Der deutsche Strommarkt – Quo vadis? · Der deutsche Strommarkt – Quo vadis? Vortrag zur...
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Der deutsche Strommarkt – Quo vadis?
Vortrag zur Eröffnung des „Studiums im Alter“ an der WWU Münster am 27.09.2011
Prof. Dr. Wolfgang Ströbele
Lehrstuhl für Volkswirtschaftstheorie WWU Münster
0. Kurzvorstellung
Gliederung
1. Basics und Besonderheiten des Gutes „Elektrizität“ 2. Wie funktioniert der heutige Strommarkt? 3. Knappheit der Deponiekapazitäten: Wie viel CO2 ver-
trägt die Atmosphäre? Konsequenzen für den (deutschen) Strommarkt ?
4. Wie lassen sich mittelfristig rund 150 TWh ersetzen? 5. Zusammenfassung und Diskussion
Strommarkt in Deutschland
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Strommarkt in Deutschland
1.1. Basics: Verbrennungsprozesse: • Kohlenstoff C + Sauerstoff O2 → Energie + CO2
• Wasserstoff H2 + Sauerst. O → Energie + H2O • Schwefel S + Sauerstoff O2 → Energie + SO2 etc. Beispiel: Methanverbrennung (Erdgas zu über 90 %) CH4 + 2 ∙ Sauerstoff O2 → Energie + CO2 + 2 ∙ H2O
Wichtig: Die Moleküle CO2 und CH4 sind relevante TH-Gase (Kyoto). Circa 90 % der Weltenergienutzung beruht heute auf Verbrennungsprozessen: Öl, Kohle, Gas, Holz, ….
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Strommarkt in Deutschland
1.2. Besonderheiten des Gutes „Elektrizität“ Basiswissen I, Begriffe:
• Elektrische Leistung (kW, MW, GW, …) entweder für verbrauchende Geräte: Bügeleisen 1200 W, Kühlschrank 80 W, … oder für Stromerzeugung: Windrad 2000 kW, Kraftwerk 700 MW = 700.000 kW, ….
• Elektrische Arbeit: Stromverbrauch (kWh, MWh, …) oder Stromerzeugung (MWh, GWh, TWh = Mrd. kWh…)
„Mein Auto verbraucht 140 PS“ ist Unsinn! Trotzdem wird Leistung (= PS oder kW bei einer bestimmten Drehzahl) und Arbeit (Antrieb, hier gemessen durch den Benzinverbrauch) im Falle Elektrizität oft - sogar auch von Journalisten – verwechselt.
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Strommarkt in Deutschland
Basiswissen II, Stromerzeugung: • durch Bewegung eines Magneten gegenüber einer Spule =
Generator. Dafür ist eine Kraftquelle nötig: bspw. Wasserkraft, Dampfturbine, Gasturbine, Windmühle, Biogasmotor, … = heute dominierend !
• Dabei Dampferzeugung durch Kernspaltung oder Verbrennung von Kohle, Erdgas, Heizöl, …
• Photoelektrisch (Prinzip des Belichtungsmessers) durch Umwandlung von Lichtphotonen in elektrischen Strom
Unterscheidung: Erzeugungstechniken mit plan-barem Einsatz versus Einsatz nach Dargebot der Natur (Sonnenschein, Windstärke, …)
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Was ist besonders an elektrischem Strom? • Strom ist netzgebunden = natürliches Monopol. Notwendigkeit I:
ausreichende Netzkapazitäten zwischen Erzeugung an Ort A und Verbrauchern an Ort B?
• Produktion und Verbrauch von Strom müssen gleichzeitig in genau gleicher Höhe stattfinden, da praktisch keine Lager-fähigkeit gegeben ist. Notwendigkeit II: stets ausreichende Erzeugungskapazitäten erforderlich!
• Wesentlicher Input für viele Prozesse; oftmals nicht substituierbar (Computer, Licht, stationärer Antrieb, ..).
• Kaum direkte aktuelle Preissignale für viele Stromkunden!
Strommarkt in Deutschland
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Strommarkt in Deutschland
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Erzeugung und Transport
55%
Konzess.abgabe 7%
KWK-Umlage 0%
Stromsteuer 8%
EEG-Umlage 14%
Umsatzsteuer 16%
Strompreiszusammensetzung 2011: 24,95 Cent/kWh, davon ca. 14 Cent für
Erzeugung + Netzkosten
Strommarkt in Deutschland
Braunkohle Steinkohle Kernkraft GuD Erdgas Kap.kosten €/kW p.a.
138 124 300 67
Brennstoffk. inkl. 15 €/t CO2
in Ct/kWh
2,65
3,12
1,40
4,90
7
Kraftwerkstypen und Erzeugungskosten für MWh bei 15 €/t CO2 und SK-Preis 60 €/t
Strommarkt in Deutschland
0
50000
100000
150000
200000
250000
300000
350000
400000
450000
500000
0 1000 2000 3000 4000 5000 6000 7000 8000
KKW
STK
GUD
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Strommarkt in Deutschland
Stromnachfrage schwankt saisonal und wöchentlich (Montag - Freitag / Wochenende + Feiertage) und im Tagesablauf
Daraus ergibt sich als Aggregat über alle Nachfrager: eine so genannte Jahresdauerlinie der Nachfrage.
• Von den 8760 Stunden eines Jahres (bei Schaltjahr + 24 Stunden) wird eine bestimmte Leistung in 1000 MW = GW mindestens 5000 - 6000 Stunden benötigt = Grundlast
• An ganz wenigen 100 - 250 Stunden im Jahr, in Deutschland typischerweise ein oder wenige Wintertage (Dezember oder Januar) Mitte der Woche wird extrem hohe Last benötigt = Spitzenlast i.e.S.
• Dazwischen liegt die Mittellast.
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Strommarkt in Deutschland
Besonderheit in Deutschland:
• (fast) unbedingter Vorrang für Strom aus erneuerbaren Quellen mit gesicherter Einspeisevergütung.
• dargebotsabhängige Wind- und Photovoltaik schwanken;
• die jetzt noch stärker schwankende jeweils restliche Nachfrage (Residuallast) muss von konventionellen Anlagen abgedeckt werden.
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Strommarkt in Deutschland
Lastverlauf Juli 2010 in Deutschland (Quelle: RWE):
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Strommarkt in Deutschland
Lastverlauf im Januar 2011 (Quelle RWE)
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Strommarkt in Deutschland
• Fall A: „günstige“ EE-Einspeisung
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Strommarkt in Deutschland
Fall B: „ungünstige“ EE-Einspeisung
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Strommarkt in Deutschland
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Strommarkt in Deutschland Wenn ein gesamtwirtschaftlicher Planer die optimale (= kosten-günstigste) Mischung verschiedener Kapazitäten errichten müsste, würde er einer bestimmten Jahresdauerlinie einen zugehörigen kostenminimalen Kraftwerkspark zuordnen: • Für die reine Spitzenlast die Gasturbinen, • die nächsten 2000 Stunden p.a. als GuD-Anlagen, • dann die Mittellast mit Steinkohlekraftwerken oder Wasserkraft, • Grund- und Mittellast bevorzugt nur mit Wasserkraft (Norwegen!); • da deren Kapazitäten in D aus natürlichen Gründen begrenzt sind,
werden dann Braunkohle und bisher Kernenergie eingesetzt.
Diese Mischung kann auch durch wettbewerbliche Strukturen auf der Erzeugerseite zustande kommen (Marktdesign??)
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Strommarkt in Deutschland
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Strommarkt in Deutschland Stromerzeugungskapazitäten in GW (≠ elektrische Arbeit!):
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Steinkohle19%
Braunkohle15%
Heizöl3%
Gase15%
Kernenergie14%
Wasser7%
Wind 17%
Photovoltaik6%
Geothermie0%
Sonstige 4%
Insgesamt 153 GW
Strommarkt in Deutschland
Stromerzeugung 2010 in Deutschland (in Mrd. kWh)
19
140,5
147,0
116,0
84,5
7,5
36,5
19,7
6,5 28,5
12,0 5,6 16,7
Kernenergie
Braunkohle
Steinkohle
Erdgas
Mineralöl
Wind
Wasser
Pumpspeicher
Biomasse
Photovoltaik
andere EE, Müll
Sonstige
3. Wie viel CO2 verträgt die Atmosphäre ? Fakten und Zahlen zur „Klimakatastrophe“:
- Dank eines natürlichen Treibhauseffektes sind überhaupt Temperaturen, welche Leben erlauben, auf der Erde möglich.
- Dank eines hinreichend hohen CO2-Gehalts der Atmosphäre ist Photosynthese in Pflanzen möglich → Beginn der Nahrungs-kette (CO2 ist kein „Giftstoff“, sondern lebensnotwendig !)
- Der CO2-Gehalt der Atmosphäre weist über viele Millionen Jahre (auch ohne Menschen) große Schwankungen auf.
- Ebenfalls schwanken die Temperaturen (Klima-Episoden) auf Grund natürlicher Einflüsse ebenfalls erheblich (Sonnenaktivitäten, Neigung der Erdachse, …) mit „Grönland“ um das Jahr 1000 und Frösten im Sommer gegen 1450-1550.
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Strommarkt in Deutschland
Energiezufuhr Sonne
Die Atmosphäre wirkt wie dieVerglasung in einem Gewächshaus: - Das Licht geht zu einem großen Teil durch - Die Wärme wird zu einem großen Teil an der Abstrahlung gebremst
LichtEnergie-abstrahlung
Wärme
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Wie viel CO2 verträgt die Atmosphäre ?
- CO2-Akkumulation durch Verbrennung fossiler Brennstoffe kann sehr langfristig die Wärmebalance der Erde durch Erzeugen eines anthropogenen TH-Effekts verändern.
- Weitere derartige TH-Gase sind auch Methan = CH4, Lach-
gas, FCKWs, … (Kyoto-Abkommen umfasst 6 davon). Sie entstehen bei Rinderhaltung, Nassreisanbau, undichten Erdgaspipelines, Biogasanlagen, Düngemittelproduktion, …
- Atmosphäre = globales „öffentliches Gut“: Niemand kann
von der Nutzung ausgeschlossen werden; auch wenn er nichts dafür tut. Das ist das Grundproblem weltweiter Abkommen.
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Wie viel CO2 verträgt die Atmosphäre ?
- Beobachtungen: Temperaturanstieg 1910 – 1940, -rückgang 1945 – 1970, danach wieder Temperaturanstieg → ab 2000 wieder Abflachung → Exaktes Wissen über den Beitrag der anthropogenen THG-Komponente zur Erwärmung ist der-zeit nicht gegeben. Aktuelle Erwärmung könnte auch andere (Mit-)Ursachen haben.
- Weltweiter Anstieg der (energiebedingten) CO2-Emissionen seit Beginn der Industrialisierung auf heute über 33 Mrd. t p.a. (1990: 22,6 Mrd. t).
- Stärkste Zuwächse 1990 (Kyoto-Basisjahr) bis 2005 durch USA (900 Mill. t), China (950 Mill. t), Naher Osten (380 Mill. t): Summa summarum 15 Mill. t pro Monat seit 1990. Zum Vergleich: CO2-Emissionen von Deutschland insgesamt: unter 800 Mill. t → internationale Kooperation ???
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Energiebedingte CO2-Emissionen Welt (Mill. t)
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1990
2010 Zuwachs monatlich In Mill. t
USA 5.445 6.145 700 3
China 2.459 8.333 5.874 24
Mittlerer Osten
0.745 1.913 1.168 5
Deutschland 0.979 777 - 202 - 0,8
WELT gesamt
22.613 33.158 10.545 44
Wie viel CO2 verträgt die Atmosphäre ? Energieträger unterscheiden sich nach C/H-Zusammensetzung → unterschiedliche spezif. CO2-Emissionen. Ebenso: unterschiedliche Wirkungsgrade in der Stromerzeugung: Brennstoff / Baujahr !
Energie-Träger
kg CO2/ kg SKE
t CO2/ MWh W-Grad
kg CO2/ kWh
B-Kohle 3,23 0,40 39,7% 1,000
S-Kohle 2,73 0,34 41,9% 0,800
Heizöl 2,19 0,27 40,4% 0,666 Erdgas GuD 1,64 0,20 56,0% 0,360
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4. Wie lassen sich 150 TWh ersetzen (Kernenergie) ? Mittelfristige Perspektive bis 2025
Politik I: Der Kraftwerkspark des Jahres 2010 enthielt 20.500 MW Kapa-zität Kernenergie. Nach dem Fukushima-Unglück im Frühjahr 2011 fallen durch politische Entscheidung sofort 8.500 MW davon aus, über die nächsten 11 Jahre sind schrittweise rund 12.000 MW zu ersetzen. Politik II: Zubau regenerativer Stromerzeugung auf über 35 % Anteil an der Gesamtmenge bis zum Jahr 2022, dann mittelfristig bis 50 %. Davon größte Beiträge Wind (dargebotsabhängig) und Biomasse (Methan, Konkurrenz zu Lebensmitteln, …?).
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Strommarkt in Deutschland
Problem I: Selbst bei fast Verdopplung der Windkapazitäten (zum größten Teil off-shore; Zuwachs rund 25 GW): Bei dann (hoffentlich) 1800 Volllaststunden p.a. = + 45 TWh. Verdopplung der Biomassestromerzeugung bringt 30 TWh und übrige weitere erneuerbare 15 TWh (davon Photovoltaik NULL bei Nacht und fast nichts im Winter!). Davon sind quasi sicher planbar einzusetzen 40 - 45 TWh! Problem II: Durch den Vorrang von EEG-Strom schrumpft die restliche Stromnachfrage und diese schwankt viel stärker. Die Wirt-schaftlichkeit von fossilen Kraftwerken wird dadurch fraglich! Diese werden für 60 - 100 TWh benötigt. Wer baut sie?
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Strommarkt in Deutschland Problem III: Durch notwendigen Zubau fossiler Kraftwerke / kurzfristig Einsatz älterer „Möhrchen“ steigen die CO2-Emissionen um Größenord-nungen von 40 – 50 Mill t CO2 p.a. an.
Problem IV: Neubauten Wind + Kohlekraftwerke entstehen im Norden; Ausfall der Kernkraftwerke sehr stark in Süddeutschland. Ausbau der Stromtrassen dauert sehr lange. Also Blackoutrisiko vor allem in Süddeutschland.
Speicher bei Wind haben zwei Funktionen! a) Zeitpuffer über mehrere Tage und sogar Wochen. b) Zeitpuffer über Stunden für die heutige Vermarktung. Diskussion dazu trennen: (a) dauert noch Jahrzehnte!
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Strommarkt in Deutschland
Problem V: Die allgemeine Versorgungssicherheit geht wegen der Dominanz nicht planbarer EEG-Erzeugung bereits innerhalb der nächsten zehn Jahre dramatisch zurück.
Das jetzige Marktdesign des Strommarktes kann diese Probleme nicht bewältigen: neue Kapazitätsmärkte?
Problem VI: Die Strompreise werden steigen (CO2-Preise, schlechte Auslas-tung (neuer) fossiler Kraftwerke erfordert Kapazitätsprämien, Netz-ausbau wird teuer, Subventionierung von EEG-Strom erfolgt per Umlagesystem in die „Netzentgelte“): + 10 Cent/kWh bis 2025?
→ Gefahr für stromintensive Industrien / Industriestandorte. 30
Strommarkt in Deutschland
5. Zusammenfassung • Wir befinden uns in einer Übergangsphase mit wachsenden
Risiken.
• Ein Anteil von EEG-Strom über 30 % benötigt eine andere Transportinfrastruktur und ein anderes Marktdesign. Zum zweiten Punkt beginnt die Diskussion der Politik erst jetzt.
• Die jetzige EEG-Förderung wird mittel- bis langfristig sehr teuer. Die Strompreise werden gegenüber heute deutlich ansteigen durch EEG-Umlage + Netzausbaukosten.
• Die Sicherheitsauswirkungen des Kernenergieausstiegs in Deutschland wirken national frühestens bei Inbetriebnahme eines Endlagers; + abgeschwächt wegen KKW rund um uns herum in Europa: Tschechien, Frankreich, ….
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Strommarkt in Deutschland
Danke für Ihre Aufmerksamkeit!
Viel Spaß und gute Anregungen in den von Ihnen gewählten Fächern! Mit der WWU haben
Sie eine gute Uni gewählt.
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Übertragungsnetzbetreiber in Deutschland
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