man realisiert, dass

man nicht einmal verabschiedet werden will. Schliesslich

wäre es möglich gewesen, dass ich am selben Tag einen Bus

genommen hätte, um an den Strand zu fahren… Es kam

dann jedoch anders. Da ich Karina nicht mehr sagen konnte,

ob ich nun meinen Flug nach Buenos Aires am selben Tag

nehme oder nicht, dachte ich mir, ich versuch’s auf eigene

Faust beim Reisebüro. Also habe ich mich dran gemacht und

ein E-Mail verfasst, um danach zu fragten, welche Optionen

ich hätte, den Flug umzubuchen. Ich hätte mir gedacht, dass

es am optimalsten wäre, wenn ich am 30. oder 31.

Dezember hätte zurückfliegen können, da Raphael erst am

Silvester wieder zurückkäme. Das E-Mail habe ich dann trotz

allem auch an Karina geschickt. Nach mehr oder weniger

regem E-Mail- und Telefon-Verkehr mit dem Reisebüro habe

ich dann um ca. 11:30 Uhr einen Anruf von der lieben

Veronika bekommen, dass ich meinen Flug um 14:00 Uhr

habe und ich solle doch bitte drei Stunden vor Abflug am

Flughafen sein. Nach ein paar Mal verdutzt nachfragen, ob

sie das ernst meine, habe ich die Nachricht dann zur

Kenntnis genommen. Im Nachhinein habe ich erfahren, dass

Karina parallel mit dem Reisebüro Kontakt aufgenommen

hatte und mir die E-Mails jeweils an meine Geschäfts-E-

Mailadresse geschickt hatte, welche ich natürlich nicht

abgerufen habe zu diesem Zeitpunkt. Eigentlich ist das nicht

gerade ein tolles Gefühl, wenn man merkt, dass sie beim

Reisebüro nicht auf deine Wünsche eingehen, sondern sich

von jemand anderem etwas aufschwatzen lassen.

Wenigstens war es ja erst kurz nach 11:30 Uhr, um 14:00

Uhr war der Flug, ich hatte noch kein Ticket und sollte erst

drei Stunden vor Abflug am Flughafen sein. Das habe ich

zwar mehr oder weniger zuvor schon erwähnt, aber ich

schreibe es hier nur nochmals hin, um den steigenden

Stressfaktor zu verdeutlichen. Einmal mehr war das Problem

auch, dass ich die Umbuchung noch hätte berappen müssen

vor Abflug. Das Bezahlen per Kreditkarte wurde in der

Zwischenzeit allerdings noch nicht eingeführt in diesem

ominösen Reisebüro. Karina hat mich dann angerufen und

Page 13: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 13

mir gesagt, dass sie mir ein Taxi bestelle, wir uns dann am

Flughafen treffen würden, sie die Umbuchung bezahle und

ich ihr das Geld dann in bar gebe. Ich mag mich noch

erinnern, dass sie mir versucht hatte beizubringen, dass wir

uns kurz nach zwölf Uhr am Flughafen treffen sollen. Da

meine Spanisch-Kenntnisse noch immer nicht auf einem

besonders hohen Level anzusiedeln waren, wurde ich noch

vollends verwirrt. Sie hatte irgendetwas von „doce“ erzählt,

was mir noch nicht so geläufig war und ich als „dos“

interpretierte. Und da um „dos“ Uhr mein Flug abfliegen

würde, sagte ich ihr, dass das eventuell etwas knapp

bemessen sei, sich dann zu treffen. Nach etwa fünfmaligem

wiederholen ihrerseits habe ich es dann auch begriffen. Das

Flugticket, so wurde mir versprochen, werde mir

unverzüglich per E-Mail zugesandt. So weit, so schlecht.

Nachdem ich meine Sachen im Eiltempo gepackt hatte, der

Taxi-Chauffeur ein paar Mal geklingelt hatte und dann alles

schön verladen war, liess ich mich durch das Chaos von Lima

fahren, hatte keine Ahnung, wie weit es bis zum Flughafen

war und fragte mich, welche Überraschung wohl als

nächstes auf mich zukommen würde. Nach einer netten

Unterhaltung mit dem Taxifahrer (soweit ich mich erinnern

mag, ging’s um die Unterschiede von Europäischem und

Südamerikanischem Fussball), erreichten wir den Flughafen

etwa nach 20 Minuten. Ich bin dann schleunigst in den

McDonalds gelaufen, nicht etwa, weil ich Hunger hatte (das

hätte mich zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht interessiert),

sondern weil ich mit Karina vereinbart hatte, dass wir uns

dort treffen würden. Sie war jedoch noch nicht dort und ich

ging dann ins nächste Internet-Kaffee, um mein Flugticket

auszudrucken. Selbstverständlich war mein Posteingang

leer. Ich habe mir dann gedacht, ich könne zur Abwechslung

wieder einmal mit der Dame vom Reisebüro plaudern und

habe sie angerufen. Das Ticket werde mir jeden Moment

gesendet, hiess es. Nach etwa 15 Minuten kam es dann auch

prompt hereingeflattert und ich habe es triumphierend

ausgedruckt. Nachdem ich dann beim Schalter eingecheckt

hatte – es war vielleicht so um 13:15 Uhr – machte ich einen

erneuten Besuch bei McDonalds. Irgendwann habe ich dann

Karina auch gefunden und sie war natürlich nicht alleine

gekommen, ihre Verwandte mit der 19-jährigen Tochter

hatte sie offenbar zum Flughafen gefahren. Wir haben dann

noch etwas Kleines gegessen und wahrscheinlich noch

irgendwas Belangloses geplaudert. Nach ein paar

Aufforderungen, dass die Passagiere für den Flug nach

Buenos Aires sich bitte zum Gate begeben sollen, habe ich

mich dann formell verabschiedet und habe Lima hinter mir

gelassen… oder zumindest fast! Ich bin dann in der Schlange

vor den Schaltern für die Flughafen-Taxe hängengeblieben.

Die Dame vor mir habe ich nach einem Weilchen gebeten,

ob sie mich nicht vorlassen möge. Als die Leute um mich

herum dann bemerkt hatten, dass ich es etwas eilig hätte,

durfte ich mich vordrängen. Wie es halt so ist, bin ich

anschliessend noch am Zoll vorbeigekommen und wurde

erfreulicherweise durchgewunken. Ich bin dann

schnurstracks in Richtung Gate gerannt… bis ich gemerkt

habe, dass dies der falsche Weg ist! Also habe ich gewendet,

habe den Weg zum richtigen Flugzeug noch gefunden und

hatte die Ehre, als letzter Passagier an Bord zu gehen.

Halbwegs – den Umständen entsprechend – erleichtert habe

ich mich an meinen zugeteilten Sitzplatz begeben. Der erste

Gedanke dort war, dass ich Raphael eine SMS schreiben

könnte, um ihn aufzuklären, was der aktuelle Stand meiner

Reisepläne sei. Also kramte ich mein Mobiltelefon hervor.

Zumindest hätte ich das gemacht, wenn ich es gefunden

hätte. Innert nützlicher Frist wurde mir dann klar, dass ich

mein liebes Handy wohl beim Zoll vergessen hatte! Also ging

ich nach vorne, sagte dem Pilot, er könne die Triebwerke

nochmals abstellen, ging zum Flugpersonal und habe

freundlich gefragt, ob ich wohl nochmals aussteigen dürfe

wegen den gegebenen Umständen. Mir wurde dann gesagt,

ich dürfe das gerne machen, solle aber gefälligst pressieren.

Also bin ich hinausgerannt! Zum Glück war der Zoll auch

nicht allzu weit weg und mir wurde mein Mobiltelefon dann

auch anstandslos ausgehändigt. Dieses Mal hatte ich

allerdings keine Zeit, dem Kontrolleur am Zoll einen Vorwurf

zu machen, es sei allein seine Schuld gewesen, dass ich das

Telefon vergessen hatte, weil er es bei der Abfertigung in ein

separates Kistchen gesteckt hatte. Nach einem kurzen

Zwischenspurt war ich dann auch schon wieder im Inneren

des Flugzeuges angelangt, habe es mir im Sessel, soweit es

ging, bequem gemacht, und begonnen, eine SMS an Raphi

zu schreiben…

Auf dem Rückflug wurde dann zur Feier des Tages immerhin

ein guter Film abgespielt, nämlich „Ratatouille“! Zumindest

sei dieser Film vom hören sagen sehr unterhaltsam. Das

Dumme war nur, dass mein Kopfhörer-Anschluss defekt war.

Aber es ist ja auch schön, wieder einmal einen Stummfilm zu

geniessen. Allerdings ist das schauen eines Filmes, der nicht

als Stummfilm produziert wurde, nicht wirklich das gelbe

vom Ei.

In Buenos Aires angekommen, habe ich in der Kolonne vor

den Immigrations die erstbeste hübsche Lady auf Spanisch

angequatscht, ob sie sich vielleicht ein bisschen auskenne

hier. Ziemlich schnell wurde dann klar, dass sie Schwedin

war und auch Deutsch sprach. Na ja, so werde ich das

Spanische wahrscheinlich nie lernen… Jedenfalls kannte sie

meine Destination „Pinamar“ nicht wirklich. Dieser Strandort

wurde mir nämlich von Karina empfohlen und da ich keine

Zeit mehr hatte, mich auf meine weitere Reise

vorzubereiten, habe ich beschlossen, dorthin zu gehen. Nun

dachte ich also, ich frage einfach beim Taxi-Schalter, was

wohl eine Fahrt dorthin kosten würde. $ 200.- war die

prompte Antwort von der Frau im Kabäuschen. Eigentlich

wäre das auch nicht mehr drauf angekommen, aber ich

dachte mir, ich nehme wohl doch lieber den Bus, zumal

dieser dort spottbillig ist und etwa schlappe 1.35 Pesos

kostet um in die Stadt zu gelangen, also grob geschätzt 40

Cents. Als mir dann gesagt wurde, dass keine Linienbusse

mehr fahren, dachte ich mir, das wird wohl so sein, es war

schliesslich auch schon nach 22:00 Uhr. Bei einem privaten

Page 14: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 14

Anbieter für Busfahrten wurde ich dann fündig und habe

dort ein Ticket für schlappe $ 10.- gekauft und musste dann

eine halbe Stunde auf den Bus warten. Kurz, nachdem ich

eben dieses Billett gekauft hatte, habe ich gesehen, wie in

der Nähe ein Linienbus vorbeifuhr, der mich direkt in die City

gebracht hätte. Aber was soll’s, wieso sollte man sich

darüber aufregen.

Irgendwann kam dann mein teuer bezahlter Bus angefahren,

bin eingestiegen und liess mich erneut überraschen, was

mich wohl als nächstes erwarten würde. Endstation war

dann Buenos Aires Downtown. Als nächstes musste ich mir

Gedanken machen, wo ich die Nacht verbringen würde.

Raphael hat mir per SMS Hilfe angeboten beim Suchen eines

Hostels via Internet, er wurde jedoch, wie sich herausstellen

sollte, nicht fündig. Ich ging dann mal auf eigene Faust auf

die Suche nach einer Übernachtungsgelegeneheit. Als ich

das erste Dreistern-Hotel sah, ging ich gleich rein, lange

fackeln wollte ich eigentlich sowieso nicht, da ich ziemlich

geschafft war von den Strapazen meiner etwas

ungewöhnlichen Reise. Der Preis für eine Nacht wurde dann

mit 120 Pesos angegebenen, was etwa $ 40.- entsprach. Ich

habe mich dann bedankt und verdünnisierte mich wieder,

weil ich dachte, etwas Günstigeres müsste doch schon noch

aufzutreiben sein. Ich bin dann also noch ein Weilchen im

selben Viertel herumgeirrt, habe darauf geachtet, dass ich

keinem Dieb oder so begegne und habe dann ein weiteres

Hotel betreten. Der nicht mehr ganz junge Herr an der

Rezeption teilte mir dann mit, dass eine Nacht 73 Pesos

koste. Ich habe mich zwar schon gefragt, dass das eine

etwas seltsame Zahl sei, aber ich habe nicht weiter darüber

nachgedacht und das Zimmer genommen. Das Hotel sah

zwar ziemlich heruntergekommen aus und ich fragte mich,

was mich da wohl erwarten würde. Ich war dann aber

positiv überrascht, als ich ein sauberes Zimmer mit TV und

modernem Bad vorfand. Allzu viel habe ich an diesem Abend

nicht mehr unternommen. Ein kleiner Ausflug zum nächsten

Bankomat war noch das spektakulärste, ich bin danach aber

ziemlich bald einmal ins Bett gegangen.

Badezimmer vom Hotel in Buenos Aires

Am darauf folgenden Tag war dann zuerst Bezahlen

angesagt. An der Rezeption sagte mir der Mann dann, dass

die Übernachtung 130 Pesos koste. Soviel zum Thema „Wie

gut ich Spanisch kann“. Ich hatte mich also am Vorabend

komplett verhört, als es um die Schlafgebühren ging.

Darüber habe ich mich dann jedoch nicht sonderlich

aufgeregt, der Mehrpreis von 10 Pesos zum anderen

befragten Hotel war zu verkraften. Der Mann hinter der

Theke hat mir dann noch ein paar Tipps gegeben, wie ich

zum Busbahnhof komme, wo meine Reise dann weitergehen

sollte. Ich habe mich dankend verabschiedet und bin dann

zuerst einmal in die falsche Richtung gelaufen. Als ich dann

misstrauisch wurde, habe ich einen Passanten angehauen,

wo’s hier zum Retiro gehe (Das war in etwa der Name des

Busbahnhofes und lässt sich auch schneller schreiben als das

Wort „Busbahnhof“. Wenn ich es mir recht überlege, ist

Busbahnhof ja sowieso das falsche Wort dafür, wennschon

müsste es Bushof heissen, Züge fahren dort nämlich keine,

aber sei’s drum). Nachdem ich dann während dem weiteren

Herumirren etwa die zehnte Person befragt hatte, wohin ich

spazieren soll, damit ich am richtigen Ort ankomme, habe

ich dann den Retiro tatsächlich gefunden. Ich war zuvor

noch beim Bahnhof in der Schlange vor dem einzigen

Schalter angestanden, weil ich gedacht hatte, ich sei am

richtigen Ort. Zum Glück besann ich mich aber eines

Besseren, sodass ich nicht unnötig die Zeit mit Anstehen

verbringen musste, schliesslich gab es schon genug unnötige

„Sachen“ während meiner Reise. Also habe ich dann am

richtigen Ort nach einem Ticket nach Pinamar Ausschau

gehalten. Es war morgens um elf oder so, die nächste Fahrt

war immerhin am selben Tag um 15:00 Uhr und der Preis

von 64 Pesos liess sich auch noch verkraften im Gegensatz

zu den $ 200.- mit dem Taxi vom Flughafen aus. Dass ich am

selben Tag einen Bus hatte, war gar nicht so

selbstverständlich, da ja Hochsaison war und Raphael mir

gesagt hatte, dass ich von Glück reden könne, wenn ich am

selben Tag noch weiterreisen könne. Lange Rede, nicht viel

Sinn, bin ich dann also zuerst einmal etwas frühstücken

gegangen am Bus-Terminal. Dort habe ich eine neuartige

Entdeckung gemacht, die ich im alltäglichen Leben aber

nicht wirklich vermisse. Da ich ja kein Kaffeetrinker bin, hat

man es nicht immer so einfach, eine alternative, trinkbare

heisse Schokolade zu bekommen. Auf jeden Fall wurde mir

u.a. ein Glas Milch mit einem eingepackten Schokolade-

Stängel aufgetischt. Es hiess, ich müsse den Stängel einfach

in der Milch zergehen lassen, dann hätte ich meine

gewünschte heisse Schokolade. Das Resultat war dann

jedoch alles andere als überzeugend. Deshalb würde es mir

auch nie in den Sinn kommen, das zuhause nachzuahmen.

Zum Glück gibt es bei uns ja geniessbares Schokoladen-

Pulver zu kaufen!

Nach meinem mehr oder weniger überzeugenden Frühstück

ging ich dann noch in ein Internet-Kaffee, wo ich dann nur

Internet, aber ohne Kaffee bestellte. Dort wollte ich

Ausschau halten nach einem Hotel in Pinamar. Ich habe mir

dann eine ganze A4-Seite mit Telefonnummern

Page 15: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 15

abgeschrieben, weil es dort keinen Drucker gab. Wenigstens

war der Junge an der Kasse so ehrlich und hat mir gesagt,

dass der Internet-Zugang in Internet-Kaffees ausserhalb des

Terminals wesentlich billiger sei. Und wahrscheinlich hätte

man dort auch ausdrucken können, aber sei’s drum. Ich

habe dann ein paar Telefonate gemacht und mich nach

Übernachtungsgelegenheiten erkundigt mit meinem

dürftigen Spanisch. Wahllos viele E-Mails an Hotels habe ich

dann auch noch verschickt, um ein möglichst grosses

Feedback zu erhalten. Ich hatte ja keine Ahnung, ob ich

überhaupt was finden würde. Wenn ich es genau nehme,

hatte ich zwar eigentlich keine Angst, dass ich nichts finde,

sondern vielmehr, dass ich nichts Günstiges finden würde!

Nicht, dass es noch gross darauf angekommen wäre… Als ich

dann im Bus sass, war ich ein bisschen erleichtert, dass eine

weitere Hürde geschafft war.

Abverrecktes Foto von der Ortstafel

Nach knappen fünf Stunden Fahrt – kein Wunder, wäre das

Taxi dorthin so teuer gewesen – bin ich dann also in Pinamar

angekommen. Selbstverständlich ging ich dann dort

wiederum ins Internet, um zu schauen, was für interessante

Antworten ich auf meine Kontakt-Anfragen erhalten habe

und um ein bisschen mit Hotel-Angestellten zu plaudern. Ich

habe dann das mehr oder weniger erstbeste Hotel

genommen, obwohl es nur für zwei anstelle drei Nächte ein

Zimmer anbieten konnte. Da ich nicht sonderlich viel Lust

verspürte, mit meinem grossen Rucksack und meinem Koffer

ein paar Kilometer bei sonnigem Sonnenschein zu spazieren,

habe ich mir ein Taxi genehmigt. Nachdem der Mann an der

Hotelrezeption mit ein paar Französischen Anekdoten

versucht hatte, eine gute Atmosphäre herbeizuzaubern,

musste ich dann eingestehen, dass das Hotelzimmer ganz

ordentlich hübsch war. Da es jedoch auch teurer war, als das

der Vornacht, ging das in Ordnung. Dass mir der Herr des

Hauses dann noch erklärt hatte, wie die Klimaanlage

funktioniert, wäre nicht unbedingt nötig gewesen.

Hotelzimmer in Pinamar mit Ventilator

Etwas später, so gegen 19:00 Uhr, machte ich mich dann auf

die Suche nach Essbarem. Vom Herr Oberrezeptionisten

wurde mir dann freundlicherweise der Weg ins Dorf-

Zentrum erklärt und ich machte mich auf den Weg. Das

Hotel zwar nur ein paar hundert Schritte vom Stand entfernt

und es hat mir dort wirklich gut gefallen. Ein Fischer-Steg lud

zum fischen ein. Da ich aber noch nie gefischt hatte, keine

Angelrute dabei hatte und sowieso keine Lust auf Fischen

hatte, ging ich weiter. Als ich nicht mehr ganz sicher war, ob

ich noch auf dem richtigen Weg war, habe ich zwei hübsche,

junge Mädels gefragt, ob ich da richtig sei.

Selbstverständlich war ich zu weit gelaufen, das störte mich

aber in Anbetracht der Umstände nicht sonderlich. Sie

haben mir dann weitergeholfen und nach einem kurzen

Schwatz ging’s dann weiter. Kurz darauf kam ich an einem

schönen, etwas von der Hauptstrasse entfernten

Gartenrestaurant vorbei, das ziemlich einladend aussah. Da

es ziemlich gut besetzt war, habe ich mich an den einzigen

freien Tisch gesetzt, der allerdings auch ziemlich abgelegen

war. Nach einem Weilchen hatte sich dann auch eine

Serviertochter zu mir getraut. Ich versuchte ihr dann etwa

eine Minute lang zu erklären, dass ich gerne etwas zu Essen

hätte, aber irgendwie hat die Kommunikation nicht so gut

funktioniert. Wer käme schon darauf, in einem Restaurant

etwas zu essen. Aber im Nachhinein denke ich, sie wollte mir

erklären, dass es noch zu früh sei, um zu essen oder dass

man nur drinnen essen könne. Dieses Rätsel habe ich

allerdings bis heute noch nicht lösen können. Ich wurde

dann hineinzitiert und es wurde mir gesagt, dass sich diese

und diese Person um einen Sitzplatz kümmern würde. Das

Kümmern wurde dann irgendwie diverse Male

weiterdelegiert. Es herrschte gerade Hochbetrieb und das

Servierpersonal von schätzungsweise 15 Personen machte

einen ziemlich beschäftigten Eindruck. Nachdem ich dann

nach einer ungefähr zehnminütigen, hausinternen Wartezeit

noch keine konkreten Anzeichen auf einen Sitzplatz

erkennen konnte, ging ich dann halt wieder. Offenbar war

acht Uhr wirklich noch etwas früh um zu Essen. In einer

Page 16: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 16

Pizzeria konnte ich dann auch prompt meinen Sitzplatz

auswählen, weil ich der erste war an diesem Abend.

Irgendwann war ich dann auch fertig mit meiner Pizza

Hawaii, bei mir dauert es jeweils ein bisschen… aber ich

hatte ja Zeit. Später ging ich dann noch in ein Internet-

Kaffee. Neben der vielen Post mit Hotelzimmer-Angeboten

fand ich auch eine Nachricht von meiner lieben Karina. Sie

schrieb darin so ungefähr, dass sie momentan gerade im

Stress sei, wenn sie dann aber wieder einmal mehr Zeit

habe, schreibe sie dann ausführlicher. Allzu viel mehr stand

da nicht mehr drauf, ausser vielleicht, dass sie mich

vermisse… Wie bitte??? Soll’s geben, kann vorkommen…

Etwas später schlenderte ich dann noch den Lokalen entlang

und dachte mir, einen „Schlummi“ kann ich mir ja noch

genehmigen auf den Schreck, obwohl ich relativ müde war.

Ich ging dann also in eine Bar, wo ich freudig empfangen

wurde und auch schneller bedient wurde, als auch schon.

Etwas schade war nur, dass hinter dem Tresen nur lauter

Männer herumstanden, aber ich hab’s dann nicht so eng

gesehen. Die Jungs haben sich ordentlich ins Zeug gelegt und

sich mit mir unterhalten. Nicht dass jetzt jemand denkt, das

sei eine Schwulen-Bar gewesen. Im Nachhinein bin ich mir

zwar nicht 100%-ig sicher, aber das spielt ja keine Rolle.

Einer von ihnen konnte wenigstens gut Englisch sprechen,

das war schon mal ein grosses Plus! Es waren offenbar

vorwiegend Surfer-Jungs und andere Lebenskünstler dort an

der Bar. Sie haben zu meiner Enttäuschung gesagt, dass es

hier nicht wirklich geeignet sei, surfen zu gehen. Eigentlich

bin ich ja u.a. deswegen hierher gekommen, aber was

soll’s…

Je später es wurde, desto deplazierter kam ich mir vor. Die

Leute um mich herum waren vorwiegend schön gekleidet

und ich sass da in den Badehosen, T-Shirt, Badelatschen und

meinem selbstgebastelten Jeans-Sack aus der vierten

Primarschule. Nach ein paar Drinks habe ich mich dann also

entschieden, die Szene zu verlassen. Ein „See you

tomorrow“ liess darauf schliessen, dass sie mich morgen

wieder an der Bar erwarteten. Ich latschte dann also ins

Hotel zurück und habe mich nicht einmal verlaufen. Ich ging

dann direkt schlafen. Der Ventilator an der Decke kämpfte

wie ein Grosser, hatte aber leider einen verschwindend

geringen Einfluss auf die Affenhitze, die im Zimmer

herrschte. Zum Glück hat mir ja der Herr vom Hotel erklärt,

wie die Klimaanlage funktioniert. Also habe ich das Ding

eingeschaltet und siehe da, nach ein paar Manipulationen

an den Knöpfen hat sie friedlich kalten Wind von sich

gegeben. So liess es sich schon eher aushalten in dieser

Sauna!

Der Pinamar-Mond vom Hotel aus

Es war dann immer noch Morgen, als ich mich daran

machte, meine Augen zu öffnen. Das Klima wäre ja

inzwischen angenehm gewesen, das Dumme war nur: Die

Klimaanlage hatte mir die ganze Nacht direkt ins Gesicht

geblasen! Mein Organismus hat das dann nicht so freudig

über sich ergehen lassen und die Retour-Kutsche kam dann

auch prompt mit einer gehörigen Portion Erkältung, in erster

Linie aber in Form von Fieber. Ich hatte zwar keinen

Fiebermesser bei mir, aber das kann man ja als Laie in etwa

abschätzen, wenn die Stirn-Temperatur vom Gefühl her

etwa dreimal so hoch ist wie die Umgebungstemperatur! Ist

vielleicht etwas übertrieben, aber höher war meine

Körpertemperatur auf jeden Fall. Einverstanden, das wäre

sonst auch nicht so günstig gewesen, bei geschätzten 25 °C!

Jedenfalls blieb ich dann vorerst einmal im Bett, habe ein

bisschen an meinen Snickers geknabbert zum Morgenessen

und habe mich dann nach ein paar Stunden grauenhaft

interessantem Fernseh-Programm dazu aufgerafft, in die

Stadt zu gehen und mir ein Bus-Ticket für die Rückfahrt nach

Buenos Aires zu kaufen für den Tag darauf. Eigentlich hätte

ich ja zwar drei Nächte bleiben wollen in Pinamar, um dann

am 31. Dezember wieder zurückzukehren in die grosse

Stadt. Aber ich dachte mir, da ich sowieso vorerst nur zwei

Nächte im selben Hotelzimmer übernachten darf und krank

am Strand rumzuwatscheln eh nicht so mein Ding ist, könnte

ich gerade so gut einen Tag früher zurückfahren, um noch

ein bisschen Buenos Aires zu begutachten. Ich bin dann also

wie eine tote Fliege ins Stadt-Zentrum spaziert und habe

mich zum Schalter eines Busreise-Unternehmens begeben.

Dort kaufte ich mir dann ein Ticket für den darauf folgenden

Tag um 15:00 Uhr und bin dann mit gleichem Totheitsgrad

zurückgezottelt. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich

dann noch das Kinoprogramm studiert, welches nicht viel

besser als das Fernsehprogramm aussah und bin dann noch

in einem Kaffee ein Sandwich essen gegangen. Danach ging’s

wieder zurück in mein temporäres Zuhause. Das

Unterhaltungs-Programm im Fernsehen war auch zu dieser

Tageszeit nicht viel besser. Irgendwann ist mir dann in den

Page 17: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 17

Sinn gekommen, dass ich die Abreisezeit nicht viel

bescheuerter hätte wählen können. Üblicherweise muss

man ja vormittags auschecken im Hotel und dann den

halben Tag das Gepäck mit mir herumzuschleppen war nicht

gerade eine besonders freudige Vorstellung. Also ging ich so

gegen 19:00 Uhr an der Hotel-Rezeption fragen, ob ich hier

irgendwo telefonieren könne, um den Bus umzubuchen. Der

Herr des Hauses teilte mir dann mit, dass es gleich neben

dem Hotel ein Internet-Kaffee mit Telefonapparaten gäbe.

Toll, hätte er mir auch früher sagen können, dann hätte ich

am Vortag nicht so weit latschen müssen für das liebe

Internet! Aber schliesslich habe ich ja auch nicht danach

gefragt. Sei’s drum, ich bin dann also dort rüber gegangen

und habe mir eine Telefonzelle zuweisen lassen. Nach

vergeblichem Anruf-Versuch fragte ich dann mal nach, wie

ich die Nummer korrekt einstellen müsse, im Ausland ist das

halt überall etwas anders. Mir ist es zumindest so

vorgekommen, vielleicht war ich aber einfach nur zu

beknackt dafür. Das korrekte Eintippen der Ziffern hat dann

aber auch nichts gebracht, es war niemand zuhause. Also

dachte ich mir, ich stehe am Morgen genug früh auf, damit

ich etwa um 9:30 am Busbahnhof bin und dort den Bus

vielleicht vor Ort auf den früheren Soweit-Ich-Mich-

Erinnern-Mag-Zehn-Uhr-Bus umbuchen kann. Ich habe mich

dann wieder zurück zum Hotel begeben und dachte mir, ich

könnte dort ja was zu Abend essen. Auf der Speisekarte gab

es eine erstaunlich grosse Auswahl an Speisen. Allerdings ist

diese erfahrungsgemäss mit Vorsicht zu geniessen. Spaghetti

oder allgemein Pasta haben sie auf diesem Kontinent leider

nicht oder zumindest falsch den Italienern abgeschaut. Aber

die Ravioli, so dachte ich mir, kann ich ja trotzdem mal

probieren. Beim Bestellen fragte mich der Kellner, ob ich

dazu noch eine Sauce möchte. Ähh, bei uns bekommt man

die umsonst, aber ich habe mich dann für Bolognese

entschieden. Das Sprite schmeckte dann den Umständen

entsprechend vorzüglich, die Ravioli waren aber nicht so der

Hammer, da sind die 2-Franken-Ravioli von der Migros

geradezu eine Delikatesse dagegen! Egal, ich hatte wieder

mal was halbwegs Schlaues im Magen und ging wieder einen

Stock höher. Dort habe ich dann schon mal meine sieben bis

acht Sachen wieder gepackt, da ich am nächsten Morgen

nicht zu viel Zeit damit verlieren wollte.

Am nächsten Tag war der Hausherr etwas verwundert, als

ich nach dem Auschecken direkt ein Taxi haben wollte. Er

meinte, ich solle doch noch frühstücken, aber ich lehnte

dankend ab. Einerseits war ich ja ein bisschen im Stress und

andererseits war ich dort schon mal Frühstücken. Um 9:30

Uhr beim Busbahnhof angekommen, ging ich direkt an den

Schalter der Firma, bei der ich mein Ticket gelöst hatte. Dort

bemühte ich mich zu fragen, ob es möglich wäre, dass ich

den Bus umbuchen könne auf einen früheren Bus, der nicht

erst am Nachmittag fährt. Die trockene Antwort kam dann

prompt, dass es keinen früheren Bus gäbe. Offenbar hatte

ich das etwas falsch in Erinnerung und der Morgen-Bus ist

bereits um acht Uhr gefahren! Pech gewesen, dachte ich. Es

war mir jedoch zu blöd, noch viereinhalb Stunden zu warten

auf meine Weiterreise und ich dachte mir, ich frag doch

einfach bei einer anderen Gesellschaft nach, ob es einen Bus

gibt, der früher fährt. Etwa beim dritten Anlauf wurde mir

gesagt, dass sie einen Bus hätten, der in ein paar Minuten

fahre. Also habe ich kurzerhand ein neues Ticket gekauft

und das andere in den Wind geschrieben. Auf die $ 20.- kam

es auch nicht mehr drauf an.

Ein paar Stunden später war ich dann wieder zurück in der

grossen Stadt am Rio de la Plata. Raphael hat mir gesagt, ich

solle doch ein Hostel suchen, welches möglichst nahe bei

seinem Appartement liege. Er hatte mir die beiden

Strassennamen angegeben, die sich dort kreuzen. Ich ging

dann also erst mal einen Buschauffeur fragen, ob er wisse,

welche Linie dorthin fahre. Der hat es aber nicht gewusst

und ich habe einen zweiten gefragt. Der konnte mir auch

nicht weiterhelfen und sagte mir, ich solle doch einen

Taxichauffeur fragen. Ich habe dann keinen Taxichauffeur

gefragt, schliesslich wollte ich ja mit einem günstigen Bus

und nicht mit einem Taxi dorthin fahren. Also dachte ich mir,

ich frage beim allwissenden Internet nach. Also fing ich an,

nach einem Internet-Kaffee zu fragen. Das ging dann

ordentlich schneller, darauf eine hilfreiche Antwort zu

erhalten. Dort habe ich mich dann also auf die Suche nach

dem Busfahrplan von Buenos Aires gemacht. Irgendwie kam

dann das Gefühl auf, dass die dort nicht ganz so

fortschrittlich sind wie z.B. wir hier in der Schweiz. Ich habe

zwar eine Art Busfahrplan bzw. eine Karte gefunden, aber

die Internetseite hatte sich andauernd „aufgehängt“ und

wollte mit der Info einfach nicht rausrücken! Nach über 45

Minuten vergeblichen Suchens fragte mich dann die Dame

am Schalter, ob sie mir helfen könne. Selbstverständlich,

antwortete sie mir… oder dachte ich mir zumindest, dass sie

das sagte, mein Spanisch war ja noch nicht wirklich besser

geworden in der Zwischenzeit. Ich habe ihr dann meine

Quiz-Frage gestellt, sie hat einen Stadt-Plan gezückt und

innerhalb von maximal 45 Sekunden konnte sie mir sagen,

wo die Kreuzung liegt und in welchen Bus ich einsteigen soll.

Wenn ich das nächste Mal in der Gegend dort in den Ferien

bin, erkundige ich mich also zuerst bei einer Internet-Kaffee-

Beamtin, das aber nur so nebenbei. Ich bedankte mich und

ging den Bus suchen. Nach einem Weilchen habe ich ihn

auch gefunden, stieg ein und fragte den Fahrer, ob er an

diese und diese Strasse fahre. Er sagte Nein. Bevor ich etwas

erwidern konnte, überlegte er es sich nochmals und meinte,

doch, er fahre dort in der Nähe vorbei, es seien ein bis zwei

Stationen. Also blieb ich erleichtert stehen und prompt gab

er mir vor dem zweiten Stopp die Anweisung, ich könne jetzt

aussteigen, meine Destination sei hier ganz in der Nähe.

Zumindest habe ich sein Geschwafel so interpretiert. Ich

stand dann also wieder auf der Strasse und quatschte

Passanten an, um nach dem Weg zu fragen. Nach ein paar

Minuten Fussmarsch habe ich diese Kreuzung dann

tatsächlich gefunden, wer hätte das gedacht! Im Nachhinein

ist es so, dass ich vom Busbahnhof aus zu Fuss

wahrscheinlich in zehn Minuten dort gewesen wäre, wenn

ich gewusst hätte, wo es ist… aber lassen wir das. Es war

Page 18: Der Besuch einer jungen Dame

Der Besuch einer jungen Dame R. Schwerzmann

Seite 18

jetzt also an der Zeit, wieder einmal eine Unterkunft zu

suchen. Dieses Mal fackelte ich nicht lange, noch Ewigkeiten

mit Fieber in dieser Hitze herumzulatschen war nicht ganz

nach meinem Gusto. Im nächstbesten Musikladen wurde ich

dann auch tatsächlich fündig. Der Mann hat mir sogar ein

kleines Plänchen gezeichnet, damit ich das Hostel finde.

Seine Zeichen-Künste liessen zwar zu wünschen übrig, aber

ich hab’s trotzdem gefunden. Ich will jetzt nicht behaupten,

ich hätte es besser zeichnen können, aber ich hätte es

garantiert besser gezeichnet. Das spielt jetzt aber keine Rolle

mehr und interessiert auch niemanden.

Beim Hostel angekommen habe ich dann mal geklingelt und

nach ein paar Minuten wurde mir dann unverzüglich die

Türe geöffnet. Und siehe da, sie hatten noch freie Betten!

Offenbar waren sonst sämtliche Hostels in Buenos Aires

ausgebucht, nur dieses eine nicht. Man darf auch einmal

Glück haben! Ich bekam dann ein Bett in einem Viererschlag.

Es waren noch zwei Brasilianer im selben Zimmer und der

eine konnte sogar einigermassen Englisch sprechen. Mit

Portugiesisch wäre ich nämlich noch viel dümmer als ein Esel

am Berg gestanden als mit Spanisch! Es war schon etwas

erleichternd, wieder unter Leuten zu sein bzw. kommt man

auf diese Weise eher in Kontakt mit anderen Leuten, als

wenn man in einem Hotel ein eigenes Zimmer hat. Deshalb

ging ich dann erst mal schlafen.

Als ich den Nachmittag mehr oder weniger verpennt hatte,

ging ich dann auch einmal wieder raus aus dem Zimmer. Im

Innenhof hatten sich allerlei andere Hostel-Insassen

versammelt und plauderten locker flockig miteinander. Ich

habe mich dann auch zu ihnen gesellt. Unter anderem habe

ich einem der Brasilianer - sie machten etwa 80% der Hostel-

Gäste aus - meine bisherigen Ferien-Erlebnisse erzählt, auf

Englisch, versteht sich. Als ich dann fertig war, hat er

gelacht, etwas ähnliches wie „holy cow“ von sich gegeben

und gemeint, er habe in seinem ganzen Leben (27

bescheidene Jahre) noch nicht so viel Scheisse erlebt wie ich

in diesen knapp zwei Wochen! Ich bin mir heute noch immer

nicht ganz sicher, ob ich das als Kompliment hätte auffassen

sollen oder nicht.

Am selben Abend dachte ich mir, ich könnte zur

Abwechslung wieder einmal das Internet besuchen, ich war

ja schon lange nicht mehr dort. In Hostels gibt’s ja zum Glück

Gratis-Internet! Leider hatte die Internet-Verbindung aber

nicht funktioniert an diesem Abend. Offenbar sei eine Phase

der Telefonleitung kaputt gegangen. Na ja, was soll’s, ich

kann’s auch ohne machen. Am nächsten Morgen hatte ich

den Wecker dann auf 9:30 Uhr gestellt, damit ich noch bis

zehn Uhr frühstücken kann. Also ging ich kurz darauf frohen

Mutes zur Rezeption und fragte, wo man da essen könne. Da

sagt mir doch diese dumme Zwetschge, es gäbe kein

Morgenessen mehr, das sei schon vorüber! Ich kann mich

auch selber vergackeiern, dachte ich mir dann. Ich sagte ihr,

dass wir jetzt doch ca. 9:40 Uhr hätten und es bis zehn Uhr

Frühstück gäbe! Ihr Gegenargument war, dass es zwar bis

zehn Uhr was zu essen gäbe, es aber bereits 10:40 Uhr sei

wegen der Zeitumstellung. Da gingen mir die Argumente

dann relativ rasch aus. Wer kommt schon als Schweizer auf

die Idee, dass jemand am 31. Dezember auf Sommerzeit

umstellt. Ich gab mich dann also geschlagen. Dass die

Wasser-Zufuhr an diesem Morgen nicht funktionierte und

man weder duschen noch sonst was konnte, gehörte dann

schon fast zum guten Ton. Also ging ich mit meinen zwei

Zimmergenossen auswärts frühstücken. Ich glaube fast, dass

ich nicht der einzige war, der die Zeitumstellung erst in

Nachhinein mitbekommen hatte.

An diesem Tag ist mir dann noch ganz etwas Kurioses

passiert. Der Typ, dem ich meine Story erzählt hatte, der

mich dann so bemitleidet und/oder ausgelacht hatte, ist mir

an diesem Nachmittag wieder im Hostel begegnet und da

fragt der mich doch, ob es mir gut gehe, er habe sich Sorgen

gemacht um mich! Das ist mir ja bis jetzt noch nie passiert,

dass sich ein Beinahe-Wildfremder Sorgen um mich macht!

Er hat dann präzisiert, dass er sich in erster Linie wegen

meinem Gesundheitszustand Sorgen machte und

wahrscheinlich erst in zweiter Linie wegen meinen sonstigen

Strapazen, die meine Reise so mit sich brachte. Auf jeden

Fall hat mir das dann schon ein bisschen geschmeichelt, dass

ich nicht allen egal war. Andere Länder, andere Charakteren.

Darum finde ich die Brasilianer sympathisch. Eine andere

gute Nachricht gab es am selben Tag dann auch noch, als um

12:45 Uhr die frohe Botschaft kam, dass das Wasser wieder

funktioniere! Und die dritte erfreuliche Sache war dann

noch, dass ich noch eine Busfahrt unternahm ins „La Boca“-

Viertel von Buenos Aires, das hat mir wirklich gut gefallen!

Und aller guten Dinge sind mindestens drei, also gab es noch

was Viertes: Am selben Abend traf ich mich wieder mit

Raphael und seiner Freundin, da sah die Welt ja wieder um

einiges besser aus!

Das „La Boca“-Viertel in Buenos Aires

Irgendwann um 21:30 Uhr sind wir dann zu dritt losgezottelt

in Richtung Hafen, um etwas essen zu gehen.

Wahrscheinlich lag es daran, dass Sylvester war, dass die

Page 19: Der Besuch einer jungen Dame

R. Schwerzmann Der Besuch einer jungen Dame

Seite 19

Restaurants dort ziemlich gut besetzt waren. Irgendwo

haben wir dann doch noch einen Platz entdeckt, der Menü-

Preis war aber nicht gerade ein Schnäppchen, schon gar

nicht für Einheimische. 350 Pesos sind ja ordentlich viel

Kohle, zumal ich zwar Hunger hatte, aber ein Mehrgang-

Menü musste es dann doch nicht sein. Bei einem anderen

Restaurant war es dann eine Spur günstiger, aber trotzdem

noch angenehm teuer. Nach langem Hin und Her

entschieden wir uns dann, ein Taxi zu nehmen und in ein

anderes Viertel zu fahren in der kleinen Hoffnung, noch was

Günstigeres zu finden. Unser Mut wurde belohnt, wir sind

dann auf eine Pizzeria oder so was ähnliches gestossen. Es

gab aber keine Pizzas (deshalb meine Zweifel), jedoch ein

Einheits-Menü mit mehreren Gängen. Man hatte aber die

Wahl, nur einzelne Gänge zu bestellen, wenn man das

wünschte. Das Lustige daran war, dass wenn man alle Gänge

einzeln zusammenzählte, ergab das einen tieferen Preis als

den des gesamten Menüs! Es hiess dann aber, dass man

nicht alles einzeln zusammen bestellen könne... Egal, mir

würde einer sowieso reichen. Ich habe dann den Braten mit

Senfsauce und Kartoffeln genommen. Zum Glück hatte es

neben den Süss-Kartoffeln noch normale Ausführungen

dieser Gattung dabei, die man essen konnte. Der Braten

oder was es war, war anfangs auch ganz köstlich und schön

mit Sauce bedeckt. Je mehr ich jedoch abschnitt, desto

seltsamere Zutaten kamen da zum Vorschein. Irgendwelche

Kräuter und sonstiges Unkraut waren da noch mit

eingewickelt worden, ob absichtlich oder unabsichtlich weiss

ich nicht. Wenn ich gekocht hätte, wäre mir das auf jeden

Fall nicht in den Sinn gekommen, solche Sachen rein zu tun,

aber ich bin ja auch kein Massstab. Auf jeden Fall hab ich’s

dann bald aufgegeben, ich hatte genug. Was eigentlich noch

viel erwähnenswerter ist, ist der Umstand, dass ich keinen

Tropfen Alkohol trank an diesem Sylvesterabend! Ich mag

mich nicht erinnern, dass das jemals vorkam, seit ich zu

solchen Festivitäten alkoholische Getränke zu mir nehme!

Aber mir war halt einfach nicht drum und wirklich Fieber

senkend wäre das wahrscheinlich auch nicht gewesen, ich

hab’s auf jeden Fall nicht mal versucht.

So, eigentlich war’s das schon. Die Reise ging zwar noch

weiter, ich habe dann noch acht Tage mit Raphael in Valizas,

Uruguay verbracht, das betrachte ich aber als neue

Geschichte, die eher das Prädikat „normal“ erhält und nicht

direkt hier hin gehört. Ob ich wegen einer Frau wieder

einmal so eine weite Reise antreten würde, kann ich nicht

abschliessend beantworten, schliesslich ereignet sich eine

Geschichte ja niemals zweimal auf dieselbe Weise. Ich bin

um viele Erfahrungen reicher und um viele Franken ärmer

geworden und hätte ich das nicht erlebt, hätte ich auch

nicht so viel zu erzählen gehabt. Diese Story hat aber

definitiv auch eine gute Seite, die ich noch gar nicht erwähnt

hatte. Als ich Karina dazumal kennen lernte und wir in der

Disco in Cusco am tanzen waren, hatte sie versucht, mir die

Salsa-Schritte beizubringen und ich habe mich genervt, dass

ich das nicht konnte! Als ich wieder zuhause war im Oktober

nach meiner ersten Reise nach Peru und ich mit dem

Gedanken spielte, Karina wieder zu besuchen, dachte ich

mir, ich könnte doch einen Salsa-Schnellkurs besuchen.

Wenn ich sie dann über Weihnachten besuchen gehe, wäre

das eine grosse Überraschung für sie, wenn ich zumindest

den Grundschritt beherrschen würde! Den Kurs habe ich

dann zwar absolviert, aber dummerweise kam es dann halt

zu keinem gemeinsamen Tanz-Abend mehr mit meiner

Bekanntschaft. Das Resultat war, dass ich nachher trotzdem

weitergemacht habe mit Salsa-Lektionen und inzwischen

habe ich es schon ziemlich im Griff, würde ich jetzt

zumindest mal behaupten! Durch solche Geschichten lernt

man komplett neue Dinge kennen, auf die man sonst gar

nicht gekommen wäre! Das entschädigt dann im Nachhinein

wieder ein bisschen für die besch…aulichen Momente, die

man erlebt hat! La vida es loca!

Bild aus der Nach-Dieser-Geschichte-Ära aus Valizas

(Uruguay), welches zeigt, dass die Sonne trotzdem noch

scheint und die Vögel auch weiterhin, unbeeindruckt von

dieser Geschichte, in der Gegend rumfliegen…

Nachtrag

Mir ist noch in den Sinn gekommen, dass ich das La Boca-

Viertel erst einen Tag später, also am 1. Januar anschauen

ging. Aber da es so schön zu den erfreulichen Ereignissen

vom 31. Dezember passt und mein Gedächtnis mich

manchmal im Stich lässt, habe ich es unwissend dort

hineingedichtet. Das beweist wieder einmal, dass der

folgende, berühmte Satz des Philosophen Heinrich

Lügmichnichtan seine Berechtigung hat:

Glaube nie alles Geschriebene das du liest! Oder umgekehrt:

Glaube nie alles Gelesene das du schreibst!