Der Bismarckturm in der Aegidienmasch - HANNOVER.DE · Der Bismarckturm in der Aegidienmasch 1904...

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Der Bismarckturm in der Aegidienmasch 1904 bis 1935 Entstehung Mit dem Bismarckturm in der Aegidienmasch wurde an Otto von Bismarck, geb. 1. April 1815 in Schönhausen, gest. 30. Juli 1898 in Friedrichsruh, erinnert. Bismarck war preußischer Ministerpräsident (1862–1890), Kanzler des Norddeutschen Bundes (1867– 1871) und erster Kanzler des Deutschen Reiches (1871–1890). Der Turm (oft „Säule“ und „Denkmal“ genannt) wurde dem verehr- ten „Reichsgründer“ geweiht. Er wurde nach Plänen von Architekt Alfred Sasse aus Linden, der den örtlichen Wettbewerb 1901 gewon- nen hatte, errichtet. Aegidienmasch Der 19,5 Meter hohe Turm stand in der verlängerten Mittellinie der Geibelstraße auf einem künstlich angelegten Hügel. Seine unmittelbare Umgebung gehörte zum stadtnahen Freizeitgebiet. Die Ostseite der Aegidienmasch erhielt zunehmend urbanen Charakter; sie wurde von der 1897 angelegten Rudolf-von-Bennigsen-Straße erschlossen. Gestaltung Der am 18. Okt. 1904, dem Erinnerungstag für die Völkerschlacht bei Leipzig, einge- weihte Turm war seit 1898 auf Initiative han- noverscher Studentenverbindungen entstan- den. Stadtdirektor Tramm an der Spitze des städtischen Magistrats und das Bürgervor- steherkollegium unterstützten das Vorhaben. Aus Granit und Sandstein gemauert erhob sich der Bau auf einem dreistufigen Sockel. Über dem Turmeingang Richtung Geibel- straße war ein übergroßes Bronze-Relief mit dem Kopf Bismarcks angebracht, darunter in Großbuchstaben die Inschrift „BISMARCK“. Um die drei hinteren Turmseiten lief der Schriftzug „BISMARCK-SÄULE DER STUDEN- TENSCHAFT HANNOVER 1903“ mit dem Jahr der Grundsteinlegung. An der Oberkante zeigten vier Wappen in alle Himmelsricht- ungen: Reichsadler, Stadt Hannover, Sachsen- ross und das Familienwappen Bismarcks. Bekrönt wurde der Turm von einer Feuer- schale, umrahmt von vier Drachenköpfen. Nationalistische Kundgebungen Die Studentenverbindungen, die den Bau von Bismarck-Türmen in ganz Deutschland vorangebracht hatten, machten ihn in Hannover zum Ort nationalistischer Kund- gebungen. Die Studenten organisierten Fackelzüge zum Geburts- und Sterbetag Bismarcks, zum Sedantag (2. Sep. 1870) oder zur Sonnenwendfeier. Bismarck-Mythos und antidemokratische Grundeinstellungen in der Studentenschaft gehörten nach dem Ersten Weltkrieg zu den Elementen der deutschnationalen Ideologie. Vor diesem Hintergrund entstand der „Weg der verbrannten Bücher“ am 10. Mai 1933 zum Bismarckturm in der Aegidienmasch. Bismarck-Ehrungen Bismarck erhielt vor und nach der Errichtung des Turms etliche Ehrungen, vor allem in der Südstadt. Den Anfang machte noch zu seinen Lebzeiten die Benennung der Bismarckstraße (1897). Der am 1. Mai 1911 eingeweihte Bahnhof Bismarckstraße folgte dem Turm. Die Bismarckbüste im Neuen Rathaus wurde 1913 der Öffentlichkeit übergeben. Zuvor war das Reform-Realgym- nasium 1909 Bismarckschule genannt worden; am Rande der Masch wurde bald darauf das neue Gebäude mit der Adresse „An der Bismarckschule“ (18. Okt. 1911) seiner Bestimmung übergeben. In der Aula der Schule wurde der Geehrte für die Schüler nach dem Vorbild des Hamburger Bismarckdenkmals in einer Ritterrüstung als Rolandsfigur auf einem monumentalen Glasfenster dargestellt. Nicht nur Bismarck-Verehrer Die unkritische Bismarck-Ehrung war in Hannover nicht unumstritten. Wie überall im Deutschen Reich war Bismarck für sozialde- mokratische Arbeiter der Initiator der Sozialis- tengesetze, mit denen ihre Partei verboten worden war. Für die zahlreichen Anhänger des hannoverschen Königshauses (Welfen) waren der Preuße Bismarck und sein hanno- verscher Parteifreund Rudolf von Bennigsen „Annexionspolitiker“, die den Verlust der Selbstständigkeit des Königreichs Hannover 1866 verantworteten. Abbruch Für den Ausbau des Maschsees (1934– 1936) war zunächst geplant, den Bismarck- turm zu versetzen. Nach einem Ratsbe- schluss vom 3. Mai 1935 wurde jedoch der Abbruch angeordnet, die Steine sollten auf einem Bauhof aufbewahrt werden. Im Jahr 1938 entschied die Stadt Hannover endgültig, den Bismarckturm nicht wieder zu errichten. Die hannoversche Studentenschaft setzte sich 1941 ohne Erfolg für einen Wiederauf- bau ein. Impressum Fachbereich Bildung und Qualifizierung Städtische Erinnerungskultur www.erinnerungskultur-hannover.de Landeshauptstadt Stand: Januar 2015 Stadtbezirksrat Südstadt-Bult Bürgerinitiative Mahnmal Bücherverbrennung Redaktion: Dr. Karljosef Kreter Grafiken Abb. 1 u. 4 Hist. Museum Abb. 2 u. 3 Repro Erinnerungskultur Literaturhinweis • Festschrift 100 Jahre Bismarckschule Hannover 1906–2006. Hannover 2006. • Günter Kloss u. Sieglinde Seele: Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen. Eine Bestandsaufnahme. Petersberg 1997. • Jörg Bielefeld, Alfred Büllesbach: Bismarcktürme. Architektur, Geschichte, Landschaftserlebnis. Morisel 2014. INFORMATION UND ERINNERUNG Aegidienmasch, Foto, ohne Datum, nach 1913, vor 1935 Bismarckturm, Postkarte (Ausschnitt) Bismarck-Karikatur „Zeitbild“, in: Satirezeitschrift „Süddeutscher Postillon“, 1884, Nr. 42 Maschsee-Arbeiten kurz vor Abbruch des Turms, Foto, ohne Datum, 1934/35 Standort

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Der Bismarckturm in der Aegidienmasch 1904 bis 1935

EntstehungMit dem Bismarckturm in der Aegidienmasch wurde an Otto von Bismarck, geb. 1. April 1815 in Schönhausen, gest. 30. Juli 1898 in Friedrichsruh, erinnert. Bismarck war preußischer Ministerpräsident (1862–1890), Kanzler des Norddeutschen Bundes (1867–1871) und erster Kanzler des Deutschen Reiches (1871–1890). Der Turm (oft „Säule“ und „Denkmal“ genannt) wurde dem verehr-ten „Reichs gründer“ geweiht. Er wurde nach Plänen von Architekt Alfred Sasse aus Linden, der den örtlichen Wettbewerb 1901 gewon-nen hatte, errichtet.

AegidienmaschDer 19,5 Meter hohe Turm stand in der verlängerten Mittellinie der Geibelstraße auf einem künstlich angelegten Hügel. Seine unmittelbare Umgebung gehörte zum stadtnahen Freizeit gebiet. Die Ostseite der Aegidienmasch erhielt zunehmend urbanen Charakter; sie wurde von der 1897 angelegten Rudolf-von-Bennigsen-Straße erschlossen.

GestaltungDer am 18. Okt. 1904, dem Erinnerungstag für die Völkerschlacht bei Leipzig, einge-weihte Turm war seit 1898 auf Initiative han-noverscher Studentenverbindungen entstan-den. Stadt direktor Tramm an der Spitze des städtischen Magistrats und das Bürgervor-steherkollegium unterstützten das Vorhaben. Aus Granit und Sandstein gemauert erhob sich der Bau auf einem drei stufigen Sockel. Über dem Turmeingang Richtung Geibel-straße war ein übergroßes Bronze-Relief mit dem Kopf Bismarcks angebracht, darunter in Großbuchstaben die Inschrift „BISMARCK“. Um die drei hinteren Turmseiten lief der Schriftzug „BISMARCK-SÄULE DER STUDEN-TENSCHAFT HANNOVER 1903“ mit dem Jahr der Grundsteinlegung. An der Oberkante zeigten vier Wappen in alle Himmelsricht-ungen: Reichsadler, Stadt Hannover, Sachsen-ross und das Familienwappen Bismarcks. Bekrönt wurde der Turm von einer Feuer-schale, umrahmt von vier Drachenköpfen.

Nationalistische KundgebungenDie Studentenverbindungen, die den Bau von Bismarck-Türmen in ganz Deutschland vorangebracht hatten, machten ihn in Hannover zum Ort nationalistischer Kund-gebungen. Die Studenten organisierten Fackelzüge zum Geburts- und Sterbetag Bismarcks, zum Sedantag (2. Sep. 1870) oder zur Sonnenwendfeier. Bismarck-Mythos und antidemokratische Grundeinstellungen in der Studentenschaft gehörten nach dem Ersten Weltkrieg zu den Elementen der deutschnationalen Ideologie. Vor diesem Hintergrund entstand der „Weg der verbrann ten Bücher“ am 10. Mai 1933 zum Bismarckturm in der Aegidienmasch.

Bismarck-EhrungenBismarck erhielt vor und nach der Erricht ung des Turms etliche Ehrungen, vor allem in der Südstadt. Den Anfang machte noch zu seinen Lebzeiten die Benennung der Bismarckstraße (1897). Der am 1. Mai 1911 eingeweihte Bahnhof Bismarckstraße folgte dem Turm. Die Bismarckbüste im Neuen Rathaus wurde 1913 der Öffentlichkeit über geben. Zuvor war das Reform-Real gym-nasium 1909 Bismarckschule genannt worden; am Rande der Masch wurde bald darauf das neue Gebäude mit der Adresse „An der Bismarckschule“ (18. Okt. 1911) seiner Bestimmung übergeben. In der Aula der Schule wurde der Geehrte für die Schüler nach dem Vorbild des Hamburger Bismarckdenkmals in einer Ritterrüstung als Rolandsfigur auf einem monumentalen Glasfenster dargestellt.

Nicht nur Bismarck-VerehrerDie unkritische Bismarck-Ehrung war in Hannover nicht unumstritten. Wie überall im Deutschen Reich war Bismarck für sozialde-mokratische Arbeiter der Initiator der Sozialis-tengesetze, mit denen ihre Partei verboten worden war. Für die zahlreichen Anhänger des hannoverschen Königshauses (Welfen) waren der Preuße Bismarck und sein hanno-verscher Parteifreund Rudolf von Bennigsen „Annexionspolitiker“, die den Verlust der Selbstständigkeit des Königreichs Hannover 1866 verantworteten.

AbbruchFür den Ausbau des Maschsees (1934–1936) war zunächst geplant, den Bismarck-turm zu versetzen. Nach einem Ratsbe-schluss vom 3. Mai 1935 wurde jedoch der Abbruch angeordnet, die Steine sollten auf einem Bauhof aufbewahrt werden. Im Jahr 1938 entschied die Stadt Hannover endgültig, den Bismarckturm nicht wieder zu errichten. Die hannoversche Studentenschaft setzte sich 1941 ohne Erfolg für einen Wiederauf-bau ein.

ImpressumFachbereich Bildung und QualifizierungStädtische Erinnerungskulturwww.erinnerungskultur-hannover.de

Landeshauptstadt

Stand: Januar 2015Stadtbezirksrat Südstadt-BultBürgerinitiative Mahnmal Bücherverbrennung Redaktion: Dr. Karljosef Kreter

GrafikenAbb. 1 u. 4 Hist. MuseumAbb. 2 u. 3 Repro Erinnerungskultur

Literaturhinweis• Festschrift 100 Jahre Bismarckschule Hannover 1906–2006. Hannover 2006.• Günter Kloss u. Sieglinde Seele: Bismarck-Türme und Bismarck-Säulen. Eine Bestandsaufnahme. Petersberg 1997.• Jörg Bielefeld, Alfred Büllesbach: Bismarcktürme. Architektur, Geschichte, Landschaftserlebnis. Morisel 2014.

INFORMATION UND ERINNERUNG

Aegidienmasch, Foto, ohne Datum, nach 1913, vor 1935

Bismarckturm, Postkarte (Ausschnitt)

Bismarck-Karikatur „Zeitbild“, in: Satirezeitschrift „Süddeutscher Postillon“, 1884, Nr. 42

Maschsee-Arbeiten kurz vor Abbruch des Turms, Foto, ohne Datum, 1934/35

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