Der deutsch-tschechische Bilinguismus · Den Bilinguismus sprechen wir nicht nur zweisprachigen...

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EMIL SKALA Der deutsch-tschechische Bilinguismus EINGANG Wer du auch seist: Am Abend tritt hinaus aus deiner Stube, drin du alles weißt; als letztes vor der Ferne liegt dein Haus: Wer du auch seist. Mit deinen Augen, welche müde kaum von der verbrauchten Schwelle sich befrein, hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein. Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift. Und wie dein Wille ihren Sinn begreift, lassen sie deine Augen zärtlich los ... R.M. Rilke, Das Buch der Bilder Seit Jahrtausenden gehen Mehrsprachigkeit und Kultur Hand in Hand. Sprachen- und Völkerkreuzungen waren schon immer bedeutende Gebie - te vollendeter Synthese der materiellen und geistigen Werte. Bereits in Chattuschasch — der Hauptstadt des Hethiterreichs in Kleinasien — er- scheint vor mehr als 3.000 Jahren im riesigen Archiv der hethitischen Könige das Hethitische neben der babylonischen Sprache. Das interessan- te Nebeneinander und Durcheinander von Sprachen und Kulturen, die für Europa von besonderer Bedeutung waren und sind, schildert B. Hrozny .1 Auch in Europa sind die Probleme der Mehrsprachigkeit in dia- chroner und synchroner Sicht sehr mannigfaltig. Die bisherige Literatur deckte eine große Anzahl von Stufen und Variationen der Sprachmischung und der Mehrsprachigkeit auf, je nach der betreffenden kulturellen und politischen Situation, in der die Mehrsprachigkeit zustande kommt .2 Das Gebiet des europäischen Herzlandes — der Tschechoslowakei — ver- spricht in bezug auf Bilinguismus eine interessante Ausbeute. Die Ge- schichte der Tschechoslowakei bietet ein reiches Material zu den Fragen der Zweisprachigkeit. Sprachliche Minderheiten in der Vergangenheit und Gegenwart, tschechische Sprachinseln im deutschen Sprachgebiet und deutsche im tschechischen und slowakischen Sprachgebiet, Beein- flussung des Tschechischen und Slowakischen durch andere Sprachen und umgekehrt, Grenzmundarten, Fachsprachen, Umgangssprachen und Jargons sind zu untersuchen. 260

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EMIL SKALA

Der deutsch-tschechische Bilinguismus

EINGANG

Wer du auch seist: Am Abend tritt hinaus aus deiner Stube, drin du alles weißt; als letztes vor der Ferne liegt dein Haus:Wer du auch seist.Mit deinen Augen, welche müde kaum von der verbrauchten Schwelle sich befrein, hebst du ganz langsam einen schwarzen Baum und stellst ihn vor den Himmel: schlank, allein. Und hast die Welt gemacht. Und sie ist groß und wie ein Wort, das noch im Schweigen reift. Und wie dein Wille ihren Sinn begreift, lassen sie deine Augen zärtlich los ...

R.M. Rilke, Das Buch der Bilder

Seit Jah rtau sen d en gehen M ehrsprachigkeit und K ultu r Hand in H and. Sprachen- und V ölkerkreuzungen w aren schon im m er b ed eu ten d e G ebie­te vo llende te r S ynthese d e r m aterie llen und geistigen W erte. B ereits in C hattuschasch — d er H au p ts tad t des H eth iterre ichs in K leinasien — er­schein t vor m eh r als 3 .000 Jah ren im riesigen A rchiv der h e th itischen K önige das H eth itische neben der baby lon ischen Sprache. Das in teressan­te N ebeneinander und D urcheinander von Sprachen und K ultu ren , die für E u ropa von besonderer B edeutung w aren und sind, sch ildert B. H rozny . 1 A uch in E uropa sind die P roblem e d e r M ehrsprachigkeit in dia- ch roner und synch roner S icht sehr m annigfaltig . Die bisherige L ite ra tu r d eck te eine g roße A nzahl von S tu fen und V aria tionen der Sprachm ischung und d e r M ehrsprachigkeit auf, je nach d e r b e tre ffenden ku ltu re llen und po litischen S itua tion , in der die M ehrsprachigkeit zustande k o m m t.2

Das G ebiet des europäischen H erzlandes — d er Tschechoslow akei — ver­sprich t in bezug au f B ilinguismus eine in teressan te A usbeute . Die G e­schichte der T schechoslow akei b ie te t ein reiches M aterial zu den Fragen der Z w eisprachigkeit. Sprachliche M inderheiten in der V ergangenheit und G egenw art, tschech ische Sprachinseln im deu tschen Sprachgebiet und deu tsche im tschechischen und slow akischen Sprachgebiet, B eein­flussung des Tschechischen und Slow akischen durch andere Sprachen und um gekeh rt, G renzm undarten , Fachsprachen , U m gangssprachen und Jargons sind zu un tersuchen .

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Den Bilinguismus sprechen w ir n ich t nur zw eisprachigen Individuen zu, die für W einreich “ th e u ltim ate locus o f c o n ta c t” sin d 3 , sondern vor al­lem ganzen G em einschaften , die u n te r bestim m ten ku ltu r- und sprachge- sch ich tlichen A spekten leben und d ie in Frage stehenden Sprachen be­nützen. U n ter B ilinguismus im w eiteren Sinne verstehen w ir natürlich auch die Z w eisprachigkeit von U m gangssprache und M undart, d ie im be­handelten R aum überall vo rhanden w ar und zum Teil noch ist. Im Tsche­chischen und auch im D eutschen se tz te der Ausgleich d e r M undarten schon im M itte la lter ein, n ich t jedoch im S low akischen, das seine eigene Schriftsprache erst im vorigen Jah rh u n d e rt e rh ielt. Bis dah in w ar auch in der Slow akei das T schechische m it bodenständ igen S low akism en die eigentliche Schriftsprache der S low aken im ungarischen S taa t.

N och im 20. Jah rh u n d e rt gab es viele deu tsche L ehnbezeichnungen in der tschechischen und slow akischen U m gangssprache, besonders im Ja r­gon d e r H andw erker. A uf der anderen Seite leb ten tschechische und slo­w akische L ehnw örter in den deu tschen B auernm undarten . Ich belege aus B öhm en: B rabenze bzw . W awrenze ‘A m eise’, W onischen ‘H opfen­ran k en ’, Sch m etten , S ch m e ttich ‘Sahne’, Pifanka ‘P fingstrose’, Malina ‘H im beere’, Tragatsch ‘S chubkarren ’, (S)tarisw art, Pla:npatsch, Drusch- m a ‘H o chze itsb itte r’, Tschischka ‘T an nenzap fen ’, K rin itz , K rim s ‘K reuz­schnabel’, K retscham ‘G asthaus’, Baba, Waba, Wawa ‘G ro ß m u tte r’, Wuch- ta, W uchtei ‘S chm alzkuchen’, K ola tscben ‘runder, flacher K uchen’ u .a.m ., außerdem freilich noch L ehnw örter, die auch die S chriftsprache übernom ­m en h a t, z.B. Peitsche, Zeisig, S tieg litz , Schöps. E rnst Schw arz h a t diese E rscheinungen als ers ter system atisch au fg ea rb e ite t.4 Er irrt jedoch , w enn er m eint, die tschech ische W issenschaft h ä tte sich nie um deu tsche L ehnw örter im Tschechischen bem üht. Die A rbeiten von J . G ebauer,A. Beer, J. Janko , nach dem Kriege S. U teseny, B. H avranek u.a. lassen diese T rad ition deu tlich e rkennen , w as übrigens auch die Beiträge in den beiden Bänden “ D eutsch-tschechische B eziehungen im Bereich d e r S pra­che und K u ltu r” nachw eisen5 .

In der V ergangenheit verstand m an u n te r Zw eisprachigkeit häufig den G ebrauch von zwei verschiedenen Sprachen au f einem b es tim m ten T erri­to rium , das eine h isto rische E inheit b ilde te , vor allem in den S prachen­käm pfen der österreichisch-ungarischen M onarchie im vorigen und in un­serem Ja h rh u n d e rt. Diese Fragen spielten in d e r böhm ischen G eschichte eine bed eu ten d e R olle, da hier näm lich schon im 12. Jh . die Sprache zum Träger außersprach licher In teressen w urde. V om rech tsw issenschaftlichen S tan d p u n k t h a t sich m it dieser P rob lem atik vor allem J . K apras beschäf­t ig t .6 Schon 1125 tr i t t uns in d e r latein ischen C hronik des V ysehrader K anonikus Cosm as G ehässigkeit gegen “ A usländer” entgegen, d .h . gegen

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deu tsche A nsiedler in B öhm en, die w irtschaftliche S onderrech te b esaß en .7 ln Prag bestand im 12. Jh . neben dem kleinen vicus T h eu ton ico rum an der Peterskirche au f dem Poric außerhalb der S tad tm au er bere its eine bedeu tendere deu tsche und jüdische kaufm ännische Siedlung im oder am T ey n h o f in d e r A lts tad t.

Die M ehrheit d e r a lts täd te r Bürger w aren im 12. Jh . noch T schechen.Die Prager A lts tad t w ar eine s t ä d t i s c h e S iedlung bere its vo r der deu tschen K olon isation . Die deu tsche B evölkerung w uchs in d e r Prem ys- lidischen K olon isation in vielen S täd ten b edeu tend an. Diese B evölke­rungsverschiebung g ipfelte in den böhm ischen L ändern , z.T. auch in der Slow akei am A nfang des 14. Jah rh u n d erts . Die M ehrheit der Prager Zünf­te h a tte eine deu tsche V erw altung und auch in d e r S tad tverw altung saßen deu tsche Patrizier. Die Prager A lts tad t w urde zu einer zw eisprachigen S tad t, das D eutsche besaß sozialen V orrang. Am A nfang des 14. Ja h r­hunderts h a tte n viele bis dah in einsprachige S täd te bere its eine deu tsche M inderheit, z.B. K olin, Cäslav, C hrudim , D om azlice (Taus) in B öhm en, 2ilina (Sillein), T rnava (T yrnau) in d e r Slow akei, ln diesen K le instäd ten gab es tschech ische Z ünfte, z.B. M älzer, Bäcker, B ierbrauer, neben d e u t­schen Z ünften . Das Tschechische w ar am A nfang des 14. Jah rh u n d erts in m anchen S täd ten m it dem D eutschen n ich t g leichberech tig t: die deu tschen Patriz ier w aren selten zw eisprachig. Die H andw erkerschaft un te re in an d er w ar sicher b ed eu tend stä rk er bilingual. Die sozial m inder­berech tig ten Schich ten w aren zum g röß ten Teil einsprachig tschechisch . Das Ergebnis der d eu tschen K olon isation , die am A nfang des 14. Ja h r­hunderts abgeschlossen w ar, verschob das sprachliche V erhältn is zugun­sten des D eutschen: in Böhmen sprach dam als fast ein D ritte l d e r Bevöl­kerung deu tsch , ln M ähren und in O berschlesien w ar der G esam tanteil des D eutschen kleiner, in der U m gebung von L eobschütz , R a tib o r und Cosel w urde noch tschechisch gesp rochen .8 In d e r Slow akei w ar der Bilinguismus in dieser Z eit w ohl m eist in g rößeren S täd ten verb re ite t.Das slow akische E thn ikum reich te dam als in das heutige N ordungarn , bis südlich des M atra- und T okayergebirges. Z ur M agyarisierung kam es in diesen G ebieten erst nach dem T ürkeneinfall.9 In d e r Slow akei w ar die deu tsche M inderheit schw ächer als in den böhm ischen L ändern , w o sie w ichtige w irtschaftliche und kirch liche Schlüsselstellungen inneha tte . D aneben gab es die bed eu ten d e Schicht des alteingesessenen tschech i­schen L andadels, d e r seine Positionen gegen das deu tschsprach ige S tad t­p atriz ia t hartnäck ig und m it Erfolg verte id ig te . Das typ ische Zeugnis dieser S itua tion ist die tschechische R eim chron ik des sogenannten Dalimil aus der 1. H älfte des 14. Ja h rh u n d e rts .10 In der d eu tschen Fassung des Dalimil, d ie um 1345 en ts tan d , sind d ie deu tsch fe ind lichen S tellen natür-

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lieh weggelassen, vgl. die A usgabe von H anka in d e r BLV, Band 48 , S tu ttg a rt 1859. V on besonderer B edeutung für die w eitere E ntw icklung des deu tsch-tschechischen Bilinguism us w ar, daß sich schon 1318 König Jo h an n von Luxem burg v o rd e m böhm ischen Adel eidlich verpflich ten m ußte , alle R hein länder und G äste aus dem L ande zu en tfe rn en , keinem A usländer ein A m t zu verleihen und in allen Fällen sich nu r des R ates der B öhm en zu bed ien en . 11 In B öhm en kam es zum regelrech ten Spra­chenkam pf, der im dam aligen E uropa n ich t seinesgleichen h a tte . Der G rund dafür liegt auch in der sich rasch en tw icke lnden W irtschaftsstruk ­tu r, in der beide V ölker engagiert w aren. Die R egierungszeit Johanns von L uxem burg, 1310-1346, b ed eu te te eine erheb liche E rstarkung der M acht des tschechischen Adels, d e r au f d e r E insprachigkeit des Landes bestand . Als Beispiel die S tiftungsu rkunde des B ischofs Jo h an n v. Prag für das A ugustinerk loster in R audn itz an d e r E lbe, in das nu r T schechen aufgenom m en w erden sollten , deren beide E ltern tschechisch w aren, denn “ ebenso wenig, als zwei G egensätze in einem Wesen vereinbar seien, k ö n n ten auch zwei en tgegengesetzte N ationen in dem selben K loster sein” 12.

U nter Karl IV., 1346-1378, kam es in B öhm en zur w eite ren S tabilisie­rung des Tschechischen. D urch die E rrich tung des E rzb istum s in Prag, 1344, w urde B öhm en vom M ainzer E rzb istum unabhängig . Karl IV. er­reich te im Jah re 1347 tro tz heftigen W iderstandes in R om , daß in Prag das K loster zu Em aus gegründet w urde , in dem der G o ttesd ien st in kir- chenslaw ischer Sprache abgehalten w urde. Die Lücken in d e r B evölkerung Böhm ens, die vor allem in den S täd ten durch einige Pestep idem ien erheb­lich w aren, w urden n ich t m eh r du rch K olonisation , sondern durch Zuzug aus den ländlichen Bezirken geschlossen; au f diese Weise kam en im m er m ehr T schechen nach Prag, w o auch die W irtschaft des Landes zen trali­siert w urde. 1348 kam es zu r G ründung der Prager N eustad t, d er U niver­sität, d e r Burg K arlstein , später zum Bau der K arlsbrücke. N ach der G ründung d e r N eustad t zäh lte Prag über 30 .000 E inw ohner und w ar be­deu ten d größer als die w ichtigsten S täd te D eutsch lands — N ürnberg, F ran k fu rt a.M. und Köln. In der G oldenen Bulle von Sizilien verfügte Karl IV., daß die vier R eichssprachen das L atein ische, das Italienische, das D eutsche und das T schechische sein sollen; auch seine Söhne und Erben sollten sie erlernen . E r selber sprach sie alle.

Seit 1378 n im m t die E ntw icklung d e r Z w eisprachigkeit in B öhm en ein noch schnelleres T em po an. Die T schechen w erden im m er häufiger in die S tad trä te gew ählt, das T schechische w ird als die einzige rechtm äßige Sprache in B öhm en bezeichnet. Kaiser W enzel IV. w ird im m er m ehr für diese A nsichten gew onnen. Die ganze E ntw ick lung g ipfelte 1409 in der

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U nterzeichnung des K u ttenberger D ekrets du rch W enzel IV ., das den Tschechen an der Prager U niversität 3 S tim m en sicherte , allen A usländern dagegen n u r eine. M an a rgum entierte so, d aß die natio saxonica, d ie na tio bavarica und die na tio po lon ica, d e r dam als m eistens Schlesier angehör­ten , sowieso eine N ation b ilden . Die ganze E ntw icklung gipfelte in d e r P ersönlichkeit und dem Werk von Jo h an n es Hus.

D urch die hussitische E ntw ick lung geh t d e r Bilinguism us vor allem in Böhm en und der Slow akei zurück. D eutsche b lieben in der Regel K a th o ­liken, und m an ging radikal gegen sie vor. D urch den H ussitism us w urde z.B. K u tnä H ora (K u ttenberg ), N em ecky Brod (D eutsch B rod) und C hrudim einsprachig.

T ro tz der starken D urchsch ich tung der beiden V ölker ist es in B öhm en nie zu e iner w eitgehenden Sprachm ischung gekom m en, die die Substanz der einen o der d e r anderen Sprache ange taste t h ä tte . Die einzige A usnah­me b ilde t die tschechisch-polnische M ischung m it d eu tschen Einschlägen— das Schlonsakische in Teschen-Schlesien. Die P rozen tzah l d e r d eu tsch en L ehnw örter im A lttschechischen ist zw ar h öher als im heutigen T schech i­schen (S chriftsp rache), aber deu tsche Einflüsse verm och ten w eder die g ram m atische S tru k tu r, noch die phonem ische S tru k tu r, noch den W ort­schatz m aßgebend zu beeinflussen . E ine andere und k om pliz iertere P rob le­m atik ste llt sich in den gem einsam en E rscheinungen au f der Basis des m itte leu ropäischen S prachbundes dar.

Früher nahm m an an, daß die D iph thongierung und M onoph thong ierung im A lttschech ischen m it ähnlichen E rscheinungen im M itte lhochdeu tschen Zusam m enhänge. M. K om arek lehn t in seiner h isto rischen tschech ischen G ram m atik m it T ravnicek die A nnahm e G ebauers ab, daß die a lttschech i­sche D iph thongierung von o zu uo, o zu uo von der a lthochdeu tschen D iphthongierung ö zu uo b ee in fluß t w urde, die sich schon im 8.-10. Ja h r­h u n d ert vollzog. Den G rund für seine B ehauptung sieht K om ärek in i n n e r e n V oraussetzungen des a lttschech ischen L autsystem s und in analogen D iphthongierungen in ost- und südslaw ischen S prachen, w o kein d eu tscher E influß anzunehm en ist. A uch das Phonem r, das von al­len slaw ischen Sprachen nur im T schechischen vorhanden ist, ist n ich t als P roduk t der Berührung des T schechischen m it dem D eutschen zu erk lä­ren, sondern aus inneren V oraussetzungen des a lttschechischen L autsystem s: die altslaw ische G ruppe rj ergab im A lttschech ischen f, z.B. orati ‘ackern ’— o \u ‘ich ackere’. 13

Dasselbe gilt vom Zusam m enfall des h arten und des w eichen /, das heu te noch die poln ische und die slow akische S chriftsprache besitz t, jedoch nicht alle slow akischen M undarten . Im A lttschech ischen kam es im Laufe

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des 13. und 14. Ja h rh u n d e rts zum Z usam m enfall w eicher und h arte r K onsonan tenpaare. Die w eichen K onsonanten b \ p \ v ' , f \ m \ d ’, t \ n \ z \ s ' verschm olzen m it den h arten b, p, v, f , m , d, t, n, z, s. Im P a a r / — / ’ schm elzen beide / in ein “ m ittle res” / zusam m en. K om árek n im m t d e u t­schen E influß beim U ntergang d e r w eichen K onsonan ten als sehr w ahr­scheinlich an. Schon Jan Hus schrieb den Z usam m enfall d e r be iden l im A lttschech ischen dem deu tschen E influß zu. Die A rtiku la tion des harten und w eichen l b eschre ib t Hus in seinem T rak ta t “ De o rth o g rap h ia bohé­m ica” , den er zw ischen 1406 und 1412 schrieb. D ieser T rak ta t ist die früheste m itte leu ropäische w issenschaftliche B eschreibung einer M u tte r­sp rache . 14 Die U nterscheidung von / und I und von hartem y und w ei­chem i, d ie Hus im z itie rten T rak ta t ebenso fo rd e rt und besch re ib t, hat er w ohl aus seiner engeren H eim at nach Prag m itgebrach t. In der O rth o ­graphie w erden beide / und beide j im 14. Jah rh u n d e rt m eist n ich t u n te r­schieden. In A nlehnung an die O rthograph ie von Hus w erden sie jedoch s tr ik t in der O rthograph ie der S chriften und D rucke der Böhm ischen Brüdergem eine im 15. und 16. Jah rh u n d e rt auseinandergehalten . A uch im F rühneuhochdeu tschen gab es bekann tlich in teressan te o rth o g rap h i­sche R ückschläge im 16. J a h rh u n d e rt. 15 W enn deu tsch e r E influß auf die A ufhebung des G eg en sa tzes / — I w irklich vorläge, b liebe zu erk lären , w a­rum die a lttschechischen Palatale t, d, n von diesem E influß unberührt b lieben ; in d e r deu tschen Sprache sind diese L au te n ich t vorhanden .

Es kom m en noch w eitere V eränderungen in Frage, die auffällige Ä hnlich­keit m it der deu tschen D iphthongierung u zu au, T zu ei und der M ono- ph thong ierung ie zu i , uo zu ü aufw eisen, näm lich die a lttschechische Di­ph thong ierung von ú zu ou, y zu ej und die M onoph thong ierung von ie zu ?, uó zu ü. Als erster h a t die M öglichkeit e iner deu tschen B eeinflussung A. Kraus b es tritten . In seiner B esprechung des A ufsatzes von A. Beer “ Über die Spuren deu tschen E influsses im A lttschech ischen” 16 w iederho lt A. Kraus seine k ritischen B em erkungen, die er bere its 1888 in seiner H abi­lita tionssch rift “ Jan z M ichalovic” e rh o b .17 K raus geh t kon seq u en te r vor als Beer. Er s tre ite t deu tschen E influß bei folgenden a lttschechischen V eränderungen ab: der deu tsche U m laut von a zu e und d e r tschechische von a zu é ergeben L aute verschiedener Q ualitä t. Der tschechische Um­lau t von u zu i hängt m it dem deu tschen U m laut von u zu ü n ich t zusam ­m en. Die a lttschechische V eränderung von o zu uo und u erschein t im D eutschen später und m it anderen Zw ischengliedern: ö zu oa zu ua zu uo. Im A lttschechischen gib t es keine Paralle ld iph thongierung von e zu ea und ie. W ahrscheinlicher erschein t K raus der deu tsche E influß au f die a lttschechische D iphthongierung v o n y zu aj und ej, er s te llte sich jedoch zugleich m it R ech t d ie Frage, w arum das a lttsch ech isch ey von dieser

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V eränderung e rfaß t w urde, f jedoch n ich t. A nnehm bar erschein t Kraus der deu tsche E influß von ü zu au au f d ie a lttschechische D iph thong ie­rung von u zu au und ou. D och kom m en w ir heu te auch in diesem Falle zu anderen Ergebnissen. A uch K om arek ist bei der B eurteilung dieser V eränderung anderer M einung. Er n im m t an , daß d e r Im puls zur Di­ph thong ierung von ü zu ou von der ähnlichen D iphthongierung v o n y zu ej ausging, die d am it zw eifellos zusam m enhäng t. 18 Diese A nnahm e dürfte stim m en, d a y zu ej im Tschechischen ta tsäch lich schon im 12. Jh . b e ­legt ist: Teinez ON ‘T y n ec’, w ährend u zu ou erst im 13. Jh . e rschein t.Im D eutschen ist das V erhältn is der D iph thongierung von 7 zu e i und von u zu ou gerade um gekehrt, da d ie V eränderung von ü zu ou schneller vor sich ging als diejenige von 7 zu ei. Som it d a rf auch angenom m en w erden , daß die D iphthongierungen in beiden Sprachen parallel verliefen; es ist anzunehm en, daß die D iph thongierung um 1500 in d e r gesprochenen deu tschen und tschech ischen Sprache b een d e t w ar. L indgren h a t bew ie­sen, daß kein U nterschied in der D iphthongierung zw ischen W örtern b e ­steh t, die der A pokope ausgesetzt sind und den anderen Fällen. Bei ein­silbigen W örtern ist jedoch im m er ein höherer P rozentsatz von D ip h th o n ­gierungen festzustellen , w as verm uten läßt, daß h ier d ie D iphthongierung zuerst und am stärksten e in se tz te . 19

Parallelität zw ischen dem D eutschen und Tschechischen ist auch bei an ­deren V eränderungen anzunehm en , z.B. bei d e r alttschechischen Mono- ph thong ierung von ie zu t, uo zu u und bei d e r m itte lhochdeu tschen Mo- noph thong ierung von ie zu i, uo zu u, oder bei d e r V eränderung des bila­bialen w in lab iodentales v, die ebenfalls beiden Sprachen gem einsam ist. In diesen Fällen w ird kein d eu tscher E in fluß angenom m en, obw ohl er chronologisch genauso m öglich sein sollte.

Man w ird annehm en kö n n en , daß beide S prachen für diese und andere lautlichen Ü bereinstim m ungen ähnliche i n n e r e V oraussetzungen p a r a l l e l en tw icke lt haben müssen. Am schw ersten ist natürlich der A nfang der K ette von V eränderungen zu fassen. Für das Tschechische sieht K om ärek diesen A nfang in V eränderungen , die zur A ufhebung des G egensatzes d e r w eichen und h arten K onsonan ten re ihen führten , und in d e r U nterscheidung d e r langen und ku rzen V okale. Im D eutschen w ird die D iph thongierung o ft physiologisch e rk lä rt, so von Paul b is M itzka .20 Nach Sievers beg inn t die D iphthongierung im tiefen F allton . Ü ber die U rsachen d e r M onoph thong ierung e rfah ren w ir in d e r S tan d ard lite ra tu r noch w eniger. N .S. T ru b e tzk o y e rkann te , daß sich d e r Zug zur D ip h th o n ­gierung n ich t als W irkung des stark zen tralisierenden A kzents erw eist, sondern der S ilbenschn ittko rre la tion . In diesem Sinn w ird d ie D ip h th o n ­gierung auch von P. T rost e rk lä rt.21

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W ährend im Bereich d e r L autungen beider Sprachen völlige A u tonom ie anzunehm en ist, erg ib t die V erteilung d e r L ehnw örte r ein anderes Bild.Im Bereich der L ehnw örte r und L ehnübersetzungen berüh rten sich beide Sprachen in einigen E pochen d e r E ntw icklung sehr intensiv. V on beson­derem Interesse sind die Fragen des L autersatzes der L ehnw örter, m it denen sich vor allem die A rbeiten von G ebauer, T räv n itek , H avränek, K om ärek, Sm ilauer, V ondräk , Lessiak, E. Schw arz, E. K ranzm ayer, Lehr-SpJaw inski, A. M ayer, R. T rau tm ann und E. E ichler beschäftig ten . Bei d e r Ü bernahm e w urden ste ts die G esetze d e r A rch itek to n ik des W ort­schatzes der übernehm enden Sprache re sp ek tie rt.22

Wie g roß w ar eigentlich die Zahl d e r deu tschen L ehnw örte r im A lttsche­chischen? Im a lttschech ischen D ifferenzw örterbuch von F. S im ek zählen w ir n u r 387 G erm anism en, abgesehen von lau tlichen V arian ten , aber m it A b le itungen .23 Insgesam t ist im A lttschechischen bis zum Jah re 1500 nach dem M aterial des vo rbere ite ten akadem ischen W örterbuchs d e r a lt­tschech ischen Sprache von rund 7 0 .000 W örtern m it e tw a 1500 G erm a­nism en zu rechnen , vor allem im Bereich der Peiorativa, der “ h ö h eren ” G esellschaftsw örter und der H andw erkersprache, das sind rund 2% des G esam tw ortschatzes. Die b isher um fangreichste U ntersuchung der d e u t­schen L ehnw örter im Tschechischen von A. M ay e r24 ist wegen m angeln­der D ifferenzierung und E inbeziehung von einer R eihe la te in ischer E ty ­m ologien von S law isten m it R ech t k ritisie rt w orden . Präziser, aber eben­falls ergänzungsbedürftig ist die U ntersuchung der slaw ischen L ehnw örter in der neuhochdeu tschen S chriftsp rache von Ph. W iek .25 In teressan t w äre auch eine U ntersuchung der L ehnübersetzungen im A lttschechischen — sow ohl aus dem L atein ischen als auch aus dem D eutschen . G erm anism en en th ä lt auch das für seine Z eit g roße W örterbuch von M eister K laret (C laretus de Solencia), das um 1365 en ts tan d . Es e rfaß t e tw a 7 .0 0 0 a lt­tschechische W örter. V on rund zwanzig M itarbeitern an diesem Werk lassen sich 7 - 8 iden tifiz ieren , d a ru n te r auch so w ichtige Persönlichkeiten wie Karl IV., E rzb ischof E rnst (A rnost z P ardubic), Johannes von N eu­m ark t, der berühm te K anzler Karls IV., dessen T eilnahm e an K larets W örterbuch für seinen Trilinguism us sprich t, d e r W eihbischof A lbert von Prag, d e r A b t N eplach von O patovice u .a .26 Die G ebildeten w aren ohne Zweifel zwei-, o f t auch dreisprachig . Das tr if f t auch für die Spitze der Feudalgesellschaft zu. Wie es aber in den m ittle ren S ch ich ten aussah, läß t sich schw er generalisieren. Die S täd te w aren E nklaven im F euda l­system , und es gab viele M odalitä ten der sprachlichen Praxis. Die S tad t­arm en w aren sicher ö fte r zw eisprachig als die D orfarm en.

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Schon im 12. Jah rh u n d e rt w erte te m an das D eutsche als höfische Sprache am P iem yslidenhof. Im 13. Jah rh u n d e rt verfaß te König W enzel II. d e u t­sche M innelieder, und deu tsche D ich ter standen im D ienst der b ö h m i­schen K önige und einiger g roßer F eudalen . Im 14. Jah rh u n d e rt w ar das tschechische E lem ent in den S täd ten in Z unahm e begriffen . Es g ib t S täd te , w ie z.B. Saaz, die an der late in ischen K anzleisprache fes th ielten , um keine R eibungsflächen en ts teh en zu lassen. Im Jah re 1412, ku rz vor A usbruch der hussitischen R evolu tion , w endet sich Hus in seiner A usle­gung der Zehn G ebo te sehr scharf gegen die Sprachm enger u n te r den T schechen: “ Es verd ien ten je tz t auch d ie Prager und andere T schechen, die halb tschechisch und halb deu tsch reden, ausgepeitsch t zu w erden , indem sie sagen: to b o lka für tobo+ka (‘G eld tasche’), liko s ta tt fy k o (‘Bast’), han tuch s ta tt ubrusec, sorc s ta tt zästerka, kn ed lik s ta tt iiska, renlik s ta tt trerozka (‘T iegel’, ob e rd t. ‘R e ind l’), pancier s ta tt krun ie t, hu n sko p s ta tt k o n sk y nahlavek, m arstale s ta tt konnice , m azhaus s ta tt svrchnt sieh, tr e p k y s ta tt ch ö d y (‘Schuhe’), hauzsknech t s ta tt d o m o v n i pacholek , fo rm a n s ta tt vozataj (‘F u h rm an n ’). Und w er k ö n n te all das schildern, w ie sie schon die tschechische Sprache verw irrt haben? So daß , w enn ein richtiger T scheche sie so sprechen hö rt, er n ich t versteh t, w as sie sprechen; und daher k o m m t Ä rger, H aß, Z ank, H ader und Schm ach der T schechen” . 27 Die lexikalischen Paare d e r tschechischen U m gangs­und S chriftsprache zu Beginn des 15. Ja h rh u n d e rts sind h ier d o k u m en ­tarisch festgehalten . D ieser D ualism us b es teh t übrigens im T schechi­schen zum Teil bis h e u te . 28

V or der H ussitenzeit ist das w ich tigste D enkm al der deu tschen L ite ra tu r in Böhm en vor A dalbert S tifte r en ts tanden — “ D er A ckerm ann aus B öh­m en” , 1401-1404. Im anderen Zusam m enhang haben w ir gezeigt, daß der A u to r dieses W erkes, Johannes de S itbo r, alias T epl, alias Saaz, ein Trilinguist w ar, dessen L ebenslauf m it den zw eisprachigen O rten S itbo r, Teplä, 2 a tec und zu le tz t Prag verbunden ist. S pä te r finden w ir ihn in einer hussitischen G esandtschaft nach Basel.29 O b er tatsäch lich Tsche­che von G ebu rt w ar, w ie K. D oskofil m e in te 3 0 , ist n ich t erw iesen. Noch w eniger gesichert ist, daß er auch das tschechische — vierm al längere — Gegenstück zum “ A ckerm ann” , den sogenannten “ T kadlecek” , d .h . ‘W eberlein’,schrieb , der bald nach 1407 en ts tan d .

Die H ussitenkriege bedeu ten w ichtige V erschiebungen zugunsten des T schechischen und Slow akischen. Das deu tsche Patriz ia t ist auch in vie­len S täd ten in der Slow akei bedeu tend reduziert w orden . Das T schech i­sche w urde im 15. Jah rh u n d e rt zur d ip lom atischen Sprache auch in Po­len und U ngarn. U nter M atthais Corvinus, 1458-1490 , w urde von der königlichen K anzlei in O fen (B uda) m it slow akischen S täd ten tschechisch

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k o rrespond iert. Nach d e r Sch lach t bei M ohäcs, 1526, nahm jed o ch diese E ntw icklung in der Slow akei ein rasches E nde. Die T ürken bese tz ten das G ebiet des heutigen Ungarn. D er S chw erpunk t des ungarischen S taates verschob sich von O fen nach P reßburg in die Slow akei.

A uch in B öhm en ist das Jah r 1526 für die sprachliche E n tw ick lung von B edeutung, da von diesem Jah r an d ie nun regierenden H absburger die Zw eisprachigkeit u n te rs tü tz ten , indem sie alle w ichtigen S tellen m it k a th o ­lischen Ö sterreichern zu besetzen begannen. Diese B estrebungen der H absburger führten freilich erst nach 1620, nach der S ch lach t au f dem W eißen Berg bei Prag, w o die oppositionellen tschech ischen U traqu isten und deu tschen L u th eraner eine völlige N iederlage e rlitten , zum Erfolg.Das ganze 15. und 16. Ja h rh u n d e rt w ar eine Z eit, in d e r sich das T sche­chische qualita tiv und q u an tita tiv w eite r festig te. Die böhm ischen H um a­nisten schrieben zuerst lateinisch, z.B. die Schüler des A eneas Silvius P iccolom ini Jan H uska, M ikuläs K onäc z H odiskova und vor allem Bohus- lav H asistejnsky z L obkovic, später tschech isch . Die tschechisch schrei­benden H um anisten sind für die E ntw ick lung des Bilinguism us b edeu tend w ichtiger, da sie p rogram m atisch die tschechische Sprache in den V order­grund rückten . Im 16. Jh . kam es näm lich zum neuen Zuzug d eu tscher L u theraner nach B öhm en, und deren zahlenm äßige E rstarkung führte w ieder zur A ktualisierung der Sprachenfrage. Bei V ik to rin K ornel ze VSehrd (1460-1520) finden sich w ieder dieselben T öne w ie in d e r C hro­nik des sog. Dalim il. N eu w ar in d ieser E poche des tschechischen H um a­nism us d ie bew uß te Sprachpflege und die positive Beziehung n ich t nu r zur A ntike, sondern auch zum einheim ischen sprachlichen und k u ltu re l­len Erbe. In teressan t ist, daß im Vergleich m it dem älteren tschechischen R echtsbuch von O ndrej z D ube bei VSehrd d ie A nzahl der deu tschen L ehnw örter abgenom m en hat: e tw a 60% griechisch-lateinische L ehnw ör­te r neben 40% deu tschen L eh n w ö rte rn .31

In den F ußstap fen V sehrds sch ritten auch andere tschech ische H um ani­sten , näm lich R ehor H ruby z Jelen i, Vaclav Pisecky und vor allem der philologisch gebildete Z ikm und H ruby z Je len i, d er Sohn des E rstgenann­ten . Sein “ L exikon sym p h o n u m ” , 1537, ist d e r erste V ersuch eines ver­g leichenden etym ologischen W örterbuchs der griechischen, latein ischen, deu tschen und tschechischen Sprache. V on g roßer T ragw eite für die E ntw icklung des B ilinguismus in B öhm en w ar der von den tschechischen H um anisten inspirierte B eschluß des böhm ischen L andtags vom 13. März 1495, nach dem künftighin alle E intragungen in die böhm ischen L and­tafeln ausschließlich in tschechischer Sprache zu erfolgen h a tten . Für das T schechische w ar im 16. Jh . die B öhm ische Brüdergem eine von außero rden tlicher B edeutung. In F o rtse tzung der hussitischen G edanken

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legte sie besonderen W ert au f die Bildung und au f d ie Predigt und den Gesang in d e r N ationalsprache und en tw icke lte ein im dam aligen E uropa einm aliges N etz von G rundschulen , vor allem in M ähren. Die sechsbändige K ralitzer Bibel, 1579-1593 , nach K ralice bei Brünn, vo llendete d ie E in­heit d e r tschech ischen S chriftsprache, d ie schon im 14. Jh . zen tra lisierter und ausgeglichener w ar als d ie frühnhd . S chriftsprache.

Die gesteigerten A nstrengungen der B öhm ischen Brüdergem eine um ver­tie fte Bildung fanden auch in d e r in tensiven Sprachpflege A usdruck , vor allem in der Person des geb ildeten B ischofs Jan Blahoslav, 1523-1571. Er w and te sich gegen diejenigen deu tschen L ehnw örter, die gegen den bis­herigen Usus neu erschienen. Wie schon anderthalb Jah rh u n d erte zuvor Hus, k ritis ie rt auch Blahoslav neue deu tsche L ehnw örte r im T schechi­schen seiner Zeit: “ U nd deshalb , w o die heim ische Sprache eigene und schöne W örter besäße, gehö rt sich n ich t, F rem d w ö rte r ins Tschechische h ineinzu tragen . A ber dagegen s te llt sich o f t d ie G ew ohnheit. D enn m an­che T schechen, die o f t m it D eutschen reden , ja neben oder u n te r ihnen w ohnen , gew öhnen sich daran , deu tsche W örter zu benützen . Und so sprechen sie: Dej sem ban tuch ‘Gib das H and tuch h e r’, Masli han tlik?‘H ast du eine H andhacke?’, Zac to fa rk le? ‘Was k o ste t das F erke l? ’, ln L andskron (O stböhm en) sp rich t m an näm lich au f diese Weise. W enn es so w eiter gehen sollte, k ö n n te es denjenigen T schechen , d ie au f diese Weise sprechen , w ie den Sorben in früheren Z eiten ergehen, daß sie näm ­lich w eder tschechisch , noch deu tsch , noch lateinisch sprechen, sondern ihre Sprache verw orren und irregem acht haben , um nur von jenen ver­standen zu w erden , die von ihnen gezeugt w erd en .”32 In höfischen Krei­sen kann m an nach Blahoslav fo lgende deu tsche L ehnw örter gebrauchen: ko r fy r lt , marSalek, heytm an , truksas, Ito lm istr , bo fm istr, kuchm istr , m usterherr ‘M usterungsoffiz ier’, m u stro w a ti ‘m u s te rn ’, in S o lda tenk re i­sen k y ry s ‘Küraß, B rustharn isch’, V acbtordnung , d ie schon eingebürgert seien. Man sollte es auch den H andw erkern n ich t übelnehm en, w enn sie deu tsche L ehnw örte r gebrauchen , doch solle m an es auch n ich t nachah­m en.

Im gesam ten eu ropäischen H um anism us g ib t es nirgends eine Parallele für die zen tra le R olle, die die Sprachpflege bei den tschech ischen H um a­nisten spielte . Diese E igenart erg ib t sich aus der besonderen Lage, in der sich die böhm ischen L änder nach 1526 w ieder befanden . Fast ein D ritte l der B evölkerung sprach deu tsch (in M ähren w ar der deu tsche Bevölkerungs­anteil bed eu ten d niedriger), und das tschechische Sprachgebiet sprang halbinselartig 4 0 0 km in das deu tsche Sprachgebiet vor, nachdem die deu tsche Sprache in Schlesien w eite r an Boden gew innen k o n n te . Dazu kam en der zum Teil germ anisierte A del und die österreichischen Habs-

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Die g röß te Persönlichkeit des tschech ischen H um anism us w ar Jan Ä m os K om ensky, 1592-1670, la tin isiert zu Johannes A m os C om enius. K om ensky ist der b edeu tendste tschechische m ehrsprachige S chrifts te ller. Als le tz te r B ischof der Brüdergem eine p red ig te er die G leichheit aller, auch aller V öl­ker, vor G o tt. A uf dieser G rundlage bau te er seine pädagogischen, sittli­chen und politischen R eform vorschläge auf. Seine m ethod isch-d idakti- schen Prinzipien w irken bis in unsere Zeit. “ Jan u a linguarum resera ta” , lateinisch und deu tsch 1631, tschechisch 1633 u n te r dem T itel “ Dvere jazyküv o tev ten e” , und “ M ethodus linguarum novissim a” , 1649, fo rdern die V erbindung des S p rachun terrich ts m it dem Sachw issen. Eine w eltw ei­te V erbreitung fanden seine im Jah r 1657 erschienenen W erke “ O rbis sensualium p ic tus” und “ D idactica M agna” . Ein Jah r zuvor verb rann te in Leszno (Lissa) sein “ T hesaurus linguae bo h em icae" , das bis dah in g röß te W örterbuch einer N ationalsprache, an dem er über 40 Jah re gearbeite t hat. K om enskys Stil ist in d e r gesprochenen Sprache verankert. Er p ran ­gerte die “ W erksta ttsp rache” n ich t an w ie Blahoslav . 33 Bei K om ensky erscheinen deu tsche L ehnw örter, die Blahoslav ein halbes Jah rh u n d e rt früher n ich t gedu ldet h ä tte , sogar in den T ite ln seiner berühm ten Werke: “ L abyrin t sveta a lusthauz srdce” (L aby rin th d e r Welt und Paradies des H erzens), 1623; “ K saft um irajic i m atk y je d n o ty b ra trsk e” (G eschäft, d.i. V erm ächtn is der sterbenden M u tte r d e r B rüdergem eine), 1648; w eniger b ek an n t ist seine S tre itsch rift gegen die Jesu iten “ R etu n k p ro ti A nti- k ristov i” (R e ttu n g vor dem A n tich rist), 1617.

Der G erm anisierungsprozeß, der im 16. Ja h rh u n d e rt e inse tz te , und vor allem in N ord- und W estböhm en F o rtsch ritte verm erken k o n n te , w urde nach 1620, nach der N iederlage der P ro testan ten au f dem W eißen Berg, du rchgreifender. Er vollzog sich in m ehreren E tappen und G enerationen .Am gründlichsten w urde die Z usam m ensetzung der herrschenden F eudal­sch ich t verändert. D er bodenständ ige tschechische A del b ilde te in seiner Klasse nur noch eine M inderheit, d ie am W iener H of tro tz A npassungs­bere itschaft m it M iß trauen b eh an d e lt w urde . Im 17. Jah rh u n d e rt w urde durch die E rneuerte L andesordnung (1 6 2 7 ) zuerst d ie deu tsche Sprache der tschechischen gleichgestellt, aber d ie p ro testan tisch e M assenem igra­tion und d e r Z ustrom ausländischer ka tho lischer A deliger und Beam ten, die des T schechischen unkund ig w aren, führten bald zur Bevorzugung des deu tschen E lem ents. Dazu kam noch ein relativer B evölkerungsüber­schuß in den R andgebieten B öhm ens und N ordm ährens sow ie Südschlesiens, die zum g rö ß ten Teil deu tschsprach ig w aren. Bald kam es zur A bw ande­rung ins fru ch tb a re Landesinnere, besonders im ganzen S treifen zw ischen L iberec (R eichenberg) und T achov (T achau ).34 D och w urden auch die

burger auf dem böhmischen Thron.

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D ruckerzeugnisse der D ruckereien tschech ischer E m igranten in Z ittau und Pirna w ährend d e r ganzen G egenreform ationszeit nach B öhm en ge­schm uggelt und die K ralitzer Bibel w urde benü tz t. U nter den Jesu iten verbreite te Bohuslav Baibin sein 1672 en ts tandenes H auptw erk “ Disser- ta tio apologética pro lingua slavonica, p raecipue bohém ica” , das freilich erst 1775 erscheinen d u rf te . Die H aup tbedeu tung gew ann es erst in der A ufklärungszeit. Für M ähren errang dieselbe B edeutung das Werk “ Mora- vopis” (M ährenkunde) von T om ás Peäina z te c h o ro d u , 1629-1680 , des­sen H aup tquelle d ie “ H istorie cirkevni” des L u theraners Pavel Sk'ala ze Zhore, 1583-1640, w urde . Um die 10 Bände der H andschrift dieses Wer­kes stud ieren zu k ö n n en , ging Pesina dreim al zu den tschech ischen E xu­lanten nach Schlesien. Für sprachliche Zusam m enhänge ist in teressan t, daß sich Pesina für den tschech ischen G o ttesd ienst in tschech ischen und gem ischten G em einden einsetzte .

In d e r Slow akei w ar die S itua tion insofern günstiger, als sich d o rt das Tschechische in d e r evangelischen K irche u n u n te rb ro ch en halten k o nn te . Besonders seit 1781, nach dem T o le ran zp a ten t, gab es eine enge Z usam ­m enarbeit d e r tschechischen und slow akischen P ro testan ten . Es liegt au f der H and, d aß sich au f dieser Basis d ie O pposition der Intelligenz gegen den Z entra lism us der S taatsverw altung in Wien zu form ieren begann. Das Deutsche w urde in der A ufklärungszeit im H absburgerreich zur e inheitli­chen A mts- und B ildungssprache erhoben . Die sprachliche U m schichtung w ar um so g rößer, als auch das Lateinische von d ieser E ntw icklung b e tro f­fen w urde.

Der um fassende gesellschaftliche P rozeß d e r sogenannten nationalen W iedergeburt w urde durch die B auernbefreiung und die Industrialisie­rung ausgelöst. Das tschechische und slow akische Landvolk und d ie nie­dere H andw erkerschaft w ar keineswegs um fassend bilingual, sondern de facto einsprachig. Um 1750 e rre ich te d ie tschechische Schriftsp rache ih­ren T ie fpunk t. In dieser Zeit gab es S tim m en , daß die tschechische Spra­che un tergehen w erde. M eistens hande lte es sich um deu tsche Adelige oder Bürgerliche, die ähnliche A nsich ten vertra ten . A uch dem Begründer der w issenschaftlichen B ohem istik Jo se f D obrovsky, 1753-1829, h afte te noch Skepsis gegenüber dem T schechischen als L itera tu rsp rache an. Sein “ A usführliches Lehrgebäude der böhm ischen S prache” , die erste w issen­schaftliche G ram m atik des T schechischen, schreib t er noch 1809 in d e u t­scher Sprache. In der ersten Phase d e r tschech ischen W iedergeburt e n t­stand das erste und le tz te Mal in jah rhunderte langen deu tsch -tschech i­schen literarischen Beziehungen eine S itu a tio n , in der m an die d eu tsch ­sprachigen W erke als Teil d e r tschechischen K ultu r und L ite ra tu r, die auch von T schechen z.T. deu tsch geschrieben w urde , ansehen k a n n . 35

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Eine ähnliche S itua tion en ts tan d in der Zeit des Josefin ism us auch in an­deren ko m p ak t katho lischen L ändern , z.B. in K rain, K ärn ten , d e r S teier­m ark und K roatien . D er G rund für gerade diese E ntw ick lung in den drei e rw ähn ten Sprachen liegt in der besonders in tensiven G egenreform ation , die eine zähe la tein ische und außerdem noch eine zusätzliche staa tsk irch ­lich bed ing te deu tschsprach ige T rad ition en tw ick e lte . 36

Diese erste Phase des W iederaufstiegs der tschechischen Sprache bed eu ­te te eine Belebung der sprachlichen W erte des 16. Jah rh u n d e rts , au f das auch der b ed eu ten d ste G ram m atiker dieser Zeit — D obrovsky — zurück­griff. In der zw eiten Phase d e r A ufw ertung der tschechischen Sprache kam es zur A uffüllung des feh lenden W ortschatzes in allen Fachbereichen . An der Spitze dieser B estrebungen standen Jo se f Jungm ann (1773-1847), Jan Svatopluk Presl (1791 -1849 ) und sein B ruder Karel Borivoj (1794- 1852). Jungm ann lieferte m it seinem fünfbändigen T schechisch-deutschen W örterbuch (1835 -1838 ) und m it seinen anspruchsvollen Ü bersetzungen M iltons, C hateaubriands, G oethes und Schillers den th eo re tischen und prak tischen Beweis für d ie E benbürtigkeit der tschechischen L ite ra tu r­sprache m it der deu tschen . Die Brüder Presl be te ilig ten sich m aßgebend an der Schaffung d e r tschech ischen naturw issenschaftlichen T erm ino lo ­gie, w obei sie au f die Sprache des V olkes und die anderen slawischen Sprachen zurückgriffen. T ypisch für diese N eologism en ist der Purism us, der u n te r den gesellschaftlichen B edingungen der E m anzipation des tschechischen V olkes und seiner Sprache bis zum Jah r 1918 auch ein starkes ideologisches M om ent besaß. Die E ntw ick lung des nationalen B ew ußtseins und die A g ita tionsm itte l d e r T schechen u n te r den einspra­chigen S chichten des Landvolks, d e r H andw erkerschaft und des K lein­bürgertum s im V ereinsw esen und der Jou rna lis tik sch ildert sehr anschau­lich A n to n Springer. Er d efin ie rt auch das tschechisch-slow akische V er­hältnis, das durch die Schaffung der slow akischen Schriftsp rache im Ja h ­re 1844 in neue B ahnen gelenkt w urde. Die V ersch iedenheit der h is to ri­schen E ntw icklung und die U nterschiede zw ischen d e r österreich ischen und ungarischen R eichshälfte führten dazu. Für unser T hem a ist auch Springers Scharfblick für die e igentlichen Träger des österreich ischen Patrio tism us von In teresse — die D eutschen und die R u th e n e n .37 Das D eutsch der W iener B eam tenschaft w ar für die B eam ten und O ffiziere in d e r ganzen M onarchie m ustergültig, aber das in den böhm ischen Län­dern und in der Slow akei gesprochene Deutsch w ar sehr m annigfaltig .Die U m gangssprache in den S täd ten w ar im d eu tschen Sprachgebiet m undartlich gefärb t. Die e inzelnen deu tschen M undarträum e der böhm i­schen L änder w iesen große U nterschiede au f und w aren n ich t im m er eine b loße F o rtse tzung der M undartverhältn isse im b enachbarten D eutsch­

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land; besonders zum O bersächsischen gab es ostfränk isch ausgerich tete M undarten in N ordw estböhm en. Als ausgeprägteste deu tsche M u ndart­landschaft galt das Egerländische. A ber auch die M undartverhältn isse in den Sprachinseln d e r Slow akei w aren stark d iffe renz ie rt, z.B. das Zipse- rische, das G ründlerische (M undarten d e r Z ipser G ründe im G ölln itz ta l), das M antakische in M edzev (M etzenseifen) und § to s (S toß). Die m äh ri­schen und böhm ischen deu tschen Sprachinseln w aren ebenfalls individuell abgestuft, am m eisten w ohl die Schönhengster M undart. Nach d e r G rün­dung der Tschechoslow akei w urde die D ialektologie zum S ch w erp u n k t­gebiet der G erm anistik an d e r deu tschen U niversität in Prag. E ine große A rbeit w urde geleiste t, du rch die die d eu tschen M undarten der T sche­choslow akei zu den am gründlichsten erfo rsch ten sch lech th in g eh ö ren .38 Zu den tschechischen N achbarn an d e r Sprachgrenze gab es enge Bezie­hungen w irtschaftlicher A rt, m an leb te m ite inander im F rieden . In dieser K on tak tzone haben die deu tschen M undarten zahlreiche tschechische L ehnw örter und Phrasen übernom m en. D er b ek an n te A usspruch A. Brückners — “ W enn m an zeitgenössisches Tschechisch und insbesondere die Tagespresse liest, so m uß m an erst das G eschriebene ins Deutsche übersetzen, um es auch w irklich zu verstehen” 39 — gilt für den lexikali­schen und phraseologischen Bereich. T ypisch für die tschechische S ch rift­sprache um die Jah rh u n d ertw en d e , von der d ieser A usspruch stam m t, w aren L ehnübersetzungen. D eutscherseits sind neben L ehnw örtern auch L ehnübersetzungen aus dem Tschechischen in der deu tschen U m gangs­sprache der böhm ischen L änder b e k a n n t.40 Bei der deu tschen Bevölke­rung w ar der B ilinguismus im großen und ganzen w eniger verb re ite t, aber er nahm seit d e r Jah rh u n d ertw en d e laufend zu, besonders bei der deu tschen Intelligenz. V iele deu tsche B ilinguisten e rkann te m an an der lenierten A ussprache der stim m haften tschechischen K onsonan ten b, d, g als lenierte V ersch luß lau te p, t, k und des stim m haften E ngelautes z als stim m losen E ngelaut s, an der unvollkom m enen B eherrschung des tschechischen System s d e r V erbalaspekte und an G enusin terferenzen .Den tschechischen Zw eisprachlern gebrach es o f t an gerundeten V okalen im D eutschen, am U nverm ögen, lenierte V ersch luß lau te zu b ilden und den vollen S atzrahm en zu setzen. N atürlich gab es au f beiden Seiten er­hebliche U nterschiede nach der gesellschaftlichen Schichtung.

Ein besonderes Idiom w ar das Prager D eutsch, das im m er noch rech t untersch ied lich bew erte t w ird . Als sicher g ilt, d aß sich im Prager D eutsch der deutsch-tschech ische B ilinguismus rech t bescheiden ausgew irkt hat.An anderer S telle haben w ir gezeigt, daß d ie P rob lem atik des Prager D eutsch kein geschlossenes G anzes und kein K on tinuum d a rs te llt, wie o ft angenom m en w ird , sondern daß sie in w enigstens vier E pochen zer­

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fä llt.41 In d e r le tz ten E poche des Prager D eutsch en ts tand in Prag eine deutschsprach ige L ite ra tu r ers ten Ranges. Bei d e r V olkszählung im Jahre 1920 gab es in Prag 30.429 D eutsche und 6 2 4 .7 4 4 T schechen . Bei der le tz ten V olkszählung im Jah re 1970 gab es in Prag n u r noch 936 D eutsche sowie 1.053.315 T schechen.

Wie sieht es m it dem Bilinguismus in der T schechoslow akei in d e r G egen­w art aus? Die zahlenm äßig s tarke deu tsche M inderheit g eh ö rt d e r V er­gangenheit an. Im Jah re 1930 gab es in d e r T schechoslow akei 3 .231 .688 D eutsche — 22% der G esam tbevölkerung. Die P rozen tzah l der D eutschen sank bere its in den le tz ten D ezennien d e r österreichisch-ungarischen M onarchie. N ach dem zw eiten W eltkrieg b lieben in der T schechoslow a­kei nu riR este der bodenständ igen deu tschen B evölkerung, besonders in W estböhm en und in N ordböhm en . Es h an d e lt sich dabei g röß ten te ils um F acharbeiter, Bergleute, A ntifasch isten und A ngehörige von M ischehen. W ährend es zum 1.3 .1961 in d e r Tschechoslow akei noch 140.402 D eut­sche gab, sank deren Zahl zum 1.12. 1970 au f 85 .663 u n d b e träg t zum 1 .1 .1976 rund 79 .0 0 0 , davon 7 5 .0 0 0 im tschechischen und 4 .0 0 0 im slo­w akischen L andesteil. Die jäh rliche A bnahm e b e träg t über 1 .000. Es gibt h eu te in der T schechoslow akei keinen O rt m ehr, in dem über 50% D eu t­sche leben. Den höchsten A nteil der deu tschsprach igen Bevölkerung w ei­sen heu te vier O rte im Erzgebirge auf: M id fn ec (K upferberg) 44,1% , M ikulov (N iklasberg) 43,5% , Bo4i D ar (G ottesgab) 40,8% und ¿ e sk £ H am ry (Böhm isch H am m er) 40,4% — alles sehr k leine O rte . Zum 1.12. 1970 gab es in der CSR 142 O rte m it m eh r als 10% D eutschen . V on 11 O rten , w o im Jah r 1961 m ehr als 1 .500 D eutsche leb ten , b lieben im Jah r 1970 nur zwei: Jab lonec n.N . (G ablonz a.N .) m it 1584 D eu tschen und T eplice (T eplitz) m it 1527 D eutschen . Es g ib t heu te zwei K reise m it m ehr als 5% D eutschen: Sokolov (F alkenau) 9% und Jab lonec n.N . (G ablonza.N .) 5 %.42 V on den heu te in d e r T schechoslow akei lebenden D eutschen sind alle A ngehörigen der jungen und m ittle ren G enera tion zw eisprachig, die ä ltere G enera tion b le ib t m eistens bei der angestam m ten M undart.Im V erkehr m it n ich t bodenständ igen D eutschen w ird die m undartlich gefärb te H ochsprache b en ü tz t. In d e r in ternen K om m un ikation inner­halb der Fam ilie und im F reundeskre is herrsch t nach w ie vor die M und­art. M it den T schechen in den gem ischten G ebieten , die h eu te in der Regel über 90% der E inw ohner ausm achen, w ird tschechisch gesprochen, von jüngeren Jahrgängen ohne A kzent.

K ürzlich verö ffen tlich te J . PovejSil eine U ntersuchung über das V erhä lt­nis zw ischen dem deu tschen D ialekt und “ frem d er” H ochsprache bei Z w eisprachlern, die überw iegend die R andgebiete B öhm ens ins Auge faß t. Es g ib t d o rt viele M odalitä ten d e r Z w eisprachigkeit, aber im großen

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und ganzen en tsp rich t seine B eschreibung der S itu a tio n .43 Es stim m t, daß tschechische L ehnw örte r für gesellschaftliche E inrich tungen wie rekreace ‘E rho lungsau fen tha lt’, R O H ‘G ew erkschaftso rgan isation ’,(n&rodni) vybor ‘N ationalausschuß , d .i. G em eindeam t’, Eingang in die deu tschen M undarten und in d ie U m gangssprache fanden , aber geographi­sche B ezeichnungen gebrauch t m an n ich t in d e r tschech ischen F orm ,“ weil m an es so in der Schule h ö r t” , sondern in der deu tschen , w obei die m itu n te r schw ierige K onsonantenfo lge bei tschech ischen B enennungen auch eine R olle spielt, also Sp indelm ühle ‘Spindlertiv M lyn’, Erzgebirge ‘Kruäne h o ry ’ o der Riesengebirge ‘K rkonose’, M arienbad ‘M arianske L a z n t’, weil sie auch von den deu tschen T ouris ten aus d e r DDR und d e r BRD um ­gangssprachlich in d e r deu tschen Form gebrauch t w erden . A uch die T sche­chen benützen sie, w enn sie m it D eutschen sprechen , abgesehen davon, daß die T schechen um gangssprachlich S p in d l für Spindleriiv M lyn , M ariänky für Marienbad, Vary für K arlovy Vary sagen, um zw eigliedrige B enennun­gen zu verm eiden. Die Prager V olkszeitung b en ü tz t bei O rtsnam en nur die tschechischen N am en, bei Berg- und G ebirgsnam en die deu tschen .

Die Zw eisprachigkeit w ird in der heutigen F orm , w o noch die M undarten bestehen , w ahrscheinlich n ich t erhalten b leiben , aber die geographische Nähe zum d eu tschen Sprachgebiet, T ourism us, W irtschaft, R u nd funk und Fernsehen w erden einen neuen M odus der Z w eisprachigkeit en ts te ­hen lassen, ln dem Zusam m enhang sei e rw ähn t, daß d ie vielfältige, Jah r­hunderte andauernde deu tsch-tschech ische W echselseitigkeit im T sche­chischen dazu führte , daß es von allen slaw ischen Sprachen die m eisten E xonym a für deu tsche Orts- und F lußnam en besitz t, d ie z.T. bis in die Zeit d e r C hristianisierung zurückgehen, z.B. Cachy ‘A achen’, K oltn nad R y n e m ‘K öln’, M o h ü t ‘M ainz’, 'kezno ‘R egensburg ', D rä idany ‘D resden’, Zhorelec ‘G örlitz ’, R y n ‘R hein ’, M ohan ‘M ain ', Salice ‘Salzach’, M hla ‘Mühl’, Litava ‘L eitha’ und viele andere im ganzen deu tschen Sprachge­biet.

In der S low akei, w o es noch heu te viersprachige O rte g ib t — südlich der D onau bei Bratislava (P reßburg) — erscheinen n ich t n u r viersprachige O rtsnam en, so R usovce — Oroszv&r (ungarisch) — Karlburg (deu tsch ) — Rosvär (k roatisch ), o d e r tu n o v o — D ünacsün (ung.) — S a n d d o r f (d t.) — tü n o v o (k roatisch ), sondern auch F lu rnam en . Synchron und d iachron g ib t es in d e r T schechoslow akei ein um fangreiches, nu r w enig e rfo rsch tes M aterial.

Das E rgebnis des B ilinguismus in d e r T schechoslow akei ist eine strenge struk tu re lle und eine ziem lich scharfe geographische A bgrenzung des T schechischen und Slow akischen zum D eutschen und U ngarischen. N ur

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zum Polnischen hin g ib t es einen U bergangsstreifen im Schw ingungsfeld von Teschen-Schlesien und einigen verkehrsfreundlichen A bschn itten der N ordslow akei, nam entlich beiderseits der H ohen T atra . In Teschen- Schlesien w irk te sich die nahe V erw and tschaft und die besondere soziale Entw icklung so aus, daß A nsätze für eine M ischsprache, das Schlonsaki- sche, vorhanden w aren , sie kam en jedoch nie zur schriftsp rach lichen G el­tung. Der lachische D ialekt Schlesiens — im W esten durch die deu tsche K olonisation im G esenkegebirge von den m ährischen M undarten im 13.Jh . abgeschnürt — blieb dennoch ein fester B estandteil d e r tschechischen Sprache. Eine tschechisch-deutsche M ischsprache gab es vor dem Krieg auch in O pava (T roppau ). A uf dem M arkt sollen die V erkäufer (nach per­sönlicher M itteilung) im Jah re 1930 fo lgenderm aßen gesprochen haben: Pojcfte döhar. T u t m s m ene \én e blaun p u n to c h y o k u p te si. ‘K om m en Sie heran. K aufen Sie sich m eine schönen b lauen S trüm pfe’. A uch dieses Idiom w ar sozial eng abgegrenzt und überdauerte n ich t den Krieg.

Die gegenseitigen B eziehungen zw ischen der d eu tschen und tschech ischen bzw . slow akischen Sprache b rach ten gegenseitig im G runde nur L ehnw ör­te r hervor, vor allem in den M undarten und in der U m gangssprache. Alle anderen sp rachw andelnden K on tak tw irkungen un terlagen in der Regel dem System zw ang d e r em pfangenden Sprache und fielen dann m eist dem Ausgleich zum O pfer.

A nm erkungen

1 B. Hroznÿ, Die älteste Geschichte Vorderasiens und Indiens. 2. Aufl., Prag 1943, S. 124- 183.

2 Vgl. W.F. Mackey, International Bibliography on Bilingualism. Quebec 1972.H. Kloss, Research Possibilities on Group Bilingualism. Quebec 1969. E.A. Afendras, Sociolinguistic History, Sociolinguistic Geography and Bilingualism. Quebec 1969. W.F. Mackey, Interference, Integration and the Synchronie Fallacy. Quebec 1970. P. Trost, Deutsch-tschechische Zweisprachigkeit. In: Deutsch-tschechische Beziehungen im Bereich der Sprache und Kultur,Berlin 1965, S. 21 - 28. E. Skala, Die Entwicklung des Bilinguismus in der Tschechoslowakei vom 13.-18. Jahrhundert. In: Beiträge zur Gesch. d. dt. Sprache und L iteratur, Bd. 86, Halle 1964, S. 69 - 106. V. Vildomec, Multilingualism. Leyden 1963.

3 U. Weinreich, Languages in Contact. Findings and Problems. New York 1953.

4 E. Schwarz, Probleme der sudetendeutschen Lehnwortgeographie. In: Zs.f. M undartforschung, Jg. 26 (1958), S. 128 - 150.

5 Abhandlungen der Sachs. Akad. d. Wiss. zu Leipzig, Phil.-hist. Klasse, Bd. 57, Heft 2, Berlin 1965 und Bd. 59, Heft 2, Berlin 1968.

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6 J. Kapras, Historicky vyvoj ieskeho programu jazykoviho, Praha 1911.

7 Cosmas, Chronica Bohemorum. Fontes rerum bohemicarum II, 88; tschech. Übersetzung von K. Hrdina, Prag 1929.

8 J. Kapras, K otäzce uredni reci. In: Pokrokova Revue, Praha, ro i. 4, f .6, str. 4.

9 Prehled teskoslovenskych d ijin , Bd. I, Prag 1958, S. 360 f.

10 B. Havranek — J. Dahhelka, Nejstarsi ceska rymovana kronika tak receneho Dalimila. Prag 1957, S. 123.

11 Königsaaler Geschichtsquellen, hrg. v. Loserth, zit. nach R. Wolkan, Gesch. d. dt. L iteratur in Böhmen bis zum Ausgange des 16. Jh.s, Prag 1894.

12 J. Emler, Regesta diplomatica nec non epistolaria Bohemiae et Moraviae,Pars III (1311-1333), Prag 1890, S. 782.

13 M. Komarek, Historicka mluvnice Ceska, I, Praha 1958, S. 104, 108, 137.

14 J. Hus, De orthographia bohemica. Zit. nach Komarek (Anm. 13), S. 90.Die erste Ausgabe nach der einzigen erhaltenen Handschrift im Archiv Treboh von A.V. Sembera in Miklosichs Slawischer Bibliothek II, 1857.

15 E. Skala, Die Entwicklung der Kanzleisprache in Eger 1310 bis 1660. Berlin 1967, S. 2 9 7 - 302.

16 A. Beer, O stopäch vlivu nfcmeckeho v teS tini stare. In: Sitzungsberichte der Königl. böhm . Gesellschaft der Wiss., Kl. f. Philosophie, Geschichte und Philologie, Prag 1905, Heft VII, S. 1 - 25.

17 A. Kraus, Jan z Michalovic. Nim eckü biseh trinacteho veku. Prag 1888,S. 47; ders. in: Listy filologicke XXXII, Prag 1905, S. 475 - 476 und ebenda, Jg. XXXIII, 1906, S. 62 -6 3 .

18 M. Komarek (Anm. 13), S. 149.

19 K.B. Lindgren, Die Ausbreitung der nhd. Diphthongierung bis 1500. Helsinki 1961, S. 54.

20 H. Paul — H. Moser — I. Schröbler, M ittelhochdeutsche Grammatik, 21. Aufl. Tübingen 1975, S. 49.

21 N.S. Trubetzkoy, Grundzüge der Phonologie. Göttingen 1967, S. 176, 196 f.P. Trost, Bemerkungen zum deutschen Vokalsystem. In: TCLP 8, Prag 1939,S. 319 - 326; ders., Der Zusammenfall der Diphthongreihen in der nhd. Schriftsprache. In: Philologica Pragensia I, 1958, S. 15 - 16.

22 E. Skala, Zur kontrastiven W ortschatzarchitektonik im Deutschen und Tschechischen. Beiträge zur konfrontativen Sprachwissenschaft, Leipzig 1976, im Druck.

23 F. §imek, Slovniiek Stare ie itiny . Praha 1947.

24 A. Mayer, Die deutschen Lehnwörter im Tschechischen. Reichenberg 1927.

25 Ph. Wiek, Die slawischen Lehnwörter in der neuhochdeutschen Schriftspra­che. Elss. Marburg 1939.

26 J. Jakubec, Dfcjiny literatury teske, Bd. I, Prag 1929, S. 189.

27 J. Hus, Vyklad desatera boiieho piikazanie. In: Husovy Üeske spisy I, hrg. von K.J. Erben, Prag 1865, I, S. 133 f.

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E. Skala, Deutsche Lehnwörter in der heutigen tschechischen Umgangsspra­che. In: Deutsch-tschechische Beziehungen im Bereich der Sprache u. Kul­tu r II, Berlin 1968, S. 127 - 141.

Deutsch-tschechische Beziehungen (Anm. 28), I, S. 63 - 72.

K. DoskoCil, K pramenum “ Ackerm anna”. In: Sbom ik historicky 8, Prag 1961, S. 67 - 102.

E. Michalek, O jazykovÿch otâzkâch v dilech ïeskÿch narodnich buditelü.In: Slovo a slovesnost, Jg. 22, Prag 1961, S. 12.

Jan Blahoslav, Cramm atika ieska dokonana léta 1571, hgg. von Hradil- Jiretek, Wien 1857, S. 227 f.

J. Jakubec (Anm. 26), I, 828 - 829.

Vgl. E. Skila, Die Entwicklung der Sprachgrenze in Böhmen von 1300 bis etwa 1650. In: Germanistica Pragensia V (1968), S. 7 - 16.

J. Hrabàk, Zu den deutsch-tschechischen literarischen Beziehungen im Mit­telalter. In: Wiss. Zeitschr. der E.-M.-Arndt-Univ. Greifswald, Jg. 9, 1962,S. 4 1 7 -4 2 0 .

H. Peukert, Slawische Nationalsprachen in der Wiedergeburtszeit. In: Wiss. Zeitschr. der E.-M.-Amdt-Universität Greifswald, Jg. IX, 1962, S. 367 - 377.

A. Springer, Geschichte Österreichs seit dem Wiener Frieden 1809. Leipzig 1865, Bd. II, S. 1 - 35.

Vgl. die Bibliographie bei E. Schwarz, Sudetendeutsche Sprachräume, 2. Aufl. München 1962.

A. Brückner, Dzieje jçzyka polskiego. Lwow (Lemberg) 1906, S. 161.

F.J. Beranek, Atlas der sudetendeutschen Umgangssprache, I, Marburg 1970.

Zeitschrift für deutsche Sprache, Jg. 22, Berlin 1966, S. 8 4 -9 1 .

Narodnostni slo ïen i obyvatelstva podle pïedbêznÿch vÿsledkü sïitân i lidu k 1.12.1970. Federàlni statisticky ufad, Praha 1971.

J. Povejsil, Deutscher Dialekt und fremde Hochsprache bei zweisprachiger Bevölkerung. In: Philologica Pragensia XVIII (1975), S. 108.

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