Der Cobra-Club - Hello Amboss

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KELTER KRIMI Nr. 265

Der Cobra-Club

Ein Spionage-Kriminal-Roman von und mit HELLO AMBOSS

Martin Kelter Verlag – Hamburg

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Wenn das Fernsehprogramm mal nicht nach Ihrem Geschmack sein sollte…

Wenn Sie der Arbeitstag ganz schön geschlaucht haben sollte …

Dann sollten Sie mal abschalten und sich einige Stunden Entspannung gönnen.

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Martin Kelter Verlag (GmbH & Co.). Hamburg 70, Mühlenstieg 16-22, Postfach 10868 Tel: Sa-Nr. 68 24 76-Fernschreiber: 021 31 26-Auslieferung in Österreich: Morawa & Co., Wien 1. Wollzeile 11 – Englert. Salzburg-Aigen. Traunstr. 24 – Anzeigenverwaltung: Jürgen Büttner, 6 Frankfurt, Westendstr. 73 – Zur Zeit gültige Anzeigenpreisliste Nr. 19 – Printed in Germany by Mero-Druck Otto Melchert K.G., Geesthacht – Führung in Lesemappen nur mit Genehmigung des Verlages. Erscheinungsdatum: 1961, ISBN: B0000BK33R, Scan by Brrazo 12/2005, Für unverlangt eingesandte Manuskripte übernimmt der Verlag keine Gewähr. Der Verlag gehört der Selbstkontrolle deutscher Roman-Heftverlage an.

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I. Er sah zuerst die Uhr und dann mich vorwurfsvoll an. „Sie sind Amboß, nicht wahr?“

„Ja“, ich ließ mich in einen Ledersessel fallen. „Aber was hat das mit Ihrer Uhr zu tun?“

Er lächelte mokant. „Sie dürfen nicht denken, daß ich meine Zeit gestohlen habe.“

Das kam mir ein bißchen spanisch vor, denn es geschah im Warteraum für das Allerheiligste des neuen kommis-sarischen Sektionsleiters von CIA in Washington. Mich hatten sie in einer brandeiligen Sache aufgefordert, sofort hierherzukommen. Ich hatte keine Ahnung, um was es ging. Meistens waren diese Sachen gar nicht so wichtig, wenn man sie hinterher genauer betrachtete. Aber weil ich nun mal meine Brötchen als Einzelagent der amerikani-schen Abwehr verdiente, mußte ich schon gehorchen, wenn die hohen Herren pfiffen.

„Jedenfalls“, sagte der Mann, der sich mir gegenüber im Sessel räkelte, ohne sich mir bisher vorgestellt zu haben, „sind Sie genau mit dreiundzwanzig Minuten Verspätung eingetroffen.“

Leise begann in mir die Wut zu sieden. Was bildete sich dieses Würstchen ein? Ich betrachtete ihn von oben bis unten. Er sah nicht unsympathisch aus. Im Gegenteil. Meiner Schätzung nach mochte er um die Dreißig herum sein oder etwas älter – er trug einen tadellosen Maßanzug und hatte eine leichte Stirnglatze. Sein Oberhemd war direkt unanständig sauber, und seine Schuhe waren so gut geputzt, daß er unmöglich auch nur eine kurze Strecke zu

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Fuß gegangen sein konnte. Dabei wirkte dieser Bursche keineswegs penetrant gepflegt, sondern hatte sogar eine Menge Männliches im Wesen.

„Woher wissen Sie überhaupt, wer ich bin?“ fragte ich. „Ach so!“ Er gähnte und hielt sich dabei flüchtig den

Handrücken vor den Mund. „Ich habe ja noch gar nicht gesagt, wie ich heiße. Mein Name“, er machte eine leichte ironische Verbeugung im Sitzen, „ist Stewart Glycard. Ich bin Show-Agent und komme soweit ganz gut zurecht.“

„Außerdem sind Sie ein Snob!“ Ich stand auf und trat ans Fenster. Unten standen, auf den Boxen der Parkplätze, die tollsten und teuersten Wagen der Minister und Staats-sekretäre.

Glycard lachte amüsiert und glucksend. „Was wollen Sie machen“, fragte er, „ohne Snobismus ist das Leben einfach nicht zu ertragen. Aber man wird uns ja gleich holen.“

Mich beunruhigte die Sache ein wenig. Ich habe nicht allzu gern, wenn mich jemand kennt, und ich weiß nicht woher.

Ein spindeldürrer Sekretär trat ins Wartezimmer. „Mr. Amboß?“ fragte er. „Ja“, ich drehte mich um. „Major Livingburry läßt bitten.“ Auch Glycard erhob sich. „Wenn Sie wüßten, wie zappelig ich bin“, sagte er. „Aber das kann ich einigermaßen kaschieren.“ Er ließ mir an der Tür den Vortritt. „Sind Sie denn auch zu Livingburry gebeten?“ fragte ich.

„Verlassen Sie sich darauf, das hat schon seine Richtigkeit.“

Wir gingen einen langen Korridor hinunter, und der

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Sekretär öffnete uns den einen Flügel einer breiten Tür. Diesen Raum kannte ich schon, während mir Living-

burry neu war. Mochte der Teufel wissen, welcher Wind ihn hierhergeweht hatte – er war kommissarischer Sektionsleiter, wie ich ja schon einmal sagte, und das Kärtchen an der Tür verriet, daß er mit dem Vornamen Ernest hieß.

Seine Figur sah genauso englisch aus wie sich sein Name anhörte. Er hatte wasserhelle Augen, sah sehr illusionslos aus und trug einen großkarierten Anzug, der in den Schultern für meinen Geschmack zu breit und in den Hüften zu schmal war. Wahrscheinlich spielte er auch noch Golf.

Auch er sah auf die Uhr. „Major“, sagte ich, „jetzt hatte ich gerade einen kleinen

Fall in Florida abgeschlossen und lag ein paar Tage auf der faulen Haut. Da kam Ihr Alarm. Ich bin mit dem Wagen …“

„Das erklärt einiges“, Livingburry öffnete einen Wandschrank, nahm eine Flasche Whisky heraus und drei Gläser dazu. „Wir hatten Sie mit dem Zug erwartet.“ Er zuckte die Schultern. „Mir war es ja gleichgültig“, dabei deutete er auf den Schreibtisch, wo einige Akten lagen, „ich habe zu tun. Aber Mr. Glycard ist …“

„Na ja, nun ist er ja hier“, murmelte Glycard, warf sich in einen Sessel und ließ die Beine über die Armlehne baumeln.

Aus einem Kästchen, das ich entdeckt hatte, nahm ich mir eine Zigarette. „Handelt es sich um größere Beträge?“ fragte ich.

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Mit seinen langen dürren Beinen ging der Major zur Tür und riß sie auf. Draußen war aber niemand. Dann schloß er die Tür wieder vorsichtig und kam zurück. „Es ist eine sehr delikate Angelegenheit“, flüsterte er. „Trinken wir erst mal.“

Nachdem wir das getan hatten, fuhr er fort: „Ist Ihnen der Cobra-Club bekannt?“

Ich ließ meine Zigarette sinken. Dann lachte ich herzlich. „Haben Sie eine Ahnung, Major“, fragte ich, „was ein Einzelagent an Gehalt und Spesen bekommt?“

Er hob die Hand. „Na also“, sagte ich. „Wie kann man bei diesen mini-

malen Spesen im Cobra-Club verkehren? Außerdem wird man ja da gar nicht hineingelassen, wenn man nicht prominent wie sonst jemand ist. Ich habe mir erzählen lassen, die meisten Gäste haben einen Schlüssel.“

Livingburry sah zu Glycard hinüber. Der machte ein blasiertes Gesicht und eine ebenso

gelangweilte Handbewegung. „Erzählen Sie ruhig weiter, Major, ich möchte Ihnen den Ruhm nicht nehmen, in dieser Sache…“

Zuerst schien es, als ob Major Livingburry wütend auffahren wollte. Aber dann beherrschte er sich sofort wieder. „Unsinn“, sagte er. Dann wandte er sich an mich. „Jedenfalls haben Sie vom Cobra-Club schon einmal gehört? Man muß tatsächlich über einen bekannten Namen verfügen, wenn man da hineingelassen werden will, oder über besonders gute Beziehungen. Der Inhaber des Clubs heißt Thornton Calvin Codomer. Er hat einen guten Ruf …“

„Hatte“, korrigierte Glycard. „Hatte …“

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„Ja, gut!“ Livingburry machte ein fast wütendes Gesicht. „Codomer hatte bisher einen guten Ruf, und kein Diplomat oder Politiker scheute sich, in diesem exclusiven Nacht-lokal zu verkehren.“

„Und jetzt?“ Ich fühlte ganz mechanisch nach meiner Pistole unter der Achsel.

Stewart Glycard sah das und grinste. Dafür hätte ich ihm am liebsten eine ,gewischt’, aber dann grinste ich mit.

Der Major machte eine kurze Handbewegung zu dem Show-Agenten hin. „Mr. Glycard hat uns zuerst darauf auf-merksam gemacht. Er stellte eine Behauptung auf, die uns“, er hüstelte, „offengestanden etwas phantastisch schien. Angeblich sollte Codomer seinen Nachtclub dazu benutzen, mit gewissen raffinierten Methoden Diplomaten und Geheimnisträger auszuhorchen und zu erpressen.“

„Moment mal“, ich schüttelte den Kopf, als ob ich plötzlich unversehens unter Wasser getaucht wäre. „Der Cobra-Club? Das wäre allerdings eine tolle Sensation.“

„Und eine ungeheure Gefahr!“ Major Livingburry starrte mich an. „Aber ich glaube es nicht“, sagte er betont. „Ich nehme an, daß Mr. Glycard – dem ich in keiner Weise zu nahe treten möchte – irgendwelchen phantastischen Gerüchten aufgesessen ist.“

„Das ist gut“, murmelte Glycard. „Das ist sogar ausgezeichnet.“ Er lehnte sich aus seiner bequemen Hal-tung heraus zum Rauchtisch hinüber, angelte sich die Whis-kyflasche und goß sein Glas noch einmal voll, viel zu voll.

Ich nahm ihm die Flasche weg und füllte für den Major und mich auch noch etwas ein.

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„Was halten Sie denn von Norman Wagner?“ fragte Glycard.

Der lange, trockene Livingburry setzte sich auf den Schreibtisch. „Wenn der nicht wäre …“

„Moment“, ich hob die Hand, „wer ist das überhaupt?“ „Der Oberkellner im Cobra-Club“, erklärte mir der

Major. „Dieser Mann ist in der Tat kurz nach Mr. Glycards Tip bei uns aufgetaucht …“

„Immer korrekt sein“, mahnte Glycard, der den Major wohl nicht recht leiden konnte. „Wagner ging zur Polizei.“

„Ja, doch“, brummte Livingburry ungeduldig. „Er ging zuerst zur Polizei und wurde zu uns geführt. Er – also dieser Oberkellner Wagner – war es auch, der uns genauere Einzelheiten und sogar Namen von Leuten brachte, die in diesen Skandal verwickelt sein sollen. Wenn es stimmt.“

Glycard lachte, schaukelte den Whisky im Glas und trank. „Major Livingburry ist hier noch ziemlich neu“, sagte er gedehnt.

Livingburrys Gesicht verzog sich,. „Ich verkenne keineswegs“, sagte er, „daß Mr. Glycard von weit oben her ziemlich viel Protektion genießt. Trotzdem“, er hallte die Hände und schob das Kinn vor, „bin ich verpflichtet, in einer Sache von so weittragender Bedeutung mißtrauisch zu sein, bis mir das Gegenteil bewiesen ist.“

„Gut“, sagte ich, „was soll ich also tun?“ „Zunächst einmal“, Livingburry rieb sich schabend die

Hände, „habe ich dafür gesorgt, daß Sie im Hotel Metropol ein Appartement zur Verfügung haben und man Sie dort für den Vertreter eines großen Konzerns hält.“ Er gab mir

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ein ziemlich dickes Kuvert. „Darin finden Sie die Unterlagen und wissen wenigstens, wer Sie sind.“ Er versuchte zu schmunzeln, aber dafür war sein Gesicht nicht recht gebaut. Es wurde eher eine Art hämischen Grinsens daraus. Ich konnte Glycard verstehen, daß er diesen Burschen nicht mochte. „Es wird also auch keine Schwierigkeiten geben, daß Sie im Cobra-Club eingeführt werden. Notfalls kann Mr. Glycard dafür sorgen …“

Der Show-Agent beugte sich vor. „Es wird nicht nötig sein“, sagte er mit einer merkwürdigen Betonung. „Eine Empfehlung von Ihnen dürfte durchaus genügen, Living-burry.“

Der englisch aussehende Major zuckte die Schultern. „Wir werden ja sehen. Gehen Sie also mit Mr. Glycard am besten zuerst zu dem Oberkellner Wagner, und holen Sie ihn ein bißchen aus. Alles andere wird sich finden.“ Er kam zu mir und faßte mich am Schlips. „Wir setzen großes Vertrauen in Sie, Amboß. Wenn diese Geschichte stimmen sollte, dann wird sie unheimliche Kreise ziehen. Vor allem darf die Presse keinen Wind davon bekommen, hören Sie?“

Glycard kicherte. Das trug ihm wieder einen ärgerlichen Blick Living-

burrys ein. „Verstehen Sie mich doch“, murmelte der Major und sah mich dabei nicht an, „wir können hier nicht leichtfertig zupacken. Wenn nichts an der Sache dran ist, kompromittieren wir völlig unnötig eine ganze Reihe angesehener Männer und werden das auszubaden haben.“

*

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Kurz darauf führ ich mit Glycard im Lift hinunter.

Dann standen wir auf der Straße. Die Sonne strahlte von einem blaugrauen Himmel.

Ich hatte diesmal einen Lancia zur Verfügung. Ein nettes Wägelchen mit einer ganz respektablen Höchstgeschwin-digkeit.

„Ich bin mit dem Taxi gekommen“, sagte Glycard. „Ich benutze den eigenen Wagen so selten wie möglich.“ Er seufzte. „Man kann ja in unseren Städten kaum noch parken.“

Wir stiegen also in den Lancia und fuhren los. „Wer sind Sie?“ fragte ich.

„Erstens“, murmelte Glycard, „traue ich Livingburry nicht. Ich habe bestimmt eine Menge Beziehungen – aber keiner kann mir sagen, wie dieser ominöse Major auf seinen Posten gekommen ist. Na ja“, er lachte, „so weit hinauf reichen meine Beziehungen ja nun auch wieder nicht.“

„Trotzdem scheint er Angst vor den Leuten ganz oben zu haben“, überlegte ich. Dann zuckte ich ein bißchen zusammen. „Mir kommt die Sache überhaupt spanisch vor. Wie kann man einem Show-Agenten …“

Er legte mir die Hand auf die Schulter. „Beruhigen Sie sich, Amboß“, sagte er, „wir sind Kollegen.“

Langsam schüttelte ich den Kopf. „Na schön“, gab er zu, „in Uhren Augen vielleicht nicht

ganz. Sie haben mich einen Snob genannt. Das mag sogar

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stimmen. Ich komme mit meinen Finanzen ganz gut über den Winter – die Kohlen reichen immer. Ich habe zwar nicht die größte Agentur, aber eine der einträglichsten, weil ich mich mit dem Nachtleben beschäftigte. Den Laden habe ich von einem Onkel geerbt. Ich verstehe gar nicht mal sehr viel davon, aber irgendwas muß der Mensch ja tun. Es gibt sogar Filmproduzenten – oder gab sie wenig-stens – die sich nebenbei der Abwehr zur Verfügung gestellt haben. Es ist ein großer Vertrauensbeweis“, er drückte sich ins Polster, „daß ich Ihnen das sage, aber Sie sollen nicht denken …“

„Okay“, nickte ich, „schon in Ordnung.“ „Wir müssen zur Market Street fahren“, sagte Glycard. Irgendwo fanden wir dann tatsächlich noch einen Park-

platz, der allerdings zwei Dollar pro Stunde kostete. „Ich lasse mir eine Quittung von dir geben, Bruder“,

warnte ich den Parkwächter. „Und wehe, wenn deine Kon-zession nicht stimmt.“

„Die stimmt schon“, versicherte er lachend. In einem gar nicht mal üblen Haus mit vielen Balkonen

an der Außenfront sollte also der Oberkellner Norman Wagner wohnen. Das war der Mann, der sein Lokal angeschwärzt hatte.

Es gab sogar einen Portier im Haus. „Ja“, sagte er, „ich glaube, Mr. Wagner ist oben. Er hat

nämlich vor einer Stunde Besuch gehabt.“ Der Portier war ein etwas schwatzhafter Mensch. Er kniff die Augen zusammen. „Prominenten Besuch. Mr. Codomer war da.“

„Nein?“ Hastig griff Glycard nach meinem Arm.

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„Thornton C. Codomer?“ „Genau der“, sagte der Portier in dem Bewußtsein, eine

Sensation zu verkünden. „Der Inhaber vom Cobra-Club. Da ist doch Mr. Wagner beschäftigt.“

„Also los“, drängte ich, „wo finden wir ihn?“ „In der Wohnung 9 D.“ Das war im ersten Stock. Wir brauchten den Fahrstuhl

gar nicht zu benutzen. An der Tür mit der Messingaufschrift ,9 D’ klopfte ich. Es rührte sich nichts, und ich drückte auf die Klinke. Wir kamen hinein. Ein Fernsehgerät flimmerte. Jemand sprach dort wahr-

scheinlich über ein sehr wichtiges Problem – man konnte aber nicht feststellen, um was es sich handelte, weil der Ton abgestellt war.

Aber auf dem Teppich davor lag ein mittelgroßer Mann, der eine Hausjacke trug und Filzpantoffeln an den Füßen hatte.

Der Teppich hatte in der Gegend des Kopfes einen häßlichen roten Fleck.

Im nächsten Moment kniete ich neben ihm. Dem Mann war aber nicht mehr zu helfen.

Ich sah zu Glycard hinauf. Der hatte die Augen geschlossen und die Hände geballt.

„Das ist Wagner“, sagte er. Langsam stand ich auf. „Codomer hat ihn kurz zuvor

besucht“, murmelte ich. „Ja“, nickte Glycard, „ziemlich eindeutig, nicht wahr?“

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„Vielleicht ein bißchen zu eindeutig“, gab ich zu bedenken.

Stewart Glycard biß sich auf die Lippe. Dann nahm er den Hörer vom Telefon und drückte auf den weißen Kopf. „Hallo, Portier“, sagte er, „haben Sie mit Mr. Codomer gesprochen?“

Ich hörte etwas quäken. „Danke“, flüsterte Glycard und legte wieder auf. Er sah

mich an. „Codomer hat keine Ahnung, daß ihn der Portier gesehen hat. Es war blanker Zufall. Die Loge war leer. .“

„Ja“, gab ich zu, „dann ist es allerdings etwas anderes. Es könnte aber genauso gut nachher noch jemand bei Wagner gewesen sein.“

Glycard nickte, warf einen kurzen Blick auf den Toten und wurde grau im Gesicht. Er mußte sofort wieder wegsehen.

„Für einen Agenten von CIA“, spottete ich, „haben Sie reichlich schlechte Nerven.“

„Quatsch“, zischte er, „man muß ja nicht immer mit Mord zu tun haben, nicht wahr? Ich kann nun mal Tote nicht sehen.“

Eigentlich wollte ich mir eine Zigarette anzünden, aber dann fiel mir ein, daß es grundsätzlich verboten ist, am Tatort eines Mordes so etwas zu tun, bevor die Polizei auftaucht. „Wir werden Livingburry verständigen“, sagte ich.

„Meinen Sie?“ Glycards Stimme klang gequält und spöttisch zugleich.

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„Es bleibt uns nichts anderes übrig.“ „Und die Polizei direkt?“ „Kommt nicht in Frage“, protestierte ich. „Meine

Dienstvorschriften besagen ausdrücklich . . ,« „Was bin ich froh“, grinste Glycard verzerrt, „daß ich

nur aus Snobismus für eueren Verein arbeite und nicht aus Geldgier wie Sie.“

Ich telefonierte bereits. Nach einigen Kreuz- und Querverbindungen bekam ich

Livingburry an den Apparat, der im Augenblick mein unmittelbarer Vorgesetzter war. Ich berichtete ihm kurz, was geschehen war.

Er antwortete nicht sofort. Endlich kam seine Stimme wieder, und sie klang sehr verändert. „Verlassen sie Wag-ners Appartement“, sagte er, „und halten Sie sich im Metropol zur Verfügung. Bitten Sie Mr. Glycard, ebenfalls ins Metropol zu gehen. Sie können sich an die Bar setzen.“

„Ich will erst einmal Abendbrot essen“, brummte ich. „Machen Sie das wie Sie wollen“, sagte Livingburry

unfreundlich. „Man wird Sie dort benachrichtigen.“ „Was werden Sie unternehmen?“ „Die Polizei anrufen natürlich. Ich werde dem Kommis-

sar einschärfen, daß er mit äußerster Delikatesse zu Werke geht.“

„Sie mit Ihrer Delikatesse“, knirschte ich und hieb den Hörer auf die Gabel. „Na also“, freute sich Glycard, „jetzt geht er Ihnen auch auf die Nerven.“

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* Das Metropol ist ein superfeudaler Laden.

Schon in der Halle wurde ich, nachdem ich meinen Namen gesagt hatte, wie ein Fürst empfangen.

Und man schickte dann für uns beide ein Dinner in den Speiseraum, das sich sozusagen gewaschen hatte.

Man fragte mich natürlich vorher, was ich zu speisen wünsche – aber ich überließ die Auswahl dem Kellner.

Glycard war mit dieser Lösung einverstanden. Wir unterhielten uns während des Essens kaum. Und der

Mann, der mich suchte, fiel uns dann praktisch mitten ins Dessert.

„Ich bin Adlai Woodrow“, sagte er, „Kriminalkommis-sar –.“ Verstohlen kratzte er sich den Oberschenkel. Zuerst dachte ich, er wäre ein Boxer, der jetzt aber wegen Überschreitung der dreißiger Jahre nicht mehr aktiv war. „Man traut mir sogar bei der Abwehr, das will schon was heißen, nicht?“ Er setzte sich.

Der Kellner sah ihn fragend an. „Ein kleines Helles“, sagte Woodrow. Der Kellner zuckte ein bißchen zusammen und schloß

die Augen. Dann nickte er. „Sehr wohl, mein Herr“, und zog sich zurück.

„Das hätten Sie nicht machen sollen“, strahlte ich. Der Kommissar seufzte. „Meine Spesen sind nicht so

massig wie die Ihren.“ Er sah sich um. Dann blieb sein Blick fragend auf Glycard hängen.

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Ich nannte den Namen des Show-Agenten. Woodrow war beruhigt. Er rieb sich die Stirn mit zwei

Fingern. „Wir haben einigermaßen Glück gehabt“, mur-melte er „Der Mörder ist anscheinend kein guter Schütze gewesen. Er hat wenigstens drei Schüsse auf sein Opfer abgefeuert, und nur einer hat getroffen. Wir verfügen über ein kaum deformiertes Geschoß aus der Mordwaffe, dessen Lauf sogar ein paar typische Kratzer besitzt. Zweifellos ist der Nachtclub-Besitzer Thornton C. Codomer dringend der Tat verdächtig. Ich habe bereits seine Pistole beschlag-nahmen lassen. Es wurde festgestellt, daß möglicherweise im Laufe des heutigen Tages Schüsse daraus abgegeben wurden. Jetzt erwarte ich hier jeden Moment die Nachricht, ob die am Tatort gefundenen Projektile aus dieser Waffe stammen.“

„Sind Sie wahnsinnig?“ zischte Glycard und sprang auf. Adlai Woodrow sah ihn verwundert an. Jetzt fiel mir erst auf, wie rötlich das blonde, struppige

Haar des Kommissars schimmerte. „Na“, Glycard fuchtelte mit den Händen in der Luft

herum, „glauben Sie denn, daß Codomer – wenn er schul-dig ist – das Ergebnis der Untersuchung abwarten wird?“

Mitleidig grinste der Kommissar. „Es gibt Leute, die halten die Polizei im allgemeinen für etwas schwach-sinnig“, sagte er, „aber ich habe schon Vorsorge getroffen, daß er uns nicht durchgeht. Verlassen Sie sich drauf! Nur“, er seufzte, „Codomer ist vorläufig noch zu prominent, als daß ich ihn auf einen vagen Verdacht hin festnehmen könnte. Er soll sich sicher fühlen.“

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Glycard setzte sich wieder. „Jetzt merke ich sogar, wie zappelig Sie sind“, sagte ich. Glycard lachte trocken. „Kunststück“, brummte er. Dann

beugte er sich zu mir herüber. „Für Sie, Amboß, spielt es keine Rolle, wie viele Fälle Sie im Monat aufklären. Sie kriegen Ihr Gehalt sowieso.“

„Und wie ist es mit Ihnen?“ „Der verdammte Ehrgeiz“, sagte er. „Der läßt einen

nicht schlafen! Wenn man schon mal etwas aus Snobismus tut, dann will man auch Erfolge haben. Der Fall Codomer ist nun mein persönliches Lieblingskind. Ich bin der Sache lange genug auf der Spur gewesen. Jetzt stellen sich Erfolge ein – da möchte ich nun nicht, daß mir jemand einen Strich durch die Rechnung macht.“

„Langsam, langsam“, stoppte Woodrow. „Wir müssen wirklich ganz einwandfreies Beweismaterial haben.“

Wieder sprang Glycard auf. „Nein“, sagte er, „das halte ich nicht aus. Ich gehe jetzt in den Cobra-Club. Solange ich Codomer unter meinen Augen habe, weiß ich, daß er nicht türmen geht. Hier würde ich es keine fünf Minuten mehr aushalten.“

Kommissar Woodrow machte eine auffordernde Hand-bewegung. „Ich habe nichts dagegen“, sagte er. „Amü-sieren Sie sich gut im Cobra-Club und grüßen Sie den Portier. Er ist ein alter Bekannter von mir.“

„Wieso?“ Ich kniff die Augen zusammen. „Dienstgeheimnis!“ Woodrow legte den Zeigefinger an

die Lippen.

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Eigentlich wollte ich ihm sagen, daß es mir gegenüber in diesem Falle keine Dienstgeheimnisse geben sollte, aber das schluckte ich erst einmal hinunter.

Glycard ging. Durch die gläserne Windfangtür, die in die Halle führte,

sah ich, daß ihm zwei Boys den Hut und die Handschuhe brachten.

„Amateur“, sagte Woodrow verächtlich. Dazu äußerte ich mich nicht. „Sagen Sie mal“, fragte er vertraulich, „können Sie mir

nicht eine Kleinigkeit mehr verraten, als mir dieser Major Livingburry gesagt hat?“

„Bestimmt nicht“, versicherte ich. „Wenn der Major nicht reden will – dann kann so ein kleiner Rekrut wie ich schon lange nicht den Schnabel aufmachen. Ich möchte mich nicht in die Nesseln setzen.“

Jetzt brachte man das kleine Helle. Es war ein winziges Gläschen.

„Das geht auf meine Rechnung“, sagte ich dem Kellner. Der lächelte irgendwie schmerzlich und entfernte sich. Woodrow trank das Zeug in einem kleinen Zug aus

„Na“, sagte er, „dann will ich mal.“ „Geben Sie mir Bescheid, sobald Sie eine Nachricht

haben“, mahnte ich. Dann stand ich auf und begleitete ihn hinaus.

Anschließend ging ich in die Bar mit den tiefen, wuchtigen Schaumstoff-Sesseln und der betont exklusiven Atmosphäre. Ich hatte an der riesigen Portiersloge hinter-

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lassen, wo ich zu finden war. Ich bestellte einen ,Prince of Wales’ und zwischendurch

einen Whisky. Zwar versuchte ich, mir über diesen Fall klar zu werden

– aber das ging jetzt noch nicht. Ich hielt es nicht für besonders geschickt, sofort in den

Cobra-Club zu fahren. Meinem Gefühl nach mußte man hier verdammt vorsichtig zu Werke gehen. Man konnte sehr viel kaputt machen, wenn man da …

„Verzeihung, Sir“, sagte ein Kellner hinter mir, „da fragt eine Dame nach einem Mr. Glycard. Ich hörte zufällig, daß der Herr, der vorhin bei Ihnen saß …“

Ich drehte mich um. „Kann ich die Dame mal sehen? Lohnt es?“

Der Kellner schmunzelte. „Allerdings – es lohnt unbe-dingt, Sir.“

Kurz danach führte man die Dame herein. Sie trug ein Sackkleid und war eine der wenigen, die

sich so etwas leisten können. Ihr Haar war weißblond. Ich sprang unwillkürlich auf, denn so etwas wie diese

Frau erwartet man normalerweise höchstens auf der Kino-leinwand zu sehen. Sie sah fabelhaft aus.

Ich verbeugte mich und murmelte meinen Namen. „Ich bin Rose Lawson“, sagte sie und reichte mir unbe-

fangen die Hand. Dann setzte sie sich an meinen Tisch. „Bringen Sie uns eine kleine Flasche Sekt“, flüsterte ich

dem Kellner zu. „Stewart ist hiergewesen“, sagte sie, klappte ihre

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Handtasche auf und betrachtete sich kritisch im Spiegel. Dann benetzte sie die Lippen, steckte den Spiegel weg und legte die Handtasche auf den Tisch. „Wo kann ich ihn treffen? Es ist sehr wichtig.’’

Ich muß wohl ein bedauerndes Gesicht gemacht haben, denn sie lachte. „Wirklich“, versicherte sie, „es geht um eine geschäftliche Sache. Ich bin seine rechte Hand in der Agentur.“

Widerwillig verriet ich ihr, daß er im Cobra-Club sei. Mißbilligend schüttelte sie den Kopf. „Es gefällt mir

nicht, daß er so oft dort hingeht“, sagte sie. Dann sah sie sich vorsichtig um. „Haben Sie etwa auch mit Spionage und solchen Sachen zu tun?“

„Hm“, machte ich, „wieso?“ „Schon begriffen“, lachte sie, und ich sah, daß sie

unwahrscheinlich schöne Zähne hatte. „Aber Sie dürfen mir nicht verübeln, Mr. Amboß, daß ich als Frau – und“, sie betrachtete ihre Hände, „ich darf wohl sagen, auch als liebende Frau, nicht sehr viel für Spionagegeschichten übrig habe. Einerlei ob man sie selber tut, oder ob man damit beschäftigt ist, sie abzuwehren. Ich finde, das ist Männersache!“

Der Kellner brachte die Piccolo-Flasche Sekt. Er öffnete sie. Es gab einen leichten Knall. Er goß die beiden Gläser voll, und die Flasche war leer.

Wir stießen an und tranken. „Wollen wir ebenfalls in den Cobra-Club fahren?“

schlug ich vor. „Wir könnten ihn dort treffen.“ Aber Rose Lawsen schüttelte energisch den Kopf. „Nein

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– ich will mich gar nicht erst in so ein Milieu …“ „Ist es denn so schlimm?“ „Ich weiß nicht“, überlegte sie, „wahrscheinlich nicht.

Es gibt dort selbstverständlich kein Striptease und auch sonst – aber ich habe gehört, man beschäftigt dort Unter-haltungsdamen.“

„Na, das ist doch nicht gefährlich?“ „Für Stewart wahrscheinlich nicht“, sagte sie langsam

und sehr leise. „Aber ich verachte die Männer, die tagsüber vor lauter Arbeit nicht mehr Mensch sein können und die dann in der Nacht so ein Stimulans brauchen. Es sind doch keine richtigen Menschen mehr, nicht wahr?“

„Darüber könnte man dicke Bücher schreiben!“ Ich legte ihr die Hand auf die Schulter.

Sie zitterte etwas, aber sie ließ es sich gefallen. Als wir den Sekt getrunken hatten, stand sie auf. „Ich

gehe jetzt“, sagte sie. „Entschuldigen Sie die Störung …“ Eifrig versicherte ich, es sei keine Störung gewesen – im

Gegenteil. Dann begleitete ich sie hinaus. Der Boy brachte ihr den leichten Sommermantel.

„Ein Taxi“, sagte sie. Vor dem Portal des Hotels verfrachtete ich sie in den

Wagen und hörte, wie sie eine Adresse in einem der öst-lichen Randbezirke Washingtons angab.

Dann ging ich zurück. „Telefon für Mr. Amboß“, sagte ein Page. Ich trat in eine der Zellen. Es war Kommissar Woodrow.

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„Hallo, Amboß“, sagte er, „ich wollte Ihnen nur sagen, daß es keinen Zweifel gibt: der Oberkellner Norman Wagner ist mit der Pistole ermordet worden, die Thornton C. Codomer gehört,“

„Und jetzt?“ fragte ich. „Wir werden ihn sofort festnehmen“, sagte Woodrow.

„Ich habe schon mit Major Livingburry telefoniert. Er besteht darauf, daß Sie bei der Verhaftung zugegen sind.“

„Also gut“, brummte ich, „dann holen Sie mich, bitte, hier ab.“

Ich legte auf.

* Einer der Manager des Metropol kam zu mir in die Bar gestürzt. Er war kreideweiß.

„Mann“, sagte ich, „was haben Sie denn?“ Mit zwei Fingern griff er sich hinter den Kragen und

versuchte, ihn zu lockern; dabei brach ihm der Schweiß aus der Stirn. „Draußen“, stotterte er, „direkt vor dem Portal. Sie sind mit heulenden Sirenen gekommen, diese Narren! Und das mit dem Metropol!“

„Nun mal der Reihe nach“, schlug ich vor. „Reden Sie nicht so laut! Die anderen Gäste werden schon aufmerk-sam.“ Ich winkte einem Boy. „Hol meinen Hut.“

Der Junge hatte in der Nähe gestanden. Etwas wider-willig ging er davon. Er wollte sich kein Wort dieser interessanten Unterhaltung entgehen lassen.

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Der Manager wich zwei Schritte zurück. „Sie wußten also, daß die Polizei nach Ihnen fragen wird?“

„Allerdings!“ Mit einem schnellen Griff zog ich die schmale Fliege am Hals des Managers auf. „Vielleicht kriegen Sie jetzt besser Luft?“ grinste ich.

Der Boy brachte meinen Hut. Jetzt kam Adlai Woodrow herein. „Wo bleiben Sie denn

so lange, Amboß?“ polterte er los. „Wir haben es eilig, verdammt noch mal!“

Endlich schien auch das Hotelpersonal zu begreifen, daß ich hier nicht verhaftet werden sollte, sondern daß mir ein Streifenwagen der Polizei das Taxi sparte.

Kurz darauf saß ich neben Woodrow im Fond des Funkwagens, und dann ging es mit auf- und abschwel-lender Sirene quer durch die Innenstadt von Washington.

Irgendwo in einer stillen Seitenstraße, an der äußersten Peripherie der Stadt, befand sich in einer Villa, die mit vielen Säulen im victorianischen Stil gebaut war, der berühmte Cobra-Club.

„Sie können ganz beruhigt sein!“ Kommissar Woodrow deutete, als wir ausstiegen, auf die andere Straßenseite hinüber. „Wenn Sie genau hinsehen – dort sind unsere Leute.“

In einer violetten Phantasieuniform und mit weißen Handschuhen stand der Portier auf der untersten Stufe der Freitreppe. Er machte ein womöglich noch entsetzteres Gesicht als vorhin der Manager im Metropol. Mit unsicheren Schritten kam er auf uns zu.

Rechts im Garten sah ich jetzt auf kurzgeschnittenem

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Rasen ein gutes Dutzend der teuersten und neuesten Automodelle parken. Manche von ihnen hatten das Kenn-zeichen des diplomatischen Corps.

„Das ist Jack Mortimer“, sagte Kommissar Woodrow und faßte den Portier an seinen silbernen Fangschnüren.

„Lassen Sie mich in Ruhe“, fauchte Mortimer. Er war mindestens genauso athletisch gebaut wie der Kommissar. Seine Stirn war niedrig, soweit man das bei der Admirals-mütze feststellen konnte. Er hatte borstige Augenbrauen. Die Nasenseite, die er mir zukehrte, glänzte knallrot. Aber das kam nicht – wie ich zuerst glaubte – vom Suff, sondern weil sich dort offenbar ein Furunkel entwickelte.

„Los“, sagte Kommissar Woodrow, „machen Sie auf.“ Der violette Mortimer war völlig ratlos. „Geben Sie mir

Ihre Karte, Woodrow“, sagte er. „Ich werde Sie anmelden. Sie wissen doch selber, wie das ist. Wir sind ein Club und haben unsere Statuten. Es geht nicht, daß da einfach jeder Fremde reinkommt! Sonst beschweren sich die anderen Gäste.“

Fast liebevoll griff Adlai Woodrow nach dem Hand-gelenk des anderen. „Muß ich dir als altem Kunden meine Polizeimarke zeigen?“

„Nein, natürlich nicht, aber …“ „Na also, mach’ keine Mätzchen.“ Er drehte sich um und

winkte zwei massiv gebaute Detektive heran. „Los, Boys“, sagte er, „der Portier will Schwierigkeiten machen. Brecht die Tür auf und verfrachtet Mortimer solange in einem Wagen.“

Einer packte den Portier, der andere ging mit wuchtigen

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Schritten die Treppe hinauf und betrachtete kurz das Schloß.

„Nein“, keuchte Mortimer, „ich mach ja schon auf.“ „Okay“, nickte Woodrow. Mortimer steckte einen kleinen Schlüssel in das Patent-

schloß der schweren, eichenen Tür, drückte auf einen Messingknopf und ließ uns eintreten.

Ich sah, daß es in seinem Gesicht arbeitete. Da wandte ich einen Trick an. In meinem schlechtesten

Englisch sagte ich: „Mein Name ist Amboß. Ich habe gedacht, diese Herren wollen in den Club, aber hier scheint ja etwas Besonderes los zu sein?“

Jack Mortimer stöhnte leise und rückte an seiner Mütze. „Mr. Amboß“, flüsterte er, „es muß ein Irrtum sein! Sie können ganz unbesorgt hineingehen – ich bitte Sie aber, die anderen Gäste nicht zu beunruhigen.“

„Kennen Sie diesen Mann?“ fragte Woodrow erstaunt. „Mr. Amboß ist mir avisiert“, dienerte der Portier

würdevoll. „Ich habe Anweisung, ihn auch ohne Clubkarte einzulassen.“

„Hm“, nickte ich, „na schön! Ist Stewert Glycard drin?“ Mortimers Augen funkelten böse. Sein Gesicht wirkte

jetzt tückisch und mißtrauisch. „Ja“, sagte er, „Mr. Glycard ist drin.“

„Mein Herr“, Woodrow legte mir die Hand auf die Schulter, „ich muß Sie bitten, noch ein wenig in unserer Gesellschaft zu bleiben.“

„Was erlauben Sie sich?“ Ich sprang beiseite.

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„Beunruhigen Sie sich nicht“, er rieb sich das Kinn und zwinkerte mir verstohlen zu. „Es könnte sein, daß der Portier später was von Körperverletzung faselt, da brauche ich einen neutralen Zeugen.“

„Wenn er mit Glycard befreundet ist, dann ist er nicht neutral“, schrie Mortimer.

„Davon verstehe ich nichts!“ Ich schob beide Hände tief in die Hosentaschen. „Ob ich mit Glycard abzurechnen habe oder sein Halbbruder bin, oder ob ich bloß eine Bestellung an ihn ausrichten will, das werde ich jedenfalls nicht dem Portier einer Edelkneipe auf die Nase binden.“

Einer der nachdrängenden Detektive baute sich neben Mortimer auf und würde nun – das wußte ich – dafür sorgen, daß sich der Portier nicht ohne Genehmigung des Kommissars mit irgend jemandem in Verbindung setzen konnte.

Die Villa, in der sich der Club befand, schien mir im ersten Moment ein Labyrinth zu sein. Dann begriff ich, daß ein Korridor im Parterre rings um das Haus lief und damit die eigentlichen in der Mitte befindlichen Clubräume von der Außenmauer trennte. Das war eine sonderbare Bau-weise, denn dadurch verfügte keiner der Clubräume im Parterre über ein Außenfenster. Wahrscheinlich war dieser verrückte Korridor erst später von Codomer angelegt worden – denn sicher hatte diese Villa nicht immer als Clubgebäude gedient. Die Besucher des Cobra-Clubs allerdings empfanden wohl das auch tagsüber notwendige künstliche Licht als gemütlich. Überdies konnten dadurch zufällige oder absichtliche Passanten auf der Straße auch bei einer versehentlich nicht zugezogenen Gardine

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unmöglich Einblick in die Innenräume gewinnen. Kein Skandalreporter konnte von außen durch ein Fenster photographieren (wie das oft genug in anderen Clubs geschieht) und wenige Tage darauf in seinem Magazin die gruseligen Geschichten über die Vergnügungen der oberen Zehntausend verbreiten.

Der Boden des Korridors war mit Teppichen belegt – an den Wänden hingen Bilder in altgoldenen Rahmen, floren-tinische Spiegel und chinesische und persische Schwerter. An jeder Ecke standen Stilmöbel. Ich glaube aber nicht, daß jemand auf die Idee kommen könnte, sich ausgerech-net hier hinzusetzen.

„Gehen Sie mal hinein“, sagte Woodrow. „Sagen Sie Glycard er möge rauskommen, wir wären da.“

Wir hatten die Garderobe erreicht. Die ältere Frau, die hier bediente, wollte uns die Hüte

abnehmen, aber ich gab meinen Woodrow zu halten und öffnete die nächstbeste Tür.

Es waren Doppeltüren. Ich kam in einen mittelgroßen Raum, der matt und flackernd wie von Kerzenschein erleuchtet war.

Hier sah es schon etwas moderner aus. Die Mitte des Raumes lag tiefer als die Seiten. Dort unten konnte getanzt werden, aber es war jetzt nicht allzuviel Betrieb. Don drüben entdeckte ich einen Wanddurchbruch in maurischer Form, und dahinter mochte sich die Bar oder ein anderer Gesellschaftsraum befinden.

Linker Hand gab es Separees. Dort knallte ein Cham-pagnerpfropfen.

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Mit der Miene und dem Gehabe eines russischen Groß-fürsten kam ein befrackter Kellner auf mich zu und griff nach meinem Jackett.

Als ich schon dachte, er wolle mir etwas tun, und als ich gerade zurückschlagen wollte, da merkte ich, daß er etwas an meinem Revers befestigte.

Nachdem er seine Hand weggenommen hatte, betrach-tete ich das Ding. Es war eine kleine Schlange, ein grüner Halbedelstein in einer Silberfassung. Dieses Ding hatte meiner Schätzung nach einen Wert von mindestens zehn Dollars.

„Haben Sie einen bestimmten Wunsch, Sir?“ fragte der Kellner. „Erwarten Sie Gesellschaft, oder wünschen Sie, daß ich Sie mit einer Dame bekannt mache? Verzeihen Sie – ich bin erst verhältnismäßig kurze Zeit hier, mir ist Ihr Name leider noch nicht bekannt, Sir …“

„Amboß“, sagte ich. Er rieb sich die Hände. „Gewiß, Mr. Amboß! Wenn ich

recht unterrichtet bin, sind Sie heute zum erstenmal in unserem Hause.“

Eine Kapelle, die bis jetzt geschwiegen hatte, begann zu spielen.

Der Kellner gab ihr einen Wink. Die Musiker hatten weiße Hemden an und trugen

martialische Bärte. Entweder waren es echte Zigeuner oder sie stammten aus Brooklyn und taten nur so. Jedenfalls spielten sie gut. Das Cembalo perlte, die Geigen schluchzten. Einige Musiker kamen herüber und bauten sich im Halbkreis tun mich auf. So begrüßte man also im

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Cobra-Club einen Menschen, der für würdig befunden worden war, diese Creme der allerobersten Gesellschaft um seine Person zu erweitern.

Weil mir das irgendwie Spaß machte, und weil ich ja auch Glycard suchen wollte, ging ich mit dem Kellner die Stufen hinunter, überquerte die Tanzfläche und wurde dabei von den emsig geigenden Zigeunern langsam begleitet.

Ich sah in einige verschieden ausgestattete Räume und entdeckte manches Gesicht, das mir aus der Zeitung bekannt war. Hauptsächlich handelte es sich um Diplo-maten. Aber ich sah auch zwei Großindustrielle und eine Gruppe Film- und Bühnenstars.

Die Bar war als eine Art Katakombe hergerichtet. Kienspäne brannten knisternd an den unverputzten Bruch-steinwänden – man mußte auf Fässern Platz nehmen, und die Damen hinter der Bar hatten tiefe Dekolletes und glut-volle Augen.

Der Kellner, räusperte sich. „Sie könnten natürlich auch auf der kleinen Galerie Platz nehmen, Mr. Amboß“, sagte er ohne jede Spur von Ungeduld, „oder in den Keller-nischen. Es ist dort unten sehr stimmungsvoll – nur ist heute um diese Zeit dort noch kein Betrieb. Wir hätten dann ferner noch …“

„Nein, danke“, sagte ich, „wo ist Mr. Glycard? Ich muß ihn sprechen.“

Im Gegensatz zum Portier reagierte der Kellner bei der Erwähnung des Namens Glycard gar nicht. „Er war bis vor einer Stunde hier“, sagte er. „Wo er gesessen hat, kann ich

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Ihnen nicht einmal sagen, denn ich habe ihn nicht bedient. Später hörte ich dann beiläufig, er sei gegangen.“

„Das sollte mich verdammt wundern“, murmelte ich. „Können Sie mir sagen, wo ich Mr. Codomer finde?“

„Den Chef?“ Erstaunt sah er mich an. „Haben Sie eine Beschwerde vorzubringen, Sir?“

Ich war schon an ihm vorbeigegangen, durchquerte die Nachbarräume und war dann wieder vorn auf der Tanzfläche. „Sie sollen mir sagen, wo ich Codomer finde“, herrschte ich den Kellner leise an.

„Wahrscheinlich in seiner Wohnung. Oben im ersten Stock. Wenn Sie gestatten, telefoniere ich mal rasch hinauf und bitte Mr. Codomer, zu Ihnen zu kommen. Wenn Sie vielleicht dort oben Platz nehmen wollen?“

Ich ging hinaus. Auf einem der altmodischen Sessel saß Adlai Woodrow. „Sie brauchen aber lange“, knurrte er. „Schon gut!“ Ich wandte mich an die Garderobiere. „Sie

kennen Mr. Glycard?“ Die Frau nickte und sah sich um. „Wann hat er seine Garderobe abgeholt?“ Sie holte einen Velour-Hut hervor. „Er hat sie noch gar

nicht abgeholt.“ „Merkwürdig“, ich hiß mir auf die Lippe. „Kommen Sie,

Woodrow, wir gehen zu Codomer’. Er ist wahrscheinlich in seiner Wohnung im ersten Stock. Ich vermute, der Kellner hat ihm schon telefonisch einen Wink gegeben, daß ihn jemand sprechen will.“

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„Das geht nicht“4 sagte die. Garderobiere erschrocken. „Niemand, der nicht eingeladen ist, darf in Mr. Codomers Wohnung.“

Ich konnte Woodrow gut verstehen, er wollte die Sache beschleunigen. Deshalb zeigte er der Garderobiere seine Marke und forderte sie auf, uns zu führen.

Die Frau hatte offenbar weiche Knie bekommen und stolperte vor uns her. Es ging noch einmal um eine Ecke, dann kam eine verhältnismäßig steile Treppe und oben ein breiter Korridor.

Eine Glastür mit der Aufschrift ,Privat’ war mit goldenen Schnörkeln bemalt.

Die Garderobiere holte tief Luft, ehe sie eine vergoldete Schlange rieben der Tür etwas anhob.

In einiger Entfernung schrillte eine Klingel. Sonst rührte sich nichts. Die Tür hatte von außen eine Klinke. Ich drückte darauf

– die Tür gab nach. „Das geht doch nicht“, jammerte die Garderobiere. „Sie

können unmöglich …“ Das kümmerte uns jedoch nicht sonderlich. Es war eine große Wohnung, in die wir kamen. Jeder

Raum war in einem anderen Stil eingerichtet, und die Möbel mußten ein Vermögen gekostet haben. Außerdem schien Codomer Sammler von Kunstgegenständen aller Art zu sein. Wir sahen geschnitzte Madonnen – ich entdeckte einen echten Renoir und einen kleinen Tintoretto, der auch sehr echt aussah – aber ich war ja nicht hierhergekommen,

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um ein Museum zu besichtigen. „Es ist nicht möglich, daß er uns durchgegangen ist“,

sagte Woodrow ein wenig gereizt. „Ich habe meine besten Leute draußen postiert. Als sie ankamen – soviel steht fest – war Codomer noch hier. Keine Maus kommt aus dem Gelände des Clubs, ohne daß meine Boys etwas davon merken. Ich habe sogar Auftrag gegeben, im Notfall von der Waffe Gebrauch zu machen.“

„So etwas ist immer schlecht!“ flüsterte ich. „Besonders am Anfang einer Geschichte. Kommen Sie, wir wollen weitersuchen.“

Ich sagte mir in diesem Augenblick, daß es mich jetzt nicht wundern würde, wenn wir irgendwo Thornton Calvin Codomers Leiche fänden. Spionage ist das übelste Geschäft, das es gibt. Man nimmt dabei auch auf seine eigenen Leute meistens keine Rücksicht. Mancher, der – ganz ohne sein Zutun – plötzlich unbequem geworden war, ist schon mit einem kleinen Loch in der Stirn in einem Maisfeld oder Taxi gefunden worden. Mancher lag tot auf seinem Bett und wies deutliche Spuren von Gewalt-einwirkung auf.

Codomer war vielfacher Millionär. Das hatte ihm alles dieser Club eingebracht. Es war auch möglich, daß seine Millionen zum Teil aus den Fonds irgendwelcher Spiona-geunternehmen stammten. Oder daß er mal eine Dummheit begangen und ihn jetzt jemand in der Hand hatte und zu Dingen zwang, die er vielleicht selbst längst nicht mehr tun wollte. Aber so ist das nun mal, und es gibt für Spionage einfach keine Entschuldigung, finde ich.

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Jetzt hatte Kommissar Woodrow die Tür zum Schlaf-zimmer geöffnet.

Auch hier war die Einrichtung gediegen, wenn ich sie auch etwas unmännlich fand. Das Bett war viel zu breit.

Es blieb mir keine Zeit, weitere Betrachtungen über das Mobiliar anzustellen. Zuerst fiel mir das heruntergerissene Bild und der geöffnete Safe dahinter auf. Er war zweifellos ausgeräumt worden.

Auf der blutverschmierten Schondecke des Bettes lag ein Mann, den man an Händen und Füßen gefesselt hatte. Das Blut stammte aus Wunden am Hals und am Kopf.

Weil wir beide vorsprangen, Woodrow und ich, stießen wir dicht neben dem gefesselten Toten zusammen.

Woodrow beugte sich über ihn und griff nach seiner Hand. „Er ist gar nicht tot“, sagte er plötzlich. Dann schrie er zur Tür hinüber. „Holt den Arzt, aber ein bißchen plötz-lich! Er sitzt im letzten Wagen!“ Dann wandte er sich an mich und erklärte: „In solchen Fällen nehme ich sicher-heitshalber immer den Assistenten des Polizeiarztes mit.“

Ich hörte nur halb zu. Mir war nämlich im gleichen Moment etwas anderes eingefallen. Vorsichtig drehte ich den Kopf des Mannes herum und löste ihm den Knebel vom Mund.

Obwohl ich Thornton Calvin Codomer nicht kannte, wußte ich doch sofort, daß dieser Schwerverletzte nicht der Inhaber des Cobra-Clubs sein konnte.

Es war nämlich niemand anders als mein neuer Bekannter Stewart Glycard.

Es paßte eigentlich gar nicht zu Adlai Woodrow, daß er

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plötzlich taumelte, als er die gleiche Entdeckung machte wie ich.

Glycard öffnete die Augen und sah uns der Reihe nach an. Dann schloß er sie wieder. „Wasser“, stöhnte er. „Wasser.“

II.

Der Assistent des Polizeiarztes brachte Glycard wieder ins Leben zurück.

„Besteht Gefahr für ihn?“ fragte ich. Der Mediziner schüttelte den Kopf. „Nein, er kommt

durch. Er hat allerdings eine Menge Blut verloren, aber ich denke, er wird’s schaffen. Soviel ich jetzt beurteilen kann, hat er keinen Schädelbruch. Jemand muß ihn mit einem schweren Instrument bearbeitet haben.“

„Ja!“ Ein Detektiv kam aus dem Hintergrund des Schlafzimmers. Er hatte ein Schüreisen in der Hand, das wohl für den Kamin dort drüben bestimmt war. „Hier sind Blutspuren daran. Und Haare! Damit hat man ihn zusam-mengeschlagen.“

Glycard lag auf dem Betti Der Arzt hatte ihn halb entkleidet, seine Wunden verbunden und massierte ihn nun. Außerdem hatte er ihm drei Spritzen gegeben.

„Stewart“, sagte ich, „wie sind Sie überhaupt hier ‘rauf-gekommen? Was ist passiert? Erzählen Sie doch ,..“

Der Arzt gab mir ein warnendes Zeichen mit den Augen. „Ich kann das nicht verantworten“, flüsterte er. „Der Mann ist vom Standpunkt des Mediziners noch nicht verneh-

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mungsfähig. Sie müssen schon ein bißchen warten.“ Ich preßte die Kiefer aufeinander. In mir wühlte die

Ungeduld. Kommissar Woodrow merkte das. Er lächelte schief.

„Jedenfalls ist Codomer verschwunden“, sagte er, „und wir können sehen, wie wir ihn kriegen! Vielleicht gehen Sie am besten mal hinunter und fragen das Personal aus. Sie können ja einige meiner Leute mitnehmen.“

Ich nickte flüchtig, fischte mir dann auf der Treppe ein paar Detektive heraus, die besonders intelligent aussahen und ging mit ihnen wieder in den Club.

Der Kellner, der mir vorhin das teure Abzeichen angeheftet hatte, war wohl inzwischen informiert worden, daß etwas Kriminelles im Hause geschehen sein mußte. Bittend kam er mir entgegen. „Ruinieren Sie uns nicht, Sir“, bat er.

„Ach was!“ Ich machte eine schnelle Handbewegung. „Ich bin in die Sache ganz zufällig reingerutscht. Nun muß ich sehen, wie ich sie ausbügle, sonst hält man mich schließlich noch für einen schlechten Menschen.“ Ich hüs-telte, nahm meine Zigaretten heraus und bot ihm eine an.

Er nahm sie, steckte sie aber in die Tasche. Mir fiel ein, was in meinen Informationen stand und was

mir Major Livingburry über die Sache im Cobra-Club erzählt hatte. „Ich möchte gern die Unterhaltungsdamen sprechen“, sagte ich.

Ein sehr dicker Mann, dessen Namen ich jetzt nicht erwähnen möchte, kam zu uns herüber. Seinen Namen hört man häufig im Radio. Er war Diplomat. Er schwitzte

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heftig. „Um Gottes willen“, flüsterte er, „was ist hier los?“ „Beunruhigen Sie sich nicht“, sagte ich. „Es geht hier

um Mord und Körperverletzung. So was kann überall vorkommen.“

Erleichterung zeichnete sich im Gesicht des Dicken ab. „Ja“, bestätigte er, „so was kann überall vorkommen.“ Dann ging er wieder in die Bar hinüber. Der Kellner lief ihm nach. Wir warteten neben den Separees. Die Kapelle hatte wohl die Anweisung bekommen, so

laut und lustig wie möglich zu spielen, und sie machte keine Pause.

Viele der Gäste – es waren inzwischen noch mehr geworden – hatten überhaupt noch nicht bemerkt, daß etwas nicht in Ordnung war.

Dann kam der Kellner zurück. In gemessenem Abstand folgten ihm einige Damen.

„Wenn Sie eine Vernehmung wünschen, Sir“, sagte der Kellner, „dann wollen Sie, bitte, dort hinter den Separees durch diese Tür gehen. Sie können …“

„Ja!“ Ich winkte den Damen, die überraschend gut aussahen und ließ sie an mir vorbei.

Das Hinterzimmer war ein Raum mit bequemen Sesseln und Diwanen. Eine Wand wurde von einem Bücherschrank eingenommen, in dem Enzyklopädien, Wörterbücher, Adreßbücher und sonstige allgemein interessierende Literatur standen.

Ganz still und leise setzten sich die Unterhaltungsdamen

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und zupften an ihren Ausschnitten. Ich marschierte in die Mitte des Raumes und betrachtete

das Muster des Teppichs. „Meine Damen“, sagte ich, „Sie sind alle schon länger hier?“

Zwei von ihnen protestierten. Sie waren noch kein Vierteljahr da.

„Na schön.“ Ich knöpfte mein Jackett auf, schob die Hände darunter und legte sie auf dem Rücken zusammen. Dann wippte ich auf den Schuhsohlen. „Daß der Ober-kellner Norman Wagner tot ist, wissen Sie vermutlich?“

Die Damen warfen sich flüchtige Blicke, zu, erbleichten unter der Schminke und nickten mit mehr oder weniger Temperament.

„Und jetzt“, sagte ich, „ist Ihr Chef geflohen, und oben in der Wohnung liegt einer Ihrer Gäste schwer verletzt.“

Eine der Frauen sprang auf und krallte die Hände in die Luft. „Verletzt?“ schrie sie. „Stewart Glycard ist…“

Ich biß mir auf die Lippen und betrachtete das Mädchen. Sie hatte eine gleichzeitig zarte und doch üppige Figur. Ihr Ausschnitt betonte die Üppigkeit, und das enganliegende Cocktailkleid die Zartheit. Ihr Haar war auf eine gekonnte Art wirr frisiert. Es war blauschwarz. Ihre Lippen waren sinnlich, und ihr Gesicht wirkte zumindest hübsch. Jetzt sah sie allerdings erschrocken, ja entsetzt aus.

Sie setzte sich wieder, weil sie einfach nicht mehr stehen konnte.

„Woher wußten Sie, daß ich von Stewart Glycard sprach?“ fragte ich sanft, nahm meine Zigaretten heraus und bot ihr eine an.

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Sie griff zweimal daneben, und als ich ihr Feuer gab, war das Anzünden auch fast ein Kunststück für sie.

„Führen Sie die anderen Mädels hinaus“, flüsterte ich einem Detektiv zu.

Er folgte sofort. Die Blauschwarze merkte es gar nicht. „Wie heißen Sie?“ fragte ich. Dabei sah ich zur Tür

hinüber, wo die übrigen Unterhaltungsdamen eben hinaus-gingen.

Eine von ihnen blieb stehen und starrte aus schmalen Augen zu uns her. Sie war unnatürlich blond, groß und elegant. Als sie merkte, daß ich sie ansah, drehte sie sich um und ging sehr eilig hinaus.

„Ich heiße Grace Andrew“, sagte die Blauschwarze und sog hastig an der Zigarette. „Vorhin habe ich zufällig gesehen, daß Mr. Glycard in die Wohnung des Chefs hinaufging.“

„Und warum regen Sie sich deshalb auf?“ Ich deutete auf ihre zitternden Hände und Arme.

„Mein Gott“, sagte sie, „erst die Sache mit Wagner – und jetzt das? So etwas macht die stärksten Nerven kaputt.“

„Hm!“ Ich setzte mich ihr gegenüber. Und dann machte ich noch einmal: „Hm!“ Plötzlich legte ich ihr die Hand aufs Knie. „Seien Sie vernünftig, Grace, Sie wissen doch wie das im Nachtleben ist? Es kann alles mögliche passie-ren, und es ist meistens besser, wenn man dann offen redet.“

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„Wer sind Sie?“ fragte Grace. „Ein harmloser Gast, wenn Sie so wollen“, grinste ich.

„Aber ich bin in die Geschichte reingeraten, und ich möchte mich gern irgendwie wieder hinauslavieren. Das ist mein gutes Recht als Mensch. Sie können mir also völlig vertrauen.“

Einen Augenblick schien es, als sei Grace Andrew irgendwie erleichtert. Aber dann war sofort wieder Abwehr und Mißtrauen in ihrem Gesicht zu merken. „Ich weiß gar nichts“, behauptete sie. „Vielleicht haben sie selber gemerkt, wie überrascht ich war …“

„Daß Glycard verletzt ist“, betonte ich. „Daß ihm was passiert ist“, schrie sie mich an. „Na ja“, beruhigte ich, „das ist doch dasselbe? Wenig-

stens so ungefähr. Sie haben ihn also hinaufgehen sehen? Der Kellner hat mir vorhin erzählt, Glycard wäre längst gegangen. Ich muß mit ihm noch mal darüber reden.“

Spöttisch zuckte es um Graces Mundwinkel. Daraus schloß ich, daß ich vom Kellner kaum sehr viel

erfahren könne, und ich strich ihn vorläufig aus meinem Konzept. Dann überlegte ich, ob es nicht ein Mittel gab, Grace zum Sprechen zu bringen. Mit Forsche war da jedenfalls nichts zu machen.

Der Detektiv, der noch an der Tür stand, räusperte sich. Ich warf ihm schnell einen wütenden Blick zu. Da sackte er ein Stück in sich zusammen und machte ein

lammfrommes Gesicht. „Sie sind nicht bloß Gast“, flüsterte Grace. „Sie sind

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etwas ganz anderes! Das merkt man doch, wenn man sieht, wie Sie mit den Detektiven umgehen. So kann kein normaler Mensch – nicht einmal ein Konzernherr – mit Polizeidetektiven umspringen.“

„Vielleicht habe ich eine Ausnahmestellung“, sagte ich unbestimmt und biß auf meinen Daumen. Ich ärgerte mich. Es waren zu viele Fehler, die ich hier gemacht hatte. Jetzt hatte es wirklich bald keinen Zweck mehr, hier bloß den Gast zu spielen. „Kennen Sie die große Blonde“, fragte ich, „die so komisch zu uns hergesehen hat, als sie hinaus-ging?“

„Ethel?“ fuhr es Grace heraus. „Ja, wahrscheinlich.“ „Wir haben einige Blonde im Team.“ „Bestimmt Ethel“, lächelte ich freundlich, „sonst wären

Sie nicht so schnell draufgekommen. Wie heißt sie weiter?“ „Blue.“ „Also Ethel Blue. Gut. Ist das Ihre spezielle Freundin?“ „Ja“, sagte Grace verkniffen. Ich stand auf und trat hinter ihren Sessel. Dann beugte

ich mich zu ihr. Dicht an Ihrem Ohr flüsterte ich: „Ihr habt hier Schweinereien gemacht. Ihr habt gewisse Leute ausge-holt und die Nachrichten dann weitergegeben. Es sind auch noch andere Dinge passiert. Jetzt kommen wir und wollen die Rechnung kassieren, verstanden?“

Grace war zur Statue erstarrt. Nicht einmal ihre Zigarette zitterte mehr. „Nein“, sagte sie mit einer Stimme, die nicht ihr zu hören schien, sondern offenbar von ganz woanders

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herkam. „Nein, wir haben mit Spionage nichts zu tun. Es ekelt mich an, dieses Wort zu hören.“ Sie sprang plötzlich auf und starrte mich haßerfüllt an. Sie war jetzt gar nicht mehr schön und auch nicht mehr reizvoll. „Wenn ich vor etwas einen Widerwillen habe, dann ist es…“

„Die Spionage, ich weiß“, sagte ich ruhig. „Das geht den meisten Leuten so, die gegen ihren Willen in so etwas hineingepreßt worden sind.“

Grace ließ die Arme schlaff herunterfallen und taumelte. Der Detektiv sprang von der Tür herüber und stützte sie.

Das war auch notwendig, denn sonst wäre sie zweifellos auf den Teppich gefallen.

Trotzdem herrschte ich den Detektiv an: „Mischen Sie sich nicht in Sachen, die Sie nichts angehen. Sehen Sie zu, daß Sie rauskommen.“

Das traf den Mann empfindlich. Er bettete Grace auf einen Diwan und ging hinaus. Dabei schimpfte er leise vor sich hin.

Hätte er sie doch umfallen lassen! Jetzt hatte sie ihre Sicherheit wiederbekommen.

Na – das ließ sich nicht ändern. Ich öffnete den Bücherschrank und nahm ein englisch-

spanisches Wörterbuch heraus. Es dauerte ziemlich genau zwei Minuten, bis Grace vom

Diwan aufstand. Sie ordnete ihr Kleid und ihr Haar und lächelte dann verlegen zu mir herüber. „Entschuldigen Sie bitte, daß mir die Nerven durchgegangen sind“, sagte sie.

Ich warf das Wörterbuch auf den Tisch.

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„Na ja“, sie zuckte die Schultern. „Wagner ist tot, ver-stehen Sie? Und dann gleich am selben Tag die Sache mit Glycard. So etwas geht einem ans Gemüt. Aber machen Sie sich meinetwegen keine Sorgen …“, ihre Stimme klang plötzlich spöttisch, „ich habe mich bereits wieder erholt. Als sogenanntes Geschöpf der Nacht ist man eine Menge Belastungen gewohnt.“

Ich murmelte einen Fluch. Dann griff ich sie massiv an. Ich sagte ihr noch einmal auf den Kopf zu, daß im Cobra-Club Spionage getrieben würde und man in erster Linie die Unterhaltungsdamen benutze und wie das ja auch ganz logisch sei. Besonders, wenn die Damen so gut aussähen wie in Codomers Club.

„Ihr sauberer Chef ist getürmt“, sagte ich, „oder er sitzt irgendwo im Keller und zittert hinter einer Apfelsinenkiste. Vielleicht hofft er, die Polizisten fänden ihn nicht. Ich weiß es nicht, das wird sich aber noch herausstellen.“

Sie gab nicht sofort Antwort. Draußen spielte die Kapelle, was die Instrumente hergeben wollten.

Irgendwo in der Ferne wurde gelacht. Von Gästen, die noch keine Ahnung hatten, was sich hinter ihrem Rücken abspielte.

„Sie sind noch sehr jung, Mr. Amboß“, seufzte Grace, kam zu mir und strich mit einer schnellen Bewegung der Hand über mein Haar.“

„Woher wissen Sie meinen Namen?“ „Den hat uns der Kellner verraten.“ „Und was halben Sie zu der Spionagegeschichte zu

sagen?“

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„Wie gesagt – Ihre Jugend und Ihre Phantasie! Außerdem, wie Sie selbst sagen, sind Sie ja nur Gast. Möglicherweise sind Sie so einflußreich, daß nicht einmal die Polizei wagt, Ihnen in dieser Sache ihren Schutz Zu versagen. Ich finde es bezeichnend, daß kein Polizeioffizier dabei war, als Sie uns verhörten.“

Ich starrte sie an. „Jetzt wäre es Ihnen wohl lieber“, fragte sie und nahm

eine Zigarette aus meinem Etui, das noch auf dem Tisch lag, „wenn ich wieder Zustände bekäme wie vorhin?“ Sie kicherte, klopfte die Zigarette auf dem Daumennagel fest und hielt sie mir entgegen. „Feuer, wenn ich bitten darf.“

Verblüfft ließ ich das Feuerzeug aufklicken. Keine Spur von Zittern war mehr in ihrer Hand. „So ist das!“ Sie blies mir den Rauch ins Gesicht und wiegte herausfordernd die Hüften. „Aber ich bin eine Bürgerin der Vereinigten Staaten!“ Das betonte sie etwas mehr als notwendig gewe-sen wäre.

„Was wollen Sie damit sagen?“ fragte ich. Ihre langen, angeklebten Wimpern senkten sich und

wurden zu einem Vorhang vor den Augen. Ich konnte verstehen, daß diese Frau einen Mann aus der

Fassung bringen konnte. Aber mich im Augenblick nicht! „Lieber Freund“, gurrte ihre Stimme, „wenn die Polizei nichts dagegen hat, daß uns irgend ein x-beliebiger Gast hier vernimmt – dann ist die Polizei eben von der irrigen Voraussetzung ausgegangen, wir Unterhaltungsdamen wären Geschöpfe zweiten Ranges.“ Sie setzte sich und legte die Beine übereinander. Dann ließ sie den Rauch ihrer

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Zigarette durch die Nase kräuseln. Sie betrachtete mich von unten herauf. „Die Verfassung garantiert jedem Menschen das gleiche Recht – welchen Beruf er auch ausüben möge.“

„Drücken Sie sich deutlicher aus.“ Ich hatte plötzlich Lust, sie an den Schultern zu packen, hochzuziehen und hin und her zu schütteln.

Sanft lächelte Grace Andrew. „Wie Sie wollen, Mr. Amboß. Ich fühle mich heute ein wenig strapaziert. Ich bin nicht mehr in der Lage, tiefschürfende Gespräche zu führen. Wenn Sie wollen, können Sie mich zu einer Flasche Champagner oder zu einem Cocktail einladen – dann können wir uns an der Bar weiter unterhalten. Aber es ist hier im Cobra-Club üblich, um Mädels als Damen zu betrachten. Nur ein Flegel würde es wagen, die Art der Unterhaltung allein bestimmen zu wollen. Sonst geht man also auf unsere kleinen Eigenheiten ein.“

„Ich habe hier mit Ihnen zu sprechen“, fauchte ich. „Soll ich Champagner bestellen?“ „Den Teufel werden Sie tun! Ich habe …“ „Nein.“ Nun stand sie auf und stieß die halbgerauchte

Zigarette in den Aschenbecher aus Achat. „Ich bedaure! Sie tragen zwar dort an Ihrem Revers

unser Clubzeichen und sind demnach als Gast ausgewiesen – aber auch Mädchen wie ich haben gewisse Rechte! Freilich“, sie hob die Augenbrauen, „wenn es Ihnen gelingt, sich mir gegenüber als Vertreter einer Behörde auszuweisen, die zu solchen Vernehmungen berechtigt ist – dann können wir weiterreden. Wenn nicht, wenn Sie

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tatsächlich nichts weiter sind als der Gast Amboß, dann muß ich die Besprechung leider als beendet ansehen.“

„Dann werden Sie eben vor der Polizei reden“, explodierte ich.

„Jawohl“, strahlte sie, „das werde ich.“ Ich spürte, daß ich diese Partie verloren hatte. Deshalb schaltete ich sofort um. „Kommen Sie, Grace.“

Ich griff nach ihrem Arm und zog sie ein Stück zu mir heran. „Deswegen keine Feindschaft.“

Sie musterte mich von der Seite von oben bis unten. „Ich werde mich selbstverständlich nie mit einem Gast unseres Clubs verfeinden“, erwiderte sie kühl.

„Sie müssen das verstehen, Mädchen“, erwiderte ich. „Vorhin habe ich am Portal den Portier nach Glycard gefragt. Ich hatte mit ihm etwas zu erledigen.“

Sie riß sich los. Es war so, als ob sie etwas fragen wolle, aber das schluckte säe hinunter.

„Ja?“ fragte ich gedehnt. „Was ist denn?“ „Nichts!“ Sie hatte sich wieder in der Gewalt. „Zum Teufel“, murmelte ich, „ausgerechnet zu gleicher

Zeit mit mir kam die Polizei an.“ „Haben Sie deshalb eine Pistole unter der Jacke?“ fragte

Grace. „Weil Sie mit Glycard reden wollten?“ „Vielleicht“, murmelte ich. Ihre Hände krallten sich in mein Jackett. „Gehören Sie

etwa auch zu diesen verdammten Spionen?“ „Nein“, fuhr ich sie an, „das ist es ja gerade, was ich

beweisen will! Glycard hat dazu gehört, nicht wahr?“

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Vorsichtig sah sich Grace um. Sie trat an die Tür und sah durchs Schlüsselloch. Dann kam sie auf Zehenspitzen zurück. „Der Kerl steht noch draußen“, sagte sie. „Es war sehr unklug, daß Sie heute in den Club gekommen sind und Glycard sprechen wollten. Ihrem Ton nach zu schließen sind Sie nämlich nicht sein Freund!“

„Nein“, sagte ich fast widerwillig, „das bin ich nicht, aber …“

„Wer weiß, wer Ihnen das ins Ohr geblasen hat.“ Sie betrachtete nachdenklich ihre Hände. „Irgendwie sind Sie mir sympathisch, Amboß. Tut mir leid“, jetzt sah sie direkt ein bißchen verlegen aus, „in einer Situation wie der unse-ren kann man keine weibliche Zurückhaltung verlangen. Außerdem bin ich Unterhaltungsdame und sowieso gewöhnt, hm, gelegentlich ein bißchen zudringlich zu sein. Tja“, sie setzte sich auf die Armlehne eines Sessels, hob den rechten Fuß und ließ ihren Schuh pendeln. „Sie fragen also beim Portier nach Glycard – die Polizei hört das, und nachher findet man diesen Herrn schwerverletzt in Mr. Codomers Wohnung?“

Ich beugte mich vor. „Wer ist Stewart Glycard in Wirklichkeit?“

Ihre Augen wirkten jetzt kalt und irgendwie haßerfüllt. „Er ist ein sehr einflußreicher Mann“, flüsterte sie. „Er behauptet zwar in erster Linie Show-Agent zu sein“, sie kicherte böse, „das stimmt auch, wenn man es genau nachprüft. Aber er hat Beziehungen zur Regierung!“ Sie deutete mit dem Daumen irgendwohin. „Er steht in dem Ruf, mit der Abwehr zusammenzuarbeiten. Sie können an den nicht ran, Amboß, ohne sich die Finger zu verbrennen!

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Aber vielleicht schlägt jemand diesen Menschen gelegent-lich tot … und …“

Ich straffte mich. „Vorläufig scheint es mir, als ob man mich noch im Verdacht hätte, diesen Mann halb tot-geschlagen zu haben. Wenn man bei mir ein bißchen in der Vergangenheit wühlt, könnte sogar herauskommen, daß ich Glycard nicht besonders gern gemocht habe.“

„Warum?“ fragte sie gedehnt. „Da war mal eine Frau“, murmelte ich, „mit dieser war

ich bis vor einem Vierteljahr verheiratet. Glycard kam dazwischen …“

Belustigung und Enttäuschung malten sich zugleich in Graces Gesicht. „Weibergeschichten hat er also auch noch gehabt?“ fragte sie. „Damit hätte man ihn vielleicht in der Öffentlichkeit unmöglich machen können – aber jetzt ist es zu spät. Jetzt läuft die Sache andersherum.“

„Sagen Sie mir doch die Wahrheit“, bettelte ich. „Viel-leicht kann ich mir selber damit helfen.“

„Nein, Boy!“ Sie nahm sich erneut eine Zigarette, und ich gab ihr Feuer. „So wichtig wie du denkst, bist du nicht. Es geht hier tatsächlich um Dinge, in die viele Menschen verwickelt sind. Ob man dich nun mal vorübergehend in einen falschen Verdacht bekommt oder nicht – das ist gar nicht so welterschütternd wichtig. Du ahnst ja nicht, was hier hinter den Vorhängen gespielt wird.“

„Spionage“, sagte ich. „Das sagtest du schon einmal“, nickte sie. „Wahrschein-

lich wird man mich heute nacht noch verhören, denn du wirst der Polizei gegenüber kein Blatt vor den Mund nehmen.“

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„Das kommt auf dich an.“ „Ach so?“ Sie zog die Mundwinkel herunter. „Je mehr

ich dir jetzt verrate, um so weniger wirst du dem Kommissar sagen?“ Sie bog sich vor Lachen. „Ich kenne die Menschen besser als du, denn ich habe Gelegenheit gehabt, sie kennen zu lernen, wenn sie betrunken waren oder leidenschaftlich. Das schult, mein Sohn.“

„Mach was du willst“, brummte ich. „Kann ich jetzt gehen?“ Sie machte einen ironischen

Knicks. Eine flüchtige Sekunde überlegte ich, ob ich ihr meinen

Spezialausweis der Abwehr zeigen sollte. Aber das unter-ließ ich dann natürlich. „Ich kann niemanden halten“, sagte ich.

Sie ging zur Tür. Dann drehte sie sich noch einmal um. „Ist Mr. Glycard vernehmungsfähig?“

„Noch nicht“, sagte ich wahrheitsgemäß. „Aber er hat eine gesunde Konstitution, und ich nehme an, er wird den Blutverlust spätestens morgen früh überwunden haben. Dann wird ihn die Polizei im Krankenhaus vernehmen.“

„Viel Spaß“, flüsterte sie. Ich war sofort bei ihr. „Kannst du mir wenigstens sagen,

wo Codomer ist?“ Sie überlegte. „Thornton ist ein feiner Kerl“, sagte sie.

„Er führt eine glückliche Ehe.“ „Oh, ich habe seine Frau …“ „Nein“, lächelte Grace trübe, „Berryl Codomer ist viel

zu hart und schön fürs Nachtleben. Jedenfalls fand

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Thornton Codomer das. Seine Frau hat diesen Club so gut wie nie betreten. Übrigens lieben sich die beiden. Sie dürfen nicht denken, daß Thornton irgendwie getrennt lebt.“

„Eigentlich ist es ganz ausgeschlossen“, überlegte ich, „daß er aus dem Haus herausgekommen ist. Es war umstellt. Ich verrate dir kein Geheimnis, wenn ich dir sage, daß der Oberkellner Norman Wagner mit Codomers Pistole erschossen worden ist.“

„Nein“, entgegnete sie leise, „du verrätst mir damit kein Geheimnis – wir sprechen alle schon die ganze Zeit darüber. Man hat ja Codomers Pistole beschlagnahmt. An seiner Stelle wäre ich vielleicht auch ausgerissen.“

„Aber wie? Die Polizei hat das Gebäude seit Stunden umstellt.“

Es glitzerte überlegen in ihren Augen. „Laß die Polizei doch suchen“, sagte sie leise. Dann öffnete sie die Tür.

„Halt!“ Der Detektiv trat vor. „Wer hat Ihnen erlaubt…?“

Ich sah ihn warnend an. Da ließ er sie durch. Jetzt kam der Detektiv herein. „Bei euch von der

Abwehr weiß man nie, was man machen soll“, maulte er, nahm das Wörterbuch vom Tisch und stellte es in den Bücherschrank zurück. Dann schloß er die Glastüren.

„Sorry“, sagte ich, „vielleicht war ich Ihnen gegenüber vorhin ein bißchen unfreundlich. Es wäre mir aber tatsäch-lich lieber gewesen, Sie hätten diese nette Unterhaltungs-dame umfallen lassen, ohne zuzuspringen.“

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„Als Mann reagiert man eben“, entschuldigte er sich und kratzte sich am Genick.

„Ja“, nickte ich, „als Mann. Man muß sich vieles abge-wöhnen, wenn man in die Dienste von CIA tritt. Grace Andrew hat dort auf dem Diwan gelegen und sich erholt. Dann stand sie auf und war wie verwandelt. Jetzt hatte sie sich wieder in der Gewalt, und ich „konnte kein Sterbens-wörtchen aus ihr herauskriegen. Übrigens …“

Kommissar Adlai Woodrow trat ein. Er hatte gerade noch die letzten Worte mitgekriegt. „Hat er was ange-stellt?“ fragte er und deutete auf den Detektiv.

Der Mann hatte ängstliche Augen bekommen. „Nein“, sagte ich, „er hat nichts angestellt, aber ich habe versagt.“

„Trösten Sie sich“, schmunzelte Woodrow, „in dieser ganzen Geschichte habe ich das Gefühl, als ob wir nicht so schnell weiterkommen sollten. Zum Teufel, ich werde jedesmal sauer, wenn ein Mordfall mit Spionage zusam-menhängt. Wenn andere Motive vorliegen – Eifersucht, Geldgier, Rauschgift, oder was Sie sonst noch wollen – dann können wir was mit unserer Routine anfangen. Aber in diesen Fällen …“

„Habt ihr Codomer gefunden?“ „Natürlich nicht“, er bewegte die Finger. „Vom Winde

verweht.“ „Dann haben eure Detektive geschlafen.“ „Offenbar“, gab Woodrow zu. „Wenn es sich um einen

normalen Mordfall handeln würde, dann könnten Sie jetzt aber mal was erleben, Amboß. Dann würde ich meine Leute zusammenstauchen, daß es nur so rauscht. In

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Spionagefällen sage ich aber lieber gar nichts. Da wundere ich mich nicht einmal, wenn sich ein Mann, den wir schon am Kragen haben, in Luft auflöst. Oder wenn er als neuer Satellit um die Erde kreist und ,Piep-piep’ macht.“

Ich ging zur Tür, die er offengelassen hatte, und schloß sie leise. „Vorläufig kommt es noch darauf an“, sagte ich, daß Sie meine Story unterstützen. Ich habe mich der Unterhaltungsdame Grace Andrew gegenüber als gewöhn-licher Gast ausgegeben. Wer ich bin, kann Ihnen Living-burry erzählen. Ich bin nämlich irgend ein Großaktionär von fremdländischer Herkunft, der im Cobra-Club mal mächtig angeben wollte. Vor drei Monaten bin ich geschie-den worden – aber das habe ich dazu erfunden, damit Grace nicht stutzig wurde. Ich habe behauptet, ich hätte mit Stewart Glycard ein Hühnchen zu rupfen, weil er meine Frau verführt hat. Es paßte ja auch ganz gut, daß ich beim Portier nach Glycard gefragt habe und später beim Kellner. Jetzt habt ihr ihn gefunden – und nun habt ihr mich im Verdacht, ich hätte einen Mordversuch an ihm begangen.“

„Paßt ganz gut“, maulte Woodrow widerwillig. „Wenn Sie wirklich der wären, der Sie vorgeben zu sein – ein schwerreicher Mann nämlich – dann würde Ihnen die Polizei selbstverständlich auch erst mal die Möglichkeit geben, sich zu rechtfertigen. Das wollen Sie nun tun?“

„Ja“, sagte ich, „wenn Grace nicht allzuviel Dreck am Stecken hätte und dazu ein Herz in der Brust, dann hätte ich sie schon weich gemacht. Vielleicht gelingt mir das noch. Vielleicht sagt sie mir eines Tages doch die Wahrheit, um mir einen Tip zu geben, wie ich mich aus diesen Maschen des Untersuchungsrichters befreien kann.

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Was ist übrigens mit Glycard?“ „Er hat einen Dachschaden“, sagte Woodrow kalt. „Und

dazu eine Natur wie eine Katze. Wir haben ihn förmlich dazu überreden müssen, wenigstens mal für eine Nacht ins Krankenhaus zu gehen. Dort soll er untersucht werden, und ein paar Kleinigkeiten müssen genäht oder geklammert werden. Nachher, darauf besteht er, will er sich wieder in den Fall einschalten.“

„Ach was“, sagte ich, „der Kerl hat einen krankhaften Ehrgeiz. So geht es den meisten Laien. Er ist stolz darauf, Mitarbeiter von CIA zu sein und jetzt einen dicken Fall am Wickel zu haben. So wie ich diese Sorte beurteile, wird er niemals zulassen wollen, daß einer meiner Kollegen oder ich die Lösung bringen. Er wird sich mit Händen und Füßen sträuben und wird mir gerade noch notfalls gestatten, ihm ein bißchen bei der Klärung zu helfen.“

Woodrow zuckte mit den Schultern. „Ich bin froh“, sagte er, „daß ich nicht in der Abwehr tätig bin. Aber hier geht es ja um einen Mord und einen Mordversuch. Wenn Sie wollen, können Sie weiter mit mir zusammenarbeiten.“

„Und wenn nicht?“ „Dann werde ich allein herumwursteln.“ „Was haben Sie vor?“ Er sah auf die Uhr. „Ich werde jetzt zu Mrs. Codomer

fahren. Entweder ist ihr Mann bei ihr, oder man kann wenigstens einiges Wichtige aus ihr herausfragen.“

„Ja“, sagte ich, „da komme ich mit. Aber ich will zuerst noch einmal nach der kleinen Grace sehen. Tun Sie mir den Gefallen – begleiten Sie mich, und nehmen Sie die

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Kleine noch in ein kurzes Verhör. Sie können ja Ihre Beamten zu Mrs. Codomer schicken und dafür sorgen, daß die schöne Frau nicht plötzlich ebenfalls verblüht.“

Wir verließen das Zimmer und gingen in die Clubräume. Der Kellner gab Kommissar Woodrow vorsorglich auch

noch ein kostbares Abzeichen, damit wir nicht auffielen. Und er bat uns kläglich, auf gar keinen Fall Unruhe in die ,gepflegte Stimmung’ zu bringen.

Trotzdem sah man uns überall nach. Der dicke Diplomat hatte sicher seinen Freunden schon einen Wink gegeben.

Jetzt war ich davon überzeugt, daß sowohl die Anzeige des Oberkellners Wagner als auch die Tips, die Stewart Glycard gebracht hatte, stimmten. Daß nämlich im Cobra-Club tatsächlich eine ganz gemeine Art von Spionage im Gange war.

Viel der Gäste machten nämlich, wie mir schien, sehr erleichterte Gesichter, als sie uns sahen. Ihnen war es immer noch lieber, daß es sich um Mord und Totschlag handelte, als wenn plötzlich die Abwehr aufgetaucht wäre.

Ich war von diesem Moment an überzeugt, daß die Auf-klärung dieser Geschichte – falls sie sich jemals aufklären ließ – einen weltweiten Skandal hervorrufen würde. Hier im Cobra-Club waren Mitglieder aller diplomatischen Missionen der westlichen Welt von Zeit zu Zeit vertreten. Soviel hatte ich den Informationen in meinem dicken Kuvert entnommen.

Ich mache solche Sachen nicht sehr gern. Sie sind mir zu sensationell. Es besteht dann zu sehr die Gefahr, daß der Name Amboß der Konkurrenz bekannt wird. Vorläufig

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kann ich es mir immer noch leisten, mich zum Beispiel als Fabrikant Hello Amboß auszugeben. Ich gehöre auch innerhalb der Abwehr keineswegs zu den Prominenten. Um mich schwebt eine Aura der Anonymität, und darin fühle ich mich wohl.

Wir kamen an die Bar – gingen sogar in den Keller. Rötliche Ampeln brannten dort, und die Wände waren

künstlich feucht gehalten. Aber es roch nicht muffig, sondern es war weiter nichts, als ein raffiniertes, gesonder-tes Lokal.

Mitten im Keller stand ein großes Faß mit skurrilen Zeichnungen darauf. Es enthielt schweren, kalifornischen Wein.

Ein Kellner mit einer Küferschürze ließ ab und zu daraus einen Pokal vollaufen.

Der Cobra-Club war viel größer als es den Anschein hatte. Ich zählte sehr viele Gäste – aber sie verloren sich in diesen großen Räumen. Ich konnte mir denken, daß Thornton C. Codomer mit diesem Lokal auf seine Kosten kam. Besonders als ich irgendwo auf einem Tisch eine Getränkekarte liegen sah und die Preise studierte. Es waren Preise für Kranke. Oder für schwerreiche Leute.

Nirgends aber entdeckten wir Grace Andrew. Auch der Kellner, der sich von Anfang an um mein

Wohlergehen bemüht hatte, konnte mir keine Auskunft geben.

Dann sah ich in einer Kellernische die große, elegante und blonde Ethel Blue sitzen. Sie unterhielt sich angeregt mit einem Gast, der – wie mir ein Detektiv zuflüsterte – ein

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ziemlich bekannter Star eines New Yorker Theaters war. „Holen Sie das Mädchen doch mal her“, sagte ich zu

Woodrow. „Ich muß mit ihr reden.“ Woodrow erledigte das. Der Bühnenstar erhob sich und ging verärgert davon. „Das sind feine Methoden“, zischte Ethel, als sie zu uns

kam. „Unserem Chef die Gäste verjagen – das habe ich gern.“

„Reden Sie keinen Unsinn“, brummte ich sie an. „Ich bin in einer Klemme, die größer ist als Sie sich vorstellen können. Hier, das ist Kommissar Adlai Woodrow. Er ver-dächtigt mich, einen Ihrer Gäste zusammengeschlagen zu haben. Glauben Sie ja nicht, daß ich daran interessiert bin, mich jetzt mit Rücksicht auf euren Umsatz ins Kittchen zu bringen.“

„Was wünschen Sie?“ „Wo ist Grace Andrew?“ Ethel schrak ein bißchen zusammen. „Sie hat gesagt“, fuhr ich schnell fort, „daß Sie ihre

Freundin sind.“ „Ach so, ja“, Ethel rieb sich die Stirn. „Jetzt erinnere ich

mich. Grace ist vor ungefähr zwanzig Minuten bei mir gewesen und hat gesagt, sie wolle heimgehen. Sie war ziemlich durcheinander. Immerhin war sie eng mit Norman Wagner befreundet.“

Ich merkte sofort, daß sie log. Ich konnte aber nicht sagen, wieso und warum …

Der Kellner in der Küferschürze kam heran. Er machte

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einen vertrauenerweckenden Eindruck. „Ja“, sagte er, „das weiß ich auch. Ich habe zufällig dabeigestanden. Grace hat gesagt, daß sie heim wolle. Sie wohnt in der Bianca Street, wenn es Sie interessiert.“

Ich zog Woodrow, der plötzlich schimpfen wollte, hinaus.

Wir gingen die Treppen ins Parterre hinauf. „Ich vergehe das nicht“, knurrte Woodrow, „Ich habe

meine Leute ausdrücklich angewiesen, niemanden vom Personal ohne meine besondere Genehmigung hinaus-zulassen.“

„Und die Gäste?“ „Die Gäste konnten natürlich hinaus“, knurrte er.

„Unterschätzen Sie uns nicht. Der Cobra-Club ist so prominent, daß wir ohne Schwierigkeiten von jedem Kellner und jeder Unterhaltungsdame eine Photographie auftreiben konnten. Besonders der Sergeant am Portal wußte haarscharf, wer zum Personal gehört und wer nicht.“

„Und wenn sie sich anders geschminkt hat?“ „Quatsch“, brummte mich Woodrow an, „wir sind doch

keine Kinder. Auf falsche Schminke fallen wir nicht herein. Übrigens ist einer von meinen Leuten vorher durch den ganzen Club gelaufen. Es ist der Mann mit dem besten Gedächtnis für Gesichter. Er hat sich bloß mal kurz die Gäste angesehen und sich dann am Eingang postiert. Wen der hinausgelassen hat, der war in Ordnung.“

Wir gingen zum Portal. Woodrow schnappte sich den Mann mit dem guten

Gedächtnis und den Sergeanten.

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Und die beiden Männer schworen, es wäre in der letzten halben Stunde bestimmt kein weibliches Wesen durch die Tür hinausgegangen. Aber auch nicht durch die anderen Türen, die zum Garten oder Parkplatz führten. Überhaupt habe in den besagten dreißig Minuten lediglich ein älterer Mann den Club verlassen – und zwar ein Mann mit einem sehr berühmten Namen. Ein Hollywood-Regisseur näm-lich, der gar nicht zu verkennen war.

Woodrow wurde zappelig. Er Ließ noch einmal das ganze Haus untersuchen.

„Denken Sie an Geheimgänge?“ fragte ich spöttisch. „Spotten Sie nicht“, beschwerte er sich. „Man hat schon

die verrücktesten Sachen erlebt. Es kann sich auch um ein Versteck handeln, in dem Codomer und die schöne Grace sitzen.“

„Pfui“, stichelte ich „wie anzüglich.“ Er ließ sich aber nicht beirren. Als das alles keinen Erfolg hatte, wollte Kommissar

Woodrow sowohl die blonde Ethel Blue als auch den Portier Jack Mortimer festnehmen.

Ich machte ihn darauf aufmerksam, daß das nicht nur unklug sei, sondern daß er noch nicht einmal eine Hand-habe besitze.

Das sah er schließlich ein. Wir ließen den Club unter Polizeibewachung zurück. Das Personal zitterte, die Gäste könnten etwas merken. Wir aber fuhren in Woodrows Wagen zur Bianca Street. Das ist eine Straße, die aus ziemlich alten Häusern

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besteht, die dicht aneinander gebaut sind. Wir klingelten bei Grace Andrews Vermieterin an der

Skala neben der Haustür. Es dauerte reichlich lange, bis der Türöffner schnurrte. Dann gingen wir hinauf. Eine alte Frau in einem grobgeblümten Bademantel und

Lockenwicklern im Haar empfing uns verschlafen. Wir fragten nach Grace. „Na“, sagte die alte Frau, „wissen Sie das nicht? Da ist

doch die Mutter gestorben. Sie war gerade hier, hat ihre nötigsten Sachen gepackt, sich dann telefonisch ein Taxi bestellt und ist weggefahren.“

Wir sahen uns an, Woodrow und ich. Dann stand also fest, daß Grace Andrew den Polizei-

kordon durchbrochen hatte, ohne daß es jemandem aufge-fallen war.

Sie hatte das umstellte Haus verlassen – das Haus, aus dem nach Kommissar Woodrows Aussage keine Maus heraus konnte, ohne daß seine Leute es merkten.

„Jetzt wissen Sie wenigstens“, brummte ich, „daß Thornton Codomer ohne allzu große Schwierigkeiten die Kurve kratzen konnte.“

„Kann ich jetzt schlafen gehen“, fragte die Vermieterin, „oder wie ist das? Wer sind Sie überhaupt?“

„In Ordnung, gehen Sie schlafen!“ sagte Woodrow freundlich.

*

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Woodrow bestand darauf, daß wir noch in eine kleine Kneipe gingen und einen Mokka tranken.

Er wollte Klarheit mit sich selbst schaffen. „Ich überlege mir“, flüsterte er, „ob ich nicht doch

Mortimer und die Blue festnehmen lassen soll? Sonst haben wir schließlich zum Schluß gar niemand mehr bei der Hand und gucken dumm in die Welt.“

„Wie Sie wollen“, brummte ich. „Eine geschickte Über-wachung wäre meines Erachten«, klüger.“

„Zum Teufel!“ Er ballte die Hände auf dem weiß gescheuerten Tisch. „Sie haben ja in den Fällen Codomer und Grace Andrew gesehen, was bei einer geschickten Überwachung herauskommt!“

„Zugegeben“, ich kratzte mir den Kopf. „Sie sollten über Sprechfunk die Anweisung geben, daß zumindest Ethel Blue direkt in den Räumen des Cobra-Clubs überwacht wird. Rufen Sie meinetwegen Major Livingburry an. Der hat ja so gute Beziehungen und wird bestimmt einen irgendwie Prominenten auf die Beine stellen, der in den Club hinein darf und sich mit möglichst viel Geld an Ethel Blues Fersen heftet. Wenn Sie sich darauf beschränken, die Straßen um den Cobra-Club zu bewachen, werden Sie wahrscheinlich eine Pleite erleben.“

„Hm“, machte er, stand auf und ging. Es war ein ziemlicher ,Hecht’ im Lokal. Eine Musicbox

dröhnte, ein Betrunkener tanzte auf dem Parkett. Die Mäd-chen an der Biertheke sahen verlebt aus.

Keine sehr erfreuliche Atmosphäre. Es war hier alles

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sehr billig. Fernfahrer kehrten hier ein und Gelegenheitsarbeiter.

Auch die verlebten Frauen an der Biertheke waren so etwas Ähnliches wie die Unterhaltungsdamen im Cobra-Club, nur eben eine andere Klasse. Auch die ‚Menschen in der Nacht’ stellten keine klassenlose Gesellschaft dar.

Ich überlegte, wie schön es wäre, wenn ich jetzt in dem Luxushotel Metropol in meinem Bett liegen könnte. Es ging schon stark auf Mitternacht zu.

Kommissar Woodrow kam zurück. „Erledigt“, sagte er. „Und jetzt fahren wir zu Mrs. Codomer und werden ihr ein bißchen auf den Zahn fühlen.“

„Aber möglichst nicht mit einem großen Polizeiauf-gebot“, warnte ich. „Das könnte ins Auge gehen.“

Überrascht sah er, mich an. „Eure Sirenen“, erklärte ich, „sind im Stadtverkehr ganz

praktisch. Aber ihr habt sie bis dicht vor dem Cobra-Club nicht ausgeschaltet. Möglicherweise ist Codomer erst abgehauen, als er eure Sirenen hörte.“

Woodrow knurrte etwas von .nicht über Sachen reden, die Sie nicht verstehen’ und winkte dann der Kellnerin.

Wir bezahlten ein paar Cents für den Mokka und gingen.

III. Wenige Meilen vor Annapolis – wo man schon den Geruch der See spürt – besaßen die Codomers einen modernen, idyllisch gelegenen Bungalow.

Die Gegend gehörte nicht mehr zum Weichbild von

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Washington, aber man hatte bequeme Busverbindungen in die Stadt und konnte sich trotzdem wie auf dem Lande fühlen.

Der Bungalow war noch so neu, daß nicht einmal die Einfahrt ein Tor besaß. Wir konnten also mit dem Polizei-wagen bis vor die Freitreppe fahren und sprangen hinaus.

Das war wenige Minuten vor ein Uhr nachts. Woodrow klingelte. Es dauerte ziemlich lange, bis hinter den dicken

Glasscheiben der Tür ein schwaches Licht aufflammte. Wir sahen, daß auch diese Halle wie ein kleines Museum einge-richtet war.

Ein Negermädchen von etwa achtzehn Jahren öffnete uns. Sie hatte ein verschlafenes Gesicht und war in einen Bademantel gehüllt.

„Wir müssen Mrs. Codomer sprechen“, sagte Woodrow. Das Negermädchen machte eine erschrockene, abweh-

rende Handbewegung. „Aber, Sir“, sagte die Kleine, „um diese Zeit …“

Woodrow zeigte ihr seine goldene Polizeimarke. Sie starrte darauf und buchstabierte die Inschrift. Dann

bekam sie erschrockene Augen, in denen das Weiße leuchtete.

Wir setzten uns auf ein breites Sofa. Das Negermädchen rannte so schnell davon, daß es seine

Pantoffel verlor. Auf einem Sims tickte eine Uhr, deren silbernes Ziffer-

blatt glänzte.

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Das Tappen der nackten Füße der Negerin entfernte sich. „Scheußliches Geschäft“, sagte Woodrow, nahm Ziga-

retten aus der Tasche, steckte sie aber sofort wieder ein und sah sich um. Er wollte hier lieber nicht rauchen.

„Gescheiter wäre es gewesen“, sagte ich, „wenn wir uns von der Schwarzen in Berryl Codomers Schlafzimmer hätten führen lassen. Jetzt wird die gnädige Frau natürlich gewarnt.“

Woodrow verzog das Gesicht zu einer Grimasse. „Das könnte Ihnen so passen! Haben Sie Berryl Codomer schon mal gesehen?“

„Nein.“ „Na also! Sie ist eine bildhübsche Frau. So was überfällt

man – wenn es sich irgendwie vermeiden läßt – auch nicht aus dienstlichen Notwendigkeiten im Schlaf. Auch als Beamter ist man ja darauf angewiesen, die Form zu wahren, nicht wahr?“

Und dann kam Berryl … Gentlemen – wenn ich nicht genau gewußt hätte, daß sie

verheiratet war, hätte ich mich auf der Stelle rettungslos in sie verliebt.

Sogar das Bild, das ich seit ein paar Stunden komi-scherweise ständig vor Augen hatte – das Bild dieser Rose Lawsen nämlich – verblaßte neben Berryl. Sie hatte ein hoheitsvolles Gesicht. Fast bin ich versucht, in diesem Fall zu sagen – sie hatte ein Antlitz. Obwohl sie nur etwas ganz Dünnes über das Neglige geworfen hatte, fiel es mir primitivem männlichen Geschöpf nicht ein, ihre Formen zu mustern. Berryls ganzes Wesen wurde vom Gesicht her

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bestimmt. Sie war bestimmt erst Mitte der Zwanzig – und doch strahlte sie den Reiz einer reifen Frau aus, ohne ein Fältchen im Gesicht.

Ich könnte sie malen – aber ich kann sie nicht beschreiben. Stellen Sie sich, lieber Leser, Ihr eigenes weibliches Ideal vor, und Sie wissen, wie es mir bei der ersten Begegnung mit Berryl Codomer zumute war.

„Sie kommen von der Polizei?“ fragte sie befremdet. „Ich wüßte nicht, wie ich Ihnen …“

Auf der Treppe stand noch das Negermädchen und starrte zu uns herüber.

Woodrow sah zu ihr hin. „Madam’’, sagte er zu Berryl Codomer, „es wäre mir lieber, wir könnten ungestört …“

„Bitte“, sie neigte leicht den Kopf. Dann ging sie uns voraus, öffnete eine Schiebetür, knipste an einem Schalter, und wir saßen bald darauf in einem kleinen Damensalon.

Auch hier spürte man Thornton Calvin Codomers erlesenen Geschmack. Selbst das Nähkästchen war eine eingelegte Arbeit, und der Teppich war ein echter Astrachan. Eine Wand wurde von einem Porträt Berryls eingenommen. Ein sehr bekannter Maler hatte diese Lein-wand signiert, und das Bild hob sich kaum vom Stil der klassischen Meister ab, die außerdem die Wände zierten.

Berryl setzte sich. Woodrow war ungeschickt genug, ihr eine Zigarette

anbieten zu wollen, aber sie dankte. „Nein, danke“, sagte sie, „ich rauche nicht. Also, was wünschen Sie? Es ist nicht gerade die Zeit, einen Besuch zu machen, und vielleicht wäre es auch möglich gewesen, mich morgen früh aufzusuchen?“

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Sie wußte gar nicht, wie geschickt sie sich verhielt. Adlai Woodrow wurde dunkel im Gesicht, und dann platzte er heraus: „Madam – wo ist Ihr Mann?“

Ehrliches Erstaunen lag in ihrem Gesicht. „Im Club. Wo sonst? Er übernachtet ja auch dort. Wir sehen uns höchs-tens ein- oder zweimal in der Woche.“ Dann sah sie zu mir herüber. Ihre Augen wurden etwas kleiner, und ihr Mund wurde schmal.

Ich bin nicht eingebildet, aber ich weiß, was Frauen in meiner Gegenwart denken. Vielleicht ist dieses Wissen ein Teil meines Berufsgeheimnisses. Berryl Codomer war – daran konnte es keinen Zweifel geben – eine hundert-prozentig anständige Frau. Aber sie war auch ein ebenso hundertprozentiges Weib. Und nun stemmte sie sich gegen diesen Strom der Sympathie, den sie plötzlich empfand. Es ist kein Verdienst für mich, wenn ich so wirke. Manchmal ist mir das sogar lästig. Aber ich habe immer wieder verstanden, es für meinen Beruf einzusetzen, und deshalb schäme ich mich auch nicht, es an dieser Stelle zu sagen.

Kommissar Woodrow war aufgesprungen. „Ihr Mann ist nicht im Club, er ist, hm, geflohen.“

Berryl beugte sich vor. Sie achtete jetzt nicht mehr auf den Sitz ihrer notdürftigen Kleidung, und deshalb blieb mir nichts anderes übrig als festzustellen, daß sie in der Tat in jeder Beziehung reizvoll war. Sie bemerkte meinen Blick, errötete und raffte den Morgenrock am Hals zusammen. „Sie sind von der Polizei? Warum soll mein Mann geflohen sein? Hat es irgendwas mit der Steuer gegeben?“

Woodrow lachte. Ihm paßte die Atmosphäre hier nicht.

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Wahrscheinlich hatte ihn Berryl ganz gegen seinen Willen ebenso gefangen wie mich. Aber jetzt wollte er diese Sphäre zerstören. „Ihr Mann hat wahrscheinlich seinen Oberkellner Norman Wagner erschossen und später einen Gast namens Stewart Glycard lebensgefährlich verletzt.“

„Nein“, sagte Berryl Codomer ganz sachlich, „das ist blühender Unsinn. Mein Mann neigt nicht zu Gewalt-tätigkeiten.“

„Das hat manche Frau gedacht“, bellte Woodrow. „Moment“, ich wollte etwas gutmachen. „Es gibt im

Augenblick keine Geheimnisse mehr. Ihr Mann hat einen großen Teil seines Vermögens mit anrüchigen Spionage-affären gemacht. Würden Sie uns gestatten, das Haus zu durchsuchen?“

Da verlor Berryl Codomer die Nerven. Sie sprang auf, packte eine Vase – die bestimmt sehr kostbar war – und schmetterte sie auf den Astrachan-Teppich. Sie schrie und tobte, erklärte uns für Narren, schluchzte …

Ich mußte sie zu ihrem Sessel zurückführen und sanft hineindrücken.

Woodrow war inzwischen hinausgegangen und hatte die anderen beiden Leute aus dem Wagen geholt.

Ich hörte, wie er ihnen leise den Auftrag gab, das Haus zu durchsuchen.

Man sollte auf den geringsten Hinweis achten, der darauf hindeutete, daß Thornton Codomer noch vor kurzer Zeit hier gewesen war.

Dann kam Woodrow zurück.

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„Mir liegt alles daran“, sagte Berryl, „zu wissen, ob sich Thornton mir gegenüber verstellt hat, oder ob er das Opfer eines falschen Verdachtes geworden ist. Ich werde Ihnen helfen, das zu klären.“

„Ich kann Sie so gut verstehen“, mit der linken Hand umspannte ich ihr Handgelenk. „Thornton Codomer besitzt einen Nachtclub. Er hat viel mit schönen Frauen zu tun. Schon lange hat in Ihnen der Verdacht gewühlt, er könne …“

„Das ist Unsinn“, behauptete sie, aber es klang nicht sehr echt.

„Doch“, nickte ich, „das ist schon so. Jetzt wollen Sie wenigstens wissen, was er dort für ein Leben geführt hat, an dem er Sie nicht teilnehmen ließ. Sie haben ihn geliebt, und Sie lieben ihn noch, aber Sie möchten nicht gern wahrhaben, daß Sie sich dieser Liebe vielleicht schämen könnten.“

Sie schob meine Hand von ihrem Arm weg. „Verzeihen Sie“, sagte sie dann leise und griff wieder

mechanisch nach dem Ausschnitt ihres Morgenrocks. „Wenn ich Ihnen irgendwie behilflich sein kann …“

Einer der Detektive erschien an der Tür. Woodrow ging zu ihm. Die beiden unterhielten sich leise. Ich sah zwischen der Gruppe dort drüben und Berryl hin

und her. Sie merkte es und lächelte. „Machen Sie sich keine

Sorgen“, murmelte sie. „Es kann niemand entdeckt haben, daß Thornton hier gewesen wäre. Ich habe ihn nämlich

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tatsächlich seit achtundvierzig Stunden nicht gesehen.“ Woodrow kam zurück. Fragend sah ich ihn an. Er hob die Schultern. Dann wandte er sich an Berryl.

„Sie wollen uns also helfen?“ Berryl Codomers Augen waren fragend auf mich gerich-

tet. Ich grinste etwas überheblich. „Mrs. Codomer hat nicht

davon gesprochen, daß sie der Polizei helfen will – sondern mir.“

Sie erschrak ein wenig. „Ist das nicht dasselbe?“ „Nein“, murmelte Woodrow sein Verschen herunter.

„Mr. Amboß ist selber durch die Extratouren Ihres Herrn Gemahls in ein etwas schiefes Licht geraten. Jetzt bemüht er sich, aus diesem Verdacht herauszukommen.“

Sie stand langsam auf, kam zu mir und griff nach meinen Händen. Ihre Augen waren groß. Ich entdeckte kein rotes Äderchen darin. Ich hätte sie beinahe gefragt, ob sie mal ihr Blutbild habe prüfen lassen.

„Es tut mir leid“, sagte sie fast herzlich. „Wenn durch irgendeine Geschichte, die Thornton vielleicht begangen hat, ein Unschuldiger in Verdacht kommen sollte. Aber ich will“, sie schluckte ein paarmal, „ich will…“

„Ja, Berryl“, sagte ich, „morgen früh werde ich zu Ihnen kommen. Ich werde Sie vorher anrufen, damit Sie Bescheid wissen. Ich glaube bestimmt, daß Sie in der Lage sein werden, mir zu helfen.“

Sie starrte an meinem Kopf vorbei.

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„Und warum machen Sie das?“ fragte Kommissar Woodrow ziemlich grob.

Berryl und ich fuhren aus unseren Gedanken auf, und ich nahm mir vor, in den nächsten Stunden etwas mehr an die unverheiratete Rose Lawsen zu denken, die ja auch sehr hübsch und attraktiv war. Es verursachte mir nahezu körperliche Schmerzen, mich hier aussichtslos in eine Ehefrau zu verlieben.

„Ich verstehe Sie nicht, Kommissar“, flüsterte Berryl. Er kam mit seiner „pensionierten Boxergestalt“ ein

Stück näher. „Mindestens scheint eins festzustehen“, stellte er kühl fest, „daß Sie von eventuellen dunklen Machen-schaften Ihres Mannes keine Ahnung gehabt haben. Aber Sie wollen wissen, was los ist? Sie haben etwas von Spionage gehört…“

„Ich habe in erster Linie etwas von Mord gehört“, schrie Berryl Codomer.

„Das auch!“ Adlai Woodrow machte eine waagerechte Bewegung mit beiden Händen durch die Luft. „Aber Spio-nage wirkt auf Frauen stärker, das weiß ich. Da hängen nämlich meistens andere Frauen drin, nicht wahr? Noch dazu, wenn der Mann einen Nachtclub hat. Weshalb haben Sie übrigens den Inhaber des Cobra-Clubs geheiratet?“

Unsäglich verächtlich blickte Berryl Codomer den Beamten an. „Das können Sie nicht verstehen. Gerade die Menschen, die ein Nachtlokal besitzen, oder darin tätig

sind, werden meistens so bürgerlich sein, wie Sie sich das gar nicht vorstellen können!“

„Doch“, Woodrow hob die Augenbrauen, „das weiß ich

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schon. Ich habe als Polizist nämlich eine Menge mit solchen Leuten zu tun gehabt. Nur die Anfechtungen, denen ein Nachtclubbesitzer immer wieder ausgesetzt ist, gehen oft nicht spurlos an einem Mann vorüber. Eine Frau – soweit sie nicht selber in der Nacht tätig ist – wird dann zu Hause sitzen und grübeln.“

„Ich wäre ja bereit gewesen“, stöhnte sie und ballte die Hände, „selber mit im Club zu arbeiten. Ich wollte die Buchführung machen – ich wollte ihm helfen …“

„Ihr Gatte ist Millionär, Madam“, murmelte Woodrow. „Ich habe noch nie von einem Millionär gehört, der seine Frau als Buchhalterin angestellt hätte. Das müßte schon ein ganz gehöriger Geizkragen sein. Oh je – ich verstehe Thornton Codomer sehr gut. Besonders“, er musterte Berryl mit bewußt zudringlichen Blicken, „wenn die eigene Frau so schön ist wie Sie, Madam – da wird man Sie den Gefahren des Nachtlebens nicht gern aussetzen. Das haben Sie schließlich ja auch gar nicht nötig.“

„Wir wollen, bitte, nicht mehr darüber reden“, sagte sie hoheitsvoll.

„Nein“, bestärkte ich sie, „wir reden jetzt nicht mehr darüber.“

„Sie können ja gehen, wenn es Ihnen nicht paßt“, sagte Woodrow ziemlich scharf zu mir.

Ich zog Berryl etwas dichter an mich heran und mur-melte an ihrem Ohr: „Sie hören morgen früh von mir, aber nicht zu zeitig, damit Sie ausschlafen können. Und jetzt gehe ich, denn ich möchte diesem arroganten Polizisten mal zeigen, was …“

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„Ja“, sagte Berryl, „gute Nacht.“ Ich ging durch die Halle hinaus. Das Negermädchen knickste und öffnete mir die Tür. Ich lief die Stufen hinunter. Natürlich mußte ich mich mit Woodrow irgendwie

aussöhnen. Wir arbeiteten zusammen – außerdem stand mein Wagen nicht draußen. Ich hatte keine Lust, jetzt noch stundenlang in dieser öden Gegend nach einem Taxi zu suchen.

Auf der anderen Seite – schwach angeleuchtet vom Licht, das durch die Glasscheiben aus der Halle fiel – stan-den Rhododendron-Büsche und kleine Pfirsichbäumchen.

Der Fahrer des Polizeiwagens hatte sein Gefährt schon wieder bis zur Toreinfahrt gefahren, und er selbst war mit seinen Kameraden im Haus.

Ich nahm mir vor, über den Kiesweg bis zum Tor zu gehen und mich einfach abwartend iii den Wagen zu setzen. Dann wollte ich Woodrow die Meinung sagen, wenn er kam.

Aber da wuchs aus den Büschen neben mir eine Gestalt in die Höhe. Ehe ich auch nur die geringste Abwehr-bewegung machen konnte, krachte mir eine Faust ans Kinn, daß ich glaubte, sämtliche harten Teile meines Schädels wären blitzschnell zu winzigen Krümeln zerfallen.

Aber ich habe einen harten Kopf. Es dröhnte zwar darin wie im Inneren einer Glocke bei Großalarm, aber ich wuchtete beide Fäuste in die Gegend des Magens des Angreifers.

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Er stöhnte und wankte. Wie ein Rammbock warf ich mich noch einmal auf ihn. Da blitzte dicht vor meinen Augen ein Messer. Den Schlag hatte ich immer noch nicht überwunden. Am

liebsten hätte ich mich matt fallen lassen. Aber die Messerklinge war für mich wie ein Weckmittel.

Meine linke Hand fuhr hoch und umklammerte das Gelenk des anderen.

Keuchend rangen wir miteinander. Er biß mich in den rechten Unterarm. Es war ein böser

Schmerz. Aber je schlimmer der Schmerz ist, um so größer werden die Kräfte. Ich drehte ihm den Kopf herum und nahm ihn in den Schwitzkasten. Dann bog ich unnach-giebig sein rechtes Handgelenk herum, bis das Messer auf den Kiesweg klirrte. Schließlich stieß ich mit dem rechten Knie zu.

Er gab jedoch immer noch nicht auf. Er hatte eine Menge Kraft, und diese war sogar geschult.

Endlich gelang es mir, ihn mit beiden Händen am Hals zu fassen und ihn weit von mir wegzudrücken. Und nun erkannte ich das Gesicht Jack Mortimers – des Portiers vom Cobra-Club in Washington.

Mir blieb nichts anderes übrig: Wie einen Degen schlug ich ihm die Handkante schräg übers Gesicht.

Niemals hätte ich gedacht, daß er das aushalten würde, und schon gar nicht rechnete ich damit, daß er auch noch die Kraft besitzen würde, mir einen schweren Leberhaken zu versetzen, der mir die Luft nahm und mich in ein

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Pfirsichbäumchen warf. Das war der Augenblick, als auf der Freitreppe Adlai

Woodrow mit seinen Detektiven auftauchte. Mit aller Gewalt hielt ich mich bei Besinnung. Ich sah,

wie Mortimer die Auffahrt hinuntersprang, an dem Polizei-wagen vorbeihetzte und draußen auf der Straße verschwand.

„Haltet ihn!“ schrie ich. Das heißt – ich glaubte zu schreien. Später erklärte mir

Woodrow, ich hätte kaum noch vernehmlich gelispelt. Es genügte aber, zu veranlassen, daß einer von

Woodrows Detektiven hinter dem Flüchtenden herschoß: Einmal – dreimal…

Dann heulte auf der Straße ein Motor auf – man hörte die Ventile klingeln, und das Motorengeräusch entfernte sich. Erst weit draußen, auf der Straße, flammten die Scheinwerfer auf. Da war es aber schon zu spät, die Nummer zu erkennen.

Adlai Woodrow kam zu mir. Er beugte sich über mich und massierte meine Schläfen.

Ganz allmählich ging es mir besser. Ich konnte mich sogar aufrichten.

Wie ein Nebelschleier flatterte in ihrem kaum verdeckten Neglige“ Berryl Codomer die Treppe herunter und auf mich zu. Ich spürte ihre Arme an meinem Hals. „Ist Ihnen etwas geschehen?“

Ich lachte. Es klang viel zu rauh für diese schöne Frau. „Gehen Sie hinein, Madam“, sagte Woodrow grob.

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Mit zwei Fingern der rechten Hand fühlte ich, ob ich noch alle Zähne im Mund hatte. Es wackelte nicht mal einer, und das beruhigte mich. „Ja“, grinste ich, „Jack Mortimer hat mich überfallen.“

„Sieh mal an“, flüsterte der Kommissar. Berryl wich zwei Schritte zurück. „Jack? Das ist

unmöglich! Er ist der engste Vertraute meines Mannes.“ „Eben“, nickte ich. In dem unsicheren Lichtschein sah ich, wie ihr Gesicht

hart wurde. „Wir werden uns morgen darüber unterhalten“, sagte sie leise. „Und wenn etwas an Ihrem Verdacht ist, werde ich Ihnen helfen.“ Sie nickte mir zu, übersah Woodrow völlig und ging ins Haus zurück.

Der Kommissar führte mich zum Wagen und lachte leise. „Es tut mir ja leid, daß Ihr Korpus ein bißchen ange-kratzt ist“, sagte er. „Aber daß ich vorhin mit Ihnen Streit gesucht habe, dürfen Sie mir nicht übelnehmen. Damit unterstütze ich Sie doch bloß in der Rolle, die Sie unbedingt spielen wollen. Die Rolle eines Verdächtigen nämlich, der sich auf eigene Faust – notfalls auch gegen die Polizei – aus diesem Verdacht herausboxen will.“

In meinem benebelten Gehirn keimte ein leises Ver-ständnis für sein Verhalten auf.

Dann saßen wir im Fond des Wagens – der Motor brummte auf, und wir fuhren nach Washington zurück.

„Es scheint Sie nicht zu wundern, daß mich Mortimer angegriffen hat“, sagte ich.

Woodrow murmelte eine Weile vor sich hin. „Nein“, sagte er dann, „das bestätigt nur die Theorie. Und vor allem

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den Verdacht gegen Codomer.“ „Mortimer scheint ihm sehr ergeben zu sein.“ Woodrow kicherte. „Jack Mortimer hat eine Reihe Jahre

hinter Zuchthausgittern verbracht. Einmal hatte ich sogar das Vergnügen, ihm zehn Jahre zu verschaffen. Davon hat er allerdings nur fünf abgesessen. Jetzt tut er so, als ob er solide geworden wäre.“

„Was hat er denn auf dem Kerbholz gehabt?“ „Na, ganz schön stattlich!“ Woodrow bot mir eine

Zigarette an, aber ich schüttelte mich bei dem Gedanken, jetzt rauchen zu sollen. Da war der Kommissar so taktvoll, sich auch keine anzuzünden. „Raubüberfälle“, sagte er. „Bankeinbrüche! Einmal ein etwas unklar gebliebener Mordversuch, und schließlich war er auch noch Mitglied einer berüchtigten Gang.“

„Na also“, gähnte ich, „das genügt ja.“ Mein Kopf schmerzte. Ich sehnte mich nach meinem Bett im Hotel Metropol.

* Als ich ins Metropol kam, wurde ich superhöflich empfangen. Ein Boy holte den Manager, und dieser entschuldigte sich wortreich für sein Benehmen von gestern abend. Es war inzwischen drei Uhr morgens geworden.

„Ja, ja“, sagte ich, „schon gut.“ Er betrachtete neugierig mein Gesicht.

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„Kleinen Autounfall gehabt“, log ich. Er drängte sich vertraulich an meine Seite, als ich zum

Lift ging. „Sie haben sicher eine hochwichtige Position in der Kriminalpolizei, Mr. Amboß?“ fragte er leise. „Sie können sich hundertprozentig auf mich verlassen. Aber wissen Sie, ich bin ein leidenschaftlicher Leser von Krimi-nalromanen, und es würde mich schon mal interessieren, mich mit Ihnen zu unterhalten. Könnten Sie mir nicht …“

Vernichtend sah ich ihn an. „Lieber Himmel“, sagte ich, „halten Sie mich für einen Schutzmann?“

Da sackte er in sich zusammen. „Nein“, haspelte er, „selbstverständlich nicht … ich bitte hunderttausendmal um Verzeihung …“

Ich trat in den Lift. Der Boy fuhr mich nach oben. „Dem haben Sie’s aber gegeben“, grinste er. „Quatschkopf“, brummte ich und gab ihm einen Dollar.

*

Es war wirklich ein Luxusappartement. Meine Dienststelle hatte sich große Mühe gegeben, mir den Anschein eines Großindustriellen zu verschaffen. Kein Wunder, daß mich der Manager für eine Art Innenminister hielt.

Es war wirklich alles da. Allein das Bad war ein Gedicht. Eingelassene Wanne –

wenn man drin lag, sah man über sich einen imitierten Sternenhimmel auf blauem Glasgrund; drei Nixen spähten

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neckisch aus dem Grund der Wanne, und wenn man einen bestimmten Knopf bediente, spien sie unter leisem Geläch-ter heißes, lauwarmes oder kaltes Wasser in die Wanne.

Ein ganzer Schwarm von Pin-up-Girls schwebte unter-halb des künstlichen Himmels. Man brauchte nur einen weiteren Knopf zu drücken, und diese Englein ließen es aus vollen Händen auf den Adam in der Wanne regnen. Das war die Brause.

Dazu ertönten Aeols-Harfen. Dieses Wunderwerk befand sich in einem kreisrunden

Raum. Wenn man wollte, konnte man auch die Wände erleuchten. Dann sah man die dürftig bekleideten, weib-lichen Gestalten einer mittelalterlichen Badestube auf und ab gehen und hatte das Gefühl, von ihnen bedient zu werden.

Das Schlafzimmer hatte ein breites Bett. Nachdem mich die Pin-up-Englein geduscht und mich

die eisernen Nixlein von unten mit Wasser umspült hatten – nachdem hinter der Wand die Badekätzchen so getan hatten, als ob sie mich bedienten, ging ich ins Schlaf-zimmer.

Das breite Bett war schon abgedeckt. Weil ich ohne Gepäck gekommen war, hatte der prüfen-

de Blick eines dienstbaren Geistes gestern abend meine Größe geschätzt, und nun lag ein nagelneuer Pyjama auf dem Laken.

Den würde man mir freilich später in Rechnung stellen, aber er war da.

Nun war ich doch neugierig geworden und sah einmal in

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die anderen Räume. Es war wirklich raffiniert. Ein kleiner Konferenzraum – unterteilt in Arbeitszimmer und Vor-zimmer mit Schreibmaschine, Diktaphon und Telefon, und dann ein Salon mit schräg in den Raum hineingebauter Hausbar, verschwiegener Nische, Musikschrank mit Fern-sehen und allem, was überhaupt dazugehört.

Nie in meinem Leben möchte ich in die Lage geraten, einmal aus eigener Tasche eine Woche Aufenthalt in so einem verrückten Appartement bezahlen zu müssen.

Aber dann legte ich mich ins Bett und löschte das Licht. Jedes einzelne Knöchelchen schmerzte mich. Vom Kopf

gar nicht zu reden. Es war einfach schrecklich. Flüchtig mußte ich an Stewart Glycard denken. Der lag

jetzt in irgendeinem Hospital und hatte wahrscheinlich noch viel größere Schmerzen als ich. Den hatten sie ja nun wirklich schlimm zusammengeschlagen, den armen Snob.

Ja – man soll sich eben nicht so intensiv in Spionage-geschichten einmischen, wenn man nicht in irgendeinem Camp abgebrüht und ausgebildet wurde.

Ich hatte das Gefühl, leichtes Fieber zu haben. Meine Waden waren schwer wie mit Muskelkater beihaftet. Ich fröstelte, und mein Halbschlaf wollte nicht tiefer werden.

Aber irgendwie muß es mir dann doch geglückt sein einzuschlafen.

* Zuerst rasselte das Telefon auf dem Nachttisch ganz leise.

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Das hatte ich gar nicht gehört – nur später überzeugte ich mich vom Funktionieren dieser Apparatur.

Dann rappelte es etwas stärker. Schließlich spielte mittelstark ein Guten-Morgen-Lied,

und endlich rappelte es so, daß es auch Tote erwecken konnte.

Ich setzte mich auf und überlegte erst einmal, wo ich war.

Die Tür zu dem phantastischen, kitschigen Bad stand offen. Und die Tür zum Arbeitsraum auch.

Aha – also Metropol. Ja, richtig, Spionagezentrale Cobra-Club. Und der tote Oberkellner. Und der halbtote Glycard. Ich nahm den weißen Hörer vom Telefon und meldete

mich mit gemessener, verschlafener Stimme: „Hier ist Amboß.“

„Ein Herr möchte Sie sprechen“, sagte die devote Stimme des Portiers.

„Sehen Sie mal nach“, gähnte ich, „ob es wirklich ein Herr ist! – Und wenn es stimmt, dann kann er raufkommen. Für eine Dame bin ich allerdings noch zu unrasiert.“

Pflichtschuldigst kicherte der Portier und legte auf. Ich dehnte mich noch ein paarmal. Meine Kopf-

schmerzen waren weg, aber ich konnte nicht behaupten, daß ich ausgeschlafen hatte. Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach acht Uhr morgens.

Soviel ich mich erinnerte, mußte ich gegen dreiviertel

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vier ins Bett gekommen und vielleicht gegen halb fünf eingeschlafen sein.

Der Teufel hole den Herrn, der mich jetzt schon beläs-tigte!

Auf diese Weise fluchend, ging ich ins Badezimmer. Die Girls an der Decke versorgten mich mit Wasser.

Eiskalt natürlich. Und die Nixe, die für kalt zuständig war, bediente mich

mit der gleichen Temperatur von unten. An den dienstbaren Geistern hinter der Wand hatte ich

jetzt kein Interesse. Dann hüllte ich mich ins Badetuch. Nebenan im Schlafzimmer räusperte sich jemand. „Sind Sie wirklich ein Mann?“ fragte ich. „Ja“, kam eine pappige Stimme zurück. „Na, dann kann ich ja kommen.“ Wie Julius Cäsar war

ich in mein Badetuch gehüllt und ging hinüber. Fast hätte ich das Tuch fallen lassen, als ich den Besucher erkannte. Er war am Hals und am Kopf bandagiert. „Mensch, Glycard!“ sagte ich, „sind Sie wahnsinnig?“

„Ja“, er räkelte sich in einem Korbsessel und lächelte trübe, „das hat mich der Arzt auch gefragt. Aber man kann in Amerika nicht gegen seinen Willen in einem Hospital festgehalten werden.“

„Was versprechen Sie sich eigentlich davon?“ Ich ging zu meinem Anzug, der unordentlich in einen zweiten Sessel geknautscht war, nahm eine Zigarette heraus und das Feuerzeug und bediente mich. Mein Haar war noch

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naß. „Können Sie uns die Angelegenheit nicht überlassen?“ „Das könnte Ihnen so passen“, zischte er. „Ich habe

mich wochenlang bis zu dieser Geschichte hingewurstelt, und jetzt soll ich Ihnen die Lorbeeren in den Rachen werfen? Nee, mein Freund!“

„Sind Sie schon polizeilich vernommen worden?“ Er zuckte mit den Schultern. „Nein! Woodrow war

rücksichtsvoll. Aber ich werde so anständig sein und nach-her zu ihm gehen.“

Sehnsüchtig sah ich zu meinem Bett hinüber. Aber wenn ich mich jetzt noch mal hinlegte, schlief ich garantiert bis zum Mittag. Und ich wollte doch noch zu Berryl fahren. Als ich an sie dachte, bekam ich automatisch wieder ein schlechtes Gewissen. Ich nahm mir vor, heute heraus-zufinden, wie ich mit Rose Lawsen …

Das war übrigens eine Idee. Rose Lawsen war ja Glycards Angestellte. „Sagen Sie mal, Stewart“, fragte ich deshalb, „wo haben Sie Ihre Agentur?“

Mißtrauisch musterte er mich. Er konnte den Kopf nicht drehen, sondern mußte den ganzen Oberkörper zu mir herumwenden. Es sah aus, als ob er das Genick im Gips-verband hätte. „Weshalb wollen Sie das wissen?“

„Nur so“, schmunzelte ich. „Es ist menschliche Anteil-nahme.“

Er lachte, daß es ihn schüttelte. Dieses Schütteln berei-tete ihm allerdings Schmerzen. Er verzerrte also das Gesicht und starrte mich böse an. „Menschliche Anteil-nahme?“ spottete er. „Ich weiß schon, was los ist! Rose war gestern im Metropol und hat nach mir gefragt. Sie sind

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genau der Typ, der hinter jeder Schürze herläuft, wenn sie einigermaßen geschmackvoll gemustert ist.“

Ich lasse mich nicht gern als Gigolo bezeichnen. Auch nicht indirekt. Deshalb schrie ich ihn an, er solle mich gefälligst nicht mit so schäbigen Ausdrücken apostro-phieren.

„Ich weiß schon Bescheid“, sagte er. „Aber wenn es Sie interessiert – mein Unternehmen befindet sich in der Lincoln Street, Nummer 116. Grüßen Sie Rose schön von mir – ich werde sie in den nächsten Tagen kaum sehen. Sie ist wirklich eine Attraktion, aber ich glaube nicht, daß Sie bei ihr viel Glück haben.“

„Quatsch“, sagte ich. „Wie geht es jetzt weiter?“ „Wir müssen Codomer finden“, brummte Stewart. Wenn ein Mensch so bandagiert ist wie er, dann sieht

jeder seiner Blicke bösartig aus. Das liegt einfach daran, weil er die Augen verdrehen muß, um jemand mustern zu können. Sonst müßte er nämlich ständig mit dem Ober-körper die verrücktesten Bewegungen machen. „Haben Sie eine Ahnung, wo er sich aufhalten könnte?“

„Nicht die geringste“, sagte ich im Brustton der Über-zeugung.

Das schien er nicht ganz zu glauben. „Freundchen“, warnte er, „wenn Sie mit mir ein falsches Spiel versuchen sollten, dann kommen Sie gerade an den Richtigen.“

Ich nahm meine Sachen, ging ins Bad und zog mich an. Durch die offene Tür sagte ich: „Sie scheinen verdammt viel Wert darauf zu legen, der einzige zu sein, der den Cobra-Club aushebt.“

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„Und wenn schon?“ fragte er. „Snobs haben ihren Ehrgeiz.“ Dann lachte er gemessen. Gerade so, daß er keine Schmerzen hatte. „Sie können mich nicht reinlegen, Amboß. Übrigens – das sage ich Ihnen ganz offen – traue ich Ihnen mehr als dem komischen Major Livingburry.“

„Was Sie bloß immer gegen den haben?“ Ich schloß den elektrischen Rasierapparat an, und hielt ihn ans Kinn. „Der Mann ist doch ganz patent, soweit ich bis jetzt feststellen konnte.“

„Sie haben ihn ja kaum fünf Minuten gesehen“, rief Glycard herüber.

„Übrigens“, ich war mit Rasieren fertig, „haben Sie mal was mit dem Portier vom Cobra-Club gehabt?“

„Nein. Warum?“ „Es scheint so, als ob er Sie nicht leiden könne.“ „Möglich“, sagte Glycard arrogant. „Ich habe mich nie

viel um Portiers gekümmert.“ Nun war ich angezogen und kam herüber. „Das Badetuch stand Ihnen besser“, versuchte Glycard

zu sticheln. „Wie Ihnen die Mullbinden.“ gab ich zurück. „Sie sehen

zwar rassig aus, mein lieber Freund, aber: Schönheit und Gestalt schwinden, ach, wie ba-ald.“

„Blöder Witz“, sagte Glycard. „Sie enttäuschen mich.“ „Sorry“, murmelte ich, „vorläufig habe ich noch nicht

ausgeschlafen. Vielleicht geht mir’s nach dem Frühstück besser.“ Ich hob den Hörer vom Telefon und bestellte vier Eier mit einem halben Pfund Schinken, einem Liter Milch,

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und dazu eine doppelte Portion Brot, eine dreifache Portion Butter und eine Kanne starken Kaffee. „Den Kaffee servieren Sie mir genau achtzehn Minuten nach dem Frühstück“, schärfte ich dem aufnehmenden Portier ein. „Er muß heiß sein und schwarz. Stellen Sie einen Flacon Cognac dazu.“ Ich legte auf.

„Erwarten Sie Besuch?“ fragte Glycard erstaunt. „Nein, wieso?“ Ich tat erstaunt. „Na“, er deutete zum Telefon, „wegen des Frühstücks.“ „Das ist nur eine kleine Stärkung für mich. Irgendwie

muß man doch den Schlaf ersetzen.“ „Oh!“ Der Kiefer klappte ihm herunter. Mit dem Hand-

rücken machte er seinen Mund zu. „Also gut“, sagte ich, „Sie haben eins über die Birne

gekriegt, und ich auch. In Ihrem Fall ist es schlimmer ausgegangen als bei mir. Wie kam es eigentlich, daß Sie da in Codomers Wohnung …“

Glycard massierte seine Nase. „Eigentlich sollte man der Konkurrenz gar nicht soviel anvertrauen“, brummte er, „aber ich hob nun mal einen Narren an Ihnen gefressen. Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich bereits seit geraumer Zeit den’ Machenschaften im Cobra-Club auf der Spur bin. Gestern abend ging ich direkt von Ihnen aus in den Club, um zu verhindern, daß Codomer noch irgendeine Schwei-nerei machen könnte. Ich überzeugte mich davon, daß das Clubhaus tatsächlich von Polizisten umstellt war und ging hinein. Ich sprach auch kurz mit Codomer.“ Er grinste. „Der Bursche mag mich nicht besonders.“

„Warum?“

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„Na – vielleicht frage ich ihm zuviel. Ich spürte gestern abend sofort, daß er mißtrauisch geworden war. Ist ja auch kein Wunder. Wenn die Polizei einfach kommt und beschlagnahmt die Pistole, mit der er kurz zuvor einen Mord begangen hat …“

„Ja“, sagte ich, „und weiter?“ „Ich ging in seine Wohnung hinauf. Er war gerade beim

Packen.“ „Haben Sie sich nicht gedacht, daß er keinesfalls

durchkommen konnte?“ „Er ist aber durchgekommen“, sagte Glycard. „Ich

begreife das einfach nicht. Es muß einen Ausgang geben, von dem wir keine Ahnung haben. Jedenfalls ist er durchgekommen. Er hat mir einen Schlag verpaßt, der mich auf die Bretter warf. Dann fesselte er mich, und ich sah –“ Glycards Augen wurden plötzlich so entsetzt, als ob er die ganze Szene noch einmal erleben müßte, „wie Codomer das Schüreisen vom Kamin nahm und mit wutverzerrtem Gesicht auf mich zukam. Ich habe nur den ersten Schlag gespürt, dann fühlte ich nichts mehr.“

„Das ist ekelhaft“, sagte ich, „aber Sie sind zäh. Vermutlich hat er geglaubt, Sie wären tot, als er ausriß. Nur“, ich nahm eine Zigarette und inhalierte den Rauch, „es leuchtet mir nicht ein, weshalb er Sie dann vorher gefesselt hat?“

Glycard schloß die Augen. „Das habe ich mich auch gefragt. Jetzt bin ich aber, glaube ich, der Lösung ziemlich nahe.“

„Nämlich?“

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„Zuerst hat er mich mit der Faust niedergeschlagen. Das war zu einem Zeitpunkt, ab ich einen solchen Angriff nicht erwartete, und auch nicht auf Gegenwehr eingestellt war. Er schien selber überrascht, daß mich dieser Hieb von den Beinen warf. Dann fesselte er mich schnell. Er wollte verhindern, daß ich mich von diesem Schlag erholte und ihm schließlich etwas tat. Dann kam die Wut durch. Er haßte mich wie sonst was, weil ich ihm auf die Schliche gekommen bin. Schließlich schlug er erbarmungslos zu. Vielleicht habe ich Glück gehabt – wahrscheinlich hat er draußen irgendein Geräusch gehört und ließ deshalb von mir ab. Jedenfalls ist er durchgekommen.“

Wir schwiegen. „Sie wissen wirklich nicht, wo er ist?“ fragte Glycard

lauernd. „Keine Ahnung“, beteuerte ich. Komischerweise kam es

mir jetzt plötzlich selber so vor, als ob meine Worte nicht überzeugend klängen.

Und so etwa kamen sie auch bei Glycard an. Das Mißtrauen wich nicht aus seinem Gesicht.

Wenn ich mich jetzt frage, weshalb ich so komisch geredet habe, dann kann ich es mir nur so erklären: Berryl Codomer ging mir nicht aus dem Kopf. Sie hatte versprochen, mir zu helfen. Und das wollte ich dem Show-Agenten nicht auf die Nase binden. Deshalb war mir jedes Gespräch über den Aufenthalt C. Codomers unsympa-thisch.

Das Telefon rasselte. Der Portier erinnerte mich, daß das Essen bereitstünde.

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Das Essen sagte er – nicht das Frühstück. Man hatte wohl im Metropol noch keinen Menschen

erlebt, der so ausgiebig zu frühstücken gewohnt war wie ich.

Glycard ging mit mir in den Speiseraum hinunter. Ich aß. Hinterher trank ich noch vier Tassen starken

Kaffee mit Cognac. „So“, sagte ich zufrieden, „jetzt bin ich wieder zu

sprechen.“ Mit Ausnahme der verharschten Wunden an meinem

Kopf hatte ich die Spuren der nächtlichen Mißhandlung überwunden.

„Sie werden sich denken können“, sagte Glycard mit funkelnden Augen, „daß ich jetzt erst recht darauf brenne, Thornton Codomer zu erwischen.“

„Ja“, ich nahm eine Zigarette, „wenn ich von ihm so zusammengeschlagen worden wäre, würde ich auch darauf brennen. Aber seien Sie vorsichtig – bei solchen Gelegen-heiten geht einem die Pistole manchmal zu leicht los.“

„Keine Sorge“, fuhr Glycard auf, „ich bin kein Mörder wie Codomer.“

„Na, wollen wir das beste hoffen.“ Er sah mich mit einem seltsamen Blick an. „Was haben Sie denn?“ fragte ich. „Sind Sie sehr gut mit Ernest Livingburry befreundet?“ „Sie haben doch vorhin selber gesagt, daß ich ihn kaum

fünf Minuten gesprochen habe.“ „Man kann ja nicht wissen“, er zuckte vorsichtig die

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Schultern. „Vielleicht haben Sie früher mal …“ „Nie in meinem Leben.“ Mir fiel etwas ein. „Sagen Sie

mal – Sie erinnern sich doch an die schwarzhaarige Grace Andrew vom Cobra-Club?“ Ich machte vor meiner Brust eine Handbewegung, als ob ich die Loren beschreiben wolle.

Stewart Glycard fuhr herum. Aber dann verzerrte sich sein Gesicht vor Schmerzen. Er preßte die Hand vor die Augen. „Verflucht“, flüsterte er, „ja, was ist mit ihr?“

„Fort“, ich machte eine Handbewegung. „Sie hat beobachtet, wie Sie zu Codomer in die Wohnung gingen, und säe scheint mehr zu wissen, als sie zugibt. Als wir ihr sagten, daß Sie verletzt waren …“

„Zum Teufel!“ schrie er. „Warum haben Sie ihr nicht gesagt, ich wäre tot?“

„Dieser und jener soll sich in Ihren wirren Gedanken-gängen auskennen, Verehrtester“, grinste ich. „Wenn Sie nun mal Einzelgänger in der Abwehr sind, dann verlangen Sie nicht auch noch von normalen Sterblichen, daß sie Ihre genialen Methoden verstehen. Sie verkehren doch aus beruflichen Gründen schon längere Zeit im Cobra-Club?“

Seine Unterlippe zitterte. „Aus beruflichen Gründen?“ „Ja, natürlich.“ „Denken Sie vielleicht, ich vermittle die Mädels an den

Cobra-Club?“ „Nein“, ich schüttelte ungeduldig den Kopf, „sagen wir

meinetwegen: Aus Gründen des Hobbies.“ „Das ist etwas anderes“, brummte Glycard. „Ich bin da

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ein bißchen empfindlich. Meine Agentur ist nämlich streng seriös. Und wenn der Cobra-Club hundertmal zur obersten Spitze dieser Unternehmen gehört – ich hätte meine Hände niemals dazu hergegeben, auch nur eine Garderobefrau dorthin zu vermitteln.“

„Puh“, machte ich, „Sie sind etwas empfindlich, wie? Wahrscheinlich werden Sie auch Ethel Blue kennen?“

„Das ist die große Blonde?“ überlegte er. „Ja, ich kenne sie flüchtig. Sie ist mit dieser Grace Andrew befreundet.“

„Und Grace?“ „Die ist nun wieder heftig mit Thornton Codomer

befreundet“, grinste er. „Wenn man sie hat, findet man auch Codomer sehr schnell, schätze ich. Aber Sie, Amboß“, er beugte sich über den Tisch und starrte mir ins Gesicht, als ob er mich mit seinen Blicken aufspießen wolle, „wissen vermutlich schon ziemlich genau, wo Codomer sein könnte!“

„Wie kommen Sie bloß auf diese Idee?“ staunte ich. „Es gibt doch nicht den geringsten Anlaß, von mir zu glauben, ich würde …“

„Berufsehrgeiz“, feixte er. „Ich habe euch die Sache vorbereitet, und jetzt wollen Sie den Ruhm einstecken! Aber daraus wird nichts! Glauben Sie mir“, er griff über den Tisch weg und packte meine Hand, „so wahr ich hier sitze, ich habe genügend Beziehungen zu Ihren Vorge-setzten, um zu verhindern, daß man mir den Ruhm stiehlt.“

Im Inneren amüsierte ich mich über ihn. Wirklich – mir kommt es nicht auf den Ruhm an! Ich werde bezahlt; und zwar auch nicht besser, wenn ich besondere Sensationsfälle

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löse. Vielleicht liegt da manchmal eine kleine Beförde-rungschance drin, aber die macht das Kraut auch nicht fett. Und ich schmeichle mir, schon genügend komplizierte Fälle gelöst zu haben, als daß ich so etwas noch nötig hätte.

Aber davon war Glycard nicht zu überzeugen. „Man hat mir erzählt“, sagte er, „daß Sie in der letzten Nacht bei Berryl Codomer gewesen sind.“

„Wer hat Ihnen das erzählt?“ „Ich habe mit der Kriminalpolizei telefoniert“, sagte er

gedehnt. Und plötzlich lachte er amüsiert. „Sie machen aber ein komisches Gesicht“, sagte er. „Das sieht gerade so aus, als ob Sie glaubten, ich hätte mich selber gefesselt und mir die Wunden am Hals und am Kopf persönlich beige-bracht.“

„Nee, nee!“ Ich drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. „Man denkt zwar in solchen Fällen an alles mögliche, aber das ist einfach nicht drin.“

„Und warum nicht?“ fragte er gespannt. „Ich möchte doch mal erleben, wie so ein berühmtes Agentenhirn funktioniert.“

„Okay“, sagte ich. „Fesseln lassen kann man sich natürlich von einem Mittelsmann. Ich habe Ihre Fesselung gestern abend überprüft – allein können Sie das nicht gemacht haben. Aber auch der härteste Mittelsmann wird sich scheuen, Ihnen solche Wunden beizubringen. Ich verstehe etwas von Verletzungen, und ich weiß, daß es einfach Wahnsinn von Ihnen ist, jetzt schon aus dem Krankenhaus ausgebrochen zu sein. Möglicherweise hat man Ihnen alle Spritzen gegeben, die eine Infektion nach

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menschlicher Berechnung verhindern. Aber es gibt ja auch noch andere Dinge. Da wäre der Blutverlust. Wenn jemand Sie sieht, der Sie vorher gekannt hat, dann weiß er auf den erste« Blick, daß Sie sich sauelend fühlen.“

„Mag sein“, brummte Glycard. „Aber ich muß Codomer kriegen! Das ist jetzt direkt meine Privatsache geworden. Darüber hinaus bin ich zwar ein Snob, aber ich bin nicht Phrasendrescher genug, um von Vaterlandsliebe und Empörung gegen die Spione zu sprechen. Über so etwas redet man nicht.“

„Ausgezeichnet“, sagte ich und nahm mir eine neue Zigarette. „Wir verstehen uns prächtig. Glauben Sie mir doch endlich, Glycard – ich will Ihnen die. Lorbeeren nicht nehmen. Sie sollen bloß vernünftig sein. Legen Sie sich ins Bett – ich verpflichte mich, alle paar Stunden zu Ihnen zu kommen und Bericht zu erstatten. Ich will mich sogar verpflichten, Ihren Anweisungen zu folgen. Sie können vom Hospitalbett aus die ganze Aktion dirigieren.“

„Nee“, sagte er müde, „daraus wird nichts. Und wenn ich mich hinterher acht Wochen zur Kur in ein Sanatorium legen muß! Das ist mir egal. Ich will dabei sein, wenn Codomer geschnappt wird und der Cobra-Club auffliegt!“ Er sah mich plötzlich spöttisch an. „Nicht mal die Sympathie, die ich für Sie empfinde, reicht aus, um Ihnen auch nur einen Zipfel der Arbeit zu gönnen. Verstehen Sie? Wir wollen mit offenem Visier kämpfen, Amboß.“ Er lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Ich werde gegen Sie intrigieren – jedenfalls was diesen Fall betrifft. Ich werde versuchen zu verhindern, daß die Regierung Sie unterstützt.“ Seine Augen wurden ganz schmal. „Ich bin

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sonst ein sehr umgänglicher Mensch, aber in diesem Fall rate ich Ihnen: stören Sie meine Kreise nicht.“

„Sie haben vermutlich doch einen kleinen Dach-schaden“, sagte ich leichthin und sah auf die Uhr. Es war inzwischen fast zehn geworden. „Aber das gibt sich allmählich. Vorläufig sind Ihre kleinen grauen Zellen zu sehr durcheinander geraten.“

Und da kamen quer durch den jetzt unbelebten Speise-saal Kommissar Woodrow und Major Livingburry.

Sie setzten sich kommentarlos zu uns. „Guten Morgen!“ grüßte Livingburry. Glycard sah ihn mit einem unfreundlichen Blick an. Kommissar Woodrow war temperamentvoller als der

englische Ernest Livingburry. „Ich glaube“, sagte er, „Sie sind vollkommen übergeschnappt, Mr. Glycard.“

„Das habe ich eben schon gehört“, murmelte der Show-Agent. „Und ich habe nicht die Absicht, Ihnen die ganze Chose noch einmal zu erklären.“

Livingburry hüstelte und beugte sich über den Tisch. „Mein lieber Mr. Glycard“, sagte er, „ich schätze Sie ungemein als Mensch …“

„Danke“, spottete Glycard. Livingburry schien die Ironie nicht zu empfinden. „Ich

schätze Sie also ungemein als Mensch – und gerade deshalb muß ich Ihnen sagen, daß ich mit Ihrem Arzt telefoniert habe.“

„Oho“, Glycard hob die Augenbrauen. „Jawohl“, flüsterte der Major, „der Arzt lehnt jede

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Verantwortung für Ihr weiteres Wohlbefinden ab.“ „Das hätte er auch sonst getan“, grinste Glycard. „Wenn

ich mich zum Beispiel unglücklich verliebt hätte und wäre an Seelenkummer eingegangen, dann hätte sich der Arzt kaum verantwortlich dafür gefühlt.“

„Man sieht Ihnen doch an“, brauste mein stellver-tretender Sektionschef auf, „daß Sie am Rande des Grabes lustwandeln, Sie Wahnsinnskandidat.“

„Sagen Sie mal“, erkundigte sich Glycard leise, „es paßt Ihnen wohl nicht, daß ich der Sache Cobra-Club auf der Spur bleibe?“

Major Livingburrys Gesicht schien sich zu versteinern. Seine Blicke zuckten zum Fenster hinüber und blieben dort haften. „Wenn man es so sieht“, sagte er kalt, „dann enthalte ich mich jeden weiteren Kommentars.“

„Und trotzdem ist es Blödsinn“, polterte Woodrow los. „Mit Ihren Wunden gehört man ins Bett. Jeder Schuljunge kann Sie in Ihrem jetzigen Zustand mit einem einzigen Kinnhaken erledigen. Sie sind eine Belastung für uns.“

„Danke“, sagte Glycard. „Bitte“, feuerte Woodrow zurück. „Und jetzt erzählen

Sie mir gefälligst, wie das gestern war! Wenn Sie aktions-fähig sind, werden Sie wohl auch vernehmungsfähig sein.“

Glycard faltete die Hände vor dem Leib und lächelte kindlich. Wie Sie wünschen“, sagte er. Und dann erzählte er die ganze Geschichte noch einmal, wie er sie mir schon berichtet hatte.

Ich ging inzwischen hinaus und telefonierte mit dem Bungalow der Codomers.

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Das Negermädchen meldete sich. „Ja“, sagte sie, „Madam ist aufgestanden. Sie können kommen.“

„Danke!“ Ich legte auf. Von da an hatte ich es mächtig eilig. „Ich will Ihr Gespräch nicht stören“, sagte ich zu den

drei Herren, „aber mich ruft die Pflicht. Unterhalten Sie sich also gut.“

Stewart Glycard wollte aufspringen. – „Nein“, protes-tierte Woodrow, „wir sind noch nicht fertig.“

Glycard war mißtrauisch geworden. Er kombinierte sich da wohl etwas zusammen. Am liebsten wäre er jetzt mit mir gefahren.

Na, irgendwie konnte ich ihn schon verstehen. Ich kenne den Ehrgeiz – und ich weiß, was in einem wühlt, wenn man so fürchterlich zusammengeschlagen worden ist.

Aber es war mir doch ganz Heb, daß ihn Livingburry und Woodrow zurückhielten.

Mein Lancia jubelte laut auf, als ich ihn wieder in den Fingern hatte, und dann fuhren wir beide in östlicher Richtung aus Washington hinaus.

Wenig später hielt ich vor dem Bungalow der Codomers. Das Negermädchen ließ mich ein. Sie war aber sehr

reserviert. Nun, vielleicht konnte sie mich aus irgendeinem Grunde

nicht leiden. Berryl empfing mich im Salon. Sie sah mich aus kalten

Augen an. „Hallo“, rief ich burschikos, „da wäre ich also! Wollen,

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wir anfangen?“ Sie trug ein hochgeschlossenes Jackenkleid. Wahr-

scheinlich wußte sie gar nicht, wie schön sie war. „Mr. Amboß“, sagte sie, „ich glaube nicht, daß wir noch

etwas miteinander zu besprechen haben.“ Sie hatte mir keinen Stuhl angeboten, und ich stand

ziemlich verdutzt in der Geographie herum. Bin spöttisches Lächeln zuckte um ihre Lippen. „Wollen

Sie vielleicht so freundlich sein, mich jetzt allein zu lassen?“ bat sie leise. „Seit mein Mann –“ sie hüstelte, „verreist ist, habe ich natürlich automatisch die Pflicht übernommen, mich um den Club zu kümmern. Vergessen Sie nicht, daß wir davon leben.“

„Sie könnten mühelos von Ihrem Bankkonto leben, Madam“, murmelte ich.

Aber …“ Ich nestelte an meinem Anzug herum, „darum geht es ja jetzt gar nicht. Heute nacht …“

„Heute nacht war ich verwirrt.“ Sie ging zu einem kleinen Tisch und spritzte aus einem Sodawasser-Siphon einen Schuß in ein Glas. Langsam trank sie. „Inzwischen habe ich mir die Sache überlegt. Ich bin Thorntons Frau. Ihre Verdächtigungen mögen sogar Hand und Fuß haben – verlangen Sie aber, bitte, nicht, daß ich – seine Frau – auch nur im entferntesten an so etwas glaube. Und jetzt lassen Sie mich, bitte, allein. Wenn ich recht verstanden habe, gehören Sie nicht einmal zur Polizei!“ Sie drückte auf einen Klingelknopf.

Das Negermädchen erschien. Berryl deutete auf mich. „Der Herr möchte gehen.“

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Ärgerlich drehte ich mich um und ging hinaus. Vom Knopf der Tür nahm ich meinen Hut, den ich

dorthin gehängt hatte. Dann drehte ich mich noch einmal um. Triumphierend sah mich Berryl an, aber sie bemühte

sich sofort, als ich es merkte, ein anderes Gesicht zu machen.

Draußen sprang ich in meinen Lancia, gab Vollgas, raste über die Auffahrt und steuerte ihn auf die Straße zurück.

Beinahe hätte es eine Karambolage mit einem Auto-transporter von Chrysler gegeben.

Erst allmählich wurde ich wieder ruhiger. Es geschah mir ganz recht, daß sie mich hatte abblitzen lassen!

Aber dann festigte sich in mir die Überzeugung, daß in den letzten Stunden etwas geschehen sein mußte. Es gab gar keinen Zweifel – Thornton Codomer hatte sich mit Berryl in Verbindung gesetzt. Er hatte ihr gesagt, wie sie sich verhalten sollte.

Und sie war eine vollendete Ehefrau. An einem Ausflugslokal hielt ich, bestellte pro forma

eine Flasche Bier und ging dann zum Telefon. Zuerst rief ich das Metropol in Washington an. Aber dort erfuhr ich, daß Kommissar Woodrow nicht mehr da wäre. In seinem Amt erreichte ich ihn dann.

Ich teilte ihm meine Vermutung mit – daß sich Codomer inzwischen mit seiner Frau in Verbindung gesetzt haben müsse.

Woodrow versprach mir, auf Berryl aufzupassen. Er

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wollte sofort ein paar Beamte herschicken. „Geben Sie meine Meldung, bitte, an Livingburry

weiter“, bat ich. „Ja, hören Sie mal“, brummte Woodrow, „das ist eine

komische Sache. Ich habe vorhin gerade noch mit Stewart Glycard gesprochen. Der scheint irgendeinen bestimmten Verdacht gegen den Major zu haben.

Ich überlegte einen Moment. Dann riß ich mich zusammen. „Verflucht“, sagte ich, „das ist mir ganz egal. Ich bin nicht verantwortlich für die Stellenbesetzungen in der Abwehr. Wenn Livingburry ein Schweinehund ist, dann mögen das andere Leute verantworten. Wenn man von uns noch verlangen sollte, daß wir unsere Vorgesetzten entlarven …“

„Nee, nee“, beruhigte Woodrow, „so schlimm wird es nicht gleich sein! Ich glaube ja auch, daß Glycard Gespenster sieht. Vor allem jetzt, mit seilten Verletzungen. Er ist eben ein Laie mit besonderen Ambitionen, mehr kann man da nicht sagen.“

„Ja“, brummte ich, „der Teufel soll ihn holen.“ Dann legte ich auf. Ich ging hinaus, trank einen Schluck von dem Bier,

bezahlte und fuhr weiter.

IV. Im Grunde ärgerte ich mich natürlich über Berryl Codomer. Das macht einfach meine männliche Eitelkeit. In der letzten Nacht noch hatte ich geglaubt, sie wäre

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irgendwie auf mich hereingefallen! Keineswegs wollte ich dabei an mögliche Konsequenzen denken. Berryl mochte mit dem größten Gangster, oder dem größten Lumpen der Staaten verheiratet sein – Ehefrau bleibt Ehefrau.

Aber sie hatte zu gut ausgesehen, und ich bin vielleicht auch noch zu jung, um meine Männlichkeit von Fall zu Fall mit moralischen Bedenken zügeln zu können.

Deshalb fuhr ich sofort, als ich wieder nach Washington hineinkam, in die Lincoln Street.

Ich suchte die Nummer 116. Es fiel mir einigermaßen schwer, eine Parklücke zu

finden, aber irgendwo in einer Nebenstraße gelang es dann. Zu Fuß lief ich zurück.

Zunächst einmal staunte ich über das seriöse, riesige Gebäude, in dem sich eine Menge Firmen befanden, die Weltruf hatten. Eins der Marmorschilder an beiden Seiten des Einganges deutete darauf hin, daß sich im dreizehnten Stock die Show-Agency von Julius Glycard Nachf. befand.

Das Treppenhaus war sehr modern gehalten. Mit dem Paternoster fuhr ach in den dreizehnten Stock hinauf.

Das ganze Stockwerk bestand ausschließlich aus den Büroräumen der Agentur Glycard.

In einem Glaskasten saß eine aufgedonnerte Schöne, die mich nach meinem Begehr fragte.

„Zu Miß Lawsen, bitte“, sagte ich. Oh – da wurde ich erst einmal gefragt, wer ich sei, und

was ich genau wolle! Ich mußte einen Zettel ausfüllen, der dann von einem Lehrjungen irgendwohin gebracht wurde.

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Mich aber führte man in einen verschwenderisch ausge-statteten Warteraum.

Lange brauchte ich nicht zu sitzen. Die Miß aus dem Glaskasten kam persönlich und war sehr süß zu mir.

„Miß Lawsen läßt bitten“, sagte sie. „Darf ich Sie begleiten?“

„Ja“, sagte ich, „Sie dürfen. Beißen werden Sie mich ja nicht gerade?“

Sie lachte pflichtschuldigst über diesen dummen Witz. Es ging einen Korridor entlang und dann in ein

Vorzimmer, das von drei manikürten Damen besetzt war und an den Wänden Plakate von Eisrevuen, Night-Shows und sonstigen Attraktionen trug. Von da kam ich durch zwei Polstertüren in einen riesigen Raum, dessen Blickfang ein weißer Flügel auf einer kleinen Bühne war.

Hinter einem Schreibtisch saß Rose Lawsen. Aus einem Sessel erhob sich soeben eine Art mensch-

licher Bulle. Er hatte eine Figur, daß ich ihn als Ring-kämpfer taxierte, der von der Agentur Glycard vermittelt werden sollte.

Auf einem Schreibtisch lagen massenweise Photos – vorwiegend von hübschen Mädchen.

Ich nahm eins davon in die Hand. „Ja“, sagte Rose, „wir vermitteln unter anderem auch

Unterhaltungsdamen für Night-Clubs. Der Ringkämpfer ging nicht hinaus. Ich stieg die zwei Stufen auf die Bühne hinauf, klappte

den Flügel auf und sagte: „Lassen Sie sich nicht stören, ich

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habe Zeit.“ „Das ist mein Bruder Rex“, sagte Rose Lawsen und

schob den Riesenkerl ein wenig in den Vordergrund. „Ach so?“ Ich kam wieder herunter und reichte Rex die

Hand. Er gab sich die größte Mühe, meine Hand nicht zu

zerquetschen, als er sie schüttelte. Er trug ein breites Grinsen im Gesicht, und trotz seiner Figur schien er nicht unintelligent zu sein. „Ja“, sagte er, „das wär’s also. Ich gehe jetzt wieder.“

Das Schwesterchen, nickte ihm zu. Er verbeugte sich unbeholfen vor mir und verließ den

Raum. Rose setzte sich auf den Schreibtisch. Sie wußte ganz

genau, wie vorteilhaft dabei ihre Beine zur Geltung kamen. Ihr Kleid konnte man keineswegs als frivol bezeichnen – im Gegenteil hatte sie sich bemüht, den nüchternen Eindruck ihrer hohen Stellung in diesem Institut zu unter-streichen. Aber ihre weibliche Eitelkeit konnte wohl doch nicht ganz darauf verzichten, selbst in dieser Kleidung noch zu beweisen, wie gut sie beieinander war.

Und mir fiel jetzt erst ein, daß ich gar nicht wußte, was wir miteinander besprechen wollten.

„Kommen Sie dienstlich?“ fragte Rose und spielte mit ihrem goldenen Kugelschreiber. „Oder habe ich Sie irgend-wie privat beeindruckt?“

Ich räusperte mich. „Sie haben mich irgendwie privat beeindruckt – aber dienstlich …“

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„Oh?“ Ihre Augen sahen erschrocken aus. „Dienstlich liegt nichts gegen sie vor“, grinste ich. Sie lachte, stand auf und drückte auf einen Knopf. Ein Aktenregal schwang beiseite, und dahinter wurde

eine raffiniert eingerichtete Bar sichtbar. Rose war schon dort drüben, trat hinter die Theke und fragte: „Einen Cocktail vielleicht?“

„Was Naturreines wäre mir lieber.“ Ich schwang mich auf einen der Hocker, die an der Rückwand des Akten-regals befestigt waren.

Dann trommelte ich anerkennend auf die Resopal-Platte der Bartheke.

„So was brauchen wir hier“, sagte sie. „Wie ich Ihnen schon erklärte – wir vermitteln auch weibliches Bar-personal. Und zwar in großen Mengen und über das ganze Gebiet der Vereinigten Staaten. Manchmal müssen wir hier eine testen, damit wir feststellen, ob sie sich auch für ihren künftigen Job eignet.“

Ich deutete zur Bühne. „Testet ihr auch Striptease-Girls?“

„Natürlich.“ Sie schloß die Augen halb. Dann nahm sie eine Flasche VAT 69 und goß ein wenig daraus in ein Glas mit drei Eiswürfeln. Das schob sie mir zu. Für sich machte sie einen Manhattan und praktizierte mit einem Zahn-stocher eine Kirsche hinein. „Möchten Sie da gern mal zusehen?“ fragte sie.

„Nein“, ich schüttelte mich, „für Zweck-Erotik bin ich weniger zu haben. Dazu bin ich wahrscheinlich noch zu jung.“

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Da wurden ihre Augen freundlicher. Wir unterhielten uns über alles mögliche. Übers Wetter

– über das Klima in Washington und … Ja, dann waren wir beim Cobra-Club. „Ist eigentlich eine tolle Sache“, sagte Rose. „So ein

exklusives Unternehmen … ich meine, Thornton Codomer hätte gar nicht nötig gehabt, sich in krumme Sachen einzu-lassen.“

Langsam zuckte ich die Schultern. „Manche Leute hätten es, streng genommen, nicht nötig, tun es aber trotz-dem. Übrigens“, ich griff hinüber und faßte ihren Unter-arm. „Sie sind im Dienst, Madam. Ich möchte nicht …“

„Ach was“, lachte Rose. „Der Dienst kann mal warten.“ „Wie stehen Sie zu Stewart Glycard?“ fragte ich, bloß

um überhaupt etwas zu sagen. Es glitzerte gefährlich in ihren Augen. Ich habe genug Erfahrungen und wußte sofort, daß sie

seine Freundin war. Aber sie beteuerte wortreich das Gegenteil.

Ich bot ihr eine Zigarette an. „Sagen Sie mal“, freute ich mich, „Stewart hat Ihnen doch was von meiner Absicht gesagt, hierherzukommen?“

„Nein!“ Sie spielte die Erstaunte. „Wie käme er dazu?“ Ich hatte den Whisky ausgetrunken und nahm mir – um

sie zu entlasten – einen neuen. „Das ist eine ganz eigen-artige Sache“, brummte ich. „Stewart will die Sache mit dem Cobra-Club allein lösen. Er will niemand hineinsehen lassen. Besonders auf mich hat er es anscheinend abge-

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sehen, weil er sich in dem Irrtum befindet, ich könne vor Ehrgeiz nicht schlafen und wolle unbedingt einen Blumentopf bei meinen Vorgesetzten gewinnen.“

„So primitiv ist Stewart nicht“, behauptete sie spontan. „Ich glaube, er fürchtet nur, Sie hätten nicht sehr viel Menschenkenntnis, und Sie täuschten sich in Major Livingburry.“

Ich gab keine Antwort, sondern schlürfte langsam den eiskalten Whisky.

„Außerdem“, fuhr sie fort, „hat er Sie im Verdacht, zu wissen, wo sich Thornton Codomer aufhält … und Sie wären in Berryl Codomer …“

„Die hat mich gerade rausgeschmissen“, feixte ich und deutete in die Richtung, die ich für Osten hielt.

Rose lachte beinahe herzlich. „Sind Sie zudringlich geworden?“

„Ja“, sagte ich, „aber nicht so wie Sie denken. Ich wollte mit ihr zusammenarbeiten.“

Rose musterte mich. „Ich habe Berryl mal gesehen“, murmelte sie. „Wenn ein Mann, der so aussieht wie Sie, eine Frau wie Berryl zur Zusammenarbeit auffordert, dann ist meistens was faul im Staate Dänemark.“

Langsam zog ich an der Zigarette. Drüben wurde eine Polstertür geöffnet. Eine der lackier-

ten Stenotypistinnen sah herein. „Es kommen zwanzig Mädels“, sagte sie.

Rose warf einen schnellen Blick auf mich. „Verdammt noch mal“, zischte sie, „kann man denn keinen Augenblick

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in Ruhe privat sein? Wenden Sie sich an Holm, der soll sie so lange hinhalten, bis ich Zeit habe.“

Die Stenotypistin machte ein schnippisches Gesicht und ging hinaus.

„Die hat aber eine Wut.“ Ich deutete auf die zuge-schlagene Polstertür.

„Ach, das ist so beruflicher Ärger“, flüsterte Rose. „Sprechen wir lieber noch eine Weile von Berryl.“

„Nein!“ Ich rutschte von meinem Hocker und ging zum Schreibtisch. Dort begann ich ganz ungeniert in den Bildern und Akten zu blättern.

In überraschend kurzer Zeit war Rose bei mir und stieß mich beiseite. Ihre Augen blitzten wütend. „Jedes Geschäft hat seine Betriebsgeheimnisse!“ fauchte sie. „Ich verbiete Ihnen, auf meinem Schreibtisch herumzuschnüffeln.“

„Aber, hören Sie mal“, amüsierte ich mich. „Denken Sie vielleicht, ich will in der nächsten Zeit ebenfalls eine Agentur aufmachen?“

„Das ist einerlei!“ Sie raffte alles, was da lag, zu einem großen Haufen zusammen – den sie vermutlich später nicht ohne Schwierigkeiten wieder auseinandersortieren mußte. „Gerade in der Show-Branche wird viel mit den Augen gestohlen. Wir sind alle darauf geschult, nicht einmal dem harmlosesten Menschen den geringsten Einblick in unsere Unterlagen zu geben.“

„Na schon“, ich sah auf die Uhr. „Allmählich wird es Zeit zum Lunch. Wollen wir irgendwo zusammen essen?“

„Nein!“ Rose war jetzt nicht mehr sehr liebenswürdig. „Ich muß die verlorene Arbeitszeit nachholen.“

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„Trotzdem haben Sie keinen Versuch gemacht, mich abzuwimmeln?“ schmunzelte ich.

„Das war Stewart, das heißt, dem Boß zuliebe“, behaup-tete sie. „Ich weiß, daß Mr. Glycard leider Gottes“, sie seufzte, „sein Hobby, also die Spionageabwehr, über das Geschäftsinteresse stellt. Auch ich bin von Stewart Glycard abhängig. Ich möchte ihn nicht verärgern, und ich möchte seine Freunde nicht auf die kalte Tour abwimmeln, wenn sie schon mal hierherkommen. Bilden Sie sich ja nicht ein“, mit schaukelnden Hüften kam sie zu mir und stemmte die Hände in die Seiten, „daß ich irgendwie von Ihrer männlichen Schönheit beeindruckt bin.“ Ihre Mundwinkel zogen sich herunter.

Ich nahm sie an den Schultern und zog sie noch dichter zu mir heran. „Wirklich nicht, Baby?“ fragte ich.

Sie lachte. „Menschenskind, seien Sie doch nicht so ein-fältig“, flüsterte sie. „Wenn wir uns mal außer Dienst treffen wollen, dann ist das was ganz anderes. Hier bin ich Geschäftsführerin einer Agency. Hier muß ich auf jeden Blick achten, den Sie in die Gegend werfen. Sie als Abwehrmann sind es natürlich gewöhnt, überall rumzu-schnüffeln. Spionageaffären werden Sie bei uns zwar nicht finden“, sie schürzte die Unterlippe, „aber es könnte sein, daß Sie irgendwo im Suff mal an einem Stammtisch Dinge erzählen, die Sie hier gesehen haben. Dann braucht bloß an einem Nebentisch der Vertreter der Konkurrenz zu sitzen, und schon sind wir geplatzt.“

„Annes Würstchen“, ich nahm ihren Kopf und küßte sie. Zuerst hatte ich den Eindruck, als ob sie sich wehren wolle – aber dann erwiderte sie meinen Kuß sogar.

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„Du bist ein ganz großer Strolch“, sagte sie schließlich, ging in den Hintergrund, klappte eine Wandtür auf und betrachtete sich im Spiegel. Dann erneuerte sie ihr Make-up. Schließlich klappte sie die Tür wieder zu. „Wenn du aber ein anständiger Kerl bist, dann wirst du Stewart nichts von dieser kleinen Episode erzählen. Ich bin eine Frau – man kann ja auch mal schwach werden.“

Ich spielte mit einem Brieföffner. Auch dabei hatte ich wieder Roses mißtrauischen Blick zu ertragen. Ärgerlich warf ich den Brieföffner auf die Schreibtischplatte zurück. „Entschuldige, daß ich überhaupt hier stehe“, sagte ich, „du könntest den Verdacht haben, ich hätte Löcher in den Schuhen. Dann könnten meine Hühneraugen gewisse Geheimdokumente sehen, die ihr in den Teppich eingewebt habt.“

Sie hob die Arme und ordnete ihr Haar. Dabei brachte sie wieder einmal ihre gute Figur zur Geltung. „Mir hängt ja der Beruf auch zum Halse heraus“, gestand sie. „Aber, was willst du machen? Ich kriege von Glycard brutto hundert Dollars die Woche. Such dir erst mal so einen Posten!“

Anerkennend pfiff ich. Das war fast mehr, als ich verdiente. „Ist das nun bloß für deine Arbeit?“ fragte ich, „oder –...“

Da kam sie zu mir und schlug mir ihre kleine Hand hart ins Gesicht. Ihre Augen waren ganz schmal geworden. „Mach daß du rauskommst, oder entschuldige dich“, zischte sie.

Da küßte ich sie noch einmal. Zwischendurch ent-

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schuldigte ich mich. Schließlich schien es mir an der Zeit zu sein, zu gehen. Rose begleitete mich bis zu den Polstertüren. „Werden wir uns wiedersehen?“ fragte sie. „Bestimmt’’, versprach ich. „So oder so.“

*

Auf der Straße traf ich noch einmal den bullenartigen Mann,

„Hallo, Mr. Lawsen!“ sagte ich. t Er feixte mich freundlich an. „Na“, sagte er, „meine

Schwester ist doch ‘ne Masse, was?“ Er reckte die Schul-tern. „So ‘ne Familie traut man mir gar nicht zu, wie?“

Ich schlug ihm die Hand auf den Rücken. „Kommen Sie, wir nehmen einen Drink“, sagte ich.

„Nichts dagegen!“ Er sah auf die Uhr. „Aber wenn’s geht, irgendwo in einem Speiselokal. Ich habe nämlich einen Bärenhunger.“

Hier, auf der Lincoln Street, brauchten wir gar nicht weit zu laufen, bis wir in ein Restaurant kamen, das um diese Zeit allerdings ziemlich voll war.

Wir gingen hinein. Es war eins von der besseren Sorte. Die Leute, die hier

speisten, zogen sich dabei die Mäntel aus und nahmen die Hüte ab. Man brauchte auch nicht selber zum Büfett zu gehen um sich Teller und Bestecks zu holen.

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Trotzdem dauerte es reichlich lange, bis wir bedient wurden. Wir saßen außerdem sehr nahe am Radio, und das förderte die Unterhaltung keineswegs.

„Kennen Sie Stewart Glycard?“ fragte ich, nachdem wir beide ziemlich große Portionen bestellt hatten.

Er nahm sich eine Zigarette. „Klar“, murmelte er. „Smarter Bursche, aber –“ er überlegte und seine Augen verglasten dabei etwas, „ich kann mir nicht denken, daß er Rose eines Tages heiraten wird.“

„Hm“, machte ich. „Würden Sie sie denn heiraten?“ Überrascht sah ich auf. „Wie kommen Sie auf so eine

Idee?“ „Na, hören Sie mal“, feixte er. „Ich hab doch Ihre Augen

beobachtet, als Sie Rose betrachtet haben. Da stand alles drin.“

„Daß ich verliebt bin?“ „Verschossen“, korrigierte er. „Rose ist ein tolles Weib.

Das sagen sogar meine Freunde. Ich kann das nicht beur-teilen, denn ich hab mich mit ihr früher immer nur gezankt. Wenn’s mal hart auf hart ging, haben wir allerdings immer zusammengehalten.“

Das Essen kam. Es waren zwei mächtige Platten. „Kriegen Sie das weg?“ grinste Rex. „Machen Sie sich um mich keine Sorgen. Ich frage mich

eher, ob Sie …“ „Na, das werden wir gleich haben.“

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In diesem edlen Eßwettstreit hielten wir uns dann beide die Waage. Und wir bewunderten uns.

Danach bestellten wir eine halbe Flasche Whisky und lachten uns an, weil wir überzeugt waren, ohne körperliche oder seelische Schäden diesen edlen Saft zu zweien vertilgen zu können.

Inzwischen hatte sich das Lokal geleert. Auf unsere Bitte hatte der Kellner das Radio leiser

gedreht. „Haben Sie eine Ahnung, was im Cobra-Club los ist?“

fragte ich. „Nee“, bellte er, „interessiert mich auch gar nicht. Das

ist eine Gegend, in die ich nicht gehöre. Denken Sie vielleicht, ich könnte mir leisten, in einer Nacht hundert Dollars auszugeben?“

„Hm“, machte ich. „Glycard hat Ihnen also nicht erzählt …“

„Glycard erzählt mir gar nichts.“ Er schüttete einen doppelten bis dreifachen Whisky in seinen Schlund. „Dem bin ich nicht vornehm genug. Er ist ein Snob.“

„Das sagt er selber“, bestätigte ich. „Und (das sage ich auch. Ich dachte nur, Sie könnten mir vielleicht einen Tip geben. Ich interessiere mich da für eine Frau …“

Er rückte ein Stück näher. „Na, hören Sie mal, was Frauen in Washington angeht, da bin ich schon ziemlich kompetent. Sagen Sie mir den Namen, oder wie sie aussieht …“

„Sie hat blauschwarzes Haar“, schwärmte ich, „und eine

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Figur, die ihr eigentlich gar nicht zukommt. Sie ist noch nicht mal mittelgroß, und trotzdem –“ ich zeichnete eine tolle Sexbombe auf einen Bierfilz.

„Ach“, sagte Rex, „jetzt kommen wir uns schon näher.“ „Grace Andrew heißt sie.“ „Natürlich“, strahlte er, „wohnt in der Bianca Street.“ „Hat gewohnt“, korrigierte ich. „Jetzt ist sie verschwun-

den. Und zwar unmittelbar nachdem man Glycard furcht-bar zusammengeschlagen hat.“

„Hm“, Rex überlegte angestrengt. „Könnte es nicht sein, daß Glycard sich selber – sagen wir mal, daß vielleicht ein Komplice von ihm – bloß um den Eindruck zu erwecken, er wäre da zusammengehauen worden …“

„Nee“, protestierte ich, „wenn sich jemand selber Wun-den beibringt, dann nicht solche. Er hätte genauso gut daran sterben können. Die Ärzte bezeichnen es als ein Wunder, daß nichts dergleichen passiert ist. Eine Schlagader war angekratzt. Purer Zufall, daß sich die Wand der Ader wieder geschlossen hat und das Blut nicht verspritzen, sondern nur sickern konnte. Wer auf Glycard eingeschlagen hat, der kannte keine Rücksicht. Er wollte also nicht markieren, sondern …“

„Aha“, machte Rex. „Hätten Sie denn den Verdacht gehabt“, fragte ich vor-

sichtig, „daß Glycard vielleicht markieren könnte?“ Rex lachte ziemlich herzlich. Dann trank er noch ein

volles Glas Whisky. „Ich habe Ihnen doch schon gesagt, lieber Freund, daß ich nicht zur selben Klasse gehöre wie Stewart Glycard. Meine Schwester, streng genommen,

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auch nicht – aber wenn man so eine Silhouette hat wie sie und so ein Lärvchen, dann nimmt einen jede Klasse auf, in die man rein will. Ich habe bloß deshalb einen Zorn auf ihn, weil ich genau weiß, daß er Rose niemals heiraten wird. Wenn ich ihm irgendwann mal was andrehen kann, werde ich es wahrscheinlich tun.“

„Genau wie Jack Mortimer“, brummte ich. „Moment mal!“ Rex biß sich auf die Lippe. „Das ist

doch der Portier vom Cobra-Club?“ „Ja! Kennen Sie ihn?“ Rex prustete vor Lachen. „Na, das ist ‘ne Frage! Hören

Sie mal“, er legte mir die Hand auf die Schulter und sah sich vorsichtig um, ob nicht etwa jemand unser Gespräch belausche. „Ich selber habe mal eine Dummheit gemacht. Heute will ich davon nichts mehr hören. Ich hab ‘ne Gefängnisstrafe gekriegt. Ein Jahr – aber man hat mir ein Drittel geschenkt. Aber was den Mortimer angeht – das ist ein richtiger alter Knasthase. Er ist auch der Vertraute von Codomer. Und das finde ich ziemlich bezeichnend, nicht wahr?“

Ich hatte das Gefühl, daß ich jetzt mit Trinken aufhören müßte. Man wind zu optimistisch, wenn man sich allzuviel Whisky einflößt.

Ich winkte deshalb dem Kellner und bezahlte. Rex Lawsen ließ es sich nicht nehmen, getrennte Rech-

nung zu verlangen. Dagegen hatte ich nichts einzuwenden. Meine Dienst-

stelle ist sowieso manchmal sehr kleinlich.

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* Kurz nach dem Lunch kam ich ins Metropol zurück.

Ein Boy überreichte mir einen Zettel. „Diese Telefon-nummer möchten Sie, bitte, anrufen, Mr. Amboß“, sagte er.

Ich erledige das sofort. Nach einigem Hin und Her mel-dete sich Stewart Glycard. „Gott sei Dank, daß Sie zurück sind“, sagte er. „Sie sind bei Berryl gewesen, nicht wahr?“

„Ja“, sagte ich, „und noch woanders. Das werden Sie ja inzwischen auch wissen?“

Er zögerte einen Moment. „Ja, in meiner Agentur – man hat es mir berichtet.“

„Davon war ich von vornherein überzeugt.“ „Was meinen Sie damit?“ „Sie halben eben einen gut geleiteten Laden. Aber was

wollen Sie nun genau von mir?“ Er überlegte einen Moment. „Kann ich mal gleich zu

Ihnen kommen?“ „Dagegen habe ich nichts einzuwenden!“ Ich sah auf die

Uhr. „Eigentlich wollte ich mich noch eine Stunde oder zwei hinlegen, aber jetzt ist es kurz vor drei. Kommen Sie also.“

„Spätestens in zwanzig Minuten bin ich bei Ihnen.“ Ich legte auf. Dann ging ich in mein Appartement und ließ mich

wieder von den Engelein bespritzen, und zwar ausgiebig. Danach fühlte ich mich freier.

Ich durchlief alle Räume, die ich ja doch nicht

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verwenden konnte und fühlte mich mal als reicher Mann. Es dauerte wirklich gar nicht lange, da wurde geklopft,

und dann ließ man Stewart Glycard herein. Ich hatte den Eindruck, als ob ihm seine Wunden jetzt

noch mehr Beschwerden machten als heute früh. Er hatte eine ungesunde Gesichtsfarbe, und seine Augen glänzten irgendwie fiebrig.

Er wartete, bis der Boy die Tür geschlossen hatte. Dann setzten wir uns und ich bot ihm eine Zigarette an.

„Nein“, sagte er, „bitte, nicht. Und wenn es Ihnen nicht viel ausmacht – rauchen Sie, bitte, auch nicht in meiner Gegenwart. Ich kann den Qualm nicht mehr vertragen, obwohl ich bis gestern Kettenraucher war.“

Er hing in seinem Sessel. Irgendwie tat er mir leid. Vielleicht stellte sich jetzt eine Art Wundfieber ein, ich kann das nicht so genau beurteilen. „Sie sollten zum Arzt“, sagte ich. „Lassen Sie sich eine Spritze geben.“

„Ich habe heute schon drei gekriegt“, flüsterte er. „Dann legen Sie sich doch, in Teufels Namen, ins

Krankenhaus!“ „Das könnte Ihnen so passen!“ Er verzerrte sein Gesicht.

„Ich werde Codomer und seinem Cobra-Club auf der Spur bleiben, darauf können Sie sich verlassen.“ Er ballte die Hände auf den Oberschenkel. „Ich bin nicht wahnsinnig. Monatelang habe ich mich an die Sache herangetastet und jetzt, kurz vor Schluß, soll ich vielleicht aufgeben? Nee, mein Herr! Stewart Glycard ist aus einem verflucht harten Holz geschnitzt.“

„Ich habe eine Lösung für Sie“, sagte ich. „Jetzt trinken

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wir eine Flasche Champagner und ein bißchen Cognac dazu, das pulvert auf lind …“

„Meinetwegen“, sagte er. Telefonisch bestellte ich diese Getränke. Ganz allmählich bemühte ich mich nun, diesen Men-

schen zur Vernunft zu bringen. Der Zimmerkellner brachte die Flasche Champagner und

den Flacon Cognac. Glycard trank sehr vorsichtig, aber ein bißchen kratzte es

ihn schon auf. Erst gegen vier Uhr nachmittags trennten wir uns. Da

hatte er es plötzlich sehr eilig. „Sie dürfen sicher sein, Amboß“, sagte er, „daß ich die Geschichte mit Codomer nicht so leicht aus den Fängen lasse.“

Ich legte ihm die Hand auf den Rücken und drängte ihn hinaus. „Erst sollte man versuchen“, sagte ich, „Grace Andrew zu sprechen, oder wenigstens ihre Freundin Ethel Blue.“

Stewart Glycard fuhr herum und starrte mich an. „Was haben Sie?“ fragte ich. „Das ist eine Idee“, flüsterte er. „Eine verflucht gute

Idee!“

* Es war für mich nicht sehr schwer gewesen, durch einen Anruf bei Woodrow die Adresse von Ethel Bloie herauszubekommen.

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Sie wohnte in einem großen Mietshaus in einem westlichen Vorort von Washington.

Als Arbeiterin der Nacht schlief sie um diese Zeit noch. Es war dasselbe, als wolle man einen normalen Menschen gegen fünf Uhr früh besuchen.

Sie wohnte in einer Art Pension. Ein Stubenmädchen zeigte mir Ethels Zimmertür.

Ich klopfte. Eigentlich erwartete ich, eine verschlafene Stamme zu

hören, oder drei, bis viermal klopfen zu müssen. Umsomehr, als mir das Stubenmädchen gesagt hatte, daß Ethel Blue um diese Zeit noch zu schlafen pflege.

Aber ich hörte ganz klar und irgendwie sogar scharf Ethels Stimme: „Ja, bitte?“

Ich stieß die Tür auf und ging hinein. Ethel trug einen Pyjama. Sie war aber schon gewaschen

und frisiert. Ihr Bett war noch zerwühlt, aber das Zimmer war schon gelüftet worden.

Ethel hatte die Hände auf dem Rücken. „Hallo“, sagte ich, „Sie wissen wahrscheinlich, weshalb

ich komme?“ „Ja“, sagte Ethel, riß die rechte Hand hinter dem Rücken

hervor, und dann blitzte und krachte es zweimal. Ich habe in solchen Fällen so gut wie keine Schreck-

sekunde. Ich warf mich zur Seite – trotzdem reichte es nicht ganz. Ein harter Schlag erwischte mich an der linken Schulter, und ich spürte einen brennenden Schmerz.

Dann stürzte ich vor, erwischte Ethel am Hals, und sie

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flog auf den Teppich. Sie jammerte, aber schoß trotzdem noch einmal. Die

Knöpfe ihres Pyjamas rollten über den Teppich. Ich mußte ihr den Fuß aufs Handgelenk setzen und

beugte mich dann zu ihr und umspannte mit beiden Händen ihren rechten Arm. Aus meiner linken Manschette tropfte mein Blut auf Ethels Hand.

Mit dem rechten Fuß gab ich der Pistole, die sie verloren hatte, einen Stoß, daß sie unters Bett rutschte.

„Lassen Sie mich los!“ keuchte Ethel. Ihre Frisur war zum Teufel, und sie sah mit ihrem verzerrten Gesicht gar nicht mehr elegant aus.

Ich zog sie in die Höhe und drückte sie aufs Bett. Die Finger meiner rechten Hand krampften sich um meine linke Schulter. Ich versuchte, den Blutstrom dort zu stillen. „Das ist eine schöne Begrüßung“, sagte ich. „Weiß Gott – einen besseren Schuldbeweis hätten Sie mir gar nicht bringen können.“

Ethel wühlte in ihren Haaren. „Mir sind die Nerven durchgegangen“, keuchte sie. „Was werden Sie jetzt mit mir machen?“

„Haben Sie Telefon im Zimmer?“ Sie gab keine Antwort. Da sah ich auch schon den Appa-

rat auf einem Vertiko stehen, hob ab, nahm die Pistole unter der linken Achsel heraus, und während ich wählte, ließ ich Ethel keine Sekunde aus den Augen. Dann verlangte ich Kommissar Woodrow.

Sein Stellvertreter meldete sich. Er wußte aber über meine Mission Bescheid, deshalb gab es auch keine

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Schwierigkeiten, als ich eine Abteilung in Ethels Behau-sung bestellte.

Dann legte ich wieder auf. Ethel Blue versuchte keine Dummheiten. Sie hatte es aufgegeben, sich mit mir zu messen. „Sie müssen doch vermutet haben, daß ich kom-men würde?“ sagte ich. „Hatten Sie dann ein schlechtes Gewissen?“

Ethel gab keine Antwort. „Zum Henker!“, schrie ich. „Wollen Sie jetzt endlich

den Mund aufmachen? Soll ich Sie erst ins Gefängnis einliefern lassen, oder wie stellen Sie sich die Geschichte vor?“

„Machen Sie, was Sie wollen“, sagte Ethel dumpf. Unendlich langsam verstrich die Zeit. In mir wühlte die

Ungeduld. „Wo ist Grace?“ fragte ich. „Suchen Sie sie doch“, spottete Ethel. Da verließ ich das Thema. „Und Mortimer?“ Erstaunt sah sie mich an. „Was wollen Sie von

Mortimer?“ „Ungefähr dasselbe wie von Ihrem Chef Thornton C.

Codomer.“ Ethel bedeckte das Gesicht mit den Händen. „Ich will

Ihnen mal was sagen – Sie haben gestern nacht den harm-losen Gast zu spielen versucht, nicht wahr? Sie wollten uns einreden, Sie wären in einen falschen Verdacht gekommen und wollten bloß den wahren Schuldigen suchen.“

„Ja, und?“ Sie sprang auf. Ihre Brust hob und senkte sich beim

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Atmen. „Sie sind ein ganz niederträchtiger, gemeiner Schurke“, keuchte sie. „Es geht Ihnen bloß darum, uns reinzulegen. Wer weiß, was Sie sind – ein Cop, oder ein Spitzel von der Abwehr!“

„Ach?“ Ich trat ein paar Schritte näher. „Damit wollen Sie also zugeben, daß ihr im Cobra-Club munter Spionage getrieben habt, wie?“

Sie schlug mir die Faust ins Gesicht, ohne auf meine Pistole zu achten.

Von so einem Schlag falle ich allerdings nicht um. Ich schüttelte mich nur kurz.

„Jetzt sage ich überhaupt nichts mehr“, flüsterte Ethel. „Und was Sie mit Mortimer auszumachen haben, das geht mich nichts an.

„Er hat mich in der letzten Nacht überfallen“, sagte ich ziemlich sachlich, fischte mit zwei Fingern eine Zigarette aus der Tasche und zündete sie an. „Seitdem ist er verschwunden. Ich glaube nicht, daß ihn die Polizei bei Dienstbeginn vor dem Cobra-Club schnappen wird. Der gute Jack ist bestimmt intelligent genug, sich nicht mehr an seinen alten Platz zu stellen. Es ist allerdings Eile geboten, deshalb bin ich hierher gekommen. Wenn ich geahnt hätte, daß du gleich schießt, du gefährliche Katze, hätte ich meine Kanone in der Hand gehabt, als ich hereinkam.“

Wir starrten beide auf meine linke Hand, von deren Fingerspitzen das Blut auf den abgetretenen Teppich tropfte.

Es wäre besser gewesen, ich hätte der Polizei gleich gesagt, sie sollten einen Arzt mitbringen.

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„Wer hat Glycard so zusammengeschlagen?“ fragte ich. „Ihr scheint alle eine ungeheure Wut auf die Leute zu haben, die sich bemühen, etwas Licht in eure trüben Angelegenheiten zu bringen.“

Plötzlich wurde Ethel ganz klein. Sie warf sich aufs Bett, schluchzte und schrie schließlich im Weinen.

Ich strich über ihren Kopf. „Komm, Kind“, murmelte ich ein bißchen verlegen, „sei still! Vielleicht kann ich dir helfen. Hör mich doch an, du kannst noch reden, bevor die Polizei kommt – noch ist es nicht zu spät. Wenn du ein bißchen vernünftig bist, dann …“

Sie warf sich herum und starrte mich an. „Mit euch kann man ja nicht reden“, ächzte sie. „Wenn ihr richtige Men-schen wäret – ja, dann wäre es etwas anderes! Aber so …“

Draußen polterten Schritte. Resigniert ging ich wieder auf die Mitte des Teppichs

zurück. Die Tür wurde aufgerissen. Zuerst kam Adlai Woodrow Herein. „Man hat mich von

Ihrem Anruf benachrichtigt“, sagte er, „und …“ Jetzt sah er meine blutende Hand. Er lächelte verzerrt. „Sehen Sie, meine Methode, bei solchen Anlässen immer einen Arzt mitzubringen, ist doch richtig!“ Er winkte in den Hinter-grund.

Es kam der gleiche Assistenzarzt zum Vorschein wie gestern nacht.

Ich mußte die Jacke ausziehen – man zerfetzte den linken Ärmel meines Oberhemdes, und dann wurde ich verbunden.

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„Glück gehabt“, sagte der Assistenzart, „bloß ein Streif-schuß.“

Die Detektive standen müßig im Zimmer herum. Einer kam auf die Idee, unters Bett zu sehen und fand

die Pistole. Mit einem Stück Eisendraht, das er in den Lauf schob, holte er sie hervor und hielt sie in die Höhe.

„Ja“, sagte ich, „das ist das Ding. Aber so einfach, wie ihr euch das vorstellt, wollen wir es uns nicht machen. Miß Blue soll Gelegenheit haben zu reden, wenn sie will.“

Ethel saß auf dem Bettrand und starrte aus leeren Augen vor sich hin. „Macht mit mir, was ihr wollt“, flüsterte sie, „ich habe nichts zuzugeben – als plötzlich jemand herein-kam habe ich gedacht, es wäre ein Mörder oder Sitten-strolch, und da habe ich eben geschossen.“

„Wunderbar“, sagte Woodrow und brachte, seinen blon-den Haarschopf durcheinander. „Die Ausrede ist nicht ganz neu, mein Fräulein.“

„Sperrt sie ein“, sagte ich müde, „wegen Verdacht der Mittäterschaft.“

Ethel Blues Augen belebten sich ein bißchen, als sie mich ansah.

Betont sagte ich: „Beihilfe zum Mord an Norman Wag-ner, zum Mordversuch an Stewart Glycard und Spionage.“

„Nein, nein, nein“, stammelte Ethel, „das kann doch nicht …“

„Doch“, nickte Adlai Woodrow, „aber jetzt zeigen Sie uns erst mal Ihre Papiere.“

Ethel rührte sich nicht vom Fleck.

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„Ihre Papiere, Miß Blue“, erinnerte der Kommissar noch einmal bemerkenswert sanft.

„Sucht Sie euch“, ächzte Ethel. „Zum Donnerwetter!“ schrie Woodrow plötzlich. „Was

denken Sie denn, wen Sie vor sich haben? Ich habe Sie aufgefordert, Ihren Paß zu zeigen, oder sonst einen Aus-weis! Wollen Sie renitent werden?“

Müde stand Ethel auf, ging zum Kleiderschrank, schloß ihn auf und wühlte darin. Als sie sich umdrehte, fiel ihr wohl endlich ein, wie unzulänglich ihre Garderobe war. Hastig riß sie einen Mantel aus dem Schrank, warf ihn über und knöpfte ihn bis obenhin zu.

Woodrow prüfte die Papiere. Dann klatschte er das Heft auf den Tisch. „Finden Sie nicht auch, Miß Blue, daß diese Fälschung ziemlich plump ist? Was haben Sie dafür bezahlt?“

Ethel gab keine Antwort. „Wir drehen uns alle um“, murmelte Adlai. „Ehrenwort,

daß wir nicht hingucken. Einer von uns wird allerdings auch mit dem Rücken zu Ihnen am Fenster stehen. Versuchen Sie also keine Mätzchen. Ziehen Sie sich an – nehmen Sie alles Nötige mit, Sie sind festgenommen. Im mache Sie darauf aufmerksam, daß alles, was Sie von jetzt an sagen, in einem künftigen Prozeß gegen Sie verwendet werden kann.“

Auch ich drehte mich gehorsam um. Ethel Blue schluchzte leise. Stoff rauschte. „Amboß“, sagte sie.

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„Ja?“ Ich drehte mich aber nicht um. „Lassen Sie mir eine Nacht Ruhe, Amboß – und dann

kommen Sie zu mir ins Gefängnis. Vielleicht werde ich dann reden. Aber erst brauche ich einen Anwalt, nicht wahr?“

* Als ich ins Metropol kam, sagte man mir, es warte jemand auf mich.

Im Foyer. Es war ein Chauffeur von der CIA. Er hatte den Auftrag,

mich zu Major Livingburry zu bringen. Obwohl ich jetzt lieber zu Abend gegessen hätte, ging

ich mit ihm hinaus, setzte mich in den Fond des schweren Wagens, nahm die Pistole heraus und legte sie demon-strierend auf mein Knie.

Der Chauffeur sah das und machte ein erstauntes Gesicht.

„Ja, sehen Sie“, grinste ich, „in meinem Metier ist das nun mal so. Schon mancher ist gekommen und hat behauptet, Chauffeur meiner Dienststelle zu sein. Dann wollte er mich irgendwohin locken. Man kriegt Routine.“

Da lachte er, daß es ihn schüttelte. Er setzte sich hinters Steuerrad und fuhr auf dem schnellsten Wege ins Regierungsviertel.

*

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Tatsächlich erwartete mich Major Ernest Livingburry.

„Whisky?“ fragte er. „Okay“, brummte ich, „aber ein Würstchen wäre mir

lieber.“ Er drückte auf einen Knopf und sagte seinem Sekretär,

er möge in der Kantine ein Steak für mich bestellen. Der Sekretär sagte ja. „Ziemlich undurchsichtige Geschichte, wie?“ Der Major

nahm eine Zigarre, biß die Spitze ab, spuckte sie ans Ende des Teppichs und riß ein Streichholz an. Er paffte. Im großen und ganzen sah er genauso unbeteiligt aus wie gestern auch.

Ich räkelte mich im Sessel. „Mindestens steckt was dahinter“, sagte ich.

Der Major machte eine flüchtige Kopfbewegung zur Tür hin. „Im Vorzimmer wartet Stewart Glycard.“

„Sie können ihn wohl nicht leiden?“ feixte ich. Erstaunt sah mich Livingburry an. „Wieso?“ „Ach, ich meine bloß.“ Zum erstenmal sah ich eine Art Lächeln auf seinem

Gesicht. „Sagen wir lieber, er kann mich nicht leiden. Aber ich kann ihn nicht zwingen, mich sympathisch zu finden, und es ist mir auch, offengestanden, ganz egal.“ Er schob einen Sessel dicht neben mich und setzte sich. „Hören Sie mal, Amboß – ich habe Ihre Personalakten durchgeackert, bevor ich Sie anforderte.“

„Danke“, brummte ich.

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„Oho“, er hob die Augenbrauen, „Sie scheinen ziemlich überzeugt zu sein, daß in Ihren Personalakten nur Gutes steht?“

„Sehr überzeugt“, nickte ich. „Bis jetzt habe ich mir nämlich noch keine krummen Sachen geleistet.“

Der Major schwieg. Dann brachte der Sekretär mein Steak. Mit einer Serviette deckte er den Rauchtisch und stellte

alles Nötige hin. Mit Heißhunger stürzte ich mich darauf und vertilgte

Suppe, Fleisch, Kartoffeln, Gemüse und Salat in unglaub-lich kurzer Zeit.

Dabei unterbrach mich Livingburry in keiner Weise. Erst als ich fertig war, klingelte er wieder und ließ

abräumen. Dann sagte er: „Wie stellen Sie sich die Sache mit dem Cobra-Club weiter vor?“

„Hm“, machte ich und griff in das Zigarettenkästchen. „Jetzt hätte ich übrigens auch nichts gegen einen Whisky einzuwenden.’’

Der Major bediente mich. Langsam trank ich. „Es ist folgendes passiert: Im Cobra-

Club verkehren sehr viel Prominente. Unter anderem auch Diplomaten und einflußreiche Männer unserer Regierung.“

„Stimmt“, nickte der Major. „Diese Leute sind in vielen Fällen ausgehorcht worden“,

fuhr ich fort. „Vielleicht hat man von ihren Gesprächen mit den. Tischdamen Tonbandaufnahmen geschnitten – viel-leicht spielte man ihnen diese Dinge später vor und zwang

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sie damit, um einen Skandal zu vermeiden, nun noch weitere Informationen zu liefern. Auch Diplomaten hängen an ihrem Job.“

„Moment!“ Livingburry hob die Hände und warf mir einen schrägen Blick zu, den ich nicht deuten konnte. „Jetzt verlieren Sie sich in Vermutungen.“

„Nein“, ich schüttelte den Kopf. „Das ist sicher.“ „Wieso?“ Er ließ die Hände sinken. „Man hat dafür eine Nase“, ich griff nach meinem

Riechinstrument. „Ich werde es zu gegebener Zeit beweisen!“

„Gut“, nickte Livingburry langsam. „Dann brauchen wir uns eigentlich gar nicht weiter zu unterhalten.“

Ich sah auf die Uhr. „Jede Minute, die wir jetzt vertrödeln“, sagte ich, „ist verlorene Zeit.“

„Nicht meine Schuld“, er hob die Schultern. „Stewart Glycard hat – wie gesagt – eine Menge Beziehungen. Ich konnte ihm diese Unterredung nicht gut abschlagen, aber ich wollte Sie vorher erst mal sprechen. Er weiß nicht, daß Sie jetzt schon hier sind.“

„Schön“, sagte ich gereizt, „machen wir mal weiter. Glycard – dessen Hobby es ist, für die Staatssicherheit zu sorgen – stößt also eines Tages auf den Cobra-Club! Er beobachtet ihn ganz genau. Fast zu gleicher Zeit mit ihm erstattet der Oberkellner Norman Wagner eine Anzeige.“

„Sagen wir korrekter“, mischte sich der Major ein, „er gab den zuständigen Stellen eine Information.’*

„Gut, gut.“ Ich arbeitete mit den Händen in der Luft

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herum, ließ aber den linken Arm sofort sinken, weil mir die Schulter von Ethels Streifschuß sofort wehtat. „Wir wollen uns jetzt nicht an Ausdrücke klammern. Kurz nach seiner Anzeige, oder nach seiner Information, wird Norman Wagner erschossen und zwar einwandfrei mit einer Pistole, die Thornton Calvin Codomer, dem Inhaber des Cobra-Clubs, gehört.“

„Ja“, sagte Livingburry. „Das ist ziemlich eindeutig, nicht wahr?“

„Ziemlich“, sagte ich gedehnt. „Nachdem Glycard erfah-ren hatte, daß Codomers Pistole beschlagnahmt worden war, fuhr er sofort in den Cobra-Club. Er mischt sich dort unter die Gäste – er selbst gilt ja längst als Stammgast …“

„Moment“, Livingburry ging zum Schreibtisch und blätterte in den Akten. „Sie haben uns gestern abend telefonisch Bericht erstattet.“

„Ich weiß, was Sie meinen“, ich nahm mir einen neuen Whisky. „Ich habe Ihnen gesagt, daß der vielfach vorbe-strafte Portier Jack Mortimer sauer wurde, als er hörte, daß ich Glycard suche.“

„Eben“, der Major klappte die Akten zu. „Und das macht mich stutzig.“

„Besonders“, ergänzte ich, „weil ein paar Stunden später Mrs. Berryl Codomer diesen Mortimer als den Vertrauten ihres Mannes bezeichnet hat.“

Livingburry biß sich auf die Lippe. Man konnte ihm keinesfalls ansehen, was er dachte.

Eigentlich, so ging es mir durch den Kopf, war es kein Wunder, daß der impulsive Glycard diesen trockenen

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Burschen nicht mochte. Hier stieß man auf die berühmte Wand aus Granit. Dahinter konnte man sich all« mögliche vorstellen. Verrat – Verbrechen – was man wollte. Natür-lich auch Staatsbewußtsein.

„Sie denken wohl, ich stecke mit denen unter einer Decke?“ fragte Livingburry amüsiert.

„Können Sie Gedanken lesen?“ fuhr ich auf. „Nein, das ist ein bißchen Psychologie“, schmunzelte

Livingburry. „Aber wir wollen die Geschichte weiter zusammenstellen. Sie sind von Mortimer zusammen-geschlagen worden – das kann alle möglichen Gründe gehabt haben.“

„Na, mal langsam“, brummte ich. „Gründe hin, Gründe her – man wird ja wohl noch Verdacht gegen einen Men-schen haben können, der einem die Faust in den Magen

„Ja“, Livingburry wurde ungeduldig, „gewiß. Aber dann kam der Punkt, als Codomer verhaftet werden sollte.“ Er grinste jetzt fast gehässig. „Die Polizei hat ihn nicht bekommen.“

„Haben Sie da etwa Ihre Hand im Spiel gehabt?“ fragte ich verblüfft.

„Nur indirekt“, wich Livingburry aus. „Ich habe einige unserer Leute ebenfalls in die gleiche Gegend beordert. Ich wollte verhindern, daß Codomer erschossen wurde. Mir war zu Ohren gekommen, daß Kommissar Woodrows Vorgesetzte für den Notfall einen Schießbefehl erlassen hatten. Mir schien die Sache mit dem Cobra-Club aber wichtig genug, um unter allen Umständen zu verhindern, daß Codomer nicht mehr reden konnte.“

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„In Ordnung. Wir fanden später Stewart Glycard.’’ Es war schon sehr dunkel im Zimmer. Ich sah

Livingburrys Silhouette drüben am Fenster. Der Himmel war bläulich, und die Falten des Stores schraffierten diesen Himmel senkrecht. „Könnte es eigentlich sein“, fragte Livingburry mit sehr zweideutigem Ton in der Stimme, „daß sich Glycard diese Verletzungen selber beigebracht hat?“

Ich lachte amüsiert. „Ja, ich weiß, er war gefesselt.“ Der Major drehte sich

um, kam zu mir und knipste das Licht einer Stehlampe an. Sein Gesicht blieb aber im Halbdunkel. „Aber er könnte einen Komplicen gehabt haben?“

„Major“, ich beugte mich im Sessel vor, „ich verstehe nicht viel von Medizin, aber einiges doch. Besonders von Wunden. Kein Mensch, der seinen Verstand beisammen hat, läßt sich von einem Komplicen so zurichten. Glycard hat genau auf der Schneide zwischen Leben und Tod gestanden. Wenn wir ihn ein bißchen später gefunden hätten, wäre er erledigt gewesen. Es ist ohnehin ein Wahnsinn, daß er jetzt frei durch die Gegend läuft. Als ich ihn das letztemal gesehen habe – das ist erst ein paar Stunden her – da hatte ich Angst, er halte nicht durch. Es kann sein, daß er in der nächsten Nacht zusammenbricht und nicht mehr schnauft. Das gesündeste Herz hält diese Belastungen nicht aus. Ein Schürhaken ist gerade kein chirurgisches Instrument. Für die Sterilität eines solchen Werkzeuges würde ich keine Garantie übernehmen.“

„Also, lassen wir das!“ Er machte eine schnelle Hand-

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bewegung durch die Luft. „Wir können unterstellen, daß Stewart Glycard tatsächlich von seinen Feinden nieder-geschlagen worden ist.“

Ich lachte amüsiert. „Was haben Sie?“ fragte er. „Nun, den Beweis“, sagte ich, „daß Sie Glycard gegen-

über doch nicht objektiv sind. Sie suchen irgend etwas, das ihn belastet – und er sucht etwas, das Sie belastet. Wenn ihr euch nicht leiden könnt, dann arbeitet doch nicht zusammen!“ Das schien Livingburry direkt zu beleidigen. Er straffte sich. „Ich bin Offizier“, sagte er, „und jetzt bin ich Beamter der Abwehr.“

„Wie sind Sie überhaupt auf diesen Posten gekommen?“ fragte ich leise und langsam.

„Kümmern Sie sich nicht um Sachen, die Sie nichts angehen!“ schrie er mich an. „Es steht Ihnen keine Kritik an den Maßnahmen Ihrer Vorgesetzten zu. Haben Sie mich verstanden?“

„Jawohl, Major“, sagte ich kühl, „das habe ich sehr genau verstanden.“

„Das ist schon eine eigenartige Sache …“ Livingburrys Gesicht kam jetzt in den Schein der Stehlampe und schien mir wie eine Fratze, „wie dieser Glycard zu so vielen Beziehungen gekommen ist. Er hat eine Show-Agency. Im allgemeinen ist eine solche Firma oder sagen wir, dieser Beruf nicht besonders angesehen.“

„Ein Beruf wie jeder andere auch“, erinnerte ich. „Ja, ja, aber.“ Er setzte sich. Dann griff er nach der

Whiskyflasche und schenkte sich gedankenverloren ein.

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„Ich habe mal einige Auskünfte eingeholt“, murmelte er. „Niemand kennt ihn eigentlich genau. Aber jeder behaup-tet, er wisse, daß ein anderes hohes Tier mit Glycard befreundet sei.“

„Bremsen Sie sich“, riet ich. „Solang« Sie mir nicht erklären wollen, wie Sie auf diesem Posten gelandet sind, Major, werde ich Ihre Angriffe auf Glycard nicht ernst nehmen.“

Da war wieder der Haß in seinen Augen. Er schluckte, was er sagen wollte, aber hinunter – und er schluckte zugleich eine ziemliche Portion Whisky. Dann riß er sich zusammen. „Wir brauchen uns über den Fall nicht mehr zu unterhalten“, sagte er. „Der Fall Cobra-Club läuft …“

„Fragt sich nur, wie er läuft.“ „Ich erwarte von Ihnen, Amboß, daß Sie dafür sorgen

…“ „Daß dieser Fall seiner Aufklärung entgegenläuft“,

grinste ich. „Das ist für meine Herren Vorgesetzten natür-lich der praktischste Befehl, den sie mir geben können.“

„Ich habe Ihnen jede Unterstützung angedeihen lassen“, Livingburry sprang auf, „Sie wohnen in einem Luxus-appartement im Hotel Metropol und gelten dort als Fabri-kant. Sie haben Zugang zum Cobra-Club bekommen, obwohl dort nur die oberen Zehntausend verkehren. Und Sie haben …“

„Ja, ja“, ich hob die Hände. „Bitte, nicht so stürmisch! Ich weiß allein, was Sie für mich getan haben und was nicht. Aber ich habe inzwischen auch nicht geschlafen.“ Ich schmunzelte. „Sogar eine Person habe ich schon

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verhaften lassen.“ „Ethel Blue“, flüsterte Livingburry, „ich weiß nicht, ob

das sehr klug gewesen ist.“ „Haben Sie den Bericht schon da?“ „Ja, er wurde mir von der Polizei durchtelefoniert.“ „Kommen wir zur Sache“, schlug ich vor. „Ich habe nun

mal die Eigenart, mich nicht von den Meinungen meiner Vorgesetzten beeinflussen zu lassen. Das hat mir schon manches harte Wort eingebracht – aber zum Schluß doch immer Erfolge.“

Seine Augen glitzerten mich an. Langsam kam er zu mir. Dann stemmte er seine Hände auf die Armlehnen meines Sessels, und sein Gesicht war ganz dicht vor mir. „Setzen wir den Fall“, flüsterte er, „ich würde Ihnen jetzt befehlen, die Angelegenheit Cobra-Club sausen zu lassen. Was würden Sie tun?“

„Gehen Sie weg“, ich drückte ihn an der Brust zurück. „Ich kann Männer, die mir so nahe kommen, nicht leiden.“

„Also, was würden Sie tun?“ Er richtete sich auf. „Ich würde von Pontius zu Pilatus laufen“, versicherte

ich und ließ ihn dabei nicht aus den Augen. „Ich würde mich bemühen, über alle Leute, die ich kenne, bis an die oberste Spitze heranzukommen, und im Notfall würde ich mir Urlaub geben lassen und von meinen eigenen Erspar-nissen die Lösung des Falles finanzieren.“

„Hm“, er beleckte sich die Lippen. „Sehr viel Disziplin haben Sie nicht im Leib, wie?“

„Dafür bin ich zu sehr Individualist.“ Ich zuckte mit den

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Schultern. Da lachte er. „Brav mein Sohn! So etwas können wir in

der Abwehr brauchen! Und jetzt wollen wir Glycard hereinrufen.“ Er ging zum Schreibtisch und legte einen Schalter um. Dann gab er eine entsprechende Anweisung ins Mikrophon.

Kurz darauf führten sie Glycard herein. „Oh“, sagte er zu mir, „sind Sie schon lange hier?“ „Nein“, log ich und zwinkerte ihm zu, „gerade erst

gekommen.“ Glycard setzte sich. „Dann haben Sie sich aber Zeit

gelassen. Ich sitze schon unverschämt lange draußen und wollte gerade wieder gehen.“

„Ohne meine Genehmigung einzuholen?“ fragte Major Livingburry scharf.

„Allerdings“, spöttisch verbeugte sich Glycard im Sitzen. „Sie dürfen nicht vergessen, daß ich Zivilist bin, Herr Major.“

Sofort ließ Livingburry dieses Thema fallen. Glycard sah mich an. „Hat Livingburry schon Gelegen-

heit gehabt, Sie von meinen Wünschen zu unterrichten?“ fragte er.

„Nein“, sagte ich wahrheitsgemäß. Livingburrys Gesicht erstarrte zur Maske. Er baute sich

mitten im Raum auf. „Mr. Glycard hat den wahrscheinlich verständlichen Wunsch, den flüchtigen Mörder und Spion Codomer selbst zu fangen“, sagte er.

„Na, was sagen Sie?“ Glycard stieß mich an. „Ist dieser

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Wunsch verständlich?“ „Wenn man sieht, daß Sie nicht mal den Kopf drehen

können“, feixte ich, „dann wird der Wunsch allerdings verständlich.“

„Ich habe gehört“, flüsterte er, „daß Sie eine Unterhal-tungsdame vom Cobra-Club kassiert haben?“

„Hm“, machte ich, „sie will sogar im Notfall morgen reden.“

„Na, was kann sie schon reden?“ schmunzelte Glycard. „Wahrscheinlich wird sie Ihnen was vorlügen, wenn sie Dreck am Stecken hat! – Und wenn ihr Gewissen sauber ist, wird uns das Gerede nicht interessieren.“

„Zur Sache“, erinnerte Livingburry. Jetzt fehlte nur noch, daß er eine Glocke schwang, aber sie war zum Glück nicht greifbar. „Mr. Glycard ersuchte uns, ihm eine Gruppe zuverlässiger Spezialagenten zur Verfügung zu stellen; eine Truppe also, mit deren Hilfe er ganz allein den Verbrecher Codomer fangen kann.“

„Ersuchte“, höhnte Glycard, „brechen Sie sich keine Verzierung ab, Major. Ich bin zwar nur freiberuflich bei der Abwehr, und ich kriege auch keinen Cent dafür, aber ich bin immer noch genauso viel wert wie Sie, der Sie Gehalt und Pensionsberechtigung haben. Entweder arbeite ich für euch oder nicht.“

„Also, was ist los?“ fragte ich. „Nichts weiter“, er griff zu mir herüber und legte mir die

Hand auf die Schulter. Weil es die verwundete war, zuckte ich zurück.

Er lachte, daß es ihn schüttelte und er einen Hustenanfall

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bekam, der ihm nun wieder Schmerzen im Hals verur-sachte. Vorsichtig griff er an die verwundete Stelle. „Nehmen Sie mir meine Schadenfreude nicht übel, Amboß“, strahlte er, „aber Sie sind ja nun auch angekratzt. Über meinen Snobismus haben wir ja schon geredet – wenn Sie jetzt ein anständiger Kerl sind, dann sprechen Sie für mich, dann reden Sie diesem Herrn Major bitte ein, daß er mir eine kleine zuverlässige Truppe zur Verfügung stellen soll. Ich möchte Codomer schnappen – nichts sonst. Ich habe mit ihm ein Hühnchen zu rupfen! Man hat nicht alle Tage Gelegenheit, mit einem Schürhaken zusammen-geschlagen zu werden. Und man hat auch nicht alle Tage Gelegenheit, mit einem Haftbefehl zu antworten.“

Wir schwiegen eine Weile. „Was meinen Sie?“ fragte der Major. Ich nahm mir eine Zigarette, zündete sie an, goß mir

gemächlich einen Whisky ein und trank in kleinen Schlucken. Dann nickte ich. „Ja“, sagte ich, „wenn Sie meine Personalakten gelesen haben, wissen Sie auch, daß ich nicht ehrgeizig bin. Ich hätte also nicht das geringste dagegen, Mr. Glycards Wunsch zu erfüllen. Mir geht es nicht darum, wer die Angelegenheit Cobra-Club aufklärt – sondern nur darum, daß sie überhaupt aufgeklärt wird.“

Das schien Major Livingburry nicht zu passen. Man sah seinem Gesicht an, daß ihn die widerstrebendsten Gedan-ken bewegten. Und endlich sagte er: „Gut – ich sehe keinen anderen Weg. Bitte, Mr. Glycard, gehen Sie jetzt in das Zimmer 365. Ich rufe inzwischen an. Dann wird alles erledigt sein, wenn Sie dort ankommen.“

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Glycard gab mir die Hand und beugte sich zu mir herüber. „Dem werden wir noch mal gewisse Zähne ziehen müssen“, flüsterte er, „aber sagen Sie es nicht weiter.“

Als er draußen war fragte ich: „Kann ich jetzt ebenfalls gehen?“

Major Livingburry riß sich zusammen. „Amboß“, sagte er, „ich habe leider keinen Grund gesehen, Mr. Glycard seinen Wunsch abzuschlagen. Ich gebe Ihnen aber hiermit den dienstlichen Befehl, sich weiterhin um die Sache zu kümmern.“

„Das hätte ich ohnehin getan.“ „Aber besonders um Glycard“, schärfte Livingburry ein,

und seine Augen waren wie zwei spitze Dolche. „Warum?“ fragte ich interessiert. Er drehte sich um. „Das ist meine Angelegenheit. Ich bin

es nicht gewöhnt, meinen Untergebenen irgendwelche Erklärungen für meine Entscheidungen abzugeben.“

V. Livingburry hatte mich noch beauftragt, ebenfalls im Zimmer 365 vorzusprechen.

Dort übergab man mir einen Zettel. Daraus konnte ich alles Wissenswerte ersehen. Die Namen der Leute, die man Glycard zur Verfügung gestellt hatte – gewisse Kennworte und eine Telefonnummer, unter der ich jeweils den genauen Einsatzort der Truppe erfahren konnte.

Das war ja nun sehr tröstlich. Draußen dämmerte es bereits.

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Ich nahm ein Taxi und fuhr zum Hotel Metropol. Einmal in meinem Leben möchte ich in meiner dienst-

lichen Tätigkeit am frühen oder späten Abend ins Hotel kommen und mich dort ganz als Gast fühlen können, ganz unbeschwert, ohne jeden Hintergedanken!

Aber auch dieses Mal war es wieder nichts damit. Gegessen hatte ich ja schon. Obwohl ich durchaus noch

eine Portion hätte vertragen können, wollte ich es nicht übertreiben …

Deshalb hatte ich mir vorgenommen, erst einmal in mein Appartement hinaufzugehen.

Aber ein Boy machte mir diesen Wunsch zunichte. „Mr. Amboß“, sagte er, „in der Bar wartet eine Dame auf Sie.“

„Die Schwiegermutter des Teufels soll diese Dame holen“, erwiderte ich.

Der Boy verdrehte die Augen. „Lieber eine andere, Mr. Amboß“, schwärmte er, „aber nicht diese Frau! Es gibt ja so viele häßliche – verschwenden Sie nicht die Schönsten unseres Landes.“

Ich tätschelte seine Wange ziemlich rauh und sagte ihm, er wäre ein kleiner Taugenichts.

Dann ging ich in die Bar. Mir fiel sofort auf, daß sie sich direkt für mich zurecht-

gemacht hatte. Ihr Kleid war frivol, ja, beinahe unan-ständig. So etwas von Ausschnitt habe ich sogar bei Nacht-club-Girls selten gesehen. Er reichte fast bis zum Gürtel.

Es war Berryl Codomer. In ihren Augen aber stand sehr deutlich: ,Bilde dir bloß

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nichts wegen meines Kleides ein, mein lieber Freund! Ich weiß genau, weshalb ich dich jetzt damit fesseln will – das ist nicht Liebe oder Leidenschaft und auch nicht Verwor-fenheit, das ist Zweckmäßigkeit und sonst nichts!’

Ich küßte ihre Hand wie ein Österreicher. Um mich nicht als Whiskysäufer in Verruf zu bringen,

tat ich es ihr nach und bestellte nach ihrem Wunsch eine White Lady für sie und mich.

Dann saßen wir auf den Hockern und wußten nicht recht, was wir miteinander anfangen sollten.

„Na?“ fragte ich schließlich. „Ich habe Sie heute ein bißchen plötzlich hinauskompli-

mentiert“, murmelte sie und zog die Schultern zusammen. Das kam zwar ihrem Ausschnitt zugute, aber nicht meiner Kombination bezüglich ihrer möglichen Sympathie für mich. Aus halbgeschlossenen Augen beobachtete sie mich nämlich dabei.

Ich trank meinen White Lady. „Mal einen Whisky dazwischen!“ flüsterte ich dem Mixer zu.

Er servierte die braune Flüssigkeit. „Wer sind Sie in Wirklichkeit, Amboß?“ fragte sie.

„Was wollen Sie meinem Mann antun?“ „Ich will erst mal mit ihm reden“, sagte ich ernst. „Es

könnte nämlich sein, daß es sonst zu spät ist. Aber das hat der Gute vielleicht noch gar nicht gemerkt? Er macht sich jetzt noch Illusionen.“ Ich kicherte. „Haben Sie eine Ahnung, ob Grace Andrew auch bei ihm ist?“

„Es ist keine Frau bei ihm“, fauchte sie mich an. „Er ist

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ganz allein im Tappa …“ „… hannock“, ergänzte ich freundlich. Nun wollte sie von ihrem Hocker herunter. Aber ich hielt sie mit Nachdruck am Arm zurück.

„Bleiben Sie, bitte, hier“, sagte ich. „Sie dürfen nicht denken, daß ich mit allen Mitteln Ihren Mann hineinlegen will, schöne Frau! Es geht mir nur um die Wahrheit. Wenn Ihr Mann ein Schweinehund ist, dann soll ihm genau das zukommen, was er wert ist. Ist er aber unschuldig in Verdacht geraten, dann will ich der erste sein, der sich für ihn einsetzt.“

Und da schluchzte Berryl hemmungslos. Der Mixer wollte einen Kellner oder den Geschäftsführer zu Hilfe rufen, aber ich gab ihm ein schnelles, ungeduldiges Zeichen mit der Hand. Da ließ er es. Es war ja um diese Zeit auch noch nicht viel Betrieb in der Hotelbar.

Ich wartete, bis sich Berryl beruhigt hatte. „Kleine Frau“, sagte ich dann, „es wäre ein furchtbarer Irrtum von Ihnen, wenn Sie glauben würden, Sie konnten Ihrem Mann jetzt noch einen Wink geben. Ich weiß, wo er ist – und Sie …“

„Ja, und ich weiß auch, wo er ist“, höre ich in diesem Moment eine Stimme hinter mir.

Wir fuhren beide herum. Da war Glycards bandagierter Kopf. Seine Augen

glänzten. Möglicherweise war sein Wundfieber gestiegen. „Rücken Sie mal freundlichst ein Stück beiseite“, sagte er zu mir.

Ich kletterte auf den Nebenhocker, und Steward Glycard kraxelte dort hinauf, wo ich gerade gesessen hatte.

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„Tappahannock“, sagte er, „interessant.“ „Ich muß jetzt heim“, sagte Berryl. „Das könnte Ihnen so passen, wie, meine Gnädigste?“

schmunzelte Glycard. Er deutete zum Eingang der Bar. Don standen zwei vierschrötige Gesellen. „Sie kommen hier nicht ohne weiteres raus. Sie werden also keinerlei Gelegenheit haben, Ihren Mann zu warnen.“

Berryl Codomer sprang auf den Boden, daß der Hocker umkippte und gebärdete sich wie eine Wahnsinnige. Sie wollte sich den Ausgang erzwingen – aber die beiden Männer packten sie und hielten sie fest.

Sie biß, schlug und trat … Es war eine unerfreuliche Szene. „Mußten Sie so etwas machen?“ fragte ich. Glycard zuckte die Schultern. „Sie hätten es wahrschein-

lich anders geregelt“, spottete er. „Aber ich bin Realist. Mir sind Tatsachen lieber als der zweifelhafte Ruf, ein Gentle-man zu sein.“

Angewidert stieg ich vom Hocker und ging hinaus. Der Manager, der mir begegnete, warf mir einen

vorwurfsvollen Blick zu. Nun hatten wir also doch Krach in seinem Hotel gemacht!

Draußen wartete ein Wagen der Polizei. Ich war sicher, daß es Glycard gelingen würde, einen Haftbefehl gegen Berryl Codomer zu erwirken.

Einen ganz diskreten Haftbefehl. Die Kunde davon würde kaum bis Tappahannock dringen.

Nur um die Sache mal auszuprobieren, schlug ich

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Glycard vor, in mein Appartement hinaufzugehen und dort noch einer Flasche den Hals zu brechen.

„Sie sind verrückt!“ Er drehte den Zeigefinger an seiner Schläfe. „Jetzt habe ich eine Menge zu tun! Ich weiß genau“, er griff nach meinem Schlips, „daß ich so eine Hetzjagd keine zwei Tage mehr aushalten würde. Mit meinen Verletzungen kippe ich spätestens in dreißig Stun-den aus den Schuhen. Aber solange ich noch irgendwie kann, werde ich bei der Stange bleiben.“

* Kaum daß er weg war, rief ich bei Kommissar Woodrow an.

Er kam sofort an den Apparat und verhielt sich sehr re-serviert. „Ich weiß nicht mehr, wem ich trauen soll“, sagte er. „Mr. Glycard hat eine Vollmacht von der Regierung bekommen – deshalb unterstütze ich ihn. Aber sonst …“

„Ja, es ist gut!“ Ich legte auf. Dann rief ich Livingburry an. „Wenn Sie wollen“, versicherte er hastig, „stelle ich

Ihnen ein ganzes Regiment Agenten zur Verfügung. Sie können alles anfordern, was Sie brauchen. Flugzeuge – Kraftwagen – Schnellboote …“

Nur um nicht untätig zu sein, bestellte ich einiges von den angebotenen Hilfsinstrumenten.

Kaum war ich in die Bar zurückgekehrt, holte mich ein Kellner erneut ans Telefon. Schon wieder war es

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Kommissar Woodrow. „Kommen Sie doch gleich zu uns!“ sagte er. „Erstens verlangt die Bardame Ethel Blue nach Ihnen, und zweitens haben wir den Portier Jack Mortimer erwischt.“

* Adlai Woodrow begleitete mich höchst persönlich in das Untersuchungsgefängnis.

Zuerst kamen wir zu Ethel Blue in die Frauenabteilung. Sie war sozusagen vollkommen zerschmettert. Also in

der richtigen Gemütslage, alles zu gestehen! Ich gab Woodrow ein Zeichen zu verschwinden. Er ver-

stand, wenn auch mit pikiertem Gesicht. „Na, mein Kind, wie ist das nun?“ fragte ich. Sie richtete sich auf ihrer Pritsche auf und starrte mir ins

Gesicht. „Ich will den größten Teil von dem sagen, was ich weiß“, flüsterte sie. „Ihr müßt in den Keller gehen. In der dritten Nische von links muß man die Wandverschalung beiseiteklappen, dann kommt man in einen Gang. Der führt unter dem Garten hindurch – und dann ein Stück durch die Röhren der Kanalisation bis in die Florida Avenue. Das Haus Nr. 210 gehört ebenfalls Codomer. Dort mündet der Gang. Euere Polizisten hatten nur unser Grundstück umstellt, weil sie nicht wußten, daß Codomer durch den Gang verschwunden ist.“

„Warum ist er überhaupt angelegt worden?“ Sie zog die Mundwinkel herunter. „Sehr viele Skandal-

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journalisten interessieren sich für einen Night-Club der oberen Zehntausend“, sagte sie. „Es konnte durchaus mal passieren, daß beispielsweise ein Detektiv einem Ehemann auf der Spur war, der hätte dann durch diesen Gang ver-schwinden können. Aber es ist praktisch niemals passiert. Der Gang geriet in Vergessenheit, und nur wenige haben von seinem Vorhandensein gewußt.“

„Wer zum Beispiel?“ „Codomer“, zählte sie auf, „Norman Wagner, Grace

Andrew und ich.“ „Also ist Grace auch …?“ „Ja“, flüsterte Ethel. „Wenn ihr sie vernehmen wollt –

ihr könnt sie in Tappahannok finden.“ „Oh“, ich sprang auf, „dort, wo Codomer ist?“ Ethels Augen funkelten. „Das wußte ich ja gar nicht! Er

hat ein Jagdhaus in dieser Gegend. Ich dachte, sie wäre allein hingefahren.“

„Wer seid ihr eigentlich?“ Ich griff nach ihren Händen. „Deine Ausweise sind falsch …“

Da schluchzte sie. „Mir geht es wie Grace. Ich stamme aus Ungarn und heiße in Wirklichkeit ganz anders. Wir sind illegal in die Staaten eingewandert. Irgendein kleines Vermittlungsbüro mit einem Namen, der jetzt keine Rolle spielt, hat uns dabei geholfen. Später wurden wir erpreßt. Man drohte uns, die Einwanderungsbehörde auf uns zu hetzen, wenn wir nicht das machten, was diese Leute wollten.“

„Und was wollten sie?“

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Sie sank in sich zusammen. „Wir mußten gewisse Leute in unserem Nachtclub aushorchen. Diese hatten keine Ahnung, daß jeweils in der Blumenvase ein Mikrophon war. Später wurde ihnen das Tonband vorgelegt. Da hatten sie aber praktisch schon einen Verrat begangen. Nachher erpreßte man sie damit.“

„Und damit hat Thornton Codomer sein Geld verdient?“ „Das weiß ich nicht“, murmelte sie. „Unser direkter

Vorgesetzter war Norman Wagner.“ „Was denn“, fragte ich ungläubig, „er war es doch, der

euch verpfiffen hat?“ „Nein“, stöhnte sie und streckte die Hände vor, „das

kann nicht möglich sein …“ „Doch“, nickte ich, „so was nennt man Rückver-

sicherungsvertrag.“ Dann ließ ich sie allein. In der Männerabteilung stellte man mich dem Portier

Jack Mortimer gegenüber. „Na“, sagte ich, „Sie haben aber ganz schön zuge-

schlagen, als Sie mich erwischten!“ „Jetzt weiß ich es besser!“ Er legte sich auf die Pritsche,

verschränkte die Hände hinter dem Genick und starrte an die Decke.

„Was wissen Sie besser?“ Er sah Woodrow und den Wärter an. „Ich rede nur,

wenn wir allein sind.“ Woodrow verstand. Auch hier ließ man uns allein.

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Dann bot ich Mortimer eine Zigarette an. Dankend nahm er sie. „Ich weiß nicht“, sagte er, „ob

Thornton Codomer ein Spion ist oder nicht.“ „Mrs. Codomer sagt, Sie wären sein engster Vertrauter

gewesen.“ Geschmeichelt lächelte der Portier. „Das freut mich, daß

sie das sagt.“ Plötzlich setzte er sich auf und drehte die Zigarette zwischen den Fingern. „Sie müssen das ver-stehen, Sir! Ich bin ein Verbrecher gewesen“, er knirschte mit den Zähnen. „Ein Asozialer, dem kein Mensch ein Portemonnaie mit zwanzig Dollars in die Finger gegeben hätte, weil alle Leute denken, ich würde das Geld stöhlen.“

„Na ja“, ich spielte mit meinen Fingern, „Sie haben ja auch schon eine Menge hinter sich gebracht, nicht wahr?“

„Eben“, flüsterte Mortimer und schien angestrengt nach-zudenken. Er ließ eine lange Zeit verstreichen, und ich störte ihn nicht dabei.

„Eines Tages“, sagte er schließlich, „kam ich zufällig mit Codomer zusammen.“ Er senkte den Kopf. „Er hörte sich meine Lebensgeschicbte an. Sie müssen nämlich wissen“, er starrte mir ins Gesicht, „Codomer beurteilt diese Dinge als Inhaber eines Night-Clubs anders als ein gewöhnlicher Spießer!“ Dann schwieg er wieder.

„Ja“, erinnerte ich, „und was war weiter?“ Mortimers Kiefer zitterte. „Thornton Codomer hat mir

ins Gewissen geredet. Mensch, hat er gesagt, du bist doch ein kräftiger Bursche. Du hast zwei Hände zum Zupacken. Warum bist du so dumm und machst immer wieder krumme Sachen? Gefällt es dir so gut im Zuchthaus?“

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„Und?“ „Nein, habe ich gesagt, es gefällt mir gar nicht im Zucht-

haus. Ich habe jedesmal kalte Füße, wenn ich wieder hinein soll. Und manchmal habe ich mir schon vorgenommen, mich lieber aufzuhängen, als noch mal eine Zelle von innen zu betrachten.“

„Aha“, ich zündete mir eine neue Zigarette am Stummel der alten an. „Und was hat er dann gemacht?“

„Er hat mich als Portier angestellt!“ Mortimer griff nach meinem Jackett. „Aber damit nicht genug – er hat gesagt, Jack, hat er gesagt, wenn du irgendwie wieder mal Lust kriegst, eine schiefe Sache zu drehen, dann kommst du vorher zu mir, verstanden?“

„Anständig“, gab ich zu. Er sprang auf, baute sich breitbeinig vor mich hin und

schrie: „Anständig? Es gibt einfach kein Wort für seine Handlungsweise. Er hat nämlich gesagt, wenn du Geld brauchst, kannst du es von mir viel bequemer kriegen als von irgendeinem Juwelengeschäft. Komm zu mir und sage, ich brauche tausend Dollars oder zweitausend, dann werden wir darüber reden, und ich pumpe dir die Kröten. Du unterschreibst mir einen Schuldschein und kriegst das Zeug zinslos, wenn du mir einigermaßen glaubhaft machen kannst, daß du es wirklich brauchst.“

„Aha.“ „Zweimal hat er das gemacht“, sagte Mortimer.

„Zweimal hat er mir Geld gepumpt. Einmal drei- und einmal zweitausend Dollars. Beide Male hätte ich sonst lange Finger gemacht, oder einem mit Gewalt die Dollars

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weggenommen. Und jedesmal wäre ich vermutlich verschütt’ gegangen.“

„Na schön“, ich drückte ihn wieder auf seine Pritsche zurück. „Und jetzt?“

Mortimer schloß die Augen. „Wie ich schon sagte, ich weiß nicht, ob er ein Spion ist oder nicht. Das ist mir auch ganz egal. Aber eines Tages fing er an, mit dummem Gesicht durch die Gegend zu laufen.“

„Codomer?“ „Freilich, wer sonst? Er hatte Sorgen, das merkte ich.

Sir, habe ich zu ihm gesagt, es bedrückt Sie doch irgend-etwas? Er hat mir einen Rippentriller gegeben. Erst als ich ihn das vierte Mal fragte, gab er mir Antwort. Er gestand mir, daß da so ein Schweinehund existiere – Stewart Glycard hieß der Kerl. Jetzt weiß ich ja“, er grinste mich an, „daß Sie nicht bloß der harmlose Gast sind, der mal zufällig in einen Verdacht geraten ist, und daß Sie auch nicht … Na, jedenfalls, Stewart Glycard war ein Spitzel. Ein ganz verfluchter Kerl, der Codomer reinlegen wollte. Es mag sein, daß mein Boß irgendwas mit Spionage zu tun hat oder so – aber“, seine Augen sahen jetzt erschrocken aus, „schreiben Sie das in kein Protokoll. Ich habe keinen Anhaltspunkt für meine Vermutung, sondern ich sage nur – ich hätte ihm auch geholfen, wenn er wirklich ein Spion wäre, denn er hat mich auf einen normalen Weg zurück-gebracht und mich nicht so angesehen wie die anderen Leute einen Vorbestraften angucken. Verstehen Sie? Er ist für mich eine Art Halbgott gewesen.“ Seine Augen glänzten. „Und wenn ich dafür auf den Elektrischen Stuhl käme, ich würde ihm helfen! Ich wußte, daß ihn Glycard

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reinlegen wollte. Und ich hatte gehört, daß Sie zu Glycard wollten. Dann, später, war Codomer getürmt. Da konnte ich mir denken, daß es sich nicht bloß um eine Kleinigkeit handelte. Wir hatten ja alle schon von der Pistole gehört, die die Polizei beschlagnahmt hatte. Durch einen Zufall habe ich auch das Gespräch zweier Detektive belauscht und wußte deshalb, daß man zu Mrs. Codomer wollte. Hoppla, dachte ich mir, jetzt ist Gefahr für Thornton. Ich mietete mir also einen Wagen und fuhr zu Codomers Bungalow hinaus. Dort wartete ich. Und dann kamen Sie heraus. Da packte mich die Wut … Tut mir leid, wenn es nicht richtig gewesen sein sollte. Es tut mir aber nicht leid, wenn meine Schläge Thornton Codomer irgendwie geholfen haben.“

„Und mehr nicht?“ fragte ich ein bißchen enttäuscht. „Nein“, sagte er, „mehr nicht. Jetzt sitze ich wieder“, er

starrte zu den Gittern hinüber. „Und dabei wollte ich das nie mehr! Ich kann es nun nicht mehr ändern. Aber ich habe es gut gemeint. Thornton ist derjenige gewesen, der einen anständigen Menschen aus mir machen wollte. Ich habe wahrscheinlich nicht viel Gehirn unter der Mütze. Wenn ich auf Sie eingedroschen habe, Sir, dann war es, um einen wahren Freund zu schützen.“

„Ich werde dafür sorgen“, sagte ich und legte ihm die Hand auf die Schulter, „daß Sie hier so schnell wie mög-lich wieder rauskommen – wenn Sie mich nicht angelogen haben.“

Erstaunt sah er mich an. , Was denn“, fragte er, „und die Körperverletzung?“

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„Na“, feixte ich, „das kann ja ein Spaß gewesen sein. Keine Polizei der Welt kann mir verbieten, mich herum-zuraufen mit wem ich will.“

Da rollte eine dicke Träne über seine zerfurchte Wange. „Verlassen Sie sich darauf, Sir“, schluchzte er, „ich habe, die Wahrheit gesagt, so gut ich sie kannte.“

* „Jetzt sollte ich erst noch mal mit Mrs. Codomer sprechen“, sagte ich zu Woodrow.

„Meinetwegen“, brummte er, „aber nehmen Sie sich in acht, die Frau ist gefährlich.“

Wir liefen über Korridore – Gitter wurden uns geöffnet – und dann schwang eine Zellentür zurück.

„Ich gehe gar nicht erst mit hinein“, sagte Woodrow. „Diese Gefangenen legen alle Wert darauf, mit Ihnen allein zu sprechen. Sehen Sie zu, wie Sie den schlechten Ein-druck verwischen, der daraus entsteht.“

Mrs. Codomer trug immer noch ihr verwirrendes Kleid. Aber sie sah mich kalt an, als ich ihre Zelle betrat. Ich setzte mich auf den Holzschemel. „Berryl“, begann

ich, „wir haben uns wahrscheinlich mißverstanden.“ „Deshalb sitze ich jetzt hier“, schluchzte sie trocken.

Dann biß sie sich auf die Fäuste. „Und deshalb wird Thornton …“

„Nein, Sie können ihn nicht mehr warnen“, gab ich zu. Da sprang sie auf. „Es ist irgendeine Teufelei im Gange,

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Amboß. Sehen Sie doch wenigstens zu, daß Sie ebenfalls so schnell wie möglich nach Tappahannock kommen.“

Ich lehnte mich an die kalte Wand. „Erst erzählen Sie mir, bitte, was Sie wissen“, sagte ich. „In der letzten Nacht waren Sie noch bereit, mit mir zusammenzuarbeiten. Heute früh sah das plötzlich ganz anders aus. Sie haben in der Zwischenzeit mit Thornton gesprochen. Was sagte er Ihnen?“

„Sie sollen nach Tappahannock fahren“, schrie sie mich an. „Er hat dort, südlich des Ortes, dicht am River, ein Jagdhaus. Dort hält er sich verborgen. Ich kann für nichts garantieren, wenn er mit seinen Feinden zusammenstößt. Fahren Sie doch endlich!“

Es gibt keine trostlosere Atmosphäre als ein« Gefängnis-zelle. „Meinen Sie denn“, fragte ich, „daß ihm jemand nach dem Leben trachtet?“

Sie wirkte jetzt nicht mehr so schön wie sonst. Ihre Augen waren groß und glühten wie zwei feuerige Kohlen. Alles andere in ihrem Gesicht war unwesentlich geworden. „Amboß“, sagte sie, „es mag sein wie es will – Thornton ist ein Mensch.“

„Ja“, seufzte ich, „aber es sieht so aus, als ob er einen Mord, einen Mordversuch und eine ziemlich dicke Spionage-geschichte am Hals hätte. Sämtliche Geschworenengerichte in den Staaten werden sagen, daß er nicht wert ist …“

Sie preßte die Fäuste auf die Brust. Ich bemühte mich, nicht hinzusehen. Heiß stieg es in

meiner Kehle auf. Diese Frau liebte ihren Mann. Sie liebte ihn bedingungslos – und sie wollte nicht begreifen, daß die

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Welt so hart sein konnte. „Amboß“, schluchzte sie, „er ist der beste Mann, den es

auf der Welt gibt, hören Sie?“ „Das hat mir schon mal jemand gesagt“, murmelte ich

und dachte an Mortimer. Wenn dieser Portier die Wahrheit sagte, dann war Thornton Calvin Codomer allerdings eine Seele von einem Menschen. Aber es konnte genauso gut sein, daß Codomer nur ab und zu gute Gefühlsregungen hatte.

„Fahren Sie nach Tappahannock“, beschwor mich Berryl erneut.

„Erzählen Sie mir, was Sie wissen!“ „Herr des Himmels“, flüsterte sie, „muß ich das alles

jetzt auskramen? Thornton hat weder etwas mit einer Spionagegeschichte zu tun …“

„Sagt er“, verbesserte ich. „Ja, aber ich weiß, daß er nicht lügen kann!“ „Beneidenswerte Ehe“, sagte ich nicht ohne Spott. „Glauben Sie mir doch!“ Sie sprang auf und griff nach

meinen Schultern. Auf der linken Seite spürte ich einen stechenden Schmerz, aber ich hätte mich jetzt geschämt, deswegen etwas zu sagen.

„Irgendein anderer ist das Ungeheuer“, keuchte Berryl. „Thornton hat nicht mehr die Gelegenheit gehabt, mir den Namen zu nennen. Ich hätte ihn wahrscheinlich sowieso nicht gekannt. Er sagte, daß jemand, der in einem ziemlich einflußreichen Regierungsamt sitzt, es auf ihn – also auf Thornton – abgesehen hat. Wahrscheinlich, um seine

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eigenen Verfehlungen zu decken! Dieser Mann hat auch dafür gesorgt, daß Sie, Amboß, auf diese Geschichte ange-setzt wurden. Die Sache ist nicht so einfach wie Sie denken. Glauben Sie mir doch. Thornton mußte fliehen, weil es für ihn keine Chance mehr gab.“

„Hätte er sich doch an die Polizei gewandt“, sagte ich, „oder an die Abwehr.“

„Niemand hätte ihm geglaubt.“ Alles an ihr zitterte. „Er hat mich gebeten, ihm zu helfen. Mortimer hätte ihm auch geholfen – aber er ist zu primitiv. Er denkt immer, die Fäuste könnten den Geist ersetzen. Und mich habt ihr jetzt im Gefängnis. Der einzige, dem ich traue, das sind Sie …“

„Hello heiße ich mit dem Vornamen“, sagte ich. „Der Cobra-Club war eine Spionagezentrale“, flüsterte

Berryl. „Aber Thornton hat das nicht gewußt.“ „Das ist nicht sehr logisch“, sagte ich kühl und stand

auf. „Der Chef weiß nicht, was in seinem Laden passiert?“ Berryl gab keine Antwort. Sie warf sich auf die Pritsche

und weinte. Endlich war ich wieder auf dem Gang. Woodrow und der Schließer warteten in der Nähe.

*

Major Livingburry empfing mich vor dem Untersuchungs-gefängnis.

„Wir nehmen am besten Ihren Lancia“, sagte er, „der ist sehr schnell. Ich habe veranlaßt, daß eine provisorische

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Sirene eingebaut wurde.“ Er deutete zum Parkplatz. „Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen?“

Wir gingen nebeneinander zu meinem Wagen. Ich war doch einigermaßen verblüfft.

„Steigen Sie schon ein“, sagte Livingburry ungeduldig. „Wir haben keine Zeit zu verlieren.“

„Weshalb?“ Überrascht sah ich ihn an. „Well ich nicht umhin konnte, diesem Stewart Glycard

einen ganzen Trupp unserer besten Leute zu geben“, flüsterte er.

So rasten wir dann erst auf der Bundesstraße 1 bis nach Fredericksburg – dort bogen wir auf die Straße 17 und kamen mit Hilfe der provisorischen Sirene innerhalb kürzester Zeit nach Tappahannock.

Es tat mir jetzt leid, daß ich Berryl nicht mitgenommen hatte. Sie sollte sich wenigstens davon überzeugen können, daß ich ein anständiger Kerl bin, daß ich mich nicht von vorgefaßten Meinungen leiten ließ und daß ich überhaupt …

Unsinn! In Tappahannock war allerhand los. Polizisten standen

auf den Straßen. „Halten Sie mal“, sagte der Major. An einer Straßenecke hielt ich. Zögernd kam ein Polizeisergeant herüber. „Fahren Sie

weiter“, sagte er, „hier gibt es nichts zu sehen.“ Livingburry zeigte seinen Ausweis. Die Absätze des Sergeanten klappten zusammen, und er

riß die Hand an die Kopfbedeckung.

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„Na und?“ fragte ich. Der Sergeant deutete nach Süden. „Da hinten ist aller-

hand los. Ein Mann hat sich als Abwehrbeamter ausgewiesen – er hatte einige Leute mit. Wir mußten ihm eine Polizeiabteilung geben. Hören Sie nur …“

Wir hörten das Geknatter von Schüssen. Ohne dem Major Gelegenheit zu geben, sich weiter mit

dem Sergeanten zu unterhalten schob ich den Gang hinein und gab Vollgas.

Der Lancia schoß auf der Straße weiter. Ich hatte das Verdeck heruntergleiten lassen und horchte auf die Schüsse.

Da – hier mußte es um die Kurve gehen! Auf allen vier Rädern rutschte der Lancia beiseite, und

ich kam mit knapper Mühe auf den schmalen Feldweg. Der Dreck staubte in dicken Wolken hoch; es rumpelte, und die Achsen schlugen.

Livingburry hielt sich am rechten Türgriff fest. Es war schon finstere Nacht. Die Lichter dort oben

mochten wohl zu dem ominösen Jagdhaus des Mr. Codomer gehören.

Mein Lancia raste direkt in eine Gruppe hinein. Die Scheinwerfer erfaßten Polizeiuniformen und Lederjacken …

Das bleiche, bandagierte Gesicht Stewart Glycards tauchte neben mir auf. „Tut mir leid“, sagte er, „wir sind zu spät gekommen.“

Ich sprang aus dem Wagen und lief zu dem Haus hinüber.

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Es war eine ziemlich komfortable Jagdhütte mit allem, was man sich an Luxus vorstellen kann.

Zwei Polizisten standen in der Diele. Die Schiebetür zum Terrassenzimmer war geöffnet.

Mitten drin lag ein Mann mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken. Ihm war nicht mehr zu helfen. Wenigstens drei oder vier Kugeln hatten ihn getroffen.

Stewart Glycard trat dicht an mich heran. „Das ist Codomer“, sagte er.

Ich fuhr herum. „Warum habt ihr denn geschossen, wenn er schon tot war?“

Mit schmerzlich verzerrtem Gesicht zuckte Glycard die Schultern. „Es war noch Bewegung im Haus. Wir haben den Leuten zugerufen, sie sollten stehenbleiben, aber sie flüchteten. Sie wissen ja, wie so was ist.“ Er steckte seine Pistole ein.

„Kann ich das Ding mal haben?“ Ich streckte ihm die Hand entgegen.

Mit spöttischem Grinsen gab er mir sein Schieß-instrument. „Wenn Sie Wert darauf legen – bitte sehr.“

Ich steckte seine Pistole ein. Er legte mir die Hand auf die Schulter. „Sie denken

vermutlich, ich hätte Codomer umgebracht?“ „Ich bin für den ganzen Schlamassel verantwortlich“,

sagte ich. „Nehmen Sie es mir nicht weiter übel. Was machen Sie jetzt?“

Glycard griff sich an den Hals. „Ich glaube, ich lege mich erst mal ins Hospital“, murmelte er. „Mir ist furchtbar

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elend zumute.“ Wenn man ihn ansah, glaubte man ihm das unbesehen.

Er tat mir leid. Langsam ging ich hinaus. Jemand hatte die Scheinwerfer meines Lancia ausge-

schaltet. Drüben, an der breiten Terrassenfront des Jagdhauses,

sah ich Major Ernest Livingburry auf und ab stolzieren. Er kommandierte klar und sachlich.

Ich wollte erst mal zu mir selber kommen und ging des-halb zum Wagen. Dort war jetzt kein Mensch. Ich öffnete die linke Tür und setzte mich hinein.

„Fahren Sie los“, sagte eine Frauenstimme zu mir. Ich drehte erstaunt den Kopf. Da machte sie das Lämpchen der Innenbeleuchtung an.

„Ich kann dich auch duzen, wenn dir das lieber ist.“ Sie war in einen zerknitterten Gabardinemantel

gewickelt, und ihr blauschwarzes Haar wirkte in dieser samtdunklen Nacht wesenlos und ohne Übergang. Es war Grace Andrew.

„Los, nun fahr schon“, zischte sie. „Ich habe dir was Wichtiges zu sagen. Du kannst sein wer du willst – ein braver Bürger, den man falsch verdächtigt, oder meinet-wegen sogar ein Mann von der Abwehr. Bloß sieh zu, daß wir hier wegkommen.“

Ich ließ den Motor an, machte die Beleuchtung aus, schaltete die Scheinwerfer ein und wendete den Lancia. In einer mordsmäßigen Dreckwolke ließ ich ihn auf die Straße

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hinunterrollen und dann nach Tappahannock hinüberflitzen. „Major Livingburry wird mir sehr böse sein“, sagte ich.

„Er kann zwar mit einem anderen Wagen zurückfahren, aber irgendwie ist es doch ihm gegenüber, hm, ungehörig.“

Darauf gab Grace keine Antwort. Mit polizeiwidriger Geschwindigkeit rasten wir durch

Tappahannock und dann weiter Washington zu. „Versuch ja nicht, mich irgendwie hineinzulegen, Püpp-

chen“, warnte ich, „sonst kannst du nämlich etwas erleben! Ein zweitesmal gehst du mir nicht durch die Lappen.“

„Kein Interesse“, sagte sie müde. Allmählich wurde die Straße freier. Mein Eifer während der ersten Meilen legte sich. Dann sahen wir ein hellerleuchtetes Rasthaus mit einer

Tankstelle, an der ein ziemlich zerbeulter Chevrolet stand. „Halt!“ Grace schlug mir auf die Schulter. Ich trat auf die Bremse. Die Reifen des Lancia jaulten,

und der Wagen stellte sich quer. „So etwas machst du nicht noch mal!“ schimpfte ich und fummelte am Schalthebel herum.

Maulend und brummend fuhr ich auf den Parkplatz des Rasthauses.

„Dieser Wagen“, Grace deutete auf den Chevrolet, „war auch dabei.“

Resigniert stieg ich aus, klappte das Verdeck herauf, verschloß die Türen und nahm Graces Arm. Nicht aus Sympathie, sondern weil ich nicht wollte, daß sie mir verlorenging.

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Durch die breite Glastür traten wir in das Rasthaus. Da war zuerst ein Stand mit Zeitungen, Süßigkeiten, Zigaret-ten und Postkarten. Rechts davon ging es an einer Registrierkasse vorbei in den Gastraum.

Und dort hinten in der Ecke saß Rex Lawsen – der Bruder von Rose. Er aß ein riesiges Omelett mit Pilzen.

Wir gingen direkt zu ihm. „Wollen die Herrschaften nicht ablegen?“ fragte der

Kellner sogleich. Ich gab keine Antwort. Rex starrte mir entgegen. So wie ich war – in Hut und Mantel – setzte ich mich

ihm gegenüber. „Guten Appetit“, sagte ich. „Danke“, sagte er kauend, und seine Blicke zuckten

zwischen Grace und mir hin und her. Mit einer Handbewegung forderte ich ihn auf, weiter zu

essen. Das schien ihm jetzt auch das klügste zu sein, was er tun

konnte. Er schaufelte unglaubliche Mengen auf seine Gabel und schob diese Mengen in den Mund.

Zwischendurch nahm er einen Schluck Bier. An den Schläfen schwitzte er. Grace wollte mir dauernd etwas sagen, aber ich wehrte ab. Jetzt hatte ich nämlich das Gefühl, als ob ich der Sache

auf der Spur wäre. Bei mir hatte ein Funken gezündet. Ganz beschaulich überblickte ich die Sache noch einmal.

Alles, was bisher geschehen war. Jede einzelne Äußerung jedes Beteiligten …

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Den Mord an dem Oberkellner Norman Wagner – den schrecklichen Anblick des zusammengeschlagenen Stewart Glycard – den Überfall des Portiers Mortimer – den erschossenen Thornton Codomer …

Ja, und auch meinen Besuch bei Rose Lawsen. Das alles – sowie Graces Reaktion auf meine erste

Mitteilung von dem, was Stewart Glycard zugestoßen war. Und ihre Flucht danach.

Außerdem, daß Ethel Blue mich angeschossen hatte, obwohl sie doch eigentlich gar nicht wissen konnte, daß sie so lieben Besuch wie mich erwarten konnte.

Am leichtesten fiel mir noch, Berryl Codomer zu ver-stehen. In der vergangenen Nacht hatte sie mir ihre Hilfe zugesagt – heute früh hatte sie mich hinausgeworfen.

Aber ich sagte wohl schon, warum. Am liebsten wäre ich jetzt zum Telefon gegangen und

hätte versucht, Adlai Woodrow zu erreichen. Das wäre aber unverantwortlich gewesen, denn ich konnte die beiden an meinem Tisch jetzt nicht aus den Augen lassen.

Endlich war Rex mit dem Essen fertig. „Na“, sagte ich, „wollen wir uns gleich prügeln oder hat

das noch ein bißchen Zeit?“ Er grinste verlegen. Da faßte ich ihn am Schlips und zog ihn zu mir herüber. „Das geht zu weit“, sagte der Kellner und trat dazwi-

schen. „Na, hören Sie mal“, flüsterte ich, „wir sind alte

Freunde! Bringen Sie für meine Frau und mich je einen

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Schwedenpunsch.“ Der Kellner ging. Ich hatte Rex noch nicht losgelassen. „Nimm deine Pfoten da weg“, warnte er leise, „sonst

kann ich verdammt ungemütlich werden.“ Die rechte Hand hatte ich aber schon unter der Schulter.

„Ich auch“, sagte ich. „In meiner Hand ist jetzt eine schwerkalibrige Luger, und ich kann schießen wie der Teufel. Verlaß dich drauf. Wenn mir einer in die Quere kommt, so wie ihr, dann bin ich nicht sehr zartfühlend, dann knallt es. Haben wir uns verstanden?“

Rex Lawsen griff blitzschnell in die Tasche. Ich ließ ihn gewähren, teilte mir aber meine Sekunden

gut ein. Als er die Hand herausnahm, hatte ich sein Gelenk schon gepackt, drehte es herum und ließ die deutsche Null-acht auf sein Knie fallen. Dann nahm ich die Waffe und steckte sie ein. „Bete zu deinem Schöpfer, Knabe“, sagte ich, „daß mit diesem Ding nicht Thornton Codomer erschossen worden ist.“

Sein Gesicht wurde grau und großporig. Der Schwedenpunsch kam. „Zahlen“, sagte ich und legte

einen Fünfdollarschein auf den Tisch. Umständlich gab der Kellner heraus. „Bringen Sie den Mantel und den Hut dieses Herrn“,

forderte ich ihn auf. „Das ist nicht meine Aufgabe.“ Aber dann bekam er einen Blick von mir, der so böse

war, daß er keinen weiteren Widerspruch wagte. „Und

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ziehen Sie sich einen Dollar Trinkgeld extra ab“, grinste ich.

Da holte er Lawsens Garderobe. Wir gingen hinaus. Grace hatte ich rechts und Rex links

von mir. Draußen wollte er noch einmal aufbegehren. „Ich sehe

nicht ein“, schrie er, „weshalb ich wegen Ihrer Dumm-heit…“

„Den Chevrolet läßt du stehen, mein Sohn“, sagte ich. Dann gab ich mir einen Ruck, knöpfte Grace den Mantel auf und betastete sie von oben bis unten. Sie hatte keine Waffe.

Und sie ließ sich meine Untersuchung gefallen, weil sie offenbar ein gutes Gewissen hatte.

Bei Rex förderte ich noch ein feststehendes Messer zutage. Ich warf es im hohen Bogen weg.

Dann ließ ich Grace auf dem Notsitz des Lancia Platz nehmen und nötigte Rex vorn neben mich.

Wir fuhren los. „Erstens“, sagte ich, „werde ich ein Mordstempo vor-

legen, und zweitens werde ich keinerlei Rücksicht nehmen, sobald, nein, ehe du etwas gegen mich unternehmen kannst.“

Er drückte sich in die Polster. „Sie sind vollkommen übergeschnappt“, maulte er. „So geht es einem, wenn man sich mit einem Einzelagenten von CIA einläßt.“

„Oho“, ich warf ihm einen schnellen Blick zu. „Woher weißt du das?“

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„Na, das riecht man doch.“ „Quatsch – so was kann man nicht riechen. Genauso

wenig wie den genauen Dienstgrad eines Postbeamten in Zivil. Du hast es von deiner Schwester erfahren, nicht wahr?“

„Ja“, sagte er unbedacht. Und da war meine Theorie weiter stabilisiert

*

Gegen halb elf Uhr in der Nacht fuhren wir wieder in Washington ein.

„Wo kann ich deine Schwester sprechen?“ fragte ich. „Sie ist jetzt bestimmt noch in der Agency“, brummte er. Also ging es bis in die Lincoln Street. Manchmal

schaltete ich die Sirene ein, um mir auf diese etwas unfaire Weise die Durchfahrt zu erkämpfen.

Ich wagte heute sogar, dicht neben einem Hydranten zu halten, was selbstverständlich verboten ist.

Später fand ich auch tatsächlich einen Strafzettel an meinem Wagen, aber er verursachte mir keinen Kummer.

Ich holte die beiden aus dem Wagen. Die Portierloge war noch besetzt. Wir fuhren mit dem

Paternoster ins dreizehnte Stockwerk hinauf. Natürlich war jetzt niemand mehr in den Büros. Auch

der Glaskasten mit der Anmeldung war verlassen. Aber in dem großen Raum mit dem weißen Flügel und

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der eingebauten Hausbar saß Rose Lawsen. Sie arbeitete nicht – sie schien nur zu warten.

Ich sorgte dafür, daß Grace und Rex vor mir hergingen und nahm die Pistole aus der Tasche, um gar keinen Zweifel aufkommen zu lassen.

Langsam stand Rose Lawsen auf. „Eine Bitte noch’’, lächelte ich, „sagen Sie mir, bitte,

schnell die Telefonnummer von Thornton Codomers Jagd-haus in Tappahannock, wenn Sie sie wissen.“

Sie zuckte die Schultern. „Woher soll ich …“ „Schon gut.“ Ich bediente mich selbst am Telefon und

rief Woodrow an. Er konnte mir dann die Nummer nach einigem Suchen auch nennen.

Ich ließ mich mit Tappahannock verbinden. Ein Polizist meldete sich. „Bitte, den Major Livingburry“, sagte ich.

Es verstrich eine Zeit, in der ich mit meiner Pistole die drei Anwesenden in Schach hielt.

„Livingburry“, kam die Stimme des Majors. „Hier ist Amboß“, sagte ich. Plötzlich fiel alle englische Steifheit von ihm ab. Er

beschimpfte mich „aus sämtlichen Rohren“. „Bravo“, sagte ich, „Sie haben wenigstens Tempera-

ment. Jetzt sagen Sie mir bloß noch telefonisch, wie Sie zu Ihrem Posten gekommen sind, dann ist alles okay.“

Er schwieg eine Weile völlig verdutzt. Dann lachte er. „Wissen Sie – das wollte ich Ihnen nicht gern auf die Nase binden. Ich habe einen einflußreichen Verwandten. Eigent-lich wäre ich dienstgradmäßig noch gar nicht dran gewe-

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sen, im Notfall kommissarisch die Sektion zu übernehmen. Aber …“

„Ja, wenn man den Papst zum Vetter hat“, schmunzelte ich. „Machen Sie sich nichts draus. Sorgen Sie lieber dafür, daß jetzt sofort Stewart Glycard verhaftet wird.“

Rose Lawsen fuhr herum und starrte mich an. Ihr Bruder wollte mit einem Wutschrei auf mich zustürzen …

Ich schoß zweimal in den Teppich. Einmal zwei Zoll vor seine Füße und das zweite Mal nicht viel weiter entfernt vor die Beine der schönen Rose.

Da waren sie wieder ganz friedlich. „Was ist denn los?“ flüsterte Livingburry ganz aufge-

regt. „Tun Sie, was ich Ihnen gesagt habe!“ Ich knallte den

Hörer auf die Gabel. Kurz darauf kam Adlai Woodrow mit seiner ganzen

Mannschaft angerauscht. „Wie haben Sie denn rausgekriegt, wo ich bin?“ fragte

ich. „Na“, schmunzelte der Kommissar, „es gibt ja so eine

Art Telefonüberwachung. Und ich hatte die Befürchtung, Sie könnten sich da in eine Geschichte eingelassen haben, die Ihrem Schulterschuß nicht ganz angemessen ist.“ Er kniff das linke Auge zusammen. „Haben Sie sich endlich davon überzeugt, daß Stewart Glycard ein Halunke ist?“

„Wenn man aus dem Rathaus kommt, ist man immer schlauer“, murmelte ich. „Aber ich kann von mir wenig-stens behaupten, daß ich allein auf die entsprechenden

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Ideen gekommen bin. Und nun tun Sie mir den Gefallen – lassen Sie von Ihren Leuten diese Firma hier durchsuchen.“

Rose Lawsen begann heftig zu protestieren. Aber das nutzte nichts. Ich übergab dem Kommissar Rex Lawsens Pistole. Der Bulle sackte zusammen und warf sich auf einen

Sessel. „Macht euch keine Mühe“, sagte er. „Ich gebe zu, daß ich Codomer erschossen habe. Es war notwendig. Der Chef meiner Schwester hat mir gesagt, daß es notwendig wäre …“

„Hm“, machte ich und steckte die Hände in die Taschen. In Tappahannock hat er allerdings behauptet, er hätte Codomer schon tot vorgefunden.“

„Ja“, es zuckte in Rex’ Gesicht, „da kann er recht haben. Er hat mir vorher gesagt, daß Codomer ein gefährlicher Bursche ist, und da habe ich nicht erst gewartet, bis Stewart mit seinen Leuten eintraf.“

* Kurze Zeit darauf brachte ein Detektiv-Sergeant dem Kommissar eine Menge Material.

Woodrow nahm davon Kenntnis, runzelte die Stirn und wandte sich schließlich an mich. Er zeigte mir das Material.

„Genau wie ich es mir vorgestellt habe“, nickte ich befriedigt. „Jetzt sehen Sie zu, daß Sie Verbindung mit Tappahannock kriegen. Major Livingburry soll seinen

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Gefangenen hierher bringen.“ „Sollen wir vielleicht auch noch die Gefangenen

befreien?“ fragte Woodrow spöttisch. „Den Portier Morti-mer, Mrs. Codomer, Ethel Blue …“

„Nicht nötig“, stoppte ich ihn. „Gegen Mortimer werde ich wegen der Körperverletzung keine Anzeige erstatten. Und Berryl Codomer müßt ihr sowieso freilassen. Was allerdings Ethel Blue betrifft …“ Ich seufzte.

Grace wurde bleich. Ich ging zu ihr und verstrubbelte ihr das blauschwarze

Haar. „Es liegt in deiner Hand, mein Kind“, brummte ich, „was aus der Geschichte wird. Vielleicht kommst du einigermaßen gut durch. Sei gescheit, das rate ich dir.“

* Der Morgen dämmerte schon vor den Fenstern, als Living-burry mit seinen Leuten den Show-Agenten und Snob, den Mitarbeiter der Abwehr ,aus Hobby’ hereinbrachte.

Er sah nicht sehr gut aus. Das Krankenhaus wäre für ihn notwendig gewesen – und er kam auch später hinein. Wenn auch in ein Gefängniskrankemhaus.

Ich hatte es nicht einmal für nötig gehalten, Rex Lawsen fesseln zu lassen. Hier kam er uns nicht mehr durch, dafür verbürgte ich mich.

Wir waren eine müde Gesellschaft. Ich war der einzige, der stehenblieb. „Ich will es kurz machen“, sagte ich. „Thornton Calvin Codomer hatte keine blasse Ahnung, daß

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in seinem Night-Club eine Spionagezentrale tätig war.“ „Das ist doch nicht möglich“, flüsterte Livingburry. „Doch“, sagte Grace Andrew. Ich nickte ihr anerkennend zu. Stewart Glycard versuchte den Kopf zu senken, aber das

bereitete ihm Schmerzen, deshalb behielt er ihn oben, schloß aber die Augen.

„Ja“, sagte ich, „jetzt wollen wir uns mal ein bißchen mit Mr. Glycard beschäftigen.“ Ich zündete mir eine Zigarette an und holte mir aus der Bar einen Whisky, den ich wirklich vertragen konnte. „Stewart Glycard hat also von einem Onkel namens Julius die Show-Agentur geerbt. Es war wirklich ein kleiner Laden. Es sollte mich übrigens nicht wundern, wenn auch die Vermittlungsfirma, die die beiden Ungarinnen Ethel Blue und Grace Andrew – wie sie in Wirklichkeit heißen, weiß ich noch nicht – hier eingeschleust hat, zur Firma Glycard gehörte.“

„Spart euch die Mühe“, sagte Stewart, „die Firma gehört mir tatsächlich, aber …“

Ich hob die Hand. „Ich wollte nur sehen, wieweit Sie vernünftig sind, Glycard. Unsere Haussuchung in Ihrer Zentrale hat einiges zutage gefördert. Unter anderem auch diese Tatsache.“

„Also, was ist los?“ erregte sich Major Livingburry. „Eine böse Geschichte“, brummte ich. „Aus den Unter-

lagen dieser Firma geht hervor, daß man hier eine Art Menschenhandel getrieben hat. Man spezialisierte sich besonders auf die Mädchen, die als Flüchtlinge aus den Ostblockstaaten kamen. Die meisten von ihnen besaßen

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keinerlei Einreisegenehmigung in die Staaten. Die Agentur Glycard verstand es aber, diese Mädchen trotzdem herein-zuschmuggeln und ihnen falsche Pässe zu besorgen. Auch die Pässe von Ethel Blue und Grace Andrew sind gefälscht.“

„Das ist eine Schweinerei“, schrie Kommissar Woodrow und erregte sich viel mehr, als man ihm zutrauen konnte. „Jedes andere Schicksal wäre diesen Mädels eher zu gönnen. Wenn sie erst einmal solchen Agenten in die Finger fallen, sind sie verloren. Dann mußten sie alles tun, was dieser Kerl von ihnen wollte.“

„Regt euch nicht auf“, schnaufte Glycard. „Meine Arbeit war ziemlich menschenfreundlich. Ich habe verhindert, daß sie als Staatenlose von Land zu Land getrieben wurden.“

„Man kann den Menschenhandel offenbar von mehreren Seiten aus sehen“, sagte ich. „Aber feststeht, daß eines Tages gewisse Gruppen aus dem anderen Lager an Sie, Mr. Glycard, herangetreten sind und Ihnen mit einem Skandal gedroht haben. Ihr Onkel Julius hat sein Geschäft klein, aber anständig betrieben. Sie haben es erst in die jetzige zweifelhafte Höhe gebracht. Nun saßen Sie plötzlich in der Falle. Wenn Sie nicht riskieren wollten, vor eine Jury gestellt zu werden, oder Ihren Namen in einem sehr üblen Zusammenhang in der Presse zu lesen, dann mußten Sie sich bemühen, wertvolle Spionagedienste für die Gegen-seite zu leisten.“

„Beweisen Sie mir das doch“, schrie Glycard. Er hatte blutunterlaufene Augen.

„Das kommt noch“, sagte ich kühl.

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„Ja“, nickte Grace nachdrücklich, „das kommt.“ „Sie hatten den Oberkellner Norman Wagner in der

Hand“, sagte ich. „Der Mann wollte Geld verdienen. Sie haben durch eine kleine Firma, die Ihnen gehörte, Ethel Blue und Grace Andrew in den Cobra-Club vermittelt. Das ist jetzt ein paar Jahre her. Grace und Ethel kannten nur Wagner als ihren unmittelbaren Vorgesetzten. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als gewisse Diplomaten auszuhorchen, die hinterher erpreßt wurden. Wenn die Mädels nicht wollten, daß man ihnen wegen der illegalen Einreise den Prozeß machte, mußten sie parieren. Sie, Stewart, haben zwar ursprünglich die Spionagegeschichte nur deshalb angefangen, damit man Ihrem kriminellen Menschenhandel nicht auf die Spur kam! Aber schließlich merkten Sie, daß sich dabei sogar Geld verdienen ließ.“

Stewart Glycard hatte ein schweißnasses Gesicht. „Weiter“, bahrte ich unerbittlich. „Wer Geld hat, kann

sich in die obersten Kreise schmuggeln. Leider ist es bei uns in Amerika so, daß sich die Abwehrbehörden freuen, wenn sich irgendeiner als freier Mitarbeiter meldet. Als so ein freier Mitarbeiter behielten Sie auch praktisch alles im Auge, was in Spionageangelegenheiten geschah.“

„Und warum habe ich dann den Cobra-Club selber auffliegen lassen?“ kreischte Glycard.

„Das will ich Ihnen auch sagen!“ Ich massierte mir die Nase. „Weil Codomer durch einen Zufall hinter Ihren Menschenhandel kam. Sie hörten von Wagner – und der mag es von Ethel oder Grace erfahren haben – daß Ihnen Codomer das Handwerk legen wollte. Da kamen Sie ihm

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zuvor. Sie wandten einen teuflischen Trick an. Sie über-redeten Norman Wagner, den Cobra-Club als Spionage-zentrale anzuzeigen. Wagner war mit Codomer seit längerer Zeit verfeindet, obwohl Codomer das wohl nicht so ernst genommen hat. Sie, Glycard, hatten den Ober-kellner fest in der Hand. Er war Ihr Mittelsmann. Ethel Blue und Grace Andrew wußten nichts von Ihrer Existenz. Lediglich der Portier Mortimer hatte von seinem Freund und Chef erfahren, daß Sie ein Schweinehund wären. Deshalb reagierte er später auch so spontan gegen mich. Norman Wagner ließ sich also davon überzeugen, daß es besser wäre, jetzt den Club anzuzeigen und sich damit ein rechtliches Alibi zu verschaffen. Er ging zuerst zur Polizei und wurde von dort zur Abwehr geführt. Dann wurde er umgebracht.“

„Sie sind ein Mörder, Glycard“, zischte Major Living-burry.

„Oh nein!“ Ich hob die Hand. „Nicht direkt! Diese Dame, Rose Lawsen, „war seine Geliebte und engste Ver-traute. Sie hat für ihn den Menschenhandel geleitet, und sie hat einen kräftigen aber etwas langsam denkenden Bruder. Er wurde gut bezahlt und mußte die Morde ausführen. Er hat auch Wagner erschossen.“

„Aber Stewart hat es mir befohlen“, schrie Rex. Jeder Blutstropfen war aus seinem Gesicht gewichen.

Wir sagten nichts dazu. „Kein Mensch vermutete im Cobra-Club so etwas wie

Spionage“, fuhr ich fort. „Die beiden Mädels, die das arrangierten, hatten viel zu große Angst, um sich gegen den

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allmächtigen Spionagering zu stemmen. Man drohte ihnen ja immer wieder, man würde sonst ihre Illegalität aufdecken. Wahrscheinlich wird diese ganze Geschichte zu einem riesigen Skandal führen – denn wir werden herausbe-kommen, daß bekannte Politiker auf Stewart Glycards Leim krochen. Ich muß aber sagen, daß Ethel und Grace in Glycard nicht den Hintermann ihres Oberkellners vermuteten.“

„Kommen wir zu Codomer“, schlug Kommissar Woodrow vor.

„Gut“, sagte ich. „Glycard ging frech zu ihm. Besonders, nachdem Codomers Pistole beschlagnahmt worden war. Glycard bewies dem Night-Club-Besitzer, daß Wagner mit dieser Pistole ermordet worden war und sich im Cobra-Club tatsächlich eine Spionagezentrale befand. Darüber war Codomer verständlicherweise entsetzt. Er hatte wirk-lich keine Ahnung gehabt. Während wir noch berieten, wie wir den Club am besten umstellen sollten, sprach Glycard bereits mit Codomer. Er redete ihm förmlich ein, daß es keine andere Rettung als die Flucht für ihn gäbe. Das verstand Codomer dann auch. Er schlug nach Glycard – und der ließ sich einfach auf den Teppich fallen und markierte den Bewußtlosen.“

„Von einem einzigen Schlag bewußtlos?“ fragte der Major erstaunt.

„Ja“, nickte ich, „aber Codomer dachte im Moment nicht daran, wie fragwürdig das war. Er öffnete seinen Tresor, stopfte sich die Taschen voll Geld und floh.“

„Wir hatten das Gebäude umstellt“, trumpfte Woodrow auf.

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„Ja“, sagte ich, „damit rechnete Glycard auch. Er wußte genauso wenig wie wir, daß der Club einen unterirdischen Gang besitzt. Glycard hatte Rex Lawsen mit einer Pistole auf der Straße postiert. Rex sollte dafür sorgen, daß es Krach gab, wenn Codomer zu fliehen versuchte. Dann würde es wahrscheinlich sogar zu einer Schießerei kom-men, denn die Polizei hatte ja den Befehl, notfalls von der Waffe Gebrauch zu machen. Rex Lawsen sollte Codomer eine Kugel in den Kopf schießen. Dann hätte es später geheißen, der Nachtclubbesitzer wäre auf der Flucht erschossen worden – von der Polizei. Aus, basta! Von da an brauchte sich Glycard keine Sorge mehr zu machen. Codomer würde ihn nicht mehr wegen des Menschen-handels anzeigen können.“

„So ein Halunke“, flüsterte Woodrow. „Glycard hatte in mehrfacher Hinsicht Pech“, sagte ich.

„Erstens war da der unterirdische Gang. Zweitens hatte er anonym mit Grace Andrew telefoniert. Er sagte, er wäre der Leiter der Gruppe und befahl ihr, zu einem genau fest-gesetzten Zeitpunkt in Codomers Wohnung hinaufzugehen und den Mann, den sie dort finden würde, zu fesseln und ihm dann noch einige unbedeutsame Wunden beizu-bringen.“

Wir sahen alle zu Grace hinüber. „Rede“, sagte ich. Grace riß sich zusammen, Sie knetete ihre Hände. „Jetzt

spielt es ja keine Rolle“, sagte sie. „Macht mit mir, was ihr wollt. Ich bekam den Anruf – ich hatte Angst, jawohl. Ich wollte den Befehl also ausführen. Dann sah ich, daß

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Stewart Glycard der Mann war, den ich fesseln und verwunden sollte. In diesem Augenblick war mir plötzlich klar, daß Glycard der geheimnisvolle Hintermann von Norman Wagner gewesen sein mußte. Ich fesselte ihn so fest ich konnte. Dann nahm ich das Schüreisen … Ich schlug auf ihn ein, bis ich nicht mehr konnte. Ich haßte ihn wie die Pest, und ich war überzeugt, daß er nicht mehr am Leben war.“

„Deshalb warst du so erschrocken?“ sagte ich, „als ich dir unvermutet sagte, daß der Mann nur verwundet war?“

„Ja“, sie senkte den Kopf, „deshalb. Dann bin ich durch den Geheimgang ausgerissen.“

„Wenn sich Codomer rechtzeitig an die Polizei gewandt hätte“, überlegte Woodrow, „wäre er jetzt noch am Leben.“

Darauf gab niemand Antwort. „Mir könnt ihr nicht viel tun“, trumpfte Glycard auf,

„ich habe keinen Mord begangen, und alles, was Amboß von Spionage erzählt, ist blühende Phantasie.“

„So?“ fragte Grace ironisch. „Ethel und ich ·werden vor Gericht etwas anderes erzählen.“

Ein Polizist mußte Stewart Glycard festhalten, damit er Ruhe hielt.

„Und ich“, schrie Res, „werde beweisen, daß ich beide Morde in Stewarts Auftrag ausgeführt habe.“

Rose Lawsen machte ein angewidertes Gesicht. „Wenn ich gewußt hätte“, flüsterte sie, „was Stewart für ein Feig-ling ist, dann hätte ich …“

„Ja“, sagt« ich, „hätte und wenn und so weiter …“

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Wir brachen dann auf. Zwei Frauen und zwei Männer wurden ins Gefängnis eingeliefert.

Ich fuhr mit meinem Lancia ins Hotel Metropol, wo soeben das Portal geöffnet wurde.

Woodrow würde jetzt einige andere Leute aus dem Gefängnis entlassen.

Am meisten tat es mir um Berryl leid. Als ich wieder unter der Engelsbrause stand und mich

nach dem Bett sehnte, überlegte ich, ob ich sie in den nächsten Tagen mal besuchen sollte.

Aber diesen Gedanken gab ich schnell wieder auf. Man soll an solchen Sachen nicht rühren, denn es kommt meistens nichts dabei heraus.

Für die Frau nicht und für den Mann schon gar nicht.

* Später gab es einen ausgewachsenen Skandal wegen der Sache im Cobra-Club.

Da war ich aber schon auf eine ganz andere Angelegenheit angesetzt. Die Weltgeschichte bleibt nicht stehen …

– ENDE –

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